Mittwoch, 30. August 2023

Rückzahlung nicht verdienter Vorschüsse auf Verwaltervergütung durch (entlassenen) Insolvenzverwalter

Der Kläger, der aktuelle Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Schuldnerin, klagte die Rückzahlung eines von dem vormaligen Insolvenzverwalters (Beklagter) aus der Masse entnommenen Vergütungsvorschusses ein. Dem Vorschuss lag ein Beschluss des Insolvenzgerichts zugrunde, demzufolge dieses für die Tätigkeit des Beklagten einen Vorschuss auf dessen Vergütung von € 60.977,81 festsetzte und dessen Entnahme aus der Insolvenzmasse gestattete. Der Beklagte entnahm den Betrag in 2009. In 2010 entließ des Insolvenzgericht den Beklagten als Insolvenzverwalter. Dieser stellte in 2013 einen Antrag auf Festsetzung seiner endgültigen Vergütung im Insolvenzverfahren. Der Antrag wurde 2017 zurückgewiesen, da der Beklagte seinen Vergütungsanspruch (wegen auch zum Nachteil der verwalteten Vermögensmasse begangener Straftaten) verwirkt habe.

Das Landgericht wies die Rückzahlungsklage auf Grund der vom Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Oberlandesgericht das Urteil ab und gab der Klage statt. Die (zugelassene) Revision des Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil bleib ohne Erfolg.

Der Rückforderungsanspruch richte sich, so der BGH, nicht nach der bereicherungsrechtlichen Norm des § 812 BGB. Die Anspruchsgrund für die Rückforderung ergäbe sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 667  BGB (BGH, Urteil vom 07.03.2019 - IX ZR 143/18 - zur Rückgewähr von nicht verbrauchten Vorschüssen auf die Rechtsanwaltsvergütung). Mit der Bestellung des Insolvenzverwalters würde hinsichtlich des Vergütungsanspruchs ein Schuldverhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und der Insolvenzmasse begründet und der neue Insolvenzverwalter sei berechtigt eine Überzahlung auf die gewährten Vorschüsse auf die Vergütung zurückzufordern:

Der Insolvenzverwalter könne aus der Insolvenzmasse einen Vorschuss u.a. auf seine Vergütung entnehmen, wenn das Insolvenzgericht zustimme, § 9 S. 1 InsVV.  Habe der Insolvenzverwalter mehr aus der Insolvenzmasse entnommen, als ihm nach der maßgeblichen abschließenden und rechtskräftigen Festsetzungsentscheidung des Insolvenzgerichts zusteht, habe er den zuviel entnommenen Anteil an die Masse zu zurückzuzahlen. Erfolge die Entnahme aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Vergütungsbeschlusses, sei er mit Aufhebung oder Änderung zu seinem Nachteil zur Rückerstattung verpflichtet (BGH, Urteil vom 20.03.2014 - IX ZR 25/12 -); in diesem Fall ergäbe sich der Rückforderungsanspruch aus der entsprechenden Anwendung des § 717 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 20.03.2014 - IX ZR 25/12 -).  Handelt es sich um einen Vorschuss folge der Rückforderungsanspruch auf Grund des rechtskräftigen Bescheides über die Vergütungsfestsetzung aus der entsprechenden Anwendung des § 667 BGB. Es handele sich um eine „Lückenergänzung“. § 65 InsO iVm. § 9 InsVV eröffne die Möglichkeit, in einer §§ 675, 669 BGB vergleichbaren Weise Vorschüsse auf die Vergütung und Auslagen zu erhalten. Weder die Insolvenzordnung noch die dazu ergangene Vergütungsordnung regele aber die die Rückgewähr eines zu viel gezahlten Vorschusses; § 717 Abs. 2 BGB sei nicht anzuwenden, da die Zustimmung zur Entnahme eines Vorschusses keine einem Vollstreckungstitel vergleichbare Wirkung habe.  

Voraussetzung des § 677 BGB sei, dass der vereinnahmte Vorschuss tatsächlich nicht verdient worden sei (BGH, Urteil vom 07.03.2019 - IX ZR 143/18 - zur Rechtsanwaltsvergütung). Zu unterscheiden sei zwischen Entstehung der Vergütung, deren Fälligkeit und deren Festsetzung. Der Anspruch auf Vergütung entstehe mit der Arbeitsleistung und dem Anfallen der Auslagen (BGH, Urteil vom 05.12.1991 - IX ZB 19/20 -), die Festsetzung der Vergütung mit einem Beschluss des Insolvenzgerichts, § 64 Abs. 1 InsO. Die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Entnahme eines Vorschusses (§ 9 InsVV) entfalte keine bindende Wirkung über die gem. § § 64 Abs. 1 InsO, § 8 Abs. 1 InsVV festzusetzende Vergütung (BGH, Beschluss vom 22.11.2918 - IX ZB 14/18 -). Die Bewilligung eines Vorschusses habe nur vorläufige Bedeutung und mit ihr würde ein Vergütungsanspruch nicht bereits anerkannt.

Führe die Entnahme dazu, dass ein mit der Entfaltung der Tätigkeit bereits entstandene aber noch nicht endgültig festgestellte Vergütungsanspruch des Insolvenzverwalters teilweise nach § 362 Abs. 1 BGB erfüllt wird, stünde dies einer Rückforderung auch nicht entgegen, da die Erfüllungswirkung nur eintrete, sofern ihm ein Vergütungsanspruch zustünde, was erst mit dem Vergütungsfestsetzungsbeschluss nach § 64 Abs. 1 InsO, § 8 Abs. 1 InsVV verbindlich festgestellt würde (BGH, Urteil vom 17.11.2005 - IX ZR 179/04 -).

Das Insolvenzgericht habe den Antrag auf Festsetzung der Vergütung rechtskräftig zurückgewiesen, da der Beklagte seinen Anspruch auch zum Nachteil der verwalteten Vermögensmasse begangener Straftaten verwirkt habe. Die Entscheidung habe auch für die Frage, ob Vorschüsse zurückzuzahlen sind, präjudizielle Wirkung.  Daher könne er auch für Tätigkeiten vor dem inkriminierten Zeitraum 2005 bis 2008 keine Vergütung oder Auslagen verlangen (BGH, Beschluss vom 22.11.2018 - IX ZB 14/18 -).

Der Rückforderungsanspruch sei auch nicht verjährt. Ein Anspruch auf Rückzahlung eines gem. § 9 InsVV gewährten Vorschusses beginne erst mit dem Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts zu laufen: Es gelte wie bei § 667 BGB die Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB.  Die Verjährungsfrist beginne mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden sei und der Gläubiger von dem anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlange oder ohne Fahrlässigkeit erlangen müsste. Entstanden sei nach § 1991 Abs. 1 BGB der Anspruch, sobald er klageweise geltend gemacht werden könnte, was die Fälligkeit des Anspruchs voraussetze, die dem Gläubiger die Möglichkeit der (Leistungs-) Klage verschaffe. Damit setze § 667 BGB in der Regel die Beendigung des Auftrags voraus; im Allgemeinen würde der Anspruch des Insolvenzverwalters erst nach Erledigung der zu vergütenden Tätigkeit fällig. Zusätzlich sei den Rückzahlungsanspruch eines Vorschusses nach § 9 InsVV erforderlich, dass das Insolvenzgericht verbindlich über die Höhe der Vergütung nach § 64 InsO, § 8 InsVV entschieden habe; die Entscheidung habe im Streit um die Rückforderung von angeblichen Überzahlungen präjudizielle Wirkung, weshalb in der Regel erst diese Entscheidung  zur Klärung der Vergütung  die Möglichkeit eröffne eine Überzahlung im Wege der Klage geltend zu machen. Der Beschluss des Insolvenzgereichts dazu erging im März 2017, die Klage wurde 2019 (in nicht verjährter Zeit) zugestellt.

Offen ließ der BGH, ob in Fällen, in denen der entlassene Insolvenzverwalter keinen Festsetzungsantrag stelle, eine Rückzahlungsklage zulässig wäre, das Insolvenzgericht durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen den (entlassenen) Insolvenzverwalter zu einem Vergütungsantrag anhalten könne oder auf Antrag des neuen Insolvenzverwalters die Vergütung des entlassenen Verwalters festgesetzt werden könne. Ebenso ließ der BGH offen, wie in einem solchen Fall die Verjährungsfrage zu entscheiden wäre.

