Mittwoch, 24. April 2024

Verkehrssicherungspflicht für Bäume Bäumen Park

Die Klägerin wurde durch einen abgebrochenen Ast einer Rostkastanie im städtischen Park schwer verletzt.   Das Landgericht wies die Klage ab.  Die eingelegte Berufung wurde vom OLG als unbegründet zurückgewiesen. Dabei ging es in der Sache um die Frage, wie weit die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht für Bäume in einem Stadtpark reichen.

Der für einen Baum Verantwortliche sei verpflichtet, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine von dem Baum ausgehende Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, Urteil vom 02.10.2012 - VI ZR 311/11 -).  Diese Pflicht sei im Wald insoweit eingeschränkt, als eine Sicherung vor waldtypischen gefahren nicht erfolgen müsse (BGH aaO.). Im Übrigen käme es auf die Umstände des Einzelfalls und der Zumutbarkeit an. Maßgeblich seien dabei der Umfang des Verkehrs, der Standort und Veränderungen im Baumumfeld sowie Art, Entwicklungsphase und Alter des Baumes. Je größer die vom Baum ausgehende Gefahr sei, desto höher seien die Anforderungen an den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht. An Straßen und Wegen seien danach konkret gefährdende Bäume zu entfernen, insbesondere wenn sie nicht mehr standscher seine oder herabzustürzen drohen würden. Allerdings, so das OLG, würden alle Bäume abstrakt eine Gefahr darstellen; völlig gesunde Bäume könnten bei einem Sturm (auch ohne außergewöhnliche Windstärke) entwurzelt oder geknickt werden oder etwas von ihnen abbrechen, wie auch Schneeauflagen und starker Regen zum Abbrechen selbst starker Äste führen könnten. Aber es sei auch nichts stets eine Erkrankung eines Baumes äußerlich sichtbar. Diese ganzen Umstände würden es nicht gebieten, alle Bäume aus der Nähe von Straßen, Plätzen und Wegen zu entfernen, auch nicht in einem Park. Es sei auch keine besonders gründliche Untersuchung aller Bäume notwendig.

Es könne für die notwendige Sicherung nicht darauf abgestellt werden, was zur Beseitigung jeder Gefahr erforderlich wäre. Der Verkehr könne nicht völlig risikolos gestaltet werden. Es müsse als unvermeidlich hingenommen werden, dass gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstünden, sondern auf Gegebenheiten der Natur selbst beruhen würden (Anm.: allgemeines Lebensrisiko). Ausreichend sei daher eine Kontrolle des Verpflichteten, die außer der stets gebotenen regelmäßigen Beobachtung auf trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen des Baumes oder Frostrisse, eine Untersuchung beinhaltet, wo besondere Umstände sie dem Einsichtigen angezeigt erscheinen ließen. Dazu würden das Alter des Baumes, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung oder sein statischer Aufbau oder ähnliches gehören (BGH, Urteil vom 06.03.2014 - III ZR 352/13 -; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2023 - 1 U 310/20 -).

Entsprechend müssten die Sicherungspflichtigen die entsprechenden Bäume regelmäßig beobachten und auf Gefahrenzeichen hin kontrollieren, die ggf. eine eingehendere Untersuchung gebieten. Das OLG wies darauf hin, dass zur Kontrolldichte (den Kotrollintervallen) verschiedene Ansichten vertreten würden. So würde von halbjährlichen Kontrollen ausgegangen, der BGH allgemein dies vom Alter, Standort und Zustand abhängig machen, teilweise nach der FLL-Richtlinie ein jährlicher Intervall als ausreichend angesehen, wobei die Richtlinie weiter differenzieren würde und die jährliche Kontrolle nur bei stärker geschädigten Bäumen in der Reife- und Alterungsphase fordere, ansonsten nur alle zwei bis drei Jahre.

Das OLG ließ offen, in welchem Intervall hier eine Baumkontrolle (in einem Park, in dem der Baum an einem Fuß- und Radweg stand) notwendig gewesen wäre. Es läge sogar in Ansehung eines vorgelegten Auszugs aus der „Archikart Baumverwaltung“ nähe, dass der danach leicht geschädigte Baum nicht in den fachlich gebotenen Abständen kontrolliert worden sei. Danach hätte der Baum nach einer Kontrolle im Februar 2017 in spätestens zwei Jahren neuerlich kontrolliert werden müssen, was nicht erfolgt sei. Auch ließ es das OLG dahinstehen, ob die Kontrollen überhaupt hinreichend waren.

