Montag, 26. Dezember 2022

Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen und Auswirkung auf Mietenbegrenzung (§§ 556d ff BGB)

Ein registriertes Inkassounternehmen (§ 10 RDG) machte aus abgetretenen Recht des Mieters Ansprüche gegen die beklagte Vermieterin wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Begrenzung der Miethöhe (§556d BGB) in Verbindung mit der Berliner Mietenbegrenzungsverordnung vom 28.04.2015 geltend. Die Wohnung befand sich in einem nach der Verordnung als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt benannten Bereich. Der Nettokaltmietzins betrug zunächst für die 77,66 qm große Wohnung € 610,65 (€ 7,86 / qm). Mit Schreiben vom 20.07.2017 verlangte die Beklagte die Zustimmung zur Erhöhung der benannten Miete auf € 674,08 (€ 8,68 / qm), dem der Mieter zustimmte. Die Klägerin rügte einen Verstoß gegen die Begrenzung der Miethöhe (nach der bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung des § 556g Abs. 2 BGB) bei Mietvertragsabschluss und begehrte Auskunft und die Rückzahlung des danach zu viel gezahlten Mietzinses. Die Klage hatte weder erstinstanzlich noch im Berufungsverfahren Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihren Anspruch weiter; der BGH wies die Revision als unbegründet zurück.

Zutreffend sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Anwendbarkeit der Vorschriften zur Begrenzung der Miethöhe (§§ 556d ff BGB) nicht vorlägen, da die beanstandete Miete nicht auf der bei Mietbeginn geschlossenen Vereinbarung, sondern auf einer nachträglichen, einvernehmlich vereinbarten Mieterhöhung beruhen würde, für die die Regelungen der §§ 556d ff BGB nicht geltend würden.

Dem Mieterhöhungsbegehren der Beklagten sei ein Entwurf der Zustimmungserklärung beigefügt gewesen mit der Bitte um Zustimmung zur begehrten Mieterhöhung durch Unterzeichnung und Rücksendung der Erklärung. Die gewählte Formulierung spräche dafür, dass Gegenstand der Vereinbarung die Erhöhung der Miete auf den neuen Gesamtbetrag gewesen sei und nicht lediglich die Höhe der Veränderung. Denn dort sei ausdrücklich von der „bisher vereinbarten“ Nettokaltmiete, von deren „Veränderung“ um € 63,43 und von der „neuen Vereinbarung“ von monatlich € 674,08 die Rede. Diese Auslegung durch das Berufungsgericht entspräche auch dem Sinn und Zweck der Mieterhöhungsvereinbarung sowie der Interessenslage beider Parteien bei der Erhöhung der Miete: Diese sei darauf gerichtet gewesen, die Miethöhe für die Zukunft einvernehmlich zu ändern. Entscheidend sei daher für die weitere vertragliche Beziehung nicht, um welchen Betrag die ursprüngliche erhöht worden sei, sondern wie hoch die künftig zu bezahlende Miete ist. Die Parteien hätten mithin ab dem vereinbarten Termin die bisherige Miete ändern und einen neuen Betrag festsetzen wollen. Daher umfasse der Bindungswille nicht nur den Erhöhungsbetrag, sondern die insgesamt den neuen Gesamtbetrag. Ein Aufsplitten der zu zahlenden Miete in zwei Teile, nämlich die bisherige Miete und den Erhöhungsbetrag, würde sich als eine künstliche und lebensfremde Zersplitterung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes darstellen, die dem Sinn und Zweck der Mieterhöhung und der beiderseitigen Interessenslage zuwider laufen würde.

Der Annahme der Klägerin, der Mieter habe mit der Zustimmung zur Mieterhöhung nicht auf seine Rechte aus einem etwaigen Verstoß der bisherigen Miete gegen Regelungen über die Mietpreisbremse verzichten wollen, folgte der BGH nicht. Abzustellen sei auf das Verständnis des objektiven Erklärungsempfängers. Der Mieter würde das Mieterhöhungsbegehren des Vermieters regelmäßig so verstehen, dass mit der angestrebten Erhöhung der erhöhte Betrag als künftig zu zahlende Miete festgelegt werden soll. Deshalb könne der vorbehaltslosen Zustimmung des Mieters regelmäßig nicht entnommen werden, dass er sich eventuelle Rechte wegen einer eventuellen Unzulässigkeit der bisherigen Miete habe vorbehalten wollen und deshalb nicht der gesamtmiete, sondern nur dem Erhöhungsbetrag habe zustimmen wollen. Dies gelte im Streitfall auch deshalb, da (unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen § 556d BGB bei Mietvertragsabschluss vorlag) zum Zeitpunkt der Mieterhöhungsvereinbarung ein etwaiger Rückzahlungsanspruch aus § 556g Abs. 1 S. 3 BGB wegen zu viel gezahlter Miete mangels Rüge gem. § 556g Abs. 2 BGB a.F. ((für Mietverträge, die bis zum 31.03.2020 abgeschlossen wurden; für Mietverträge, die ab dem 01.04.2020 abgeschlossen wurden, siehe unten zu „Anmerkung“)) nicht bestanden habe und auch Anhaltspunkte dafür, dass der Mieter Bedenken gegen die Zulässigkeit der bisherigen Miete vorgebracht habe, nicht aufgezeigt wurden. Das aber würde sei dahingehend zu deuten, dass auch nach dem Willen des Mieters künftig und unabhängig von der Zulässigkeit der bisherigen Miethöhe die erhöhte Miete als vertraglich vereinbart gelten sollte.

Die Regelungen über die Begrenzung der Miethöhe nach §§ 556d ff BGB seien auch nicht unmittelbar oder analog auf nachträgliche Mietvereinbarungen anzuwenden. Sie würden nach dem Wortlaut als auch dem Willen des Gesetzgebers nur für Vereinbarungen der Miete zu Beginn des Mietverhältnisses gelten. Diese Zielsetzung ergäbe sich auch aus der Gesetzesbegründung, wonach die Begrenzung der zulässigen Miete auf 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete „nur für den Zeitpunkt der Wiedervermietung“ gelte und spätere Mieterhöhungen weiterhin möglich seien (BT-Drucks. 18/3121, S. 16 f). Für eine analoge Anwendung würde es daher an einer erforderlichen planwidrigen Regelungslücke ermangeln. Zudem habe das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Mieter in einem bestehenden Mietverhältnis - anders als bei Neuabschluss - die begeharte Mieterhöhung sorgfältig prüfen und die Zustimmung ohne Gefahr des Verlustes seiner Mietwohnung ablehnen könne.

Anmerkung:

Mit der wirksamen Vereinbarung der neuen Miethöhe kann eine Rückforderung der Miete ab diesem Zeitpunkt aus den Gründen der §§ 556d ff BGB nicht erfolgen.

Für Mietverträge, die bis zum 31.03.2020 abgeschlossen wurden, scheiden Rückzahlungsansprüche gem. § 556g BGB aus, wenn die Rüge zum Verstoß gegen die Begrenzung der Miethöhe erst nach der Zustimmung zur Mieterhöhung erfolgt (so in dem hier entschiedenen Fall des BGH). Für Mietverträge, die ab dem 01.04.2020 abgeschlossen wurden, kann der Rückzahlungsanspruch - unabhängig davon, ob eine Rüge erhoben wurde - nur für die Zeit ab Vertragsabschluss bis zur Zustimmung zur Mieterhöhung gelten gemacht werden, muss aber binnen 30 Monaten nach Mietvertragsabschluss erfolgen.

