Mittwoch, 2. Februar 2022

Reparaturkosten-Ersatz von 130% vom Wiederbeschaffungswert und Beweiswürdigung der Instandsetzung

Immer wieder kommt es zum Streit zwischen  dem Geschädigten und dem Schädiger/dessen Versicherer, ob bei einem wirtschaftlichen Totalschaden gleichwohl Reparaturkosten verlangt werden können. Der BGH hat in seiner Entscheidung dazu neuerlich Stellung genommen und erstmals sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Ersatz von Reparaturkosten auch verlangt werden kann, wenn die Kostenprognose im Schadensgutachten Reparaturkosten vorsieht, die über die 130%-Grenze liegen. Ferner musste er sich damit auseinandersetzen, wie die Feststellung erfolgen muss, um festzustellen, dass tatsächlich zu den geltend gemachten Kosten der Schaden komplett sah- und fachgerecht behoben wurde.

In dem Fall betrug der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nach dem Schadensgutachten € 4.500,00, die Reparaturkosten gab der Sachverständige mit € 7.148,84 an. Der Kläger ließ das Fahrzeug zu einem Preis von € 5.695,49 reparieren, nutzte es weiterhin und machte gegen die Beklagten diesen Betrag abzüglich der erfolgten Zahlung auf den Wiederbeschaffungswert geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung.

1. Der BGH verwies auf seine Rechtsprechung, wonach dem Geschädigten in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Ansehung seines Integritätsinteresses ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwandes (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zustünde. Voraussetzung sei, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur (mindestens für ein Jahr) weiter zu nutzen. Fachgerecht sei die Reparatur nur dann, wenn diese so durchgeführt würde, wie es vom Sachverständigen in seiner Kostenschätzung vorgesehen worden sei. Würde der Aufwand mehr als 30% betragen, sei die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig und dem Geschädigten stünde nur der Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines etwaigen Restwertes) als Schadensersatz zu. Anderes würde im Falle der Reparatur nur dann gelten, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wähle, die Reparatur aber teurer würde und ihm kein Auswahlverschulden zur Last falle. Ließe er aber das Fahrzeug reparieren, obwohl wie hier die Kostenprognose bei über 30% über dem Wiederbeschaffungswert läge und erweise sich dies als richtig, sei der Schadensersatzanspruch auch auf den Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines möglichen Restwertes) beschränkt.

Vom Grundsatz her seien die Angaben des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten zur Höhe nicht für den geschädigten verbindlich und er könne den Betrag verlangen, der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sei. Er müsse in diesem Fall den Angaben des Sachverständigen konkret entgegentreten und geltend machen, der von ihm ermittelte Betrag gebe den objektiv zur Herstellung erforderlichen Betrag wieder; würde dies vom Gegner bestritten, müsse dies im Rechtsstreit auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung eines vom Gericht zu veranlassenden Sachverständigengutachtens geklärt werden.

In den Fällen, in denen die Reparaturkosten über 130% des Wiederbeschaffungswertes lägen, die Reparatur aber fachgerecht (ggfls. unter Verwendung von Gebrauchtteilen) Kosten auch unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen würden, würde daher ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestehen. Anm.: Bei dieser Berechnung bleibt der Restwert des Fahrzeuges außer Ansatz, dessen Abzug sich der Geschädigte bei Ersatz des Wiederbeschaffungswertes auf diesen anrechnen lassen muss.

Offen gelassen hatte der BGH bisher den Ersatzanspruch auf Reparaturkosten, die sich unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes auf 101 bis 130% des Wiederbeschaffungswertes belaufen. Nunmehr hielt der BGH fest, dass auch in dem Fall, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten für eine fachgerechte Reparatur (auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen) zur Wiederherstellung des Zustandes des Fahrzeuges wie vor dem Unfall innerhalb der 130%-Grenze bewegen, dem Geschädigten diese „Integritätsspritze“ nicht versagt werden könne. Der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähige Betrag würde nicht durch die Einschätzung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen bestimmt, sondern von den tatsächlichen Kosten einschl. des merkantilen Minderwertes.

2. Ob die durchgeführte Reparatur sach- und fachgerecht und nach den Vorgaben des Sachverständigen erfolgt sei, sei bei Bestreiten des Gegners vom Gericht zu prüfen. Die Beweislast, der durch Einholung eines zu beantragenden und vom Gericht einzuholenden Sachverständigengutachtens nachzukommen ist, obliegt dem Geschädigten

Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dessen Grundlage den vom Kläger zu erbringenden Beweis als erbracht angesehen. Vom Landgericht sei dies fehlerhaft nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als festgestellte Tatsache des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden. Bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, würde dies eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht erfordern. Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite (wenn auch eingeschränkte) Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“, der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung.  

