Wer verteilt muss auch einstecken
können – so etwa könnte man die Entscheidung des LG Berlin zusammenfassen, mit
der es den Antrag der Grünen Bundestagsabgeordneten Renata Künast auf Zulassung
der Auskunft über Bestandsdaten zu bestimmten Seiten auf Facebook gegen deren
Betreiber zurückwies.
Ausgangspunkt war ein Post auf
Facebook, der auf einen Artikel in der Welt vom 24.05.2015 über Künast
(„…Politikerin … gerät in Erklärungsnot“) verwies, in welchem im Hinblick auf
einen Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes
Berlin … zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ sowie einer
darin benannten Äußerung von Künast während einer Debatte im Berliner
Abgeordnetenhaus 1986 ausgeführt wurde:
„Während eine grüne Abgeordnete über häusliche Gewalt spricht, stellt
ein CDU Abgeordneter die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der
Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller
Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Doch statt der Rednerin ruft,
laut Protokoll, X (Anm.: Künast) dazwischen:
„Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“ Klingt das nicht, als wäre Sex mit
Kindern ohne Gewalt okay ?“
In dem Post soll der Verfasser
nach den landgerichtlichen Entscheidungsgründen daraus neben einem Bild der
antragstellenden Politikern die Aussage „Komma,
wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal
gut jetzt.“ gebildet haben.
Die Antragstellerin bestritt nach
den Entscheidungsgründen, dass sie Geschlechtsverkehr zwischen Kindern und
Erwachsenen billigen würde, solange keine Gewalt im Spiel sei. Sie habe nie
Geschlechtsverkehr mit Kindern (mit oder ohne Gewalt) befürwortet, vielmehr mit
dem Zwischenruf nur darauf aufmerksam machen wollen, dass der falsche und
pauschale Vorwurf in der stattfindenden Debatte im Abgeordnetenhaus keine
Bewandtnis habe, da es bei Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen um
Gewaltfreiheit gegangen sei. Weiterhin machte sie geltend, dass es sich bei
bestimmten verwandten Begriffen um Beleidigungen gehandelt habe.
Das Landgericht stellte
demgegenüber darauf ab, dass es sich bei den von der Antragstellerin
beanstandeten Tweets um zulässige Meinungsäußerungen handeln würde, die dem
Ersuchen auf Gestattung einer Auskunft entgegen stehen würden, § 14 Abs. 3 TMG
iVm. § 3 Abs. 3 NetzDG. Es müsste der Tatbestand bestimmter strafrechtlicher
Normen erfüllt sein und zudem dürften die Inhalte nicht gerechtfertigt sein.
Bei den beanstandeten Äußerungen
würde es sich um Meinungsäußerungen, nicht um Tatsachenbehauptungen handeln.
Eine Tatsachenbehauptung läge nur vor, wenn sie mit den Mitteln des Beweises
überprüfbar sei. Danach könne auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruhe,
eine Tatsachenbehauptung sein, wenn durch sie bei dem Adressaten der Eindruck
eines konkreten, lediglich in einer Wertung eingekleideten Vorgangs entstünde.
Würden Tatsachenbehauptung und Wertung zusammenwirken, sei der Text
grundsätzlich insgesamt von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG
(Meinungsfreiheit) erfasst. Würde die Äußerung im Rahmen der Vermengung von
Tatsachen und Meinung geprägt durch eine Stellungnahme, eines Dafürhaltens oder
Meinens, sei sie als Werturteil und Meinungsäußerung insgesamt vom Grundrecht
der freien Meinungsäußerung geschützt,
ohne dass eine isolierte Betrachtung stattfinden dürfe (BGH, Urteil vom
30.01.1996 - VI ZR 386/94 -).
Der Einfluss des Grundrechts
würde verkannt, wenn der Äußerung ein Sinn gegeben würde, den sie objektiv
nicht habe oder wenn ihr bei mehreren möglichen Deutungen eine Auslegung
gegeben werde, ohne die anderen möglichen Auslegungen überzeugend
auszuschließen. Verkannt würde das Grundrecht auch, wenn eine Äußerung
unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik
eingestuft würde, mit der Folge, dass sie am Grundrechtsschutz nicht teilnehmen
würde (BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 - 1 BvR 1555/88 -). Stünde die Äußerung
im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung, könne nicht von Schmähung
ausgegangen werden. Das gelte allenfalls dann nicht, wenn der diffamierende
Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang nur als
bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine, was z.B. bei Verwendung besonders
schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein
könnte( BVerfG, Beschluss vom 05.12.2008 - 1 BvR 1318/07 -). Allerdings bleibe
dies grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt; bei einer die Öffentlichkeit
wesentlich berührenden Frage liege Schmähkritik nur ausnahmsweise vor.
Die von der Antragstellerin
angegriffenen Äußerungen seien Reaktionen auf den Post eines Dritten auf
Facebook (deren Betreiberin die Antragsgegnerin ist) gewesen. Der Post würde
den Einwurf der Antragstellerin zitieren und so würdigen, wie er von der
Öffentlichkeit wahrgenommen würde. Auch wenn die Antragstellerin ihren Einwurf
anders verstanden wissen will, würde er doch von der Öffentlichkeit als
Zustimmung zu dem benannten Gesetzesentwurf der Grünen im Landtag von NRW
verstanden. Wenn aber die Ausübung von Sex mit Kindern nur noch unter Strafe
gestellt werden solle, wenn Gewalt im Spiel sei, hieße dies zum einen, dass es
gewaltfreien Sex mit Kindern gäbe, zum anderen, dass er ohne Ausübung von
körperlicher oder psychischer Gewalt toleriert würde. Nichts anderes würde in
dem Post im zweiten Halbsatz („ist Sex mit Kindern doch ganz ok“) zum Ausdruck
gebracht.
