Immer wieder kommt es zum Streit
zwischen dem Geschädigten und dem
Schädiger/dessen Versicherer, ob bei einem wirtschaftlichen Totalschaden
gleichwohl Reparaturkosten verlangt werden können. Der BGH hat in seiner Entscheidung
dazu neuerlich Stellung genommen und erstmals sich auch mit der Frage
auseinandergesetzt, ob ein Ersatz von Reparaturkosten auch verlangt werden
kann, wenn die Kostenprognose im Schadensgutachten Reparaturkosten vorsieht,
die über die 130%-Grenze liegen. Ferner musste er sich damit auseinandersetzen,
wie die Feststellung erfolgen muss, um festzustellen, dass tatsächlich zu den geltend
gemachten Kosten der Schaden komplett sah- und fachgerecht behoben wurde.
In dem Fall betrug der Wiederbeschaffungswert
des Fahrzeuges nach dem Schadensgutachten € 4.500,00, die Reparaturkosten gab
der Sachverständige mit € 7.148,84 an. Der Kläger ließ das Fahrzeug zu einem
Preis von € 5.695,49 reparieren, nutzte es weiterhin und machte gegen die
Beklagten diesen Betrag abzüglich der erfolgten Zahlung auf den
Wiederbeschaffungswert geltend.
Das Amtsgericht gab der Klage
statt. Die Berufung der Beklagten wurde unter Zulassung der Revision
zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils
und Zurückverweisung.
1. Der BGH verwies auf seine
Rechtsprechung, wonach dem Geschädigten in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot
in Ansehung seines Integritätsinteresses ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz
des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30%
übersteigenden Reparaturaufwandes (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen
Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zustünde. Voraussetzung sei, dass
er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wiederherstellt,
um es nach der Reparatur (mindestens für ein Jahr) weiter zu nutzen. Fachgerecht
sei die Reparatur nur dann, wenn diese so durchgeführt würde, wie es vom
Sachverständigen in seiner Kostenschätzung vorgesehen worden sei. Würde der
Aufwand mehr als 30% betragen, sei die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig und
dem Geschädigten stünde nur der Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines
etwaigen Restwertes) als Schadensersatz zu. Anderes würde im Falle der Reparatur
nur dann gelten, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden
Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand
wähle, die Reparatur aber teurer würde und ihm kein Auswahlverschulden zur Last
falle. Ließe er aber das Fahrzeug reparieren, obwohl wie hier die
Kostenprognose bei über 30% über dem Wiederbeschaffungswert läge und erweise sich
dies als richtig, sei der Schadensersatzanspruch auch auf den Wiederbeschaffungswert
(abzüglich eines möglichen Restwertes) beschränkt.
Vom Grundsatz her seien die Angaben
des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten
zur Höhe nicht für den geschädigten verbindlich und er könne den Betrag
verlangen, der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sei. Er müsse in diesem
Fall den Angaben des Sachverständigen konkret entgegentreten und geltend
machen, der von ihm ermittelte Betrag gebe den objektiv zur Herstellung
erforderlichen Betrag wieder; würde dies vom Gegner bestritten, müsse dies im
Rechtsstreit auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung
eines vom Gericht zu veranlassenden Sachverständigengutachtens geklärt werden.
In den Fällen, in denen die
Reparaturkosten über 130% des Wiederbeschaffungswertes lägen, die Reparatur
aber fachgerecht (ggfls. unter Verwendung von Gebrauchtteilen) Kosten auch
unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes den Wiederbeschaffungswert
nicht übersteigen würden, würde daher ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten
bestehen. Anm.: Bei dieser Berechnung bleibt der Restwert des Fahrzeuges außer
Ansatz, dessen Abzug sich der Geschädigte bei Ersatz des Wiederbeschaffungswertes
auf diesen anrechnen lassen muss.
Offen gelassen hatte der BGH
bisher den Ersatzanspruch auf Reparaturkosten, die sich unter Berücksichtigung
des merkantilen Minderwertes auf 101 bis 130% des Wiederbeschaffungswertes
belaufen. Nunmehr hielt der BGH fest, dass auch in dem Fall, dass sich die erforderlichen
Reparaturkosten für eine fachgerechte Reparatur (auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen)
zur Wiederherstellung des Zustandes des Fahrzeuges wie vor dem Unfall innerhalb
der 130%-Grenze bewegen, dem Geschädigten diese „Integritätsspritze“ nicht
versagt werden könne. Der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähige Betrag würde
nicht durch die Einschätzung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen bestimmt,
sondern von den tatsächlichen Kosten einschl. des merkantilen Minderwertes.
2. Ob die durchgeführte Reparatur
sach- und fachgerecht und nach den Vorgaben des Sachverständigen erfolgt sei,
sei bei Bestreiten des Gegners vom Gericht zu prüfen. Die Beweislast, der durch
Einholung eines zu beantragenden und vom Gericht einzuholenden
Sachverständigengutachtens nachzukommen ist, obliegt dem Geschädigten
Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten
eingeholt und auf dessen Grundlage den vom Kläger zu erbringenden Beweis als
erbracht angesehen. Vom Landgericht sei dies fehlerhaft nach § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO als festgestellte Tatsache des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde
gelegt worden. Bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit
oder Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, würde dies eine erneute
Feststellung durch das Berufungsgericht erfordern. Aufgabe der Berufungsinstanz
als zweite (wenn auch eingeschränkte) Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer „fehlerfreien
und überzeugenden“ und damit „richtigen“, der materiellen Gerechtigkeit
entsprechenden Entscheidung.
So sei ein Verfahrensfehler zu
berücksichtigen, was namentlich dann vorläge, wenn das erstinstanzliche Urteil nicht
den Anforderungen entspräche, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO
entwickelt worden seien. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung
unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze
oder Erfahrungssätze verstoße. So seien auch unklare oder widersprüchliche
Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung durch das
Gericht.
Die vom Landgericht als bindend angesehene
Feststellung des Amtsgerichts zu dem Sachverständigengutachten, dieses habe
aufgrund der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach-
und fachgerechte Reparatur bejaht, sei von den Ausführungen des Sachverständigen
vor Gericht nicht gedeckt. Verschiedentlich sei vom Sachverständigen darauf
hingewiesen worden, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Veräußerung des
Fahrzeuges eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage fehlen würde und sich auf
die relativierende Aussage beschränkt, nach den übergebenden Fotos seien keine
Anzeichen vorhanden, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen
würden. Nur vor diesem Hintergrund habe er eine fachgerechte Reparatur
bestätigt. Demgegenüber habe das Amtsgericht in der Entscheidung ausgeführt,
der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens zu erkennen gegeben,
dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben
hätten, wie er den Pkw nicht mehr habe begutachten können.
Damit war das Urteil aufzuheben
und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung an das Landgericht
zurückzuverweisen.
BGH, Urteil vom 16.11.2021 -
VI ZR 100/20 -