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Dienstag, 7. November 2023

Fiktiver Schadensersatzanspruch im Mietrecht bei Verkauf ohne kausalen Kaufpreisnachlass

Das LG Halle hatte einen Streit zu entscheiden, in dem – ähnlich wie in dem kurz danach am 19.04.2023 verkündeten Urteil des BGH (VIII ZR 280/21) – um einen vom Vermieter nach Mietvertragsende geltend gemachten (fiktiven) Schadensersatzanspruch gegen den vormaligen Mieter ging, obwohl der Schadensersatzbetrag nicht für Reparaturen verwandt werden sollte und wurde und die Wohnung vom Vermieter ohne Abzug am Kaufpreis vom Vermieter verkauft wurde. Der Vermieter (Beklagter) machte mit seiner Widerklage in einem Prozess mit dem Mieter (Kläger) den Schadensersatzanspruch geltend, der vom Amtsgericht mit Teilurteil abgewiesen wurde, gegen welches der Vermieter Berufung einlegte. Auf die Berufung hob das Landgericht das Urteil auf und verwies den Rechtstreit zurück an das Amtsgericht.

Das Berufungsgericht stellte darauf ab, dass es bei dem widerklagend geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht darauf ankäme, ob der Vermieter als Geschädigter erst fiktiven Schadensersatz geltend mache und dann verkaufe oder umgekehrt (also erst verkaufe und dann den fiktiven Schadensersatzanspruch geltend machen würde).

Der begehrte fiktive Schadensersatzanspruches wegen Substanzschäden (hier an Fenstern, Wandfliesen, Dusche pp.) wurde vom Amtsgericht mit der Begründung abgewiesen, da mangels eines Vermögensschadens (da keine Reparatur erfolgte und die Wohnung auch ohne Vermögensschaden infolge der Schäden veräußert wurde) des Vermieters kein fiktiver Schadensersatzanspruch bestünde.  Dem folgte das Landgericht nicht (wobei insoweit die Begründung in den Grundzügen derjenigen entspricht, die auch der BGH aaO. in seiner späteren Entscheidung verwandte).

Für Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung von Obhutspflichten entstandenen seien, habe der Mieter auch nach Beendigung des Mietverhältnisses nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB Schadensersatz neben der Leistung nach Wahl des Vermieters durch Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder durch Geldzahlung (§ 249 Abs. 2 BGB) zu ersetzen. Zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache nach § 538 BGB gehöre die aus der Besitzübertragung folgende Obhutspflicht des Mieters, den Mietgegenstand schonend und pfleglich zu behandeln und alles zu unterlassen, was zu einer von § 538 BGB nicht mehr gedeckten Verschlechterung desselben führe. Dies sei eine leistungsbezogene Nebenpflicht iSv. § 241 Abs. 2 BGB, deren Verletzung allein nach den in § 280 Abs. 1 BGB geregelten Voraussetzungen einen Schadensersatz begründe (BGH, Urteil vom 27.06.2018 - XII ZR 79/17 -).

Auch das Landgericht setzte sich mit der unterschiedlichen Rechtsansicht in Rechtsprechung und Literatur zum fiktiven Schadensersatzanspruch auseinander und verwies, wie der BGH darauf, dass die ablehnende Ansicht des VII. Zivilsenats des BGH in seinem Urteil vom 22.02.2018 - VII ZR 46/17 - auseinander und hielt fest, dass dort der fiktive Schadensersatzanspruch wegen des Vorschussanspruchs in § 637 Abs. 3 BGB abgelehnt wurde; es handele sich hier um unterschiedliche Vertragstypen. Allerdings hatte sich der BGH in seiner kurze Zeit später ergangenen Entscheidung vom 19.04.2023 aaO. damit auseinandergesetzt, dass auch das Mietrecht (ähnlich dem Werkvertragsrecht in § 637 Abs. 3 BGB eine Vorschusspflicht vorsehe, allerdings darauf hingewiesen, dass dies nur während des laufenden, nicht wie dort und hier beendeten Mietverhältnis gelten würde; der BGH hatte hier nicht ausgeführt, dass der fiktive Schadensersatzanspruch auch bei einem laufenden Mietverhältnis begehrt werden könne, wie es hier das Landgericht in seinen Entscheidungsgründen darlegte. Auch das sah das Landgericht und verwies darauf, dass der Vorschussanspruch für Renovierungskosten, gerate der Mieter mit den Schönheitsreparaturen im laufenden Mietverhältnis in Verzug, begehrt werden könne, hier aber das Mietverhältnis beendet sei.