BGH, Urteil vom 29.06.2023 - IX ZR 152/22 -

Sonntag, 27. August 2023

Stromkabel über Gehweg von Traktor bei Fahren vom Feld abgerissen

Anlässlich von Kabelverlegungsarbeiten auf der F-Landstraße stellte die damit beauftragte Klägerin eine Lichtzeichenanlage auf dem Gehweg auf, deren Stromkabel oberhalb des Gehweges in zwischen den Parteien streitiger Höhe (nach Angaben der Klägerin in einer Höhe von 5,30 m, nach Angaben der Beklagten nicht einmal 4,50 m, da das Mähwerk eine Höhe von 4,00 m habe) angebracht war. Der Beklagte zu 1. war Eigentümer des in diesem Bereich neben dem in Anspruch genommenen Gehweges befindlichen Feldes und fuhr mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten  Traktor über den nicht abgesenkten Bordstein auf den Gehweg um auf sein Feld zu gelangen.  Nach Abschluss der Arbeiten beabsichtigte er, das Feld auf dem gleichen Weg zu verlassen; das Mähwerk am Traktor war hochgestellt. Hierbei streifte er das oberhalb des Gehweges verlaufende Stromkabel der Lichtzeichenanlage und riss diese in der Folge um. Den daraus resultierenden Schaden machte die Klägerin gegen den Beklagten geltend.

 

Das Amtsgericht gab der Klage ohne Beweisaufnahme zu den streitigen Umständen statt. Soweit unter Teil A Allgemeines,  4 Leitmale der RSA-95 vorgesehen sei, dass Bauteile unterhalb einer lichten Durchfahrtshöhe von 4,50 m mit Leitmalen zu versehen seien. Gelte dies lediglich für Beschränkungen der Höhe oberhalb der Fahrbahn, nicht aber für Höhenbeschränkungen des Gehweges. Der Beklagte habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Die von den Beklagten eingelegte Berufung führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Erstgericht. Zutreffend sie mit der Berufung geltend gemacht worden, dass es das Amtsgericht verabsäumt habe, über die für die Frage der Haftung dem Grunde nach sowie die ebenfalls streitige Frage des Schadens der Höhe nach erforderlichen Anknüpfungstatsachen Beweis zu erheben.

  

Die Haftung der Beklagten richte sich nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Im Rahmen der grundsätzlich bestehenden Gefährdungshaftung auf Beklagtenseite hätte sich diese nach Maßgabe von § 9 StVG iVm. § 254 BGB ein etwaiges Mitverschulden an der Anspruchsentstehung zurechnen zu lassen. Bei der notwendigen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge könnten nur unstreitige, zugestandene oder nach § 286 ZPO bewiesene Umstände, die sich auf das Unfallgeschehen ausgewirkt haben, berücksichtigt werden. Beweisbelastet sei jeweils die Partei für Tatsachen, die der anderen Partei zum Verschulden gereichen und aus denen sie nach der Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle. Damit trage zunächst die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für ein etwaiges, die bloße Betriebsgefahr des Traktors erhöhendes unfallkausales Mitverschulden der Beklagten.

 

Bislang hätten die Beklagten einen unfallursächlichen verstoß gegen § 32 Abs. 2 StVZO (maximal zulässige Höhe von 4,00 m) nicht nachgewiesen. Es sei Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Höhe des Traktors nebst Mähwerk zu erheben, welches nach Angaben der Beklagten unter 4,00m gelegen habe.

 

Ein Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 2 Abs. 1 StVO wegen rechtwidriger Nutzung des Gehweges habe nicht vorgelegen. Zwar dürften Kraftfahrzeuge diesen nach der in § 2 Abs. 1 StVO statuierten Nutzungspflicht der Fahrbahn durch Fahrzeuge nicht befahren. Allerdings gäbe es ein Ausnahmebenutzungsrecht, welches sich aus der Natur der Sache bzw. mittelbar aus anderen Vorschriften (wie § 10 S. 1 StVO) ergeben könne.  Unstreitig sei vorliegend, dass der Beklagte zu 1. Mit dem Traktor von dem Feld auf die Straße auffahren wollte. Auch wenn anderweitige Möglichkeiten zum Verlassen des Feldes bestanden haben sollten (was streitig war), habe es ihm freigestanden, über den Gehweg das Feld zu verlassen; es existiere keine Vorschrift, die das Einfahren auf die Straße über den Gehweg nur gestattet, wenn keine anderweitigen Möglichkeiten bestünden.

 

Nach dem zur Beurteilung des Berufungsgerichts vorliegenden Sach- und Streitstand lasse sich auch ein Verstoß des Beklagten zu 1. Gegen das allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO nicht erkennen. Es handele sich um ein Verbot, andere zu schädigen, zu gefährden bzw. vermeidbar zu behindern. Eine Gefährdung fremder Sachwerte falle dann unter § 1 Abs. 2 StVO, wenn damit zugleich die Leichtigkeit und Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt würde, was bei Anlagen wie hier, die der Straßenverkehrssicherheit dienen, der Fall sei. Tatbestandlich sei aber Voraussetzung, dass der Beklagte zu 1. bei Annäherung die von dem in den Verkehrsraum hineinragenden Stromkabel ausgehende Gefahrenlage hätte erkennen müssen und eine Kollision hätte verhindern können (ggf. durch Abstandnahme von der Durchfahrt). Das ein solcher Umstand vorlag, sei aber streitig und bedürfe weiter Aufklärung. Dabei müsse aber berücksichtigt werden, dass sich ein Fahrzeugführer im Regelfall darauf verlassen dürfe, dass eine zur Verkehrssicherheit aufgestellte Verkehrsanlage (hier die Lichtzeichenanlage) so errichtet würde, dass eine Gefährdung des Durchgangsverkehrs ausgeschlossen ist. Er dürfe also davon ausgehen, dass die Zuleitungen der Anlage im Luftraum oberhalb der Straße so errichtet würden, dass ein Kraftfahrzeug, welches die höchstzulässigen Ausmaße des § 32 StVZO erreiche, den Bereich gefahrlos und unfallfrei passieren könne (Vertrauensgrundsatz).

 

Weitere unfallursächliche Mitverursachungs- oder Mitverschuldensbeiträge des Beklagten zu 1., seien nicht ersichtlich und auch von der Klägerin nicht geltend gemacht worden.

 

Im Rahmen der Beweisaufnahme sei auch der Frage nachzugehen, ob der Klägerin ein (anspruchsausschließendes) Eigenverschulden in Form der Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten sei. Die Verkehrssicherungspflicht beruhe auf dem Gedanken, dass niemand einen anderen mehr als unvermeidlich gefährden soll. Wer Gefahrenquellens schaffe müsse notwendige Vorkehrungen zum Schutz Dritter treffen. Es müssten die Gefahren ausgeräumt oder vor ihnen gewarnt werden, die für den Wegbenutzer bei erforderlicher Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar wären. Es entspräche dem Interesse der Verkehrssicherheit sowie dem Schutz der Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer, dass der Verkehrsraum in dem Umfang, in dem er von Fahrzeugen mit der gesetzlich maximal zulässigen Abmessung in Anspruch genommen werden kann, von störenden Einflüssen, wie etwa Bäumen und Ästen auch wie vorliegend Stromkabeln freigehalten wird. Anderes ergäbe sich auch nicht aus der Nutzung des Gehwegs. Eine andere Interpretation lasse auch Teil A Allgemeines, 4 Leitmale der RAS-95 hinsichtlich der Pflicht zu Leitmalen nicht zu, deren Regelungen ebenso wie jene der StVO abtraktgenereller Natur seien. Für eine (sich aus dem Wortlaut nicht ergebende) Beschränkung der in der RSA-95 vorgesehenen Regelung lediglich auf Fahrbahnen bestünde mithin kein Anlass.

