Freitag, 18. Dezember 2020

Anspruch auf kostenfreie Überlassung der Behandlungsunterlagen durch Arzt ?

 

§ 630g BGB regelt, dass der Patient ein Einsichtsrecht in seine ihn betreffende Patientenakte hat. Nach § 630g Abs. 2 BGB kann er auch gegen Kostenerstattung Abschriften aus der Akte verlangen. Allerdings ist das LG Dresden der Ansicht, dass bei Verlangen auf Überlassung von Behandlungsunterlagen nicht notwendig ein Kostenerstattungsanspruch des Arztes (oder Krankenhauses) besteht.

Im Streitfall hatte die klagende Patientin einen Behandlungsfehler des beklagten Krankenhauses geltend gemacht und ging von einem Schmerzensgeldanspruch von € 40.000,00 aus. Unter Verweis nicht auf § 630g BGB sondern unter Berufung auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) begehrte sie von dem beklagten Krankenhaus unentgeltliche Auskunft über ihre dort gespeicherten personenbezogenen Daten durch Übermittlung der vollständigen Behandlungsdokumentation im PDF-Format. Das Krankenhaus vertrat die Auffassung, es könne eine Kostenerstattung gem. § 630 Abs. 2 BGB fordern. Das Landgericht gab der Klage statt; obwohl es die Berufung zugelassen hatte, wurde vom beklagten Krankenhaus kein Rechtsmittel eingelegt.

Das Landgericht nahm an, dass der Klägerin der Anspruch neben der spezialgesetzlichen Regelung des § 630g BGB auch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO zustehen würde. Im Rahmen der stationären Behandlung der Klägerin seien von ihr personenbezogene Daten gespeichert worden. Daraus ergäbe sich der Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Der Umstand, dass die Klägerin den Auskunftsanspruch zur Geltendmachung zivilrechtlicher Haftungsansprüche erhoben habe, sei nicht entscheidend, da Art 2 Abs. 2 Buchst. a) DSGVO den Anwendungsbereich der Verordnung nur insoweit einschränke, als die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Diese Einschränkung läge hier nicht vor. In den Erwägungsgründen  (Grund 63) der Einleitung zur DSGVO sei die Tätigkeit der Beklagten als Gesundheitsdienstleister ausdrücklich benannt.

§ 630g BGB käme auch kein Vorrang gegenüber Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu. Dazu verwies das Landgericht darauf hin, dass eine nationale Regelung nicht eine lex generali bezüglich einer europarechtlichen Regelung enthalten könne, da die DSGVO (als europarechtliche Regelung) keine Öffnung für abweichende nationale Regelungen enthalte. Damit könne der Auskunftsanspruch statt auf § 630g BGB auch auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO gestützt werden.

Ob eine Deckungsgleichheit zwischen den Ansprüchen aus § 630g BGB du Art. 15 Abs. 3 DSGVO bestünde bedürfe vorliegend deshalb keiner Klärung, da das Krankenhaus bisher noch keinerlei Auskünfte erteilt habe. Ob mithin nicht personenbezogene Daten, die in den Behandlungsunterlagen enthalten seien, nicht vom Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst seien, könne auf sich beruhen.  

Das beklagte Krankenhaus habe daher die begehrte Erstauskunft von der Übernahme von Kosten (in Höhe von € 5,90 zuzüglich Versandkosten) abhängig machen dürfen. Art. 15 Abs. 3 DSGVO sähe (anders als § 630g BGB) keinen Kostenanspruch des Auskunftspflichtigen für eine Erstauskunft vor.

Dass eine Übersendung im PDF-Format nicht möglich sei, sei von dem beklagten Krankenhaus nicht eingewandt worden, wobei es sich dabei auch um ein gängiges elektronisches Format iSv. Art. 15 Abs. 3 DSGVO handele.

LG Dresden, Urteil vom 29.05.2020 - 6 O 76/20 -

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Räumungsvollstreckung und COVID-19 im Licht von § 765a ZPO

 

Der Gläubiger betrieb aus einem vollstreckunbaren Zuschlagsbeschluss die Zwangsräumung des ehemals im Eigentum des Schuldners stehenden Grundstücks. Der Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Die dagegen vom Schuldner eingelegte Beschwerde des Schuldners blieb ohne Erfolg.

Das Landgericht wies in seiner Entscheidung über die Beschwerde darauf hin, dass nach § 765a ZPO eine Zwangsvollstreckung vom Vollstreckungsgericht ganz oder teilweise eingestellt werden müsste, wenn sie unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte darstellen würde, die nicht mehr mit den guten Sitten vereinbar wäre. Zu berücksichtigen sie, dass § 765a ZPO eine Ausnahmevorschrift sei und daher nur Anwendung finden könne, wenn nach Abwägung der Interessen die Vollstreckung durch den Gläubiger zu einem tragbaren Ergebnis führe (BGH, Beschluss vom 24.11.2005 - V ZB 99/05 -). Auf Gläubigerseite sei bei der Abwägung das grundrechtlich geschützte Vollstreckungsinteresse zu berücksichtigen, da dem Staat auch die Pflicht obliege, titulierte Ansprüche notfalls im Weger der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Eine sittenwidrige Härte wäre die Vollstreckung dann, wen sie den Schuldner schädige, ohne dem Gläubiger Nutzen zu bringen. Ebenso sei die Vollstreckung unzulässig, wenn sie das Leben oder die Gesundheit des Schuldners (so bei Suizidgefahr) oder eines seiner Angehörigen unmittelbar gefährde.

Diese Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nahm das Landgericht hier nicht an. Dabei würden die mit einer Vollstreckung regelmäßig einhergehenden Belastungen des Schuldners nach der zugrundeliegenden Wertung nicht das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers aufwiegen können.

Der Schuldner wies auf durch COVID-19 bedingte Kotaktbeschränkungen hin. Dies würden (zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses) derzeit nicht bestehen, doch würden diese auch die Vollstreckung nicht hindern können. Es sei nämlich zwischen dem Gerichtsvollzieher und dem Gläubiger kein physischer Kontakt bei der Räumung notwendig. Letztlich läge dies am Verhalten des Schuldners.

Ebenso sei bei der Zwangsräumung ein unmittelbarer Kontakt des Schuldners mit dem Gläubiger erforderlich, da der Gläubiger nicht anwesend sein müsse. Im Übrigen würde der Gerichtsvollzieher entscheiden, inwieweit und mit welchen Maßnahmen eine Vollstreckung durchführbar sei. Auch stehe es dem Schuldner fei. Jederzeit freiwillig vor Eintreffen des Gerichtsvollziehgers auszuziehen, wobei sich der Schuldner auch eines Umzugsunternehmens bedienen könne. Ebenso könne auch eine Ersatzwohnung mittels elektronischer Kommunikationsmittel kontaktlos erfolgen.

Soweit die Gefahr einer Beeinträchtigung des Grundrechts auf Leben du körperliche Unversehrtheit behauptet wurde, müsse der Eintritt dieser Gefahr anhand objektiv feststellbarer Umstände mit hinreichend er Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. So sei ein nicht substantiiertes ärztliches Attest aussagelos. Den entsprechenden AnfordeRungen sei der Vortrag des Schuldners nicht gerecht geworden.

Die Erhöhung eines Infektionsrisikos mit Corona könne durch geeignete Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden und läge insbesondere im Einflussbereich des Schuldners.

Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen eines grippalen Infekts ließe sich keine Ursächlichkeit der Erkrankung durch die Räumung entnehmen, würde diese Erkrankung aber auch der Räumung nicht entgegenstehen. Sollte mit der Bescheinigung angedeutet werden, dass sich der Schuldner mit dem Corona-Virus infiziert habe, wäre dies fernliegend, da sei dem 01.04.2020 (vor Erstellung der Bescheinigung) der gesonderte Diagnoseschlüssel U07.1 ! und U07.2 ! gelten würden und auf der Bescheinigung der Schlüssel für eine „akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet“ stünde, ohne dass dies durch den Schuldner spezifiziert worden wäre.

Den Erwägungen des Schuldners würde das überwiegende Vollstreckungsinteresse des Gläubigers entgegenstehen.

LG Verden, Beschluss vom 08.05.2020 - 6 T 33/20 -

Sonntag, 13. Dezember 2020

Baumfällkosten als umlegbare Betriebskosten nach § 2 Nr. 10 BetrKV

 

Gegenstand der Klage war ein von der Klägerin geltend gemachter Zahlungsanspruch aus einer von ihr teilweise unter Vorbehalt gezahlten Nebenkostenabrechnung für2015. Dieser Vorbehalt betraf die von der beklagten Vermieterin geltend gemachten und auf die Klägerin umgelegten Kosten für die Fällung eines Baumes. Die Klage wurde (mir Ausnahme einer kleinen Differenz aus dem Umlageschlüssel) abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Der Anspruch der Klägerin wäre begründet gewesen, wenn die Zahlung ohne Rechtsgrund vorgenommen wurde, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Den Rechtsgrund für die Zahlung der hier streitigen Baumfällkosten sah das Landgericht in § 2 Nr. 10 BetrKV. Diese sehen als umlagefähig an

„die Kosten der Gartenpflege,

hierzu gehören die Kosten der Pflege gärtnerisch angelegter Flächen einschließlich der Erneuerung von Pflanzen und Gehölzen, der Pflege von Spielkästen einschließlich der Erneuerung von Sand und der Pflege von Plätzen, Zugängen und Zufahrten, die dem nicht öffentlichen Verkehr dienen“.

Zwar seien hier nicht ausdrücklich die Kosten einer Baumfällung benannt. Allerdings handele es sich bei Bäumen sowohl um Pflanzen als auch Gehölze im Sinne der Norm. Begrifflich ergäben sich durch die Bezeichnung keine Einschränkungen auf Gartenbestandteile einer bestimmten Größe.