Hier wurde im Urteil die unterschiedliche Darlegungs- und Beweislast zwischen dem Baumverantwortlichen und dem (geschädigten) Kläger deutlich. Der Baumverantwortliche muss darlegen und nachweisen, dass er seiner Kontrollverpflichtung nachgekommen ist und dabei keine Baumschädigung feststellen konnte, die letztlich zu dem Schadensfall führte. Kam er der Verpflichtung nicht nach (oder kann er dies nicht nachweisen), ist aber die Schadenersatzklage gegen ihn noch nicht dem Grunde nach begründet. Zutreffend verwies das OLG (unter Bezugnahme u.a. auf das Urteil des BGH von 04.03.2004 – III ZR 225/03 – darauf, dass ein (evtl. infolge der Beweislast anzunehmendes oder auch nachgewiesenes) Unterlassen regelmäßiger Kontrolle für den Schaden kausal geworden sein müsste. Dabei kämen dem Geschädigten keine Beweiserleichterungen zugute; insbesondere würde auch kein Beweis des ersten Anscheins dafür streiten, dass bei einer häufigeren oder intensiveren Kontrolle der Unfall vermieden worden wäre. Es bestünde nach der Lebenserfahrung keine Wahrscheinlichkeit, dass bei einer normalen Sichtkontrolle – ggf. gar mehrere Monate vor dem Schadensfall – Krankheitsymptome oder andere Anzeichen einer besonderen Bruchanfälligkeit vorliegen.

Dass hier die beklagte Partei rechtzeitig hätte eine Schädigung des Baumes feststellen können, und damit die Gefahr ausräumen können, wurde auch von einem eingeholten Sachverständigengutachten nicht bestätigt. Anders als die Klägerin annehme, stünde nicht fest, dass der Ast aufgrund seiner – bei einer Regelkontrolle erkennbaren – besonderen Länge und Windexposition brach. Der Sachverständige habe dies nur vermuten, nicht aber an tatsächlichen Gegebenheiten festmachen können (Anm.: was nach § 286 ZPO nicht ausreichend ist). Der Umstand, dass sich nun nach vier Jahren nach dem Vorfall der Baum als deutlich geschädigt und zu fällen zeige, ließe keine Rückschlüsse auf den Zustand zum Zeitpunkt des Vorfalls zu.

OLG Brandenburg, Urteil vom 08.01.2024 - 2 U 10/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin – Einzelrichterin – vom 7. März 2023 zum Aktenzeichen 5 O 276/20 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

3. Dieses und das landgerichtliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.494,76 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen vermeintlich unzureichender Baumkontrollen durch die beklagte Stadt. Sie wurde am 12. Juni 2019 durch einen abgebrochenen Ast einer Rosskastanie im städtischen Landgrabenpark sehr schwerwiegend verletzt.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 7. März 2023 abgewiesen, auf dessen tatsächlichen Feststellungen im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird. Zur Begründung heißt es, der Klägerin stehe kein Amtshaftungsanspruch zu. Die Beklagte sei zwar für den Baum verkehrssicherungspflichtig und müsse folglich den Baum oder Teile von ihm entfernen, wenn sie den Verkehr gefährden, insbesondere wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Es habe ihr oblegen, ausreichend Vorsorge zu treffen und den Baum regelmäßig einer sorgfältigen äußeren Gesundheits- und Zustandsprüfung zu unterziehen. Ob das geschehen sei, könne offenbleiben. Denn jedenfalls habe die Klägerin nicht beweisen können, dass bei einer solchen Kontrolle eine Schädigung entdeckt worden wäre. Der gerichtliche Sachverständige habe aus den ihm vorliegenden Informationen nichts derartiges ableiten können. Dementsprechend sei die Beklagte auch nicht verpflichtet, die Kontrollberichte vorzulegen. Da weder Baum noch Ast Krankheitsanzeichen aufwiesen und auch kein außergewöhnlich starker Wind geherrscht habe, komme als Ursache des Abbrechens nur in Betracht, dass der Ast besonders weit aus der Krone herausgeragt habe. Dies auf der Basis der Kontrollberichte herauszufinden, sei aber eine unzulässige Ausforschung.