 

LG Aachen, Urteil vom 08.08.2023 - 5 S 79/22 -

Freitag, 25. August 2023

Formale Voraussetzungen für Zwangsgeld wegen unterbliebener Mitwirkung bei Versorgungsausgleich

Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens teilte der zuständigen Versorgungsträgers gegenüber dem Amtsgericht (AG) mit, dass das Versicherungskonto des Antragsgegners nicht geklärt sei. Ungeklärte Zeiten seien diesem erfolglos zur Mitwirkung bei der Feststellung mitgeteilt worden. Dies überließ diese Unterlage dem Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners formlos „m.B. um Kt u. Erl.“. Mit Verfügung vom 28,02.2023 wies nunmehr das AG den Antragsgegner auf bestimmte Lücken in dessen Versicherungskonto hin und fordert ihn unter Fristsetzung „zur Klärung dieser Auskünfte“ auf. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass bei Nichtvorlage der „Unterlagen“ gegen ihn ein Zwangsgeld von bis zu € 25.000,00 festgesetzt werden könne. Da das Versicherungskonto nach Ablauf der Frist weiterhin ungeklärte Zeiten enthielt, setzte das AG gegen den Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von € 500,00 fest. Der Antragsgegner legte dagegen erfolgreich sofortige Beschwerde ein.

Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass die formalen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Zwangsgeldes hier nicht vorliegen würden.

§ 35 Abs. 1 FamFG ermögliche dem Gericht zur Durchsetzung einer gerichtlich angeordneten Pflicht zur Vornahme oder Unterlassung einer Handlung die Anordnung eines Zwangsgeldes (und im Falle, dass dieses nicht beigetrieben werden könne, die Anordnung einer Zwangshaft). Das OLG verwies darauf, dass  die Norm keine Rechtsgrundlage für eine vollstreckbare Mitwirkungsverpflichtung darstelle, sondern lediglich das Verfahren ihrer Durchsetzung regele. Die geforderte Mitwirkung müsse durch materielles oder Verfahrensrecht normiert sein.

Nach § 220 Abs. 2, 3 und 5 FamFG könne das Gericht die Mitwirkung der Ehegatten gegenüber Versorgungsträgern anordnen, soweit diese zur Feststellung der in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechte erforderlich sei.

Die Anordnung bedürfe gemäß § 35 Abs. 2 FamFG eines vorherigen Hinweises (Warnfunktion). Zudem bedürfe es einer vollzugsfähigen gerichtlichen Verfügung, woran es vorliegend ermangele.

Es müsse dem Verpflichteten ein bestimmtes, ohne weiteres verständliches Verhalten aufgegeben werden. Dazu würde bei Klärung des Rentenkontos im Rahmen des Versorgungsausgleichs in der Anordnung gem. § 220 Abs. 3 FamFG auszuführen sein,  zu welchen Fehlzeiten welche Belege vorgelegt werden müssen. Alleine die Angabe der Fehlzeiten mit der Aufforderung zur Aufklärung sei ungenügend, da (insbesondere juristisch nicht vorgebildete) Beteiligte nicht hinreichend deutlich erkennen könnten, was von ihnen verlangt wird. Bei ungeklärten Zeiten sei aufzugeben darzulegen, welche Erwerbstätigkeit der Beteiligte bei welchem Arbeitgeber ausgeübt habe, wann er innerhalb der Zeiträume Leistungen der Arbeitsverwaltung oder Krankengeld bezog und welche Ausbildungszeiten er zurückgelegt habe (u.a. OLG Schleswig, Beschluss vom 27.02.2015 - 10 WF 34/15 -). Dem würden weder die Anordnung des AG vom 28.02.2023 noch die vorherige formlose Übermittlung des Schreibens des Versorgungsträgers (mit der Bitte um Kenntnisnahme und Erledigung genügen, da sich diese Mitteilungen auf die bloße Mitteilung der Lücken im Versorgungsverlauf beschränken würden ohne konkrete Angabe dessen, was im Einzelnen für diese Zeiten darzulegen und nachzuweisen sei. Auch die Aufforderung zur Vorlage von „Unterlagen“ sei danach unbestimmt.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.05.2023 - 20 WF 76/23 -

Dienstag, 22. August 2023

Eintragung einer Erbengemeinschaft im Grundbuch bei Tod eines GbR-Gesellschafters

Die Antragsgeller waren die Kinder des verstorbenen P., der zusammen mit R. Gesellschafter einer GbR war, die Eigentümer von auf einem Grundbuchblatt verzeichneten Grundstücken war und als solche im Grundbuch eingetragen war. Nach dem Erbschein waren sie die einzigen Erben des Verstorbenen und beantragten die Berichtigung des Grundbuchs. Der Gesellschafter R. hatte die Gesellschaft kurz vor dem Tod des P. gekündigt und nach dessen Tod die Grundstücke mit notariellen Vertrag verkauft (wobei dieser Verkauf dinglich noch nicht gewahrt war). Im notariellen Kaufvertrag hatte er eidesstattlich versichert, dass der - von ihm trotz Aufforderung nicht vorgelegten - Gesellschaftsvertrag keine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichenden Vereinbarungen getroffen worden seien. Die Erbengemeinschaft hatte den Grundstückskaufvertrag nicht genehmigt.

Das Grundbuchamt wies den Berichtigungsantrag mit der Begründung zurück, mangels Vorlage des Gesellschaftsvertrages sei der Unrichtigkeitsnachweis nicht in der Form des § 29 GBO geführt worden. Das OLG gab der Beschwerde der Erbengemeinschaft gegen den abweisenden Beschluss statt, wobei die Erben notarielle beglaubigte Erklärungen vorlegten, dass nach ihrer Kenntnis kein schriftlicher Gesellschaftsvertrag bestünde und keine besondere Vereinbarung für den Kündigungs- oder Todesfall getroffen worden sei.

Der Beschwerde würde nicht § 71 Abs. 2 S. 1 GBO entgegenstehen, da sich die Antragsteller nicht gegen eine von Anfang an unrichtige Eintragungen wenden würden, sondern die Berichtigung wegen nachträglicher Unrichtigkeit beantragen würden. Einer Bewilligung nach § 19 GBO bedürfe es gem. § 22 Abs. 1 GBO nicht, wenn die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachgewiesen würde, wobei dieser Nachweis in der Form des § 29 GBO zu führen sei.

Eine Buchposition des Verstorbenen als Gesellschafter sei nicht gesondert vererbbar, vielmehr sei die Rechtsnachfolge in die Gesellschafterstellung des Maßgabe des Gesellschaftsvertrages materiell-rechtlich zu prüfen (BGH, Beschluss vom 10.02.2022 - V ZB 87/20 -). Bei Tod eines Gesellschafters oder Kündigung durch einen Gesellschafter sähe das BGB kein Erlöschen der GbR vor (§§ 723, 727 BGB), sondern eine identitätswahrende Wandlung in eine Abwicklungsgesellschaft, bei der (im Falle des Versterbens eines Gesellschafters) dessen Erben treten würden.  Die Anwachsung der Beteiligung des verstorbenen an der Gesellschaft fände nur statt, wenn im Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Fortsetzungsklausel oder ein Eintrittsrecht geregelt sei.     

Fehle ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag reiche zum Nachwies der Rechtsnachfolge des Erben in die Gesellschafterstellung des verstorbenen Gesellschafters aus, wenn diese eine Erklärung des verbliebenen Gesellschafters in der Form des § 29 GBO (öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde) beibringen würden, nach deren Inhalt ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag nicht bestünde und besondere Vereinbarung für den Kündigungs- und Todesfall nicht getroffen worden seien und die Erben ebenfalls in der Form des § 29 GBO erklären, dass ihnen ein abweichender Inhalt des Gesellschaftsvertrages nicht bekannt sei (BGH, Beschluss vom 10.02.2022 - V ZB 87/20; OLG München, Beschluss vom 07.01.2020 - 34 Wx 420/19 -).