Systematisch seien umlagefähige Betriebskosten iSv. § 1 Abs. 1 BetrKV von Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrKV abzugrenzen. Instandsetzungen und Instandhaltungen würden Kosten für Reparaturen und Wiederbeschaffungen verursachen oder seien zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs erforderlich, um Abnutzungen, Alterungen und Witterungseinwirkungen sowie sonstige Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen. Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten würden mithin Mängel an der Substanz der Immobilien oder teilen davon betreffen. Regelmäßig durchzuführende Maßnahmen würden nicht dazu gehören, wie z.B. de Überprüfung der Funktionsfähigkeit von elektrischen Anlagen.  Für die Annahme wiederkehrender Belastungen sei auch nicht ein (zumindest) jährlicher Rhythmus erforderlich; ausreichend sei für die Annahme wiederkehrender Belastungen al laufend entstehende Kosten auch ein mehrjähriger Rhythmus (BGH. Urteil vom 11.11.2009 - VIII ZR 221/08 -).

Bei der Entfernung von morschen oder abgestorbenen Pflanzen einer Gartenanlage handele es sich um wiederkehrende Arbeiten, da ausreichen sei, dass sie einem, typischen Kreislauf unterfallen, wobei § 2 Nr. 10 BetrKV ausnahmsweise auch Instandsetzungskosten zu den umlagefähigen Kosten aufnimmt, so in Bezug auf Neubepflanzungen, soweit Pflanzen (auch Bäume) durch Alter u.a. abgängig wurden. Damit würde dies erst recht für das Fällen von Bäumen und deren Abtransport gelten und das Anpflanzen junger Bäume gelten, da es sich dabei um Maßnahmen handele, die für eine gärtnerisch angelegte Fläche notwendig seien.

Der Umlagefähigkeit der Baumfällkosten würde auch nicht Sinn und Zweck der Betriebskostenverordnung entgegen stehen. Es handele sich nicht um nicht zu erwartende Kosten, da der Baum bereits vor Beginn des Mietverhältnisses vorhanden war, weshalb zu erwarten gewesen sei, dass Baumpflegekosten im Zusammenhang mit den Gartenpflegekosten entstehen könnten und dies auch zu einem jährlich ungleichmäßigen Kostenbedarf führen könnte.

Zudem sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Fällung nicht auf gestalterischen Erwägungen der Vermieterin beruht habe, sondern Grund die Morschheit des Baumes und seine fehlende Standsicherheit gewesen sei.

LG Hannover, Urteil vom 27.03.2020 - 17 S 1/19 -

Samstag, 12. Dezember 2020

Mitverschulden des Radfahrers für Kopfverletzung bei Nichtragen eines Schutzhelms ?

Die Klägerin stieß mit ihrem Fahrrad mit einem PKW des Beklagten zusammen, der beim Rechtsabbiegen im Kreuzungsbereich die geradeausfahrende Klägerin mit ihrem Fahrrad übersehen hatte. Obwohl die Klägerin keinen Schutzhelm trug negierte er ein Mitverschulden der Klägerin, welches sich auf das Schmerzensgeld zur Höhe auswirken würde.

Das Tragen eines Schutzhelms könne nicht mit einem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon als verkehrsgerechtes Verhalten begründet werden, da ansonsten bei jeder Tätigkeit mit dem Risiko einer Kopfverletzung (z.B. beim Besteigen einer Leiter im Haushalt) ein Schutzhelm getragen werden müsste. Nach der Entscheidung des BGH vom 17.06.2014 - VI ZR 281/13 - käme es auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein konkret zum Tragen von Fahrradhelmen und nicht auf allgemeine Sicherheitserwägungen zum Zeitpunkt des Unfalls an.

Der Senat sah es als gerichtsbekannt an, dass es ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein nach wie vor nicht geben würde. Ein Senatsmitglied würde im Nürnberger Stadtgebiet regelmäßig Verkehrszählungen zu dieser Frage durchführen (ohne Rennradfahrer in voller Montur und Kindern auf Kinderfahrrädern. Diese Zählungen (wiedergegeben für die Jahre 2015, 2016, 2017 und 2020) ergäben zwar eine leichte Steigerung der Personen, die einen Helm tragen. Es seien aber noch weit unter 50%. Dies Ergebnis würde auch im Wesentlichen amtlichen Quellen entsprechen, wonach i 2019 über alle Altersgruppen hinweg innerorts 18,0%, außerorts 22,8% der beobachteten Fahrradfahrer einen Schutzhelm tragen würden, wobei die Quote sogar bei den Jüngeren noch erheblich geringer sei.

Trotz einer wahrzunehmenden leichten Steigerung der helmtragenden Fahrradfahrer in den letzten zehn Jahren würden doch noch rund 80% der erwachsenen Bevölkerung keinen Helm bei Fahrradfahren tragen. Eine allgemeine Verkehrsauffassung, dass Radfahren eine generell derartig gefährliche Tätigkeit sei, dass sich nur diejenigen verkehrsgerecht verhalten würden die einen Helm tragen, bestünde nach wie vor nicht.

Ob etwas anders für bestimmte Formen sportlichen Radfahrens gelte, welches mit einem erheblichen (gesteigerten) Kopfverletzungsrisiko verbunden sei, wie z.B. beim Rennradfahren mit tiefer Kopfhaltung und Fixierung der Schuhe an den Pedalen oder beim Mountainbikefahren im freien Gelände, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

OLG Nürnberg, 20.08.2020 - 13 U 1187/20 -

Freitag, 11. Dezember 2020

Zahlung von Verwarnungsgeld durch Arbeitgeber ist grundsätzlich eine zu versteuernde Einnahme

 

Die Klägerin betrieb eine Paketzustelldienst. Deren angestellte Fahrer hatten die Aufgabe, Pakete bei den Kunden abzuholen oder den Kunden Pakete zuzustellen. Regelmäßig hielten die Fahrer in der Nähe der Kunden (um den Vorgang zu beschleunigen). Soweit die Klägerin keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO zum Halten im Halteverbot pp. erhielt, nahm es die Klägerin hin, dass die Fahrer die Fahrzeuge gleichwohl im Halteverbot pp. abstellten und dann Verwarnungsgelder angefordert wurden. Diese wurden direkt von der Klägerin als Halterin angefordert und auch von dieser gezahlt, auch dann, wenn sie nur aufgefordert wurde, entweder einen Zeugenfragebogen auszufüllen oder das Verwarnungsgeld zu zahlen.  Anderweitige Verwarnungs- und Bußgelder (so für Geschwindigkeitsverstöße ihrer Fahrer) zahlte die Klägerin nicht.

Der Beklagte (das Finanzamt [FA]) war der Ansicht, es handele sich bei diesen von der Klägerin gezahlten Verwarnungsgeldern um lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn und berief sich auf die Entscheidung des BFH vom 14.11.2013 zur Zahlung von Bußgeldern für die Überschreitung von Lenk- und Ruhezeiten. Die Klägerin meldete daher in ihrer Lohnsteuer-Anmeldung für April 2014 für Lohnsteuer in Bezug auf die benannten Verwarnungsgelder in Höhe von € 1.925,96 sowie die darauf beruhende Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag pauschaliert nach § 38a EstG an und legte dagegen auch Einspruch ein. Der Einspruch wurde zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Revision des FA führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Finanzgericht.

Der BFH führte aus, bei der pauschalierten Steuer handele es sich um eine von der Steuer ´des Arbeitnehmers abgeleitete Steuer. Es müsste sich mithin um eine in Geldwert bestehende Einnahme iSv. § 19 EstG handeln. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit würden neben dem Lohn auch andere Bezüge gehören, die dem Arbeitnehmer (AN)  gewährt würden, unabhängig davon, ob der AN darauf einen Rechtsanspruch habe. Ein Bezug zum Dienstverhältnis läge vor, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt würde, da der AN Arbeitnehmer des Arbeitgebers (AG) sei und nur deshalb die Zuwendung als Gegenleistung für die Dienste des AN gezahlt würden. Auch der Erlass von Forderungen, die dem AG gegen den AN zustünden könne Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 S. 2 EstG sein. 

Zutreffend sei danach das FG zunächst davon ausgegangen, dass den AN nicht schon deshalb Arbeitslohn zugeflossen sei, da der AG (die Klägerin) die Verwarnungsgelder iSv. § 56 OWiG gezahlt habe. Die Verwarnungsgelder seien jeweils bei der Klägerin als Halterin der Fahrzeuge wegen Parkverstößen ihrer AN geltend gemacht worden. Daher habe die Klägerin eine eigene Verbindlichkeit erfüllt. Betroffener im Sinne des OWiG sei ungeachtet eines Tatbeitrages auch der Halter des Fahrzeuges (BVerfGE 80, 109). Sei der Halter nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit der Verwarnung einverstanden und zahlt er, würde die Verwarnung wirksam, ohne dass damit die Voraussetzungen sachlich-rechtlicher Art bzw. eines Bußgeldtatbestandes festgestellt würden. Nach der Zahlung sei ein Rechtsmittelausgeschlossen. 

Dies unterscheide sich von den Sachverhalten, die den Entscheidungen in BFHE 208, 104 und BFHE 243, 520 zugrunde gelegen hätten, da dort zugrunde lag, dass die jeweilige Klägerin die Zahlung von Verwarnungsgeldern bzw. Bußgeldern erfolgte, die gegen die jeweiligen Fahrer erhoben wurden.

Allerdings ließe sich, anders als das FG meine, daraus noch nicht ableiten, dass den AN der Klägerin hier kein geldwerter Vorteil zugeflossen sei. Ein geldwerter Vorteilwürde auch dann dem AN zufließen, wenn der AG zu erkennen gebe, dass er keinen Rückgriff nehmen würde und sich der AN damit einverstanden erkläre. Ein vom FG negierter Rückgriffsanspruch des AG könne nicht festgestellt werden.

