Montag, 30. September 2019

Stundung des Pflichtteils wegen unbilliger Härte und Interessenabwägung

Die Kläger (zwei Söhne des Erblassers) machten Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte (Enkelin des Erblassers) als Alleinerbin geltend. Wesentlicher Vermögensgegenstand des Nachlasses war ein bebautes Grundstück, welches von der Beklagten mit ihrer Familie zu Wohnzwecken genutzt wurde. Die Beklagte hatte Klageabweisung und hilfsweise Stundung des Pflichtteils beantragt. Das Landgericht hatte die Beklagte unter Zurückweisung des Stundungsantrages zur Zahlung verurteilt. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom OLG gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Im Hinblick auf den Hilfsantrag (Stundung) legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ein. Der BGH hob insoweit das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Das OLG wies die Berufung erneut nach Vernehmung eines Zeugen zurück.

Der Erbe könne nach § 2331a Abs. 1 BGB die Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für ihn wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, welches für ihn und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bilde. Dabei seien die Interessen der Pflichtteilsberechtigten angemessen zu berücksichtigen. Vorliegend würden die Interessen der Pflichtteilsberechtigten das Interesse am Erhalt des Familienheims deutlich übersteigen.

Alleine der Umstand, dass das Haus zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht die Lebensgrundlage der Beklagten und ihrer Familie gebildet habe, würde noch nicht einen Grund darstellen, die Stundung zu versagen.

Bei den Interessen der Pflichtteilsberechtigten sei aber zu berücksichtigen, dass der Erbe durch einen mit allen Mitteln  geführten Rechtsstreit bereits eine lange Verzögerung erreicht habe, weshalb hier zu Gunsten der Kläger zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte bereits 2014 einen unbefristeten Stundungsantrag gestellt hat und damit die Ausgleichung um ca. fünf Jahre hinausgezögert habe.

Eine Stundung käme auch dann nicht in Betracht, wenn der Erbe absehbar auch durch die Stundung nicht in die Lage versetzt würde, sich jemals die Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Dafür spräche vorliegend bereits der Umstand, dass die Beklagte nach fünf Jahren noch immer nicht über Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs verfüge, da sie nur über Elterngeld bzw. nunmehr (wohl) eine Vergütung im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung und Kindergeld verfüge, ihr Ehemann arbeitslos sei und ein Bauspardarlehen zu bedienen sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2019 habe die Beklagte zudem erklärt, keinen Zeitpunkt benennen zu können, zu dem sie den Pflichtteilsanspruch befriedigen könne; soweit sie im weiteren Verlauf der Verhandlung erklärte, die Kinder seien bis zum 30.06.2024 aus dem Gröbsten heraus und sie dann eine Leistung für möglich halte, und dieses Datum als Termin benannte, sei nicht ersichtlich, dass dies auf realistischen Tatsachen und Erwägungen beruhe.

Im Rahmen der Interessensabwägung sei zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte 2014 zum Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft über ein anderes Familienheim verfügt habe. Es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, ein nach ihren Angabe unbewohnbares Haus mit einen nach ihren Angaben erforderlichen Aufwand von € 120.000,00 wieder bewohnbar zu machen, da ihr auch zum damaligen Zeitpunkt bereits aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel hätte klar sein müssen, dass sie Fremdmittel in diesem Umfang nicht kurzfristig mobilisieren könne. Sie habe einen Bausparkredit von € 46.000,00 aufgenommen und für die Arbeiten an dem jetzigen Familienheim aufgewandt, ohne in Betracht zu ziehen, zunächst die berechtigten Ansprüche der klagenden Pflichtteilsberechtigten (€ 59.000,00) zu befriedigen. Das Haus sei erst durch diese weiteren Aufwendungen der Beklagten zu dem von § 2331a BGB besonderen Schutz genießenden Gegenstand geworden.

Zu berücksichtigen sei weiter, dass die Beklagte statt der Investitionen das bebaute Grundstück zu einem Betrag von € 150.000,00 an den Zeugen S. hätte veräußern können mit der Folge, dass sie den Pflichtteil hätte bedienen können und selbst noch einen Überschuss behalten hätte.

Ferner sei auch das Alter der klagenden Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen, die am 30.06.2024 59 bzw. 62 Jahre alt wären. Es sei ihnen nicht zuzumuten, bis zu einem solchen Alter ihre Ansprüche gegen ein Wohnbedürfnis der Beklagten in einem „durchaus übergroßen Haus“ zurückzustellen.

OLG Rostock, Urteil vom 20.06.2019 - 3 U 32/17 -

Freitag, 27. September 2019

Rechtliches Gehör nach Richterwechsel: Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (auch im Fall des § 495a ZPO)


Es kommt leider häufig vor, dass der zuständige Richter in einer Instanz (teilweise mehrfach) wechselt. Dies kommt nicht nur vor, wenn es sich um Richter auf Probe handelt, die im Laufe des Verfahrens versetzt werden, sondern auch im übrigen. Die Krux dabei ist das von den Gerichten zu beachtende rechtliche Gehör, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 03.07.2019 verdeutlicht.

Ausgangspunkt war ein Urteil des Amtsgerichts, in dem der Beschwerdeführer beim BVerfG Kläger war. Dort wurde vor der Richterin Dr. H. (da das BVerfG von der Richterin und nicht von der Richterin am Amts- oder Landgericht bzw. OLG spricht darf angenommen werden, dass es sich um eine Richterin auf Probe handelte) a, 19.07.2016 mündlich über die Klage verhandelt. Nach der mündlichen Verhandlung kam es offenbar zu einem Richterwechsel, da ein Beschluss zur Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom Richter am Landgericht (einen offenbar vom Landgericht an das Amtsgericht abgeordneten Richter) am 30.08.2016 verkündet wurde. Nach Vorlage des Gutachtens wurde mit Anhörung des Sachverständigen erneut am 26.01.2017 verhandelt, nunmehr vor der Richtern Dr. Gr. (offenbar wieder eine Richterin auf Probe). Diese gab mit Beschluss vom 01.12.2017 bekannt, dass sie gedenke im schriftlichen Verfahren nach § 495a ZPO ohne weitere mündliche Verhandlung ein Urteil erlassen und bis zum 28.12.2017 eingehende Schriftsätze berücksichtigen zu wollen. Mit Schriftsatz vom 28.12.2017 rügte der Beschwerdeführer die nach seiner Ansicht fehlende Kompetenz des ehedem beauftragten medizinischen Sachverständigen auf dem hier fraglichen Gebiet und wiederholte einen Antrag aus seinem Schriftsatz vom 30.11.2017, die mündliche Verhandlung wiederaufzunehmen und fortzusetzen. Durch Änderung des Geschäftsverteilungsplans des Amtsgerichts vom 28.03.2018 schied die Richterin Dr. Gr. aus und der Beschwerdeführer beantragte unter Hinweis auf § 156 ZPO mit Schriftsätzen vom 17.05. und 21.08.2018 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung. Ohne erneute mündliche Verhandlung erließ nunmehr das Amtsgericht durch die Richterin Ga. Das vom Beschwerdeführer angegriffene Urteil und wies „auf Grund des Sachstands vom 28.12.2017“ die Klage ab. Gegen dieses Urteil erhob der Beschwerdeführer beim Amtsgericht die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO, da streitwertmäßig eine Berufung unzulässig war. Er rügte die fehlende Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO und machte geltend, dass nach dem Richterwechsel jedenfalls erneut das Verfahren nach § 495a ZPO hätte angeordnet werden müssen. Die Rüge wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen.