Das am 7. März 2023 verkündete Urteil ist der Klägerin am 8. März 2023 zugestellt worden. Sie hat am 6. April 2023 Berufung eingelegt und am 8. Mai 2023 auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 8. Juni 2023 angetragen, was ihr gewährt worden ist. Die Berufungsbegründung ist an diesem Tag eingegangen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe nicht nur ihre Pflicht verletzt, die ihrer Verantwortung unterliegenden Bäume in angemessenen Zeiträumen auf Gefahrenanzeichen zu kontrollieren. Die in Rede stehende ältere Rosskastanie sei nach der zum Unfallzeitpunkt maßgeblichen Baumpflegerichtlinie wenigstens jährlich zu kontrollieren gewesen, und zwar im belaubten und im unbelaubten Zustand. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen, selbst ein zweijährliches Kontrollintervall sei nicht eingehalten. Auch inhaltlich habe die Kontrolle nicht den maßgeblichen Richtlinien entsprochen. Bei einer ordnungsgemäßen, rechtzeitigen Kontrolle wäre das als einzige Abbruchursache verbliebene Herausragen des langen Astes aus der Krone und damit eine besondere Windanfälligkeit des schweren Astes aufgefallen. Die Beklagte sei zudem verpflichtet gewesen, die Kontrollen sachgerecht zu dokumentieren, was sie ebenfalls nicht getan habe. Darüber habe sie pflichtwidrig den abgebrochenen Ast nicht vollständig, sondern nur teilweise aufbewahrt und dem Gutachter zugänglich gemacht und so ihr – der Klägerin – wenigstens fahrlässig die Möglichkeit genommen, die besondere, schon vor dem Unfall augenscheinliche Windanfälligkeit des Astes zu beweisen. Der Beklagten müsse bekannt sein, dass bei Baumpflegekontrollen auch die Wuchsform und -richtung von Ästen zu beurteilen seien. Die entsprechenden Feststellungen seien nun nicht mehr möglich, nachdem dem Gutachter nur noch wahllos vier Teile des Astes vorgelegt worden seien. Die wenigstens fahrlässige Beweisvereitelung durch die Beklagte müsse zu einer Umkehr der Beweislast führen, oder wenigstens eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten begründen. Noch nach dem Unfall habe der Baum einen herausragenden Ast gehabt, der dem Winddruck besonders ausgesetzt und daher bruchgefährdet gewesen sei. Der Baum sei auch intern geschädigt gewesen und habe dies mit verfärbten Blättern gezeigt, weshalb er am 10. November 2023 schließlich gefällt worden sei.

Die Klägerin beantragt:

I. Das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 07.03.2023, Az: 5 O 276/20 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für ein Handbike Küschall K-Series DKA0067 in Höhe von 7.494,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 816,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

IV. Hilfsweise wird beantragt das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 07.03.2023, Az: 5 O 276/20 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens, an das Landgericht Neuruppin zurückzuverweisen.

V. Hilfsweise wird beantragt die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Die Klage sei zu Recht abgewiesen worden. Die ursprüngliche Behauptung der Klägerin, Ursache des Unfalls sei ein offensichtlich morscher Ast gewesen, habe sich ebenso wenig bestätigt wie ihre dann aufgestellte weitere Behauptung, zahlreiche Blätter hätten braune Stellen gehabt und einen Pilzbefall angezeigt. Nichts davon habe sich in der Beweisaufnahme bestätigt. Das Gutachten sei nicht zu beanstanden, dem Sachverständigen hätten alle Informationen und die noch vorhandenen Baumteile vorgelegen. Er habe auch nicht feststellen können, dass der Ast wegen seiner Schwere abgebrochen sei. Ursache sei vielmehr ein heftiger Sturm mit Windstärke 10 gewesen, dem auch gesunde Bäume nicht immer standhalten könnten. Eine zu weite Ausladung des Astes sei nur vermutet aber nicht erwiesen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 25. September 2023 dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

II.

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig im Sinne der §§ 517 und 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu.

1.

Es kann dahinstehen ob, wovon augenscheinlich das Landgericht ausging, die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten für den fraglichen Baum als ihre Amtspflicht im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB und Art. 34 GG ausgestaltet ist, oder sie nicht vielmehr gegebenenfalls kraft Privatrechts nach § 823 Abs. 1 BGB für ihre Verletzung haftet.

Zu den Amtspflichten in diesem Sinne gehört unter anderem die Einhaltung einer kraft Gesetzes öffentlich-rechtlich ausgestalteten Verkehrssicherungspflicht, namentlich der Straßenverkehrssicherungspflicht (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Dezember 1972 – III ZR 121/70, BGHZ 60, 54 = NJW 1973, 460; Reinert, in: Beck‘scher Online-Kommentar zum BGB, 66. Edition mit Stand 1. Mai 2023, § 839 BGB Rdnr. 68 und 70). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 des Brandenburgischen Straßengesetzes (BbgStrG) obliegen die mit dem Bau und der Unterhaltung sowie der Erhaltung der Verkehrssicherheit der Straßen einschließlich der Bundesfernstraßen zusammenhängenden Aufgaben den Bediensteten der damit befassten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit. Dies betrifft die Straßen, für die die Beklagte als Gemeinde die Straßenbaulast trägt. Hierzu gehören nach § 9a Abs. 1 Satz 3 BbgStrG die Gemeindestraßen sowie nach Satz 5 der Vorschrift diejenigen öffentlichen Straßen, deren Straßenbaulastträger nicht feststellbar ist. Hierzu können auch solche Wege zählen, die – ohne Straßen im Sinne des Straßengesetzes zu sein – durch die Gemeinde als Sachherrin dem öffentlichen Verkehr gewidmet wurden. Denn eine Gemeinde kann als Sachherrin auch durch einen verlautbarten Organisationsakt ihren Willen, die ihr obliegende Verkehrssicherung in den Formen und nach Maßgabe des öffentlichen Rechts zu erfüllen, zum Ausdruck bringen (Senat, Beschluss vom 4. Oktober 2022 – 2 U 23/22 –). Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers umfasst auch den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch Umstürzen eines Baumes selbst (Senat, Urteil vom 1. Juli 2008 – 2 U 30/06 –).