BGH, Urteil vom 28.09.2022 - VIII ZR 300/21 -

Mittwoch, 21. Dezember 2022

Testamentarische Regelung zur Nacherbenbestimmung durch Vorerben

Die Erblasserin bestimmte in ihrem notariellen Testament die Beteiligte zu 1 bis 3 zu ihren Erben. Zu dem Beteiligten zu 3. führte sie aus, dass dieser „nur von den gesetzlichen Beschränkungen befreiter Vorerbe“ sei. Nacherbe seien seine „gewillkürten eigenen Erben, ersatzweise meine Tochter“ (hier die Beteiligte zu 2.; ausgenommen seien als Nacherben der Vater des Beteiligten zu 3. (der Sohn der verstorbenen, dessen Abkömmlinge aus anderen Verbindungen und seine Verwandten aufsteigender Linie. Die Nacherbenanwartschaften seien zwischen Erbfall und Nacherbfall nicht vererblich und übertragbar.

Der beteiligte zu 1. beantragte die Berichtigung des Grundbuchs durch seine und der Eintragung der Beteiligten zu 2. und 3. Anstelle der Erblasserin. Das Grundbuchamt verlangte mit Zwischenverfügung die Vorlage eines Erbscheins und wies darauf hin, dass Testament verstoße hinsichtlich der Nacherbfolge gegen § 2065 Abs. 2 BGB und der Beteiligte zu 3. würde unzulässig (und damit gegen § 138 BGB verstoßend) in der Freiheit seiner Erbenbestimmung beschränkt. Gegen die entsprechende Zwischenverfügung legte der Beteiligte zu 1. sofortige Beschwerde ein, die erfolgreich war.

Es handele sich hier um einen Antrag auf Berichtigung einer unrichtigen Eintragung im Grundbuch, § 13 Abs. 1 GBO, bei dem die Unrichtigkeit durch öffentliche Urkunde (§ 29 GBO) nachgewiesen würde, § 22 Abs. 1 GBO. Der Nachweis der Erbfolge würde durch einen Erbschein geführt, § 35 Abs. 1 Nr. 1 GBO. Würde aber die Erbfolge auf einem Testament beruhen, welches in einer öffentlichen Urkunde enthalten sei, genüge es, wenn die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werde, § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GBO. Das Grundbuchamt müsse prüfen, ob e sich daraus das behauptete Erbrecht ergäbe.

Zu den von einem Erblasser zu tätigen Bestimmungen in einem Testament würden die Bestimmung über den Gegenstand der Zuwendung und über die Person des Bedachten gehören, § 2065 Abs. 2 BGB. Allerdings reiche es, wenn er dies nur bedingt äußert. So könne auch die Erbeinsetzung unter einer Bedingung vornehmen, wobei er allerdings die Person des Bedachten und den Gegenstand der Zuwendung so bestimmt angeben müsse, dass die Bestimmung des Erben objektiv durch einen Dritten (ohne dass dessen eigenes Ermessen dabei bestimmend ist) für jede sachkundige Person möglich wäre.

Streitig sei dabei, worauf das Kammergericht verwies, ob eine Regelung zulässig sei, im Wege einer Bedingung Personen zu Nacherben zu bestimmen, die der Vorerbe zu seinen Erben einsetze (bejahend u.a. OLG München, Beschluss vom 05.01.2017 - 34 Wx 324/16 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21.04.2005 - 8 W 10/05 -; verneinend OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.12.1999 - 20 W 224/97 -). Das OLG würde sich hier der erstgenannten Ansicht anschließen, auch wenn es nicht verkenne, dass die vorliegende Regelung einer Bestimmung iSv. § 2065 Abs. 2 Alt. 1 BGB nahekomme. Dabei wies es darauf hin, dass bei dem zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung erst vierjährigen Beteiligten zu 3. Nicht bekannt war (und weiterhin ist), ob und welche Personen er zu seinen Erben bestimmen wird. Zwar könne der Erblasser nicht einen Dritten überlassen. Allerdings sei zu beachten, dass im Falle der Bestimmung seiner Erben der Beteiligte zu 3. unmittelbar nur seine eigenen Erben bestimme, § 1937 BGB, sich seien Anordnung also nicht auf die Bestimmung eines Nacherben beschränken würde; nur dies wäre nach § 2065 Abs. 2 Alt 1 BGB unzulässig (OLG München aO.). Diese Abgrenzung zwischen unmittelbarer und lediglich mittelbarer Bestimmung des (nach-) Erben durch Dritte sei von entscheidender Bedeutung für die Anwendung von § 2065 Abs. 2 BGB. Bei der Errichtung der eigenen letztwilligen Verfügung würde es dem Dritten darauf ankommen, den eigenen Nachlass zu regeln und Erben zu bestimmen; von untergeordneten Interesse sei es, dessen Personen auch den im Rahmen der Vorerbschaft erworbenen Nachlass zukommen zu lassen.

Anders sei dies beim Erblasser selbst. Ihm käme es auf einen Gleichlauf zwischen den Erben seines Vorerben und den eigenen Nacherben an. Hier müsse der Erblasser die Entscheidung treffen, wozu nicht notwendig eine individuelle Benennung des bedachten gehört, wenn sie sich aus den Umständen ergäbe (BGHZ 15, 199, 201). Dies sei hier erfolgt, da entweder Nacherben die vom beteiligten zu 3. Bestimmten Erben oder, bestimmt dieser keinen Erben, die Beteiligte zu 2. (auch) Nacherbin würde.

Kammergericht, Beschluss vom 25.08.2022 - 1 W 262/22 -

Dienstag, 20. Dezember 2022

Umgangsrecht: Verspätete Übergabe des Kindes infolge Flugstornierung

Das Familiengericht hatte mit seinem Beschluss den Umgang zwischen Vater und dem nicht ganz vierjährigen Sohn für die Herbstferien 2021 so geregelt, dass der Vater die erste Woche mit ihm verbringt, die Übergabe an die Mutter am 17.10.2021 um 17.00 Uhr erfolgen sollte und die Mutter sodann die zweite Woche mit ihm verbringen sollte. Die Übergabe sollte, soweit sie nicht über die Kira erfolgt, von einer Umgangspflegerin begleitet werden.

 Der Vater flog mit dem Jungen nach Santiago de Compostela. Den Rückflug hatte er für den 17.10., 4:05 Uhr in Santiago de Compostela gebucht; der Flug sollte über Zürich nach Berlin-Brandenburg erfolgen sollen, mit Ankunft 8:45 Uhr. Beim Versuch des Eincheckens stellte er fest, dass dieser storniert wurde und informierte, die Umgangspflegerin, dass er am 18.10. den Ersatzpflug einer Tochtergesellschaft der Fluglinie nehme. Die Mutter ließ den Vater über die Umgangspflegerin ausrichten, sie sei damit nicht einverstanden, da sie auch eine Reise mit dem Sohn plane, und zwar nach Andalusien; die könne sie nur durchführen, wenn sie mit ihrem Sohn am 18.10. für den Flug einchecke. Es gäbe nach Internetrecherche z.B. auch genügend Flüge mit freien Plätzen, die der Kindsvater ersatzweise buchen könne. Dies tat der Vater nicht.

