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Dienstag, 1. März 2022

Schadensersatz: Verkehrs-/Wiederbeschaffungswert eines Pferdes (bei bisher unbekannter Erkrankung)

Der Beklagte war Tierarzt und wurde von der Klägerin nach einer Behandlung ihre Wettkampfpferdes auf Schadensersatz in Anspruch genommen, da dieses nach einer vom Beklagten durchgeführten Eigenblutbehandlung starb. Das Landgericht (LG) erkannte einen Schadensersatzanspruch von € 250.000,00 zu; die Berufung des Beklagten wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen und nach Zulassung der auf die Höhe des Anspruchs beschränkten Revision beantragte er die Klageforderung abzuweisen, soweit sie einen Betrag von € 50.000,00 übersteige. Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils, soweit nicht mit der Revision angefochten, und zur  Zurückverweisung an das OLG.

Die Klägerin hatte behauptet, das Pferd habe einen Wiederbeschaffungswert von mindestens € 250.000,00. Die Erwägungen, mit denen das OLG dem folgte, hielten aber der revisionsrechtlichen Prüfung des BGH nicht stand.

Die Bemessung der Höhe des Schadens sei vom nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichter vorzunehmen. Dabei müsse er erhebliches Vorbringen der Parteien berücksichtigen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung beachten, wesentliche Bemessungsfaktoren in Betracht ziehen bzw.  richtige Maßstäbe der Schätzung zugrunde legen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -).  Dies sei vom OLG nicht berücksichtigt worden.

Nicht berücksichtigt habe das OLG die Behauptung des Beklagten, das Pferd sei für eine anaphylaktische Reaktion anfällig gewesen und deshalb im Wert gemindert gewesen. Der Umstand, dass dies bis zum Auftreten einer der derartigen Reaktion nicht bekannt gewesen sei und von daher bis dahin nicht von den Marktteilnehmern hätte berücksichtigt werden können, sei entgegen der Ansicht des OLG erheblich, unabhängig davon, ob der Schadensersatz für den Verlust des Pferdes nach § 249 BGB oder § 251 Abs. 1 BGB bemessen würde.  

§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB erlaube es dem Gläubiger statt die Widerherstellung des früheren Zustands den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Bei Verlust oder Zerstörung (auch bei Tötung eines Tieres, § 90a BGB) könne er im Rahmen der Naturalrestitution den Geldbetrag verlangen, der für die Beschaffung einer gleichartigen und -wertigen Sache erforderlich sei. Zur Feststellung der Gleichartigkeit und -wertigkeit seinen die objektiv vorliegenden Eigenschaften der Sache zugrunde zu legen (so BGH, Beschluss vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 – zu § 7 Abs. 1 StVG und Vorschäden an einem Pkw).  

Sollte eine Anschaffung eines gleichartigen und -wertigen Pferdes nicht möglich sei, sei nach § 251 Abs. 1 BGB Ersatz für die Vermögenseinbuße zu leisten (Kompensation). Es sei der Verkehrswert zu ermitteln. Bei Bestehen eines Marktes für die Sache würde sich dieser durch Angebot und Nachfrage ergeben, der im Allgemeinen der Wiederbeschaffungswert sei. Auch hier seien die objektiven Eigenschaften der Sache zugrunde zu legen.

Es käme nicht darauf an, wem wann welche Eigenschaften bekannt waren. Die Auffassung des OLG, wonach es darauf ankäme, würde dazu führen, dass die Wertbemessung von einem höherwertigen und wertvolleren Pferd ausgehen würde und damit die Klägerin objektiv besser gestellt würde als sie ohne das schädigende Ereignis stände.

Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Pferd für anaphylaktische Reaktionen anfällig war und sich dies wertmindernd auswirken würde, sei die Grundlage der Wertermittlung durch das OLG entfallen und der Rechtsstreit an das OLG zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 09.11.2021 - VI ZR 87/20 -

Sonntag, 6. Februar 2022

Neuer Vortrag zur Art der kausalen ärztlichen Fehlbehandlung im Berufungsverfahren mit Bezug auf medizinisches Privatgutachten

Der Kläger klagte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Arzt wegen angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung mit der Folge einer Beinlähmung ein. Er behauptete in 1. Instanz vor dem Landgericht Fehler des Beklagten im Zusammenhang mit einer Ansteckung VZV, einem Herpes-Virus. Das Landgericht wies die Klage ab. Nunmehr holte der Kläger ein medizinisches Privatgutachten ein und stütze seine Berufung gegen das Urteil unter Bezugnahme auf dieses Gutachten darauf, er habe an einer Neuro- bzw. Lymeberreliose gelitten, was der Beklagte übersehen habe. Dies hätte der Beklagte erkenn können und müssen und sei behandlungsfehlerhaft nicht erkannt worden sowie die Diagnosen von ihm seien falsch gewesen. Er habe neben der (negativen) serologischen Befundung zu einer Borreliose weitere Befunde erheben müssen, was er pflichtwidrig unterlassen habe, bei deren Vornahme aber Borreliose erkannt worden wäre. In Ansehung der richtigen Diagnose sei das verordnete hochdosierte Cortison kontraindiziert gewesen und ursächlich für die vom Kläger geklagte Beinlähmung. Zudem sei er über die Risiken der Cortisonbehandlung nicht aufgeklärt worden.

Zunächst musste sich das OLG der Frage widmen, ob der Kläger mit seinem neuen Vortrag zugelassen werden konnte, bevor es - bei Bejahung – klären musste, ob sich daraus ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten herleiten lässt.

Das OLG hat auf sich beruhen lassen, ob – wie klägerseits geltend gemacht – in dem Vortrag im Berufungsverfahren, er habe im Behandlungszeitraum an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten (gestützt auf das zwischenzeitlich eingeholte Privatgutachten) lediglich eine Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages lag oder ob es sich um neuen Sachvortrag iSv. § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Nach Auffassung des OLG bedurfte es dazu keiner Entscheidung, da bei Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages dieser ohnehin zuzulassen wäre, aber auch dann, wenn man ihn als „neues Vorbringen“ ansehen würde, dies einer Zulassung nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegenstehen würde. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO ist neuer Vortrag zuzulassen, wenn das Unterlassen des Vortrages in er 1. Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht. Eine Nachlässigkeit des Klägers verneinte das OLG.

Jede Partei sei schon im ersten Rechtszug gehalten, die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt seien oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande gewesen seien. Der gebotene Sorgfaltsmaßstab sei einfache Fahrlässigkeit. Allerdings dürften in einem Arzthaftungsprozess an eine Substantiierungsverpflichtung des Patienten nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, was auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten gelte. Deshalb seien die Parteien nicht gehalten, bereits in 1. Instanz ihre Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf einen eingeholten sachverständigen Rat zu stützen oder selbst (oder durch Dritte) in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erheben (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 -). Dem würde nicht entgegenstehen, dass der Privatgutachter des Klägers kein Facharzt für Neurologie sei. Da selbst eigene Recherchen des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten in medizinischer Fachliteratur ausreichen würden, um den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zu genügen (BGH aaO.), dann müsse dies erst recht für Vorbringen gelten, welches sich auf ein medizinisches Gutachten gelten, auch wenn der privat beauftragte ärztliche Gutachter nicht dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers maßgeblichen Fachgebiet angehöre.

Damit brachte das OLG deutlich zum Ausdruck, dass das erstinstanzliche Abstellen auf bestimmte ärztliche Fehler nicht ein Abstellen im Berufungsverfahren auf anderweitige Fehler hindert, da der Kläger im Arzthaftungsprozess nicht veranlasst ist, sich bereits vorab ein eigenes medizinisches Gutachten zu besorgen bzw. sich in die medizinische Fachliteratur einzulesen; erfolge dies erst im Zusammenhang mit der von ihm gegen ein klageabweisendes Urteil eingelegten Berufung, liegt darin keine diesen neuen Sachvortrag ausschließende Nachlässigkeit iSv. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.

Allerdings wies das OLG die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Nach Beweisaufnahme durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens kam es zum Ergebnis, dass mir hoher Wahrscheinlichkeit Borreliose zum Zeitpunkt der streitbefangenen Behandlung noch nicht vorlag. Es habe auch nicht darüber befinden müssen, ob der Beklagte im Zusammenhang mit der Cortisonbehandlung eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt habe, da diese jedenfalls nicht zu einem Schaden geführt habe; die gerichtlich bestellten Sachverständigen hätten darauf hingewiesen, dass Schäden durch eine Cortisonbehandlung in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert seien.

OLG Dresden, Urteil vom 14.09.2021 - 4 U 1771/20 -

Mittwoch, 2. Februar 2022

Reparaturkosten-Ersatz von 130% vom Wiederbeschaffungswert und Beweiswürdigung der Instandsetzung

Immer wieder kommt es zum Streit zwischen  dem Geschädigten und dem Schädiger/dessen Versicherer, ob bei einem wirtschaftlichen Totalschaden gleichwohl Reparaturkosten verlangt werden können. Der BGH hat in seiner Entscheidung dazu neuerlich Stellung genommen und erstmals sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Ersatz von Reparaturkosten auch verlangt werden kann, wenn die Kostenprognose im Schadensgutachten Reparaturkosten vorsieht, die über die 130%-Grenze liegen. Ferner musste er sich damit auseinandersetzen, wie die Feststellung erfolgen muss, um festzustellen, dass tatsächlich zu den geltend gemachten Kosten der Schaden komplett sah- und fachgerecht behoben wurde.

In dem Fall betrug der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nach dem Schadensgutachten € 4.500,00, die Reparaturkosten gab der Sachverständige mit € 7.148,84 an. Der Kläger ließ das Fahrzeug zu einem Preis von € 5.695,49 reparieren, nutzte es weiterhin und machte gegen die Beklagten diesen Betrag abzüglich der erfolgten Zahlung auf den Wiederbeschaffungswert geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung.

1. Der BGH verwies auf seine Rechtsprechung, wonach dem Geschädigten in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Ansehung seines Integritätsinteresses ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwandes (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zustünde. Voraussetzung sei, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur (mindestens für ein Jahr) weiter zu nutzen. Fachgerecht sei die Reparatur nur dann, wenn diese so durchgeführt würde, wie es vom Sachverständigen in seiner Kostenschätzung vorgesehen worden sei. Würde der Aufwand mehr als 30% betragen, sei die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig und dem Geschädigten stünde nur der Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines etwaigen Restwertes) als Schadensersatz zu. Anderes würde im Falle der Reparatur nur dann gelten, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wähle, die Reparatur aber teurer würde und ihm kein Auswahlverschulden zur Last falle. Ließe er aber das Fahrzeug reparieren, obwohl wie hier die Kostenprognose bei über 30% über dem Wiederbeschaffungswert läge und erweise sich dies als richtig, sei der Schadensersatzanspruch auch auf den Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines möglichen Restwertes) beschränkt.