So sei ein Verfahrensfehler zu berücksichtigen, was namentlich dann vorläge, wenn das erstinstanzliche Urteil nicht den Anforderungen entspräche, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO entwickelt worden seien. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße. So seien auch unklare oder widersprüchliche Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung durch das Gericht.

Die vom Landgericht als bindend angesehene Feststellung des Amtsgerichts zu dem Sachverständigengutachten, dieses habe aufgrund der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht, sei von den Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht nicht gedeckt. Verschiedentlich sei vom Sachverständigen darauf hingewiesen worden, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Veräußerung des Fahrzeuges eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage fehlen würde und sich auf die relativierende Aussage beschränkt, nach den übergebenden Fotos seien keine Anzeichen vorhanden, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Nur vor diesem Hintergrund habe er eine fachgerechte Reparatur bestätigt. Demgegenüber habe das Amtsgericht in der Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens zu erkennen gegeben, dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben hätten, wie er den Pkw nicht mehr habe begutachten können.

Damit war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 100/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Dezember 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 3. Februar 2015, bei dem sein Fahrzeug durch ein von der Beklagten gehaltenes Fahrzeug beschädigt wurde. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit. Der vom Kläger nach dem Unfall mit der Begutachtung des Kraftfahrzeugschadens beauftragte Sachverständige ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 7.148,84 € brutto, einen Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs von 4.500 € brutto und einen Restwert von 1.210 € brutto. Die Beklagte regulierte den Schaden auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwands. Sie brachte von dem vom Sachverständigen geschätzten Wiederbeschaffungswert einen mit Hilfe einer Restwert-Online-Börse ermittelten Wert in Höhe von 1.420 € in Abzug und zahlte an den Kläger 3.080 €. Der Kläger ließ sein Fahrzeug bei der Dienstleistungsgesellschaft A. zum Preis von 5.695,49 € brutto reparieren und nutzte es weiter.

Mit der Klage macht der Kläger die Differenz in Höhe von 2.615,49 € zwischen den angefallenen Reparaturkosten und der Zahlung der Beklagten geltend. Während des erstinstanzlichen Verfahrens - im September 2017 - hat der Kläger sein Fahrzeug veräußert. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Reparaturkosten aus § 7 StVG, § 823 Abs. 1 BGB zu. Zwar habe der vom Kläger nach dem Unfall beauftragte Sachverständige die voraussichtlichen Kosten der Reparatur auf über 130% des Wiederbeschaffungswerts geschätzt. Dieses Gutachten habe aber keine absolute Bedeutung für die Frage, welche Reparaturkosten tatsächlich erstattungsfähig seien. Gelinge es dem Geschädigten, unter Verwendung von Gebrauchtteilen eine fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines etwaigen merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30% überstiegen, könne ihm eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden. So verhalte es sich im Streitfall. Dem Kläger sei der Beweis gelungen, dass die Reparatur sach- und fachgerecht und in einem den Vorgaben des vorgerichtlichen Sachverständigen entsprechenden Umfang durchgeführt worden sei. Die Kammer sei gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen worden seien. Der gerichtliche Sachverständige habe die Behauptung des Klägers, die Reparatur entspreche dem im außergerichtlichen Gutachten vorgegebenen Reparaturweg, bestätigt. Aus der Auswertung der vor, während und nach der Reparatur gefertigten Lichtbilder habe der Sachverständige darüber hinaus auch eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht. Dies habe ihm als Gutachtengrundlage ausgereicht, auch wenn er in der Zusammenfassung lediglich angegeben habe, dass keine Anzeichen vorhanden seien, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Die Lichtbilder dokumentierten jedoch den Reparaturverlauf hinreichend deutlich. Auch der außergerichtliche Sachverständige habe in seinem Schreiben vom 20. März 2015 bestätigt, dass Restunfallspuren oder Hinweise mit Querverweis auf eine nicht fachgerechte Reparatur nicht vorgefunden worden seien. Unter Berücksichtigung des herabgesenkten Beweismaßes des § 287 ZPO seien damit trotz der fehlenden Möglichkeit der Besichtigung des Fahrzeugs die festgestellten Anknüpfungstatsachen ausreichend zur Beantwortung der Beweisfragen gewesen. Das Amtsgericht habe auch zutreffend eine Anwendung der Grundsätze zur Beweisvereitelung abgelehnt. Für den Verkauf des Fahrzeugs über zweieinhalb Jahre nach dem Verkehrsunfallgeschehen habe der Kläger einen hinreichenden Grund (Getriebeschaden) angegeben. Unstreitig habe der Kläger darüber hinaus vorgetragen, dass er den gerichtlichen Sachverständigen im August 2017 angerufen und ihm mitgeteilt habe, dass das Fahrzeug wegen eines Getriebeschadens nicht mehr fahrtüchtig sei. Er habe ihm daraufhin auf dessen Anweisung Lichtbilder zum Ablauf der Reparatur übersandt.