Das Familiengericht erließ auf Antrag der Mutter wegen Zuwiderhandlung gegen den Umgangsbeschluss gegen den Vater einen Ordnungsgeldbeschluss über ein Ordnungsgeld in Höhe von € 250,00, gegen den dieser sich wendet. Dabei wies er auf eine nach seiner Ansicht bestehende Unzumutbarkeit einer Umbuchung hin, die ihm - bei Verfall seines Flugtickets - rund € 600,00 gekostet haben würde. So habe er den Sohn der Mutter schließlich am 18.10. in Madrid übergeben, wobei ihm schon die Zugfahrt dorthin viel Geld gekostet habe.

Voraussetzung für die Verhängung des Ordnungsgeldes sei, dass der Vater die im familiengerichtlich angeordneten Umgangsbeschluss benannte Übergabe von ihm an die Mutter am 17.10. schuldhaft versäumt habe, § 89 Abs. 4 S. 1 FamFG. Verschulden erfordere ein vorsätzliches oder fahrlässiges Herbeiführen des Erfolgs der Zuwiderhandlung, § 276 Abs. 1 BGB.  Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Fahrlässigkeit erfordere die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, § 276 Abs. 2 BGB.

Nach § 89 Abs. 4 S. 1 FamFG würde ein Verschulden vermutet. Danach wäre es Sache des Vaters sich in Hinblick auf die Versäumung des Übergabetermins zu entasten. Er müsse mithin darlegen und beweisen, dass der Übergabetermin versäumt wurde, obwohl er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe. Dies sei ihm nicht gelungen. Zwar könne ihm die Stornierung des zunächst gebuchten Fluges nicht vorgeworfen werden. Allerdings hätte er Vorkehrungen für mögliche Störungen beim Rückflug treffen müssen um zu verhindern, dass es zu der nicht ganz fernliegenden Möglichkeit der Versäumung des Rückgabetermins kommt, gerade da allgemein bekannt sei, dass es im Flugverkehr zu erheblichen Flugverschiebungen und -ausfällen käme. Es sei von daher auch anerkannt, dass selbst ein Streik bei einem verkehrsunternehmen den Umgangspflichtigen (der dadurch eine Rückreise und einen geregelten Umgangstermin versäume) nicht entlasten würde, sofern alternative Verbindungen noch bestünden (OLG Koblenz, Beschluss vom 03.06.2015 - 11 WF 415/15 -). Diese Alternativen hätten hier, wie von der Mutter aufgezeigt, bestanden.

Nicht gehört werden könne der Vater damit, die Alternative (den gebuchten Flug verfallen lassen und einen kostenpflichtigen Ersatzflug zu nehmen) sei unzumutbar. Die „Gefahrenlage“, dass er den geregelten Übergabetermin nicht einhalten kann, habe er selbst geschaffen, da er nicht sichergestellt habe, jedenfalls rechtzeitig zu dem Termin zurück zu sein. Sicherungsvorkehrungen seien auch dann zu treffen, wenn diese mit Kosten, Unannehmlichkeiten oder Zeitverlust verbunden wären (BGH, Urteil vom 27.11.1952 - VI ZR 25/52 -).

Kammergericht, Beschluss vom 22.06.2022 - 16 WF 29/22 -

Montag, 19. Dezember 2022

Unabwendbares Unfallereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG und ein plötzlicher Ampelausfall

Die Klägerin wollte an einer Kreuzung S.-Str./W.-Str. nach links abbiegen. Auf ihrer S.-Str. war an der Kreuzung eine eigene (von der Klägerin genutzte) Abbiegerspur mit einer „Linksabbieger-Ampel“. Die Ampel war während des Vorgangs ausgefallen. Der Beklagte befuhr mit einem Omnibus die S.-Str. in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Während ihres Abbiegevorgangs wurde der Pkw der Klägerin hinten rechts von dem Omnibus erfasst.

Das Landgericht gab der Klage statt mit der Begründung, der Beklagte habe der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 1 StVO sowie der aus § 11 Abs. 3 StVO folgenden Pflicht zum umsichtigen Fahren bei unklarer Verkehrslage zuwider gehandelt, da er zwar bei Ausfall der Ampel gegenüber der linksabbiegenden Klägerin vorfahrtsberechtigt gewesen sei, doch hätte er während seiner Rotphase den Ausfall der Ampel sehen können und auf die gefährliche Verkehrslage reagieren müssen. Zudem sei die Klägerin noch bei Grünlicht für sie in die Kreuzung eingefahren und hätte darauf vertrauen dürfen; alleine aus dem Umstand, dass die Fußgängerampel ausfiel, hätte sie keine Rückschlüsse ziehen müssen.

Die vom Beklagten gegen das Urteil hatte zum Teil Erfolg. Das OLG nahm eine Haftungsverteilung von 80% zu 20% zugunsten der Klägerin an. Anders als das Landgericht ging es nicht von einem unabwendbaren Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG aus. Ein solcher Fall verlange ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus (den sogen. Idealfahrer). Eine Unabwendbarkeit sei danach nicht gegeben, wen ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr noch abgewandt hätte (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.04.2012 - 16 U 213/13 -).

Der Idealfahrer hätte aus dem Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel , der für die Klägerin als Linksabbiegerin sichtbar gewesen sei, auf eine Fehlfunktion der Ampelschaltung geschlossen. Dies hätte Anlass geben können, den Abbiegevorgang zunächst abzubrechen, was den Unfall vermieden hätte.

Da danach der Verkehrsunfall für die Klägerin nicht unvermeidbar war, wäre eine Haftungsabwägung nach den Verursachungs- und Verschuldensanteilen der Beteiligten gem. § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmen. Dabei dürften nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände berücksichtigt werden. Jeder der beteiligten habe danach die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für eine Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG für sich günstige Rechtsfolgen ableiten wolle.  

Der Klägerin sei hier, aus den Gründen des Landgerichts, kein Verschuldensvorwurf zu machen. Die Nichtbeachtung der Fußgängerampel schließe zwar die Unabwendbarkeit nach § 17 Abs. 3 StVG für sie aus, habe aber nicht die Qualität eines Verkehrsverstoßes., da beim Überfahren der Haltelinie ihre Linksabbiegerampel noch Grünlicht gezeigt habe (§ 9 Abs. 4 S. 1 StVO).  Auch scheide ein verstoß der Klägerin gegen § 1 Abs. 2 StVO (sich so zu verhalten, dass kein anderer gefährdet wird) aus, da die Klägerin bei einer für sie grün anzeigenden Linksabbiegerampel darauf habe vertrauen dürfen, dass für entgegenkommenden Verkehr Rotlicht angezeigt wird. Damit verbliebe bei der Klägerin lediglich die Haftung aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr. Diese würde hier auch nicht zurücktreten. Ein Zurücktreten der Betriebsgefahr käme nur dann in Betracht, wenn diese nicht erheblich sei und auf bei dem gegnerischen Fahrer ein grobes Verschulden vorläge. Allerdings habe es sich vorliegend um ein Fehlverhalten des beklagten leichter Art in einer Verkehrssituation gehandelt, die (hier plötzlicher Ampelausfall) nicht alltäglich sei. Dieser Umstand könne eine Einstufung als groben Verstoß nicht rechtfertigen. Danach sei in dem benannten Verhältnis mit 80% zugunsten der Klägerin zu quoteln.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 20.09.2022 - 7 U 201/21 -

