Der bereits vorgeschädigte Kläger (GdB 60%) zog sich bei einem von dem Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung am 08.08.2004 alleine verursachten und verschuldeten Verkehrsunfall Frakturen, Prellungen und Quetschungen zu. Zwischen den Parteien ist die volle Einstandsverpflichtung der Beklagten für die materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfall unstreitig.
Nach der unfallbedingten stationären Behandlung war der Kläger über längere Zeit auf einen Rollstuhl und die Hilfe seiner berufstätigen Frau angewiesen. Nach Behauptung des Klägers sei es unfallbedingt zu Depressionen gekommen und er habe einen Selbstmordversuch gemacht. 2005 habe er seine Tätigkeit bei in der Folgezeit sich entwickelnden psychosomatischen Beschwerden wieder aufgenommen, bis es bedingt durch die Beschwerden zur Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007 gekommen sei. Schließlich bekam er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nach einmaliger Verlängerung zu einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente führte. Mit der Klage machte der Kläger seinen Verdienstausfallschaden geltend.
Das Landgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagte wurde das Urteil abgeändert und die Klage teilwiese abgewiesen. Das Oberlandesgericht stellte darauf ab, dass eine Anspruchskürzung wegen fehlender ärztlicher Behandlung der Depression zu erfolgen habe (zunächst um 50%, später mit 75%). Der Kläger verfolgte mit der zugelassenen Revision sein ursprüngliches Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.
Der BGH bestätigte, dass ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB führe zu einer Anspruchskürzung führe. Danach müsse es der Geschädigte schuldhaft unterlassen haben, einen Schaden abzuwenden oder zu mindern. Es handele sich dabei um eine Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Eine Obliegenheitsverletzung verlange, dass der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben Maßnahmen unterlassen würde, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in seiner Position zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Danach obliege es dem Geschädigten bei einer seine Arbeitskraft beeinträchtigenden Verletzung als Ausfluss der Schadensminderungspflicht im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft im zumutbaren Ramen so nutzbringend wie möglich zu verwerten (BGH, Urteil vom 26.09.2006 - VI ZR 124/05 -).
Wenn die Arbeitskraft durch
zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder verbessert werden könne, würde es
sich um eine vorgeschaltete Obliegenheit zur Schadensminderung darstellen, diese
Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 04.11.1986 - VI ZR 12/86 -). Der Geschädigte dürfe nicht anders handeln,
als ein verständiger Mensch, der bei gleicher Gesundheitsstörung die
Vermögensnachteile selbst zu tragen habe.
Die zur (jedenfalls teilweisen) Wiedererlangung der Arbeitskraft müssen dem Geschädigten zumutbar sein. Dazu gehöre auch eine Operation, wenn sie einfach und gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sei und die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung biete (BGH, Urteil vom 15.03.1994 - VI ZR 44/93 -). Danach sei für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung Voraussetzung.
Im Hinblick auf einen Verdienstausfallschaden sei eine Zumutbarkeit nur anzunehmen, wenn die Verbesserung der Gesundheit zur Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Arbeitskraft führe. Dass wiederum würde voraussetzen, dass überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit (ggf. nach zumutbaren Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen) vorläge, er also die widergewonnene Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen. Für entsprechende Feststellungen müsse der Tatrichter den mutmaßlichen Erfolg anhand der (damaligen, also zum Zeitpunkt einer Unterlassung) Lage am Arbeitsmarkt beurteilen.
Verstoße der Geschädigte gegen die ihm danach obliegende Schadensminderungspflicht, seien die erzielbare fiktiven Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Kürzung komme nicht in Betracht, da die Höhe des Schadens nicht von einer Quote abhänge, sondern davon, welches Einkommen vom Geschädigten in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände in zumutbarer Weise verdienen könnte.
