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Montag, 2. September 2024

Zahlung des Haftpflichtversicherers an nichtberechtigten Fahrzeugführer/-halter

Bei der Klägerin handelte es sich um eine Leasinggesellschaft. Am 07.05.2021 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem das bei der beklagten Haftpflichtversicherung (Pflichtversicherung) und der nach Angaben der Klägerin von ihr verleaste BMW beteiligt waren. Zunächst wurden nach nah dem Verkehrsunfall über eine Anwaltskanzlei für eine Z. GmbH Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung des BMW gegenüber der Beklagten geltend gemacht, die von der Beklagten reguliert wurden. Sodann machte die Klägerin Schadensersatzansprüche mit der Behauptung geltend gemacht, sie sei Eigentümerin des BMW und es habe mit der Z GmbH ein Leasingvertrag bestanden.  geltend, die von der Beklagten zurückgewiesen wurden. Das Landgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen die beklagte bejahrt und der im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten wurde das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kernpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung war, ob die Beklagte mit befreiender Wirkung an die Z. GmbH zahlen konnte. Unter Verweis auf § 851 BGB wurde dies vom Berufungsgericht bejaht. Danach könne ein Deliktsschuldner mit befreiender Wirkung an den Besitzer einer beweglichen Sache Ersatz leisten, wenn er ihn gutgläubig für den Eigentümer halte. Nach § 851 BGB würde die Redlichkeit des Ersatzleistenden Schädigers vermutet, weshalb die Beweislast für dessen Bösgläubigkeit zum Zeitpunkt der Leistung den wahren Eigentümer bzw. Inhaber eines dinglichen Rechts treffe, der den Schädiger seinerseits ein zweites Mail in Anspruch nehme und gegen den sich der Schädiger nach §§ 361, 851 BGB verteidige (OLG Saarbrücken, Urteil vom 10.05.2011 - 4 U 261/10 -).

Die Z. GmbH sei als Leasingnehmer (und damit nicht Eigentümerin) eine Nichtberechtigte. Sie habe das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls allerdings in ihrem Besitz gehabt. Entsprechend der Wertung in § 1006 Abs. 3 BGB gelte § 851 BGB sowohl für den unmittelbaren wie auch den mittelbaren Besitz (OLG Saarbrücken aaO.), weshalb es vorliegend ohne Bedeutung sei, dass die Z. GmbH als Leasingnehmerin im Zeitpunkt des Schadensereignisses infolge des unmittelbaren Besitzes des faktischen Fahrzeughalters C. nur mittelbare Besitzerin gewesen sei. Auch wenn im Leasingvertrag die „Z. GmbH i.G. stand, habe der Senat infolge der gleichen Anschrift und Firmierung keine Zweifel, dass eine Identität vorläge. Auch auf Haftpflichtschäden nach §§ 7, 18 StVG ei § 851 BGB anzuwenden (OLG Saarbrücken aaO.).

Für eine Bösgläubigkeit der Beklagten iSv. § 851 BGB sei der gleiche Maßstab wie für § 932 Abs. 2 BGB anzulegen. Der Ausschluss der befreienden Wirkung greife also bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis. Grobe Fahrlässig in Bezug auf die Kenntnis des Rechts des Dritten läge vor, wenn der Ersatzpflichtige die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 13.04.1994 - II ZR 196/93 -). Der gute Glaube des Ersatzpflichtigen müsse zum Zeitpunkt der Leistung vorliegen, spätere Erkenntnisse seien unschädlich.  

Unstreitig kannte die Beklagte zum Zeitpunkt der Leistung die Eigentümerstellung der Klägerin nicht. Die Klägerin habe auch nicht den Nachweis geführt, dass ihr das Eigentum der Klägerin infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sei.