Sonntag, 18. Dezember 2022

Schadensersatz: Auswirkung des Verschweigens nicht relevanter Vorschäden

Streitig waren die Schadensbeseitigungskosten an einem Fahrzeug nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger hatte den Reparaturkosten sowie die Freistellung von Sahcverständigenkosten geltend gemacht. Nach Ansicht des Landgerichts (LG) war der Ersatzanspruch auf die von ihm nach Einholung eines Sachverständigengutachtens geschätzten Wiederbeschaffungskosten in Höhe von € 2.200,00 sowie den Freistellungsanspruch von eigenen Sachverständigenkosten zu beschränken. Auf die Berufung wies das Oberlandesgericht (OLG) nach § 522 ZPO darauf hin, dass es gedenke, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

An dem Fahrzeug befanden sich zum Unfallzeitpunkt Vorschäden. Diese Vorschäden seien, so das OLG, vom Kläger repariert worden und er habe dazu auch ausreichend bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sowie zum Wiederbeschaffungswert vorgetragen. Den streitgegenständlichen Unfallschaden habe er selbst (durch gebrauchte Originalteile vom Schrottplatz) instandgesetzt. Ein Streifschaden, wie er auf einem Foto des Sachverständigen P. zu sehen sei, an der rechten Ecke des Stoßfängers, sei von ihm durch vorbeischrammen an einer Mauer entstanden (nicht unfallursächlich). Ob der Schaden im Rahmen der Unfallschadenreparatur von ihm ausgebessert worden sei, habe der Kläger nicht mehr angeben können; im Hinblick auf die ständige Instandsetzung ginge er aber davon aus, dass er den Schaden überlackiert habe.

Für die Darlegung des Wiederbeschaffungswertes sei es auch bei abgrenzbaren Vorschäden erforderlich, dass der Geschädigte zu den Vorschäden vorträgt. Der Wiederbeschaffungswert (also der Wert für ein vergleichbares Fahrzeug) ohne den Unfallschaden könne nur ermittelt werden, wenn der konkrete Zustand desbeschädigten Fahrzeuges zum Unfallzeitpunkt feststehen würde, insbesondere inwieweit der Wert zum Unfallzeitpunkt bereits durch Alt- und Vorschäden gemindert ist.

Die Abgrenzbarkeit von Vorschäden zu dem streitigen Unfallschaden sei für die Höhe der nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Reparaturkosten maßgeblich. Diese seien vorliegend relevant gewesen, um nachzuvollziehen, ob der Kläger (wie geschehe n) auf Reparaturkostenbasis abrechnen kann oder auf den Wiederbeschaffungswert beschränkt ist. Das vom LG eingeholte Sachverständigengutachten bezifferte die Reparaturkosten auf € 4.213,60. Den Vorschaden habe das LG im Hinblick auf die Lackierkosten des betroffenen Bauteils mit 50% angenommen. Im Übrigen habe der Sachverständige die Schäden am Fahrzeug des Klägers den Bauteilen und Beschädigungen zuordnen können.

Der Sachverständige habe nicht die Vorschäden und die Selbstreparatur des Klägers nicht in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes einbezogen. Er sei nicht davon ausgegangen, dass sich das Fahrzeug in einem „einwandfreien technischen Zustand“ befunden und „lückenlos scheckheft-gepflegt“ gewesen sei, wie vom Kläger geltend gemacht. Zur Erstellung des schriftlichen Gutachtens habe er festgestellt, dass der Scheinwerfer und der Kühlergrill defekt und oberflächliche Schäden an der Lackierung vorhanden gewesen seien. Im Nachgang habe der Kläger ein Gutachten zu einem Schaden diesbezüglich vorgelegt, was allerdings nach Angabe des Sachverständigen nicht zu einer Änderung seines ermittelten Wiederbeschaffungswertes führe, da ein Fahrzeug mit dem Alter und der Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs an einem Punkt angelangt sei, bei dem nicht mehr viel Wertverlust eintreten könne und kleinere Vorschäden keine Rolle mehr bei der Höhe des Wiederbeschaffungswertes spielen würden. Die Vorschäden seien zudem bereits zum Zeitpunkt der Besichtigung durch den Privatgutachter des Klägers instandgesetzt gewesen.

Im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Freistellung von den Kosten des von ihm beauftragten privaten Sachverständigen begehrte, stellte das OLG fest, dass diesem Vorschäden an dem Fahrzeug nicht mitgeteilt worden seien. Allerdings seien die Kosten des Sachverständigen auch dann vom Schädiger zu zahlen, wenn eine Unbrauchbarkeit vom Geschädigten (wegen Verschweigens von Vorschäden) nicht zu vertreten sei oder das Verschweigen nicht kausal geworden sei (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.02.2018 - 1 U 64/17 -). Dies sei aber hier nicht kausal geworden. Der Privatsachverständige des Klägers habe einen Wiederbeschaffungswert von € 7.000,00 angenommen und damit hätten die tatsächlichen Reparaturkosten von € 5.731,50 diesen nicht überschritten. Tatsächlich habe aber der Wiederbeschaffungswert, wie das gerichtlich eingeholte Gutachten zeigte, unter dem Wiederbeschaffungswert, was zur Beschränkung auf den tatsächlichen Wiederbeschaffungswert führe mit der Folge, dass der Kläger die fiktiven Reparaturkosten nicht erstattet verlangen könne. Der Fehler des privaten Sachverständigengutachtens sei dem Kläger nicht mit der Folge anzulasten, dass er nicht die dafür erforderlichen Kosten verlangen könne, da di verschwiegenen Vorschäden an der Front und der vorderen rechten Ecke nach Angaben des vom LG beauftragten Sachverständigen nicht hätten beeinflussen können.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.04.2022 - I-7 U 33/21 -

Samstag, 17. Dezember 2022

Ergänzungspflegschaft für minderjähriges Kind für Erbscheinverfahren

Die Mutter der 14-jährigen Betroffenen verstarb 2021. Die Eheleute hatten ein gemeinsames Testament errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten, Vermächtnisanordnungen trafen, und u.a. Testamentsvollstreckungsanweisungen niederlegten. Sein Vater beantragte als Alleinerbe nach seiner verstorbenen Frau einen Erbschein. Das Nachlassgericht regte die Bestellung einer Ergänzungspflegschaft für den Minderjährigen im Erbscheinverfahren an.

Nachdem die Rechtspflegerin dem beschwerdeführenden Vater die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Anregung gegeben hatte, die von diesem abgelehnt wurde, ordnete sie die Ergänzungspflegschaft an und bestellte den Beteiligten zu 2. zum Ergänzungspfleger. Dagegen legte der Vater Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht (OLG) wies die Beschwerde nach Anhörung der minderjährigen Betroffenen zurück. Die nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde sei unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegschaft nach §§ 1909 Abs. 1 S. 1, 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 1. Alt. BGB vorlägen.