Vorliegend habe sich das Berufungsgericht nicht mit der vom Kläger bestrittenen Therapiefähigkeit auseinandergesetzt habe. Sollte die Verweigerung oder Verzögerung einer indizierten Therapie eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung sein, scheide eine Obliegenheitspflichtverletzung aus.
Auch habe das Berufungsgericht die konkreten therapeutischen Maßnahmen nicht ermittelt, da neben der Erfolgsaussicht auch beurteilt werden müsse, welche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit hingenommen werden sollen und ob diese zu den Erfolgsaussichten angemessen seien.
Auch müsse der Tatrichter entscheiden , ob eine Obliegenheitspflichtverletzung entfalle, wenn – wie hier vom Kläger behauptet – der Amtsarzt in 2008 den Rentenantrag empfohlen habe, die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin 2012 eine unverändert fehlende Belastbarkeit festgestellt und eine Besserung ausgeschlossen habe und dies von der Ärztin der Rentenversicherung 2012 bestätigt worden sei.
Verfehlt sei zudem, dass das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung aus einem Erfolg der Behandlung der rezidivierenden depressiven Störungen unmittelbar auf Verdienstmöglichkeiten des Klägers in Höhe seines entgangenen Verdienstes geschlossen habe. Es fehle die Prüfung, ob der Kläger überhaupt, ggf. in welchem Umfang die Möglichkeit gehabt hätte, seine verbliebene bzw. neu gewonnene Arbeitskraft am Arbeitsmarkt gewinnbringend einzusetzen. Die fiktiven Einnahmen seien vom Berufungsgericht fehlerhaft nicht ermittelt worden.
Zur Darlegungs- und Beweislast wies der BGH darauf hin, dass diese grundsätzlich der Schädiger trage; er müsse darlegen und beweisen, dass es dem Geschädigten möglich und zumutbar gewesen sei, seine Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft gewinnbringend anzusetzen. Allerdings obliege dem Geschädigten insoweit eine sekundäre Darlegungslast, was bedeutet, dass er darlegen müsse, was er unternommen habe, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden bzw. was dagegen stehen würde.
Da die notwendigen Ermittlungen durch das Berufungsgericht fehlten, konnte der BGH in der Sache nicht selbst entscheiden und hob das Urteil unter Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung auf.
BGH, Urteil vom 21.09.2021 -
VI ZR 91/19 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die
Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 21. Februar 2019 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich des Verdienstausfallschadens auf die
Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers
zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird
zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts
wegen
Tatbestand
Der Kläger
nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall - soweit
für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - auf Ersatz des
Verdienstausfallschadens in Anspruch.
Der 1969
geborene Kläger wurde am 8. August 2004 als Motorradfahrer bei einem
Verkehrsunfall durch einen bei der Beklagten versicherten Pkw erheblich verletzt.
Er erlitt eine mehrfache Oberschenkelfraktur, zudem diverse Prellungen und
Quetschungen am gesamten rechten Bein. Die volle Einstandspflicht der Beklagten
dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit. Sie hat ihre
Eintrittspflicht für alle unfallbedingten materiellen und immateriellen
Ansprüche des Klägers anerkannt. Der Kläger leidet seit seiner Geburt an einer
genetisch bedingten Muskeldystrophie, dadurch bedingt auch an einer Adipositas,
zudem ist er an Diabetes Mellitus (Typ 2) erkrankt. Der dadurch gegebene Grad
der Behinderung betrug vor dem Unfall 60 %. Nach dem Unfall wurde der Kläger am
Bein operiert, die stationäre Behandlung dauerte bis Ende August 2004. Nach der
Krankenhausentlassung war der Kläger längere Zeit auf einen Rollstuhl und auf
die Pflege durch seine berufstätige Ehefrau angewiesen. Nach seiner
Krankenhausentlassung kam es im Herbst 2004 zu gesundheitlichen Komplikationen
sowie zu depressiven Störungen, nach seinen Angaben unternahm der Kläger auch
einen Suizidversuch.
