Sonntag, 6. Februar 2022

Neuer Vortrag zur Art der kausalen ärztlichen Fehlbehandlung im Berufungsverfahren mit Bezug auf medizinisches Privatgutachten

Der Kläger klagte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Arzt wegen angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung mit der Folge einer Beinlähmung ein. Er behauptete in 1. Instanz vor dem Landgericht Fehler des Beklagten im Zusammenhang mit einer Ansteckung VZV, einem Herpes-Virus. Das Landgericht wies die Klage ab. Nunmehr holte der Kläger ein medizinisches Privatgutachten ein und stütze seine Berufung gegen das Urteil unter Bezugnahme auf dieses Gutachten darauf, er habe an einer Neuro- bzw. Lymeberreliose gelitten, was der Beklagte übersehen habe. Dies hätte der Beklagte erkenn können und müssen und sei behandlungsfehlerhaft nicht erkannt worden sowie die Diagnosen von ihm seien falsch gewesen. Er habe neben der (negativen) serologischen Befundung zu einer Borreliose weitere Befunde erheben müssen, was er pflichtwidrig unterlassen habe, bei deren Vornahme aber Borreliose erkannt worden wäre. In Ansehung der richtigen Diagnose sei das verordnete hochdosierte Cortison kontraindiziert gewesen und ursächlich für die vom Kläger geklagte Beinlähmung. Zudem sei er über die Risiken der Cortisonbehandlung nicht aufgeklärt worden.

Zunächst musste sich das OLG der Frage widmen, ob der Kläger mit seinem neuen Vortrag zugelassen werden konnte, bevor es - bei Bejahung – klären musste, ob sich daraus ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten herleiten lässt.

Das OLG hat auf sich beruhen lassen, ob – wie klägerseits geltend gemacht – in dem Vortrag im Berufungsverfahren, er habe im Behandlungszeitraum an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten (gestützt auf das zwischenzeitlich eingeholte Privatgutachten) lediglich eine Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages lag oder ob es sich um neuen Sachvortrag iSv. § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Nach Auffassung des OLG bedurfte es dazu keiner Entscheidung, da bei Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages dieser ohnehin zuzulassen wäre, aber auch dann, wenn man ihn als „neues Vorbringen“ ansehen würde, dies einer Zulassung nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegenstehen würde. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO ist neuer Vortrag zuzulassen, wenn das Unterlassen des Vortrages in er 1. Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht. Eine Nachlässigkeit des Klägers verneinte das OLG.

Jede Partei sei schon im ersten Rechtszug gehalten, die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt seien oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande gewesen seien. Der gebotene Sorgfaltsmaßstab sei einfache Fahrlässigkeit. Allerdings dürften in einem Arzthaftungsprozess an eine Substantiierungsverpflichtung des Patienten nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, was auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten gelte. Deshalb seien die Parteien nicht gehalten, bereits in 1. Instanz ihre Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf einen eingeholten sachverständigen Rat zu stützen oder selbst (oder durch Dritte) in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erheben (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 -). Dem würde nicht entgegenstehen, dass der Privatgutachter des Klägers kein Facharzt für Neurologie sei. Da selbst eigene Recherchen des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten in medizinischer Fachliteratur ausreichen würden, um den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zu genügen (BGH aaO.), dann müsse dies erst recht für Vorbringen gelten, welches sich auf ein medizinisches Gutachten gelten, auch wenn der privat beauftragte ärztliche Gutachter nicht dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers maßgeblichen Fachgebiet angehöre.

Damit brachte das OLG deutlich zum Ausdruck, dass das erstinstanzliche Abstellen auf bestimmte ärztliche Fehler nicht ein Abstellen im Berufungsverfahren auf anderweitige Fehler hindert, da der Kläger im Arzthaftungsprozess nicht veranlasst ist, sich bereits vorab ein eigenes medizinisches Gutachten zu besorgen bzw. sich in die medizinische Fachliteratur einzulesen; erfolge dies erst im Zusammenhang mit der von ihm gegen ein klageabweisendes Urteil eingelegten Berufung, liegt darin keine diesen neuen Sachvortrag ausschließende Nachlässigkeit iSv. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.

Allerdings wies das OLG die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Nach Beweisaufnahme durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens kam es zum Ergebnis, dass mir hoher Wahrscheinlichkeit Borreliose zum Zeitpunkt der streitbefangenen Behandlung noch nicht vorlag. Es habe auch nicht darüber befinden müssen, ob der Beklagte im Zusammenhang mit der Cortisonbehandlung eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt habe, da diese jedenfalls nicht zu einem Schaden geführt habe; die gerichtlich bestellten Sachverständigen hätten darauf hingewiesen, dass Schäden durch eine Cortisonbehandlung in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert seien.