Dem fiktiven Schadensersatzanspruch stünde auch nicht der Umstand entgegen, dass der Schaden vom Vermieter nicht beseitigt worden sei. Der Vermieter sei nicht gehindert, auch dann einen fiktiven Schadensersatzanspruch geltend zu machen, wenn er tatsächlich nicht repariere, sondern zwischenzeitlich die Wohnung verkaufe (so auch der BGH in seinem Urteil vom 19.04.2023 aaO.). Es käme auch nicht darauf an, ob der Vermieter vor dem Verlauf bereits eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis verlangt habe. Die Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB bliebe bestehen und würde sich nicht auf einen eventuellen Mindererlös bei dem Verkauf der Wohnung beschränken. Würde der Geschädigte lediglich auf einen Minderwert der Wohnung verweisen, würde außer Acht gelassen, dass der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach dem Konzept des Schuldrechtsreformgesetzes den ausgebliebenen Erfüllungserfolg und nicht nur den Minderwert der Sache ausgleichen soll; durch die Ersatzfähigkeit der hierfür erforderlichen Kosten würde unabhängig von den Aufwendungen der Vorrang des Erfüllungsanspruchs schadensrechtlich umgesetzt (BGH, Beschluss vom 26.04.2022 - VIII ZR 364/20 -). Dem ist zuzustimmen. Dem schädigenden Mieter kann nicht zum Vorteil gereichen, dass nach dem Ende des Mietverhältnisses ein Verkauf erfolgte, zumal der Vermieter kaum beweisen kann, dass für Schäden und gar in welcher Höhe er mit seiner Kaufpreisvorstellung kausal darauf beruhend den Kaufpreis habe reduzieren müssen. Zwar mag ein Schaden bei einer Diskussion zwischen Käufer und Verkäufer um den Kaufpreis mit einfließen, doch kommt es stets darauf an, welchen Kaufpreis der Verkäufer begehrt und welchen der Käufer bereit ist zu zahlen, weshalb bestimmte Schäden nur eine untergeordnete Rollen spielen und keinen Beweis dafür erbringen, dass in Höhe der möglichen Reparaturkosten der Kaufpreis ermäßigt wurde. Ein Sachverständigengutachten zum Wert der Wohnung mit und ohne Schaden einzuholen würde dies auch nicht ersetzen können, da die Kaufpreisverhandlungen auch subjektive Gesichtspunkte der Kaufvertragsparteien enthalten (bis zu welchen Preis der Käufer überhaupt kaufen würde und bei welchen Preis der Käufer überhaupt verkaufen würde).

Die Zurückverweisung erfolgte vor dem Hintergrund, dass Streit zwischen den Parteien des Rechtsstreits über den Grund und die Höhe des Schadensersatzanspruchs bestand und sich das Landgericht als Berufungsgericht damit (außer seiner Sicht folgerichtig) nicht auseinandergesetzt hatte (das Amtsgericht hatte die Widerklage des Vermieters mit der Begründung abgewiesen, ein Schadensersatzanspruch bestünde dem Grunde nach nicht). 

LG Halle, Urteil vom 03.02.2023 - 1 S 91/21 -

Sonntag, 20. Juni 2021

Lagervertrag oder Mietvertrag: Abgrenzung der Vertragstypen im Hinblick auf die Obliegenheitspflicht

Die Parteien stritten wegen der Beschädigung von Wohnmöbeln und -accessoires. Die im Eigentum der Streithelferin der Klägerin (ein Möbel-Transport-Unternehmen) befindlichen Gegenstände sollten von der Klägerin eigelagert werden. Die Klägerin nahm die Gegenstände entgegen, konnte sie aber bei sich selbst nicht einlagern und vereinbarte mit der Beklagten (einem Umzugsunternehmen), dass diese in einer von dieser angemieteten Halle abgestellt werden können. Bei Abholung durch die Klägerin in der Halle waren diese durchfeuchtet und zum Teil ausgequollen. Die Streithelferin rügte die Schäden, die ein Sachverständiger im Auftrag der Klägerin mit € 8.300,00 bezifferte. Die Streithelferin verlangte von der Klägerin Schadensersatz in Höhe von € 12.800,00 den auch die Klägerin mit ihrer Klage gegen die Beklagte geltend machte.