II.

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz weiterer, den Wiederbeschaffungsaufwand überschreitender Reparaturkosten nicht bejaht werden.

1. Der geltend gemachte Anspruch scheitert allerdings nicht bereits daran, dass der vom Kläger vorgerichtlich mit der Begutachtung des Kraftfahrzeugschadens beauftragte Sachverständige die voraussichtlichen Reparaturkosten auf einen den Wiederbeschaffungswert um 59% übersteigenden Betrag geschätzt hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, führt dieser Umstand für sich genommen nicht dazu, dass die Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs als wirtschaftlich unvernünftig zu beurteilen wäre.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats steht dem Geschädigten in Abweichung vom Wirtschaftlichkeitsgebot ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwands (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zu, wenn er ein besonderes Integritätsinteresse zum Ausdruck bringt. Dies setzt voraus, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen (vgl. Senatsurteile vom 9. Juni 2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rn. 15; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 8; Senatsbeschluss vom 18. November 2008 - VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338, Rn. 12 ff. mwN). Von einer Wiederherstellung in diesem Sinne kann dabei nur dann ausgegangen werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. Senatsurteile vom 15. Februar 2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, juris Rn. 18; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 8; vom 2. Juni 2015 - VI ZR 387/14, VersR 2015, 1267 Rn. 6 mwN).

b) Die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs ist demgegenüber wirtschaftlich unvernünftig, wenn der Reparaturaufwand (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30% übersteigt. In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur den Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands, also den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts, verlangen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wählt, die Reparatur aber teurer wird und ihm nicht ausnahmsweise ein (Auswahl-)Verschulden zur Last fällt; denn das Werkstatt- und das Prognoserisiko geht zu Lasten des Schädigers (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, juris Rn. 15 mwN). Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dagegen reparieren, obwohl der voraussichtliche Instandsetzungsaufwand nach der Schadensschätzung des vom ihm beauftragten Sachverständigen - wie hier - mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs liegt und erweist sich die Schätzung des Sachverständigen als zutreffend, ist der Ersatzanspruch der Höhe nach auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, zVb; vom 2. Juni 2015 - VI ZR 387/14, VersR 2015, 1267 Rn. 7 mwN). Die Reparaturkosten können dann insbesondere nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (vgl. Senatsurteil vom 2. Juni 2015 - VI ZR 387/14, VersR 2015, 1267 Rn. 7 mwN).

c) Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, bestimmen die Angaben des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten nicht verbindlich den Geldbetrag, den der Geschädigte als Schadensersatz gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB beanspruchen kann (vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 2013 - VI ZR 24/13, VersR 2014, 214 Rn. 10; vom 2. Juni 2015 - VI ZR 387/14, VersR 2015, 1267 Rn. 8 mwN). Der Geschädigte ist insbesondere nicht gehindert, den Angaben des Sachverständigen konkret entgegenzutreten und geltend zu machen, der von diesem ermittelte Betrag gebe den zur Herstellung objektiv erforderlichen Betrag nicht zutreffend wieder (vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 2013 - VI ZR 24/13, VersR 2014, 214 Rn. 10; vom 14. Mai 2013 - VI ZR 320/12, VersR 2013, 876 Rn. 11; zur objektiven Erforderlichkeit vgl. Senatsurteile vom 8. Februar 2011 - VI ZR 79/10, VersR 2011, 547 Rn. 9; vom 14. Mai 2019 - VI ZR 393/18, BGHZ 222, 44, Rn. 25). Diese Frage ist dann im Rechtstreit - im Falle des Bestreitens durch den Gegner auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - einer Klärung zuzuführen.