Vom Grundsatz her seien die Angaben des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten zur Höhe nicht für den geschädigten verbindlich und er könne den Betrag verlangen, der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sei. Er müsse in diesem Fall den Angaben des Sachverständigen konkret entgegentreten und geltend machen, der von ihm ermittelte Betrag gebe den objektiv zur Herstellung erforderlichen Betrag wieder; würde dies vom Gegner bestritten, müsse dies im Rechtsstreit auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung eines vom Gericht zu veranlassenden Sachverständigengutachtens geklärt werden.

In den Fällen, in denen die Reparaturkosten über 130% des Wiederbeschaffungswertes lägen, die Reparatur aber fachgerecht (ggfls. unter Verwendung von Gebrauchtteilen) Kosten auch unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen würden, würde daher ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestehen. Anm.: Bei dieser Berechnung bleibt der Restwert des Fahrzeuges außer Ansatz, dessen Abzug sich der Geschädigte bei Ersatz des Wiederbeschaffungswertes auf diesen anrechnen lassen muss.

Offen gelassen hatte der BGH bisher den Ersatzanspruch auf Reparaturkosten, die sich unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes auf 101 bis 130% des Wiederbeschaffungswertes belaufen. Nunmehr hielt der BGH fest, dass auch in dem Fall, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten für eine fachgerechte Reparatur (auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen) zur Wiederherstellung des Zustandes des Fahrzeuges wie vor dem Unfall innerhalb der 130%-Grenze bewegen, dem Geschädigten diese „Integritätsspritze“ nicht versagt werden könne. Der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähige Betrag würde nicht durch die Einschätzung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen bestimmt, sondern von den tatsächlichen Kosten einschl. des merkantilen Minderwertes.

2. Ob die durchgeführte Reparatur sach- und fachgerecht und nach den Vorgaben des Sachverständigen erfolgt sei, sei bei Bestreiten des Gegners vom Gericht zu prüfen. Die Beweislast, der durch Einholung eines zu beantragenden und vom Gericht einzuholenden Sachverständigengutachtens nachzukommen ist, obliegt dem Geschädigten

Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dessen Grundlage den vom Kläger zu erbringenden Beweis als erbracht angesehen. Vom Landgericht sei dies fehlerhaft nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als festgestellte Tatsache des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden. Bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, würde dies eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht erfordern. Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite (wenn auch eingeschränkte) Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“, der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung.  

So sei ein Verfahrensfehler zu berücksichtigen, was namentlich dann vorläge, wenn das erstinstanzliche Urteil nicht den Anforderungen entspräche, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO entwickelt worden seien. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße. So seien auch unklare oder widersprüchliche Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung durch das Gericht.

Die vom Landgericht als bindend angesehene Feststellung des Amtsgerichts zu dem Sachverständigengutachten, dieses habe aufgrund der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht, sei von den Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht nicht gedeckt. Verschiedentlich sei vom Sachverständigen darauf hingewiesen worden, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Veräußerung des Fahrzeuges eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage fehlen würde und sich auf die relativierende Aussage beschränkt, nach den übergebenden Fotos seien keine Anzeichen vorhanden, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Nur vor diesem Hintergrund habe er eine fachgerechte Reparatur bestätigt. Demgegenüber habe das Amtsgericht in der Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens zu erkennen gegeben, dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben hätten, wie er den Pkw nicht mehr habe begutachten können.

Damit war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 100/20 -

Dienstag, 25. Januar 2022

Anfechtung nach § 123 BGB: Besteht Anspruch auf Schadensersatz wegen Maklerprovision und Grunderwerbsteuer ?

Nachdem die Klägerin den von ihr als Käuferin mit dem Beklagten abgeschlossenen Grundstückskaufvertag  wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte, forderte sie im Rahmen der Rückabwicklung u.a. die von gezahlte Grunderwerbsteuer und die von ihm gezahlten Maklerkosten zurück. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung gab das Oberlandesgericht der Klage von Grundsatz her statt, wies aber die zwei von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen ab. Der BGH sah die Klage auch zu diesen Positionen als grundsätzlich begründet an. 

Bei einer vorvertraglichen arglistigen Täuschung könne die Klägerin Ersatz des sogenannten Vertrauensschadens verlangen, §§ 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB, da der Geschädigte so zu stellen sei, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsentschluss maßgeblichen Umstände stünde. Damit könne er die im Vertrauen auf den Vertragsschluss getätigten Aufwendungen ersetzt verlangen, halte er nicht - wie vorliegend - am Vertrag fest (BGH, Urteil vom 11.06.2020 - V ZR 144/09 -).

Das Oberlandesgericht vertrat die Auffassung, die Klägerin könne die Schadenspositionen Maklerprovision und Grunderwerbseuer deshalb nicht von dem Beklagten begehrten, da sie einen Erstattungsanspruch gegen Makler und Finanzamt habe. Dem folgte der BGH nicht.

Allerdings entfalle im Falle einer erfolgreichen Anfechtung des Kaufvertrages wegen vorvertraglicher arglistiger Täuschung nach § 123 BGB der Anspruch auf Maklerprovision und könne insoweit vom Makler nach Bereicherungsrecht zurück gefordert werden (BGH, Urteil vom 09.07.2009 - III ZR 104/08 -). Zur Grunderwerbsteuer bestünde bei Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ein Erstattungsanspruch. Allerdienst würden der Bereicherungs- und Erstattungsanspruch nicht zum Entfall eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten als Verkäufer führen. Die Geschädigte müsse sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie einen Anspruch gegen einen Dritten habe, der zum Ausgleich einer Vermögenbeeinträchtigung führe. Vielmehr sei es Sache der Geschädigten zu entscheiden, wen sie auf Ausgleich Anspruch nehmen wolle; sie müssen sich nicht verweisen lassen. Mit der Möglichkeit, die Ansprüche direkt bei dem Schädiger geltend zu machen, die durch dessen Pflichtverletzung entstanden seien, könne sie den Aufwand und das Insolvenzrisiko auf den Schädiger verlagern;  dies folge aus § 255 BGB. Allerdings sei der Schädiger entsprechend § 255 BGB auch nicht verpflichtet, ohne Abtretung der Ansprüche der Klägerin gegen die Maklerin und das Finanzamt Schadensersatz zu leisten wobei der Leistungsaustausch Zug-um-Zug vorzunehmen sei; soweit der VII. Zivilsenat im Urteil vom 21.03.2002 – VII ZR 493/00 – noch eine andere Auffassung vertrat, würde er nach seiner auf Anfrage abgegebenen Erklärung nicht mehr daran festhalten.

BGH, Urteil vom 24.09.2021 - V ZR 272/19 -

Dienstag, 30. November 2021

Haustiere als berücksichtigungsfähiger Haushaltsführungsschaden

Nach einem Unfall besteht häufig Streit über den Schaden des Geschädigten. Neben reinen Sachschäden (so am Fahrzeug) und Schmerzensgeld wegen Verletzungen ist an entgangenen Verdienst/Gewinn aber auch an einen Haushaltsführungsschaden zu denken. Ein solcher Streit liegt der Entscheidung des OLG Koblenz vom 01.03.2021 zu Grunde, bei dem ein Schwerpunkt der Haushaltsführungsschaden unter besonderer Berücksichtigung von Tieren im Haushalt des Geschädigten ist.

Das Landgericht hatte sich auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten gestützt, welches von einer Minder der Haushaltsführungstätigkeit zu verschiedenen Prozentsätzen ab dem Unfall bis zur Ausheilung der unfallbedingten Verletzungen ausging. Die Höhe des Haushaltsschadens, so das OLG, würde sich aus den von der Klägerin darzulegenden und zu beweisenden Umständen ergeben, nämlich die eigenen Lebens- und Wohnverhältnisse (Größe des Hauses/der Wohnung, Anzahl der zu versorgenden Personen, eine evtl. Berufstätigkeit), Umfang der Haushaltstätigkeit vor dem Unfall (was wurde täglich erledigt, was nur wöchentlich oder monatlich. Dem sei der Umfang der noch möglichen Haushaltstätigkeit gegenüberzustellen.

Den vom OLG als „Sonderfall“ eingestuften Umstand, dass auch Haustiere der Klägerin bzw. deren Familie zu versorgen seien, wollte der Senat nicht grundsätzlich die Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen eines Haushaltsführungsschadens versagen. Dabei seien aber Besonderheiten zu berücksichtigen:

Nach Angaben der Klägerin habe diese den Hund vor dem Unfall 90 Minuten/Tag ausgeführt, nach dem Unfall nur 75 Minuten. Hier negierte das OLG einen ersatzfähigen Schaden. Es sei weder dargelegt worden, weshalb es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, noch weitere 15 Minuten/Tag mit dem Hund zu gehen, wie auch nicht, weshalb durch die fehlenden 15 Minuten der Hund einen Schaden erleiden sollte. Zudem habe ein Zeuge bekundet, dass er den Hund ebenfalls abends, teilweise nachts ausführe, weshalb eine Kompensation vorläge und einen Ersatzanspruch ausschließe.

Anmerkung:

Sollte der Hund dadurch einen Schaden erleiden, würde es sich nicht um einen Haushaltsführungsschaden handeln, sondern um einen Folgeschaden in Form eines Sachschadens aus dem dem Vorgang zugrunde liegenden Verkehrsunfall; allerdings läge bei einem dadurch bedingten Schaden beim Hund wohl ein Mitverschulden der Klägerin vor, da sie für eine Kompensation (z.B. durch Beauftragung eines Dritten, ggf. gegen Entgelt, diesen hätte abwenden können.

