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Freitag, 21. Juni 2024

Nachweis der Testier(un)fähigkeit

Die Parteien stritten nach dem Tod des Erblassers über die Testierfähigkeit desselben zu dem Zeitpunkt, zu dem er sein (notarielles) Testament errichtete.  Das Nachlassgericht hatte ein Sachverständigengutachten dazu eingeholt, wobei Behandlungsunterlagen verschiedener Ärzte beigezogen wurden. Es kam danach zu dem Ergebnis, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt der Erstellung des umstrittenen Testaments Testierunfähig gewesen sei. Es habe an diesem Tag bei dem Verstorbenen eine Bewusstseinsstörung vorgelegen, die sich auf seine Einsichts- und Willensfähigkeit ausgewirkt habe. Die davon betroffene Beteiligte zu 1. Legte gegen den Beschluss Beschwerde ein, der das Nachlassgericht nicht abhalf. Die Beteiligte zu 1. legte sodann ein Gutachten eines anderen Sachverständigen vor, welches sie eingeholt hatte, demzufolge der Verstorbene mit überwiegender Wahrscheinlichkeit doch testierfähig gewesen sei. Das Beschwerdegericht (OLG) hörte den vom Nachlassgericht beauftragten Sachverständigen noch einmal an.

Die Beschwerde hatte Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Senat des OLG habe auch nach der Anhörung des vom Nachlassgericht beauftragten Sachverständigen zu den im Gegengutachten benannten Einwendungen nicht die notwendige Überzeugung für eine Testierunfähigkeit feststellen können.

Der Sachverständige habe eine Schlussfolgerung aus einer in der Pflegedokumentation der Klinik, n der sich der verstorbene befand, gezogen, nach der bei dem Verstorbenen in der Nacht für der Protokollierung des Testaments ein Delir vorgelegen haben soll, was nach Auffassung des Sachverständigen dazu führe, dass der Betroffene, der sich davon nicht binnen weniger Stunden erholen könne, nicht mehr logisch denken und handeln könne (dem sich nach Nachlassgericht angeschlossen hatte).  Dem wollte der Senat „bei notwendiger eigener kritischer Würdigung“ nicht folgen. Zwar sei der vom Nachlassgericht beauftragte Sachverständige bei seiner Auffassung geblieben, doch seien seine Folgerungen nach Auffassung des Senats nicht zwingend. Allerdings habe er eingeräumt, dass keines der von ihm benannten Anzeichen für en Delir zwingend ein Delir bedeute. Zudem wurde eingeräumt, dass es für die dokumentierten Eintragungen auch Ursachen geben könne, die in keinem Zusammenhang mit einem Delir stünden. Es reiche nicht aus, das die Eintragungen in einem bestimmten Sinn interpretiert werden könnten.

Nach der Konzeption des § 2229 BGB gelte jedermann, der das 16. Lebensjahr vollendet habe, solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen sei (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023 - 8 W 71/22 -). Es sei damit bei einer erwachsenen Person grundsätzlich von deren Geschäfts- und Testierfähigkeit auszugehen. Das Fehlen sei die Ausnahme. Könne nicht mit hinreichender Sicherheit die Geschäfts- oder Testierfähigkeit geklärt werden, ginge dies zu Lasten des-(derjenigen, die sich auf eine fehlende Geschäfts- oder Testierfähigkeit berufen.

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.04.2024 - 8 W 60/23 -

Freitag, 24. Mai 2024

Versicherungsschutz ohne eindeutige Einbruchsspuren

Der Vater des Klägers, der dessen Erbe ist, hatte eine Hausratversicherung bei der Beklagten abgeschlossen, der die VHB 84 zugrunde lagen. Nach § 5 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 VHB 84 liegt ein Einbruchdiebstahl u.a. vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes einbricht oder einsteigt. In der Nacht vom 17. auf den 18.12.2016 soll ein unbekannter Täter (in Abwesenheit des Versicherungsnehmers) in das Wohngebäude des Versicherungsnehmers eingedrungen sein; er soll sich durch Aufhebeln des linken, geschlossenen Fensters im Erdgeschoss Zutritt verschafft haben, nachdem er zunächst versucht hätte, das mittlere Fenster aufzuhebeln. Die auf Gewährung von Versicherungsschutz gerichtete Klage wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Im Beschlusswege nach § 522 ZPO wies das OLG die Berufung des Klägers zurück. Die Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG.