Hinweis: § 495a ZPO stellt es den Gerichten frei, im Falle eines Streitwertes von bis zu € 600,00 nicht mündlich zu verhandeln. Bei einem Antrag einer Partei auf mündliche Verhandlung ist aber auch hier mündlich zu verhandeln, § 495a S. 2 ZPO.

Diese Zurückweisung war, so das BVerfG, fehlerhaft; das Urteil habe den Kläger in seinem rechtlichen Gehör verletzt. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde über das Urteil durch das BVerfG würde  der Beschluss des Amtsgerichts zur Anhörungsrüge gegenstandslos.

Zwar folge aus Art.103 Abs. 1 GG nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, da es Sache des Gesetzgebers sei zu entscheiden, auf welche Weise rechtliches Gehör gewährt würde. Habe eine mündliche Verhandlung aber nach dem Gesetz stattzufinden, wie des in den Fällen des § 495a S. 2 ZPO auf Antrag einer Partei der Fall sei, begründe dies einen Anspruch auf Durchführung derselben bei einem entsprechenden Antrag. Nach § 128 Abs. 1 ZPO habe die mündliche Verhandlung „vor dem erkennenden Gericht“ zu erfolgen. § 309 ZPO bestimme, dass das Urteil von den Richtern zu fällen sei, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt hätten, wobei § 156 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ergänzend bestimme, dass – wenn zwischen mündlicher Verhandlung und der Beratung und Abstimmung ein Richter ausscheide, auch ohne Antrag die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen ist. Die mündliche Verhandlung müsse daher nicht nur vor dem „erkennenden Gericht“, sondern vor dem Richter (bzw. Richtern) stattfinden, der/die das Urteil fällt/fällen.

Dagegen sei vorliegend verstoßen worden. Die Richterin Ga. hätte (wie auch vom Beschwerdeführer beantragt) vor Erlass des Urteils noch einmal mündlich verhandeln müssen. Ihr ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil verletzte daher das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers.

Erfolgreich ist die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs aber nur dann, wenn das Urteil auf dem Gehörsverstoß beruht. Dies bejahte das BVerfG vorliegend. Bei einer zwingend gebotenen mündlichen Verhandlung, wie sie hier vom Beschwerdeführer gefordert wurde, könne in der Regel nicht ausgeschlossen werden, dass bei ihrer Durchführung eine andere Entscheidung ergangen wäre: Die mündliche Verhandlung habe  den gesamten Prozessstoff in prozess- und materiellrechtlicher Hinsicht zum Gegenstand und je nach Prozesslage, Verhalten der Gegenseite und Hinweisen des Gerichts könne dies zu weiterem Sachvortrag, Beweisanträgen und Prozesserklärungen führen, ohne dass dies im Einzelnen sicher vorhersehbar wäre. Es könne daher vorliegend dahinstehen, ob Art. 103 Abs. 1 GG, der sicherstellen soll, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, noch im Hinblick auf die Auswahl des Sachverständigen verletzt sei (dazu BGH, Beschluss vom 31.05.2016 - VI ZR 305/15 -).

BVerfG, Beschluss vom 03.07.2019 - 1 BvR 2811/18 -

Mittwoch, 25. September 2019

Lohnsteuer (Sachbezug): Backwaren ohne Belag und Heißgetränke vom Arbeitgeber


Die Klägerin stellte ihren Mitarbeitern Backwaren (Laugenbrötchen, Käsebrötchen, Käse-Kürbis-Brötchen, Rosinen- und Schokobrötchen pp. und Kroamstuten) ohne Belag sowie Heißgetränke in der Kantine zur kostenlosen ganztägigen Bedienung durch die Mitarbeiter zur Verfügung. Vormittags gab es eine halbe Stunde bezahlte Pause; in dieser Zeit sollten die Mitarbeiter ins Gespräch kommen, Kontakte pflegen und stellenübergreifende Problemlösungen finden; während dieser pausen waren häufig auch Führungskräfte und der Vorstand der Klägerin anwesend.

Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung sah das beklagte Finanzamt (FA) in der unentgeltlichen Überlassung der Backwaren und Getränke Sachbezugswerte, die zu versteuern seien. Die Klägerin beantragte daraufhin die Pauschalierung der Lohnsteuer gem. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG, vertrat allerdings entgegen dem FA die Ansicht, es handele sich hier nicht um ein Frühstück. Das DA forderte für den Prüfzeitraum Lohnsteuer und Nebenabgaben (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuern) nach. Der Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid wurde zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage zum Finanzgericht war erfolgreich. Die vom FA eingelegte Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

Als richtig sah der BFH vom Grundsatz die Auffassung des FA an, dass der Arbeitgeber gem. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25% erheben kann, soweit arbeitstäglich Mahlzeiten im Betrieb an Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt abgibt, wenn diese Mahlzeiten nicht als Lohnbestandteile vereinbart wurden. Die Steuer sei eine vom Arbeitnehmer abgeleitete Steuer, die dem Grund nach durch eine Tatbestandsverwirklichung des Arbeitnehmers entstünde, was notwendig für eine Pauschalierung durch den Arbeitgeber voraussetze, dass für den Arbeitnehmer eine geldwerte Einnahme iSv. § 19 EStG vorliege. Zu diesen geldwerten Einnahmen würden auch (unabhängig von einem Rechtsanspruch) einmalige Bezüge und Sachbezüge gehören, wobei nach § 8 Abs. 2 S. 1 EStG zu den Sachbezügen auch „Kost“ gehöre. Diese Bezüge müssten durch das individuelle Dienstverhältnis begründet sein, was bereits dann der Fall sei, wenn  sie dem Arbeitnehmer mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen würden. Diese Grundsätze kämen auch dann zum Tragen, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Speisen und Getränke unentgeltlich oder verbilligt zur Verfügung stellen würde, wobei es nicht darauf ankäme, dass Verpflegungsaufwendungen grundsätzlich den für die Einkünfteermittlung unbeachtlichen Bereich der Lebensführung betreffen würden.