OLG Dresden, Urteil vom 14.09.2021 - 4 U 1771/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 24. Juli 2020 - Az.: 8 O 2550/17 - wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 200.099,62 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche aufgrund einer von ihm behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung geltend.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Dresden vom 24.07.2020 Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 24.07.2020 die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Kläger verfolgt mit der von ihm form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung sein erstinstanzliches Begehren weiter, beziffert den materiellen Schadensersatzanspruch nunmehr bis einschließlich 31.12.2020 und beschränkt zugleich die von ihm erhobenen Vorwürfe auf die Behandlung im ... Klinikum ... ab dem 05.02.2015. Er behauptet unter Bezug auf ein nach Erlass des angefochtenen Urteils eingeholtes Privatgutachten, er habe bereits 2015 an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten, was die Ärzte der Beklagten behandlungsfehlerhaft nicht erkannt hätten. Der von ihnen erhobene negative serologische Befund habe eine solche Borreliose nicht ausgeschlossen. Die Verdachtsdiagnosen einer Myelitis, einer Neuromyelitis Optica und einer Multiplen Sklerose (MS) seien dagegen falsch gewesen. Die erhobenen Befunde seien mit einer Multiplen Sklerose (MS) nicht vereinbar gewesen. Vorzuwerfen sei den ärztlichen Behandlern der Beklagten zudem eine unzureichende Befunderhebung. So hätten sie zwingend weitere Befunde erheben müssen, um eine Neuroborreliose sicher auszuschließen, hierzu hätte die Liquordiagnostik durch Lumbalpunktion wiederholt und eine PCR- und eine CXCL13-Testung durchgeführt werden müssen. Die hierbei erhobenen Befunde hätten eine Borreliose ergeben und eine gezielte Antibiose nach sich gezogen, die die Erkrankung des Klägers hätte (nahezu) vollständig ausheilen lassen. Stattdessen sei ihm hochdosiertes Cortison ohne hinreichende Befunderhebung verordnet worden; dies sei kontraindiziert gewesen und stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Die heutigen Beeinträchtigungen des Klägers infolge der Neuroborreliose seien auf die Unterdrückung des Immunsystems zurückzuführen. Die Fehlbehandlung sei daher kausal für den eingetretenen Dauerschaden, insbesondere die Beinlähmung und die radikuläre Schmerzsymptomatik. Schließlich sei der Kläger aber auch nicht über die Risiken einer hochdosierten Cortisonbehandlung aufgeklärt worden. Eine Aufklärung sei aber zwingend notwendig gewesen, da der Cortisongabe keine gesicherte Diagnose zugrunde gelegen habe. Eine rein prophylaktische Cortisonbehandlung sei aufgrund der schädigenden Wirkung des hochdosierten Cortisons aufklärungspflichtig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Dresden vom 24.07.2020 aufzuheben und

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Festsetzung der Höhe nach in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 60.000,00 €, nebst Zinsen aus dem zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 59.432,48 € (materieller Schaden Vergangenheit bis 31.12.2020) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, beginnend ab 01.01.2021 an den Kläger eine monatliche Rate hinsichtlich des zukünftigen Haushaltsführungsschadens in Höhe von 730,17 € zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung resultierenden weiteren materiellen Schäden für Vergangenheit und Zukunft, sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder bereits übergegangen sind und

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger wegen der nach dem RVG nicht konsumierten außergerichtlichen Kosten des Klägers bei den Prozessbevollmächtigten in Höhe von 2.891,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt die Auffassung, die erstmals im Berufungsverfahren erhobene Behauptung, der Kläger habe statt an einer Herpes-Zoster-Infektion an einer (Lyme-)Neuroborreliose gelitten, sei zum einen medizinisch nicht nachvollziehbar und zum anderen auch als verspätet zurückzuweisen. Ohnehin sei nicht nachvollziehbar, wie der fachfremde Privatgutachter zu der Auffassung gelange, dass bei dem Kläger „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ eine Neuroborreliose vorgelegen habe. Im Übrigen habe der gerichtliche Sachverständige eindeutig ausgeführt, dass eine weitere Diagnostik zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung nicht geboten gewesen sei. Der gerichtliche Sachverständige habe dabei berücksichtigt, dass der Kläger auf Borreliose getestet worden sei, die Ergebnisse darauf aber keinen Hinweis gegeben hätten. Weitere Befunderhebungen seien danach nicht mehr geboten gewesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. T...... B....... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.08.2021 verwiesen. Darüber hinaus wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten keine Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Behandlungsgeschehen zu, §§ 630 a ff, 823 BGB.

1.

Die Behauptung des Klägers, den behandelnden Ärzten der Beklagten sei im Zusammenhang mit der unterbliebenen Diagnose einer Neuro- bzw. Lymeborreliose ein schuldhafter Behandlungsfehler vorzuwerfen, ist im Berufungsverfahren zu berücksichtigen.