Die Reaktionen auf diesen Post
seien zulässige Meinungsäußerungen. Sie seien zwar teilweise sehr polemisch und
überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin, die jedenfalls bis zum
Zeitpunkt der Entscheidung keine öffentliche Berichtigung oder Klarstellung
vorgenommen habe, habe sich aber mit ihrem Zwischenruf zu einer die
Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit
den Widerstand der Bevölkerung provoziert. Zudem müssten Politiker in stärkerem
Maße Kritik hinnehmen als Privatpersonen (OLG Köln, Urteil vom 09.12.2014 - 15
U 148/14 -). Da damit alle Kommentare einen Sachbezug hätten, würden sie keine
Diffamierung und damit keine Beleidigung nach § 185 BGB darstellen. Das gelte
so für
- eine in ein Bild von Starwars eingefügte
Äußerung „Knatter sie doch mal einer so wichtig durch, bis sie wieder normal
wird!“ (das sei zwar geschmacklos, jedoch eine mit dem Stilmittel der Polemik
angewandte sachliche Kritik, bei der es nicht um die Diffamierung der Person
gehen würde und die Antragstellerin würde auch nicht zum Gegenstand sexueller
Fantasien gemacht)
- die Äußerung „Wurde diese „Dame“ vielleicht als
Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt….“
(dies sei polemisch und überspitzt aber nicht unzulässig; dass die Äußerung
sexualisiert sei, sei das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas)
- die Bezeichnung „Pädophilen-Trulla“ (dies sei
keine Beleidigung iSv. § 185 StGB)
- die Äußerungen „Dachschaden“ und „hohl wie
Schnittlauch“ (sie stünden im Kotext und würden keine Diffamierung der
Antragstellerin darstellen)
- die Äußerung „Pfui du altes …s Dreckschwein“ (im
Zusammenhang mit dem Zwischenruf würde sich dies nicht als Diffamierung oder Beleidigung
iSv. § 185 StGB darstellen)
- die Bezeichnung der Antragstellerin als krank
(dies würde eine Meinungsäußerung darstellen)
- die Bezeichnung als „Schlampe“ (ebenfalls
abzielend auf eine Auseinandersetzung in der Sache)
- die Bezeichnung „Drecks Fotze“ (hier sei zwar
die Grenze dies noch hinnehmbaren gegeben; da die Antragstellerin aber selbst
im sexuellen Bereich in die Öffentlichkeit gegangen sei und aus Sicht der
Öffentlichkeit von ihr die nicht kritisierte Entpönalisierung des gewaltfreien
Geschlechtsverkehrs mit Minderjährigen mit Kindern erhebliches
Empörungspotential in der Bevölkerung habe, müsse sich die Antragstellerin auch
diese weit überzogene Kritik gefallen lassen).
Anmerkung: Die Abgrenzung
von (Formal-) Beleidigung und Schmähkritik zu (noch) zulässiger
Meinungsäußerung ist im Einzelfall schwierig. Richtig hat das Landgericht vom
Ansatz her getrennt zwischen einer rein privaten Fehde und einer Auseinandersetzung
mit einer öffentlich interessierenden Frage, wobei sicherlich auch beachtlich
ist, dass sich hier zunächst die Antragstellerin selbst äußerte und ihre
Äußerung dann Gegenstand der weiteren, von ihr beanstandeten Tweets war. Wer,
wie hier die Antragstellerin, im öffentlichen Leben steht, muss (zumal bei
Bundestagsdebatten) hinnehmen, dass eventuell unbedachte Bemerkungen oder auch
nur entsprechende Zwischenrufe Gegenstand einer Auslegung sind, die nicht
notwendig dem entsprechen müssen, was tatsächlich gemeint war; es wäre an der
Antragstellerin gewesen, statt evtl. unbedacht einen Zwischenruf zu machen (von
dessen Auslegung sie sich nicht einmal öffentlich distanzierte), zunächst die
gewählten Worte in ihrer Tragweite zu überdenken und erst dann auszusprechen.
Wenn als Reaktion auf die (jedenfalls mögliche) Auslegung der Äußerung eines
Politikers eine teils „überzeichnende“ Kritik erfolgt, die vom Grundsatz her für sich auch Schmähungen und Formalbeleidigungen enthält, so ist bei der Wertung
richtigerweise (wie vom LG Berlin angenommen) auf den Kontext abzustellen: Ist
die Kritik ausgerichtet auf die Äußerung, ist eine zulässige Meinungsäußerung
solange anzunehmen, solange sie noch den Kernbereich der angegriffenen Äußerung
betrifft und nicht darüber hinaus geht. Hier liegt die Schwierigkeit der (tatrichterlichen) Würdigung.
LG Berlin, Beschluss vom 19.09.2019 - 27 AR 17/19 -