Nach diesen Grundsätzen würde vorliegend eine Versteuerung und damit auch eine Lohnsteuerpauschalierung nicht in Betracht kommen. Es würde sich hier bereits dem Grunde nach nicht um Arbeitslohn handeln. Auch wenn die Überlassung einen Vorteil für die Arbeitnehmer darstelle, handele es sich nicht um eine Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft. Dagegen würde bereits sprechen, dass die Backwaren und Heißgetränke zum sofortigen Verzehr im Betrieb bereitgestellt worden seien, allen Arbeitnehmern ohne Unterschied gewährt worden seien und zudem der Verzehr in der Regel nicht während echter Pausen (also außerhalb der Arbeitszeit) stattfinde, sondern während der bezahlten Arbeitszeit, wobei die Arbeitnehmer beim Verzehr in der Kantine zusammen kämen und sich über berufliche Angelegenheiten untereinander sowie mit der „Führungsetage“ austauschen sollten. Damit sei die Überlassung von Backwaren und Heißgetränken mit Aufwendungen des Arbeitgebers zur Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und zur Schaffung günstiger betrieblicher Arbeitsbedingungen vergleichbar, denen keine Entlohnungsfunktion zukomme (so z.B. BFH, Urteil vom 17.07.1959 - VI 107/57 U -  zur Abgabe von kostenfreien Getränken an Mitarbeiter als nicht steuerbare Aufmerksamkeiten). Damit läge vorliegend der Sachverhalt auch anders als im Fall der Entscheidung vom 04.08.1994 - VI R T 91/92 -, in der es (was weiterhin gelte) um die zehnmal im Jahr stattfindende Bewirtung von ausgewählten Mitarbeitern in einer Gaststätte gegangen sei.

Entscheidend sei auch, dass es sich bei den zur Verfügung gestellten Backwaren und Heißgetränken nicht um eine Mahlzeit (z.B. ein Frühstück, Mittag- oder Abendessen)) gehandelt habe (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 SvEV), die grundsätzlich Arbeitslohn darstellen würden. Nach der zugrunde zu legenden Verkehrsanschauung müssten für die Annahme eines (auch einfachen) Frühstücks jedenfalls noch Aufstrich oder Belag hinzukommen, wobei die Art des Brötchens ohne Belang sei. Auch die Ansicht des FA zur veränderten Essgewohnheiten, Kaffee „to go“ und ein unterwegs verzehrtes unbelegtes Brötchen als Frühstück anzusehen, sei verfehlt; es handele sich um eine Lebensmittel, die erst durch Kombination mit weiteren Lebensmitteln (wie Butter, Aufschnitt, Käse, Marmelade) zu einem Frühstück würden.

BFH, Urteil vom 03.07.2019 - VI R 36/17 -

Samstag, 21. September 2019

Gesetzlicher Richter: Verstoß bei Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter


Vorliegend musste das Landgericht über eine sofortige Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss entscheiden, nachdem der Rechtspfleger des Amtsgerichts dieser nicht abgeholfen hatte. Hier entschied nicht die zuständige Kammer in voller Besetzung, sondern der Einzelrichter. Er wies die sofortige Beschwerde zurück, ließ aber die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zu. Der BGH hat nun nicht über die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsfrage entschieden, sondern den Beschluss des Einzelrichters wegen eines Verstoßes gegen den „gesetzlichen Richter“ aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Ein Verstoß gegen den „gesetzlichen Richter“ (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) führt zwingend zur Aufhebung der darauf beruhenden Entscheidung, da nur der „gesetzliche Richter“ befugt ist, eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Es kommt also nicht darauf an, ob die Entscheidung materiell-rechtlich zutreffend ist oder nicht und ob sie der BGH bei einer Entscheidung in der Sache selbst stützen würde und eine gegen sie erhobene Rechtsbeschwerde zurückweisen würde. Der Verstoß muss nicht notwendig von dem Rechtsmittelführer gerügt werden; das Gericht hat dies, wenn sich Anhaltspunkte für einen Verstoß ergeben,  von Amts wegen zu prüfen (BSG, Urteil vom 23.08.2007 - B 4 RS 2/06 R -; BGH, Beschluss vom 18.09.2018 - VI ZB 34/17 -).

Grundlage ist im Beschwerdeverfahren § 568 ZPO, demzufolge das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet, § 568 S. 1 ZPO, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter (oder wie hier) einem Rechtspfleger erlassen wurde. Allerdings ist der an sich originär zuständige Einzelrichter nach § 568 S. 2 ZPO verpflichtet, der Kammer (Landgericht) oder dem Senat (Oberlandesgericht) das Verfahren zu übertragen, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist (Nr. 1.) oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 2.).

Indem vorliegend der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen habe, habe er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Auch wenn § 568 S. 3 ZPO die Begründung eines Rechtsmittels mit der erfolgten oder unterlassenen Übertragung ausschließt, sieht der BGH in dem Beschluss doch eine objektiv willkürliche Entscheidung des Einzelrichters und Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, da er nach § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO zwingend bei Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung das Verfahren der Kammer hätte vorlegen müssen.

BGH, Beschluss vom 18,12,2018 - VI ZB  2/18 -

Mittwoch, 18. September 2019

Schadensersatz: Verdienstausfallschaden und berufsbedingte Aufwendungen


Das OLG Nürnberg musste u.a. aus Anlass eines Verkehrsunfalls über einen vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfallschaden entscheiden. Dabei handelt es sich um einen Anspruch nach § 252 BGB. Vorliegend ging es um die Frage, ob der Kläger den gesamten Verdienstausfall geltend machen kann. Das Landgericht hatte, wogegen sich insofern die Berufung der Beklagten richtete, diesen Schaden ohne jeden Abzug zuerkannt.

Geltend gemacht wurde vom Kläger ein Verdienstausfall vom 14.11.2016 (nach Ablauf der Lohnfortzahlung gem. § 3 EFZG durch den Arbeitgeber) bis Juli 2017 von € 3.141,79 nach Abzug des Krankengeldes; das Landgericht gab der Klage insoweit statt. Ferner machte er einen Verdienstausfall aus einer Nebentätigkeit mit € 2.543,80, der vom Landgericht abgewiesen wurde, da insoweit der Kläger seinen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 3 EFZG gegenüber dem Arbeitgeber nicht geltend gemacht habe.

Beide Parteien hatten Berufung bzw. Anschlussberufung  gegen das Urteil eingelegt.

Der Verdienstausfall ist ein ersatzfähiger Schaden iSv. § 252 BGB. Das OLG führte aus, dass nach dem Zweck der Bestimmung (Beweiserleichterung) derjenige Gewinn als entgangenen gelten würde, der nach m gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden könne. In diesem Fall würde vermutet, dass er auch erzielt worden wäre. Einer vollen Gewissheit iSv. § 286 BGB bedürfe es nicht (BGH, Urteil 26.07.2005 - X ZR 134/04 -).

