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Mittwoch, 1. September 2021

Haftungsausschluss trotz Unfallverletzung des Beifahrers bei Rettungsfahrt (§ 680 BGB)

Der Antragssteller (AS) begehrte Prozesskostenhilfe nach einem durch den Antragsgegner (AG) verursachten Verkehrsunfall, bei dem er als Beifahrer verletzt wurde, für eine Klage auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz u.a. gegen den Fahrer (Antragsgegner) sowie den Halter und den Versicherer des Fahrzeugs.  Der AS gab an, er sei von einem Dritten zusammengeschlagen worden und der alkoholisierte AG habe ihn nach 1 Uhr in das Krankenhaus in L. fahren wollen. Wegen überhöhter Geschwindigkeit sei das Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen und er sei, da er nicht angeschnallt gewesen sei, herausgeschleudert worden. Die bestehenden Verletzungen seien dadurch verstärkt worden.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, wogegen sich der AG mit der Beschwere wandte, die vom OLG zurückgewiesen wurde, da auch nach seiner Ansicht die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Dies erfordere, dass das Gericht nach der Sachdarstellung und vorhandenen Unterlagen eine Aussicht auf Erfolg für vertretbar und von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt sei. Häufig genüge die schlüssige Darlegung mit Beweisantritt.  Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, wobei es auf Schwierigkeiten der haftungsausfüllenden Kausalität (die vom Landgericht zur Abweisung des Antrags benannt wurden) auch aus Rechtsgründen nicht ankäme. Denn beide Vorgänge (das Zusammenschlagen durch einen Dritten und der vom AG verursachte Verkehrsunfall) seien geeignet gewesen, die schweren Verletzungen des AS zu begründen. Die mögliche Unaufklärbarkeit der Zuordnung der Schadensverursachung würde in den Anwendungsbereich des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB fallen (lässt sich nicht ermitteln, welcher Beteiligte welchen Schaden verursachte, haften alle Beteiligte für den gesamten Schaden).

Allerdings sei Voraussetzung, dass jeder der gesamtschuldnerisch haftenden Beteiligten jeweils auch für sich den Haftungstatbestand dem Grunde nach erfüllt haben müsste. Ob hier für den AG resp. die Antragsgegner eine Haftung nach §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1 ´, 18 StVG , §§ 823ff BGB (iVm. Mit §§ 115 Abs. 1 1 VVG iVm. 1 PflVG) greift könne aber auf sich beruhen, da jedenfalls das Haftungsprivileg des § 680 BGB vorläge. Es handelt sich um eine Norm aus dem Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff BGB), wobei diese hier zur Gefahrenabwehr (§ 680 BGB) getätigt worden sein müsste. Derjenige, der sich zu spontaner Hilfe entschließt, soll - so das OLG in seiner Beschwerdeentscheidung  - vor eigenen Verlusten bewahren, wobei berücksichtigt würde, dass die wegen der Gefahrensituation geforderte schnelle Entscheidung ein ruhiges und überlegtes abwägen ausschließen könne und es sehr schnell zu einem Sichvergreifen in den Mitteln kommen könne (BGH, Urteil vom 19.01.2021 - VI ZR 188/17 -).

Vorliegend sei der AS schwer verletzt gewesen und der Rettungswagen noch nicht erschienen, weshalb sich der AG entschlossen habe, den AS selbst ins Krankenhaus zu fahren, um so weitere Gesundheitsschäden zu verhindern. Damit habe der AG ein Geschäft des AS ohne dessen Auftrag besorgt, welches im Interesse des AS gelegen habe (§ 677 BGB). Allerdings habe der AG grundsätzlich bei einer BAK von 1,5 Promille schuldhaft und haftungsbegründend gehandelt, da er in diesem Zustand nicht mehr hätte fahren dürfen. Ferner habe er nach Angaben des AS diesen nicht angeschnallt.

Nach § 680 BGB scheide eine Haftung aus, wenn nicht grobe Fahrlässigkeit vorläge. Er müsse also ohne grobe Fahrlässigkeit geglaubt haben, er sei trotz des genossenen Alkohols noch so fahrtüchtig, dass der Verunglückte mit der Fahrt einverstanden sei (wobei hier Übernahme- und Ausführungsverschulden im Zusammenhang mit der Alkoholisierung wegen des engen Zusammenhangs in einem einheitlichen Haftungsmaßstab zu messen seien). Zwar würde bei einer BAK von 1,5 Promille grobe Fahrlässigkeit gemeinhin angenommen, da diese Konzentration regelmäßig zu auch dem Betroffenen erkennbaren Ausfallerscheinungen führe. Doch müssten auch subjektive, in der Individualität des Handelnden liegende Umstände berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 07.04.1970 - VI ZR 217/68 -), da es sich bei der groben Fahrlässigkeit um ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares, ein gewöhnliches Maß übersteigendes Fehlverhalten handele (BGH, Urteil vom 29.01.2003 - IV ZR 173/01 -).

In diesem Zusammenhang stellet das OLG auf die für den AG überraschende Situation der erheblichen Gesundheitsgefährdung des AS, die ihn vor einer auf der Stelle zu treffenden Entscheidung gestellt habe. Es sei ihm keine Zeit für ein (gar ruhiges) Überlegen geblieben. Da es um Leib und Leben des AS gegangen sei, also eine nicht nur nach Dringlichkeit, sondern auch Größe ungewöhnliche Gefahr abzuwenden gewesen sei, der Gesundheitszustand des AS weiter verschlechtert habe und er Rettungswagen nicht eintraf, habe er nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er es in dieser Situation an der notwendigen selbstkritischen Prüfung seiner eigenen Fahrtüchtigkeit habe fehlen lassen (BGH, Urteil vom 30.11.1971 - VI ZR 100/70 -).

Nichts anders würde auch bei dem Unterlassen des Anschnallens gelten. Es sei nicht nur nicht ersichtlich, ob der Zustand des AS ein Anschnallen zugelassen habe; in der konkreten Situation sei das Vergessen nicht so unverständlich, dass sie jedem in der konkreten Situation einleuchten müsste.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.05.2021 - 12 W 16/20 -