Die Erben hatten die entsprechende Erklärung in der Form des § 29 GBO im Beschwerdeverfahren vorgelegt. Für den verbliebenen Gesellschafter würde sich diese Erklärung aus seiner in dem notariellen Grundstückskaufvertrag abgegebenen eidesstattlichen Versicherung ergeben, dass für das Gesellschaftsverhältnis keine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichenden Vereinbarungen getroffen worden seien (und einen Gesellschaftsvertrag habe er trotz Aufforderung nicht vorgelegt). Damit sei der Unrichtigkeitsnachweis erbracht.

OLG Rostock, Beschluss vom 02.05.2023 - 3 W 13/23 -

Samstag, 19. August 2023

Haftungsproblematik für Folgeschaden bei Fehlern verschiedener Bauunternehmer

Der Kläger machte Mangelfolgeschäden aufgrund fehlerhafter Werkleistungen der Beklagten wegen einer Muffenverbindung geltend, die zu einem umfangreichen Wassereintritt in das von ihm betriebene Schulgebäude führten. Nach einem von der Beklagten eingeholten und vorgelegten Privatgutachten soll die eine Schweißmuffe in der Regenwasserfallleitung im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten gelegen haben, die dazu geführt habe, auslaufendes Wasser in den Dachaufbau der Dachterrasse führte und die Dämmung beschädigte. Für Folgeschäden im Aufzugsschacht und Gebäude sei - so das Privatgutachten - allerdings keine alleinige Verantwortlichkeit der Beklagten zu erkennen, da auch andere, von der Beklagten nicht zu vertretene Mängel vorlägen (nicht fachgerecht hergestellter Leistungsstoß, der dazu führte, dass der Wasseraustritt die Dampfsperre unterlaufen und in den Brandschutzverschluss der Deckenöffnung gelaufen sei, ferner sei die Dachterrassenabdichtung durch die Dachdeckerfirma nicht vollständig verschweißt worden und es läge eine nicht sorgfältige Bauleitung vor; neben dem schadensursächlichen Wasseraustritt seien die Ausbreitung und Folgeschäden im Gebäude damit durch andere am Bau Beteiligte mitverursacht worden. Das Landgericht (LG) gab der Klage statt. Gegen dieses wandte sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen wurde.

Das LG führte zur Begründung aus, dass auch bei Ausführungs- und Planungsfehlern weiterer am Bau Beteiligter eine gesamtschuldnerische Haftung gem. § 830 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB bestünde und  infolge der gesamtschuldnerischen Haftung der am Bau Beteiligten hier nicht greife. Dem folgte das OLG.

Die Beklagte würde ihre mangelhafte Werkleistung betreffen der Schweißmuffe, der zufolge eine wasserdurchlässiger Spalt von 5 mm verblieb, ebenso wenig wie das Vertretenmüssen dieser Pflichtverletzung nicht in Abrede stellen. Sie hafte damit in vollem Umfang für den auf ihre Schlechtleistung zurückgehenden Feuchteschäden. Das Bestreiten des Umfangs der auf ihre mangelhafte Leistung zurückgehenden Schäden könne die Beklagte in entsprechender Anwendung des § 830 Abs. 1 S. 1 BGB (und damit der fehlenden Aufklärung dieses Umfangs durch das LG) nicht gegenüber dem Kläger geltend machen; einen Gegenbeweis einer fehlende Ursächlichkeit (soweit auch Drittunternehmer fehlerhafte gearbeitet hätten) ihrer eigenen Fehlleistung habe sie bereits nicht hinreichend angetreten. 

Das OLG verwies auf das Urteil des BGH vom 16.01.2001 - X ZR 69/99 - zum Nachweis der Kausalität der Haftung mehrerer Beteiligter bei ungewissen Verursachungsbeitrag nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB. Hier habe der BGH klargestellt, dass eine Ersatzpflicht nicht nur für solche Schäden gelte, die auf dem pflichtwidrigen Verhalten beruhen würden, sondern die im Deliktsrecht angesiedelte Norm des § 830 BGB auch im Bereich der vertraglichen Haftung führe. Danach sei Voraussetzung für die Einbeziehung von § 830 Abs. 1 S. 2 BGB, dass bei dem in Anspruch Genommenen wie bei den übrigen Beteiligten ein anspruchsbegründendes Verhalten vorläge, sähe man vom Nachweis der Ursächlichkeit dieser haftungsbegründenden Tatsache für den Schaden ab, weiterhin eine der unter den Begriff der Beteiligung  zusammengefassten Personen diesen verursacht haben muss und nicht festzustellen sei, welcher von ihnen den Schaden ganz oder teilweise verursacht habe.

Hier würde feststehen, dass die Wasserschäden am Gebäude durch das aus der Fallrohrmuffe ausgetretene Wasser verursacht worden seien. Offen sei, ob das Wasser dorthin seinen Weg gerade über den von der Beklagten fehlerhaft geschweißten Spalt entlang dem Fallrohr oder auf eine andere, vom Kläger nicht zu verantwortende Weise über die Dachterrassenabdichtung in die Räumlichkeiten genommen habe. Fest stünde aber, dass das Wasser auf einem der Wege eingedrungen sei. Damit läge eine Lage vor, zu deren Vermeidung vom Kläger, der weder bei der Dachabdichtung noch dem Verschweißen der Muffe anwesend war, Maßnahmen nicht zu erwarten gewesen wären. Er habe die Schadensquellen weder beherrscht noch den zur Schädigung führenden Geschehensablauf im Einzelnen übersehen.

Dieser Beweisnot des Klägers trage § 830 Abs. 1 S. 2 BGB Rechnung (BGH aaO.). Die Beweislast trage hier derjenige, der für diese Schadensquelle verantwortlich sei, was - neben den benannten Dritten - jedenfalls auch die Beklagte sei. Zwar könne sich jeder Beteiligte, so auch die Beklagte entlasten, indem er den Nachweis erbringt, dass sein Verhalten nicht ursächlich für den Schaden sei. Der Beweis sei aber nur geführt, wenn das Gericht die Überzeugung gewonnen habe, dass der in Anspruch Genommene als Verursacher ausscheide. Ein reines Bestreiten, wie hier von der Beklagten, reiche dafür nicht aus.

Der Beklagten würde unbenommen bleiben, im Falle einer Gesamtschuld bei den übrigen Beteiligten einen teilweisen Ausgleich nach §§ 421, 426 BGB geltend zu machen.

In Ansehung der Rechtsauffassung des OLG zu § 830 BGB könne offen bleiben, ob ein gleiches Ergebnis unter dem Gesichtspunkt der Doppelkausalität begründet wäre. 

OLG Dresden, Urteil vom 18.04.2023 - 14 U 1551/22 -

Mittwoch, 16. August 2023

Sturz infolge einer Aussparung im Gehwegpflaster und Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde

Die Klägerin stürzte auf einem Gehweg in N. und machte gegen die Gemeinde (der die Straßenbaulast gem. § 47 Abs. 1 StrWG NRW oblag) materielle sowie immaterielle Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§§ 9, 9a StrWG NRW) geltend, §§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. Art. 34 GG. Zu dem Sturz kam es infolge einer Auslassung in dem Gehwegpflaster bei der Erstellung desselben. Ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil führte nur zu einem teilweisen Erfolg, insoweit ein 50%-iges Mitverschulden berücksichtigt wurde. 

Das Landgericht habe die Aussparung im Gehwegpflaster ausgemessen und sah darin keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle. Dem schloss sich das Oberlandesgericht im Rahmen der Berufung nicht an. Die letzte vor einem Farbwechsel des Gehwegbelags von Grau auf Rötlich gelegene Aussparung  habe an zwei ihrer vier Seiten eine Tiefe von mehr als 2,5 cm aufgewiesen, an der parallel zum Gehweg  verlaufenden und zu dessen Seite hin gelegenen Seite habe die Aussparung an ihrem Ende eine Tiefe von 2,8 bis 2,9 cm und an ihrem anderen Ende eine Tiefe von 3,1 bis 3,2 cm gehabt. Die Breite und Länge der Aussparung habe knapp 20 x 20 cm betragen.