Der Kläger, der vier Monat vor dem Unfall den Nebenjob als Limousinenfahrer angenommen habe, habe durch den Unfall diesen Job verloren, weshalb auch insoweit ein Erstattungsanspruch bestünde. Der Umstand, dass er seinen Lohnfortzahlungsanspruch gem. § 3 EFZG nicht geltend gemacht habe, sei unschädlich, da es sich hier nicht um eine Obliegenheit des Klägers zum Schutze des Schädigers im Sinne einer Schadensminderung handele. Es handele sich hier um eine Abwälzung des Schadens des Klägers auf einen Dritten, der diesen dann selbst geltend machen könne, § 6 EFZG.

Zu prüfen blieb danach, ob hier bei den jeweiligen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit Abzüge für ersparte Aufwendungen vorzunehmen sind.  Es handele sich, so das OLG, um eine Vorteilsausgleichung, da ersparte Aufwendungen in einem inneren Zusammenhang mit dem erlittenen und vom Schädiger zu tragenden Erwerbsschaden stünden. Würden keine besonderen, vom Geschädigten vorzutragenden und ggf. zu beweisenden Umstände vorlägen, aus denen sich niedrigere Aufwendungen ergäben, sei pauschal von Aufwendungen in Höhe von 10% des Nettoeinkommens auszugehen (so auch OLG München, Urteil vom 29.04.2011 - 10 U 4208/10 -; OL des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.09.1998 - 12 U 31/98 -).

Im Zusammenhang mit dem Hauptberuf des Klägers habe dieser dargelegt, dass er keine Aufwendungen erspart habe. Berufskleidung als Maler sei gestellt worden und er habe vom Arbeitgeber ein (einschließlich Benzin) finanziertes Fahrzeug gehabt, mit dem er zur Arbeitsstelle und zurück habe fahren können. Mitgliedsbeiträge für Berufsgenossenschaften oder andere Verbände und Kosten für Fachliteratur seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahm auch nicht angefallen. Auch habe der Kläger glaubhaft angegeben, dass er jeweils eine Brotzeit von zuhause zur Arbeit mitgenommen habe, weshalb er auch keinen Verpflegungsmehraufwand erspart habe. Vor diesem Hintergrund sei hier ein Abzug für ersparte Aufwendungen nicht vorzunehmen.

Anders allerdings sei dies bei dem Nebenjob. Zum Firmensitz habe er 13km zurückzulegen, wobei er nur bei schönen Wetter gefahren sei, weshalb, da ein Teil der Arbeitsunfähigkeit in die Winterzeit gefallen sei, davon auszugehen sei, dass er Fahrtkosten gehabt hätte. Auch habe er selbst für seine Arbeitskleidung (er selbst habe von einem Smoking gesprochen) aufkommen müssen, für die Reinigungskosten angefallen wären. Damit sei auf das Nettogehalt für den Nebenjob ein Abzug von 10% vorzunehmen.

OLG München, Urteil vom 26.03.2019 - 24 U 2290/18 -

Freitag, 13. September 2019

Klagebefugnis des Wohnungseigentümers zur Umsetzung von Beschlüssen


Die Wohnungseigentümergemeinschaft, der die Kläger angehörten, hatte in der Eigentümerversammlung vom 14.12.2015 beschlossen, der Beklagte als Verwalter solle im Auftrag der Eigentümergemeinschaft Klage gegen die frühere Verwalterin auf Neuerstellung der Jahresabrechnungen 2009 bis 2012 erheben. Der Beklagte setzte dies aber nicht um. Daraufhin haben die Kläger (nach vorangegangener anwaltlicher Mahnung) mit am 19.07.2016 bei Gericht eingegangener und am 22.07.2016 dem Beklagten zugestellter Klage beantragt, den Beklagten zur Beauftragung eines Anwalts zu verpflichten, der für die Gemeinschaft Klage mit dem Ziel der Erstellung der Einzel- und Gesamtjahresabrechnungen 2009 bis 2012 erhebt. Am Tag vor Zustellung der Klage (also am 21.07.2016) gegen den Beklagten bei diesem fasste allerdings die Eigentümergemeinschaft den (in der Folge von den Klägern angefochtenen) Beschluss, nach dem unter Aufhebung des Beschlusses vom 14.12.2015, der alten verwalterin eine Frist zur Abrechnung gesetzt werden sollte und für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der Frist eine Ersatzvornahme angedroht werden sollte.

Auf die Anfechtungsklage gegen den Beschluss vom 21.07.2016 wurde dieser mit Urteil vom 09.01.2017 für ungültig erklärt. Sodann hatte das Amtsgericht der gegen den Beklagten gerichteten Klage stattgegeben. Nachdem nunmehr auf Veranlassung des Beklagten die erstrebte Klage gegen die frühere Verwalterin erhoben wurde, erklärten die Kläger (im Berufungsverfahren) die Hauptsache für erledigt. Der Beklagte widersprach dem. Das Landgericht erlegte dem Kläger mit dem mit der (zugelassenen) Revision angefochtenen Urteil die Kosten auf. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Die einseitige Erledigungserklärung der klagenden Partei führt dazu, dass das Gericht nicht im beschlussweg gem. § 91 a ZPO über di Kosten entscheiden kann, sondern durch Urteil darüber zu entscheiden hat, ob sich die Hauptsache erledigt hat oder nicht. Die Erledigung sei vom Berufungsgericht vorliegend unter Auferlegung der Kosten auf den Beklagten zu Recht angenommen worden.

Entscheidend war hier, dass ein einzelner Wohnungseigentümer vom Verwalter nach Auffassung des BGH die Umsetzung eines Beschlusses verlangen kann. Der Verwalter habe gem. § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG eine gesetzliche Pflicht zur Durchführung von Beschlüssen, Dies resultiere aus dem Anspruch jeden Wohnungseigentümers, und diese Pflicht könne jeder Wohnungseigentümer gerichtlich gegen den Verwalter geltend machen.

Der Annahme, die Klage sei ursprünglich zulässig und begründet gewesen, würde hier der Beschluss vom 21.07.2017 nicht entgegenstehen. Zwar sei dieser Beschluss über eine abweichende Vorgehensweise gegen die frühere Verwalterin verbindlich gewesen, da eine Beschlussanfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung begründe, § 23 Abs. 4 S. 2 BGB. Allerdings wäre ausreichend, wenn zwar die Klage bei Erhebung der Klage nicht zulässig und begründet sei, aber zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (BGH, Urteil vom 06.12.1984 - VII ZR 64/84 -). Dies sei vorliegend der Fall: Das erledigende Ereignis läge in der Umsetzung des Beschlusses vom 14.12.2015 durch den beklagten. Diese Pflicht sei mit Rechtskraft des den Beschluss vom 21.07.2016 für ungültig erklärenden Urteils wieder aufgelebt.  