Während die Klägerin von einem Lagervertrag gem. § 467 HGB ausging, bei dem die Beklagte ihrer Obhutspflicht nicht nachgekommen sei, ging die Beklagte von einem Mietvertrag aus und führte aus, dass die Halle ordnungsgemäß und das Dach intakt gewesen sei, nur die Verpackung er Klägerin (Wellpappe) anstelle von Paletten nicht fach- und sachgerecht gewesen sei.

Das Landgericht ging von einem Mietvertrag aus und wies die Klage ab.

Das Oberlandesgericht sah in dem Vertrag auch einen Mietvertrag. Miet- und Lagervertrag würden sich dadurch unterscheiden, dass bei Lagervertrag der Lagerhalter oder ein von ihm beauftragter Dritter die Lagerung und Aufbewahrung selbst besorge, während beim Mietvertrag (über die Lagerfläche) der Mieter selbst lagern und aufbewahren würde. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal wäre damit, ob im Rahmen der Vereinbarung eine Obhuts- und Verwahrungspflicht als Hauptpflicht übernommen würde.  Nach diesem Kriterium sei nach §§ 133, 157 BGB der Vertrag als Mietvertrag über eine Lagerfläche anzusehen.

Das Lagerübernahmeprotokoll sei kein Kriterium für die Annahme eines Lagervertrages. Es spräche sogar dagegen, da in ihm keine Liste der eingelagerten Gegenstände aufgenommen worden sei. An dieser Aufnahme würde aber der Lagerhalter ein wesentliches Interesse haben, da sich daran Art und Umfang seiner Obhutspflicht orientiere. Hier enthalte die Liste lediglich eine oberflächliche Beschreibung der Art der von der Klägerin mitgebrachten Gegenstände, nicht aber eine Lager-/Inventarliste.

Auch der fehlende eigene Zugang der Klägerin zur Lagerhalle begründe nicht die Annahme eines Lagervertrages. Zwar sei kennzeichnend für den Mietvertrag, dass der Mieter die Mietsache ausschließlich, unter Ausschluss des Vermieters benutzen könne; allerdings spiele dies in einem Fall wie dem Vorliegenden keine Rolle, da sich die überlassene Fläche innerhalb eines anderen Gebäudes befände als Teilfläche der Halle. Die alleinige Nutzung der Teilfläche würde nicht dadurch vereitelt, dass der Zugang nur mit Mitwirkung des Vertragspartners möglich sei. Die Zugangsregelung sei erkennbar dem Umstand geschuldet, dass abgesichert wird, dass die Klägerin den Zugang nur zur Nutzung der überlassenen Fläche nutzt. Dies sei vergleichbar mit einem Bankschließfach (bei dem auch Mietrecht angenommen würde, bei dem der Mieter häufig nur mit Hilfe des Vermieters die Möglichkeit habe, Zugriff auf das eigene Schließfach zu nehmen.

Entscheidend seien hier auch die Umstände unter denen die Vereinbarung zustande kam. Auch wenn die Klägerin selbst mit der Streithelferin einen als Mietvertrag bezeichneten Vertrag geschlossen habe, ergäbe sich doch aus den Umständen des Vertragsabschlusses, dass die Klägerin die Obhutspflicht für die Gegenstände als Hauptpflicht übernommen habe. So habe die Streithelferin die Gegenstände an die Klägerin zum einlagern übergeben, ohne dass bereits eine bestimmte Lagerfläche, die hätte vermietet werden können, in Aussicht genommen worden sei. Es sei sogar in der Vereinbarung ein Lager der Klägerin vorgesehen gewesen. Zu der Vereinbarung mit der beklagten sei es lediglich wegen fehlender eigener Lagerkapazitäten der Klägerin gekommen. Die Klägerin habe dann der Beklagten auch nicht die Gegenstände in vergleichbarer Weise wie die Streithelferin ihr anvertraut, sondern nach telefonischer Rücksprache mit der Beklagten zu der betreffenden Halle verbracht und auf die ihr bezeichnete Fläche abgestellt. Damit bestünde kein Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin die von ihr übernommene Obhutspflicht (im Rahmen eines Lagervertrages) an die Beklagte weitergegeben habe. Dazu passe auch die Preisgestaltung (sie selbst verlangte von der Streithelferin ein Entgelt von € 6,00/m², die Beklagte nur von € 4,50/m²), was nicht erklärlich sei, wenn die Beklagte auch die Obhutspflicht übernommen hätte.