§ 1909 Aabs. 1 S. 1 BGB bestimme, dass derjenige, der (wie die Minderjährige) unter elterlicher Sorge stünde, für Angelegenheiten, an denen die verhindert seien, einen Pfleger erhalte. Erforderlich sei eine tatsächliche oder rechtliche Verhinderung. Von einer gesetzlichen Vertretung sei der Vater nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1 iVm. § 1795 BGB nicht ausgeschlossen; bei der Beantragung eines Erbscheins handele es sich nicht um ein Rechtsgeschäft iSv. § 1795 Abs. 1 BGB. Da auch ein Insichgeschäft bei der Beantragung eines Erbscheins nicht in Betracht käme, würde der Vertretung auch § 181 BGB nicht entgegenstehen.

Allerdings sei dem Vater als allein Sorgeberechtigten gem. § 1680 Abs. 1 BGB die Vertretungsmacht für das Erbscheinverfahren nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3 Hs. 1, 1796 BGB zu entziehen. Die vertretungsmacht könne danach entzogen werden und soll auch entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse des Sorgeberechtigten in erheblichem Gegensatz stünde. Dies sei hier der Fall. Es sei anzunehmen, wenn die unterschiedlichen Belange, Nutzen oder Vorteile der beiden Interessensträger ein rechtsgeschäftliches Verhalten in gegensätzlichem Sinne beeinflussen könnten, also das eigene Interesse nur auf Kosten des anderen gefördert werden könne und dies objektiv feststehen würde.

Vorliegend wolle der Vater seine Alleinerbenstellung erreichen. Dem würde der Geltendmachung eines möglichen Interesse seiner Tochter an der Feststellung eines anderen als vom Vater angestrebten Verfahrenszieles entgegenstehen.

Der Tochter und ihren Bruder seien als Vermächtnis im Testament € 800.000,00 zugewandt worden. Das OLG verweis auf die durch Auslegung vorzunehmende Abgrenzung von Vermächtnisnehmerstellung und Erbenstellung, § 2087 BGB. Die Auslegung könne zu einem anderen als vom Vater gewünschten Ergebnis führen und danach die beiden Kinder der Eheleute Miterben seien, was vom Vater bestritten würde.  Hieraus resultiere der objektive Gegensatz zwischen den Interessen von Vater und Tochter, da er die von seinen Interessen abweichenden Interessen seiner Tochter an der Feststellung etwa einer Miterbenstellung nicht fördern könne. Damit sei nicht der Vorwurf verbunden, er verfolge nicht subjektiv das Wohl seiner Tochter.

Der Sorgerechtsentzug sei nur insoweit zulässig, als der Interessensgegensatz erheblich sei. Dies sei der Fall, wenn er eine genügende Vertretung des Kindes nicht erwarten lasse. Auch das sei hier zu bejahen. Der Vaters sei gehindert, im Erbscheinverfahren zugleich die Feststellung seiner Alleinerbschaft und eine etwaige davon abweichende Feststellung, den Belangen seiner Tochter gegebenenfalls objektiv besser gerecht werdenden Feststellung anzustreben.  Die Prognose, die hier geboten sei, könne nicht dem Ergebnis des Erbscheinverfahrend vorweggreifen.

Die Entscheidung zur Bestellung eines Ergänzungspflegers sei auch verhältnismäßig, da ein milderes Mittel zur Wahrung der Interessen der Tochter nicht ersichtlich sei. Mit dem Argument, mit einem Ergänzungspfleger würde der Familienfriede gestört, sei der Vater ausgeschlossen; die unabhängige Prüfung der Interessen der Minderjährigen durch einen Unbeteiligten (dem Beteiligten zu 2.) und ggf. deren Geltendmachung im Erbscheinverfahren verspräche eine mindestes nebens hohe Eignung, den Familienfrieden zu erhalten, wie ein Verzicht auf eine umfassende unabhängige (rechtliche) Prüfung der kindlichen Interessen.

Auch wenn das Erbscheinverfahren vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt sei und die Auslegung des Testaments letztlich Sache des Nachlassgerichts sei, würde dadurch die Bedeutung der Anhörung der am Verfahren (kann-) beteiligten Jugendlichen (§ 345 FamFG) nicht reduziert. Auch in diesem Verfahren könnten Mitteilungen von außerhalb des Testaments liegende Umständen Einfluss haben , wie auch argumentativ auf die zu treffende Entscheidung Einfluss genommen werden.  Dem würden die Vorschriften über die Gewährung rechtlichen Gehörs dienen (vgl. §§ 345 Abs. 1 S. 2m 7 Abs. 4, 37 Abs. 2 FamFG). Es bestünde zunächst ein recht der beteiligten darauf, von allen entscheidungserheblichen Grundlagen Kenntnis zu erlangen, was auch für minderjährige und nicht verfahrensfähige Personen gelte, die auf die Wahrnehmung ihrer Interessen durch gesetzliche Vertreter angewiesen seien.

Der hier einer Ergänzungspflegschaft entgegenstehende Wille der Tochter stünde der Entscheidung vorliegend nicht entgegen. Es würde hier nicht -wie der Vater meint - um die Entziehung des Sorgerechts gehen, sondern ausschließlich um die Vertretung im Erbscheinverfahren und damit einem Vermögensbelang. Der Ergänzungspfleger dürfe die Minderjährige auch nicht gegen deren Interessen vertreten. Zweck sei, ihre objektiv zu beurteilenden Interessen zu ermitteln und im Verfahren zur Geltung zu bringen und sie möglichst aus dem Erbscheinverfahren ergebenden familiären Meinungsverschiedenheiten herauszuhalten. Zudem habe die Jugendliche im Hinblick auf Umfang und Wirkung der Ergänzungspflegschaft Vorstellungen geäußert, die außerhalb jeglicher Realität und Rechtslage lägen

OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.10.022 - 13 WF 53/22 -

Mittwoch, 14. Dezember 2022

Anfechtung der Teilungsversteigerung vor Scheidung und Kostenentscheidung bei Hauptsacheerledigung

Die in Scheidung lebenden Eheleute wohnten in einem von zwei Einfamlienhäusern auf einem in ihrem hälftigen Miteigentum stehenden Grundstück. Seit ihrer Trennung bewohnte die Ehefrau das eine Haus alleine, das andere stand leer. Das Scheidungsverfahren wurde 1918 anhängig. Im Januar 2020 wurde die Zugewinngemeinschaft der Eheleute beendet, ohne dass diese sich im Hinblick auf die Beteiligung am Grundstück einigen konnten. Der Ehemann beantragte im August 2020 die Zwangsversteigerung des Grundstücks zur Aufhebung der Gemeinschaft. Der Antrag der Ehefrau auf Einstellung blieb erfolglos. Darauf beantragte sie die Zwangsvollstreckung des Ehemanns zur Aufhebung der Gemeinschaft für unzulässig zu erklären (Einstellungsverfahren nach § 180 Abs. 3 ZVG). Das Familiengericht setzte bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag einstweilen aus, wies aber den Antrag in der Hauptsache (das Zwaagsversteigerungsverfahren für unzulässig zu erklären) zurück.  Das OLG wies die dagegen eingelegte Beschwerde der Ehefrau zurück, wogegen sich diese mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wandte.