Praxishinweis: Wird ein Beschluss, dessen Umsetzung ein Wohnungseigentümer gerichtlich geltend macht, vor Zustellung der Klage aufgehoben, kann der Wohnungseigentümer die Klage mit Verweis auf § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO („Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.“) die Klage zurücknehmen und ebenso wie bei einer Erledigung des Hauptsache nach Rechtshängigkeit (§ 91a ZPO) die Kostentragung der Beklagtenseite begehren.  

BGH, Urteil vom 15.02.2019 - V ZR 71/18 -

Mittwoch, 11. September 2019

WEG-Verwalterwahl mit mehreren Bewerbern – wie ist sie durchzuführen ?


Häufiger als erwartet gestaltet sich wohl die Wahl des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft als formales Problem. Der BGH hat sich dazu geäußert. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach der Teilungserklärung (TE) bestimmte sich das Stimmrecht nach Mieteigentumsanteilen (MEA); Stimmenthaltungen sollten als nicht abgegebene Stimmen gelten, die ebenso wie die Stimmen nicht anwesender und gleichzeitig nicht vertretener Wohnungseigentümer bei der Feststellung der Stimmenmehrheit nicht mit berücksichtigt werden. Auf der maßgeblichen Wohnungseigentümerversammlung waren 935,35/1.000 MEW anwesend bzw. vertreten. Neben der bisherigen Verwalterin gab es drei weitere Bewerber um das Amt des Verwalters. Für jeden Bewerber ab es einen Beschlkussvorschlag; bei dem Beschlussvorschlag 1 handelte es sich um die bisherige Verwalterin, die Beschlussvorschlage 2 bis 4 betrafen die weiteren drei Bewerber. Bei der Abstimmung über den Beschlussvorschlag 1 entfielen auf die bisherige Verwalterin auf Ja-Stimmen 463,40/1.000 MES, auf Nein-Stimmen 382,25/1.000 MEA und auf Enthaltungen 89,70 MEA. Der Versammlungsleiter stellte darauf fest, dass damit die bisherige Verwalterin widergewählt worden sei und es keiner weiteren Abstimmungen zu den weiteren drei Bewerbern bedürfe. Die Kläger hatten diesen Beschluss (und den nachfolgenden Beschluss zum Verwaltervertrag) angefochten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die (zugelassene) Revision der Beklagten wurde vom BGH abgewiesen.

Der BGH führte aus, dass die Wohnungseigentümer gem. § 26 Abs. 1 S. 1 WEG über Bestellung und Abberufung des Verwalters mit Stimmenmehrheit beschließen würden. Die Festlegung der Verfahrensweise bei Abstimmungen obliege, wenn in der TE / Gemeinschaftsordnung oder durch einen einfachen Geschäftsordnungsbeschluss nicht anderes festgelegt worden sei, dem Versammlungsleiter. Dieser könne nach pflichtgemäßen Ermessen den Abstimmungsmodus, insbesondere die Reihenfolge der Abstimmungsfragen, festlegen. Ferner könne er im Rahmen dieses Ermessens auch darüber bestimmen, welches Wahlverfahren durchgeführt werden soll, wenn es (wie hier) mehrere Bewerber um da Amt gäbe. Insoweit käme in Betracht:
  •      Jeder Wohnungseigentümer habe bei einer nacheinander erfolgenden Abstimmung über die einzelnen Bewerber nur eine Ja-Stimme.
  •     Jeder Wohnungseigentümer könne in jedem Wahlgang, unabhängig von seiner vorherigen Stimmabgabe von seinem Stimmrecht, und damit auch wieder von einer Ja-Stimme, Gebrauch machen.
Vorliegend habe der Versammlungsleiter gemäß dem ihm zustehenden Ermessen die Kandidaten, beginnend mit der bisherigen Verwalterin, zur Abstimmung gestellt. Fehlerhaft sei allerdings der Abbruch der Abstimmung nach dem ersten Wahlgang gewesen.

Es müsse, stehen mehrere Bewerber zur Wahl, über jeden Bewerber abgestimmt werden. Dies dürfe nur unterbleiben, wenn ein Bewerber die absolute Mehrheit erreiche und die Wohnungseigentümer nur eine Ja-Stimme insgesamt abgeben dürften. Läge diese Voraussetzung nicht vor, dürfe die Abstimmung über die weiteren Bewerber nicht abgebrochen werden, da nicht festgestellt werden könne, ob die erforderliche Mehrheit erreicht wurde.

Grundsätzlich käme es zwar bei der Bestimmung der Mehrheit iSv. § 25 Abs. 1 WEG allein entscheidend auf die Ja-Stimmen an, da Enthaltungen wie bei (auch kurzzeitig) abwesenden und nicht vertretenen Eigentümern nicht mitgezählt würden. Stünden aber mehrere Bewerber zur Auswahl, sei die Abstimmung über jeden einzelnen Bewerber nur ein Teilakt eines als Einheit anzusehenden Verfahrens. Die relative Mehrheit für einen Bewerber sei nicht ausreichend, wenn mehr als zwei Kandidaten zur Auswahl stünden.

Bei einem Wahlverfahren, bei dem unabhängig von der vorangegangenen Stimmabgabe das Stimmrecht bei jedem Wahlgang umfassend ausgeübt werden könne, also jeweils mit Ja gestimmt werden kann, könnten auch nachfolgende Bewerber mehr Ja-als Nein-Stimmen auf sich vereinigen, wobei es auch möglich sei, dass zwei oder mehr Bewerber die Stimmen aller Wohnungseigentümer erhalten. Dieses Wahlverfahren eröffne die Möglichkeit, dass nach einer persönlichen Präferenzordnung abgestimmt würde, also etwa ein Bewerber bevorzugt, aber auch andere für annehmbar gehalten würden. Würde über den bevorzugten Bewerber erst später abgestimmt, müsse der Eigentümer auch insoweit die Möglichkeit haben sein Stimmrecht auszuüben, weshalb der Willensbildungsprozess der Wohnungseigentümer erst nach dem letzten Wahlgang abgeschlossen sei.

Würde ein Wahlverfahren festgelegt, wonach jeder Eigentümer nur eine Ja-Stimme habe, müssten grundsätzlich auch alle Bewerber zur Abstimmung gestellt werden. Zwar könnten diejenigen Miteigentümer, die im ersten oder nachfolgenden Wahlgang bereits mit Ja gestimmt hätten, bei weiteren Wahlgang nicht mehr mit Ja stimmen; diejenigen, die aber mit Nein gestimmt hätten oder sich enthalten hätten, könnten jeweils mit Ja stimmen. Die Abstimmung über alle Bewerber müsste in diesem Verfahren nur dann nicht fortgeführt werden, wenn ein Bewerber in einem Wahlgang bereits die absolute Mehrheit erzielt habe und weitere Wahlgänge an diesem Ergebnis nichts mehr ändern könnten.