Da ein Kind als auch ein Erwachsener mit dem überwiegenden Teil des Fußes auf die parallel zum Gehweg verlaufenden Kante der Aussparung treten und wegen ihrer Tiefe von 3,1 bis 3,2 cm mit dem Fuß seitlich umknicken und dabei schwerwiegend verletzen könne, stelle eine derartige Aussparung (Vertiefung) eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. Dem würden auch Entscheidungen des erkennenden Senats vom 17.06.2020 - I-11 U 108/18 - und des OLG vom 24.03.2013 - I-9 U 114/14 - nicht entgegenstehen, in denen einem Höhenversatz von bis zu etwa 3 cm in normalen Fußgängerbereichen ohne Ablenkungsmöglichkeit in der Regel kein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht zuerkannt wurde, da dieser Bereich vorliegend jedenfalls teilweise überschritten worden sei und zudem die Gefahrenstelle nicht durch Naturereignisse oder durch Eingriffe Dritter entstanden sei, sondern durch den Verkehrssicherungspflichtigen selbst, weshalb ein besonders strenger Maßstab an die Sicherungspflicht anzulegen sei (OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2009 - I-9 U 101/07 - mwN.). Die Aussparung sei bei den Arbeiten der durch die von der Beklagten beauftragten Firma verblieben, weshalb hier ein Höhenunterschied von 2,5 cm als abhilfebedürftige Gefahrenstelle zu bewerten sei.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei diese Aussparung auch nicht deshalb hinnehmbar gewesen, da sich in der Gehrichtung der Klägerin noch weitere ähnlich aussehende Aussparungen befunden hätten. Eine Einschränkung der Verkehrssicherungspflicht für scharfkantige Höhenunterschiede im Gehwegbereich alleine wegen ihrer Erkennbarkeit käme nur bei Erkennbarkeit außergewöhnlich hoher Niveauunterschiede in Betracht, die auch bei einem beiläufigen Blick als für die Gehsicherheit gefährliche Unebenheit erkannt werden könnten. Die Kante müsste mithin in einer Größenordnung liegen, die bei normaler Sorgfalt (bei ebener Fläche nicht gezielt betrachtet) überhaupt nicht oder nicht als gefährliche Unebenheit erkannt würde (OLG Hamm, Urteil vom 17.06.2020 - I-11 U 108/19 -). Dies gelte auch für Löcher und sonstige Vertiefungen im Gehwegbereich. 

Solche Umstände vermochte das OLG nicht zu erkennen. Nach Zeugenaussagen soll es 16 Aussparungen in verschiedenen Tiefen gegeben haben, teilwiese auch nur mit 1,5 cm. Damit ließe sich nicht feststellen, dass die weiteren Aussparungen eine solche Tiefe aufgewiesen hätten, die die Klägerin mit beiläufigen Blick als ihre Gehsicherheit gefährdend hätten erkennen müssen. Nach einem Foto, welches ein Zeuge unmittelbar nach dem Vorfall aufgenommen habe, war zudem die streitbefangene, vom Landgericht vermessene Aussparung mit Laub gefüllt gewesen.

Der Beklagten sei es möglich und zumutbar gewesen, den Fußgängerverkehr durch Aufstellen von Schildern oder Warnbaken vor den Gefahren. Die von der vom Landgericht vermessenen Aussparung ausgingen, zu schützen oder zumindest zu warnen.

Die Beklagte sei ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen. Sie bzw. die von ihr beauftragte Firma hätte die Unfallgefahr der fraglichen  Stelle erkennen können und müssen. Die Beklagte entlaste auch nicht, dass die Aussparung nicht von ihr selbst, sondern von der von ihr beauftragten Firma geschaffen wurde, da sie die Arbeiten nach deren Beendigung unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit hätte kontrollieren und für eine Abhilfe, zumindest für eine Kennzeichnung hätte sorgen müssen.

Allerdings sei der Klägerin ein Mitverschulden (§ 254 BGB) anzulasten. In ihrer Gehrichtung hätten sich bereits vor der fraglichen Stelle einige Aussparungen befunden, die ihr (jedenfalls bei der zu fordernden Eigensorgfalt) nicht entgangen sein könnten. Trotz Laub seien die Aussparungen als solche als abgrenzbare Flächen in dem Gehwegpflaster deutlich zu erkennen gewesen. Auch wenn sich ihre Tiefe nicht habe feststellen lassen, hätte ein umsichtiger und auf seien eigene Sicherheit bedachter Gehwegbenutzer ihnen gerade deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt oder ihr Betreten vermieden.

Das Mitverschuldens sei aber nicht so gravierend, dass deshalb ein Ersatzanspruch entfalle. Das anspruchsausschließende Mitverschulden käme nur in Betracht, wenn dem Geschädigten der Vorwurf eines von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichneten Handelns gemacht werden müsse (BGH, Urteil vom 20.06.2013 - III ZR 326/12 -). Dafür müsse er sich z.B. sehenden Auges in eine für ihn gefährliche Situation begeben. Dieser Vorwurf könne hier der Klägerin nicht gemacht werden, da sie die Tiefe der Aussparung nicht habe erkennen können. Da sie aber den vorher gelegenen Vertiefungen keine Beachtung geschenkt habe, wiege ihr Mitverschuldensanteil nach Auffassung des OLG gleich schwer wie der der Beklagten.

OLG Hamm, Urteil vom 01.03.2023 - I-11 U 73/22 -

Sonntag, 13. August 2023

Schadensersatz für angemietete Ersatzräume und übergangener Beweisantrag zur Gleichwertigkeit

Nachdem ein Mietvertrag nicht durchgeführt werden konnte, stritten die Parteien um die Mehrkosten einer Ersatzimmobilie, die die Mieterin (Klägerin) gegenüber dem mit der Vermieterin (Beklagte) vereinbarten Mietzins aufbringen musste. Hintergrund war die Anmietung von noch vom Vermieter herzustellenden Gewerberäumen in W. (383 qm in einem zur Sanierung vorgesehenen alten Wasserwerk) nebst zwei Pkw-Stellplätzen). Die auf fünf Jahre befristete Mietzeit sollte am 01.07.2019 beginnen, der Mietzins netto € 4.215,59/Monat (entspricht € 10,99/qm) zuzüglich € 70,00 für die Stellplätze betragen. Der Beklagten gelang die Finanzierung nicht. Im Februar 2019 mietete die Beklagte im Hafenviertel von D. gelegene Räumlichkeiten (454 qm) an, und zwar zu € 12,00/qm, wobei ein Teilbetrag davon Entgelt für eine ca. 279 qm große Gemeinschaftsfläche war, zuzüglich € 200,00 für vier Tiefgaragenstellplätze. Mietbeginn war der 01.10.2019, die Mietzeit auf fünf Jahre beschränkt. Am 30.07.2019 erklärte die Beklagte mit der Begründung der Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs die fristlose Kündigung des Mietvertrages mit der Beklagten und machte Schadenersatzansprüche u.a. in Höhe von € 410,41/Monat für fünf Jahre im Hinblick auf die Mietdifferenz zwischen dem nunmehr angemieteten Objekt und dem von der Beklagten vermieteten Objekt geltend (§ 259 ZPO). Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich; das Oberlandesgericht (OLG) hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Das OLG negierte die Gleichwertigkeit (bei Annahme eines höheren Gebrauchs- und Nutzwertes der Immobilie in D.) der Mieträume, ohne einen diesbezüglich Sachverständigenbeweis der Klägerin zu erheben. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung an dieses (§ 544 Abs. 2 9 ZPO).

Der BGH sah die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision als gegeben an, da dies gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei. Es läge ein Verstoß gegen Art. 103 GG (Verletzung  rechtlichen Gehörs) vor, da das OLG nicht den beklagtenseits angebotenen Sachverständigenbeweis erhoben habe. Nach Art. 103 Abs. 1 GG habe das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Danach gebiete Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Deren Nichtberücksichtigung verstoße, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze fände, gegen Art. 103 GG (BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - XII ZR 54/20 -). Dies gelte insbesondere auch dann, wenn der Beweisantrag wegen einer bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimesse (BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - XII ZR 54/20 -).

Die Klägerin hatte den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, dass die ursprünglich in W. angemieteten Gewerberäume nach Art und Lage gleichwertig mit den in D. gemieteten Gewerberäume sind; sie habe das Übergehen dieses Beweisangebots durch das OLG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt. Dieses Übergehen fände, so der BGH, in der Prozessordnung keine Stütze.