Dabei kann dahinstehen, ob das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren, er habe im streitgegenständlichen Behandlungszeitraum an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten, dass er auf ein nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens eingeholtes Privatgutachten stützt, nur eine Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrags darstellt oder neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 08.06.2004, Az.: VI ZR 199/03 - juris). Denn selbst wenn es sich um „neues“ Vorbringen handelte, wäre dem Kläger keine Nachlässigkeit i.S.d. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vorzuwerfen. Zwar ist jede Partei gehalten, schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande ist. Sorgfaltsmaßstab ist dabei jedoch einfache Fahrlässigkeit (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.). In einem Arzthaftungsprozess dürfen an die Substantiierungspflicht des Patienten grundsätzlich nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, was auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten gilt. Die Partei ist daher nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz ihre Einwendungen gegen das Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf sachverständigen Rat zu stützen oder selbst bzw. durch Dritte in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu formulieren (vgl. BGH, a.a.O.). Unterbleibt dies, kann hierauf kein Fahrlässigkeitsvorwurf gestützt werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Privatgutachter, auf dessen Ausführungen sich der Kläger bezieht, kein Facharzt für Neurologie ist. Denn wenn selbst eigene Recherchen des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten in medizinischer Fachliteratur ausreichen, um den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu genügen (vgl. BGHZ 159, 245 ff.), dann muss dies erst recht für Vorbringen gelten, das sich auf ein medizinisches Gutachten bezieht, auch wenn der ärztliche Gutachter nicht dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers maßgeblichen Fachgebiet angehört.

2.

Im Anschluss an die ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat scheidet jedoch auch insofern ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte der Beklagten sowohl in Form eines Befunderhebungs- als auch eines Diagnosefehlers aus.

a)

Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen ergreift (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2016, Az.: VI ZR 146/14 - juris -, m.w.N.). Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat - ist er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären - dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung (vgl. BGH, a.a.O.).

b)

Unter Berücksichtigung dessen ist den behandelnden Ärzten nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. T...... B...... weder ein Befunderhebungs- noch ein Diagnosefehler vorzuwerfen, zumal dem Kläger bereits vor dem Hintergrund der Darlegungen des Gerichtssachverständigen nicht der Nachweis gelungen ist, in dem streitgegenständlichen Behandlungszeitraum an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten zu haben. Nach den überzeugenden Darlegungen des Gerichtssachverständigen bestand für die Ärzte der Beklagten keine Notwendigkeit, das Vorliegen einer Neuro- bzw. Lymeborreliose durch weitere Befunde zu überprüfen. Selbst der Privatsachverständige Dr. B........... geht in seinem Gutachten vom 15.06.2021 nicht davon aus, dass es veranlasst gewesen wäre, die Liquoruntersuchung vom 05.02.2015, die keinen Hinweis auf ein solches Krankheitsbild ergeben hatte, zu wiederholen.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat sich in seinem erstinstanzlichen Gutachten vom 14.11.2019 (Bl. 83 ff. d. A.) zwar im Schwerpunkt mit der erstinstanzlich allein gegenständlichen Frage einer Infektion oder Reaktivierung von VZV (Varicella-Zoster-Virus) befasst und diesbezüglich die Befunderhebung des behandelnden Arztes als ausreichend angesehen; die darauf beruhenden Feststellungen des Landgerichts werden vom Kläger mit der Berufung auch nicht angegriffen.