Damit stünde vorliegend nicht fest, dass die bisherige Verwalterin mit der notwendigen Stimmenmehrheit wiederbestellt worden sei. Dabei könne offen bleiben, welches der benannten Wahlverfahren der Versammlungsleiter vorliegend angewandt habe. Jedenfalls habe die bisherige Verwalterin nicht die absolute Stimmenmehrheit auf sich vereinigt, weshalb bereits deshalb der Abbruch der weiteren Abstimmung unzulässig gewesen sei (Anm.: die absolute Stimmenmehrheit hätte 467,68 Stimmen bedurft). Damit sei der Beschluss über die Verwalterbestellung nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, weshalb auch der Beschluss über den Verwaltervertrag mit der bisherigen Verwalterin als ungültig zu erklären war.

BGH, Urteil vom 18.01.2019 - V ZR 324/17 -

Dienstag, 10. September 2019

WEG: Die Voraussetzungen für einen „Abmahnbeschluss“ (und Entziehung des Wohnungseigentums) bei rechtsmissbräuchlicher Rechtsausübung


Direkt nach einer Wohnungseigentümerversammlung vom 31.08.2016, an der sie nicht teilnahmen,  forderten die Kläger die Verwalterin auf, ihnen eine Kopie aus der Beschlusssammlung bis 05.09.2016 zu überlassen und wiesen die Verwalterin drauf hin, dass diese, komme sie dem nicht nach, aus wichtigen Grund wegen Pflichtverletzung abberufen werden könne. Auf einer von den Klägern begehrten Eigentümerversammlung beschlossen die beklagten Mitglieder der WEG eine Abmahnung der Kläger, in der sie darauf hinwiesen, dass die Kläger es seit Jahren darauf anlegen würden, die jeweiligen Verwalter durch permanente Aufforderung zum Rücktritt und Ankündigung der Abwahl zu zermürben, womit sie es darauf anlegen würden, die Gemeinschaft in eine verwalterlosen Zustand zu treiben. Der Vorverwalter habe deshalb bereits seinen Vertrag nicht verlängert und eine Zerrüttung drohe nun auch mit der erst seit dem 01.01.2016 amtierenden neuen Verwalterin.


Die Klage, Berufung und auch (zugelassene) Revision der Kläger gegen diesen Abmahnbeschluss blieb erfolglos.

Die Klage sei zulässig. Auch wenn die Abmahnung durch die Verwalterin selbst oder einzelne Wohnungseigentümer hätte ausgesprochen werden können, ohne dass dies anfechtbar wäre (BGH, Urteil vom 19.01.2007 - V ZR 26/06 -), hätte die Eigentümer das Recht, die Abmahnung qua Beschluss auszusprechen und sei dieser Beschluss wie jeder andere Beschluss anfechtbar, auch wenn bei einer erfolgreichen Beschlussanfechtung die rechtliche Wirkung der Abmahnung nicht beseitigt würde, wenn der Beschluss den Anforderungen an eine Abmahnung entspräche.

Im Beschlussanfechtungsverfahren würde der Abnahmebeschluss lediglich darauf überprüft, ob die formellen Voraussetzungen der Beschlussfassung eingehalten worden seien, ob das abgemahnte Verhalten einen Entziehungsbeschluss rechtfertigen könnte und ob die Abmahnung hinreichend bestimmt sei. Die Prüfung der materiellen Richtigkeit der Abmahnung (ob also ein entsprechendes Verhalten tatsächlich vorlag) würde aber erst nach einem Entziehungsbeschluss in einem folgenden gerichtlichen Entziehungsprozess geprüft werden (BGH, Urteil vom 08.07.2011 - V ZR 2/11 -).  In diesem im Beschlussanfechtungsverfahren zu prüfenden Umfang sei der Beschluss nicht zu beanstanden.

Allerdings könne die Entziehung des Wohnungseigentums im Grundsatz nicht auf die Ausübung von Eigentümerrechten durch den betroffenen Wohnungseigentümer gestützt werden. Der einzelne Wohnungseigentümer habe, auch in Ansehung seines Anspruchs auf ordnungsgemäße Verwaltung (§ 21 Abs. 3 bis 5 WEG) das Recht, sich mit Anträgen an die Verwaltung zu richten, Anträge bei Wohnungseigentümerversammlungen zu stellen und gefasste Beschlüsse durch Anfechtung oder Beschlussersetzungsklage gerichtlich überprüfen zu lassen. Sein diesbezügliches Verhalten könne nicht zur Entziehung des Wohnungseigentums führen, da er ansonsten seine Rechte nicht unbefangen und effizient ausüben könne.

Die Geltendmachung von Eigentümerrechten könne aber rechtsmissbräuchlich sein und, wenn dieses Verhalten ein entsprechendes Gewicht habe, auch die Entziehung des Wohnungseigentums nach § 18 WEG rechtfertigen. Die Rechte des Wohnungseigentümers würden unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben  (§ 242 BGB) stehen. So könnte eine Beschlussanfechtungsklage, bei der der Eigentümer in Kenntnis des Verfahrensmangels zugestimmt habe, wegen widersprüchlichen Verhaltens rechtsmissbräuchlich oder mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig sein. Rechtsmissbräuchlichkeit könne aber auch in Ansehung der Ziele vorliegen (so für eine Vollstreckungsgegenklage, die prozessfremden Zielen diene, BGH, Urteil vom 21.10.2016 - V ZR 1/08 -; bei Klagen eines Aktionärs gegen Beschlüsse, nur um die Gesellschaft in eigennütziger Weise zu veranlassen, ihm Leistungen zu gewähren). Entsprechendes gelte für die Wahrnehmung von Eigentümerrechten, wenn diese zur Verfolgung von wohnungseigentumsfremder oder gar –feindlicher Ziele eingesetzt würden. Hier seien aber strenge Anforderungen zu stellen, da es um den Kernbereich der elementarer Mitgliedschaftsrechte ginge. Alleine die fehlende oder unzureichende Begründung einer Beschlussanfechtungsklage reiche nicht, ebenso wenig die der Umfang (wie zahlreiche Anfechtungsklagen). Auch auf den Erfolg dieser Klagen käme es nicht an. Rechtsmissbrauch läge auch nicht bei querulatorischen Anfechtungsklagen vor.

Vorliegend sei aber ein Rechtsmissbrauch anzunehmen. Nah dem Beschluss sollen es die Kläger seit Jahren darauf angelegt haben, die jeweiligen Verwalter durch Aufforderungen zum Rücktritt und Ankündigungen einer Abwahl versucht haben zu zermürben und die Gemeinschaft so in einen verwalterlosen Zustand zu treiben (die materielle Richtigkeit wurde nicht geprüft, da dies einem Entziehungsprozess vorbehalten bleibt). Damit stützen sich die Beklagten nicht auf ein Antrags-, Abstimmungs- oder Klageverhalten der Kläger als solchem sondern darauf, dass diese ihre Eigentümerrechte zur Destabilisierung der Wohnungseigentümergemeinschaft missbrauchen würden.