Das Gericht dürfe von der Einholung eines beantragten Sachverständigengutachtens zu entscheidungserheblichen Parteivortrag nur absehen, wenn es selbst über die notwendige Sachkunde zur Beurteilung des Wahrheitsgehalts der unter Beweis gestellten Behauptung verfüge (z.B. BGH, Beschluss vom 09.01.2018 - VI ZR 106/17 -; ständige Rechtsprechung); diese liegen Sachkunde sei in der Entscheidung darzulegen (z.B. BGH, Beschluss vom 12.05.2021 - XII ZR 153/19 - ständige Rechtsprechung). Dem habe das OLG nicht Rechnung getragen und den angebotenen Sachverständigenbeweis erheben müssen, statt eine eigene Wertung vorzunehmen.

Der Mieter, dem die angemieteten Räume nicht zur Verfügung gestellt werden, könne in diesem Fall zur Anmietung von Ersatzräumen berechtigt sein und gegebenenfalls Mehrkosten als Schadensersatz beim Vermieter geltend machen (BGH, Urteil vom 02.11.2016 - XII ZR 153/15 -). Voraussetzung sei, dass der Mieter die Vertragsverletzung des Vermieters berechtigterweise zum Anlass nähme, den Umständen nach angemessene neue Räume anzumieten (BGH aaO.). Vorliegend habe die Klägerin bereits in der Klageschrift die Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu beantragt, dass die angemieteten Gewerberäume und das Ersatzobjekt nach Art und Lage gleichwertig seien. Dieser Beweisantrag sei erheblich, da die behauptete Gleichwertigkeit der Räumlichkeiten in D. und W. für die Beurteilung der Angemessenheit der Ersatzräume von Bedeutung sei.

Ohne den Beweisantrag der Klägerin anzusprechen und eine eigene Sachkunde für die Bewertung der Räumlichkeiten darzulegen, habe das OLG den höheren Mietzins der Gewerberäume in D. auf deren höheren Nutz- und Gebrauchswert zurückgeführt. Dies aber käme einer vorweggenommen Beweiswürdigung gleich, die dem Prozessrecht fremd sei.

Bei dem unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag der Klägerin handele es sich um eine dem Beweis zugängliche Tatsachenfrage. Die Frage der Gleichwertigkeit sei zwar von einer Wertung abhängig, die aber an beweisbare Eigenschaften der Mieträumlichkeiten sowie Bedürfnisse und Wertvorstellungen der maßgeblichen Verkehrskreise, mithin innere und äußere Tatsachen, anknüpfe. Es bedürfe daher regelmäßig zur Ermittlung einer Gebrauchswertdifferenz der Einholung eines Sachverständigengutachtens (BGH, Urteil vom 29.03.2017 - VIII ZR 44/16 -:

„Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass die Feststellung eines streitigen Mietdifferenzschadens nach unberechtigter Wohnungskündigung regelmäßig nur mittels eines Gutachtens eines mit dem örtlichen Mietmarkt vertrauten Sachverständigen möglich sein wird und dieser die erforderlichen (wertenden) Feststellungen zum Wohnwert üblicherweise nach einer Besichtigung zumindest der neuen Wohnung trifft. Es stellte daher eine Überspannung der Substantiierungsanforderungen dar, von der Partei vorab konkrete Darlegungen zur Vergleichbarkeit der Wohnwerte zu verlangen und die Durchführung einer Beweisaufnahme davon abhängig zu machen.“).

Für die Bewertung von Gewerbeimmobilien bedürfe es regelmäßig besonderer Erfahrungen und Kenntnisse über ortsbezogene und wirtschaftliche Begleitumstände sowie die Interessen der am Wirtschaftsleben beteiligten Verkehrskreise, die sich nicht aus einer allgemeinen Lebenserfahrung ergäben und die auch nicht bei den an der Berufungsentscheidung beteiligten Richtern aufgrund ihrer richterlichen Tätigkeit zu unterstellen sei. Eine unterschiedliche Wertigkeit, die evtl. eine Mietdifferenz gerechtfertigt hätte, ergäbe sich nicht bereits aus der Lage der Immobilien und von (vom LG angesprochenen) Nutzungsvorteilen der Ersatzimmobilie. Der Gebrauchswert, auf den es entscheidend ankäme, ergäbe sich aus einer Gesamtschau einer Vielzahl von Faktoren von gegebenenfalls unterschiedlichen Gewicht. Eine einzelne Eigenschaft von Räumlichkeiten (z.B. eine besonders hervorstechendes, einzigartiges Erscheinungsbild) könne den Wert anderer Eigenschaften auf- oder überwiegen und daher den Gebrauchswert maßgeblich bestimmen. Die für de Entscheidung erforderliche Vergleichsbetrachtung könne sich daher nicht in einer Gegenüberstellung einzelner wertbildender Eigenschaften erschöpfen.

BGH, Beschluss vom 26.04.2023 - XII ZR 83/22 -

Donnerstag, 10. August 2023

Zustellung eines Urteilsentwurfs als Urteil

In dem Rechtstreit ging um betriebliche Altersversorgung hatte die Klage der Klägerin auf Zahlung rückständiger Versorgungsdifferenzen teilweise abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab mit dem den Parteien zugestellten Urteil der Klage unter Abweisung der Berufung der Beklagten vollumfänglich statt. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Revision mit dem Ziel der Klageabweisung insgesamt ein. Der Senat des BAG ließ die Berufung zu. Danach stellte er fest, dass das in der noch als Papierakte (nicht elektronisch) geführten Gerichtsakte befindliche unterschriebene Urteil nicht identisch mit dem den Parteien zugestellten Urteil war.

Anmerkung: Es ist hier keine einmalige Ausnahme, dass ein den Parteien zugestelltes Urteil inhaltlich - teilweise sogar in der Tenorierung - von dem in der Gerichtsakte befindlichen Original abweicht. Während die Abweichung  in der Tenorierung meist bei einem Rechtsmittel durch die Antragstellung offenbar wird, fällt dies in Fällen inhaltlicher Differenzen nur auf, wenn die Gerichtsakte zur Einsichtnahme von dem Prozessbevollmächtigten angefordert wird und er dabei die fehlende Übereinstimmung der Urschrift in der Gerichtsakte zum zugestellten Urteil feststellt (manchmal auch die fehlende Weiterleitung von Schriftstücken, was die Rüge wegen Verletzung rechtlichen Gehörs eröffnen könnte, Art. 103 GG), oder infolge von Hinweisen des Gerichts wird die unterschiedliche Fassung aufgedeckt; möglich wäre auch eine eigene Feststellung des Gerichts, wenn dem Rechtsmittel das vollständige Urteil beigefügt war.

Nach der Feststellung der Unstimmigkeit zwischen zugestellter Urteilsfassung und dem in der Gerichtsakte befindlichen Urteil war vom Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden, wie damit prozessual umzugehen ist. Das BAG hatte hier die zugestellte Urteilsfassung aufgehoben und lediglich zum Zwecke der Zustellung der Originalfassung des Urteils an die Parteien den Rechtstreit an das LAG zurückverwiesen.

Zunächst war zu klären, ob überhaupt eine zulässige Revision vorliegen konnte. Allgemein gilt, dass ein Rechtsmittel gegen ein Scheinurteil (nicht zu verwechseln mit einem Nichturteil, z.B. wenn bei Ablauf der absoluten Berufungs- oder Revisionsfrist Rechtsmittel eingelegt wird, da bisher eine Zustellung nicht erfolgte und sich dann herausstellt, dass im Verkündungstermin kein Urteil verkündet wurde) möglich ist (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.04.2002 - 9 UF 222/00 -; Hunke in Anders/Gehle, ZPO 81. Aufl., vor § 300 Rn. 35). Vorliegend stellte der BGH darauf ab, dass die zugestellte Urteilsfassung den Eindruck eines Urteils vermittelt habe, welches mit Rechtmitteln angefochten werden könne. Seine Existenz sei geeignet, schutzwürdige Interessen der beschwerten Partei zu beeinträchtigen. Diese mit der Scheinwirkung des Urteils zu beseitigen führe dazu, dass es mit denselben Rechtsmitteln angefochten werden könne wie ein wirksam erlassenes Urteil. Neben dem Anwendungsbereich des § 72b ArbGG (sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils) bestünde ein Anwendungsbereich für die Revision, wenn das Urteil zwar innerhalb von fünf Monaten zur Geschäftsstelle gelange, aber nicht als solches zugestellt worden sei.  