Ein Haushaltsführungsschaden läge allerdings vor, wenn die Klägerin nachweislich nicht 90 Minuten den Hund hätte ausführen könnte, dies aber notwendig wäre, und wenn nun ein Dritter, wenn es auch ein Familienmitglied der Klägerin war, die zeitliche Differenz übernimmt; in diesem Fall wäre der geldwerte Vorteil des Ausführend des Dritten zu bewerten (üblicher Stundensatz) und als Haushaltsführungsschaden zu behandeln. Der Umstand einer Kompensation, wie sie hier nach Ansicht des OLG vorlag, würde mithin nicht den Haushaltsführungsschaden hindern können, da dieser gerade auch dann gilt, wenn Dritte die Tätigkeiten übernehmen, die von dem Geschädigten bisher wahrgenommen wurden. Allenfalls wäre zu prüfen, ob eine Kompensation dadurch erfolgen könnte, dass der Dritte, der die Aufgabe übernimmt, bisher im Haushalt eine andere Tätigkeit ausführte, die dem Geschädigten auf Grund seiner Verletzung noch möglich wäre, so dass durch zumutbare Umorganisation ein Schaden entfällt.

Alleine mit der Begründung einer Kompensation dadurch, dass ein Dritter den Hund (ergänzend) ausführt, kann mithin entgegen der Annahme des OLG der Haushaltsführungsschaden nicht negiert werden. Gleichwohl ist vorliegend die Verneinung eines solchen zutreffend, da die Klägerin nicht dargelegt haben soll, warum sie den Hund nur 75 Minuten und nicht 90 Minuten habe ausführen können, unabhängig davon, dass auch nach den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich wäre, weshalb der Hund 90 Minuten hätte ausgeführt werden müssen und nicht (jedenfalls übergangsweise) 75 Minuten ausreichend sein sollen.  

Weiterhin hatte die Klägerin Fische und Hasen gezüchtet und versorgt. Hierbei würde es sich nach Ansicht des OLG um eine reine Liebhaberei der Klägerin bzw. deren Familie handeln. Eine solche führe nicht zu einer Ersatzfähigkeit im Rahmen eines Haushaltsführungsschadens; dieser Umstand sei lediglich im Rahmen des Schmerzensgeldes berücksichtigungsfähig. Zudem sei dem Senat nicht ersichtlich, weshalb nicht der Ehemann oder die im Haushalt lebende Tochter die Hasen und Fische hätte versorgen können.

Anmerkung: Sollte die Klägerin nach der Organisation des Haushalts die Fische und Hasen versorgt haben und unfallbedingt dazu nicht in der Lage gewesen sein (was sie darlegen und beweisen müsste), so würde auch hier bei einer Übernahme durch ein Familienmitglied bzw. einem sonstigen Dritten ein Haushaltsführungsschaden bestehen, der ersatzfähig ist. Es lässt sich aus den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, was während des verletzungsbedingten Ausfalls der Klägerin mit den Hasen und Fischen erfolgte; sollten sie weggegeben worden sein oder sogar eingegangen sein ? In diesem Fall läge wohl wieder ein Mitverschulden vor, da eine Ersatzmöglichkeit hätte beschafft werden können (evtl. zeitweise Unterbringung in einem Tierheim oder einer Tierhandlung gegen Entgelt, welches vom Schädiger zu ersetzen wäre, wenn nicht Familienmitglieder einspringen können, deren Tätigkeit auch einen ersatzfähigen Schaden darstellen würden, oder eine Umorganisation möglich sein, die einen Ersatzanspruch ausschließen würde). Nach den Leitsätzen der Entscheidung musste die Klägerin die Zucht aufgeben; dies bedinge eine Berücksichtigung im Rahmen des Schmerzensgeldes.

Die Begründung des Senats zur Versagung der Ersatzfähigkeit ist nicht überzeugend und widerspricht vom Ansatz der Ersatzfähigkeit eines Haushaltsführungsschadens, da es nicht darauf ankommt, ob Tiere aus Liebhaberei gehalten werden. Auch ein im Haushalt lebender Hund wird regelmäßig aus Liebhaberei gehalten. Eine Berücksichtigung im Rahmen des Schmerzensgeldes scheidet grundsätzlich aus. Soweit es mithin um die Versorgung derselben ging, läge ein ersatzfähiger Schaden vor, wenn sich die Klägerin verletzungsbedingt um diese nicht kümmern konnte und ein Dritter dies übernehmen muss, auch dann, wenn es ein im Haushalt lebendes Familienmitglied ist, wenn nicht durch Umorganisation  der Haushaltsführung die Klägerin eine andere Tätigkeit übernehmen könnte. Die Berücksichtigung der entfallenden Zucht aus Liebhaberei im Rahmen des Schmerzensgeldes ist nachvollziehbar.

Die Klägerin hatte zudem ein Pferd. Dieses befand sich nach ihren Angaben in einem Pensionsstall in „Vollpension“ (d.h., die Box wurde vom Betreiber des Pferdehofes gereinigt, mit Heu / Einstreu versorgt, wie auch für Wasser und Futter gesorgt und regelmäßig auch für Auslauf). Darauf basierend negierte der Senat einen Ersatzanspruch der Klägerin für einen Haushaltsführungsschaden.

Anmerkung: Dieser Ansicht des Senats ist zu folgen. Der Haushaltsführungsschaden soll vermehrte Bedürfnisse finanziell abdecken. Wenn sich aber die Klägerin um das Pferd nicht kümmern musste, da es in Vollpension stand, gab es keine Verpflichtungen der Klägerin für das Pferd und konnten auch Aufwendungen dafür (sei es auch fiktiv dadurch, dass andere Personen des Reitstalls nun für die Klägerin tätig wurden) entstehen.

Zutreffend wies der Senat darauf hin, dass gegebenenfalls die Aufwendungen der Klägerin für die Unterstellung des Pferdes einen ersatzfähigen Schaden nach § 249 BGB darstellen könnten. Dies wäre dann der Fall, wenn das Pferd z.B. von der Klägerin gehalten wurde, da sie es ritt. Konnte sie verletzungsbedingt das Pferd nicht nutzen, hatte sie Aufwendungen für das Pferd (durch das an den Reitstell zu zahlende Entgelt, welches sie hier als Schadensposition hätte geltend machen können. Dies wurde aber von der Klägerin nicht geltend gemacht; dazu hätte sie die Kosten darlegen und im Bestreitensfall nachweisen müssen.

Das OLG hatte sich im Übrigen zum weiteren Haushaltsführungsschaden der Ansicht des Landgerichts angeschlosssen, dass die Klägerin täglich vier Stunden im Haushalt tätig war und den für die Entschädigung zugrunde liegenden Stundensatz mit dem im fraglichen Zeitraum mit € 8,50 geltenden Mindestlohnsatz angenommen. Gemäß der prozentualen Höhe des Ausfalls der Klägerin bei den Haushaltsarbeiten hatte es den Entschädigungsbetrag dann für die entsprechende Zeitspanne berechnet.

OLG Koblenz, Urteil vom 01.03.2021 - 12 U 1297/20 -

Donnerstag, 11. November 2021

Verdienstausfall als Schadensersatz nach Unfall, Zumutbarkeit der Behandlung und Darlegungs- und Beweislast

Der bereits vorgeschädigte Kläger (GdB 60%) zog sich bei einem von dem Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung am 08.08.2004 alleine verursachten und verschuldeten Verkehrsunfall Frakturen, Prellungen und Quetschungen zu. Zwischen den Parteien ist die volle Einstandsverpflichtung der Beklagten für die materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfall unstreitig.

Nach der unfallbedingten stationären Behandlung war der Kläger über längere Zeit auf einen Rollstuhl und die Hilfe seiner berufstätigen Frau angewiesen. Nach Behauptung des Klägers sei es unfallbedingt  zu Depressionen gekommen und er habe einen Selbstmordversuch gemacht. 2005 habe er seine Tätigkeit bei in der Folgezeit sich entwickelnden psychosomatischen Beschwerden wieder aufgenommen, bis es bedingt durch die Beschwerden zur Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007 gekommen sei. Schließlich bekam er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nach einmaliger Verlängerung zu einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente führte. Mit der Klage machte der Kläger seinen Verdienstausfallschaden geltend.

Das Landgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagte wurde das Urteil abgeändert und die Klage teilwiese abgewiesen. Das Oberlandesgericht stellte darauf ab, dass eine Anspruchskürzung wegen fehlender ärztlicher Behandlung der Depression zu erfolgen habe (zunächst um 50%, später mit 75%). Der Kläger verfolgte mit der zugelassenen Revision sein ursprüngliches Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.

Der BGH bestätigte, dass ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB  führe zu einer Anspruchskürzung führe. Danach müsse es der Geschädigte schuldhaft unterlassen haben, einen Schaden abzuwenden oder zu mindern. Es handele sich dabei um eine Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Eine Obliegenheitsverletzung verlange, dass der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben Maßnahmen unterlassen würde, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in seiner Position zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Danach obliege es dem Geschädigten bei einer seine Arbeitskraft beeinträchtigenden Verletzung als Ausfluss der Schadensminderungspflicht im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft im zumutbaren Ramen so nutzbringend wie möglich zu verwerten (BGH, Urteil vom 26.09.2006 - VI ZR 124/05 -).

Wenn die Arbeitskraft durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder verbessert werden könne, würde es sich um eine vorgeschaltete Obliegenheit zur Schadensminderung darstellen, diese Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 04.11.1986 - VI ZR 12/86 -).  Der Geschädigte dürfe nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der bei gleicher Gesundheitsstörung die Vermögensnachteile selbst zu tragen habe.  

Die zur (jedenfalls teilweisen) Wiedererlangung der Arbeitskraft müssen dem Geschädigten zumutbar sein. Dazu gehöre auch eine Operation, wenn sie einfach und gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sei und die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung biete (BGH, Urteil vom 15.03.1994 - VI ZR 44/93 -). Danach sei für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung Voraussetzung.

Im Hinblick auf einen Verdienstausfallschaden sei eine Zumutbarkeit nur anzunehmen, wenn die Verbesserung der Gesundheit zur Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Arbeitskraft führe. Dass wiederum würde voraussetzen, dass überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit (ggf. nach zumutbaren Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen) vorläge, er also die widergewonnene Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen. Für entsprechende Feststellungen müsse der Tatrichter den mutmaßlichen Erfolg anhand der (damaligen, also zum Zeitpunkt einer Unterlassung) Lage am Arbeitsmarkt beurteilen.

Verstoße der Geschädigte gegen die ihm danach obliegende Schadensminderungspflicht, seien die erzielbare fiktiven Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Kürzung komme nicht in Betracht, da die Höhe des Schadens nicht von einer Quote abhänge, sondern davon, welches Einkommen vom Geschädigten in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände in zumutbarer Weise verdienen könnte.