Dementsprechend hat der Senat entschieden, dass dem Geschädigten in den Fällen, in denen die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten zwar über der 130%-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - gelungen ist, eine nach Auffassung des sachverständig beratenen Gerichts fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, ein Anspruch auf Ersatz der konkret angefallenen Reparaturkosten zusteht (Senatsurteil vom 14. Dezember 2010 - VI ZR 231/09, VersR 2011, 282 Ls., Rn. 13).

Der Senat hat bisher offengelassen, ob ein entsprechender Ersatzanspruch auch dann besteht, wenn abweichend von der Schätzung des vorgerichtlichen Sachverständigen für die vollständige und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs Kosten entstehen, die sich unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts auf 101% bis 130% des Wiederbeschaffungswerts belaufen (Senatsurteil vom 2. Juni 2015 - VI ZR 387/14, VersR 2015, 1267 Rn. 9). Diese Frage ist nunmehr zu bejahen. Gelingt es dem Geschädigten entgegen der Einschätzung des von ihm beauftragten Sachverständigen zur Überzeugung des Tatrichters, die erforderliche Reparatur - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - innerhalb der 130%-Grenze fachgerecht und in einem Umfang durchzuführen, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, und stellt er damit den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wieder her, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen, kann ihm die "Integritätsspitze" von 30% nicht versagt werden. In diesem Fall wird der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähige Betrag durch den tatsächlich entstandenen Reparaturaufwand und nicht die hiervon abweichende Einschätzung des vorgerichtlichen Sachverständigen abgebildet. Der Geschädigte kann dann Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts verlangen.

2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Reparatur sach- und fachgerecht und in einem den Vorgaben des vorgerichtlichen Sachverständigen entsprechenden Umfang durchgeführt.

a) Entgegen der Auffassung der Revision ist dem Kläger der Beweis seiner diesbezüglichen Behauptungen allerdings nicht deshalb abgeschnitten, weil ihm wegen der Veräußerung seines Fahrzeugs im September 2017 eine Beweisvereitelung vorzuwerfen wäre. Von einer Beweisvereitelung kann nur gesprochen werden, wenn die nicht beweisbelastete Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder ihre Benutzung erschwert (BGH, Urteile vom 25. Juni 1997 - VIII ZR 300/96, NJW 1997, 3311, juris Rn. 18; vom 11. Juni 2015 - I ZR 226/13, WRP 2016, 35 Rn. 44 - Deltamethrin I mwN). Durch die Veräußerung seines Fahrzeugs hat der Kläger jedoch nicht die Beweisführung der Beklagten, sondern allenfalls die eigene erschwert. Denn er ist für die vollständige und fachgerechte Reparatur seines Fahrzeugs entsprechend den Vorgaben des vorgerichtlichen Gutachters beweispflichtig.

Abgesehen davon führt die Annahme einer Beweisvereitelung nicht zu der von der Revision für sich in Anspruch genommenen Rechtsfolge. Liegen die Voraussetzungen einer Beweisvereitelung durch den Gegner der beweisbelasteten Partei vor, können zugunsten der beweisbelasteten Partei Beweiserleichterungen in Betracht kommen, die unter Umständen bis zur Umkehr der Beweislast gehen können. Die Beweisvereitelung führt dagegen nicht dazu, dass eine Beweiserhebung gänzlich unterbleiben könnte und der Vortrag der beweisbelasteten Partei als bewiesen anzusehen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 226/13, aaO Rn. 48 f. - Deltamethrin I mwN).

b) Die Revision beanstandet aber zu Recht, dass sich das Berufungsgericht an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts für gebunden gehalten hat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Denn die Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz besteht auch nach der Reform des Zivilprozesses in der Gewinnung einer "fehlerfreien und überzeugenden" und damit "richtigen", das heißt der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung des Einzelfalles (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 2017 - VI ZR 434/15, VersR 2017, 702, juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, juris Rn. 5).