Ein derartiger Missbrauch könne die Entziehung des Wohnungseigentums  rechtfertigen, da es im diametralen Gegensatz zum Kernanliegen des WEG läge, welches in der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Verwaltung läge. Dieses Ziel würde nach der Konzeption des WEG im Regelfall nur durch die Bestellung eines Verwalters, insbesondere bei größeren Wohnungseigentümergemeinschaften wie hier, erreicht. Würden die Verwalter vergrault, würden die kontinuierliche Pflege, Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums, die geordnete Aufbringung der zu dieser Verwaltung benötigten Mittel, die Erfüllung gemeinschaftlicher Verpflichtungen und das Zustandekommen der für die Verwaltung erforderlichen Beschlüsse nicht mehr gesichert sein. Lege es ein Wohnungseigentümer darauf an, missbrauche er seine Rechte zu wohnungseigentumsfeindlichen Zwecken und verletzte durch diese Instrumentalisierung seiner Rechte die ihm gegenüber den übrigen Eigentümern und der Gemeinschaft obliegenden Pflichten grob, was den übrigen Eigentümern nicht zumutbar sei und die Entziehung des Wohnungseigentums rechtfertige.


BGH, Urteil vom 05.04.2019 - V ZR 339/17 -

Sonntag, 8. September 2019

WEG: Beschlussanfechtungsklage und Berechnung der Frist für die rechtzeitige Zahlung des Gerichtskostenvorschusses


Die Parteien, Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, hatten auf einer Eigentümerversammlung vom 16.06.2016 diverse von dem klagenden Miteigentümer mit am 13.07.2016 bei dem zuständigen Amtsgericht eingegangener Klage angefochten. Mit Schreiben des Gerichts vom 15.07.2016 wurde der Kläger gem. § 12 Abs. 1 GKG zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Dieser Vorschuss ging am 09.08.2016 bei der Gerichtskasse ein. Die Zustellung der Klage wurde daraufhin veranlasst und erfolgte am 17.08.2016. Mit am 16.08.2016 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz wurde die Klage vom Kläger begründet; zugleich hatte er wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung beantragt und die Klage um einen Verpflichtungs- und Feststellungsantrag erweitert.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben erfolglos. Die Abweisung erfolgte wegen Nichtwahrung der Klagefrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Berufung.

Anders als das Amts- und Landgericht nahm der BGH an, dass der Kläger die Klageerhebungsfrist gewahrt habe. Zwar sei die Zustellung der Klage nicht innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erfolgt, doch wirke die tatsächliche (spätere) Zustellung nach § 167 ZPO auf den Tag der Einreichung der Klage zurück, an dem die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Das in § 167 ZPO „demnächst“ sei erfüllt, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten würden. Für die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, der für die Zustellung erforderlich ist, sei bei der Berechnung der noch hinnehmbaren Verzögerung von 14 Tagen nicht auf die Zeitspanne zwischen der Aufforderung zur Einzahlung der Gerichtskosten und deren Eingang bei der Gerichtskasse abzustellen, sondern darauf, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge einer Nachlässigkeit des Klägers verzögert habe, um eine Überforderung des Klägers sicherzustellen (BGH, Urteil vom 10.07.2015 - V ZR 154/14;BGH Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16 -). Der Umstand, dass zwischen dem (zu Gunsten des Klägers unterstellten) Zugang der Gerichtskostenrechnung am 20.07.2016 und dem Eingang des Vorschusses bei der Gerichtskasse mehr als 14 Tage lägen, würd daher einer Annahme einer Zustellung „demnächst“ iSv. § 167 ZPO nicht entgegen stehen. Festzustelle sei, ob dem Kläger eine Verfahrensverzögerung von mehr als 14 Tagen vorgeworfen werden könne.

Diese Frage verneinte der BGH. Die zahlungspflichtige Partei müsse nicht am gleichen Tag zahlen, an dem ihr die Zahlungsaufforderung zugehen würde. Es sei eine Zeitspanne zu berücksichtigen, die die Partei im Normalfall benötigen würde, um für eine ausreichende Kontendeckung zu sorgen und die Überweisung zu veranlassen. Hier sei in der Regel (dies könne sich nach den Umständen des Falls verlängern, BGH Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/126 -) eine Woche. Das würde bedeuten: Eine Untätigkeit zur Einzahlung nach Zugang der Vorschussanforderung am 20.07.2016 könnte dem Kläger bis zum  27.07.2016 nicht vorgeworfen werden. Der maßgebliche Zeitraum der 14 Tage hätte am 28.07.2016 begonnen und wäre daher erst am 10.08.2016 abgelaufen. Die Zahlung sei aber bereits am 09.08.2016 bei der Gerichtskasse eingegangen. Aber auch wenn man von einem Zugang der Gerichtskostenrechnung bereits am Montag, 18.07.2016 oder früher ausgehen wollte, wäre eine zurechenbare Verzögerung nicht angenommen werden: Zwar wären unter Zugrundelegung der Wochenfrist zur Überweisung und der weiteren 14 Tage diese Fristen bereits am Montag, 08.08.2016 abgelaufen gewesen, weshalb der Zahlungseingang am 09.08.2019 an sich später gewesen wäre. Allerdings könne dem Kläger kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er nach Einreichung der Anfechtungsklage bis zum Ablauf der Klagefrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG (ein Monat nach Beschlussfassung) nicht unternommen habe. Würde eine Klage bereits vor Ablauf einer durch Zustellung zu wahrenden Frist eingereicht, erfolge die Zustellung der Klage aber erst nach Ablauf der Frist, seien bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse in die maßgebliche 14-Tage-Frist nicht mit einzurechnen (BGH, Urteil vom 25.09.2015 - V ZR 2013/14 -; BGH, Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16 -). So sei es vorliegend: Die maßgebliche Klagefrist war Montag, der 18.07.2016 (der 16.06,2016 sei ein Samstag gewesen, der nach § 222 ZPO ausscheidet). Eine bis dahin eingetretene Versäumnis sei dem Kläger daher nicht zuzurechnen. Für § 167 ZPO käme es also nur auf die relevante Verzögerung ab dem 19.07.2016 an. Unter Berücksichtigung der Erledigungsfrist (bis spätestens 26.07.2016) wäre daher der Vorschuss am 09.08.2019 noch innerhalb des zuzubilligenden 14-Tage-Zeitraums erfolgt.  

Das angefochtene Urteil wurde vom BGH aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

BGH, Urteil vom 17.05.2019 - V ZR 34/18 -

Donnerstag, 5. September 2019

Barkaution – wer kann wann eine Aufrechnung mit Forderungen erklären ?