Die Erwägung des FG, ein vertraglicher Regressanspruch liege nicht vor, da eine Zusage des AG, eine dem AN bei der Arbeitsdurchführung erfolgte Geldstrafe/-buße zu übernehmen einen Verstoß gegen die guten Sitten darstelle (§ 138 BGB) und daher eine Vereinbarung nicht zur Disposition des AG stünde, trage nicht, da es darum hier nicht gehen würde. Die Klägerin habe zudem selbst geltend gemacht, ihre Fahrer angewiesen zu haben, in Gebieten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht hätte erlangt werden können, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Damit könne auch nicht konkludent eine (Neben-) Pflichtverletzung der AN ausgeschlossen werden. In Ansehung der von der Klägerin vorgetragenen Weisung hätte das FG auch nicht einen gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag verneinen können (§§ 683 S. 1, 670 BGB) und die Übernahme sei im ausschließlich eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt.

Es sei daher nunmehr vom FG nach der Zurückverweisung zu prüfen, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin wegen der unstreitig durch ihre Fahrer begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zustünde. Stelle es einen realisierbaren (also einredefreien und fälligen) Ersatzanspruch gegen den jeweiligen Fahrer fest, wäre die Frage des Zeitpunktes des Erlasses (§ 397 BGB) zu klären, d.h. dem Zeitpunkt des jeweiligen Zuflusses des geldwerten Vorteils bei dem AN

Klarstellend wies der BFH darauf hin, dass im Falle eines Erlasses eines realisierbaren Anspruchs das Vorliegen von Arbeitslohn nicht mit der Erwägung verneint werden könne, die Zahlung sei im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt. Ein rechtswidriges Tun des AN stelle sich nicht als beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung dar (Aufgabe der Rechtsprechung in BFHE 208, 104), auch wenn es sich bei den Parkverstößen wie hier regelmäßig um solche im absoluten Bagatellbereich handele.

BFH, Urteil vom 13.08.2020 - VI R 1/17 -

Mittwoch, 9. Dezember 2020

Voraussetzungen für einen konkludenten Mietvertragsabschluss über Gewerberaum

 

Die Klägerin erhob negative Feststellungsklage mit dem Begehren festzustellen, dass zwischen ihr und der Beklagten kein Mietvertrag über bestimmte, näher bezeichnete Räumlichkeiten vorläge und verlangt Rückzahlung von ihr angezahlter Kaution. 

Die Klägerin hatte einen Mietvertragsentwurf unterzeichnet, in dem das OLG einen Antrag auf Abschluss eines Gewerberaummietvertrages iSv. § 145 BGB sieht, der von der Beklagten nicht innerhalb der vereinbarten Annahmefrist (§ 21 Abs. 6 des Vertragsentwurfs) angenommen worden sei.

Allerdings wurden in der Folge auch die Räumlichkeiten tatsächlich an die Klägerin übergeben. Entscheidend sei die Auslegung des Verhaltens im Rahmen der Übergabe gem. §§ 133, 157 BGB. Auszugehen sei dabei hier darauf, wie die Klägerin die Willenserklärungen des Mitarbeiters der Hausverwaltung der Beklagten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste.

Auszugehen sie vom Wortlaut der Erklärung. Er soll erklärt haben, er wolle den von der Klägerin unterzeichneten Vertragsentwurf an die Beklagte übersenden und sodann der Klägerin in unterzeichnetes Exemplar zukommen lassen. Damit aber habe er zu erkennen gegeben, nicht selbst eine Erklärung auf das Vertragsangebot der Klägerin abgeben zu wollen, weshalb er auch eine Annahmeerklärung nicht konkludent mit der Übergabe der Räume abgegeben habe. Unabhängig aber von dieser Erklärung könne auch die Übergabe der Räume (ohne die Erklärung) nicht als konkludenten Vertragsannahme angesehen werden; dagegen habe bereits § 21 Abs. 6 des Mietvertrages gestanden. Danach sollte der Vertragsabschluss in der Weise erfolgen, dass innerhalb von drei Wochen der von der anderen Partei bereits unterzeichnete Entwurf angenommen werden sollte. Auch wenn die Annahme nicht notwendig der Schriftform bedarf und die vertragliche Schriftformklausel nur Änderungen des Vertrages betreffe, wurde doch in § 21 Abs.6 doch deutlich, dass für den Regelfall von einer schriftlichen Annahme ausgegangen wurde. Nach dem maßgeblichem Empfängerhorizont war das Verhalten des Mitarbeiters der Hausverwaltung, der den Mietvertragsentwurf mitnahm, deshalb dahin zu verstehen, dass er diesen an die Beklagte zur Entscheidung über die Annahme weiterleitet. Daher hätte es für den Fall, das es anders verstanden werden sollte, einer ausdrücklichen Erklärung des Mitarbeiters der Hausverwaltung bedurft, dass es bereits mit der Übergabe der Räume zum Vertrag käme. Zudem sei hier nach § 2 ein längerfristiger Vertrag beabsichtigt gewesen, der nach § 550 BGB ohnehin der Schriftform bedurft habe.

Ob zudem dem Schriftformerfordernis entsprochen wurde, bedürfe keiner Entscheidung. Ein Verstoß gegen die Schriftform würde nur dazu führen, dass keine Bindungswirkung von mehr als einem Jahr bestünde.

Danach habe das Landgericht der Klage der Klägerin zutreffend stattgegeben.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 30.09.2020 - 5 U 1275/20 -

Montag, 7. Dezember 2020

Einstweilige Einstellung der Räumungsvollstreckung vor Einlegung der Berufung

Das Amtsgericht hatte der Räumungsklage stattgegeben. Der Beklagte beantragte beim Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Berufung und gleichzeitig die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil.

Das Landgericht stellte hier einstweilen die Räumungsvollstreckung ein, allerdings zeitlich beschränkt auf knapp zwei Monate nach Verkündung des Beschlusses. Zur Begründung führte es aus, dass ihr ohne die sich noch beim Amtsgericht befindlichen Sachakten eine Prüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels der Berufung nicht möglich sei. Deshalb sei die Einstellung zunächst für einen Zeitraum bis zur erwarteten Überlassung der Sachakte und einer angemessenen Zeit für die weitergehende Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels als Voraussetzung für die Prüfung des weitergehenden Einstellungsantrages nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO auszusprechen.

Der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO sei zu gewähren, obwohl bisher der Beklagte keine Berufung eingelegt habe. Diese Normen seien zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes entsprechend im Rahmen eines Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe während dessen Dauer anzuwenden (offen gelassen vom BGH im Beschluss vom 26.09.2018 - VIII ZR 290/18 -).  

Vorliegend sei die Einstellung nicht von einer Sicherheitsleistung durch den Beklagten gem. § 707 Abs. 1 ZPO abhängig zu machen, da der Beklagte in einer den Anforderungen des § 294 ZPO (Glaubhaftmachung) genügenden Form glaubhaft gemacht habe, dass er zu einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage sei.

Anmerkung: Die Entscheidung ist in der Sache richtig. Eine Partei, die zur Durchführung eines Verfahrens auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, muss im Falle einer von ihr beabsichtigten Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist Berufung einlegen; ausreichend ist vielmehr der Antrag auf Prozesskostenhilfe innerhalb der Berufungsfrist. Wir die Berufung nach Ablauf der Berufungsfrist bewilligt, kann er Berufung einlegen und erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO beantragen. Wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, verlängert sich diese Frist von zwei Wochen sogar um drei bis vier Tage Bedenkzeit, da erst nach dieser Frist für die Bedenkzeit die Zweiwochenfrist zu laufen beginnt (BGH, Beschluss vom 13.05.2017 - VIII ZB 54/16 -). Besteht mithin die Möglichkeit, Berufung unter der Voraussetzung der Beantragung von Prozesskostenhilfe auch noch erfolgreich nach Ablauf der Berufungsfrist einzulegen, wäre es unverständlich, wenn hier dem potentiellen Berufungsführer die Möglichkeit der Verhinderung der möglichen Vollstreckung aus dem Urteil durch Einstellung derselben verwehrt würde. Dass bei einer Versagung der Prozesskostenhilfe aus Erwägungen, die sich auf die mangelnde Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung bezieht, keine weitere Einstellung der Vollstreckung gewährt würde liegt auf der Hand, weshalb auch hier die zeitliche Befristung durch das Landgericht gerechtfertigt ist.

LG Berlin, Beschluss vom 29.10.2020 - 67 S 314/20 -

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Nachbarrecht: Schwenkkran über Nachbars Grundstück

 

Der (Verfügungs-) Beklagte wollte Bauarbeiten auf seinem Grundstück durchführen, bei denen auch ein Baukran eingesetzt werden sollte, der über das Grundstück der (Verfügungs-) Klägerin schenkt. Die Verfügungsklägerin widersprach dem unter Hinweis darauf, dass sie keine näheren Angaben vom Beklagten erhalten habe. Gleichwohl stellte die Beklagte einen Baukran mit einem Schwenkbereich von 40m auf, der über das Anwesen der Klägerin schwenkte. Die Klägerin beantragte eine einstweilige Verfügung, mit der sie das Überschwenken verhindern wollte. Das Landgericht wies den Antrag ab. Die Berufung der Klägerin war erfolgreich.

Nach Darlegung des OLG hätte der Beklagte das in Art. 46b Abs. 3 BayAGBGB (Hammerschlags- und Leiterrecht) vorgesehene Verfahren einhalten müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Schon vor diesem Hintergrund stelle sich die Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin durch das Überschwenken als verbotene Eigenmacht nach §§ 858, 862 GB dar und sei im Rahmen der einstweiligen Verfügung zu untersagen, unabhängig davon, ob ein materiell-rechtlicher Duldungsanspruch bestünde.