Der BGH hielt die Anforderungen, die das OLG an die Darlegung des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls stellte, als überspannt.

Im Rahmen der Sachversicherung seien aus dem Leistungsversprechen des Versicherers abgeleitete Erleichterungen für den Beweis eines bedingungsgemäßen Diebstahls versicherter Sachen zuzubilligen. Er müsse nur das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweisen, mithin ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zuließen (BGH, Urteil vom 08.04.2015 - IV ZR 171/13 -). Dazu gehöre neben der Unauffindbarkeit der am Tatort entwendeten und als gestohlen gemeldeten Sachen, dass – abgesehen von Nachschlüsseldiebstählen – Einbruchsspuren vorhanden seien. Diese Einbruchsspuren müssten nicht stimmig in dem Sinne sein, dass sie zweifelsfrei auf einen Einbruch schließen ließen. Da der Versicherungsnehmer idR. keine Zeugen oder sonstige Beweismittel beibringen könne, sei die Versicherungsleistung auch dann zuzuerkennen, wenn sich nach den festgestellten Umständen nur das äußere Geschehen eines Diebstahls darbiete, auch wenn von einem typischen Geschehensablauf nicht gesprochen werden könne.

Das OLG habe darauf abgestellt, dass der Sachverständige das Einstiegfenster erst mit erheblicher Gewaltanwendung und unter Verursachung zuvor nicht vorhandener Einbruchspuren habe öffnen können. Damit aber würde das OLG für den Nachweis des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls das Vorhandensein eines widerspruchsfreien stimmigen Spurenbildes verlangen. In der Sache vermisse das OLG den Nachweis eines typischen Tatablaufs, der aber keine Voraussetzung für das Vorliegen des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls sei. Nur wenn ein Einbruch auf dem Weg, wie er nach dem äußeren Spurenbild vorzuliegen scheine, aus anderen Gründen völlig auszuschließen sei, könne es trotz Vorhandenseins an sich genügender Spuren am Nachwies der erforderlichen Mindesttatsachen fehlen.

Vorliegend hätte das OLG das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls nicht aufgrund verbliebener Unklarheiten verneinen und dem Kläger einen unzureichenden Vortrag zum Tatgeschehen vorwerfen dürfen. Es habe zu Unrecht eine ins Detail gehende und widerspruchsfreie Schilderung des Tatgeschehens verlangt.

Würde das Vorliegen des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls bejaht, könne der Versicherer darlegen und bewiesen, dass der Versicherungsfall nur vorgetäuscht sei (wofür die Unstimmigkeit im Spurenbild Bedeutung erlangen könne). Dem Versicherer komme ebenfalls eine Beweiserleichterung zu. Erforderlich sei lediglich der Nachweis konkreter Tatsachen, die aber nicht nur mit hinreichender, sondern mit höherer (erheblicher) Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen würden, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht worden sei. Das Fehlen weiterer Spuren für sich oder im Zusammenhang mit anderen Indizien könne ausreichend sein, um eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung zu begründen.

