Anlässlich von Kabelverlegungsarbeiten auf der
F-Landstraße stellte die damit beauftragte Klägerin eine Lichtzeichenanlage auf
dem Gehweg auf, deren Stromkabel oberhalb des Gehweges in zwischen den Parteien
streitiger Höhe (nach Angaben der Klägerin in einer Höhe von 5,30 m, nach
Angaben der Beklagten nicht einmal 4,50 m, da das Mähwerk eine Höhe von 4,00 m
habe) angebracht war. Der Beklagte zu 1. war Eigentümer des in diesem Bereich
neben dem in Anspruch genommenen Gehweges befindlichen Feldes und fuhr mit
seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Traktor über den nicht abgesenkten Bordstein
auf den Gehweg um auf sein Feld zu gelangen.
Nach Abschluss der Arbeiten beabsichtigte er, das Feld auf dem gleichen
Weg zu verlassen; das Mähwerk am Traktor war hochgestellt. Hierbei streifte er
das oberhalb des Gehweges verlaufende Stromkabel der Lichtzeichenanlage und
riss diese in der Folge um. Den daraus resultierenden Schaden machte die
Klägerin gegen den Beklagten geltend.
Das Amtsgericht gab der Klage ohne
Beweisaufnahme zu den streitigen Umständen statt. Soweit unter Teil A
Allgemeines, 4 Leitmale der RSA-95
vorgesehen sei, dass Bauteile unterhalb einer lichten Durchfahrtshöhe von 4,50
m mit Leitmalen zu versehen seien. Gelte dies lediglich für Beschränkungen der
Höhe oberhalb der Fahrbahn, nicht aber für Höhenbeschränkungen des Gehweges.
Der Beklagte habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Die von
den Beklagten eingelegte Berufung führte zur Aufhebung des Urteils und zur
Zurückverweisung an das Erstgericht. Zutreffend sie mit der Berufung geltend
gemacht worden, dass es das Amtsgericht verabsäumt habe, über die für die Frage
der Haftung dem Grunde nach sowie die ebenfalls streitige Frage des Schadens
der Höhe nach erforderlichen Anknüpfungstatsachen Beweis zu erheben.
Die Haftung der Beklagten richte sich nach §§
7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Im Rahmen der grundsätzlich
bestehenden Gefährdungshaftung auf Beklagtenseite hätte sich diese nach Maßgabe
von § 9 StVG iVm. § 254 BGB ein etwaiges Mitverschulden an der
Anspruchsentstehung zurechnen zu lassen. Bei der notwendigen Abwägung der
Verursachungs- und Verschuldensbeiträge könnten nur unstreitige, zugestandene
oder nach § 286 ZPO bewiesene Umstände, die sich auf das Unfallgeschehen
ausgewirkt haben, berücksichtigt werden. Beweisbelastet sei jeweils die Partei
für Tatsachen, die der anderen Partei zum Verschulden gereichen und aus denen sie
nach der Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle. Damit trage
zunächst die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für ein etwaiges, die bloße
Betriebsgefahr des Traktors erhöhendes unfallkausales Mitverschulden der
Beklagten.
Bislang hätten die Beklagten einen
unfallursächlichen verstoß gegen § 32 Abs. 2 StVZO (maximal zulässige Höhe von
4,00 m) nicht nachgewiesen. Es sei Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
über die Höhe des Traktors nebst Mähwerk zu erheben, welches nach Angaben der Beklagten
unter 4,00m gelegen habe.
Ein Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 2 Abs.
1 StVO wegen rechtwidriger Nutzung des Gehweges habe nicht vorgelegen. Zwar
dürften Kraftfahrzeuge diesen nach der in § 2 Abs. 1 StVO statuierten Nutzungspflicht
der Fahrbahn durch Fahrzeuge nicht befahren. Allerdings gäbe es ein
Ausnahmebenutzungsrecht, welches sich aus der Natur der Sache bzw. mittelbar
aus anderen Vorschriften (wie § 10 S. 1 StVO) ergeben könne. Unstreitig sei vorliegend, dass der Beklagte
zu 1. Mit dem Traktor von dem Feld auf die Straße auffahren wollte. Auch wenn
anderweitige Möglichkeiten zum Verlassen des Feldes bestanden haben sollten
(was streitig war), habe es ihm freigestanden, über den Gehweg das Feld zu
verlassen; es existiere keine Vorschrift, die das Einfahren auf die Straße über
den Gehweg nur gestattet, wenn keine anderweitigen Möglichkeiten bestünden.