Nach einem
Hauptschulabschluss hatte der Kläger eine Lehre als Bürokaufmann absolviert.
Vor seinem Übertritt in den Landesdienst war er von 1998 bis 2002 im IT-Bereich
eines Unternehmens tätig. Seit März 2003 war der Kläger als
Teilzeitbeschäftigter beim Land Schleswig-Holstein angestellt, seit dem 4. März
2004 bezog er Einkünfte nach BAT Vergütungsgruppe VII. Nach dem Unfall nahm er
im Juni 2005 seine Tätigkeit als vollzeitbeschäftigter
Verwaltungsfachangestellter wieder auf. In der Folgezeit entwickelten sich
psychosomatische Beschwerden, die zu seiner Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007
führten. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 wurde dem Kläger auf seinen Antrag
hin rückwirkend zum 1. Oktober 2007 eine bis zum 31. Dezember 2009 befristete
Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Nach einer Verlängerung bis zum
Ende des Jahres 2012 wurde ihm auf seinen Antrag vom 13. Juni 2012 bis zum
Erreichen der Regelaltersgrenze am 23. November 2036 eine unbefristete Rente
wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Mit Ablauf des 31. Dezember 2012 wurde
er aus dem Landesdienst entlassen.
Der Kläger
macht geltend, seine durch die depressiven Störungen bedingte
Erwerbsunfähigkeit sei Folge des Unfalls. Er begehrt Ersatz seines
Verdienstausfalls für den Zeitraum von Februar 2007 bis einschließlich Oktober
2016 in Höhe von ca. 130.000 €, darüber hinaus die Feststellung, dass die
Beklagte verpflichtet sei, ihm seinen monatlichen Verdienstausfall in Höhe von
derzeit 1.447,75 € zunächst unbefristet bis zum 23. November 2036 zu erstatten.
Das Landgericht
hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat
das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von knapp 108.000 € nebst Zinsen
stattgegeben und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger
ab November 2016 bis zum 23. November 2036 25 % seines Verdienstausfallschadens
zu ersetzen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufungen
zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
sein Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das
Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen
ausgeführt:
Hinsichtlich
des bezifferten Verdienstausfallschadens sei von den Berechnungen des Klägers
auszugehen, die eine Summe von 131.568,81 € ergäben. Allerdings müsse sich der
Kläger jedenfalls ab Oktober 2014 eine Anspruchskürzung um 50 % und ab Oktober
2015 eine solche um 75 % wegen fehlender ärztlicher Behandlung seiner
depressiven Störungen gefallen lassen, denn insoweit liege ein Mitverschulden
des Klägers vor, nämlich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des
§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB. Aufgrund der vorgerichtlichen und
gerichtlichen psychiatrischen Sachverständigengutachten stehe fest, dass der
Unfall Auslöser der depressiven Störungen des Klägers gewesen sei, die Diagnose
laute "rezidivierende depressive Störungen nach ICD-10, Ziff. F
33.1". Trotz ambulanter psychotherapeutischer Behandlung in den Jahren
2007 bis 2012 sowie eines psychotherapeutischen stationären Krankenhausaufenthaltes
im Jahre 2008 sei es zur Verrentung des Klägers wegen Erwerbsunfähigkeit
gekommen. Dass dies Folge einer Begehrensneurose gewesen sei, habe die Beklagte
nicht beweisen können. Sie habe auch nicht beweisen können, dass der Kläger allein
schon aufgrund der angeborenen Muskeldystrophie weit vor Erreichen der
regulären Altersgrenze erwerbsunfähig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden wäre.