BGH, Urteil vom 17.04.2024 - IV ZR 91/23 -

Samstag, 18. November 2023

Rechtliches Gehör: Übergehen des Kerninhalts des eingeführten Privatgutachtens

Die Klägerin machte aus nach § 86 VVG die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Brandschaden gegen die beklagte Herstellerin einer Geschirrspülmaschine geltend, die nach der Behauptung der Klägerin ursächlich für den Brand gewesen sein soll. Die Klage und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurden zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Die Aufhebung und Zurückverwesung erfolgte, da sich das OLG als Berufungsgericht nach Auffassung des BGH mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter einem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss anderweitiger Brandursachen nicht auseinandergesetzt und dadurch die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) verletzt habe. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte Gerichte dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Zwar müsse sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen (vgl. auch § 313 Abs. 2 ZPO), doch müsse es auf den Kern der Tatsachenvortrages einer Partei eingehen, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei (BVerfG, Beschluss vom 25.09.2020 - 2 BvR 854/20 -), was sich aus den Entscheidungsgründen erkennen lassen müsse (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZR 204/14 -).

Zwar habe das OLG im Tatbestand seines Urteils die Einwendungen der Klägerin umfassend aufgeführt, allerdings ließen die Entscheidungsgründe eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

Soweit das OLG darauf hingewiesen habe, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, fehle es an einer Auseinandersetzung mit dem auf dem Privatgutachten gestützten Vortrag der Klägerin, wonach die Ursächlichkeit der „elektrischen Anlage“ bzw. der „Elektroinstallation“ bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandortes, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne.

Gestützt auf das Privatgutachten hatte die Klägerin im Einzelnen u.a. vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht käme. Das Brandbild, welches sich entwickelt habe, könne nur von der bis zum Bedientableau unter Spannung gestandenen Geschirrspülmaschine entwickelt worden sein und nur aufgrund eines technischen Defekts eines elektronischen Bauteils derselben entstanden sein, da andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Auch habe es nach (vorgelegter) Auskunft des Netzbetreibers keine Überspannung gegeben.

Die Erwägung des OLG, die Geschirrspülmaschine sei mittlerweile  entsorgt worden und könne nicht mehr begutachtet werden, weshalb sich die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, stelle sich auch nicht als Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin dar, die unter Zugrundlegung des Privatgutachtens darauf hinwies dass mit den Lichtbildern des Brandortes und den – von den Zeugen bekundeten – Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

Eine Gehörsverletzung muss, damit die Rüge Erfolg hat, entscheidungserheblich sein. Das bejahte der BGH vorliegend, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten Vortrag der Klägerin zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Der BGH wies das OLG für das weitere Verfahren darauf hin, dass der Geschädigte nur beweisen müsse, dass ein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst sei. Nicht aufklären müsse der Geschädigte, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen sei und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt habe (BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 178/90 -). Würden nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers stammen, sei ein Produktfehler nachgewiesen. Dabei käme es nicht darauf an, ob es sich um einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handele (BGH, Urteil vom 24.11.1976 -VIII ZR 137/75 -).  Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden sei, schließe den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.

BGH, Beschluss 28.03.2023 - VI ZR 29/21 -

Freitag, 21. Oktober 2022

Eigener Geschäftsbetrieb eines Minderjährigen, § 112 BGB

Früh übt sich, was ein Meister werden will. Aber geht es auch ohne Übung ? Der 2007 geborene Minderjährige, der gerne Computerspiele spielte, programmierte solche auch und vertrieb sie (über ein PayPal-Konto seiner Eltern), wobei er in 2021 € 20.000,00 Einnahmen erzielt haben will. Er und seine Eltern beantragten vor dem Familiengericht die Genehmigung für ihn, selbstständig ein Erwerbgeschäft betreiben zu dürfen, was bei familiengerichtlicher Genehmigung bedeuten würde, dass er grds. für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig wäre, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, § 112 BGB. Der Klassenlehrer gab an, dass dies seine schulischen Leistungen nicht beeinträchtigen würde; die IHK sah das Modell als plausibel an und befürwortete den Antrag. Das Familiengericht wies ihn gleichwohl zurück; die Beschwerde dagegen wurde vom OLG auch zurückgewiesen.