Es kann offenbleiben, ob der kombinierte Fuß- und Radweg durch den L…park, an dem der fragliche Baum steht, eine sonstige öffentliche Straße im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BbgStrG deshalb ist, weil er als öffentlicher Weg gewidmet wurde. Hierzu hat weder das Landgericht Feststellungen getroffen, noch haben die Parteien etwas hierzu vorgetragen. In jedem Fall oblag der Beklagten als Sacheigentümerin nach den gleichen Maßstäben die Sicherung des Verkehrs auf dem Weg vor den Gefahren, die von dem Baum ausgingen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11 –, BGHZ 195, 30 = NJW 2013, 48; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16. März 2017 – 4 U 126/16 –, Rdnr. 21 bei juris).

2.

Der – kraft Sachherrschaft oder kraft gesetzlichen Auftrags zur Straßenunterhaltung – für einen Baum Verantwortliche ist verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine von dem Baum ausgehende Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11 –, BGHZ 195, 30 = NJW 2013, 48). Im Wald beschränkt dies die Sicherung vor waldatypischen Gefahren (BGH ebd.).

Der Umfang der Sicherungspflicht richtet sich im Übrigen nach den Umständen des Einzelfalls und der Zumutbarkeit. Maßgeblich sind insbesondere der Umfang des Verkehrs, der Standort und Veränderungen im Baumumfeld sowie Art, Entwicklungsphase und Alter des Baumes. Je größer die Gefahr ist, die von dem jeweiligen Baum ausgeht, desto höher sind die Anforderungen, die an den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht zu stellen sind. In diesem Zusammenhang muss immer auch das ökologische Interesse an der Erhaltung des Baumbestands mit einbezogen werden (Tassarek-Schröder/Rönsberg in: Rotermund/Krafft, Kommunales Haftungsrecht, 5. Auflage 2013, Rdnr. 695).

Insbesondere an Straßen und Wegen sind danach Bäume oder Teile von ihnen zu entfernen, die den Verkehr konkret gefährden, insbesondere wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Allerdings stellt abstrakt jeder Baum eine mögliche Gefahr dar. Einerseits können auch völlig gesunde Bäume vom Sturm, selbst bei nicht außergewöhnlicher Windstärke, entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden; auch Schneeauflage oder starker Regen können zum Absturz selbst von größeren Ästen führen. Andererseits ist die Erkrankung oder Vermorschung eines Baums von außen nicht immer erkennbar. Das gebietet aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen, Plätzen und Wegen, zumal in einem Park wie vorliegend. Auch eine besonders gründliche Untersuchung jedes einzelnen Baums ist nicht erforderlich. Der Umfang der notwendigen Überwachung und Sicherung kann nicht an dem gemessen werden, was zur Beseitigung jeder Gefahr erforderlich ist; es ist unmöglich, den Verkehr völlig risikolos zu gestalten. Dieser muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten der Natur selbst beruhen, als unvermeidlich hinnehmen. Der Verpflichtete genügt daher seiner Sicherungs- und Überwachungspflicht, wenn er – außer der stets gebotenen regelmäßigen Beobachtung auf trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen oder Frostrisse – eine eingehende Untersuchung dort vornimmt, wo besondere Umstände sie dem Einsichtigen angezeigt erscheinen lassen. Hierzu gehören das Alter des Baums, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung oder sein statischer Aufbau oder ähnliches (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2014 – III ZR 352/13 –, NJW 2014, 1588 = MDR 2014, 464; OLG Frankfurt, Urteil vom 11. Mai 2023 – 1 U 310/20 –).