Die Beklagten hatten im Rahmen des Mietverhältnisses über Wohnraum, welches am 05.02.2015 durch fristlose Kündigung der Beklagten endete, an den Kläger als Vermieter eine Barkaution von € 1.780,00 geleistet. Der Kläger forderte mit seiner Klage u.a. restliche Miete und Mitausfallschaden und Nebenkosten. Im Berufungsverfahren wurde seitens der Beklagten ein „Zurückbehaltungsrecht“ in Ansehung der gezahlten Kaution eingewandt zum Anspruch auf Nebenkosten eingewandt, welchen das Landgericht als Aufrechnung auslegte, der es folgte. Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen das landgerichtliche Urteil im Hinblick auf die angenommene Aufrechnung. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Vom BGH wird festgehalten, dass zum Zeitpunkt der Berufungsbegründung der Beklagten eine Aufrechnungslage (§ 387 BGB) bestanden habe. Auch die Auslegung des erklärten Zurückbehaltungsrechts als Ausübung eines Aufrechnungsanspruchs sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Bei dem Kautions-Rückzahlungsanspruch der Beklagten handele es sich um eine Geldforderung, und damit um eine der Nebenkostennachforderung gleichartige Forderung. Die Rückzahlung der Kaution sei zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung auch fällig gewesen.

Diese Fälligkeit läge vor, da der Kläger durch Erhebung seiner Klage (konkludent) die Kaution abgerechnet habe. Diese Folgerung leitet der BG daraus ab, da nach dem Ende eines Mietverhältnisses der  Vermieter innerhalb einer angemessenen, nicht allgemein bestimmten Frist (vgl. BGHZ 101, 244, 250f) dem Mieter erklären müsse, ob und gegebenenfalls welche aus dem Mietverhältnis herrührenden Ansprüche er gegen den Mieter erhebt. Mit dieser Erklärung würde die Mietsicherheit abgerechnet, da der Vermieter deutlich mache, ob er und gegebenenfalls in Bezug auf welch Forderungen er ein Verwertungsinteresse an der gewährten Mietsicherheit habe.

In Ermangelung gesetzlicher Regelungen könne der Vermieter damit nach den Vorgaben des § 259 BGB abrechnen, in dem er alle ihm nach seiner Auffassung zustehenden Forderungen im Einzelnen bezeichnet und der Kautionsrückzahlungsforderung gegenüberstellt. Allerdings könne der Vermieter auch konkludent abrechnen, was dann anzunehmen sei, wenn er ihm nach seiner Auffassung zustehende Forderungen aus dem beendeten Mietverhältnis gegen den Mieter klageweise geltend macht, ohne einen Vorbehalt zu erklären, dass noch mit der Geltendmachung weiterer Forderungen zu rechnen sei. Denn damit bringe der Vermieter zum Ausdruck, dass sich sein Verwertungsinteresse an der Kaution ausschließlich auf die in der Forderungsaufstellung bezeichneten bzw. von ihm selbst aufgerechneten oder klageweise geltend gemachten Forderungen beschränke (vgl. auch den Fall BGH, Urteil vom 20.07.2016 - VIII ZR 263/14 -).

Zwischenanmerkung: Es lässt sich nicht erkennen, dass der Vermieter bei Erhebung einer Zahlungsklage gegen den Mieter nach beendeten Mietvertrag damit, wenn kein Vorbehalt aufgenommen wird, über die Kaution abrechnen will. Gerade der Umstand, dass er nicht mit der ihm zur Verfügung gestellten Barkaution aufgerechnet hat, sondern Klage erhebt, gibt er an sich bereits zu erkennen, dass er weitergehende Forderungen gegen den Mieter meint zu haben, die vielleicht zu diesem Zeitpunkt auch nicht bezifferbar sind (wie z.B. eine Betriebskostenabrechnung für das laufende Abrechnungsjahr, in dem das Mietverhältnis endeten (vgl. auch BGH aaO.).
Mit Zugang der Abrechnung bei  Mieter, so der BGH vorliegend, sei die gezahlte Barkaution zur Rückzahlung fällig. Der Vermieter könne sich nunmehr wegen seiner bestimmten und bezifferten Ansprüche, unabhängig davon, ob sie streitig sind oder nicht, aus der Barkaution befriedigen, so durch Aufrechnung seiner Forderungen gegen den Rückzahlungsanspruch des Mieters. (Anmerkung: Die Betriebskosten müssen auch bei Beendigung des Mietverhältnisses im Laufe einer Abrechnungsperiode erst innerhalb der Frist von 12 Monaten nach Ende der Abrechnungsperiode abgerechnet werden, BGH aaO., weshalb wohl teilweise eine Bezifferung der Forderung noch gar nicht möglich ist, also nur ein Zurückbehaltungsrecht durch den Vermieter ausgeübt werden kann). Erkläre der Vermieter Aufrechnung mit einer streitigen Forderung, könne der Mieter insoweit auf Rückzahlung der Kaution klagen; in diesem Prozess müsse dann geklärt werden, ob die aufgerechnete Forderung dem Vermieter zustünde, wobei dem Vermieter die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der Forderung treffe, unabhängig davon, ob er diese einklagt oder aufgerechnet habe.  

Mache der Vermieter von deiner Verwertungsbefugnis durch Aufrechnung mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch keinen Gebrauch, könne der Mieter gegen die Forderung des Vermieters Aufrechnung erklären. Ein Sicherungsbedürfnis des Vermieters bestünde nicht, die Fälligkeit der Forderung auf Rückzahlung der Kaution über die Erteilung der Abrechnung der Kaution hinauszuschieben, da er durch die Abrechnung sein Verwertungsinteresse auf die abgerechnete Forderung beschränke. Er habe die Möglichkeit, im Rahmen der Abrechnung zu erklären, für welche von möglicherweise mehreren Forderungen er die Kaution vorrangig verwerte. Alleine eine Abrechnung, ohne auf die Barkaution zuzugreifen, rechtfertige sein Sicherungsbedürfnis für deren weiteren Einbehalt nicht.

Anmerkung: Die vorliegende Entscheidung und die Entscheidung des gleichen Senats im Urteil vom 20.07.2016 - VIII ZR 263/14 - verdeutlichen, dass der Vermieter sein Vorgehen sorgfältig abwägen muss. Will er eine Forderung nach beendeten Mietverhältnis gegen den Mieter gerichtlich geltend machen, ohne für diese Forderung auf die ihm übergebene Barkaution zurückzugreifen, sollte er jedenfalls verdeutlichen, dass die Barkaution für andere offene Positionen als Sicherheit diene, über die er entweder dann bereits abrechnen kann (und mithin insoweit Aufrechnung gegen den Rückzahlungsanspruch des Mieters erklären kann) oder darlegen müsste (so bei noch nicht abgerechneten Betriebskosten), mit welchen künftigen Forderungen zu rechnen ist, zu deren Sicherung die Kaution dienen soll.

BGH, Urteil vom 24.07.2019 - VIII ZR 141/17 -