Grundlage der Entscheidung sei § 112 BGB, Maßstab das Kindeswohl gem. § 1697a BGB. Der Minderjährige müsse über die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse in Bezug auf das angestrebte Gewerbe verfügen. Er müsse über die psychische und charakterliche Reife eines Volljährigen verfügen und über Fähigkeiten und Kenntnisse, um sich im Geschäftsleben angemessen zu verhalten und die sich aus dem Erwerbsgeschäft ergebenden Verpflichtungen erfüllen können. Indizien für das Vorliegen der entsprechenden Reife seien etwa schulische Leistungen, Kenntnisse in unternehmensbezogenen Bereichen wie Finanzierung, Steuern (nachzuweisen durch Belege über eine entsprechende Schulung) oder die bisherige Mitarbeit in einem Erwerbsgeschäft. Alleine technische Fähigkeiten (hier die Begabung des Minderjährigen zur Programmierung von Spielen), sondern der Minderjährige müsse sich auch im Rechts- und Erwerbsleben wie ein Volljähriger benehmen können (OLG Naumburg, Beschluss vom 22.08.2014 - 8 UF 144/13 -).  Diese reife könne durch Kurse bei der IHK, praktische Arbeit oder Praktika erworben werden.

Im vorliegenden Fall sah das Beschwerdegericht lediglich die technische Befähigung des Minderjährigen als gegeben an. Mit Rechts-, Steuerrechts- und Buchführungsfragen habe er sich bisher nicht beschäftigt und dies seinen Eltern überlassen. Auch habe er sich noch nicht mit den Nutzungsbedingungen von PayPal auseinandergesetzt und nicht angeben können, wie er mit diesen umgehen will, da sie fordern würden, dass der Nutzer volljährig sein müsse. Da es auf das vom Minderjährigen und seinen Eltern eingewandte geringe wirtschaftliche Risiko nicht ankäme, wurde die Beschwerde zurückgewiesen, da der Minderjährige im Hinblick auf die kaufmännische/rechtliche Geschäftstätigkeit nicht über sein jugendliches Alter hinausgehe.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.08.2022 - 5 WF 72/22 -

Mittwoch, 2. Februar 2022

Reparaturkosten-Ersatz von 130% vom Wiederbeschaffungswert und Beweiswürdigung der Instandsetzung

Immer wieder kommt es zum Streit zwischen  dem Geschädigten und dem Schädiger/dessen Versicherer, ob bei einem wirtschaftlichen Totalschaden gleichwohl Reparaturkosten verlangt werden können. Der BGH hat in seiner Entscheidung dazu neuerlich Stellung genommen und erstmals sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Ersatz von Reparaturkosten auch verlangt werden kann, wenn die Kostenprognose im Schadensgutachten Reparaturkosten vorsieht, die über die 130%-Grenze liegen. Ferner musste er sich damit auseinandersetzen, wie die Feststellung erfolgen muss, um festzustellen, dass tatsächlich zu den geltend gemachten Kosten der Schaden komplett sah- und fachgerecht behoben wurde.

In dem Fall betrug der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nach dem Schadensgutachten € 4.500,00, die Reparaturkosten gab der Sachverständige mit € 7.148,84 an. Der Kläger ließ das Fahrzeug zu einem Preis von € 5.695,49 reparieren, nutzte es weiterhin und machte gegen die Beklagten diesen Betrag abzüglich der erfolgten Zahlung auf den Wiederbeschaffungswert geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung.

1. Der BGH verwies auf seine Rechtsprechung, wonach dem Geschädigten in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Ansehung seines Integritätsinteresses ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwandes (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zustünde. Voraussetzung sei, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur (mindestens für ein Jahr) weiter zu nutzen. Fachgerecht sei die Reparatur nur dann, wenn diese so durchgeführt würde, wie es vom Sachverständigen in seiner Kostenschätzung vorgesehen worden sei. Würde der Aufwand mehr als 30% betragen, sei die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig und dem Geschädigten stünde nur der Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines etwaigen Restwertes) als Schadensersatz zu. Anderes würde im Falle der Reparatur nur dann gelten, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wähle, die Reparatur aber teurer würde und ihm kein Auswahlverschulden zur Last falle. Ließe er aber das Fahrzeug reparieren, obwohl wie hier die Kostenprognose bei über 30% über dem Wiederbeschaffungswert läge und erweise sich dies als richtig, sei der Schadensersatzanspruch auch auf den Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines möglichen Restwertes) beschränkt.