 

Allerdings traf der BGH in der Sache keine Entscheidung, da die Beteiligten währen des Rechtsbeschwerdeverfahrens rechtskräftig geschieden wurden und daraufhin das Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärten. Der BGH hatte also nicht mehr über die Rechtmäßigkeit des Antrages des Ehemanns zu befinden, sondern nur noch über die Kosten nach § 91a ZPO. Er hob die Kosten gegeneinander auf. Dies entspräche nach dem Sach- und Streitstand billigen Ermessen.

 

Es sei nicht Sinn einer reinen Kostenentscheidung wie im Falle des § 91a ZPO Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das materielle Recht fortzubilden. Geboten sei in diesem Fall nur eine summarische Prüfung, bei der davon abgesehen werden könne, schwierige bzw. bedeutsame Rechtsfragen zu klären (BGH, Beschluss vom 15.07.2020 - IV ZB 11/20 -).

 

Um eine entsprechende Rechtsfrage würde es sich vorliegend handeln. Die überwiegende Rechtsprechung würde zwar eine Teilungsversteigerung eines im Miteigentum der in Scheidung lebenden Ehegatten, von denen einer das Grundstück als Ehewohnung nutze, als zulässig ansehen (Thüringer OLG, Beschluss vom 30.08.2018 - 1 UF 38/18 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.10.2020 - 15 UF 194/20 -), allerdings würde auch die gegenteilige Ansicht vertreten (OLG Hamburg, Beschluss vom 28.07.2017 - 12 U 163/16 -). In Ansehung dieses noch nicht entschiedenen Streits könne daher im Rahmen des § 91a ZPO nur eine Kostenaufhebung in Betracht kommen.

 

Anmerkung: Diese Rechtsprechung des BGH ist allgemein bei einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO anzuwenden, wenn eine schwierige bzw. bedeutsame Rechtsfrage zu klären ist, die höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteil wird.

 

BGH, Beschluss vom 12.10.2022 - XII ZB 555/21 -

Sonntag, 11. Dezember 2022

Widerruf eines Vergleichsangebots per Mail durch direkt nachfolgende Mail

Mit ihrer Klage machte die Klägerin restlichen Werklohn geltend. Über die Höhe des Werklohns bestand zwischen den Parteien Streit. Seitens der Beklagten wurde der Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2018 eine Zahlung zur Erledigung der Angelegenheit ohne Anerkenntnis einer Rechtsverpflichtung angeboten. Die Klägerin antworte (durch ihren anwaltlichen Vertreter) mit Mail vom 14.12.2918, 9:19 Uhr, die Forderung belaufe sich auf € 14.347, 23 und eine weitere Forderung, mit Ausnahme des Verzugsschadens in Höhe der Anwaltskosten werde nicht erhoben. Mit weiterer Mail vom gleichen Tag, 9:56 Uhr, teilten der anwaltliche Vertreter der Klägerin der Beklagten mit, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe sei durch die Klägerin noch nicht erfolgt, die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben; es könne derzeit nicht bestätigt werden, dass mit Zahlung des Betrages keine weiteren Forderungen erhoben würden. Nachdem die Klägerin unter dem 17.12.2018 eine Schlussrechnung über € 22.173,23 stellte, zahlte die Beklagte am 21.12.2018 € 14.347,23 auf die Hauptforderung und € 1.029m35 auf Rechtsanwaltskosten. Die Differenz ist streitgegenständlich gewesen.

Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Die Berufung wurde, unter Zulassung der Revision, zurückgewiesen. Allerdings hatte auch die Revision keinen Erfolg. Der BGH sah in der Zahlung vom 21.12.2018 das Zustandekommen eines Vergleichs des Inhalts, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien erloschen sind.

Die Mail des anwaltlichen Vertreters der Klägerin vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, stelle sich als ein Angebot nach § 145 BGB dar. Es sei der Beklagten zu diesem Zeitpunkt wirksam zugegangen, § 130 BGB (Zugang bei Abwesenheit des Empfängers).  Sie würde nicht wirksam, wenn bereits vorher oder zeitgleich dem Empfänger ein Widerruf zugehen würde. Der Zugang bei dem Empfänger setze voraus, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann ein solcher Zugang bei einer E-Mail anzunehmen sei, sei in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (und strittig). Allerdings biete der Rechtsfall keinen Anlass, diese Rechtsfrage umfassend zu beantworten.

Jedenfalls in den Fällen, in denen die E-Mail (wie vorliegend festgestellt) im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt würde, sei sie dem Empfänger in diesem Zeitpunkt zugegangen. Sie sei nämlich so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen habe zur Kenntnis nehmen können. Dass er sie tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen habe, sei für den Zugang nicht erforderlich.

Der für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärung im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen könnten. Die E-Mails würden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet und der Empfänger würde über den Empfang unterrichtet. In diesem Zeitpunkt sei er in der Lage, die E-Mail abzurufen und sich deren Inhalt anzeigen zu lassen.

Der mit Mail von 9:56 Uhr erfolgte Widerruf sei verspätet gewesen. Da der Zugang bereits um 9:19 Uhr zur üblichen Geschäftszeit erfolgt sei, war ein wirksamer Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen gewesen.

Damit kam es nur noch auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Annahme des Angebots an. Diese Annahme sah der BGH in der Zahlung vom 21.12.2018 als konkludent vorgenommen. Die Klägerin hatte keine Annahmefrist (§ 148 BGB) bestimmt gehabt. Gem. § 147 Abs. 2 BGB könne ein (wie hier) unter Abwesenden gemachter Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten dürfe. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit einer Antwort binnen zwei Wochen unter regelmäßigen Umständen zu rechnen gewesen sei, diese sei durch die den Annahmewillen konkludent zum Ausdruck bringenden Willen erfolgte Zahlung binnen sieben Tagen eingehalten worden, lasse Rechtsfehler nicht erkennen.

BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21 -

Donnerstag, 8. Dezember 2022

Räumungsklage vor Kündigungstermin wegen Besorgnis nicht rechtzeitiger Räumung

Die Kläger kündigten das Wohnraummietverhältnis gegenüber dem beklagten Mieter mit Schreiben vom 23.06.2020 zum 31.03.2021. Dem Widersprach der Beklagte mit Schreiben vom 29.01.2021 und verwes darin darauf, er sei auf Suche nach einer Ersatzwohnung, habe aber noch keine gefunden; nach dem jetzigen Stand sei er zum 31.03.2021 obdachlos, was eine nicht zu rechtfertigende Härte nach § 574 Abs. 2 BGB darstelle. Am 22.02.2021 erhoben die Kläger eingehend beim Amtsgericht Räumungsklage mit dem Antrag zur Räumung und Herausgabe „spätestens am 31.03.2021“. Der Beklagte zeigte schriftsätzlich am 30.03.2021 seine Verteidigungsbereitschaft an und teilte mit, er habe eine Wohnung gefunden und würde die streitbefangene Wohnung am 31.03.2021 zurückgeben, was auch erfolgte. Beide Parteien erklärten daraufhin nach dem 31.03.2021 die Hauptsache für erledigt und stellten Kostenanträge. Das Amtsgericht erlegte dem Beklagten die Kosten auf; auf die sofortige Beschwerde desselben änderte das Landgericht dies ab und erlegte den Klägern die Kosten auf. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Problematisch waren vorliegend die Voraussetzungen für eine Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO. Die Räumungsklage wurde vorliegend vor der Fälligkeit des Räumungs- und Herausgabeanspruchs erhoben.  