Um diese Gefahrenanzeichen erkennen zu können, muss der Sicherungspflichtige die seiner Verantwortung unterliegenden Bäume regelmäßig („laufend“, „wiederkehrend“, „hin und wieder“) beobachten und auf Gefahrenanzeichen hin kontrollieren, die eine eingehendere Untersuchung gebieten (BGH, Urteil vom 21. Januar 1965 – III ZR 217/63 –, NJW 1965, 815 = MDR 1965, 465; Urteil vom 4. März 2004 – III ZR 225/03 –, NJW 2004, 1381 = MDR 2004, 806; Urteil vom 6. März 2014 – III ZR 352/13 –, NJW 2014, 1588 = MDR 2014, 464). Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum notwendigen Kontrollintervall ist uneinheitlich. Teils wurde insbesondere in älteren Entscheidungen eine halbjährliche Kontrolle für erforderlich gehalten, einmal in belaubtem und einmal in unbelaubtem Zustand (OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. März 1990 – 18 U 228/89 –, VersR 1992, 467; Urteil vom 25. April 1996 – 18 U 150/95 –, NVwZ-RR 1997, 25 = VersR 1997, 463; OLG Schleswig, Urteil vom 9. November 1994 – 12 U 22/93 –, MDR 1995, 148; OLG Hamm, Urteil vom 4. Februar 2003 – 9 U 144/02 –, NJW-RR 2003, 968 = MDR 2003, 932; (OLG München, Urteil vom 7. August 2008 – 1 U 5171/07 –). Dies wurde auch der Rechtsprechung des Senats zugrunde gelegt (Senat, Urteil vom 12. Februar 2002 – 2 U 37/01 –, NVwZ-RR 2002, 746 = OLGR Brandenburg 2002, 201; Urteil vom 16. April 2002 – 2 U 17/01 –, OLGR Brandenburg 2002, 411 = NJ 2002, 546; Urteil vom 1. Juli 2008 – 2 U 30/06 –, NJ 2008, 466). Der BGH hat diese Frage zunächst offengelassen (BGH, Urteil vom 4. März 2004 – III ZR 225/03 –, NJW 2004, 1381 = MDR 2004, 806, Rdnr. 6 bei juris) und später, gestützt auf neuere baumpflegerische Erkenntnisse, das notwendige Kontrollintervall von dem Alter und Zustand des Baumes sowie seinem Standort abhängig gemacht, so dass sich die Frage nicht generell beantworten lasse (BGH, Urteil vom 2. Juli 2004 – V ZR 33/04 –, BGHZ 160, 18 = NJW 2004, 3328; dem folgend Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. Oktober 2007 – 5 U 174/06 –, Rdnr. 25 bei juris). In neueren Urteilen wird entsprechend unter Heranziehung der sogenannten FLL-Richtlinie eine grundsätzlich nur noch einmal jährlich vorzunehmende Kontrolle verlangt (OLG Köln, Urteil vom 29. Juli 2010 – I-7 U 31/10 –, VersR 2010, 1328; OLG Frankfurt, Urteil vom 11. Mai 2023 – 1 U 310/20 –, Rdnr. 14 bei juris; noch offengelassen in Senat, Urteil vom 15. Januar 2019 – 2 U 49/17 –, NJW-RR 2019, 343). Die Richtlinie differenziert sogar, den Maßstäben des Bundesgerichtshofs entsprechend, noch stärker und fordert aus fachlicher Sicht eine jährliche Kontrolle nur bei stärker geschädigten Bäumen in der Reife- und Alterungsphase, die einer gesteigerten berechtigten Sicherungserwartung des Verkehrs unterliegen. Anderenfalls genüge eine Kontrolle alle zwei bis drei Jahre (Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. – FLL –, Baumkontrollrichtlinien – Richtlinien für Regelkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen, Ausgabe 2010, Abschnitt 5.3.2; ebenso die überarbeitete Ausgabe von 2020 in Abschnitt 5.2.3).

3.

Es kann offenbleiben, in welchem Intervall der hier in Rede stehende Baum in einem öffentlichen Park an einem Fuß- und Radweg zu kontrollieren war, zu dessen Verkehrsbedeutung keine Partei vorgetragen hat. Nach dem von der Beklagten nunmehr vorgelegten Auszug aus der „Archikart Baumverwaltung“ liegt nahe, dass die Beklagte den leicht geschädigten „Altbaum“ nicht in den fachlich gebotenen Abständen kontrolliert hat. Sie nahm nach einer Kontrolle im Februar 2017 selbst an, dass der Baum nach spätestens zwei Jahren erneut zu kontrollieren sei. Damit entsprach sie der Empfehlung der FLL-Baumpflegerichtlinie für leicht geschädigte Bäume der Alterungsphase an Orten mit geringerer berechtigter Sicherheitserwartung des Verkehrs. Tatsächlich kontrollierte die Beklagte den Baum bis zum Unfall im Juni 2019 nicht, obgleich die Richtlinie einer Überschreitung des Regelintervalls um mehr als drei Monaten entgegentritt (ebd. Abschnitt 5.3.2.2 a. E.). Ebenfalls dahinstehen kann, ob die vorgenommenen Kontrollen hinreichend waren oder nicht, wie die Klägerin annimmt. Denn jedenfalls ist die Kausalität eines etwaigen Pflichtverstoßes nicht festzustellen.