Eine grobe Fahrlässigkeit wegen einer nicht verlangten Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II und einer unterbliebenen Einsichtnahme in die Ermittlungsakte negierte das Berufungsgericht. Der Vorgang sei nicht vergleichbar demjenigen bei einem gutgläubigen Erwerb eines Fahrzeugs. Bei der Regulierung von Verkehrsunfällen würde die von § 851 BGB intendierte zügige Schadensabwicklung verzögert, würde der Haftpflichtversicherer zunächst einen Eigentumsnachweis des Geschädigten fordern. Auch der Umstand, dass in der heutigen Wirtschaftspraxis die Aufspaltung von Nutzungs- und Eigentumsrecht eher der Regalfall sei, dürfe grob fahrlässige Unkenntnis von der Nichtberechtigung des Besitzers nicht pauschal bejaht werden, wenn ohne Vergewisserung zur Eigentumslage gezahlt würde und keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass es sich bei dem Unfallwagen um Vorbehaltsware oder ein Leasingfahrzeug handele (OLG Saarbrücken aaO.).

Die Formulierung in dem anwaltlichen Anspruchsschreiben zu dem „Pkw des Mandanten“ deute nach dem üblichen Sprachgebrauch auf eine Eigentümerstellung hin, weshalb auch aus dieser Formulierung nicht grob fahrlässig ein fehlendes Eigentum nicht erkannt worden sei. Zu der Formulierung und das Verständnis im allgemeinen Sprachgebrauch verweist das Berufungsgericht auf eine Entscheidung des KG Berlin vom 04.03.1976 - 22 U 1946/ 75 – (wonach dort zusätzlich vom Halter gesprochen wurde) und eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 09.03.1992 - 1 U 70/91 – hin (nach der allerdings der Anspruchsteller auch als Eigentümer bezeichnet worden sei). Anmerkung: Das Berufungsgericht weist zutreffend an anderer Stelle auf die heutige Wirtschaftspraxis hin, nach der zunehmend Nutzungsrecht und Eigentum an einem Kfz auseinanderfallen, was zum Zeitpunkt der von ihm benannten Entscheidungen in diesem Umfang noch nicht der Fall war. Da der „allgemeine Sprachgebrauch“ einer tatsächlichen Rechtslage häufig nicht gerecht wird, man zudem von einem Anwalt verlangen sollte, sich rechtlich klar auszudrücken, erscheint es bedenklich, jedenfalls und konkrete Nachfrage zum Eigentum und einer Bejahung durch die anwaltlich vertretene Anspruchstellerseite eine grobe Fahrlässigkeit zu negieren, da an sich einsichtig ist, dass eine Termins wie „Pkw meines Mandanten“ auch bewusst verwandt worden sein könnte, um gerade die fehlerhafte Behauptung von Eigentum zu vermeiden.

Neben der benannten Formulierung verwies aber das Berufungsgericht ergänzend darauf, dass verbliebene Zweifel des Sachbearbeiters der Haftpflichtversicherung dadurch zerstreut werden könnten, dass ein Gutachten vorgelegt würde, in dem der Anspruchsteller als Auftraggeber und Halter oder als Eigentümer benannt würde. Anmerkung: Gefolgt werden kann dem Berufungsgericht aus dem Blickwinkel der zu prüfenden groben Fahrlässigkeit m.E. lediglich in dem Fall, dass der Anspruchsteller in einem von diesem über seinem Anwalt vorgelegten Gutachten als Eigentümer benannt wird (da damit die anwaltliche Angabe „Pkw meines Mandanten“ rechtlich konkretisiert wird). In Bezug auf die Zulassungsbescheinigung / Haltereigenschaft kann ihm nicht gefolgt werden, da weder der Inhaber der Zulassungsbescheinigung als Eigentümer ausgewiesen wird (so explizit auch der Hinweis auf der Zulassungsbescheinigung Teil II), noch notwendig der Halter Eigentümer sein muss (so z.B. bei Leasing, Sicherungseigentum).

Lägen im Einzelfall keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass es sich bei dem Unfallwagen um ein Leasingfahrzeug, sicherungsübereignetes Fahrzeug oder um Vorbehaltsware handele, so das Berufungsgericht, und bestünden auch aus anderen Gründen keine validen Zweifel, dass der Anspruchsteller Eigentümer des Unfallsfahrzeugs sei, müsse mithin von dessen Berechtigung ausgegangen werden dürfen.