Vom Grundsatz her seien die Angaben des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten zur Höhe nicht für den geschädigten verbindlich und er könne den Betrag verlangen, der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sei. Er müsse in diesem Fall den Angaben des Sachverständigen konkret entgegentreten und geltend machen, der von ihm ermittelte Betrag gebe den objektiv zur Herstellung erforderlichen Betrag wieder; würde dies vom Gegner bestritten, müsse dies im Rechtsstreit auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung eines vom Gericht zu veranlassenden Sachverständigengutachtens geklärt werden.

In den Fällen, in denen die Reparaturkosten über 130% des Wiederbeschaffungswertes lägen, die Reparatur aber fachgerecht (ggfls. unter Verwendung von Gebrauchtteilen) Kosten auch unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen würden, würde daher ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestehen. Anm.: Bei dieser Berechnung bleibt der Restwert des Fahrzeuges außer Ansatz, dessen Abzug sich der Geschädigte bei Ersatz des Wiederbeschaffungswertes auf diesen anrechnen lassen muss.

Offen gelassen hatte der BGH bisher den Ersatzanspruch auf Reparaturkosten, die sich unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes auf 101 bis 130% des Wiederbeschaffungswertes belaufen. Nunmehr hielt der BGH fest, dass auch in dem Fall, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten für eine fachgerechte Reparatur (auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen) zur Wiederherstellung des Zustandes des Fahrzeuges wie vor dem Unfall innerhalb der 130%-Grenze bewegen, dem Geschädigten diese „Integritätsspritze“ nicht versagt werden könne. Der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähige Betrag würde nicht durch die Einschätzung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen bestimmt, sondern von den tatsächlichen Kosten einschl. des merkantilen Minderwertes.

2. Ob die durchgeführte Reparatur sach- und fachgerecht und nach den Vorgaben des Sachverständigen erfolgt sei, sei bei Bestreiten des Gegners vom Gericht zu prüfen. Die Beweislast, der durch Einholung eines zu beantragenden und vom Gericht einzuholenden Sachverständigengutachtens nachzukommen ist, obliegt dem Geschädigten

Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dessen Grundlage den vom Kläger zu erbringenden Beweis als erbracht angesehen. Vom Landgericht sei dies fehlerhaft nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als festgestellte Tatsache des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden. Bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, würde dies eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht erfordern. Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite (wenn auch eingeschränkte) Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“, der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung.  

So sei ein Verfahrensfehler zu berücksichtigen, was namentlich dann vorläge, wenn das erstinstanzliche Urteil nicht den Anforderungen entspräche, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO entwickelt worden seien. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße. So seien auch unklare oder widersprüchliche Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung durch das Gericht.

Die vom Landgericht als bindend angesehene Feststellung des Amtsgerichts zu dem Sachverständigengutachten, dieses habe aufgrund der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht, sei von den Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht nicht gedeckt. Verschiedentlich sei vom Sachverständigen darauf hingewiesen worden, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Veräußerung des Fahrzeuges eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage fehlen würde und sich auf die relativierende Aussage beschränkt, nach den übergebenden Fotos seien keine Anzeichen vorhanden, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Nur vor diesem Hintergrund habe er eine fachgerechte Reparatur bestätigt. Demgegenüber habe das Amtsgericht in der Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens zu erkennen gegeben, dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben hätten, wie er den Pkw nicht mehr habe begutachten können.

Damit war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 100/20 -