Da ein Mangel der Mietsache nicht vorgelegen habe (die Rauluftfeuchte würde sich hier nicht als Mangel darstellen) und auch keine Nebenpflicht nicht verletzt worden sei, sei der Anspruch nicht begründet.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 08.03.3032 - 5 U 2247/20 -

Mittwoch, 26. Mai 2021

Fenstersturz des an Demenz erkrankten Bewohners und Haftung des Pflegeheimbetreibers

Die Klägerin klagte aus abgetretenen Recht der Ehefrau auf Zahlung von Schmerzensgeldes wegen tödlicher Verletzungen von deren Ehemann (Erblasser) auf Grund eines Sturzes aus einem Fensters des beklagten Alten- und Pflegeheims. Der Erblasser war hochgradig dement, litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-notorischer Unruhe. Er soll örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert gewesen sein. Eine besondere Betreuung war im Hinblick auf Lauftendenzen, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und zeitweiser Sinnestäuschung bejaht worden. Der Erblasser wurde von der Beklagten in einem Zimmer im 3. OG, welches über zwei große Dachfenster verfügte, die nicht gegen unbeaufsichtigtes Öffnen gesichert waren, untergebracht. Aus einem der zwei Fenster stürzte er.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben ohne Erfolg. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG. Dabei verwies der BGH auf seine ständige Rechtsprechung, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Bewohner begründet würden. Inhaltsgleich würde auch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht den Bewohnern gegenüber vor gesundheitlichen Schädigungen bestehen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen würden. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten würde sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB, § 278 S. 1 BGB) als auch korrespondierend deliktische Ansprüche (§ 823 BGB, § 831 BGB) begründen.

Diese Pflichten des Heimbetreibers seien aber begrenzt: sie müssten mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sein. Maßstab sei das Erforderliche und für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare, wobei zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.

Den Spagat zwischen den Anforderungen auf Menschenwürde und Freiheitsrecht auf der einen Seite und Schutz der körperlichen Unversehrtheit nimmt der BGH, indem er auf eine sorgfältige Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls abstellt. Entscheidens sei das Gefahrenpotential durch körperliche und geistige Verfassung des Bewohners, wobei sich die einzuhaltende Sorgfalt und eventuell zu treffende Sicherungsmaßnahmen aus einer ex-ante-Betrachtung ergeben würden, ohne Berücksichtigung nur abstrakt denkbaren Sicherheitsrisiken und mithin orientiert an die konkrete Pflegesituation. Zum Einen will der BGH hier darauf abstellen, ob mit einer Schädigung ohne Sicherungsmaßnahmen zu rechnen sei, zum Anderen aber auch darauf, dass eine nicht wahrscheinliche Gefahr, die aber zu besonders schweren Folgen führen könne, berücksichtigt werden müsse. Diese Risikoprognose sei Voraussetzung zur Abwägung der Entscheidung zu erforderlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte des Heimbewohners und der personellen und finanziellen Möglichkeiten des Pflegeheims.

Zur Beweislage wies der BGH darauf hin, dass ein Sturzgeschehen dem „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“ im Heim zuzuordnen sei. Komme der Bewohner in einer solchen Situation zu Schaden, falle dies in seine Risikosphäre mit der Folge, dass er für eine Pflichtverletzung und deren Kausalität die Darlegungs- und Beweislast trage. Es handele sich um das allgemeine Lebensrisiko in einem vom Bewohner voll beherrschten Gefahrenbereich. Alleine der Sturz aus dem nicht verriegelten Fenster begründe damit keine kausale Pflichtverletzung.