Das LG Nürnberg-Fürth habe in seinem hier mit der Berufung angegriffenen Urteil zwar als Erfahrungssatz ausgeführt, dass nahezu in jedem zweiten Fall in finanziertes oder geleastes Fahrzeug betroffen sei. Unabhängig davon, ob dies zugrunde gelegt werden könne, und selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Unfall geleaster Fahrzeuge im gewerblichen Bereich (wie hier) noch höher ausfallen möge, verbliebe ein bestimmter Anteil an Fahrzeugen die im Eigentum des gewerblichen Nutzers stünden, weshalb sich alleine aufgrund dieser Tatsachen für die Beklagte keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines geleasten Fahrzeugs ergeben müsse. (Auf meine vorherigen Anmerkungen darf ich verweisen).

Die vom Erstgericht gestellten Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab seien zu weit gefasst und ließen eine klare Abgrenzung zur gewöhnlichen (einfache) Fahrlässigkeit nicht mehr zu, fordere man vom Haftpflichtversicherer nicht nur bei konkreten Anhaltspunkten zur Vermeidung des Vorwurfs einer groben Fahrlässigkeit, den Anspruchsteller zu einer eindeutigen Erklärung zum Eigentum aufzufordern. Anmerkung: Auch hier ist dem Berufungsgericht nicht zu folgen., Es ist ein Unterschied, ob verlangt wird, der Versicherer müsse sich den Beweis für das Eigentum erbringen lassen oder ob er nur die deutliche Erklärung des Anspruchsstellers zum Eigentum verlangt. Das Unterlassen der Nachweiserbringung kann tatsächlich (liegen nicht konkrete Anhaltspunkte vor, die gegen ein Eigentum sprechen) nicht als grob fahrlässig angesehen werden, anders aber das Unterlassen nach einer einfachen Erklärung zum Eigentum (in Ansehung geleaster und sicherheitsübereigneter Fahrzeuge).

Richtig verweist das Berufungsgericht abschließend darauf hin, dass zwar § 119 Abs. 3 VVG dem Haftpflichtversicherer einen Auskunftsanspruch gegen den Dritten einräumt, aber keine Obliegenheit normiert, dass eine bestimmte Auskunft eingeholt werden müsse. Das aber ändert nichts an der Betrachtung zu § 851 BGB.

OLG Nürnberg, Urteil vom 11.06.2024 - 14 U 203/23 -

Mittwoch, 1. September 2021

Haftungsausschluss trotz Unfallverletzung des Beifahrers bei Rettungsfahrt (§ 680 BGB)

Der Antragssteller (AS) begehrte Prozesskostenhilfe nach einem durch den Antragsgegner (AG) verursachten Verkehrsunfall, bei dem er als Beifahrer verletzt wurde, für eine Klage auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz u.a. gegen den Fahrer (Antragsgegner) sowie den Halter und den Versicherer des Fahrzeugs.  Der AS gab an, er sei von einem Dritten zusammengeschlagen worden und der alkoholisierte AG habe ihn nach 1 Uhr in das Krankenhaus in L. fahren wollen. Wegen überhöhter Geschwindigkeit sei das Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen und er sei, da er nicht angeschnallt gewesen sei, herausgeschleudert worden. Die bestehenden Verletzungen seien dadurch verstärkt worden.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, wogegen sich der AG mit der Beschwere wandte, die vom OLG zurückgewiesen wurde, da auch nach seiner Ansicht die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Dies erfordere, dass das Gericht nach der Sachdarstellung und vorhandenen Unterlagen eine Aussicht auf Erfolg für vertretbar und von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt sei. Häufig genüge die schlüssige Darlegung mit Beweisantritt.  Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, wobei es auf Schwierigkeiten der haftungsausfüllenden Kausalität (die vom Landgericht zur Abweisung des Antrags benannt wurden) auch aus Rechtsgründen nicht ankäme. Denn beide Vorgänge (das Zusammenschlagen durch einen Dritten und der vom AG verursachte Verkehrsunfall) seien geeignet gewesen, die schweren Verletzungen des AS zu begründen. Die mögliche Unaufklärbarkeit der Zuordnung der Schadensverursachung würde in den Anwendungsbereich des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB fallen (lässt sich nicht ermitteln, welcher Beteiligte welchen Schaden verursachte, haften alle Beteiligte für den gesamten Schaden).