Der BGH sah die Klage als zulässig an. Dabei könne dahinstehen, ob man für die Zulässigkeit auf den Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses oder auf den Zeitpunkt der zustimmenden Erklärung des Prozessgegners abstelle. Würde man hier auf die Zustimmung zur Erledigungserklärung abstellen, sei die Klage zulässig, da sie zu diesem Zeitpunkt wirksam nicht mehr auf künftige Leistung gerichtet gewesen wäre, sondern es sich um eine allgemeine Leistungsklage gehandelt hätte.   Für den anderen Fall (Eintritt des erledigenden Ereignisses) gelte für die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung iSv. § 259 ZPO für Schuldner von Wohnraummietverhältnissen, die unter Verweis auf eine bisher erfolglose Suche nach Ersatz auch für die Zeit nach Beendigung des Wohnraummietverhältnisses ihren Verbleib ankündigen würden, nichts anders als bei anderen Fallgestaltungen.

Abzustellen sei hier auf den Inhalt des (anwaltlichen) Widerspruchsschreibens, mit dem sich der Beklagte auf die Kündigung geäußert habe. Das Landgericht hatte angenommen, daraus sei nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte seiner Verpflichtung zur fristgerechten Räumung und Herausgabe  habe entziehen wollen und die Wirksamkeit der Kündigungserklärung angezweifelt. Dem folgte der BGH nicht; er wies darauf hin, dass diese Ansicht mit Differenzierungen von verschiedenen Instanzgerichten vertreten würde. Doch sei diese Ansicht zur einschränkenden Auslegung des § 259 ZPO abzulehnen. Entscheidend sei, ob der Vermieter aufgrund der Erklärung oder des sonstigen Verhaltens des Mieters davon ausgehen musste, der Mieter würde zum Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses nicht zur Räumung und Herausgabe bereit sein.

Ein „Sich-Entziehen“ nach dem Wortlaut des § 259 ZPO sei auch dann zu besorgen, mache der Mieter deutlich, er werde mangels Verfügbarkeit von Ersatzwohnraum in der Wohnung verbleiben. Damit habe er die Nichterfüllung seiner Leistungspflicht in seinen Willen aufgenommen. § 259 ZPO verlange keine Böswilligkeit des Schuldners (im Sinne eines Erschwerens oder Hintertreibens der Befriedigung, RGZR 132m 338m 229f). Das „Nicht-Entziehen“ enthalte kein bewertendes Element; maßgeblich sei alleine die mangelnde Bereitschaft des Schuldners zur rechtzeitigen Leistung.

Die für ein „Nicht-Entziehen“ erforderliche Ursächlichkeit des Willens des Schuldners für das Ausbleiben der rechtzeitigen Leistung läge auch dann vor, wenn ein Mieter (wie hier) den Verbleib trotz Kündigung ankündigt, da ihm Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung stünde. Die Motive des Mieters seien nur insoweit bedeutsam, als sie dem Vermieter einen Rückschluss auf die Absicht des Schuldners und dessen Ernsthaftigkeit erlauben würden. Der Vermieter müsse aus den ihm erkennbaren Umständen aber keine Gewissheit über den Willen des Mieters erlangen.

§ 259 ZPO bezwecke den Schutz des Gläubigers, der bei Gefährdung seines Anspruchs nicht - wie sonst - zuwarten müsse, bis der Anspruch fällig wird. Belange des Schuldners im Hinblick auf nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Eintritt der Fälligkeit entstandene Einwendungen könnten nach § 767 ZPO (Vollstreckungsabwehrklage) und einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 769 ZPO hinreichend gewahrt werden.

 

Im Falle der ordentlichen Kündigung sei der Mieter in dem Besitz der Mieträume geschützt, auch wenn bereits zuvor eine Verurteilung zur Räumung und Herausgabe ergehen würde. Der Mieter könne auch dann noch innerhalb der Frist von zwei Monaten vor Beendigung des Mietverhältnisses (§ 574b Abs. 2 S. 1 BGB) bzw., wenn der Vermieter über diese Frist nicht aufgeklärt hat, bis zum ersten Termin des Räumungsrechtsstreits (§ 574b Abs. 2 S. 2 BGB) der Kündigung widersprechen und Härtegründe geltend machen.

Der vorliegend vom Beklagten vorgebrachte Umstand, keinen (angemessenen) Ersatzwohnraum (zu zumutbaren Bedingungen) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu finden, sei als materiell-rechtlicher Gesichtspunkt bei der Abwägung zu den Folgen einer ordentlichen Kündigung von Wohnraum bedeutsam (§ 574 Abs. 2 BGB). Zudem könnten Verzögerungen bei der Wohnungssuche durch ein sofortiges Anerkenntnis bei Bewilligung einer Räumungsfrist nach § 93b Abs. 3 ZPO sowie durch Bewilligung einer Räumungsfrist gem. § 721 Abs. 1 und 2 ZPO Rechnung getragen werden.

BGH, Beschluss vom 25.10.2022 - VIII ZB 58/21 -

Dienstag, 6. Dezember 2022

Ordnungsgeld bei Nichtwahrnehmung des Umgangsrechts, § 1684 Abs. 1 BGB

Das Amtsgericht (Familiengericht) hatte das Umgangsrecht des Antragsgegners mit seinen zwei Kinder geregelt, wonach er an jedem ungeraden Kalenderwochenende seine zwei Kinder von Freitag 14 Uhr bis Montag 8 Uhr und in den geraden Wochen Dienstag von 14.30 bis 19 Uhr Umgang mit ihnen haben sollte. Auf Antrag der Antragstellerin verhängte das Amtsgericht, nach vorangegangener Androhung, gegen den Antragsgegner mit diesem am 28.06.2022 zugestellten Beschluss ein Ordnungsgeld in Höhe von € 500,00, nach dieser das Umgangsrecht seit April den Umgang mit den Kindern nicht mehr wahrnahm. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsgegner sofortige Beschwerde ein, die vom OLG als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Beim Amtsgericht hatte der Antragsgegner argumentiert, er sei finanziell nicht in der Lage, für die Übernachtung seiner Kinder ein geeignetes Umfeld aufzubauen. Im Rahmen der Beschwerde begehrte der Antragsgegner auch neben der Aufhebung des Beschlusses auch die Abänderung der Umgangsregelung; es entspräche nicht dem Kindeswohl, den umgangsunwilligen Elternteil mittels Ordnungsgeld zum Umgang anzuhalten.

Das sah das OLG in Ansehung der tatsächlichen Umstände anders. Grundsätzlich müsse ein Elternteil einen Eingriff in dem Persönlichkeitsschutz im Hinblick auf die den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG den Eltern auferlegte Verantwortung für ihre Kinder (BVerfGE 121, 68, 95). In § 1684 Abs. 1 BGB sei der Elternverantwortung durch die dort normierte Umgangsverpflichtung als elterliche Pflicht verankert. Damit könne ein Elternteil auch unter Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zum Umgang mit seinen Kindern verpflichtet werden, wenn dies dem Kindeswohl diene. Allerdings habe die zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht zu unterblieben, gebe es im konkreten Einzelfall keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der erzwungene Umgang dem Kindeswohl dienen könnte.