4.

a)

Auch eine pflichtwidrige Unterlassung war schadenskausal und ist haftungsbegründend nur dann, wenn eine regelmäßige Kontrolle zur Entdeckung der von dem Baum etwa aufgrund einer Schädigung ausgehenden Gefahren geführt hätte (BGH, Urteil vom 4. März 2004 – III ZR 225/03 –, NJW 2004, 1381 = MDR 2004, 806, Rdnr. 6 bei juris; Senat, Urteil vom 15. Januar 2019 – 2 U 49/17 –, Rdnr. 23 bei juris; OLG Celle, Urteil vom 12. Juli 2012 – 8 U 61/12 –, NJW-RR 2013, 84, Rdnr. 29 bei juris). Beweiserleichterungen kommen einer Geschädigten dabei grundsätzlich nicht zugute. Es streitet nicht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass bei einer häufigeren und intensiveren Kontrolle des Baumes der streitgegenständliche Unfall hätte vermieden werden können. Darlegungs- und beweisbelastet ist sowohl für die Amtspflichtverletzung und für den Schaden wie für die kausale Schadenszufügung die durch die behauptete Amtspflichtverletzung Geschädigte. Zwar gilt grundsätzlich, dass die Geschädigte bei Feststehen der Amtspflichtverletzung und des zeitlich nachfolgenden Schadens der öffentlichen Körperschaft den Nachweis überlassen kann, dass der Schaden nicht auf die Amtspflichtverletzung zurückzuführen ist. Das gilt aber nur dann, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang besteht; anderenfalls verbleibt die Beweislast bei der Geschädigten (BGH ebd. Rdnr. 10). Bei Schädigungen durch Astbruch oder das Umstürzen eines Baumes besteht keine Vermutung oder tatsächliche Wahrscheinlichkeit nach der Lebenserfahrung, die einen Anscheinsbeweis zugunsten der Geschädigten begründen könnte. Dies würde einen typischen Geschehensablauf voraussetzen. Das Abbrechen eines Astes wie auch das Umstürzen eines Baumes kann aber vielfältige Ursachen haben. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Ast oder Baum, bevor er abbricht, bei einer normalen Sichtkontrolle und schon gar nicht mehrere Monate zuvor, Krankheitssymptome oder andere Anzeichen einer besonderen Bruchanfälligkeit aufweisen muss (BGH ebd.; OLG Celle ebd.).

b)

Dies zugrunde gelegt, ist die Unfallursächlichkeit der – unterstellten – Unzulänglichkeit der durch die Beklagte vorzunehmenden Kontrollen nicht festzustellen.

Der durch das Landgericht beauftragte Sachverständige hat nach eingehender Untersuchung des Baumes und der Überreste des abgebrochenen Astes keinerlei äußerlich erkennbare Krankheitsanzeichen festzustellen vermocht. Im Gegenteil wertete er die splittrige Bruchstelle als ein Anzeichen für den Bruch von intaktem Holzgewebe. Auch ein für den Bruch des Astes relevanter Befall der Blätter mit der Miniermotte oder einem Pilz schloss er aus. Der Baum habe ferner weder durch seine – nicht ungewöhnliche – Höhe noch durch die – übliche – Dichtheit der Krone weitergehende Untersuchungen geboten. Es sei möglich, dass der fragliche Ast wüchsig gewesen sei und aus der Krone herausgeragt habe und so einem Windangriff besonders ausgesetzt gewesen sei. Ob dies aber tatsächlich der Fall gewesen sei, könne er ohne weitere Erkenntnisse nicht beurteilen. Dies bekräftigte er in seiner mündlichen Anhörung im Termin vor dem Landgericht vom 19. Januar 2023 auch mit Blick auf die besondere Wetterlage am Unfalltag. Anders als die Klägerin annimmt, steht daher nicht fest, dass der Ast aufgrund seiner – bei einer Regelkontrolle erkennbaren – besonderen Länge und Windexposition brach. Der Sachverständige konnte dies nur vermuten, nicht aber an tatsächlichen Gegebenheiten festmachen.

Dass der Baum sich nun, mehr als vier Jahre nach dem Unfall, als deutlich geschädigt und deshalb zu fällen zeigte, lässt keine Rückschlüsse auf den Zustand des Baumes vor dem Unfall und auf die Erkennbarkeit etwaiger Anzeichen zu, die eine nähere Untersuchung des Baumes erforderlich gemacht hätten. Ein Zusammenhang zwischen der jetzt angenommenen Verfaulung und Aushöhlung des Baumes mit der vermuteten besonderen Windexposition des Astes ist ohnehin nicht zu erkennen.

Umstände, die für das Vorliegen der vom Sachverständigen als denkbar beschriebenen besonderen Wuchsform sprechen, ergeben sich auch nicht aus den von der Klägerin hierfür in Bezug genommenen und von der Beklagten nunmehr vorgelegten Kontrollprotokollen. Sie beschränken sich für den 8. Februar 2017, der letzten Kontrolle vor dem Unfall, auf die Angaben, der „Altbaum“ sei in der Entwicklungsphase 2, seine Vitalität sei mit 2 (schwach geschädigt) einzuschätzen, und sein Schädigungsgrad mit 2 (leichte Schäden). Die Verkehrssicherheit sei weder mit Blick auf die Standsicherheit noch der Bruchsicherheit oder wegen des Vorhandenseins von toten Ästen oder wegen einer „Gefahr im Verkehrsraumprofil“ gefährdet. Besonderheiten bestünden keine, eine eingehende Untersuchung sei nicht erforderlich. Am 19. Oktober 2016 war es ihnen zufolge anlässlich der vorherigen Kontrolle lediglich erforderlich, Totholz (in unbekanntem Ausmaß) auszuschneiden. Zur Besonderheiten der Wuchsform des Baumes oder gar des in Rede stehenden Astes treffen die Protokolle keine Aussagen.