Der Kläger müsse aber eine Anspruchskürzung hinnehmen, da er ab dem 1. Januar
2013 keine Versuche unternommen habe, die maßgeblichen depressiven Störungen
adäquat behandeln zu lassen. Aus den Gutachten lasse sich entnehmen, dass die
depressive Symptomatik des Klägers behandlungsbedürftig, aber auch behandelbar
sei. Jedenfalls seit Januar 2013 sei keinerlei psychiatrische/psychotherapeutische
Behandlung des Klägers mehr erfolgt, obgleich ein verständiger Mensch in seiner
Situation versucht hätte, die - mittlerweile chronifizierte - rezidivierende
depressive Störung nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft behandeln zu
lassen. Diese Unterlassung einer psychiatrischen und psychotherapeutischen
Behandlung stelle einen wesentlichen unabhängigen Faktor für die andauernde
Chronifizierung der Depressionen dar. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen müsse die depressive Erkrankung aber nicht langfristig und
dauerhaft ein unveränderliches Leistungs- und Funktionsniveau zur Folge haben,
es sei vielmehr denkbar und noch möglich, dass zukünftig auch eine positive
Veränderung des Leistungsniveaus erzielt werde und der Kläger leichte bis
mittelschwere Jobs ohne drückende psychische Faktoren ausüben könne. Dies setze
allerdings eine entsprechende Behandlung voraus, zu der sowohl psychiatrische
und psychotherapeutische ambulante und stationäre Maßnahmen als auch rehabilitative
Behandlungen gehörten. Es sei damit im Sinne von § 287 ZPO überwiegend
wahrscheinlich, dass der Kläger trotz der Chronifizierung seiner depressiven
Störungen und trotz seiner Vorerkrankungen bei entsprechender Behandlung
spätestens ab Oktober 2014 zu 50 % und sodann ab Oktober 2015 und fortdauernd
zu 75 % arbeitsfähig gewesen wäre. Nach Ausführungen des Sachverständigen sei
nämlich bei entsprechender Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine
Arbeitsfähigkeit des Klägers bis zu vier bzw. sechs Stunden täglich bei
sitzender Tätigkeit ohne drückende psychische Faktoren wiederherzustellen.
II.
Das Urteil hält
revisionsrechtlicher Nachprüfung bezogen auf die Kürzung des
Verdienstausfallschadens nicht stand. Die Revision beanstandet zu Recht, dass
das Berufungsgericht die Ersatzansprüche des Klägers wegen Verletzung der
Schadensminderungspflicht um 50 bzw. 75 % herabgesetzt hat.
1. Im
Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass eine
Anspruchskürzung bei einem Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des
§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in Betracht kommt, es verkennt jedoch
die Grundsätze zur Berücksichtigung erzielbarer, aber unterlassener Einkünfte.
a) Die
Vorschrift des § 254 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz BGB setzt
voraus, dass es der Geschädigte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden
abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare
Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern
ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen
Interesse bestehenden Obliegenheit. Von der Verletzung einer Obliegenheit kann
nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und
Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger
Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung
ergreifen würde. Entscheidender Abgrenzungsmaßstab ist also der Grundsatz von
Treu und Glauben. In anderen Vorschriften zum Ausdruck kommende
Grundentscheidungen des Gesetzgebers dürfen dabei nicht unterlaufen werden
(vgl. Senatsurteile vom 17. November 2020 - VI ZR 569/19, NJW 2021, 694 Rn. 7;
vom 18. Februar 2020 - VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795 Rn. 16).
b) Im
Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung obliegt
es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als Ausfluss der
Schadensminderungspflicht dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine
verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie
möglich zu verwerten (vgl. nur Senatsurteile vom 5. Dezember 1995 - VI ZR
398/94, NJW 1996, 652, 653, juris Rn. 10; vom 22. April 1997 - VI ZR 198/96,
NJW 1997, 3381, 3382, juris Rn. 15; vom 26. September 2006 - VI ZR 124/05, NJW
2007, 64 Rn. 9).
c) Dem
kann eine weitere Obliegenheit zur Schadensminderung vorgeschaltet sein, wenn
die (verbliebene) Arbeitskraft, die durch das schädigende Ereignis herabgesetzt
worden ist, durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder jedenfalls
verbessert werden kann (vgl. Senatsurteil vom 4. November 1986 - VI ZR 12/86,
VersR 1987, 408, 409, juris Rn. 14). Insoweit muss vom Geschädigten
(Verletzten) verlangt werden, dass er, soweit er dazu im Stande ist, zur
Heilung oder Besserung seiner Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen
Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht
anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst
zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde. Der Vorwurf einer
Obliegenheitsverletzung setzt aber voraus, dass dem Geschädigten die Therapie
oder sonstige ärztliche Behandlung zumutbar ist oder gewesen wäre (vgl.
Senatsurteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 15 mwN). So
muss sich nach der ständigen Rechtsprechung beispielsweise ein Verletzter einer
Operation unterziehen, wenn sie zumutbar ist. Das ist nur der Fall, wenn sie
einfach und gefahrlos, nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und sich
weiter die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet (st.
Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 13. Mai 1953 - VI ZR 78/52, BGHZ 10, 18, 19,
juris Rn. 2; vom 15. März 1994 - VI ZR 44/93, NJW 1994, 1592, 1593, juris Rn.
11 mwN). Grundsätzlich richtet sich das Maß der Schadensminderungspflicht, also
Art und Umfang der vom Geschädigten auf sich zu nehmenden ärztlichen
Behandlungen, auch an den in das geltende Recht einfließenden
verfassungsrechtlichen Werten aus, insbesondere dem Recht auf körperliche
Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG (vgl. Senatsurteil vom 14. März
1989 - VI ZR 136/88, VersR 1989, 635, juris Rn. 7). Danach wird regelmäßig auch
für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen
behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht einer wesentlichen
Besserung zu fordern sein, um sie als zumutbar erachten zu können.
d) Im
Rahmen der Ermittlung des Verdienstausfallschadens kann eine ärztliche
Behandlung/Therapie nur als zumutbar erachtet werden, wenn die Verbesserung der
Gesundheit auch zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitskraft führen
wird. Darüber hinaus kann eine Obliegenheit zur Verbesserung der Gesundheit und
Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitsfähigkeit nur dann angenommen
werden, wenn überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit
- gegebenenfalls auch nach Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen, ebenfalls
in Abhängigkeit von der Zumutbarkeit - besteht (vgl. nur Senatsurteil vom 9.
Oktober 1990 - VI ZR 291/89, NJW 1991, 1412, 1413, juris Rn. 18). Die Annahme
einer Obliegenheit setzt also voraus, dass dem Geschädigten der Einsatz seiner
Arbeitskraft in einer bestimmten Berufstätigkeit zugemutet werden kann und eine
Prognose ergibt, dass ihm das bei entsprechender Anstrengung am Arbeitsmarkt
auch mit Erfolg gelingt oder gelungen wäre (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1984
- VI ZR 301/82, BGHZ 91, 357, 365, juris Rn. 26). Der Geschädigte muss
überhaupt die Möglichkeit haben, die - gegebenenfalls wiedergewonnene -
Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 1995
- VI ZR 398/94, NJW 1996, 652, 653, juris Rn. 10). Er kann demnach von der
Pflicht, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, entbunden sein, wenn er wegen
seiner unfallbedingten Beeinträchtigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
nicht mehr vermittelbar ist und deshalb Bemühungen um eine Arbeitsstelle von
vornherein aussichtslos wären (vgl. Senatsurteil vom 22. April 1997 - VI ZR
198/96, NJW 1997, 3381, 3382, juris Rn. 15). Um entsprechende Feststellungen
treffen zu können, muss der Tatrichter gegebenenfalls den mutmaßlichen Erfolg,
den obliegenheitsgerechte Bemühungen haben würden oder gehabt hätten, anhand
der (damaligen) Lage des Arbeitsmarktes beurteilen (vgl. Senatsurteil vom 24.