Das Überschwenken falle in den Bereich des Art. 46b Abs. 1 BayAGBGB. Danach müsse ein Nachbar unter den dort benannten Voraussetzungen dulden, dass sein Grundstück von dem Nachbareigentümer und von diesem beauftragten Personen zwecks Errichtung, Veränderung, Instandhaltung oder Beseitigung einer baulichen Anlage betreten wird, dort Gerüste und Geräte aufgestellt werden oder auf dieses übergegriffen wird, über das Grundstück Baustoffe gebracht werden oder auch dort niedergelegt werden. Bei dem Überschwenken des Baukrans würde es sich in diesem Sinne um ein „Übergreifen von Geräten“ handeln. Das Überschwenken des Kranauslegers stelle eine in Art. 46b Abs. 1 BayAGBGB dar; wie sich auch aus § 905 S. 1 BGB ergebe, wonach sich das Recht des Eigentümers auch auf dem Raum über der Oberfläche erstrecke.

Damit hätte der Beklagte die Absicht einen Monat vorher anzeigen müssen, und zwar unter Darlegung der Art und Dauer der Arbeiten, Art. 46 Abs.3 BayAGBGB. Auch wenn dies erfolgt sei, hätten sie nicht entsprechend verfahren dürfen, da die Anzeige zwar Voraussetzung für die Ausübung des Rechts, nicht aber Bedingung des Duldungsanspruchs sei. Wenn sich der Verpflichtete nicht erklärt,  dürfe das Grundstück entsprechend der Ankündigung genutzt werden. Verweigere er aber die Nutzung seines Grundstücks, bedürfe eines Duldungstitels. Selbsthilfe sei  - außer im Falle des Notstandes, § 905 BGB - nicht statthaft.

OLG München, Urteil vom 15.10.2020 - 8 U 5531/20 -

Dienstag, 1. Dezember 2020

WEG: Verwalterbestellung und § 6 COVMG (COVID-19-Maßnahmegesetz vom 27.03.2020)

 

Im Gesetz über „Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts,- Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie“ vom 27.03.2020 wurde in § 6 festgehalten (BGBl  I 2020,  569):

(1) Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.

(2) Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.

Das OLG musste sich in mit der Frage auseinandersetzen, ob  eine in der Teilungserklärung vorgesehen Zustimmung des Verwalters bei einem Verkauf von Wohnungseigentum (§ 12 Abs. 1 WEG) dann gewahrt ist, wenn zwar eine Zustimmungserklärung einer als Verwalter auftretenden Person vorgelegt wird, aber nicht der Nachweis erbracht wird, das diese zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung auch Verwalter war (§ 26 Abs. 3, § 24 Abs. 6 WEG). Vorliegend sei nicht nachgewiesen worden, dass die „Hausveraltung H“ am 13.03.2020, dem Zeitpunkt der notarielle beglaubigten Zustimmungserklärung, auch Verwalterin war.

Es seien Protokolle zu Eigentümerversammlungen für die Jahre 2018 und 2019 vorgelegt worden, nach denen die Bestellung der „Hausverwaltung H“ zum Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft zum 31.12.2019 endete. Auch aus § 6 Abs.1 des am 28.03.2020 in Kraft getretenen COVID-Auswirkungen-BekämpfungsG ergäbe sich nicht die Verwalterbestellung zum 13.03.2020.  Zwar sei hier geregelt, dass der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt bleibe, wodurch nach der gesetzgeberischen Intention die Verwaltung der Gemeinschaft auch in Zeiten gewährleistet werden sollte, in denen eine Eigentümerversammlung nicht zusammentreten kann.  Aus der Gesetzesbegründung ergäbe sich weiterhin, dass die nicht nur für den Fall gelte, dass die Bestellungszeit nach Inkrafttreten dieses Gesetzes am 28.03.2020 ablaufe, sondern auch dann, wenn sie zuvor ablaufe (wie hier geschehen). Die Vorschrift führe aber nur dazu, dass der vormalige Verwalter mit Beginn des 28.03.2020 kraft Gesetzes wieder ins Amt gehoben worden sei. Es folge daraus nicht, dass der Verwalter mit Inkrafttreten des Gesetzes auch rückwirkend als bestellt anzusehen sei, sondern nur, dass er ab diesem Zeitpunkt wieder Verwalter ist mit der Folge, dass eine verwalterlose Zeit ende.

Daraus folge hier, dass der Verwalter die am 13.03.2020 abgegebene Erklärung nochmals abgeben müsse.

OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.2020 - 15 W 266/20 -

Samstag, 28. November 2020

Zur Abgrenzung von Verschleiß zu Sachmangel beim Gebrauchtwagenkauf

 

Der Kläger kaufte von der gewerblich als Gebrauchswagenhändlerin tätigen Beklagten einen neun Jahre alten Peugeot 307 CC mit einer Laufleistung von 84.820km, der bereits mehrere Vorbesitzer hatte. Im Kaufvertrag wurde „TÜV/AU neu“ vereinbart. Der Kaufvertrag wurde am 11.01.2014 abgeschlossen; die beanstandungsfreie Hauptuntersuchung erfolgte am 14.01.2014. Am 17.01.2014 erfolgte die Übergabe des Fahrzeuges an den Kläger. Der Kläger machte in der Folgezeit mehrere Mängel geltend, u.a. eine starke Geräuschentwicklung am Auspuff. Im Dezember erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, das Fahrzeug sei von Anfang an – insbesondere am Auspuff – mangelbehaftet gewesen. Die Beklagte berief sich auf einen typischen Verschleiß; Schweißarbeiten, die sie in Ansehung der Rügen des Klägers am Auspuff vorgenommen habe, seien wegen des Verschleißes, nicht aber wegen Mängeln bei Übergabe erfolgt.

Die Wandlungsklage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.

Entgegen der Annahme des Klägers ging auch der BGH nicht davon aus, dass ein Mangel an der Auspuffanlage vorlag. Der Kaufgegenstand sei mangelfrei, wenn er die vereinbarte Beschaffenheit aufweise. Sei eine Beschaffenheit nicht vereinbart, sei die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eigne und eine Beschaffenheit aufweise, die bei Sachen der gleichen Art üblich sei und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten dürfe (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB).

Die Vereinbarung „TÜV(AU neu“ stelle sich bei interessengerechter Auslegung als stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB dahingehend dar, dass sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten, verkehrssicheren Zustand befindet. Dies sei hier mangels anderweitiger Feststellungen der Fall.

Das Fahrzeug habe sich auch für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung oder für die gewöhnliche Verwendung geeignet. In beiden Alternativen käme es darauf an, ob der (ältere) Gebrauchtwagen zur Verwendung als Fahrzeug im Straßenverkehr nicht oder nur eingeschränkt geeignet sei. Dabei habe das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass ein normaler Verschleiß an der Auspuffanlage eines Gebrauchtwagens keinen Sachmangel darstelle, da bei der Beurteilung zu berücksichtigen sei, dass Verschleißteile eines Kraftfahrzeuges in Abhängigkeit von Alter, Laufleistung, Anzahl der Vorbesitzer, Art der Vorbenutzung und Qualität des Fahrzeuges einer kontinuierlichen Abnutzung, so auch durch Rosterscheinungen, unterliege. Währen bei sicherheitsrelevanten Teilen (wie Bremsanlage) eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit mit der Folge der fehlenden Eignung zur Verwendung im Straßenverkehr und damit ein Sachmangel vorläge,  sei bei einem Verschleiß im Übrigen nicht von einem Sachmangel auszugehen. Dies selbst dann, wenn sich daraus in absehbarer Zeit ein Erneuerungsbedarf ergäbe. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bei einem zehn Jahre alten Gebrauchswagen mit vielen Vorbesitzern und einer Laufleistung von über 80.000km (nicht sicherheitsrelevante) Durchrostungen an der Auspuffanlage einen „normalen Verschleiß“ darstellen würden, sei nicht zu beanstanden.

Auch aus der Vermutung des§ 476 BGB a.F. (heute: § 477 BGB) ließe sich nichts anderes ableiten. Zwar greife die Vermutung zugunsten des Käufers bereits dann, wenn diesem der Nachweis gelinge, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand gezeigt habe, der die Haftung des Verkäufers wegen Abweichung von einer Beschaffenheit begründe, unterstellt die Ursache des Zustandes lägen in einem dem Verkäufer zurechenbaren Umstand.  Die Vermutungswirkung führe dazu, dass ein in den ersten sechs Monaten zutage getretener mangelhafter Zustand als bei Gefahrübergang bestehend angenommen würde. Allerdings sei hier ein mangelhafter Zustand in den ersten sechs Monaten nicht aufgetreten. Die beanstandete Geräuschentwicklung mag zwar mehr oder minder starke Durchrostungen aufgewiesen haben, doch sei dies ein normaler verschleiß und damit kein mangelhafter Zustand.

BGH, Urteil vom 09.09.2020 - VIII ZR 150/18 -

Donnerstag, 26. November 2020

Wann besteht Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Kfz-Neupreises nach Verkehrsunfall ?

 

Am Unfalltag betrug der Kilometerstand des PKW des Klägers 571 Kilometer. Die Reparaturkosten beliefen sich nach Gutachten auf brutto € 5.287,43 bei einer Wertminderung von € 1.000,00. Der Kläger verlangte die Kosten für einen Neuwagen mit € 37.181,00 zuzüglich der Sachverständigenkosten für das Gutachten und eine Kostenpauschale mit € 30,00. Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von € 6.180,54 (nämlich Reparaturkosten auf Basis des Gutachtens mit netto € 4.443,22, Sachverständigenkosten, Minderwert und Kostenpauschale, diese mit € 25,00). Die zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH bekräftigte, dass bei einem fabrikneuen Fahrzeug mit eine Laufleistung von nicht mehr als 1.000km bei einer erheblichen Beschädigung des Fahrzeugs (und ausdrücklich auch nur dann) der Eigentümer berechtigt sei, Ersatz für die Beschaffung eines Neufahrzeugs zu verlangen, wenn er ein gleichwertiges Fahrzeug erworben habe. Die Erwägung, ein repariertes Unfallfahrzeug bleibe wertmäßig hinter einem Neuwagen zurück, lasse den Anspruch auf den Ersatz des Minderwertes unberücksichtigt. Es gelte das Wirtschaftlichkeitspostulat und das Bereicherungsverbot und es sei nicht ersichtlich, welche Gründe bei einer Beschädigung eines Neuwagens für deren Aufgabe sprechen könnten.