Vorliegend habe sich das Berufungsgericht nicht mit der vom Kläger bestrittenen Therapiefähigkeit auseinandergesetzt habe. Sollte die Verweigerung oder Verzögerung einer indizierten Therapie eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung sein, scheide eine Obliegenheitspflichtverletzung aus.

Auch habe das Berufungsgericht die konkreten therapeutischen Maßnahmen nicht ermittelt, da neben der Erfolgsaussicht auch beurteilt werden müsse, welche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit hingenommen werden sollen und ob diese zu den Erfolgsaussichten angemessen seien.

Auch müsse der Tatrichter entscheiden , ob eine Obliegenheitspflichtverletzung entfalle, wenn – wie hier vom Kläger behauptet – der Amtsarzt in 2008 den Rentenantrag empfohlen habe, die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin 2012 eine unverändert fehlende Belastbarkeit festgestellt und eine Besserung ausgeschlossen habe und dies von der Ärztin der Rentenversicherung 2012 bestätigt worden sei.

Verfehlt sei zudem, dass das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung aus einem Erfolg der Behandlung der rezidivierenden depressiven Störungen unmittelbar auf Verdienstmöglichkeiten des Klägers in Höhe seines entgangenen Verdienstes geschlossen habe. Es fehle die Prüfung, ob der Kläger überhaupt, ggf. in welchem Umfang die Möglichkeit gehabt hätte, seine verbliebene bzw. neu gewonnene Arbeitskraft am Arbeitsmarkt gewinnbringend einzusetzen. Die fiktiven Einnahmen seien vom Berufungsgericht fehlerhaft nicht ermittelt worden.

Zur Darlegungs- und Beweislast wies der BGH darauf hin, dass diese grundsätzlich der Schädiger trage; er müsse darlegen und beweisen, dass es dem Geschädigten möglich und zumutbar gewesen sei, seine Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft gewinnbringend anzusetzen. Allerdings obliege dem Geschädigten insoweit eine sekundäre Darlegungslast, was bedeutet, dass er darlegen müsse, was er unternommen habe, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden bzw. was dagegen stehen würde.

Da die notwendigen Ermittlungen durch das Berufungsgericht fehlten, konnte der BGH in der Sache nicht selbst entscheiden und hob das Urteil unter Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung auf.

BGH, Urteil vom 21.09.2021 - VI ZR 91/19 -

Sonntag, 17. Oktober 2021

Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren des Gläubigers trotz Klagedrohung ?

Wer bei Fälligkeit einer Forderung und Verzug (sei es durch Mahnung oder zulässige Frist nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht zahlt, wird häufig vor einer Zahlungsklage des Gläubigers eine anwaltliche Mahnung erhalten, deren Kosten der Gläubiger ersetzt haben will. Kann er diese aber in jedem Fall begehren ?

Der BGH musste sich mit der Frage der Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltsgebühren befassen. Dem lag der Erwerb eines Diesel-Fahrzeuges durch den Kläger zugrunde, der durch anwaltliches Schreiben die Beklagte Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zur Erstattung des Kaufpreises aufforderte. Nach fruchtlosen Ablauf der dort gesetzten Frist erhob er Klage, mit der er u.a. die vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 1.171,67 (in Form eines Freistellungsantrages) geltend machte. Während des Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgab, hat das Berufungsgericht – unter Zulassung der Revision – die Klage in Bezug auf die Anwaltsgebühren abgewiesen. Die Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH wies darauf hin, dass es sich bei den geltend gemachten Rechtsanwaltskosten um einen Schadensersatzanspruch handele, der in erster Linie Sache des nach § 287 BBGB besonders frei gestellten Tatrichters sei und von daher nur dahingehend geprüft werden könne, ob dieser Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt habe, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe.

Ob und inwieweit der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Rechtsanwaltskosten erfasse müsse unter Beachtung des Unterschiedes zwischen dem Innenverhältnisses des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten (Geschädigten) und des Außenverhältnisses zwischen Geschädigten zum Schädiger entschieden werden. Voraussetzung sei stets, dass im Innenverhältnis ein Anspruch des Rechtsanwalts gegen seinen Mandanten auf Zahlung der Gebühren bestehe und im Außenverhältnis mit Rücksicht auf seine spezielle Situation die konkrete anwaltliche Tätigkeit erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 403/17 -). Ob eine vorgerichtliche anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts nach Nr. 2300 VV RVG auslöse oder als lediglich vorbereitende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug und daher mit der prozessualen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten sei, gehöre dem Innenverhältnis an und sei von Art und Umfang des erteilten Mandats abhängig. Sei der unbedingte Auftrag zur gerichtlichen Geltendmachung erteilt, würden bereits Vorbereitungsmaßnahmen diese Gebühr auslösen, auch wenn der Rechtsanwalt zunächst nur außergerichtlich tätig würde. In diesem Fall sei kein Raum für die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Nur wen sich der Auftrag an den Rechtsanwalt auf die die außergerichtliche Tätigkeit beschränke oder der Prozessauftrag nur unter der aufschiebenden Bedingung der erfolglosen außergerichtlichen Tätigkeit beziehe, entstehe die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG.

Dies sei vom Landgericht im Rahmen des § 287 ZPO berücksichtigt worden. Es habe ausgeführt, der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, seinen Rechtsanwalt lediglich mit der außergerichtlichen Vertretung beauftragt zu haben oder einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Grundlage war das vorgelegtes außergerichtliches Schreiben des Rechtsanwalts, in dem er darauf hinwies, dass für den Fall, dass nicht innerhalb der Frist gezahlt würde oder kein angemessenes Vergleichsangebot erfolge, Klage erhoben würde. Dies sei ein Indiz gegen die Behauptung, es sei nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Zwar ließe sich aus der nach außen gerichteten Tätigkeit des Rechtsanwalts und der dort vorgenommenen Klageandrohung nicht ohne Weiteres darauf schließen, dass er diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits unbedingt erteilten Klageauftrages ausübte oder ihm im Innenverhältnis tatsächlich zunächst nur eine Vertretungs- und kein (unbedingter) Prozessauftrag erteilt worden sei. Diese Unsicherheit gehe aber zu Lasten des Klägers, der darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen habe, dass er seinen Anwalt einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung erteilt habe.

BGH, Urteil vom 22.06.2021 - VI ZR 353/20 -

Freitag, 8. Oktober 2021

Darlegungslast zum Schaden bei Datenschutzverstoß, Ar. 82 DSGVO

Die Antragstellerin beantragte vergeblich Prozesskostenhilfe für eine Klage auf immateriellen Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld wegen Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen. Wie schon das Landgericht wies auch das OLG das Begehren zurück.

Dabei ging es nicht darum, ob von der Antragstellerin im Rahmen des § 114 ZPO substantiiert ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen durch den Antragsgegner dargelegt wurden. Entscheidend war gewesen, dass die Antragstellerin nach Überzeugung des LG und des OLG keinen Sachverhalt vorgetragen hatte, der den Anspruch begründen könnte. Zu dem in Art. 82 DSGVO normierten Anspruch müsse dargelegt werden, dass der Antragstellerin durch die Rechtsgutverletzung ein Schaden materieller oder immaterieller Art entstanden sei. Es ginge nicht (wie im Beschluss des BVerfG vom 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19 -) um die Feststellung einer Erheblichkeitsschwelle für einen  Anspruch, sondern unabhängig von dieser darum, ob überhaupt ein solcher entstanden sein könnte (haftungsausfüllende Kausalität).

Art. 82 Abs. 1 DSGVO lautet:

„Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.“

Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/21 -

Donnerstag, 30. September 2021

Vorteilsausgleichung: Anrechnung zugesprochener Prozesszinsen auf Schadensersatz wegen Darlehenszinsen

Die Klägerin und deren Ehemann erwarben von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Eigentumswohnung. Zum Kauf schlossen sie einen Darlehensvertrag mit einer Bank über € 141.300,00 mit Zinsfestschreibung bis zum 31.03.2017. Aus hier nicht relevanten Gründen klagten sie (auch aus abgetretenen Recht ihres Ehemanns) auf Zahlung von € 141.300,00 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2012 Zug um Zeug gegen Rückübertragung der Eigentumswohnung an die Beklagte und Feststellung, dass die Beklagte zum Ausgleich weiterer Vermögensschäden aus dem Erwerb der Eigentumswohnung verpflichtet ist. Der Klage wurde am 23.07.2019 stattgegeben. Im Mai 2017 vereinbarten die Klägerin und ihr Mann mit der Bank zur Ablösung des Darlehens eine Zwischenfinanzierung. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zahlte die Beklagte die Klageforderung einschließlich der geltend gemachten Prozesszinsen von € 27.453,07. Im vorliegenden Verfahren verlangte die Klägerin (auch aus abgetretenen Recht ihres Ehemanns) Zahlung der für das Darlehen aufgewandten Zinsen und die für die Zwischenfinanzierung, der das Landgericht in Höhe von € 35.924,72 stattgab. Auf die Berufung bestätigte das OLG unter Abweisung der Klage im Übrigen das Urteil in Höhe von € 34.191,81. Mit der zugelassenen Revision begehrte die Beklagte die Abweisung der Klage in Höhe weiterer € 27.453,07 (Zinsen des Darlehens) nebst anteiligen Zinsen darauf. Der BGH hob das Urteil in Höhe von € 8.509,13 nebst anteiliger Zinsen auf und verwies insoweit den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Nach dem rechtskräftigen landgerichtlichen Urteil des Vorprozesses sei die Beklagte zum Ausgleich des weiteren auf dem Erwerb beruhenden Vermögensschadens verpflichtet. Diese auf das negative Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch umfasse auch die für die Finanzierung des Erwerbs aufgewandten Kreditkosten. Diese seien der Höhe nach ebenso unstreitig wie die von der Klägerin vorgenommenen Abzüge für Mieteinnahmen. Allerdings wolle die Beklagte die in Höhe von € 27.453,07 von ihr gezahlten Prozesszinsen auf die Darlehenszinsen in Anrechnung bringen und insoweit abziehen. Der Ansicht des OLG, dass insoweit eine Anrechnung in Form der Vorteilsausgleichung nicht in Betracht käme, der der BGH nicht folgte.

Die Schadensberechnung sei nach der Differenzhypothese vorzunehmen und es kämen dafür die allgemeinen Grundsätze der Schadenszurechnung und der Vorteilsausgleichung zur Anwendung. Vorteile, die durch das schädigende Ereignis adäquat kausal verursacht worden seinen und deren Anrechnung dem Sinn und Zweck der Schadensersatzverpflichtung entsprächen und weder den Geschädigten unzumutbar belasten und den Schädiger und unbillig begünstigen würden, seien zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 14.09.2004 - VI ZR 97/04 -). Daraus folge, dass dem Gläubiger neben dem Anspruch auf Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB aus einem überlassenen Geldbetrag nicht kumulativ ein Anspruch auf Prozesszinsen für den überlassenen Betrag zustehe. Diese Zinsen hätten die Funktion, einen Nachteil des Gläubigers auszugleichen, den er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Geldbetrages habe. Durch die Herausgabe gezogener Nutzungen sei dieser Nachteil ausgeglichen. Mit der Zubilligung zusätzlicher Prozesszinsen würde der Gläubiger ohne Grund bessergestellt als bei rechtzeitiger Zahlung (BGH, Urteil vom 12.04.2019 - V ZR 341/17 -). Daher könnten Prozesszinsen und Verzugszinsen nicht nebeneinander geltend gemacht werden, da ansonsten der Vorenthaltungsschaden doppelt entschädigt würden. Für denselben Zeitraum könne daher nur der Nutzungsersatz oder der Anspruch auf Prozesszinsen geltend gemacht werden, je nachdem, welcher für den Gläubiger günstiger sei. Vor diesem Hintergrund seien die bis zum 05.05.2017 gezahlten Prozesszinsen auf die der Klägerin erstatten Zinsen für das erste Darlehen anzurechnen.

Auch wenn vorliegend die Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht im Wege des Bereicherungsausgleichs sondern im Wege des Schadensersatzes wegen fehlerhafter Beratung gemäß § 280 Abs. 1 BGB erfolgt sei, würden keine anderen Grundsätze gelten. Es handele sich um einen auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch mit dem der Zustand geschaffen werden soll, der (hypothetisch) der Vermögenslage ohne das schädigende Ereignis entspräche, § 249 Abs. 1 BGB. Würden die Prozesszinsen bei dem Schadensersatz wegen der Darlehenszinsen außer Betracht bleiben, würde der unzutreffende Zustand eintreten, als habe die Klägerin die Erwerbskosten aus eigenen Mitteln finanziert.

Die Vorteilsausgleichung sei durch die Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils aus dem Vorprozess auch nicht ausgeschlossen. Die Rechtskraft erstrecke sich auf die Tatsachen, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorlagen und hätten eingewandt werden können, soweit die das Bestehen des festgestellten Anspruchs betreffen. Dies gelte aber nur, soweit es um die grundsätzliche Verpflichtung des Schuldners zum Ersatz des Schadens geht. Ob und in welcher Höhe ein Schaden eingetreten ist, würde von dem Feststellungsurteil nicht umfasst. Dies sei, wie hier, in dem Folgeprozess zu klären. Hier sei die Höhe des Schadens zu bestimmen; es handele sich um den haftungsausfüllenden Tatbestand der im Vorprozess mit dem Feststellungsurteil festgestellten Haftung dem Grunde nach. Die Zuerkennung von Prozesszinsen im Vorprozess sage daher nichts darüber aus, ob diese auf den weiter geltend gemachten Schaden anzurechnen sind.

Auf Darlehenszinsen seien daher Prozesszinsen anzurechnen, soweit sie den gleichen Zeitraum betreffen. Von daher seien vorliegend nicht alle Prozesszinsen anzurechnen. Eine Kongruenz bestünde für den als Prozesszinsen zugesprochenen Zeitraum vom 21.12.2012 bis zum 04.05.2017, nicht für gezahlte Darlehenszinsen im Zeitraum bis 20.12.2012, da die Prozesszinsen nur ab dem 21.12.2012 zugesprochen worden seien. Gleiches gelte auch für die für den Zeitraum ab dem 05.05.2017 zugesprochenen Prozesszinsen (€ 1.770,93). Bedingt durch die Zwischenfinanzierung seien ab dem 05.05.2017 keine Darlehenszinsen mehr gezahlt worden; die Kosten der Zwischenfinanzierung seien nicht Gegenstand der beschränkt eingelegten Revision.  Das Landgericht habe diesen Betrag bei dem auf die für die Zwischenfinanzierung in Anrechnung gebracht. Sie könnten nicht noch einmal bei den Darlehenszinsen, wie von der Beklagten auf die für das Darlehen gezahlten Zinsen verrechnet werden.

Der Betrag von € 8.509,13 setze sich aus zwei Teilbeträgen zusammen: € 6.738,74 aus der Differenz des vom OLG zugesprochenen Betrages von € 34.191,81 und der nur in Höhe von € 24.453,07 eingelegten Revision. € 1.770,39, in dessen Umfang das OLG die Prozesszinsen bereits mit den Kosten der Zwischenfinanzierung verrechnet habe. Insoweit sei die Revision unbegründet.

In Höhe des verbleibenden Betrages von € 25.682m68 sei das Urteil zur neuen Verhandlung und Entscheidung durch das OLG aufzuheben und zurückzuverweisen. Das OLG habe insoweit keine Feststellung dazu getroffen, ob im Zeitraum 21.12.2012 bis 04.05.2017 Darlehenszinsen in dieser Höhe gezahlt wurden. Eine Anrechnung käme bei der Feststellung in Betracht, dass die Darlehenszinsen hinter dem für den gleichen Zeitraum gezahlten Prozesszinsen zurückblieben, und zwar in Höhe der Differenz.

BGH, Urteil vom 02.07.2021 - V ZR 95/20 -

Mittwoch, 22. September 2021

Voraussetzung für Schadensersatz bei Verstoß gegen Datenschutz nach DSGVO

Die Antragstellerin begehrte für eine Klage auf Schadensersatz wegen Verstoßes des Antragsgegners gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Prozesskostenhilfe. Ihr Antrag wurde vom Landgericht zurückgewiesen, ebenso die dagegen bei dem OLG eingelegte Beschwerde.

Das OLG wies darauf hin, dass nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein Anspruch auf Schadensersatz voraussetze, dass einer natürlichen Person bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden sei. In Art. 82 Abs. 1 DSGVO heißt es:

„Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.“

Zwar habe die Antragstellerin zu einem Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO vorgetragen, nicht aber zu einem darauf beruhenden (hier geltend gemachten) immateriellen Schaden. Es würde hier mithin nicht darum gehen, ob die für einen Schadensersatzanspruch notwendige Erheblichkeitsgrenze erreicht sei (dazu BVerfG, Beschluss vom 14.01.2021 - 1 BvR 2853/19 -), vielmehr habe die Antragstellerin keinerlei Vortrag zu einem kausalen Schaden – trotz Hinweises des Landgerichts in dem den Antrag zurückweisenden Beschluss – gehalten.

Da damit eine Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage nicht festgestellt werden konnte, haben Landgericht und OLG die beantragte Prozesskostenhilfe versagt, § 114 ZPO.

Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/ 21 -

Freitag, 17. September 2021

Verkehrssicherungspflicht bei Treppe zu Badestelle am Wattenmeer

Die Klägerin stürzte auf einer Treppe im Bereich des Zugangs zum Wattenmeer und machte Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegen die Beklagte geltend. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung dagegen zurückgewiesen.

Grundlegend verwies das OLG darauf, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht allen denkbaren Gefahren vorbeugen müsse, sondern nur insoweit, als ein übliches Risiko der Anlagennutzung überschritten würde und dies für einen Nutzer nicht ohne weiteres erkennbar sei.

Treppenstufen würden an Badestellen am Wattenmeer aus Beton errichtet. Wegen ihrer Lage in der Gezeitenzone könnten diese Stufen durch Ablagerungen innerhalb einer Tide (einer Gezeit) rutschig werden. Daher seien an den Treppen idR. auch Handläufe (wie vorliegend). Für die Nutzer der Badestellen sei offenkundig, dass mit den Gefahren eines Meeresstrandes (Sturzgefahren durch Schlick, Schafskot, Treibgut, Meerestiere, Wellen und Strömungen) zu rechnen sei. Eine eigenverantwortliche Begegnung sei möglich, indem die Treppen vorsichtig benutzt würden.

Auch Angriffe gegen das Betonmaterial der Stufen wies das OLG zurück. Es verwies auf ein erstinstanzlich eingeholtes Sachverständigengutachten. Welches darauf verwiesen habe, dass es für derartige Stufen keine öffentlich-rechtliche Normen oder Regelwerke gäbe. Die Allgemeinen Unfallverhütungsvorschriften kämen hier nicht zum Tragen, da diese nur auf Arbeitsräume, Arbeitsbereiche und betriebliche Verkehrswege anwendbar seien. Ein Vergleich mit Nass- und Barfußbereichen in Bädern, Krankenhäusern oder Umkleide-, Wasch- und Duschräumen von Sport oder Arbeitsstätten sei schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Verhältnisse auszuschließen. Nach dem Gutachten läge grundsätzlich bei dem verwandten Material auch eine Unterwasser-Rutschfestigkeit vor.   

Als entscheidend wurde mithin vom OLG angesehen, dass vom Grundsatz das Material der Stufen auch Rutschfest war. Lediglich durch die örtlichen Besonderheiten infolge der Gezeiten käme es zu Rutschgefahren, die aber für den Nutzer erkennbar seien.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom 02.06.2021 - 11 U 31/21 -

Mittwoch, 1. September 2021

Haftungsausschluss trotz Unfallverletzung des Beifahrers bei Rettungsfahrt (§ 680 BGB)

Der Antragssteller (AS) begehrte Prozesskostenhilfe nach einem durch den Antragsgegner (AG) verursachten Verkehrsunfall, bei dem er als Beifahrer verletzt wurde, für eine Klage auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz u.a. gegen den Fahrer (Antragsgegner) sowie den Halter und den Versicherer des Fahrzeugs.  Der AS gab an, er sei von einem Dritten zusammengeschlagen worden und der alkoholisierte AG habe ihn nach 1 Uhr in das Krankenhaus in L. fahren wollen. Wegen überhöhter Geschwindigkeit sei das Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen und er sei, da er nicht angeschnallt gewesen sei, herausgeschleudert worden. Die bestehenden Verletzungen seien dadurch verstärkt worden.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, wogegen sich der AG mit der Beschwere wandte, die vom OLG zurückgewiesen wurde, da auch nach seiner Ansicht die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Dies erfordere, dass das Gericht nach der Sachdarstellung und vorhandenen Unterlagen eine Aussicht auf Erfolg für vertretbar und von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt sei. Häufig genüge die schlüssige Darlegung mit Beweisantritt.  Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, wobei es auf Schwierigkeiten der haftungsausfüllenden Kausalität (die vom Landgericht zur Abweisung des Antrags benannt wurden) auch aus Rechtsgründen nicht ankäme. Denn beide Vorgänge (das Zusammenschlagen durch einen Dritten und der vom AG verursachte Verkehrsunfall) seien geeignet gewesen, die schweren Verletzungen des AS zu begründen. Die mögliche Unaufklärbarkeit der Zuordnung der Schadensverursachung würde in den Anwendungsbereich des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB fallen (lässt sich nicht ermitteln, welcher Beteiligte welchen Schaden verursachte, haften alle Beteiligte für den gesamten Schaden).

Allerdings sei Voraussetzung, dass jeder der gesamtschuldnerisch haftenden Beteiligten jeweils auch für sich den Haftungstatbestand dem Grunde nach erfüllt haben müsste. Ob hier für den AG resp. die Antragsgegner eine Haftung nach §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1 ´, 18 StVG , §§ 823ff BGB (iVm. Mit §§ 115 Abs. 1 1 VVG iVm. 1 PflVG) greift könne aber auf sich beruhen, da jedenfalls das Haftungsprivileg des § 680 BGB vorläge. Es handelt sich um eine Norm aus dem Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff BGB), wobei diese hier zur Gefahrenabwehr (§ 680 BGB) getätigt worden sein müsste. Derjenige, der sich zu spontaner Hilfe entschließt, soll - so das OLG in seiner Beschwerdeentscheidung  - vor eigenen Verlusten bewahren, wobei berücksichtigt würde, dass die wegen der Gefahrensituation geforderte schnelle Entscheidung ein ruhiges und überlegtes abwägen ausschließen könne und es sehr schnell zu einem Sichvergreifen in den Mitteln kommen könne (BGH, Urteil vom 19.01.2021 - VI ZR 188/17 -).

Vorliegend sei der AS schwer verletzt gewesen und der Rettungswagen noch nicht erschienen, weshalb sich der AG entschlossen habe, den AS selbst ins Krankenhaus zu fahren, um so weitere Gesundheitsschäden zu verhindern. Damit habe der AG ein Geschäft des AS ohne dessen Auftrag besorgt, welches im Interesse des AS gelegen habe (§ 677 BGB). Allerdings habe der AG grundsätzlich bei einer BAK von 1,5 Promille schuldhaft und haftungsbegründend gehandelt, da er in diesem Zustand nicht mehr hätte fahren dürfen. Ferner habe er nach Angaben des AS diesen nicht angeschnallt.

Nach § 680 BGB scheide eine Haftung aus, wenn nicht grobe Fahrlässigkeit vorläge. Er müsse also ohne grobe Fahrlässigkeit geglaubt haben, er sei trotz des genossenen Alkohols noch so fahrtüchtig, dass der Verunglückte mit der Fahrt einverstanden sei (wobei hier Übernahme- und Ausführungsverschulden im Zusammenhang mit der Alkoholisierung wegen des engen Zusammenhangs in einem einheitlichen Haftungsmaßstab zu messen seien). Zwar würde bei einer BAK von 1,5 Promille grobe Fahrlässigkeit gemeinhin angenommen, da diese Konzentration regelmäßig zu auch dem Betroffenen erkennbaren Ausfallerscheinungen führe. Doch müssten auch subjektive, in der Individualität des Handelnden liegende Umstände berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 07.04.1970 - VI ZR 217/68 -), da es sich bei der groben Fahrlässigkeit um ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares, ein gewöhnliches Maß übersteigendes Fehlverhalten handele (BGH, Urteil vom 29.01.2003 - IV ZR 173/01 -).

In diesem Zusammenhang stellet das OLG auf die für den AG überraschende Situation der erheblichen Gesundheitsgefährdung des AS, die ihn vor einer auf der Stelle zu treffenden Entscheidung gestellt habe. Es sei ihm keine Zeit für ein (gar ruhiges) Überlegen geblieben. Da es um Leib und Leben des AS gegangen sei, also eine nicht nur nach Dringlichkeit, sondern auch Größe ungewöhnliche Gefahr abzuwenden gewesen sei, der Gesundheitszustand des AS weiter verschlechtert habe und er Rettungswagen nicht eintraf, habe er nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er es in dieser Situation an der notwendigen selbstkritischen Prüfung seiner eigenen Fahrtüchtigkeit habe fehlen lassen (BGH, Urteil vom 30.11.1971 - VI ZR 100/70 -).

Nichts anders würde auch bei dem Unterlassen des Anschnallens gelten. Es sei nicht nur nicht ersichtlich, ob der Zustand des AS ein Anschnallen zugelassen habe; in der konkreten Situation sei das Vergessen nicht so unverständlich, dass sie jedem in der konkreten Situation einleuchten müsste.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.05.2021 - 12 W 16/20 -

Mittwoch, 18. August 2021

COVID 19-Schutzmaßnahmen durch Werkstatt: Anspruch gegen Kunden und/oder Schädiger ?

Die Klägerin machte nach einem Verkehrsunfall gegen die beklagte Haftpflichtversicherung nur noch die von dieser nicht gezahlten, ihr aber von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Kosten für „Schutzmaßnahmen COVID 19“ mit € 67,00 geltend. Die Klage wurde abgewiesen.

Das Amtsgericht (AG) verwies darauf, dass nach § 249 Abs. 1 BGB der Schädiger den geschädigten so zu stellen habe, als hätte das schädigende Ereignis nicht stattgefunden. Damit seien aber nur die notwendigen Reparaturkosten zu erstatten, die für die Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (BGHZ 115, 364, 369). Die Schadensberechnung habe sich aber nicht nur an objektiven Gesichtspunkten zu orientieren, sondern sei auch subjektbezogen. Mithin sei auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auch auf seine individuelle Erkenntnis- und Einflussmöglichkeit und evtl. gerade für ihn bestehende Schwierigkeiten zu nehmen (BGHZ 115, 364, 368).

Dies sei auch bei Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall zu berücksichtigen. Insbesondere wenn der Geschädigte ein Gutachten einhole und darauf basierend einen Auftrag erteile, würde es Sinn und Zweck des § 249 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte deshalb mit Mehraufwendungen belastet bliebe, da die Kosten höher ausfallen, da sich dies der Einflussspähre des Geschädigten. Das Prognose- wie auch Werkstattrisiko gehe zu Lastend es Schädigers. Dem Schädiger entstünde dadurch auch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten analog § 255 BGB gegen die Werkstatt verlangen könne (womit er ähnlich stünde, als hätte er die Reparatur selbst beauftragt).

Anderes würde aber dann geltend, wenn der Geschädigte selbst hinreichende Erkenntnisse habe, dass eine bestimmte Rechnungsposition aus der Reparaturrechnung nicht geschuldet würde, da diese z.B. nach dem Reparaturauftrag (tatsächlich oder rechtlich) nicht geschuldet war, oder da er Anlass gehabt habe, den Reparaturauftrag so zu erteilen, dass nicht notwendige Kosten anfallen. Es würde sich dabei um eine dem Geschädigten originär treffende Sorgfaltspflicht in eigener Angelegenheit handeln, seinen eigenen Reparaturaufwand so gering wie möglich zu halten, was auch dann gilt, wenn – wie hier – ein Dritter für die Kosten aufkommen müsse.

Die berechneten Kosten für Schutzmaßnahmen seien evident erkennbar für die Reparatur nicht erforderlich. Sie würden auch nicht dem Auftraggeber dienen und seien nicht vom Reparaturauftrag erfasst; dienen würden sie allenfalls der Werkstatt in Bezug auf ein Schutzbedürfnis für die eigenen Mitarbeiter. Auch wenn dies behördliche Auflagen gebieten sollten, würde es sich nur um Erschwernisse der vertraglich geschuldeten Leistung handeln, die aber nicht gesondert abrechnungsfähig seien (es handele sich um Gemeinkosten). Soweit Desinfektionsmaßnahmen auch dem Werkstattkunden dienen würden, so würde es sich zulasten des Werkunternehmers um eine vertragliche Nebenpflicht handeln, diesen vor Ansteckungsgefahren zu schützen, was auch die Überwälzung der Kosten dafür ausschließe. Vergleichbar sei dies damit, dass der Werkunternehmer vermeiden müsse, sonstige Schäden bei der Reparatur des Fahrzeugs an diesem zu verursachen.

Dies sei auch dem durchschnittlichen Geschädigten, von dem auszugehen sei, ersichtlich, da in allen Bereichen des täglichen Lebens (z.B. beim Einkaufen) in Lebensmittelgeschäften, bei anderen Handwerkerleistungen pp. Derartige Maßnahmen gerade nicht gesondert abgerechnet würden.

AG Kassel, Urteil vom 26.03.2021 - 435 C 4071/20 -

Samstag, 14. August 2021

AGB: Fehlende Einbeziehung in den Vertrag mangels Lesbarkeit und Folgen für Unfallschaden an Mietwagen

Die Klägerin, eine Autovermietung, hatte mit dem Beklagten in Form einer Haftungsfreizeichnung vereinbart, dass dieser als Mieter für den von der Klägerin geltend gemachten Schaden nicht hafte. Die Regelung in den rückseitig auf dem Vertragsexemplar aufgedruckten Mietbedingungen, in denen für Unfälle pp. dem Mieter bestimmte Obliegenheiten auferlegt wurden, bei deren Verletzung die Haftungsfreistellung nicht greife, und auf deren Verletzung durch den Beklagten sich die Klägerin berief, sind nach Auffassung des Landgerichts (LG), der das Oberlandesgericht (OLG) folgte, nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden.

Das OLG stellte darauf ab, dass die Mietbedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für einen Durchschnittskunden mühelos lesbar sein müssten. Zu den Bedingungen habe das LG festgestellt, dass die in einer etwa 1mm kleinen und dünnen Schrift abgedruckt worden seinen und zudem als Schriftfarbe nur ein heller Grauton gewählt worden sei. Der gesamte Text mit elf Abschnitten und zahlreichen Unterabschnitten sei „förmlich auf eine Seite gepresst“ worden. Der Abstand zum Seitenrand links habe nur 1cm, der Seitenabstand zum unteren Blattrand nicht einmal 0,5cm betragen. Die dem Mieter überlassene Originaldurchschrift des Vertrages sei zudem rosa gewesen und der Zeilenabstand habe nur ca. 1mm betragen, der Abstand zwischen den Buchstaben sei kaum messbar.