Darüber hinaus hat er jedoch bereits in der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2020 (Bl. 119 ff. d. A.) ausgeführt, dass der Kläger daneben auch auf Borrelien untersucht worden sei, weil diese für die „Beschwerden, über die der Kläger berichtete, ursächlich sein können“, die durchgeführten Untersuchungen hätten dafür aber keinen Hinweis ergeben (Bl. 121 d. A.). In der mündlichen Verhandlung vom 03.08.2021 hat der Sachverständige diese Einschätzung unter eingehender Auseinandersetzung mit den vom Kläger eingeholten Privatgutachten des PD Dr. Berghoff vom 25.11.2020 und 15.06.2021 umfangreich ergänzt und ist zu dem Ergebnis gelangt, es sei in der Gesamtschau „sehr unwahrscheinlich“, dass bei dem Kläger im Jahr 2015 eine Neuro- bzw. Lymeborreliose vorgelegen habe. In diesem Zusammenhang hat er sich detailliert und mit nachvollziehbarer Begründung mit den Ergebnissen der zum damaligen Zeitpunkt erfolgten Liquor- und Blutuntersuchung auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, die fehlende Erhöhung der Zellzahl im Liquor sowie der unauffällige borrelienspezifische Antikörperindex im Blut ließen in der Zusammenschau den Rückschluss zu, dass im damaligen Zeitpunkt der Behandlung eine Neuroborreliose „praktisch ausgeschlossen“ gewesen sei und daher für eine „experimentelle“ Antibiose keinerlei Veranlassung bestanden habe. Des Weiteren hat sich der Sachverständige in diesem Zusammenhang eingehend mit dem Einwand des Privatsachverständigen befasst, eine Lymeborreliose könne allein aufgrund eines negativen serologischen Befundes nicht ausgeschlossen werden. Zwar könne es - so der Gerichtssachverständige - durchaus zu einer „Spätmanifestation“ einer Borreliose kommen, die auch eine Myelitis zur Folge haben könne. Im vorliegenden Fall sei aber zu beachten, dass das MRT aufgrund der dort dokumentierten frischen Entzündungszeichen für eine akute Entzündung gesprochen habe; Veranlassung, eine Spätmanifestation einer Neuroborreliose in Betracht zu ziehen, hätten die Ärzte der Beklagten in der Gesamtschau daher nicht haben müssen. Zwar sei auch nicht ausgeschlossen, dass sich im Fall der „Spätmanifestation“ einer Borreliose ein derartiges Bild ergebe, dann wäre es aber ungewöhnlich, wenn zugleich - wie hier jedoch der Fall - keine Antikörper nachweisbar wären. Aber selbst wenn man schließlich berücksichtige, dass dies in wenigen (“handvoll“) Fällen entsprechend dokumentiert sei, wäre eine Neuroborreliose mit weiterer Diagnostik nur schwer zu entdecken (gewesen), zumal die PCR-Methode lediglich von mäßiger Sensitivität sowie Spezifität sei und eine empirische Antibiose ebenfalls nicht zielgenau wirke. Darüber hinaus hat der Sachverständige Prof. T...... B...... überzeugend dargestellt, dass die vom Privatsachverständigen in Bezug genommenen „supratentoriellen linksseitigen balkennahen Herdstörungen“ sowohl bei der Neuroborreliose als auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen aufträten und letztlich nur darauf hinwiesen, dass ein entzündlicher Prozess ablaufe bzw. abgelaufen sei; dagegen wären sie nicht dafür geeignet, konkrete Erkrankungen, mithin auch eine Neuroborreliose, zu belegen. Schließlich hat der Gerichtssachverständige aber auch mit nachvollziehbarer Begründung unter Hinweis auf den Entlassungsbericht der behandelnden Ärzte der Beklagten bestätigt, dass die zum damaligen Behandlungszeitraum vorgenommene differenzialdiagnostische Beurteilung, die zu den Verdachtsdiagnosen einer Neuromyelitis Optica bzw. einer Multiplen Sklerose geführt hatte, behandlungsfehlerfrei war, auch wenn die vorliegenden Befunde bezogen auf die vorgenannten Erkrankungen im Behandlungszeitraum eine abschließende Diagnose noch nicht erlaubt hätten. Die abweichende Einschätzung des Privatsachverständigen Dr. B........... beruht ersichtlich darauf, dass dieser nicht berücksichtigt hat, dass im hier streitgegenständlichen Zeitraum über eine solche Verdachtsdiagnose hinaus eine diagnostische Gewissheit noch nicht möglich war. Schließlich tritt der Gerichtssachverständige aber auch mit überzeugenden Argumenten der Annahme des Privatsachverständigen, dass bereits 2015 ein durch eine Neuroborreliose verursachter Hirninfarkt beim Kläger vorgelegen habe, den die Ärzte der Beklagten verkannt hätten, entgegen. Hiergegen spreche, dass bei den diesbezüglich in der Literatur dokumentierten Fällen - anders als beim Kläger - entweder eine Zellzahlerhöhung oder ein positiver Antikörperindex vorgelegen habe. Da Schädigungsort das Rückenmark gewesen sei, hätte es sich dann zudem um einen Rückenmarksschlaganfall gehandelt haben müssen, der medizinisch selten und mit der hier aufgetretenen „Asymmetrie des Geschehens“ nicht in Übereinstimmung zu bringen sei. Dies hält der Senat insgesamt für überzeugend.

3.

Dahingestellt bleiben kann auch, ob die behandelnden Ärzte der Beklagten eine Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit der Cortisonbehandlung des Klägers verletzt haben. Denn jedenfalls hätte eine Verletzung von Aufklärungspflichten in diesem Zusammenhang nicht zu einem Schaden geführt. Diesbezüglich hat der Sachverständige Prof. T...... B...... darauf hingewiesen, dass Schäden durch die Cortisonbehandlung in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert seien.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.

Für die Streitwertfestsetzung waren die §§ 47, 48 GKG, §§ 3 und 9 ZPO maßgeblich.


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