Vorliegend habe der Kläger keinen Neuwagen erworben. Die durch Erstattung der Kosten eines angeschafften gleichwertigen Neuwagens erfolgte Anhebung der „Opfergrenze“ des Schädigers erfolge allein zum Schutz des besonderen Interesses des Geschädigten am Eigentum und der Nutzung eines Neufahrzeuges. Dies setze aber ein solches Interesse des Geschädigten voraus, welches durch den Kauf eines Neufahrzeugs nachzuweisen sei. Nur dann sei es gerechtfertigt, mehr als die Reparaturkosten und den merkantilen Minderwert zuzuerkennen.

BGH, Urteil vom 29.09.2020 - VI ZR 271/19 -

Montag, 23. November 2020

Rechtfertigt die staatlich angeordnete (coronabedingte) Ladenschließung Nichtzahlung der Miete oder eine Anpassung des Mietvertrages ?

Streitig war der von der beklagten Mieterin nicht gezahlte Mietzins für das aufgrund der Corona-Epidemie nach Verordnung zu schließende angemietete Ladenlokal der Beklagten für April 2020. Die verordnungsbedingte Schließung dauerte vom 18.03. bis 20.04 2020. Von der beklagten wurde geltend gemacht, sie habe bei allen Filialen bundesweit gegenüber 2018 und 2019 im März 2020 einen Umsatzverlust von 54%, im April 2020 von 41% gehabt und die Schließung der Filialen führe zu einer erheblichen Liquiditätslücke, weshalb sie die Miete April nicht zahlen könne. Si e nutze die Kurzarbeit; staatliche Unterstützung erhalte sie nicht. Sie sei daher zur Mietzahlung nicht verpflichtet.

Das Landgericht gab der Zahlungsklage der vermietenden Klägerin statt.

Weder sei die Beklagte nach §$ 536 Abs. 1 S. 1 BGB von einer Mietzahlungsverpflichtung befreit noch nach § 536 Abs. 1 S. 2 BGB zur Herabsetzung der Miete berechtigt. Denn die staatlich angeordnete Maßnahme stelle sich nicht als Mangel der Mietsache nach § 536 BGB dar. Ein Mangel sei die Abweichung der Ist- von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit. Zwar könnten auch öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse einen Mangel bewirken, doch setze dies voraus, dass die Beschränkung der konkreten Mietsache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt habe und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters. Hoheitliche Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen würden, würden in den Risikobereich des Mieters fallen. Der Vermieter sei nach § 535 Abs. 1 S. 2 BGB nur verpflichtet, die Mietsache in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehen Nutzung ermögliche, wobei das Verwendungsrisiko bei dem Mieter verbliebe. Damit aber scheide ein Sachmangel aus, da die hoheitliche Maßnahme dem Schutz der Bevölkerung gedient habe und nicht an die Beschaffenheit der Mietsache als solche anknüpfe.

Eine Befreiung von der Mietzahlungsverpflichtung ergebe sich auch nicht aus § 326 Abs. 1 S. 1 iVm. § 275 Abs. 1 BGB da durch die staatlich verordnete Schließung kein Fall der Unmöglichkeit der Gebrauchsgewährung durch den Vermieter vorläge. Die Schließung stelle sich als Verwendungsrisiko dar, welches alleine bei dem Mieter läge.

Letztlich könnte der Mieter auch nicht auf der Grundlage des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) eine Anpassung des Mietzinses verlangen. Es sei dazu nicht einmal klar, ob die Parteien den Vertrag (abgeschlossen 2015) nicht oder anders abgeschlossen hätten, wenn sie sich damals bewusst gemacht hätten, dass die Verkaufsstätte auf Grund staatlicher Maßnahmen für einen Monat geschlossen würde. Darauf käme es aber auch nicht an, da jedenfalls der Beklagten das Festhalten am bisherigen Vertrag nicht unzumutbar sei.

Die Vertragsanpassung habe zur Voraussetzung, dass dies zur Vermeidung eines ansonsten untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zumutbaren Ergebnisses unabweislich erscheine. Dies sei hier nicht der Fall. Zu berücksichtigen sei bei der Abwägung die vertragliche Risikoverteilung. Die Mieterin trage danach das Verwendungsrisiko. Dieses Risiko könne sie nicht, abgesehen von extremen Ausnahmefällen, über das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ganz oder teilweise abwälzen.

Dass die staatlich erzwungene Schließung hier zu existenziell bedeutsamen Folgen für die Beklagte geführt habe, sei von dieser nicht dargelegt. Es würden lediglich Liquiditätsengpässe benannt, denen hier Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB Rechnung trage, insoweit der Mieter vor Kündigungen geschützt wird, soweit er (in einem bestimmten Zeitraum, nämlich 01.04. – 30.06.2020) seine Miete vorübergehend nicht pünktlich zu leisten im Stande gewesen sei. Zudem habe die Schließung nur einen Monat angedauert und in dieser Zeit habe die beklagten durch Kurzarbeit Kosteneinsparen können und nach Ablauf des Monats ihren Geschäftsbetrieb wieder ohne wesentliche Einschränkungen aufnehmen können. Es sei auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte immer noch einen Liquiditätsengpass habe.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.10.2020 - 2-15 O 23/20 -

Sonntag, 22. November 2020

Verbotene Doppeltätigkeit des Maklers bei Interessenskollision

Die Klägerin war Maklerin und schloss mit dem Beklagten einen Vertrag über die Vermittlung eines Grundstücks. Die Gespräche für die Verkäufer (die Eltern der Klägerin) wurden mit dem Beklagten durch den Ehemann der Klägerin geführt. Im notariellen Kaufvertrag zwischen dem Beklagten und den Verkäufern wurde aufgenommen, dass der Vertrag durch die Klägerin vermittelt wurde und der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin eine Maklerprovision von 3,57% zu zahlen. Der Beklagte vertrat die Auffassung, der Vertrag sei wegen Doppeltätigkeit der Klägerin (d.h. für ihn du den Verkäufer) unwirksam, § 654 BGB.

Das Amtsgericht (AG) verwies darauf, dass eine Doppeltätigkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei, sondern nur dann, wenn dies vereinbart worden wäre oder sich aus den Vertragsumständen ergäbe. Verboten sei danach eine Doppeltätigkeit, wenn dies zu einer vertragswidrigen Interessenskollision führe. Dies sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei ein Zusammentreffen als Vermittlungsmakler für den Einen und als Nachweismakler für den Anderen nicht zwingend eine Interessenskollision begründen müsse.

Zwar würden sich nach Auffassung des Amtsgerichts durch die gleichzeitige Vertretung der Eltern der Klägerin Anhaltspunkte für einen möglichen Interessenskonflikt ergeben. Allerdings genüge die bloße Möglichkeit des Vorliegens nicht für die Annahme eines bereits eingetretenen Interessenskonflikts (wobei auch unklar sei, ob überhaupt eine Doppeltätigkeit hinsichtlich der Vermittlung vorläge, insoweit nicht die Klägerin für ihre Eltern verhandelte, sondern ihr Ehemann). Soweit die Klägerin behauptet, dass ihr Verwandtschaftsverhältnis zu den Verkäufern dem Beklagten bekannt gewesen sei, würde dies auch gegen die verbotene Doppeltätigkeit sprechen, was aber hier im Rahmen des Urkundenverfahrens nicht geklärt werden könne und worauf es auch für dieses Verfahren nicht ankäme. 

Das Amtsgericht sprach der Klägerin (im Urkundenprozess) die Forderung zu.

AG Königswinter, Urteil vom 24.07.2020 - 2 C 60/19 -

Freitag, 20. November 2020

Haftung der Gemeinde wegen Verletzung von Unterhaltungspflichten an Gewässern (Löschteich)

 

In der Nähe des Hauses des Klägers befand sich ein Teich, der als Löschwasserentnahmestelle diente und von der beklagten Gemeinde betrieben wurde. Eine Straßenflächen wurde in den Teich entwässert. Der Teich wurde vor c. 20 Jahren bei Bauarbeiten beschädigt. Als es im Sommer 2014 zu starken Regefällen kam, lief Wasser in den Keller des Hauses des Klägers und führte dort zu Schäden.

Das Landgericht hatte der Klage in einem Grundurteil stattgegeben und die Haftung der Beklagten aus einer Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB iVm. Art. 34 GG hergeleitet. Dem folgte das OLG nicht. Unabhängig davon, ob die beklagte bei dem betrieb des Löschwasserteichs eine Amtspflicht verletzt habe, hätten sie jedenfalls keine drittschützende Amtspflicht gehabt; die öffentliche-rechtliche Verpflichtung zur Gewässerunterhaltung sei gegenüber der Allgemeinheit zu erfüllen. Die Nicht- oder Schlechterfüllung bei der Gewässerunterhaltung  führe daher nicht zur Haftung aus einer Amtspflichtverletzung.

Allerdings sei eine Haftung aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB gegeben. Bei Nicht- oder Schlechterfüllung der Gewässerunterhaltungspflicht greife die Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht (BGHZ 125, 186ff). Eine eventuell konkurrierende Haftung der Gewässeraufsicht würde diese hier (anders als im Falle des § 839 BGB) nicht verdrängen. Der beklagten unterlag die Gewässerunterhaltung nach § 40 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 LWG SH als Eigentümerin des Gewässers.

Mit dem Teich habe die Beklagte eine Gefahrenquelle geschaffen. Es gab zwar einen Zulauf über die Straßenentwässerung, aber keinen funktionierenden Ablauf, wodurch die Gefahrenlage geschaffen worden sei, dass der Teich überläuft und weiteres auf der Straße nachlaufendes Wasser zurückstaue. Die Kontrolle und Reparatur des beschädigten Ablaufrohrs (welches in früheren Jahren bei Bauarbeiten beschädigt wurde) sei der Beklagten zumutbar gewesen.