War damit die Revision gegen das zugestellte Urteil statthaft, stellte sich die Frage, auf welcher Basis nun die Revisionsentscheidung ergehen sollte. Konnte die zugestellte Urteilsausfertigung zugrunde gelegt werden (also ein so von dem erkennenden Gericht nicht gewolltes Urteil), oder das (allerdings nicht zugestellte) Urteil in der Gerichtsakte ? Das BAG entschied dahingehend, dass beide Fassungen nicht einer Entscheidung zugrunde gelegt werden können; die zugestellte Urteilsfassung sei ein Entwurf und leide daher an einem wesentlichen Mangel, der zu einer Aufhebung von Amts wegen führe.

Ein Urteil sei von Amts wegen aufzuheben, wenn es an schweren, nicht korrigierbaren Mängeln leide, wobei maßgeblich die den Parteien zugeleitete Abschrift des Urteils sei. Dies begründet das BAG unter Verweis auf den Beschluss des BGH vom 24.05.2006 - IV ZB 47/05 - zutreffend damit, dass nur diese Urteilsfassung für die Parteien zur Beurteilung, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, geeignet sei. Das zugestellte Urteil leide an einem schwerwiegenden Mangel, wenn es in weiten und maßgeblichen Teilen nicht dem von den Richtern unterschriebenen Urteil entspräche oder einen Entwurf darstelle, der in wesentlichen Punkten nicht dem unterschriebenen Urteil entspräche (BGH, Beschluss vom 03.11.1994 - LwZB 5/94 -). Das Urteil müsse aber, damit die unterliegende Partei prozessordnungsgemäß über das weitere Vorgehen entscheiden zu können, in einer Abschrift der in der Gerichtsakte verbleibenden Originalfassung zugestellt werden. Die versehentliche Zustellung einer früheren Arbeitsgrundlage als Urteilsausfertigung sei damit ein Schein- bzw. Nichturteil, welches trotz Ausfertigung und Zustellung an die Parteien keine Rechtswirkung entfalten könne (BGH, Beschluss vom 24.06.2019 - AnwZ (Brfg) 18/19 -; BVerfG, Beschluss vom 17.01.1985 - 2 BvR 498/84 -).

Vorliegend würden der Tenor und der erste Teil des Tatbestandes sowie die Unterschriftenzeilen des zugestellten Urteils mit dem Original übereinstimmen, wie z.B.: Die Anträge und das Vorbringen der Parteien seien aber nicht zutreffend wiedergegeben worden, sondern würden aus einem anderen Rechtsstreit stammen. Die im Originalurteil enthaltenen rechtlichen Ausführungen des Gerichts würden in den zugestellten Abschriften gänzlich fehlen. Auch die Berechnung des Anspruchs des Klägers würden nicht mit dem Original übereinstimmen und würden aus einem Parallelrechtstreit stammen.

Zum weiteren Prozedere nach der Zurückverweisung gab der BGH vor, dass nunmehr den Parteien das von der Berufungskammer des LAG unterschriebene Urteil den Parteien zuzustellen sei. Es sei nicht erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten, da es dieser nicht bedürfe, da bereits ein unterschriebenes Urteil vorläge und die mündliche Verhandlung gem. § 310 Abs. 1 S. 1 ZPO geschlossen sei.

BAG, Urteil vom 09.05.2023 - 3 AZR 280/22 -

Sonntag, 6. August 2023

Reparatur in eigener Werkstatt, fiktive Schadensberechnung und Unternehmensgewinn

Die Klägerin, deren Fahrzeug einen Unfallschaden erlitt, war Betreiberin einer eigenen, gewinnorientierten Kfz-Werkstatt. Nach dem Verkehrsunfall veräußerte sie das unreparierte Fahrzeug.  Sie machte gegen die beklagte Haftpflichtversicherung des den Verkehrsunfall alleine verursachenden Fahrzeugs fiktiven Schadenersatz (berechnet auf Basis eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens) geltend. Die Haftpflichtversicherung zog von dem Schadensbetrag 20% mit Hinweis darauf ab, dabei handele es sich um den (unterstellten) Unternehmensgewinn der Klägerin, der dieser nicht zustehe, da ihr Reparaturbetrieb nicht ausgelastet gewesen sei. Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr statt und ließ dies Revision zu. Die von der Klägerin eingelegte Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Zunächst fasste der BGH die Grundsätze zusammen, nach denen der Geschädigte im Rahmen fiktiven Schadensersatzes nach einem Verkehrsunfall den Unternehmensgewinn als Teil der Reparaturkosten ersetzt verlangen kann.

Nach § 249 Abs. 1 BGB habe der Schädiger den Zustand wiederherzustellen, der dem Zustand ohne das Schadenereignis entspräche. Er könne bei der Beschädigung einer Sache gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB statt der Herstellung auch den dazu erforderlichen Geldbetrag leisten. Der Geschädigte wäre infolge seiner Dispositionsfreiheit in der Verwendung der von ihm vom Schädiger verlangten Mittel frei, sei also insbesondere nicht zur Reparatur verpflichtet (BGH, Urteil vom 17.09.2019 - VI ZR 396/18 - mwN.). Allerdings habe der Geschädigte unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten diejenige zu wählen, die den geringeren Aufwand erfordere; nur der für diese Art der Schadensbehebung notwendige Geldbetrag sei im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -).

Dies bezeichnet der BGH als Wirtschaftlichkeitsgebot, welches allerdings nicht absolut gelte, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage. Nähme der Geschädigte die Schadensbehebung selbst vor, sei im Rahmen der sogen. subjektbezogenen Schadensbetrachtung der zur Herstellung erforderliche Aufwand nach der besonderen Situation des Geschädigten zu bemessen. Auf seine evtl. beschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie für ihn bestehende Schwierigkeiten sei zu seinen Gunsten Rücksicht zu nehmen. Andererseits sei zugunsten des Schädigers darauf Rücksicht zu nehmen, wenn der Geschädigte über besondere Expertise, erhöhte Einflussmöglichkeiten oder sonstige Vorteile oder Erleichterungen verfüge, was sich anspruchsverkürzend für den Geschädigten auswirken könne (BGH vom 19.10.2019 - VI ZR 45/19 -).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze habe der Geschädigte regelmäßig Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, on er das Fahrzeug voll oder minderwertig oder gar nicht reparieren lasse. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot genüge der Geschädigte idR., wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze Ersatzteilkosten auf dem allgemeinen regionalen Markt einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde lege. Die so ermittelten Reparaturkosten würden auch demjenigen zustehen, der kraft eigener Fähigkeiten oder aus sonstigen individuellen Gründen zu einer kostengünstigeren Eigenreparatur imstande sei (BGH, Urteil vom 16.05.1970 - VI ZR 168/69 -).

Auch wenn der Geschädigte einen eigenen auf Gewinnerzielung ausgerichteten Reparaturbetrieb führe, habe er Anspruch auf diese Kosten einschließlich des darin enthaltenen Gewinnanteils des Reparaturbetriebes. Nach dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB müsse sich der Geschädigte allerdings in diesem Fall auf eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit in seiner eigenen Werkstatt verweisen und es ihm zumutbar sei, ansonsten ungenutzte Kapazitäten für die notwendige Reparatur zu nutzen lassen, wenn sein Betrieb nicht ausgelastet sei (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 363/12 -). Würde man in einem solchen Fall § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nicht anwenden, stünde der Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung besser als er bei einer konkreten Schadensberechnung (Durchführung der Reparatur und Geltendmachung der Kosten) stehen würde (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -), weshalb auch bei der fiktiven Abrechnung (wie bei der konkreten Schadensabrechnung) die konkrete Ausgangssituation der Werkstatt des Geschädigten zu berücksichtigen sei.