Konkrete Anhaltspunkte, die die in dieser Bestimmung angeordnete Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem erstinstanzlichen Gericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsurteile vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254, 258 f., juris Rn. 16; vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14, VersR 2016, 1194 Rn. 10 mwN; zur Beweiswürdigung im Rahmen des § 287 ZPO vgl. Senatsurteile vom 19. April 2005 - VI ZR 175/04, VersR 2005, 945, juris Rn. 10; vom 24. Juni 2008 - VI ZR 234/07, VersR 2008, 1370 Rn. 18). Hiervon ist unter anderem dann auszugehen, wenn das erstinstanzliche Gericht Widersprüche oder Unklarheiten eines bei der Entscheidung verwerteten Sachverständigengutachtens nicht aufgeklärt hat. Erkennbar widersprüchliche oder unklare Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, VersR 2004, 1575, juris Rn. 6; Senatsbeschluss vom 2. Juli 2013 - VI ZR 110/13, VersR 2014, 261 Rn. 7).

bb) Die Revision rügt mit Erfolg, dass die vom Berufungsgericht als bindend angesehene Feststellung des Amtsgerichts, der gerichtliche Sachverständige habe aufgrund der Auswertung der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht, von dessen Ausführungen im Gutachten nicht gedeckt ist. Wie die Revision zu Recht geltend macht, hatte der Sachverständige an verschiedenen Stellen im Gutachten auf die nach der Veräußerung des Fahrzeugs eingeschränkte Beurteilungsgrundlage hingewiesen und sich auf die relativierende, keine positive Feststellung enthaltende Aussage beschränkt, nach der Auswertung der ihm vom Kläger zur Verfügung gestellten Lichtbilder seien keine Anzeichen vorhanden, die gegen eine fach- und sachgerechte Reparatur sprächen (S. 10 - 13, Bemerkungen unter Bild Nr. 37). So führt er auf S. 10 unten/S. 11 oben des Gutachtens aus:

"Die Auswertung der zur Verfügung stehenden Schadensunterlagen und Fotos des klägerischen VW - die im vorliegenden Fall zur Beurteilung der Art, Lage und Intensität der Beschädigungen sowie des Reparaturergebnisses die einzigen objektiven Anknüpfungspunkte darstellen - hat ergeben, dass vorhanden sind, des VW sprechen würden.

Vielmehr können die durch die Dienstleistungsgesellschaft A.[…] durchgeführten Arbeiten - soweit diese in den vorliegenden im Rahmen der Reparatur des VW aufgenommenen Fotos erkennbar sind (Bilder 13 - 40) - in einem der Reparaturrechnung der Dienstleistungsgesellschaft A.[…] vom 17.03.2015 entsprechenden Umfang durchgeführt worden sein und zu einem sach- und fachgerechten Reparaturergebnis geführt haben."

In der Zusammenfassung auf S. 12 weist der Sachverständige erneut darauf hin, dass ihm zur Beantwortung der Beweisfrage neben der Reparaturkalkulation des vorgerichtlichen Sachverständigen und der Reparaturrechnung der Dienstleistungsgesellschaft A.[…] nur die vor und im Rahmen der Reparatur des VW angefertigten Fotos als objektive Anknüpfungspunkte zur Verfügung gestanden hätten, und wiederholt seine relativierende Angabe, die zur Verfügung stehenden Unterlagen und Lichtbilder ließen keine Anzeichen erkennen, die gegen eine fach- und sachgerechte Reparatur sprächen.

Soweit der Sachverständige darüber hinaus ausführt, die Behauptung des Klägers, die von der Dienstleistungsgesellschaft A.[…] durchgeführte Reparatur habe zu einer fachgerechten Instandsetzung in einem Umfang geführt, wie ihn der vorgerichtliche Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht habe, "kann daher bestätigt werden", ist diese Schlussfolgerung ersichtlich nicht mit seinen oben dargestellten einschränkenden Äußerungen in Einklang zu bringen.

Wie die Revision zu Recht geltend macht, sind diese nicht hinreichend aussagekräftigen Angaben des Sachverständigen keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. Sie begründen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und lassen die in § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO angeordnete Bindung des Berufungsgerichts an diese Feststellungen entfallen. Dies gilt umso mehr, als das Amtsgericht seine Überzeugung ausweislich der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Urteilsgründe trotz der oben wiedergegebenen einschränkenden Hinweise des Sachverständigen auch damit begründet hat, der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens erkennen lassen, dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben hätten, weil er den PKW nicht mehr habe besichtigen können.

c) Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen sich als richtig dar (§ 561 ZPO). Den Gründen des Berufungsurteils auf S. 6 Abs. 4 ist nicht zu entnehmen, dass sich das Berufungsgericht hilfsweise von der auf S. 6 Abs. 2 und 3 angenommenen Bindung an die erstinstanzlichen Feststellungen gelöst und eine eigene tatrichterliche Beweiswürdigung vorgenommen hätte.

III.

Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).


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