Die Haftung der Beklagten entfalle auch nicht deswegen, da es sich bei dem regen um ein katastrophales Ereignis gehandelt habe, für welches keine Vorsorge hätte getroffen werden müssen. Zwar hafte die Gemeinde dann nicht, wenn es sich um Schäden handelt, die durch höhere Gewalt verursacht würden, also nicht aufgrund von Fehlern beim Betrieb oder der Errichtung eines Gewässers auftreten, sondern durch nicht zu erwartende katastrophale Regenfälle. Die Berufung der Gemeinde darauf hätte aber zur Voraussetzung, dass diese alle technisch möglichen und mit wirtschaftlich zumutbaren Aufwand möglichen Sicherungsmaßnahmen ergriffen hätte, um eine Überschwemmung der Nachbargrundstücke zu verhindern, oder sich der Schaden auch bei diesen Maßnahmen ereignet hätte. Allerdings hätte hier ein funktionierender Ablauf den Schaden verhindert.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 02.07.2020 - 11 U 191/19 -

Samstag, 14. November 2020

Absturzsicherung des freiliegenden Treppenlaufs auf Baustelle und Haftung nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII

 

Die Klägerin als gesetzliche Unfallversicherung machte gegen die Beklagte Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall des Zeugen G gem. § 110 Abs. 1 SGB VII geltend. Der Zeuge war bei dem Beklagten, der Inhaber eines Malerbetriebs war, beschäftigt und erlitt den Arbeitsunfall, als er in einem Treppenhaus, in dem Treppengeländer nicht vorhanden waren und auch eine Absturzsicherung fehlte, seitlich von der vom Podest ausgesehen dritten Stufe von unten auf das Podest stürzte und dabei verletzte.

Das Landgericht wies die Klage ab; das Oberlandesgericht hatte die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, da nach seiner Auffassung die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 SGB VI nicht gegeben seien. Es ließe sich nicht feststellen, dass der Unfall durch eine Verletzung einer Unfallverhütungsvorschrift (hier: § 12 Abs. 1 Nr. 2 BGV C 22 „Bauarbeiten“, wonach Absturzsicherungen bei mehr als 1m Arbeitshöhe an freiliegenden Treppenläufen und Absätzen vorhanden sein müssten) verursacht wurde, da sich der Unfall, als der Geschädigte auf der dritten Treppenstufe gewesen sei, in einer Höhe von ca. 50cm ereignet habe. Auch eine ganzheitliche Betrachtung würde dies nicht ändern, da dann zwar die Treppe mit einer Absturzsicherung hätte versehen werden müssen, aber, da diese 1m über dem Treppenpodest hätte aufhören können, den Unfall auch nicht notwendig hätte vermeiden können.

Der BGH wies die Revision zurück.

Dabei wies der BGH darauf hin, dass die Haftung für haftungsprivilegierte Schädiger (wie Arbeitgeber) auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt sei. Grobe Fahrlässigkeit setze einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Es müsste dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste. Die objektiv grobe Pflichtverletzung verlange weiterhin auch subjektiv eine unentschuldbare Pflichtverletzung, die das Maß des § 276 Abs 2 BGB überschreite. Es sei von daher nicht möglich, diese grobe Fahrlässigkeit mit Verweis alleine auf Unfallverhütungsvorschriften zu begründen, da auch bei einem Verstoß noch eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten sei. Dabei käme es darauf an, ob sich die Unfallverhütungsvorschrift mit dem Schutz vor tödlichen gefahren befasse und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt habe. Auch sei entscheidend, ob der Schädiger nur unzureichende oder gar keine Sicherungsmaßnahmen ergriffen habe.

Richtig sei die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte den Treppensturz nicht durch einen Verstoß gegen die maßgebliche Unfallverhütungsvorschrift zur Absturzsicherung verursacht habe. Zwar läge ein objektiver Verstoß insoweit vor, als die Treppe völlig ungesichert gewesen sei und die Beklagte das Treppengeländer im Zuge der Bauarbeiten demontierte.  Doch wäre dies nicht kausal geworden, da die konkrete Unfallstelle noch nicht von dem Gebot der Absturzsicherung umfasst gewesen sei.

Nach den Regelungen des § 12 Abs. 1 Nr. 1 UVV bestimme sich die Notwendigkeit einer Absturzsicherung in Abhängigkeit von der an der jeweiligen Absturzkante zu messenden  Absturzhöhe. Wie damit das Berufungsgericht richtig erkannte, bestand hier bei der tatsächlichen Absturzhöhe  keine Absturzsicherung. Entgegen der Annahme der Revision sei auch nicht eine Absturzsicherung im gesamten Treppenbereich notwendig, wenn eine solche an sich vorhanden sein müsste. Das mag nach Auffassung des BGH sinnvoll sein, damit nicht der Nutzer irgendwann „ins Leere greift“. Doch ergäbe sich diese Pflicht nicht aus der UVV.

Selbst würde man allerdings die vollständige Absicherung der Treppe als notwendig ansehen, läge im Falle der Unterlassung wie hier keine grobe Fahrlässigkeit vor. Denn in diesem Fall könne für den unteren Bereich (der für sich alleine nicht sicherungspflichtig wäre) nicht allgemein angenommen werden, dass die Sicherung dem Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren diene und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt habe. Bei einen Sturz von der dritten Stufe sei nicht mit tödlichen Gefahren zu rechnen.

BGH, Urteil vom 21.07.2020 - VI ZR 369/19 -

Mittwoch, 11. November 2020

Voraussetzungen zur gerichtlichen Ermächtigung zur Einberufung der Mitgliederversammlung eines Vereins

 

Der Beschwerdeführer war Mitglied in einem 2012 gegründeten und seit 2013 im Vereinsregister eingetragenen Verein und begehrte unter Verweis auf eine Ermächtigung von mehr als 1/3 der Mitglieder des Vereins, ihn zur Einberufung einer Mitgliederversammlung zwecks Neuwahl des Vorstandes zu ermächtigen, da er näher dargelegte Bedenken zum vorangegangenen Wahlvorgang habe. Der Antrag wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Die eingelegte Beschwerde wurde ebenfalls zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Kammergerichts (KG) waren die Voraussetzungen für eine Ermächtigung nach § 37 Ab. 2 S. 1 BGB nicht gegeben. Nach § 37 Abs. 1 BGB ist eine Mitgliederversammlung einzuberufen, wenn der in der Satzung bestimmte Teil oder, fehlt es an einer Satzungsregelung, der zehnte Teil der Mitgliedre die Einberufung unter Angabe des Zwecks und der Gründe verlangt. Wird dem nicht gefolgt, kann das Gericht die Mitglieder, die das Verlangen gestellt haben, zur Einberufung ermächtigen.

Die Ansicht des Amtsgerichts, es würde kein Bedürfnis für die Versammlung bestehen, hielt das KG für fehlerhaft, da § 37 Abs. 2 S. 1 BGB gerade einem Minderheitenrecht Geltung verschaffen wolle. Damit sei eine Versammlung einzuberufen, unabhängig davon, ob diese notwendig oder zweckmäßig sei.  

Allerdings sei gleichwohl die Beschwerde nicht begründet, da das außergerichtliche verlangen wie auch der gerichtliche Antrag nur vom Beschwerdeführer gestellt worden seien. Beides hätte aber von den Mitgliedern gestellt werden müssen, die das notwendige Quorum darstellen. Das folge aus dem Gleichlauf der Voraussetzungen zur Wirksamkeit eines Einberufungsverlangens an den vorstand und dessen gerichtlicher Durchsetzung.   

Kammergericht, Beschluss vom 05.03.2020  - 22 W 80/19 -

Sonntag, 8. November 2020

Wann kann der Mieter Schadensersatz wegen Verzugs mit der Mangelbeseitigung fordern ?

Es lag ein Wasserschaden in den vom Kläger angemieteten Räumen vor. Dieser wurde, wovon das OLG nach dem Vortrag des Klägers ausging, im Dezember 2020 durch eine innen liegende Dachentwässerung verursacht. Es handele sich damit um denselben Mangel wie bei einem ersten Schaden im Januar 2010.

Nach Auffassung des OLG, welches die Berufung des mietenden Klägers gegen ein klageabweisendes Urteil des Landgerichts aus offensichtlich unbegründet im Beschlussweg zurückwies, kommt eine Schadenshaftung des Vermieters aus § 280 Abs. 1 BGB nur in Betracht, wenn der Schaden nicht auf der Beschaffenheit der Mietsache beruhe. Ansonsten würde § 536a BGB lex specialis sein.

Auch ein Schadensersatzanspruch nach § 536a Abs. 1 Fallgruppe 3 BGB käme nicht in Betracht. Ob ein Verzug des Vermieters mit der Mangelbeseitigung vorliege, richte sich nach § 286 BGB. Voraussetzung seien ein fälliger Anspruch des Mieters und grundsätzlich eine darauf gerichtete Mahnung. Eine Haftung des Vermieters scheide aus, wenn ihn an der Verzögerung kein Verschulden treffe.

Fällig würde der Beseitigungsanspruch bereits mit Entstehung des Mangels. Allerdings bedürfe es zur Geltendmachung der Rechte aus § 536a Abs. 1 BGB der Mängelanzeige durch den Mieter, § 536c Abs. 3 BGB. Um nun nach § 286 BGB einen Verzug zu begründen, bedarf es grundsätzlich der Mahnung. Dass diese hier nach § 286 Ab. 2 BGB entbehrlich sein könnte, konnte das OLG nicht erkennen. Die Mahnung müsse unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass dem Vermieter bei Nichtbeseitigung des mangels Nachteile drohen, ohne dass dabei zwingend eine Fristsetzung erforderlich sei. Die Mangelanzeige ersetze nicht die Mahnung. Wobei allerdings Mangelanzeige und Mahnung miteinander verbunden werden könnten. Ob eine derartige Verbindung vorläge, sei durch Auslegung zu ermitteln. Alleine die Behauptung des Klägers, mit der Anzeige des Mangels gleichzeitig gemahnt zu haben, reiche nicht aus. Mangels Vorlage der Mangelanzeige sah sich das OLG nicht in der Lage, eine Prüfung vorzunehmen. Da auch eine gesonderte Mahnung nicht schlüssig behauptet worden sei, den Kläger aber für den Verzugseintritt die Beweislast trifft, müsse ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 536a Abs. 1 Fallgruppe 3 BGB scheitern.