Für einen Anscheinsbeweis fehlt es wie erwähnt angesichts der vielfältigen möglichen Ursachen eines Baum- oder Astversagens an einem typischen schadenskausalen Lebenssachverhalt.

Ebenso wenig besteht Anlass für eine Umkehrung der Beweislast. Der Beklagten fällt entgegen der Auffassung der Klägerin keine Beweisvereitelung zur Last, die diese beweisrechtliche Folge rechtfertigen könnte. Von einer Beweisvereitelung wird gesprochen, wenn jemand seinem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Dies kann vorprozessual oder während des Prozesses durch gezielte oder fahrlässige Handlungen geschehen, mit denen bereits vorhandene Beweismittel vernichtet oder vorenthalten werden. Eine Beweisvereitelung kann aber auch in einem fahrlässigen Unterlassen einer Aufklärung bei bereits eingetretenem Schadensereignis liegen, wenn damit die Schaffung von Beweismitteln verhindert wird, obwohl die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung dem Aufklärungspflichtigen bereits erkennbar sein musste (BGH, Urteil vom 23. September 2003 – XI ZR 380/00 –, NJW 2004, 222 = MDR 2004, 290, Rdnr. 13 bei juris). Der Bundesgerichtshof stützt sich hierfür auf eine Gesamtanalogie auf die Vorschriften der §§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 446, 453 Abs. 2 und 454 Abs. 1 ZPO (BGH, Urteil vom 17. Juni 1997 – X ZR 119/94 –, NJW 1998, 79 = MDR 1998, 122; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 1. Auflage 2015, Kapitel 8, § 30 Rdnr. 130), bzw. auf die von § 286 ZPO geforderte Gesamtwürdigung aller Umstände: Der Tatrichter hat nach dieser Vorschrift nicht nur das Ergebnis einer Beweisaufnahme, sondern den gesamten Inhalt der Verhandlung zu würdigen. Dazu gehören die Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen einer Partei und damit auch ein Verhalten einer Partei, das dazu führen kann, einen Beweis zu verhindern oder zu erschweren und dadurch die Beweisführung des beweispflichtigen Prozessgegners scheitern zu lassen. Ist von einer Beweisvereitelung auszugehen, ist dies im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil des Prozessgegners der beweispflichtigen Partei zu berücksichtigen. Dabei kann nur ein vorwerfbares, missbilligenswertes Verhalten den mit beweisrechtlichen Nachteilen verbundenen Vorwurf der Beweisvereitelung tragen. Der subjektive Tatbestand der Beweisvereitelung verlangt dafür einen doppelten Schuldvorwurf. Das Verschulden muss sich sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts wie auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf gerichtet sein, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 226/13 –, GRUR 2016, 88, Rdnr. 29, unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 23. September 2003 – XI ZR 380/00 –, NJW 2004, 222; Urteil vom 26. September 1996 – III ZR 56/96 –, NJW-RR 1996, 1534). Derartiges wurde angenommen in einem Fall, in dem die Pflichtige den Baum, dessen herab gefallener Ast einen Schaden verursacht hatte, während des Rechtsstreits und vor der erforderlichen Begutachtung durch einen Sachverständigen fällen und beseitigen ließ und damit dem Kläger bewusst die Möglichkeit des Beweises einer Amtspflichtverletzung nahm (Hanseatisches OLG Bremen, Urteil vom 30. April 2008 – 1 U 4/08 –, OLGR Bremen 2008, 488 = MDR 2008, 1061).

Liegen die Voraussetzungen einer Beweisvereitelung vor, können nach der in der Literatur teils in Frage gestellten (vgl. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 286 ZPO Rdnr. 88), und für das Arzthaftungsrecht als nicht passend bezeichneten (BGH, Urteil vom 27. April 2004 – VI ZR 34/03 –, NJW 2004, 2011) hergebrachten Formel des Bundesgerichtshofs Beweiserleichterungen zugunsten der beweisbelasteten Partei in Betracht kommen, die unter Umständen bis zur Umkehr der Beweislast gehen können. Die Beweisvereitelung durch den Gegner der beweisbelasteten Partei führt dabei nicht bereits als solche zum Verlust des Prozesses, sondern allenfalls dazu, dass ihr Verhalten im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu ihren Lasten gewürdigt werden kann. Die Annahme einer Beweisvereitelung durch eine Partei rechtfertigt nicht die Annahme, dass vom Vortrag der beweisbelasteten Partei auszugehen ist (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 226/13 –, GRUR 2016, 88, Rdnr. 48).