Allerdings komme es zu einer Beweislastumkehr (bei der der Heimbetreiber den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens führen müsse), wenn der Bewohner im Herrschafts- und Organisationsbereich des Heimbetreibers zu Schaden käme und die ihn betreffenden Vertragspflichten (auch) bezwecken würden, den Bewohner vor einem solchen Schaden zu bewahren. Der Heimbetreiber müsse bei Risiken aus dem Betrieb, die von ihm voll beherrschbar seien, darlegen und beweisen, dass der Schaden nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten beruht. Dies sei der Fall, wenn der Patient in einem Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme einer ihm betreuenden Krankenschwester stürze, s. auch § 630h BGB. Es gelte auch gelte auch bei Pflegeheimen, wenn bei einer konkreten Gefahrensituation die spezielle Obhutspflicht einer dafür eingesetzten Pflegekraft obliege und sich der Schaden in diesem Zusammenhang verwirkliche (so z.B. Sturz des Heimbewohners bei begleiteten Gang zur Toilette der Sturz beim Wechsel der Bettwäsche durch einen Pfleger).

Im konkreten Fall nahm der BGH keine Beweislastumkehr an. Zwar habe sich die Gefahrensituation im Sturz des Erblassers aus dem Fenster durch die fehlende Fenstersicherung verwirklicht. Allerdings habe dies außerhalb des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs des Heimträgers stattgefunden. Der Erblasser sei zu diesem Zeitpunkt nicht der Obhut einer Pflegekraft im Rahmen einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme anvertraut gewesen: er habe sich überwiegend alleine in seinem Zimmer aufgehalten und habe nicht dauerhaft betreut und begleitet werden müssen.

Die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG erfolgte, da der BGH die tatrichterliche Würdigung, die Beklagte hätte keine Vorkehrungen gegen ein Heraussteigen des Erblassers aus einem Fenster seines Zimmers treffen müssen, für unvollständig und rechtsfehlerhaft hielt. Die dazu notwendige Abwägung sei unvollständig gewesen.  Hier hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage einer sorgfältigen ex-ante-Risikoprognose, die das gesamte Krankheitsbild des Erblassers in den Blick nehme, entscheiden müssen, ggfls. sachverständig beraten. Es habe aber nur einzelne dokumentierte Demenzerscheinungen isoliert und kursorisch betrachtet, ohne dabei eine eigene besondere Sachkunde aufzuweisen.

BGH, Urteil vom 14.01.2021 - III ZR 168/19 -

Freitag, 4. Oktober 2019

Betreutes Wohnen: Verbrühung durch heißes Wasser beim Baden


Die Klägerin war geistig behindert und litt am Prader-Willi-Syndrom sowie einer insulinpflichtigen Zuckerkrankheit. Sie wohnte in einem Wohnheim für geistig behinderte Menschen, deren Trägerin  die Beklagte war. Am 19.04.2013 bat die Klägerin eine Betreuerin um die ihr, wie in der Vergangenheit, dann erteilte Erlaubnis, ein Bad zu nehmen. Die Klägerin ließ in einer Badewanne Wasser mittels eines Einhebelmischers ohne Begrenzung der  Heißwassertemperatur ein. Anders als in den früheren Fällen führte die von ihr gewählte Einstellung aber dazu, dass das ausströmende Wasser derart heiß war, dass sie schwerste Verbrühungen an den Füßen und Unterschenkeln erlitt. Sie schrie laut und konnte sich selbst aus der Situation nicht befreien, was erst gelang, als ein anderer (behinderter) Heimbewohner das Wasser abließ und eine Pflegekraft rief. Als Folge war die Klägerin u.a. nicht mehr gehfähig du auf einen Rollstuhl angewiesen.