Februar 1983 - VI ZR 59/81, NJW 1984, 354, juris Rn. 12).
e)
Verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht,
indem er es unterlässt, obliegenheitsgerechte Maßnahmen zur Wiederherstellung
seiner Arbeitskraft zu ergreifen und einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit
nachzugehen, sind nach der Rechtsprechung des Senats die erzielbaren (fiktiven)
Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt
grundsätzlich nicht in Betracht, weil sie im Einzelfall zu sachwidrigen
Ergebnissen führen kann. Die Höhe der erzielbaren Einkünfte des Geschädigten
hängt nämlich nicht quotenmäßig von der Höhe des ihm entgangenen Verdienstes,
sondern vielmehr davon ab, welches Einkommen er in der konkreten Situation
unter Berücksichtigung aller Umstände, d.h. seiner Lebenssituation, seiner
Ausbildung, einer eventuell früher ausgeübten Tätigkeit und der jeweiligen Lage
auf dem Arbeitsmarkt in zumutbarer Weise erzielen könnte und von welchem
Zeitpunkt an ihm eine Aufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar war. Inwieweit
dies der Fall ist, unterliegt im Einzelfall der tatrichterlichen Würdigung
(vgl. Senatsurteil vom 26. September 2006 - VI ZR 124/05, NJW 2007, 64, 65,
juris Rn. 9; Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 32 Rn. 78;
Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn. 54).
2.
Gemessen daran kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben, soweit das
Berufungsgericht eine Obliegenheitsverletzung angenommen und die
Ersatzansprüche des Klägers um eine prozentuale Mitverschuldensquote gekürzt
hat.
a) Die
Revision beanstandet zunächst hinsichtlich des Vorwurfs der Unterlassung einer
Therapie der rezidivierenden depressiven Störung zu Recht, dass das
Berufungsgericht bezüglich deren Zumutbarkeit nicht alle wesentlichen
Gesichtspunkte berücksichtigt hat.
Zu diesen
gehört grundsätzlich die klägerseits in Abrede gestellte Therapiefähigkeit des
Geschädigten, zu der sich das Berufungsurteil nicht näher verhält. Ähnlich wie
bei einer Operation kann der Geschädigte nicht ohne weiteres darauf verwiesen
werden, sich im Interesse der Schadensminderung einer psychiatrischen
Behandlung zu unterziehen. So wird eine Obliegenheitsverletzung regelmäßig dann
ausscheiden, wenn die Verweigerung oder Verzögerung der indizierten Therapie
eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung ist (vgl. BeckOGK/Looschelders,
Stand 1.6.2021, BGB § 254 Rn. 257 mwN).
Zu den für die
Frage der Zumutbarkeit wesentlichen Gesichtspunkten gehört auch die Ermittlung
der konkreten therapeutischen Maßnahmen, denn neben deren Erfolgsaussichten im
Sinne einer sicheren Aussicht auf wesentliche Besserung muss auch beurteilt
werden können, welche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und das
Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der psychischen Verfasstheit hingenommen
werden sollen und ob sie gemessen an den Erfolgsaussichten auch verhältnismäßig
sind (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. März 1989 - VI ZR 136/88, VersR 1989, 635,
juris Rn. 7 f., 11 f.).
b) Ob
eine Obliegenheitsverletzung entfällt, wenn der Verletzte mit seinen Reaktionen
den Anweisungen seines Arztes folgt (so zu der dortigen Konstellation des
"behandelnden Arztes" BGH, Urteil vom 7. Juni 1951 - III ZR 181/50,
NJW 1951, 797; vgl. auch RGZ 131, 67, 74 f.; Staudinger/Schiemann (2017) BGB
§ 254 Rn. 81; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 254 Rn. 40;
BeckOGK/Looschelders, Stand 1.6.2021, BGB § 254 Rn. 253), ist eine Frage
des Einzelfalls, die nur vom Tatrichter beantwortet werden kann (vgl.