Nach dem zur Beurteilung des Berufungsgerichts
vorliegenden Sach- und Streitstand lasse sich auch ein Verstoß des Beklagten zu
1. Gegen das allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot aus § 1
Abs. 2 StVO nicht erkennen. Es handele sich um ein Verbot, andere zu schädigen,
zu gefährden bzw. vermeidbar zu behindern. Eine Gefährdung fremder Sachwerte
falle dann unter § 1 Abs. 2 StVO, wenn damit zugleich die Leichtigkeit und Sicherheit
des Straßenverkehrs beeinträchtigt würde, was bei Anlagen wie hier, die der
Straßenverkehrssicherheit dienen, der Fall sei. Tatbestandlich sei aber
Voraussetzung, dass der Beklagte zu 1. bei Annäherung die von dem in den
Verkehrsraum hineinragenden Stromkabel ausgehende Gefahrenlage hätte erkennen
müssen und eine Kollision hätte verhindern können (ggf. durch Abstandnahme von
der Durchfahrt). Das ein solcher Umstand vorlag, sei aber streitig und bedürfe
weiter Aufklärung. Dabei müsse aber berücksichtigt werden, dass sich ein Fahrzeugführer
im Regelfall darauf verlassen dürfe, dass eine zur Verkehrssicherheit
aufgestellte Verkehrsanlage (hier die Lichtzeichenanlage) so errichtet würde,
dass eine Gefährdung des Durchgangsverkehrs ausgeschlossen ist. Er dürfe also
davon ausgehen, dass die Zuleitungen der Anlage im Luftraum oberhalb der Straße
so errichtet würden, dass ein Kraftfahrzeug, welches die höchstzulässigen Ausmaße
des § 32 StVZO erreiche, den Bereich gefahrlos und unfallfrei passieren könne
(Vertrauensgrundsatz).
Weitere unfallursächliche Mitverursachungs-
oder Mitverschuldensbeiträge des Beklagten zu 1., seien nicht ersichtlich und auch
von der Klägerin nicht geltend gemacht worden.
Im Rahmen der Beweisaufnahme sei auch der Frage
nachzugehen, ob der Klägerin ein (anspruchsausschließendes) Eigenverschulden in
Form der Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten sei. Die Verkehrssicherungspflicht
beruhe auf dem Gedanken, dass niemand einen anderen mehr als unvermeidlich gefährden
soll. Wer Gefahrenquellens schaffe müsse notwendige Vorkehrungen zum Schutz
Dritter treffen. Es müssten die Gefahren ausgeräumt oder vor ihnen gewarnt
werden, die für den Wegbenutzer bei erforderlicher Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig
erkennbar wären. Es entspräche dem Interesse der Verkehrssicherheit sowie dem
Schutz der Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer, dass der Verkehrsraum in dem
Umfang, in dem er von Fahrzeugen mit der gesetzlich maximal zulässigen
Abmessung in Anspruch genommen werden kann, von störenden Einflüssen, wie etwa
Bäumen und Ästen auch wie vorliegend Stromkabeln freigehalten wird. Anderes
ergäbe sich auch nicht aus der Nutzung des Gehwegs. Eine andere Interpretation
lasse auch Teil A Allgemeines, 4 Leitmale der RAS-95 hinsichtlich der Pflicht
zu Leitmalen nicht zu, deren Regelungen ebenso wie jene der StVO
abtraktgenereller Natur seien. Für eine (sich aus dem Wortlaut nicht ergebende)
Beschränkung der in der RSA-95 vorgesehenen Regelung lediglich auf Fahrbahnen
bestünde mithin kein Anlass.
LG
Aachen, Urteil vom 08.08.2023 - 5 S 79/22 -