Die Darlegungs- und Beweislast zu § 254 BGB trifft allerdings auch hier dem Schädiger. Da es sich aber um Umstände außerhalb der Sphäre des Geschädigten handele, obliege dem Schädigten eine sekundäre Darlegungslast, seine betriebliche Auslastungssituation darzustellen (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 363/12 -) und ggf. Umstände anzuzeigen, die eine Reparatur in der eigenen Werkstatt unzumutbar erscheinen lassen würden. Vom Geschädigten aufgezeigte Umstände habe der Schädiger zu widerlegen.

Nach diesen Grundsätzen verneinte der BGH einen Anspruch der Klägerin auf den Unternehmensgewinn.

Grundsätzlich könne die Klägerin fiktiv abrechnen und, obwohl sie einen gewinnorientierten Reparaturbetrieb betreibe, eine Abrechnung auf Basis des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens vornehmen.  Allerdings müsse sich hier die Klägerin aus der ihr obliegenden Schadensminderungspflicht heraus auf eine Reparaturmöglichkeit in der eigenen Werkstatt verweisen lassen. Danach könne offen bleiben ob (wie vom Berufungsgericht angenommen) für die Auslastungssituation des Betriebs der maßgebliche Zeitraum mit der Veräußerung des Fahrzeugs ende, denn die Klägerin habe zu dieser nichts vorgetragen und auch keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die gegen die Anwendung des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB sprechen würden.

Zu Recht habe das Berufungsgericht eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin zu dem Einwand der beklagten Versicherung, die Klägerin könne aufgrund freier Kapazitäten in der eigenen Werkstatt den Unternehmensgewinn nicht verlangen, angenommen. Dem Geschädigten dürfe bei seiner Darlegungslast nichts Unmögliches abverlangt werden. Er könne beanspruchen, dass der Geschädigte an der Beweisführung mitwirke, soweit es sich um Umstände aus seiner Sphäre handele (BGH, Urteil vom 20.07.2006 - IX ZR 94/03 -). Dieser sekundären Darlegungslast zur Auslastungssituation sei die Klägerin nicht nachgekommen. Die beklagte Versicherung habe nicht aus eigenem Wissen zur Dauer der Reparatur noch dazu, wann der Weiterverkauf erfolgt sei, vortragen können. Nur die (Anm.: voraussichtliche) Reparaturdauer habe sich aus dem klägerseits vorgelegten Sachverständigengutachten (Grundlage der fiktiven Schadensabrechnung) ergeben; zu allen anderen Umständen stünde die beklagte Versicherung - anders als die Klägerin - außerhalb des Geschehensablaufs und verfüge über keine Erkenntnismöglichkeiten für einen konkreten Vortrag, der der Klägerin möglich und zumutbar gewesen wäre.

BGH, Urteil vom 26.05.2023 - VI ZR 274/22 -

Mittwoch, 2. August 2023

Beschränkte Erbschaftsannahme auf die Nacherbschaft, Erbfallkostenpauschale und deren Nachweis

Testamentarischer Vorerbe der verstorbenen Tante der Klägerin war deren Ehemann, als Nacherbe war die Klägerin berufen, die auch als Erbin des Ehemanns berufen war. Nach dem Ableben des Ehemanns schlug die Klägerin dessen Erbe aus. Der Klägerin waren aufgrund der Nacherbschaft Kosten von € 40,00 beim Nachlassgericht entstanden. Der Vorerbe hatte keine Kosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG (Nachlassverbindlichkeiten) geltend gemacht, wobei bei ihm infolge des Freibetrages für Ehegatten keine Erbschaftssteuer festgesetzt wurde. Für die Klägerin wurde die Erbschaftsteuer in Bezug auf die Nacherbschaft auf € 3.960,00 festgesetzt; Nachlassverbindlichkeiten wurden nicht berücksichtigt. Der Einspruch der Klägerin gegen den Erbschaftsteuerbescheid wurde zurückgewiesen. Im Rahmen der Klage machte die Klägerin nunmehr für Nachlassverbindlichkeiten die Pauschale von € 10.300,00 gem. § 10 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 ErbStG geltend. Der Klage gab das Finanzgericht statt. Die dagegen vom Finanzamt eingelegte Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

1. Der Anfall der Nacherbschaft gelte grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Anders als nach §§ 2100, 2139 BGB würden Vorerbe und Nacherbe nicht vom ursprünglichen Erblasser erben, sondern nach § 6 ErbStG erbe der Nacherbe (fiktiv) vom Vorerben. [Die Ausschlagung der Erbschaft nach dem Ehemann der Tante hindert damit zivilrechtlich nicht die Annahme der Nacherbschaft, was auch im Erbschaftsteuerrecht gelte, aber hinsichtlich der steuerlichen Auswirkungen (so evtl. Steuerklasse) zu einem anderen Ergebnis führt. Dies sollte bei einer entsprechenden Regelung berücksichtigt werden.]. Würde der Nacherbe zugleich Erbe des Vorerben, lägen zwar zivilrechtlich zwei Erbfälle vor, steuerrechtlich aber nur ein einheitlicher Erwerb vom Vorerben (BFH Urteil vom 31.08.2021 - II R 2/20 -). Als erbschaftsbedingte Bereicherung für jeden Erwerb gelte der betrag, der sich aus dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten der Besteuerung nach dem ErbStG unterliegenden Vermögensanfalls, von dem die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten abgezogen würden, § 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG.

Damit stellet der BFH fest, dass sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe den Besteuerungstatbestand gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG für einen Erwerb von Todes wegen verwirklichen würden.

2. Ohne Erforderlichkeit des Nachweises von Nachlassverbindlichkeiten würde nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 2 ErbStG für die in § 10 Abs. 5 S. 1 ErbStG genannten Kosten ein Betrag von € 10.300,00 abgezogen. Dieser betrag würde für jede Erbschaft nur einmal gewährt (auch bei mehreren Miterbe, BFH Beschluss vom 24.02.2010 - II R 31/08 -). Vor- und Nacherbfolge würden nur einen Erbfall darstellen und auch keinen Erbfalls mit mehreren Erben. Beide Vorgänge seien jeweils einen gesonderten Erbfall darstellen. Dieser Systematik würde es entsprechen, zweimal (also im Vor- als auch Nacherbgang) die Pauschale zu berücksichtigen.

Auch wenn bei Vor- und Nacherbschaft [Anm.: Nur auf dieses Teilvermögen des Vorerben beschränkte sich die Erbschaftsteuer vor dem Hintergrund der zivilrechtlichen Ausschlagung des Erbes nach dem Vorerben) nur ein Todesfall vorläge, sei eine teleologische Reduktion nicht geboten. Zwar sei richtig, dass bei zweimaliger Berücksichtigung der Pauschale diese im Hinblick auf den ersten Todesfall zweimal anfalle (bei der Vor- als auch der Nacherbschaft), was auch zur doppelten Berücksichtigung von damit pauschal aufgefangener Beerdigungskosten dazu führe, dass diese zweimal berücksichtigt würden. Allerdings seine die Pauschale auch dazu, Nachlassregelungskosten im weiteren Sinne abzugelten, die auch zweimal in unbegrenzter Höhe anfallen könnten und typischerweise auch in einem Nacherbfall anfallen würden.  Der Ansatz der Pauschale diene der Vereinfachung der Steuerfestsetzung, unabhängig davon, ob der Nacherbe auch Erbe des Vorerben würde. 

Ein Nachweis, dass zumindest dem Grunde nach Kosten angefallen seien, die der Pauschbetrag erfasse, sei nicht notwendig. Das Gesetz würde von typischerweise entstehenden Kosten ausgehen und nach dem Gesetz könne die Pauschale ohne Nachweis geltend gemacht werden. Ein Nachweis darüber, dass solche dem Grunde nach entstanden sind, würde dem Vereinfachungszweck, der mit der Regelung beabsichtigt sei, widersprechen. Soweit in früheren Entscheidungen eine andere Ansicht vertreten wurde, halte der (zuständige) Senat des BFH daran nicht mehr fest.

BFH, Urteil vom 01.02.2023 - II R 4/20 -