Im Hinblick auf Art und Größe des Schriftbildes und der sonstigen drucktechnischen Gestaltung seien die Bedingungen nahezu gar nicht, selbst für Personen mit guter Sehstärke nur mit großer Mühe, zu entziffern. Da die Einbeziehung von AGB erfordere, dass diese vom Vertragspartner in zumutbarer Weise von deren Inhalt Kenntnis nehmen können (BGH, Urteil vom 03.02.1986 – II ZR 201/85 -), seien die Bedingungen nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden.

Durch die Unwirksamkeit sei eine Vertragslücke entstanden, da es damit keine vereinbarten Konsequenzen für den auf der Vorderseite des Vertrages abgedruckte Verpflichtung, bei jedem Unfall sofort die Polizei hinzuzuziehen, gäbe. Diese Vertragslücke könne nicht gem. § 28 Abs. 2, Abs. 3 VVG geschlossen werden. Zwar habe der BGH entscheiden (Urteil vom 24.10.2012 - XII ZR 40/11 -), dass auch bei Fehlen einer vertraglichen Reglung eine Haftungsfreistellung angenommen werden könne, da bei einer unwirksamen Einbeziehung der versicherungsvertraglichen Bedingungen dann ab ihrer Stelle die Reglungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) geltend würden und dies entsprechend für die Haftungsfreistellung bei der gewerblichen Kraftfahrzeugvermietung gelte (BGH, Urteil vom 14.03.2012 - XII ZR 44/10 -).

Vorliegend würde auch die Heranziehung von § 28 Abs. 2 VVG zu keiner Haftungsfreistellung führen. Voraussetzung sei, dass im Vertrag selbst bestimmt würde, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet sei. Hier aber sei die Regelung in den AGB zur Leistungsfreiheit bei Nichteinschaltung der Polizei gerade nicht Vertragsbestandteil geworden. Damit fehle es an der Voraussetzung des § 28 Abs. 2 VVG.

Auch über § 242 BGB würde dieser Mangel nicht aufgefangen. Bezogen auf § 28 VVG würde zwar angenommen, dass ausnahmsweise auch ohne entsprechende Abrede der Anspruch des Versicherungsnehmers ganz oder teilweise verwirkt sein könne, wenn ihm eine grobe Verletzung der Interessen des Versicherers angelastet werden könnte. Dies sei aber auf besondere Ausnahmefälle beschränkt, in denen es für den Versicherer unzumutbar wäre, sich die die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen festhalten zu lassen. Es sei eine Gesamtschau nach dem Maß des Verschuldens, der Motivation des Täuschenden, dem Umfang der Gefährdung der schützenswerten Interessen des Versicherers , der Folgen des Anspruchsverlusts für den Versicherungsnehmer und des Verhaltens des Versicherers vorzunehmen. Selbst bei einer arglistigen Täuschung träte der Anspruchsverlust nicht automatisch ein (BGH, Urteil vom 08.07.1991 - II ZR 65/90 -).

Unstreitig sei, dass der Beklagte fahrlässig einen Unfall verursachte. Er unterließ es auch (trotz Hinweises auf der Vorderseite des Vertrages), die Polizei zu rufen. Mangels Hinweises sei auch diesbezüglich von Fahrlässigkeit auszugehen. Das fehlende Herbeirufen der Polizei würde zwar die schutzwürdigen Interessen der Klägerin auf Feststellung der Unfallumstände beeinträchtigen. Allerdings wäre auch bei Einhaltung der Verpflichtung, die Polizei zu rufen, der Unfall und der Schaden nicht vermieden worden. Soweit die Klägerin argumentierte, der Beklagte könnte nicht der Fahrer gewesen sein (gegen den dann Regressansprüche bestehen könnten), oder er könnte fahruntüchtig gewesen sein, handele es sich um Spekulationen, für die es keine Anhaltspunkte gäbe. Damit sei nach Abwägung läge nach Abwägung der Umstände kein Fall vor, in dem es dem Versicherer bzw. vorliegend Autovermieter schlechthin unzumutbar wäre, sich an die Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festhalten zu lassen, wonach er bei dem Mieter keinen Schadensersatz geltend macht.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 03.03.2021 - 13 U 2366/20 -

Dienstag, 27. Juli 2021

Kaufvertragliches Gewährleistungsrecht und Rückabwicklungsanspruch bei Mängeln durch Nachbesserung

Der Kläger hatte bei einem von ihm bei der Beklagten gekauften Gebrauchtwagen einen Mangel in Form von Ölverlust geltend gemacht. Das Fahrzeug war bei der Beklagten zur Reparatur, bei der auch das Automatikgetriebe ausgebaut und der Vorderachsträger gelöst werden mussten. Nach Durchführung der Arbeiten teilte der Kläger der beklagten mit, dass zwar kein Ölverlust mehr bestünde, machte aber nunmehr Mängel geltend, die bei der Nachbesserung eingetreten sein sollen. Darauf berufend begehrte der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages.

Das Landgericht (LG) wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Mangel Ölverlust beseitigt worden sei und die weiterhin neu benannten Mängel nicht nachgewiesen seien, jedenfalls aber noch nicht fehlgeschlagen seien iSv. § 440 S. 2 BGB (erfolgloser zweiter Nachbesserungsversuch).

Zwar sollte das Oberlandesgericht (OLG) die Berufung gemäß dem Hinweisbeschluss zurückweisen, folgte aber der vom LG benannten Begründung in einem entscheidenden Punkt nicht: Es war nicht der Ansicht, dass die Rückabwicklung für den Fall, dass bei der Nachbesserung des Mangels Ölverlust ein zweiter Nachbesserungsversuch nach § 440 S. 2 BGB ermöglicht werden müsste.

Ein Rücktrittsrecht aus dem Sachmängelgewährleistungsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 323, 440 BGB käme nicht in Betracht, da dies zur Voraussetzung habe, dass ein Mangel iSv. § 434 BGB bei Gefahrübergang vorlag und eine Nacherfüllung, wie sie in § 439 BGB vorgesehen sei, entweder ausgeschlossen sei (§ 275 Abs. 1 BGB), fehlgeschlagen (§ 440 S. 2 BGB) oder verweigert (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB) worden sei.  

Der Ölverlust sei ein Sachmangel, der bei Gefahrübergang vorgelegen habe. Dieser sei unstreitig behoben worden. Ein Rücktrittsrecht könne sich daher darauf nicht beziehen. In den jetzt benannten Mängeln (fehlerhafte Einstellung der Spur pp.) läge auch kein Fehlschlagen der Nacherfüllung. Ein Fehlschlagen der Nacherfüllung sei alleine danach zu beurteilen, ob der dem Nacherfüllungsverlangen zugrunde liegende Mangel behoben worden sei. Die nunmehr geltend gemachten Mängel hätten allerdings auch nicht bei Gefahrübergang vorgelegen und beträfen andere Bauteile des Fahrzeugs.  Diese eventuellen neuen Mängel seien bei Gelegenheit der Nacherfüllung verursacht worden. Damit sei nicht das Äquivalenz- bzw. Erfüllungsinteresse des Klägers (Beseitigung des Mangels), sondern sein Integritätsinteresse (Mangelverursachung an einer zuvor mangelfreien Sache) betroffen. Es könne deshalb nicht die Kaufpreisrückzahlung als Schadensersatz statt der Leistung mit der Rückabwicklungsfolge der §§ 282 Abs. 5, 346 bis 348 BGB verlangt werden. Geltend gemacht werden könne nur Schadensersatz neben der Leistung aus § 280 Abs. 1 BGB; dieser Anspruch sei aber nur auf Beseitigung des neuen Schadens gerichtet, nicht aber auf Rückabwicklung des Kaufvertrages.

Der bei einer Nachbesserung einen neuen Schaden verursachende Verkäufer verletze idR. die aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende Nebenpflicht, auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen und könne ggf. ein Rücktrittsrecht nach § 324 BGB bzw. einen Anspruch aus Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 282 BGB begründen. Eine Analogie nach §§ 282 Abs. 5, 346 bis 348 BGB scheide aus.

Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben des Klägers könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihm ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar sei. Es habe eine Interessensabwägung zu erfolgen. Danach sei eine besonders schwerwiegende Schutzpflichtverletzung des Verkäufers erforderlich. Die benannten, bei der Mängelbeseitigung Ölverlust angeblich verursachten Mängel ließen sich folgenlos beheben und das Fahrzeug sei auch weiterhin nutzbar und sei vom Kläger auch genutzt worden (13.000 km).

OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.04.2021 - 2 U 46/20 -

Freitag, 25. Juni 2021

Schädigung eines Pkw bei versuchter Festnahme eines Dritten durch Polizei als Lebensrisiko des Eigentümers des Pkw

Anlässlich der Festnahme eines Tatverdächtigen durch Polizeibeamte der Beklagten als Dienstherrn kam es zur Schädigung des ordnungsgemäß am Straßenrand geparkten Pkw des Klägers, da sich der Tatverdächtige seiner Festnahme widersetzte. Seine Klage wurde abgewiesen; mit Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO wies das OLG den Kläger darauf hin, dass beabsichtigt sei, seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückzuweisen.

Als unstreitig geht das OLG davon aus, dass der Tatverdächtige die Polizisten bei dem ihrem Versuch, ihn festzunehmen, gegen den Pkw des Klägers stieß und dieser dabei beschädigt wurde. Damit sei vom Grundsatz der Anwendungsbereich des enteignenden Eingriffs eröffnet, der ebenso wie der enteignungsgleiche Eingriff im allgemeinen Aufopferungsgrundsatz der §§ 74, 75 Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (EinlPrALR von 1794) seine Grundlage habe, wenn es an einer ausdrücklichen und vorrangigen spezialgesetzlichen Regelung ermangele. Es handele sich um einen auch heute gewohnheitsrechtlich anerkannten Anspruch, der bei rechtmäßigen beeinträchtigenden Eingriffen der Staatsgewalt, der für den Betroffenen mit einem Sonderopfer verbunden sei, einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat begründe. Da die vorliegend einschlägigen Normen der §§ 19, 39 OBG NRW voraussetzen, dass der Geschädigte Adressat des Eingriffs ist, würden diese hier ausscheiden, da der Kläger nicht herangezogen worden sei, da der Kläger außerhalb der dieser durch die Polizei wahrnehmbaren Zusammenhänge stand. Allerdings lägen nach den Grundsätzen des BGH (Urteil vom 12.03.1992 - III ZR 128/91 -) die Voraussetzungen eines enteignenden Eingriffs nicht vor.