Die Klage wurde abgewiesen und die gegen das klageabweisende Urteil gerichtete Berufung zurückgewiesen. Auf die Revision wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und der Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Durch den Heimvertrag seien Obhutspflichten der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB zum Schutze der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Klägerin begründet worden und es habe eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht der Bewohner vor Schädigungen bestanden, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohten. Eine schuldhafte Verletzung begründe sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) als auch korrespondierend damit deliktische Ansprüche aus §§ 823, 831 BGB. Die entsprechenden Pflichten des Trägers des Heimes seien auf die in vergleichbaren Heimen üblichen (gebotenen) Maßnahmen begrenzt, wobei Maßstab das Erforderliche und das für die Heimbewohner und Pflegepersonal Zumutbare sei. Zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und auch zu fördern sei (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG).

Der konkrete Inhalt der Verpflichtung, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines körperlich oder geistig behinderten Heimbewohners zu achten und andererseits seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, müsse an Hand der Umstände des konkreten Einzelfalls entschieden werden. DIN-Normen, die für bestimmte Gefahrenlagen technische Regelungen enthalten würden, seien im Einzelfall zur Konkretisierung der Pflichten des Heimträgers zu berücksichtigen. Zwar hätten DIN-Normen keine normative Geltung sondern als solche nur Empfehlungscharakter, wobei sie die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben könnten, aber auch hinter diesen zurückbleiben könnten. Doch würden sie die widerlegbare Vermutung begründen, den Stand der allgemein gültigen Technik wiederzugeben, weshalb sie  zur Feststellung von Inhalt und Umfang von Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden könnten, auch außerhalb ihres unmittelbaren Anwendungsbereichs. Jeweils habe aber der Verkehrssicherungspflichtige eigenverantwortlich di erforderliche Maßnahme zu prüfen und dürfe nicht die Norm unbesehen umsetzen. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen sei dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, möglichen Schadensfolgen und des mit ihnen verbundenen Aufwandes vorzunehmen. Damit könne ein Heimbewohner erwarten, dass der Heimträger ihn vor einer in einer DIN-Norm beschriebenen Gefahrenlage schützt, wenn er selbst auf Grund körperlicher oder geistiger Einschränkungen dazu nicht in der Lage sei. Der Heimträger müsse in diesem Fall entweder die Empfehlung der DIN-Norm umsetzen oder aber die entsprechende Sicherheit auf andere Art gewährleisten.

Vorliegend sei die DIN EN 806-2 (Technische Regelungen für Trinkwasser-Installationen) einschlägig, wonach die Anlagen für erwärmtes Trinkwasser so zu gestalten seien, dass das Risiko von Verbrühungen gering sei. Der Umstand, dass die Klägerin in der Vergangenheit beim Baden nicht habe beaufsichtigt werden müssen und es auch keiner Kontrolle der Temperatur des einlaufenden Wassers bedurft habe würde hier die Haftung nicht entfallen lassen.

Nicht nur habe es das Berufungsgericht unterlassen Feststellungen dazu zu treffen, ob in vergleichbaren Heimen eine Installation zur Temperaturbegrenzung oder ein gleichwertiger Verbrühungsschutz zum üblichen Standard gehört (dafür würden viele veröffentlichte Entscheidungen sprechen). Jedenfalls aber ergäbe sich aus der DIN-Norm, dass eine Begrenzung der Temperatur auf 43° C empfohlen wird (hier soll es sich um eine Temperatur von ca. 60° C gehandelt haben). Auch wenn die DIN-Norm noch nicht zum Zeitpunkt der Erstellung der Anlage gegolten hat und selbst keine Nachrüstung vorsehe, sei sie durch ihren Hinweis auf die allgemeine Gefahrenlage beachtlich und benenne auch ausdrücklich als schutzbedürftigen Benutzerkreis „Krankenhäuser, Schulen, Seniorenheime usw.“. Daraus ergäbe sich, dass diese Norm auch (nachträglich) in dem Heim der Beklagten zu berücksichtigen gewesen sei, in dem Personen leben, die trotz eines gewissen Grades an Selbständigkeit (anders als in einem Pflegeheim) zu einem eigenständigen Leben ohne Betreuung nicht in der Lage seien.