Allerdings sei Voraussetzung, dass jeder der gesamtschuldnerisch haftenden Beteiligten jeweils auch für sich den Haftungstatbestand dem Grunde nach erfüllt haben müsste. Ob hier für den AG resp. die Antragsgegner eine Haftung nach §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1 ´, 18 StVG , §§ 823ff BGB (iVm. Mit §§ 115 Abs. 1 1 VVG iVm. 1 PflVG) greift könne aber auf sich beruhen, da jedenfalls das Haftungsprivileg des § 680 BGB vorläge. Es handelt sich um eine Norm aus dem Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff BGB), wobei diese hier zur Gefahrenabwehr (§ 680 BGB) getätigt worden sein müsste. Derjenige, der sich zu spontaner Hilfe entschließt, soll - so das OLG in seiner Beschwerdeentscheidung  - vor eigenen Verlusten bewahren, wobei berücksichtigt würde, dass die wegen der Gefahrensituation geforderte schnelle Entscheidung ein ruhiges und überlegtes abwägen ausschließen könne und es sehr schnell zu einem Sichvergreifen in den Mitteln kommen könne (BGH, Urteil vom 19.01.2021 - VI ZR 188/17 -).

Vorliegend sei der AS schwer verletzt gewesen und der Rettungswagen noch nicht erschienen, weshalb sich der AG entschlossen habe, den AS selbst ins Krankenhaus zu fahren, um so weitere Gesundheitsschäden zu verhindern. Damit habe der AG ein Geschäft des AS ohne dessen Auftrag besorgt, welches im Interesse des AS gelegen habe (§ 677 BGB). Allerdings habe der AG grundsätzlich bei einer BAK von 1,5 Promille schuldhaft und haftungsbegründend gehandelt, da er in diesem Zustand nicht mehr hätte fahren dürfen. Ferner habe er nach Angaben des AS diesen nicht angeschnallt.

Nach § 680 BGB scheide eine Haftung aus, wenn nicht grobe Fahrlässigkeit vorläge. Er müsse also ohne grobe Fahrlässigkeit geglaubt haben, er sei trotz des genossenen Alkohols noch so fahrtüchtig, dass der Verunglückte mit der Fahrt einverstanden sei (wobei hier Übernahme- und Ausführungsverschulden im Zusammenhang mit der Alkoholisierung wegen des engen Zusammenhangs in einem einheitlichen Haftungsmaßstab zu messen seien). Zwar würde bei einer BAK von 1,5 Promille grobe Fahrlässigkeit gemeinhin angenommen, da diese Konzentration regelmäßig zu auch dem Betroffenen erkennbaren Ausfallerscheinungen führe. Doch müssten auch subjektive, in der Individualität des Handelnden liegende Umstände berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 07.04.1970 - VI ZR 217/68 -), da es sich bei der groben Fahrlässigkeit um ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares, ein gewöhnliches Maß übersteigendes Fehlverhalten handele (BGH, Urteil vom 29.01.2003 - IV ZR 173/01 -).

In diesem Zusammenhang stellet das OLG auf die für den AG überraschende Situation der erheblichen Gesundheitsgefährdung des AS, die ihn vor einer auf der Stelle zu treffenden Entscheidung gestellt habe. Es sei ihm keine Zeit für ein (gar ruhiges) Überlegen geblieben. Da es um Leib und Leben des AS gegangen sei, also eine nicht nur nach Dringlichkeit, sondern auch Größe ungewöhnliche Gefahr abzuwenden gewesen sei, der Gesundheitszustand des AS weiter verschlechtert habe und er Rettungswagen nicht eintraf, habe er nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er es in dieser Situation an der notwendigen selbstkritischen Prüfung seiner eigenen Fahrtüchtigkeit habe fehlen lassen (BGH, Urteil vom 30.11.1971 - VI ZR 100/70 -).

Nichts anders würde auch bei dem Unterlassen des Anschnallens gelten. Es sei nicht nur nicht ersichtlich, ob der Zustand des AS ein Anschnallen zugelassen habe; in der konkreten Situation sei das Vergessen nicht so unverständlich, dass sie jedem in der konkreten Situation einleuchten müsste.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.05.2021 - 12 W 16/20 -