Voraussetzung sei eine rechtmäßige hoheitliche Maßnahme, die bei dem Betroffenen zu (meist atypischen und unvorhersehbaren) Nachteilen führe, die dieser aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen müsse, die aber die Grenze des enteignungsrechtlich Zulässigen überschreiten. Es sei zwar kein zweck- und zielgerichteter Eingriff erforderlich, doch genüge die bloße Adäquanz (Ereignis, welches im Allgemeinen und nicht nur unter besonderen ungewöhnlichen Umständen zu einem Schaden führt) nicht: Zwar würde der BGH nicht fordern, dass es sich um eine gewollte/gezielte Eigentumsbeeinträchtigung handelt; allerdings sei eine unmittelbare und nicht nur mittelbare Auswirkung auf das Eigentum des Betroffenen erforderlich. Daran würde es hier ermangeln. Die adäquate Kausalität läge zwar vor. Anders als z.B. beim Fixieren des Tatverdächtigen auf der Motorhaube eines parkenden Autos mit der Folge einer dadurch bedingten Beschädigung, sei dadurch, dass der Tatverdächtige hier die ihn einholenden Polizisten gegen ein parkendes Auto stießen, schon keine typische Folge einer vorläufigen Festnahme zu sehen. Zudem seien die Polizisten nicht diejenigen gewesen, die den Pkw des Klägers in ihr Verhalten einbezogen hätten, sondern nur notwendige Beteiligte dieser Sachbeschädigung. Zudem würden „auch heute noch“ erkennungsdienstliche Maßnahmen und vorläufige Festnahmen nach § 127 StPO typischerweise ohne Beschädigung des Eigentums Dritter ablaufen. Dadurch sei dem Kläger hier durch hoheitliches Verhalten kein Sonderopfer abverlangt worden. Es habe sich hier sein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Er könne von dem Verursacher der Beschädigung, dem Tatverdächtigen, Schadensersatz verlangen.

OLG Hamm. Hinweisbeschluss vom 02.02.2021 - I-22 U 201/20 -

Freitag, 28. Mai 2021

Berücksichtigung von Nutzungsvorteilen im Rahmen der Vorteilsausgleichung (Dieselskandal)

Die Entscheidung betraf einen der vielen Fälle um den sogen. Dieselskandal. Der Kläger verlangte von dem beklagten Hersteller Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung an seinem VW Caddy Maxi CL 2.0 TDI. Das Landgericht hatte der Klage nur teilweise stattgeben; die Abweisung erfolgte wegen gezogener Nutzungsvorteile. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seinen Anspruch erfolglos weiter.

Grundsätzlich habe, so der BGH, einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 826 BGB iVm § 31 BGB analog auf Erstattung des Kaufpreises und der hier von ihm aufgebrachten Umbaukosten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an den Beklagten Hersteller. Allerdings habe er sich im Wege der Vorteilsanrechnung die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen.  

Die Einwände des Klägers, die Vorteilsanrechnung würde die Präventionswirkung des Deliktrechts verfehlen, das Gebot der unionsrechtskonformen Rechtsanwendung verletzen und die Beklagte unangemessen entlasten sowie die gesetzlichen Wertungen missachten, würden nicht greifen. Der BGH verwies dazu auf seine Urteile vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - und vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19 -. Hier hatte der BGH festgehalten, dass zwar das Deliktsrecht Präventionswirkung habe (BGH, Urteil vom 28.06.2011 - KZR 75/10 -), aber es nicht geboten sei, in Bezug auf die sich als  nützliche Folge der Kompensation der Prävention die Vorteilsausgleichung grundsätzlich auszuschließen, zumal dann der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes rücke.  Die unionsrechtlichen Bestimmungen (hier in Form der Richtlinie 2007/46/EG seien nicht einschlägig, da diese nur fordern würden, dass die EU-Typenbestimmungen eingehalten würden, nichts aber dazu aussagen würden, ob ein Vorteilsausgleich auszugleichen bzw. nicht auszugleichen sei.

Die Berechnung des Vorteils gemäß § 287 ZPO, bei der von einer geschätzten Laufleistung von 300.000km ausgegangen wurde, sei nicht zu beanstanden. Der Vorteil errechne sich aus dem Bruttokaufpreis multipliziert mit den zurückgelegten Kilometern, dividiert durch die erwartete Restlaufleistung zum Zeitpunkt des Erwerbs.

Soweit eingewandt wurde, ein Nutzungsvorteil sei deshalb erheblich herabzusetzen, da die Fahrzeugnutzung rechtlich unzulässig gewesen sei, sei unbeachtlich, da es bei dem Vorteilsausgleich auf die tatsächliche Nutzung und die daraus gezogenen Vorteile, nicht auf eine fiktive Nutzungsmöglichkeit ankäme.

BGH, Urteil vom 02.03.2021 - VI ZR 147/20 -

Mittwoch, 26. Mai 2021

Fenstersturz des an Demenz erkrankten Bewohners und Haftung des Pflegeheimbetreibers

Die Klägerin klagte aus abgetretenen Recht der Ehefrau auf Zahlung von Schmerzensgeldes wegen tödlicher Verletzungen von deren Ehemann (Erblasser) auf Grund eines Sturzes aus einem Fensters des beklagten Alten- und Pflegeheims. Der Erblasser war hochgradig dement, litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-notorischer Unruhe. Er soll örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert gewesen sein. Eine besondere Betreuung war im Hinblick auf Lauftendenzen, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und zeitweiser Sinnestäuschung bejaht worden. Der Erblasser wurde von der Beklagten in einem Zimmer im 3. OG, welches über zwei große Dachfenster verfügte, die nicht gegen unbeaufsichtigtes Öffnen gesichert waren, untergebracht. Aus einem der zwei Fenster stürzte er.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben ohne Erfolg. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG. Dabei verwies der BGH auf seine ständige Rechtsprechung, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Bewohner begründet würden. Inhaltsgleich würde auch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht den Bewohnern gegenüber vor gesundheitlichen Schädigungen bestehen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen würden. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten würde sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB, § 278 S. 1 BGB) als auch korrespondierend deliktische Ansprüche (§ 823 BGB, § 831 BGB) begründen.

Diese Pflichten des Heimbetreibers seien aber begrenzt: sie müssten mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sein. Maßstab sei das Erforderliche und für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare, wobei zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.

Den Spagat zwischen den Anforderungen auf Menschenwürde und Freiheitsrecht auf der einen Seite und Schutz der körperlichen Unversehrtheit nimmt der BGH, indem er auf eine sorgfältige Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls abstellt. Entscheidens sei das Gefahrenpotential durch körperliche und geistige Verfassung des Bewohners, wobei sich die einzuhaltende Sorgfalt und eventuell zu treffende Sicherungsmaßnahmen aus einer ex-ante-Betrachtung ergeben würden, ohne Berücksichtigung nur abstrakt denkbaren Sicherheitsrisiken und mithin orientiert an die konkrete Pflegesituation. Zum Einen will der BGH hier darauf abstellen, ob mit einer Schädigung ohne Sicherungsmaßnahmen zu rechnen sei, zum Anderen aber auch darauf, dass eine nicht wahrscheinliche Gefahr, die aber zu besonders schweren Folgen führen könne, berücksichtigt werden müsse. Diese Risikoprognose sei Voraussetzung zur Abwägung der Entscheidung zu erforderlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte des Heimbewohners und der personellen und finanziellen Möglichkeiten des Pflegeheims.

Zur Beweislage wies der BGH darauf hin, dass ein Sturzgeschehen dem „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“ im Heim zuzuordnen sei. Komme der Bewohner in einer solchen Situation zu Schaden, falle dies in seine Risikosphäre mit der Folge, dass er für eine Pflichtverletzung und deren Kausalität die Darlegungs- und Beweislast trage. Es handele sich um das allgemeine Lebensrisiko in einem vom Bewohner voll beherrschten Gefahrenbereich. Alleine der Sturz aus dem nicht verriegelten Fenster begründe damit keine kausale Pflichtverletzung.

Allerdings komme es zu einer Beweislastumkehr (bei der der Heimbetreiber den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens führen müsse), wenn der Bewohner im Herrschafts- und Organisationsbereich des Heimbetreibers zu Schaden käme und die ihn betreffenden Vertragspflichten (auch) bezwecken würden, den Bewohner vor einem solchen Schaden zu bewahren. Der Heimbetreiber müsse bei Risiken aus dem Betrieb, die von ihm voll beherrschbar seien, darlegen und beweisen, dass der Schaden nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten beruht. Dies sei der Fall, wenn der Patient in einem Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme einer ihm betreuenden Krankenschwester stürze, s. auch § 630h BGB. Es gelte auch gelte auch bei Pflegeheimen, wenn bei einer konkreten Gefahrensituation die spezielle Obhutspflicht einer dafür eingesetzten Pflegekraft obliege und sich der Schaden in diesem Zusammenhang verwirkliche (so z.B. Sturz des Heimbewohners bei begleiteten Gang zur Toilette der Sturz beim Wechsel der Bettwäsche durch einen Pfleger).

Im konkreten Fall nahm der BGH keine Beweislastumkehr an. Zwar habe sich die Gefahrensituation im Sturz des Erblassers aus dem Fenster durch die fehlende Fenstersicherung verwirklicht. Allerdings habe dies außerhalb des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs des Heimträgers stattgefunden. Der Erblasser sei zu diesem Zeitpunkt nicht der Obhut einer Pflegekraft im Rahmen einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme anvertraut gewesen: er habe sich überwiegend alleine in seinem Zimmer aufgehalten und habe nicht dauerhaft betreut und begleitet werden müssen.

Die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG erfolgte, da der BGH die tatrichterliche Würdigung, die Beklagte hätte keine Vorkehrungen gegen ein Heraussteigen des Erblassers aus einem Fenster seines Zimmers treffen müssen, für unvollständig und rechtsfehlerhaft hielt. Die dazu notwendige Abwägung sei unvollständig gewesen.  Hier hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage einer sorgfältigen ex-ante-Risikoprognose, die das gesamte Krankheitsbild des Erblassers in den Blick nehme, entscheiden müssen, ggfls. sachverständig beraten. Es habe aber nur einzelne dokumentierte Demenzerscheinungen isoliert und kursorisch betrachtet, ohne dabei eine eigene besondere Sachkunde aufzuweisen.

BGH, Urteil vom 14.01.2021 - III ZR 168/19 -