Darüber hinaus würde ein Verzug auch voraussetzen, dass der Vermieter nicht ohne schuldhaftes Zögern nach Zugang einer Mahnung die Beseitigung des mangels beauftragt hätte. Ein Verzug würde auch in diesem Fall mit der Beseitigung des mangels enden. Würden wiederholt gleichartige Mängel auftreten, könne der Vermieter gehalten sein die Ursachen zu beseitige. Sei allerdings nach Beseitigung der Symptome nicht mit einem erneuten Wiederauftreten zu rechnen, könne sich der Vermieter darauf beschränken Da nichts dazu vorgetragen wurde, dass es bereits vor Januar 2010 Durchfeuchtungen der Decke kam (obgleich der Kläger die Räume seit 1994 nutze), sei nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte nach Beauftragung einer Fachfirma im Januar 2010 mit einer erneuten Durchfeuchtung gerechnet habe. Damit ergäbe sich aus dieser Erwägung auch kein Schadensersatzanspruch nach § 536a Abs. 1 3. Fallgruppe BGB.

OLG Rostock, Beschluss vom 03.08.2020 - 3 U 91/18 - 

Donnerstag, 5. November 2020

(Verweigerte) Bauteilöffnung – Weisungsrecht nach § 404a ZPO, Ermessen und Beweislast

 

Die Klägerin machte Versicherungsleistungen gegen die beklagte Wohngebäudeversicherung nach einem Gebäudeschaden nach einem Hochwasserschaden geltend. Sie behauptete, durch Wassereintritt sei das Fundament zerstört worden. Die diesbezügliche Klage wurde nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen.  Ihre Berufung wurde ebenso wie die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückgewiesen. Dabei verwies das Berufungsgericht darauf, dass sich bei einer Begehung des Hauses keine Anhaltspunkte für eine Beschädigung des Fundaments ergeben hätten und die Klägerin die von der Sachverständigen für erforderlich angesehene Bauteilöffnung abgelehnt habe.

Das Berufungsgericht hatte danach die Klägerin, nach Auffassung des BGH zu Recht, als beweisfällig angesehen. Es sei nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht davon abgesehen habe, die Sachverständige zur Vornahme der Bauteilöffnung anzuweisen.

Der Klägerin oblag für die anspruchsbegründenden Tatsachen und damit die behauptete Zerstörung des versicherten Gebäudes die Beweislast. Dieser Beweis sei nicht geführt worden. Aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten habe sich für die Behauptung keine Anhaltspunkte gezeigt. Diese vom, Landgericht festgestellte Tatsache sei zutreffend vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden, da klägerseits keine begründeten Zweifel gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen durch das Langgericht geltend gemacht worden seien.

In diesem Zusammenhang sei das Landgericht ebenso wenig wie das Berufungsgericht  verpflichtet gewesen, im Rahmen eines nach § 404a Abs. 1  und Abs. 4 ZPO eingeräumten Ermessens dem Sachverständigen Weisungen zu erteilen, hier auf Vornahme der von der Klägerin nicht gewollten Bauteilöffnung zur weitergehenden Prüfung. § 404a stelle letztlich klar, dass der Gutachter Gehilfe des Gerichts ist und ihm vom Gericht vorgeschrieben werden könne, was rechtlich bedeutsam sei. Das Weisungsrecht umfasse inhaltliche Vorgaben, die der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde zu legen habe, wie auch zur Beantwortung der Beweisfragen erforderlichen Maßnahmen und Weisungen zu Art und Weise des bei der Untersuchung des Beweisgegenstandes gebotenen Vorgehens. Allerdings sei streitig, ob dazu auch die Weisung zu Bauteilöffnungen gehöre, was aber hier offen bleiben könne. Auch bei Bejahung sei dies aber nach den Umständen des Einzelfalls in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Die Ablehnung einer Weisung durch das Berufungsgericht sei vorliegend jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft gewesen. Es habe erkannt, dass zwischen den Interessen der beweispflichtigen Partei und den mit der Durchführung des Gutachtenauftrages beauftragten Sachverständigen unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit bezogen auf den konkreten Sachverhalt abgewogen werden müsse. Dabei dürfe das Gericht das durch eine Bauteilöffnung des Hausfundaments verbundenen besonderen Gefahren und daraus resultierenden Haftungsrisiken des Sachverständigen ausschlaggebendes Gewicht beimessen. Rechtsfehlerfrei sei dabei auch vom Berufungsgericht berücksichtigt worden, dass die Klägerin dadurch nicht in Beweisnot gerät, da sie die Bauteilöffnung für die Untersuchung durch den Sachverständigen auch selbst hätte vornehmen können.

Schließlich begegne aber die Anwendung der Beweislastregel hier auch deshalb keinen Bedenken, da die Klägerin nicht zu einer Öffnung des Fundaments bereit war. Dass aber die Beweisfrage auf anderen Weg auch geklärt hätte werden können, sei nicht ersichtlich.

BGH, Urteil vom 23.09.2020 - IV ZR 88/19 -

Sonntag, 1. November 2020

Haftungsverteilung bei Einfahren auf Vorfahrtsstraße und Spurwechsel des Vorfahrtsberechtigten

 

Die Voraussetzung für die Annahme einer Vorfahrtsverletzung sei nach Ansicht des OLG München, dass als gesichert feststünde, dass sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren Kreuzungsbereich ereignet hat. Fahre ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug (hier der Klägerin) außerhalb des Einmündungsbereichs auf ein aus der untergeordneten Straße eingebogenes anderes Fahrzeug auf, welches noch nicht die auf der vorfahrtsberechtigten Straße übliche Geschwindigkeit erreicht habe, könne aber aus dem typischen Geschehensablauf abgeleitet werden, dass der Unfall auf eine Vorfahrtverletzung des Einbiegenden beruhe (OLG München, Urteil vom 21.04.1989 - 10 U 3383/88 -).

Vorliegend war es allerdings zwischen den Beteiligten nicht zu einem Auffahren, sondern zu einem Seitenaufprall gekommen. Das Landgericht hatte hier angenommen, es läge noch eine Vorfahrverletzung vor, wenn der Vorfahrtsberechtigte auf der Vorfahrtsstraße bei mehreren Richtungsfahrspuren einen Spurwechsel vornehme, auch wenn sich das aus der untergeordneten Straße aufgefahrene Fahrzeug schon vollständig fahrbahnparallel eingeordnet habe und sich zudem der Vorfall in einem Bereich von 30m nach der Kreuzung befinde. Dem folgt das OLG nicht, welches hier auf den Einzelfall abstellen will. Es läge kein typischer Geschehensablauf vor, weshalb der Anscheinsbeweis hier nicht zugunsten der Klägerin (der auf der vorfahrtsberechtigten Straße fuhr) streite.

Der auf die vorfahrtsberechtigte Straße auf deren rechten Fahrstreifen Einbiegende  würde die Vorfahrt eines auf dem linken Fahrstreifen Herankommenden nicht ohne weiteres verletzen (BGH, Urteil vom 15.06.1982 - VI ZR 119/81 -). Der Wartepflichtige sei berechtigt, eine Lücke auszunutzen, wenn kein anderer Berechtigter rechtzeitig einen Fahrspurwechsel nach rechts anzeigen würde.  Es käme darauf an, ob der Wartepflichtige die Absicht des Fahrspurwechsels hätte erkennen können und müssen.

Da vorliegend diese Voraussetzungen alle ungeklärt seien,  da der Unfallort als solcher nicht feststehen würde, auch nicht wann und in welcher Entfernung die Klägerin begann herüberzuziehen bzw. der Beklagte begann einzufahren, ferner ob der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, sei von einer Haftungsquote von 50 : 50 auszugehen.

OLG München, Urteil vom 22.07.2020 - 10 U 4010/19 -

Freitag, 30. Oktober 2020

Modernisierung vor Neuvermietung und Bestimmung der Miethöhe, §§ 556d, 556f S. 2 BGB

 

Die Beklagte wurde verurteilt, teilweise Miete an die Mieterin (geltend gemacht durch die Klägerin als Zessionarin) zurückzuzahlen, da die Miete insoweit über die zulässige Miete gem. § 556d BGB hinausgegangen sei. § 556d BGB lautet:

(1) Wird ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen, der in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt, so darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Absatz 2) höchstens um 10 Prozent übersteigen.

(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung für die Dauer von jeweils höchstens fünf Jahren zu bestimmen. Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten liegen vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wen

1.die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt,

2.die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt,

3.die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder

4.geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.

Eine Rechtsverordnung nach Satz 1 muss spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2025 außer Kraft treten. Sie muss begründet werden. Aus der Begründung muss sich ergeben, auf Grund welcher Tatsachen ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Einzelfall vorliegt. Ferner muss sich aus der Begründung ergeben, welche Maßnahmen die Landesregierung in dem nach Satz 1 durch die Rechtsverordnung jeweils bestimmten Gebiet und Zeitraum ergreifen wird, um Abhilfe zu schaffen. 

Allerdings ist § 556d BGB nach § 556f S. 2 BGB nicht auf Wohnungen anwendbar ist, die erstmals nach umfassender Sanierung vermietet werden. Diese Voraussetzung dieser Ausnahmeregelung soll allerdings hier nicht vorgelegen haben.