Die Wasserinstallation habe keine Temperaturbegrenzung gehabt und betrug – entsprechend der Empfehlung zur Vermeidung von Legionellen – ca. 60° C, mithin so heiß, dass es binnen kürzester Zeit zu schwerwiegenden Verbrühungen habe kommen können. Es spräche vieles dafür, dass die Klägerin dies nicht rechtzeitig habe erkennen können, wogegen nicht spräche, dass in der Vergangenheit nichts geschehen sei. Es sei hier, mangels Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, davon auszugehen, dass eine geistige Behinderung (Gen-Defekt) bei der Klägerin vorläge, wonach sie auf unerwartete Situationen nicht adäquat reagieren könne.

Da die Beklagte bzw. ihr Personal die Behinderung der Klägerin bekannt gewesen sei, läge Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 2 BGB (iVm. § 278 S. 1 BGB bzw. § 831 BGB) vor.

BGH, Urteil vom 22.08.2019 - III ZR 113/18 -

Sonntag, 10. Juli 2016

Mietrecht: Kündigungsgrund erhebliche und schuldhafte Verletzung einer (Neben-) Pflicht

Der Miete rügte auftretende Schimmelbildung als Mangel und minderte die Miete. Gestützt auf  ein von ihm eingeholtes Gutachten  wandte der Kläger ein, dass die Schimmelbildung durch falsches Lüftungs- und Heizverhalten verursacht wurde und machte die Kosten des Gutachtens und diejenigen der Schadensbeseitigung (Schimmelbeseitigung) geltend.  Das Amtsgericht verurteilte den beklagten antragsgemäß, wobei es sich auf das Privatgutachten des Vermieters stützte. Gegen das Urteil wurde ein Rechtsmittel nicht eingelegt.

Der Beklagte kam seiner Zahlungspflicht aus dem Urteil nicht nach; er bezog zwischenzeitlich vom Jobcenter Arbeitslosengeld II. Nachdem der Beklagte die Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO abgegeben hatte, kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos, vorsorglich fristgerecht, und berief sich zum einen auf die Nichtzahlung des Urteilsbetrages, ferner darauf, dass der Beklagte weiterhin eine Schimmelbildung wie zuvor als Mangel behaupte und seinen Heiz- und Lüftungspflichten nicht nachkommen würde. Im Verfahren stützte sich der Vermieter sodann nur noch auf die ordentliche Kündigung und das Amtsgericht gab der Räumungsklage statt. Auf die Berufung des Beklagten wies das Landgericht die Klage ab. Die (zugelassene) Revision des Vermieters führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht.

Der BGH lies offen, ob die Nichtzahlung der titulierten Schadensersatzforderung als solches die ausgesprochene Kündigung und damit den Räumungsanspruch rechtfertigen könnte. Im Hinblick auf die Zahlungsunfähigkeit, ausgehend von der nicht in Frage gestellten Richtigkeit der Vermögensauskunft, läge wohl ein Verschulden nicht vor. Es müsse allerdings nicht entschieden werden, ob dies hier den Tatbestand des § 573Abs. 2 Nr. 1 BGB (schuldhafte Verletzung von Pflichten durch den Mieter) erfülle. Denn aus einem anderen, vom Landgericht nicht berücksichtigten Rechtsgrund, wäre die Klage erfolgreich.

Auf Grund des Verhaltens des Beklagten nach der Rechtskraft des die Schadensersatzpflicht des beklagten begründenden Urteils wäre hier der Vermieter zu (ordentlichen) Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt. Dies gilt in Bezug auf die weitere Geltendmachung von vom Vermieter zu vertretener Schimmelbildung als auch im Hinblick auf die pflichtwidrige und schuldhafte Vernachlässigung von Mieterpflichten in Bezug auf Heizen und Lüften. Indem der Beklagte wegen Mängeln, die nach dem rechtskräftigen Urteil im Schadensersatzprozess in der Sphäre des Mieters liegen, unberechtigt mindert und seine Verantwortlichkeit weiterhin trotz der rechtskräftigen Entscheidung leugne, liegt eine schwerwiegende und auch schuldhafte Vertragsverletzung vor, die Anlass für den Vermieter gibt anzunehmen, der Mieter werde seinen vertraglichen Pflichten zur Obhut der Wohnung und zur vollständigen Mietzahlung nicht nachkommen. Dieser Umstand würde die Kündigung rechtfertigen.


BGH, Urteil vom 06.04.2016 – VIII ZR 78/15 -