Hier nun sah das OLG allerdings keine Gefahr für das Kindeswohl. Es vertrat die Auffassung, dass die Berufung auf finanzielle Erwägungen emotionale Gründe habe, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass er bei einem persönliche Umgang mit den Kindern diesen gegenüber Abneigung zum Ausdruck bringen würde, und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er bei einem persönlichen Umgang seiner Verantwortung gegenüber den Kindern nicht nachkäme und den Streit mit seiner ehemaligen Frau um Geld nicht vom Verhältnis zu den Kindern trennen könne. Bei der Abwägung seien auch die Folgen einer Entfremdung der Kindern von dem Antragsgegner für ihre psychosoziale Entwicklung zu berücksichtigen. Die Anhörung der Kinder habe zudem ergeben, dass sie in der Vergangenheit problemlos auch bei dem Antragsgegner (der bei seinen Eltern mit seinem Bruder wohne) waren, dort auch früher bereits übernachteten, und  Bindungen zur Großmutter und zum Onkel zum Ausdruck gekommen seien.

Kommentar:

Damit legte das OLG dar, dass die Verweigerungshaltung, Umgang mit den eigenen Kindern Umgang zu pflegen, das Recht weder beeinträchtigt noch aus der dem Recht genüberstehenden Pflicht entbindet. Zwangsmittel, wie hier das Ordnungsgeld, sollen nur erfolgen, wenn diese Mittel dem Kindeswohl dienen. Denn das dem Umgangsrecht innenwohnende Gegenstück, die Umgangspflicht, soll nicht dazu führen, dass durch den erzwungenen Umgang das Kindeswohl gefährdet wird. Angezeigt ist damit ein Ordnungsmittel zur Erzwingung des Umgangs, wen sicher davon ausgegangen werden kann, dass dies nicht dem Kindeswohl entgegenstehen könnte. Ob dies allerdings alleine durch Anhörungen des Umgangsunwilligen und der Kinder geklärt werden kann (wie hier wohl geschehen), lässt sich kaum verallgemeinern, da dann der oder die zur Entscheidung berufenen Richter letztlich psychologische Befähigungen haben müssten, und selbst für Psychologen wäre bei gewissenhafter Expertise nicht eine kurze Anhörung nicht ausreichend. Zutreffend wird allerdings vom OLG darauf verwiesen, dass der fehlende Umgang mit (hier) dem Vater die psychosoziale Entwicklung der Kinder beeinträchtigen könnte. Es handelt sich hier also um einen Balanceakt, den das Familiengericht oder (beim OLG) der Familiensenat vollziehen muss.

Da sich hier offensichtlich der bisherige Umgang des Vaters mit den Kindern nicht al negativ erwies, er insbesondere wohl auch nicht seine Verantwortung den Kindern gegenüber vernachlässigte, dürfte die Entscheidung vor dem Hintergrund richtig sein, dass der Vater auf seine finanziellen Ressourcen zur Verweigerung der Umgangsverpflichtung verwies und wohl noch Auseinandersetzungen zwischen den (ehemaligen) Eheleuten zu finanziellen Fragen anhängig sind, die hier (wohl) vom Vater genutzt wurden. Es ist bedauerlich, wenn die Trennung der Eltern so letztlich über die Kinder ausgetragen werden, weshalb die Entscheidung des OLG zu begrüßen ist.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.08.2022 - 6 WF 112/22

Montag, 5. Dezember 2022

Ausgleich des Mietrückstandes innerhalb der Schonfrist und ordentliche Kündigung

Die Beklagte (Mieterin) kam mit ihren Mietzahlungen in Verzug und die Klägerin (Vermieterin) kündigte deshalb das Mietverhältnis fristlos, vorsorglich hilfsweise ordentlich. Nach Zustellung der Klage glich die Beklagte die Mietrückstände aus. Das Amtsgericht gab der Räumungsklage auf der Grundlage der hilfsweise ausgesprochenen Kündigung statt. Das Landgericht (LG Berlin, Urteil vom 20.08.2021 - 66 S 98/20 -) hatte im Berufungsverfahren die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die zugelassene Revision hob der BGH die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Der BGH verwies darauf, dass die auf die ausgebliebenen Mietzahlungen gestützte Kündigung der Klägerin infolge der Schonfristzahlung (Befriedigung der ausstehenden Zahlungen innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Klage, § 569 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 BGB) nicht unwirksam geworden sei. Diese Zahlung würde lediglich die Folgen einer fristlosen Kündigung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) haben. Eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand (zeitgleich) gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1m Abs. 2 Nr. 1 BGB bliebe von der Schonfristzahlung unberührt. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB sei hierauf weder direkt noch anlog anzuwenden.

Der anderweitigen, vom LG Berlin (so Urteil vom 01.07.2022 - 66 S 200/21 - vertretenen Ansicht widersprach der BGH. Das LG Berlin habe sich zur Begründung des anderweitigen Normverständnisses des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB insbesondere auf ein historisches Normverständnis und der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte befasst. Auch wenn ein Schweigen des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht ohne Weiteres als ausreichender objektiver Anhaltspunkt für einen Bestätigungswillen angesehen werden könne (BVerfGE 78, 20, 25; Beschluss des BGH vom 15.07.2016 - GSSt 1/16 -) würde verkannt, das sich der hier zur Entscheidung berufene Senat des BGH nicht auf ein blo0es Schweigen des Gesetzgebers im Rahmen jüngerer Gesetzgebungsvorhaben abgestellt hat, insoweit er bereits früher die Schonfristzahlung als nicht die ordentliche Kündigung tangierend angesehen habe Urteil vom 13.10.2021 - VIII ZR 81/20 -), denn der Gesetzgeber habe die derzeitige Normanwendungspraxis des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB nach der langjährigen und ständigen Senatsrechtsprechung, welcher weit überwiegend die Instanzgerichte und die herrschende Meinung in der Literatur folgen würden nicht lediglich passiv unbeanstandet gelassen. Er habe vielmehr Gesetzesvorhaben, welche eine Erstreckung der Schonfristzahlung auch auf die ordentliche Kündigung beinhalten sollten,  nicht weiter verfolgt und mehrfach Gesetzesänderungen, die dies zum Ziel gehabt hätten, abgelehnt  (vgl. auch BT-Plenarprotokoll 19/236 S. 30739 zur Ablehnung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 19/20589). Dies spreche dafür, dass der Gesetzgeber das vom Senat aufgezeigte Normverständnis als weiterhin geltende Rechtspraxis ansehe. Auch Ansätze für eine Änderung im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung seien bisher nicht eingeleitet worden.

Von daher sei das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung durch das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Insoweit wäre vom Berufungsgericht, sollte es nicht das Mietverhältnis als durch die ordentliche Kündigung beendet ansehen (was hier im Revisionsverfahren zu unterstellen war, da sich das Landgericht aus seiner Sicht nicht damit auseinandersetzen musste), auch darauf einzugehen, dass klägerseits die Kündigung auch auf einen „zumindest versuchten Prozessbetrug“ (dazu BGH, Beschluss vom 21.10.2021 - VIII ZR 91/20 -) der Beklagten gestützt wurde, worauf das Berufungsgericht nicht eingegangen sei.

BGH, Urteil vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -