Mittwoch, 18. August 2021

COVID 19-Schutzmaßnahmen durch Werkstatt: Anspruch gegen Kunden und/oder Schädiger ?

Die Klägerin machte nach einem Verkehrsunfall gegen die beklagte Haftpflichtversicherung nur noch die von dieser nicht gezahlten, ihr aber von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Kosten für „Schutzmaßnahmen COVID 19“ mit € 67,00 geltend. Die Klage wurde abgewiesen.

Das Amtsgericht (AG) verwies darauf, dass nach § 249 Abs. 1 BGB der Schädiger den geschädigten so zu stellen habe, als hätte das schädigende Ereignis nicht stattgefunden. Damit seien aber nur die notwendigen Reparaturkosten zu erstatten, die für die Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (BGHZ 115, 364, 369). Die Schadensberechnung habe sich aber nicht nur an objektiven Gesichtspunkten zu orientieren, sondern sei auch subjektbezogen. Mithin sei auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auch auf seine individuelle Erkenntnis- und Einflussmöglichkeit und evtl. gerade für ihn bestehende Schwierigkeiten zu nehmen (BGHZ 115, 364, 368).

Dies sei auch bei Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall zu berücksichtigen. Insbesondere wenn der Geschädigte ein Gutachten einhole und darauf basierend einen Auftrag erteile, würde es Sinn und Zweck des § 249 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte deshalb mit Mehraufwendungen belastet bliebe, da die Kosten höher ausfallen, da sich dies der Einflussspähre des Geschädigten. Das Prognose- wie auch Werkstattrisiko gehe zu Lastend es Schädigers. Dem Schädiger entstünde dadurch auch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten analog § 255 BGB gegen die Werkstatt verlangen könne (womit er ähnlich stünde, als hätte er die Reparatur selbst beauftragt).

Anderes würde aber dann geltend, wenn der Geschädigte selbst hinreichende Erkenntnisse habe, dass eine bestimmte Rechnungsposition aus der Reparaturrechnung nicht geschuldet würde, da diese z.B. nach dem Reparaturauftrag (tatsächlich oder rechtlich) nicht geschuldet war, oder da er Anlass gehabt habe, den Reparaturauftrag so zu erteilen, dass nicht notwendige Kosten anfallen. Es würde sich dabei um eine dem Geschädigten originär treffende Sorgfaltspflicht in eigener Angelegenheit handeln, seinen eigenen Reparaturaufwand so gering wie möglich zu halten, was auch dann gilt, wenn – wie hier – ein Dritter für die Kosten aufkommen müsse.

Die berechneten Kosten für Schutzmaßnahmen seien evident erkennbar für die Reparatur nicht erforderlich. Sie würden auch nicht dem Auftraggeber dienen und seien nicht vom Reparaturauftrag erfasst; dienen würden sie allenfalls der Werkstatt in Bezug auf ein Schutzbedürfnis für die eigenen Mitarbeiter. Auch wenn dies behördliche Auflagen gebieten sollten, würde es sich nur um Erschwernisse der vertraglich geschuldeten Leistung handeln, die aber nicht gesondert abrechnungsfähig seien (es handele sich um Gemeinkosten). Soweit Desinfektionsmaßnahmen auch dem Werkstattkunden dienen würden, so würde es sich zulasten des Werkunternehmers um eine vertragliche Nebenpflicht handeln, diesen vor Ansteckungsgefahren zu schützen, was auch die Überwälzung der Kosten dafür ausschließe. Vergleichbar sei dies damit, dass der Werkunternehmer vermeiden müsse, sonstige Schäden bei der Reparatur des Fahrzeugs an diesem zu verursachen.

Dies sei auch dem durchschnittlichen Geschädigten, von dem auszugehen sei, ersichtlich, da in allen Bereichen des täglichen Lebens (z.B. beim Einkaufen) in Lebensmittelgeschäften, bei anderen Handwerkerleistungen pp. Derartige Maßnahmen gerade nicht gesondert abgerechnet würden.

AG Kassel, Urteil vom 26.03.2021 - 435 C 4071/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung wird abgesehen gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Entscheidungsgründe

Die Klage führt nicht zum Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die beklagte Haftpflichtversicherung keine weiteren Ansprüche mehr aus dem Verkehrsunfallereignis vom 05.08.2020 auf der Autobahn A8 zwischen A und B, da diese bereits vorgerichtlich hinsichtlich der erstattungsfähigen Beträge vollständig reguliert sind. Insbesondere fehlt es an der Erstattungsfähigkeit der von der Reparaturwerkstatt C in D abgerechneten Kosten für „Schutzmaßnahmen COVID 19“ i.H.v. 67,00 € netto.

Hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Reparaturkosten usw. gilt nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts grundsätzlich folgendes:

Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Schädiger verpflichtet, den Geschädigten so zu stellen, als hätte das schädigende Ereignis nicht stattgefunden. Im Falle der Sachbeschädigung bedeute dies, dass die notwendigen Reparaturkosten zu erstatten sind, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (vgl. BGHZ 115, 364, 369; 160, 377; 162, 161. 165). Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann (BGH, Urteil vom 9. März 2010 - VI ZR 6/09, VersR 2010, 1053 f.). Die Schadensbetrachtung hat sich nicht nur an objektiven Kriterien zu orientieren, sondern ist auch subjektbezogen (BGHZ 54, 82, 85; BGH NJW 1992, 302, 303; BGH NJW 1992, 1618, 1619). Dabei ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (vgl. BGHZ 115, 364, 3681; 132, 373, 3761; 155, 1,41; 162, 161,164 f.; 163. 362, 365).

Hinsicht der Schadensbeseitigung nach einem Verkehrsunfallereignis bedeutet dies, dass unter Berücksichtigung der Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten der Pflicht zur Schadensminderung im Sinne des § 254 BGB hinsichtlich der Höhe einer Reparaturkostenrechnung regelmäßig Grenzen gesetzt sind. Dies gilt vor allem dann, wenn - wie hier die Klägerin – der Geschädigte insbesondere nach Einholung eines Schadensgutachtens den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei der Wiederherstellung des vorherigen Zustandes im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (BGHZ 63. 182, 185, OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995. BeckRS 1995. 01930). Das Werkstattrisiko (wie auch das Prognoserisiko) geht insofern zulasten des Schädigers (BGHZ 63, 182, 185; BGH NJW 1992, 302, 303). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2004, NJW-RR 2005, 248, 249). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Denn hätte der Schädiger selbst die Schadensbeseitigung übernommen, hätte er sich in gleichem Maße mit einem entsprechenden Verhalten des Reparaturbetriebes auseinandersetzen müssen. Folglich ist kein anerkennenswerter Grund ersichtlich, der es ermöglichen kann, diese Auseinandersetzung, die der Schädiger aufgrund seiner Verantwortung für das Schadensereignis zu führen hat, auf den insoweit verursachungsbeitragslosen Geschädigten abzuwälzen.

Dadurch entsteht dem Schädiger auch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gemäß § 255 BGB in analoger Anwendung gegen die Werkstatt verlangen kann, um der Gefahr zu begegnen, dass im Zuge der Schadensregulierung eine den Wertungen des Schadensrechts fremde ungerechtfertigte Bereicherung durch den Schadensausgleich entsteht (BGHZ 63, 182, 187; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2008 – 1 U 246/07 m.w.N., zit. n. juris; LG Saarbrücken, Urteil vom 19.10.2012 – 13 S 38/12, zit. n. juris). Insofern hat er die gleiche Rechtstellung, als wenn er die Reparatur gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst in Auftrag gegeben hätte (LG Hamburg Urt. v. 4.6.2013 – 302 O 92/11, BeckRS 2014, 01082, beck-online).

Etwas anderes kann sich allenfalls dann ergeben, wenn der Geschädigte aus anderen Gründen hinreichende Erkenntnisse hat, dass Positionen auf der ihm gestellten Reparaturrechnung von ihm nicht geschuldet sind, etwa weil diese nach dem erteilten Reparaturauftrag von vornherein nicht geschuldet sind, unabhängig ob aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, oder weil er anderweitig hinreichend Anlass dafür hatte, den Reparaturauftrag so zu erteilen, dass nicht notwendige Kosten im Zusammenhang mit der Durchführung der Reparatur erst gar nicht anfallen. Denn dies führt in einer Situation, in denen der Geschädigte den Reparaturaufwand nicht ganz oder teilweise an einen Dritten etwa im Wege der Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen weiterreichen kann, zu einer den Geschädigten originär treffende Sorgfaltspflicht in eigener Angelegenheit, seinen eigenen Aufwand so gering wie möglich und rechtlich zulässig zu halten (zum Ganzen AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/18 = NJW-RR 2018, 730).

So verhält es sich hier in Ansehung der von der Reparaturfirma abgerechneten Kosten für die Schutzmaßnahmen. Denn diese Schutzmaßnahmen sind - evident erkennbar – nicht erforderlich für die Reparatur eines Unfallschadens. Sie dienen auch nicht dem Auftraggeber und sind vom Reparaturauftrag auch nicht erfasst. Sie haben mit der Unfallreparatur schlicht nichts zu tun, sondern dienen allenfalls einem Schutzbedürfnis der Reparaturwerkstatt in Bezug auf deren Mitarbeiter. Selbst wenn behördliche Auflagen solches gebieten sollten, handelt es sich hierbei allenfalls um Erschwernisse hinsichtlich der vertraglich geschuldeten Leistungserbringung, die aber nicht gesondert abrechnungsfähig sind, sondern im allgemeinen Aufwand letztlich untergehen. Soweit Desinfektionsmaßnahmen gegebenenfalls dem Werkstattkunden dienen, so liegt dies daran, dass zulasten des Werkunternehmers eine vertragliche Nebenpflicht gilt, diesen vor Ansteckungsgefahren zu schützen, die seitens des beauftragten Unternehmens entstanden sind, etwa wenn dort Mitarbeiter entsprechend erkrankt sind. Auch insoweit ist eine Überwälzung von Kosten nicht möglich, weil es sich um von vornherein als allgemeinen Aufwand geschuldete Maßnahmen handelt. Eine solche Maßnahme ist vergleichbar mit der Pflicht des Reparaturunternehmens, im Zuge der Reparatur sonstige Schäden am zu reparierenden Kfz zu vermeiden. Auch der hierfür erforderliche Aufwand ist regelmäßig nicht gesondert abzurechnen oder in sonstige erforderliche Leistungspositionen eingeschlossen, ohne dass derartige Maßnahmen gesondert in Erscheinung träten. Mithin sind solche Kosten bereits nicht abrechnungsfähig, damit erst recht nicht erstattungsfähig.

Dies vermag der durchschnittliche Geschädigte auch ohne weiteres zu erkennen, weil in allen anderen Bereichen des täglichen Lebens, etwa beim Einkauf in Lebensmittelgeschäften oder anderen Geschäften oder im Rahmen anderer Handwerkerdienstleistungen, derartige Maßnahmen gerade nicht abgerechnet werden.

Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 24.02.2021 auf Hinweisbeschlüsse anderer Gerichte Bezug genommen hat, so vermag sich das erkennende Gericht dem ausdrücklich nicht anzuschließen.

Ohne dass es darauf noch ankäme, ergibt sich aus dem Vorstehenden auch, dass derartige Kosten weder ortsüblich noch angemessen sind. Schließlich begegnet auch die Höhe dieser Position durchschlagenden Bedenken. Der erforderliche Aufwand für Desinfektionsmaßnahmen in einem Kfz, etwa durch Besprühen und Abwischen von Lenkrad, Schalthebel und Türgriff, erfordert lediglich einen nicht messbaren Materialaufwand sowie einen kaum messbaren Zeitaufwand, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung so kurz ist, dass er eine Minute kaum übersteigen kann. Die Abrechnung eines Netto-Betrages i.H.v. 67,00 € ist schlechterdings nicht nachzuvollziehen.

Fehlt es solchermaßen an einem Hauptanspruch, kann die Klägerin auch keine Verzugszinsen geltend machen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 67,00 € festgesetzt.


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