Umfassend sei eine Modernisierung dann, wenn sie einen wesentlichen Bauaufwand erfordere und einen solchen Umfang aufweise, der eine Gleichstellung mit Neubauten gerechtfertigt erscheinen ließe. Für Neubauten sei nach § 556f S. 1 BGB nämlich ebenfalls § 556d BGB nicht anwendbar. „Umfassend“ beträfe nicht nur den Investitionsaufwand, sondern auch die qualitativen Auswirkungen auf die Wohnung als solche, weshalb auch zu berücksichtigen sei, ob die Wohnung in mehreren wesentlichen Bereichen (insbesondere Sanität, Heizung, Fenster, Fußboden, Elektroinstallation und energetische Eigenschaften) eine Verbesserung erfahren habe.

Vorliegend seien die Fußböden erneuert worden, Küche und Bad verlegt worden (inkl. Verlegung und Erneuerung der Anschlüsse und der Elektroinstallation), nicht aber Arbeiten in Bereichen Heizung, Fenster und energetische Maßnahmen (Dämmung) vorgenommen worden. Damit sei der Umfang der Arbeiten nicht einem Neubau gleichzustellen. Die Erhöhung der Miete über das in § 556d BGB vorgesehene Maß war damit unzulässig und begründete den Rückforderungsanspruch.  

BGH, Hinweisbeschluss vom 27.05.2020 - VIII ZR 73/19 -

Sonntag, 25. Oktober 2020

Kaskoversichert bei Schaden durch Überfahren einer Fahrbahnschwelle ?

 

Der Kläger überfuhr mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeug nach seinen Angaben eine Fahrbahnschwelle mit einer unterhalb der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit regulär unterhalb der erlaubten Geschwindigkeit gefahrenen, die er infolge von Schnee und Dunkelheit nicht gesehen habe. Es entstand ein Totalschaden an seinem Fahrzeug. Seine Klage gegen den Kaskoversicherer wurde abgewiesen, da der Schadensfall keinen Versicherungsschutz begründe.

Versichert seien durch einen Unfall verursachte Schäden. Dafür sei eine Einwirkung von außen notwendig. Die mechanische Gewalt auf das Fahrzeug dürfe also nicht durch ein Teil des Fahrzeugs selbst verursacht sein. Vorliegend sei von einem Betriebsschaden und damit einem nicht versicherten Schadensfall auszugehen. Er entstünde durch eine normale Abnutzung, durch Material oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder Teilen davon.

Das Überfahren der Fahrbahnschwelle stelle sich als ein Betriebsschaden dar. Es habe sich ein Risiko ausgewirkt, dem das Fahrzeug üblicherweise im Rahmen seiner vorgesehenen konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt sei. Ein Pkw, wie jener des Klägers sei bei dem gewöhnlichen Fahrbetrieb dem Risiko ausgesetzt, durch das Überfahren von absichtlich angebrachten Fahrbahnerhöhungen in Form von Fahrbahnschwellen einen Schaden zu erleiden. Diese Schäden würden nicht einem plötzlichen Ereignis von außen entspringen. Bei angepasster Geschwindigkeit würde es auch zu keinem Schaden kommen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer würde daher bei einer Schädigung des Fahrzeugs infolge Überfahrens einer Fahrbahnschwelle dies nicht als Unfall, sondern als Betriebsschaden ansehen.

OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2020 - 7 U 57/20 -

Freitag, 23. Oktober 2020

Wettbewerbsverbot des Geschäftsführers auch nach Insolvenzeröffnung bei der GmbH ?

 

Das OLG musste die Frage klären, ob der Geschäftsführer einer GmbH noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH dem gesetzlichen Wettbewerbsverbot unterliegt.

Grundsätzlich würde das sich analog § 88 Abs. 1 S. 1 AktG aus der Organstellung des Geschäftsführers der GmbH folgende Wettbewerbsverbot nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft erlöschen, sondern erst mit der Beendigung seiner Organstellung.

Die Insolvenzeröffnung beendet die Organstellung noch nicht. Im Hinblick auf deren Fortbestand würde daher auch das Wettbewerbsverbot weiter gelten. Insbesondere sei die Annahme fehlerhaft, aus § 80 Abs. 1 InsO folge, dass nur der Insolvenzverwalter für die Gesellschaft tätig werden dürfe. Zwar mögen die Möglichkeiten des Geschäftsführers ab Insolvenzeröffnung (stark) eingeschränkt sein, sie würden aber nicht in Gänze entfallen. Im Übrigen betreffe auch § 80 Abs. 1 InsO nicht die Rechtsstellung des Geschäftsführers bzw. des Gesellschafstorgans, sondern diejenige der Gesellschaft. Das Innenverhältnis der Gesellschaft zu ihren Organen sie nicht Gegenstand des § 80 Abs. 1 InsO. Da sich die Norm an natürliche und juristische Personen oder (teil-) rechtsfähige Personenvereinigungen wende, könne es nur um das Außenverhältnis gehen. Von daher würden die organschaftlichen Pflichten des Geschäftsführers auch durch § 80 Abs. 1 InsO nicht berührt.

Weiterhin sie zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hinaus auch im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 1 InsO (auch am Insolvenzverwalter vorbei) Verträge abschließen könne.  Denn die Überleitung der Verfügungsmacht auf den Insolvenzverwalter bewirke nur, dass ein durch den Schuldner bzw. dessen Organ abgeschlossenes Geschäft keinen Anspruch des Dritten gegen die Masse begründen kann. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es höchstpersönliche Rechtspositionen auch einer juristischen Person wie der GmbH gäbe, die nicht durch den Verwalter, sondern weiter in den Zuständigkeitsbereich des Organs fallen würden (BVerfG, Beschluss vom 22.03.2013 - 1 BvR 791/12 -).

OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2020 - 4 W 4/20 -

Sonntag, 18. Oktober 2020

Ablehnung aller Handelsrichter eines Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit

Es kommt sicher nicht häufig vor, dass alle Richter eines Gerichts abgelehnt wurden. Hier betraf es die Handelsrichter eines Landgerichts. Dieses hatte eine Kammer für Handelssachen (KfH), bei der die Klägerin Klage auf Zahlung von € 238.128,70 einreichte. Der Vorsitzende Richter der Kammer zeigte an, dass der Geschäftsführer der Klägerin Handelsrichter beim Landgericht sei. Die Beklagte lehnte den Vorsitzenden (erfolgreich) wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit einem weiteren  Antrag lehnte die Beklagte die (nicht namentlich benannten) der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Stellevertretende Vorsitzende der Kammer wies darauf hin, dass das Landgericht beschlussunfähig sei, da sämtliche Handelsrichter der einzigen Kammer für Handelssachen abgelehnt worden seien und eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag unter Beteiligung von Handelsrichtern erfolgen müsse (also vorliegend nicht eine andere Kammer für Handelssachen geschäftsplanmäßig die Entscheidung treffen kann). Im Hinblick darauf regte die Beklagte an, dass gegebenenfalls (also bei erfolgreicher Ablehnung) auch über das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO entschieden werde.

Das OLG entscheid, dass es nach § 45 Abs. 3 ZPO zuständig sei. Zwar sei über einen Befangenheitsantrag durch das Gericht zu entscheiden, dem der abgelehnte Richter angehöre. Wenn allerdings wie hier bei Ablehnung aller Handelsrichter nur der Vorsitzende (vorliegend gem. Geschäftsverteilungsplan der Stellvertretende Vorsitzend er der Kammer) ohne Handelsrichter entscheiden müsse und nicht, wie erforderlich, durch den ganzen Spruchkörper entschieden werden kann, sei das nächsthöhere Gericht (hier das OLG) zur Entscheidung berufen. Ebenfalls sei in diesem Fall das OLG nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorzunehmen.

Das Ablehnungsgesuch sah das OLG als begründet an. Dem stünde nicht entgegen, dass die abgelehnten Richter nicht namentlich benannt worden seien. Nach § 44 Abs. 1 ZPO reiche deren zweifelsfreie Bestimmbarkeit aus, was dann der Fall sei, wenn wie hier  sämtliche Richter eines Spruchkörpers bei identischem Ablehnungsgrund abgelehnt würden (BVerwG, Beschluss vom 29.01.2014 – 7 C 13/13 -).

In der Sache hielt das OLG den Befangenheitsantrag gegen alle Handelsrichter der Kammer nach § 42 Abs. 1 und 2 ZPO für begründet. Es sei eine fehlende Unparteilichkeit der Handelsrichter aus Sicht des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigter Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters bestünde. Da es sich bei dem Geschäftsführer der Klägerin um einen der Kammer zugehörigen Handelsrichter handele, führe dies dazu, dass eine persönliche Beziehung bestünde, die bei einer besonnenen und vernünftigen Prozesspartei zu berechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit auch der übrigen Handelsrichter führen könne. Die enge Zusammenarbeit von Richtern in einem Kollegialgericht führe regelmäßig zu einer persönlichen Beziehung zwischen ihnen, die die Unbefangenheit in Frage stelle, wenn einer von ihnen selbst Partei des Rechtstreites sei. Der abweichenden Auffassung des OLG Schleswig (Beschluss vom 01.12.1987 - 1 W 63/87 -) sei nicht zu folgen, da die richterliche Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Spruchkörper eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordere  und auch über den jeweils aktuellen Rechtsstreit, der gemeinsam bearbeitet würde, hinaus zwangsläufig zu persönlichen Kontakten und Eindrücken führe, die sich auf die Einstellung zum prozessführenden Handelsrichter auswirken könnten.

Da damit alle Handelsrichter der einzigen KfH bei dem Landgericht an der weiteren Bearbeitung des Rechtsstreits gehindert seien, sei nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO das für die Fortsetzung des Verfahrens zuständige Gericht zu bestimmen. Das OLG bestimmte das LG Potsdam, da es örtlich am nächsten zu dem bisherigen Gericht liegt.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.03.2020 - 1 AR 57/19 -