MünchKomm-StVR/Almeroth, 1. Aufl., BGB § 254 Rn. 44). Die Revision
beanstandet insoweit zu Recht, dass der Kläger in diesem Zusammenhang
vorgetragen hat, dass der Amtsarzt ihm im Jahre 2008 empfohlen habe, den
Rentenantrag zu stellen, die ihn behandelnde Fachärztin für
psychotherapeutische Medizin 2012 die unveränderte fehlende Belastbarkeit und
Arbeitsfähigkeit bescheinigt und eine zukünftige Besserung der
Leistungsfähigkeit ausgeschlossen habe, diese Einschätzung auch von der
beratenden Ärztin der Rentenversicherung im Dezember 2012 bestätigt worden sei,
und sich das Berufungsgericht mit diesen Argumenten nicht befasst hat.
c) Dem
Berufungsgericht ist auch insoweit nicht zu folgen, als es von den von ihm -
sachverständig beraten - angenommenen medizinischen Erfolgsaussichten der
Behandlung der rezidivierenden depressiven Störungen unmittelbar auf
Verdienstmöglichkeiten des Klägers in Höhe seines entgangenen Verdienstes
geschlossen hat. Es hat entgegen den von der Rechtsprechung entwickelten oben
aufgezeigten Maßstäben nicht geprüft, ob der Kläger überhaupt und
gegebenenfalls in welchem Umfang die Möglichkeit hatte oder gehabt hätte, verbliebene
oder neu gewonnene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt gewinnbringend
einzusetzen.
Grundsätzlich
ist dafür der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet. Er muss beweisen, dass
es dem Verletzten in seiner besonderen Lage möglich und zumutbar war, seine
Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft mit Gewinn einzusetzen. Den
Verletzten trifft eine sekundäre Darlegungslast, er muss darlegen, was er
unternommen hat, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden oder
was dem ggf. entgegenstand (vgl. Senatsurteile vom 9. Oktober 1990 - VI ZR
291/89, NJW 1991, 1412, 1413, juris Rn. 16; vom 23. Januar 1979 - VI ZR 103/78,
NJW 1979, 2142 f., juris Rn. 13; Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16.
Aufl., Kap. 32 Rn. 75). Danach könnte das Vorbringen des verletzten Klägers
beachtlich sein, wonach er zu 100 % schwerbehindert sei und im Rollstuhl sitze.
Er sei seit elf Jahren wegen voller Erwerbsunfähigkeit berentet und werde 50
Jahre alt. Die IT-Kenntnisse, die ihn für seinen früheren Arbeitsplatz befähigt
hätten, seien veraltet. Er habe den Beruf des Bürokaufmanns erlernt und verfüge
über keine Fachkenntnisse, welche ihn von anderen Bewerbern mit dieser
Ausbildung abheben würden, die Chance, einen entsprechenden leistungsgerechten
Arbeitsplatz zu finden, sei äußerst gering. Unter Berücksichtigung aller ihn
auszeichnenden Faktoren bestehe keine realistische Chance auf dem Arbeitsmarkt,
wieder eine Anstellung zu finden.
Rechtsfehlerhaft
hat es das Berufungsgericht auch unterlassen, die unter Einsatz der von ihm
angenommenen Arbeitskraft erzielbaren (fiktiven) Einkünfte zu ermitteln, die
nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Senats auf den Schaden anzurechnen
wären.
3. Das
angefochtene Urteil erweist sich auch insoweit als rechtsfehlerhaft, als das
Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren für den Verdienstausfall ab November
2016 lediglich mit einer prozentualen Kürzung von 75 % entsprochen hat. Zur
Begründung kann auf die obigen Ausführungen hinsichtlich des Leistungsbegehrens
Bezug genommen werden.
III.
Ob und in
welchem Umfang eine Anspruchskürzung gerechtfertigt ist, kann aufgrund der
bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden. Da die
Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO). Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch
das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz - insbesondere die
Gegenrüge der Beklagten - zu berücksichtigen.
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