In Anwendung dieser Maßstäbe kann schon nicht festgestellt werden, dass die Beklagte derart schuldhaft, vorwerfbar und in missbilligenswerter Art und Weise die Beweisführung durch die Klägerin vereitelt hat, und hierbei schuldhaft sowohl das Beweisobjekt zerstört wie seine Beweisfunktion beseitigt hat, dass sich die Beweislast auf die Beklagte verlagern müsse. Der Umgang der Beklagten mit dem Baum und seinem Ast war nicht einmal im Sinne von Fahrlässigkeit darauf gerichtet, die Beweislage der Klägerin als ihrer möglichen Gegnerin in einem absehbaren Prozess nachteilig zu beeinflussen. Anders als im angeführten Fall des OLG Bremen stand nicht nur der fragliche Baum für die Begutachtung zur Verfügung. Die Beklagte bewahrte sogar eigens den Ast selbst auf und eröffnete dem gerichtlich bestellten Sachverständigen ohne weiteres den Zugang für die Begutachtung. Sie hatte darüber hinaus von sich aus eine Untersuchung und fotografische Dokumentation des Baumes wie des Astes in die Wege geleitet, deren Ergebnisse sie in den Prozess einführte und dem Sachverständigen aushändigte. Kein anderes Ergebnis ergibt sich daraus, dass der Ast nicht in Gänze, sondern offenbar nur in Bruchteilen dokumentiert und aufbewahrt wurde, die zudem nicht die vollständige Rekonstruktion seines vorherigen Zustandes ermöglichen. Dass die Größe bzw. Länge des Astes und seine Wuchsform und -richtung maßgeblich für seine Wind- und damit Bruchanfälligkeit sein könnte, kam im Prozess erstmals als Vermutung des Sachverständigen Wüstenhagen zur Sprache (Gutachten vom 1. Juli 2022, S. 24 und 43), als schon längst Teile des Astes entsorgt worden waren. Das ist der Beklagten nicht vorzuwerfen. Die Klägerin vermutete selbst zunächst eine krankhafte Veränderung des Astes etwa infolge Pilzbefall oder Fäule (Schriftsatz vom 31. März 2021, Bl. 48/49 f) oder eine besondere Schwere des Astes (ebd. Bl. 48). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagten die Möglichkeit als naheliegend bewusst war oder sein musste, dass der Ast aufgrund seiner Länge und besonderen Wuchsform bruchanfällig gewesen ist, weshalb ihr deshalb die Aufbewahrung nur von Teilen des Astes als missbilligenswert vorzuwerfen wäre. Die vollständige Gestalt des Astes vor seinem Abbruch (bzw. kurz danach) ist eben unbekannt.

Eine – zumal schuldhafte – Beweisvereitelung liegt entgegen der Auffassung der Klägerin schließlich auch nicht darin, dass die Beklagte die ihr obliegenden regelmäßigen Kontrollen der in ihrer Verantwortung stehenden Bäume nicht entsprechend den fachlichen Leitlinien dokumentiert habe, wie die Klägerin behauptet. Zwar ist ihr zuzugeben, dass nach Abschnitt 5.3.2.5 der erwähnten FLL-Leitlinien die Baumkontrollen zu dokumentieren sind. Über die Kontrolle zur Verkehrssicherung ist danach ein Nachweis zu führen, in dem neben dem Ort, dem Datum und der Signatur vor allem die beurteilten Bäume, das Ergebnis der Kontrolle sowie das weitere Vorgehen festzuhalten sind. Der Nachweis muss nach den Richtlinien so geführt werden, dass er in Streitfällen als Beweismittel für die Erfüllung der den Verantwortlichen obliegenden Sorgfaltspflicht herangezogen werden kann. Schon aus der Formulierung „Erfüllung der Sorgfaltspflicht“ wird deutlich, dass die Baumkontrollrichtlinien keine Pflicht der Verantwortlichen begründen, eine Dokumentation um ihrer selbst willen bzw. gar zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten Dritter zu erstellen und ihnen im Streitfall zur Verfügung zu stellen. Die Dokumentation hat vielmehr die Aufgabe, dem Pflichtigen einerseits die geordnete Erfüllung seiner Aufgabe und andererseits ihm selbst den Nachweis erfolgter Kontrollen zu ermöglichen. Sie ist nicht zu führen, um Dritten die Darlegung und den Beweis von schadenskausalen Pflichtverletzungen zu erleichtern.

5.

Die Kostenentscheidung folgt §§ 97 ZPO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 und 544 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, die Streitwertentscheidung auf §§ 47 und 48 GKG.

Gründe im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.


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