Dienstag, 30. Oktober 2018

Reisevertrag: Zur Unschädlichkeit verspätet geltend gemachter Schadensersatzansprüche und fehlender Fristsetzung zur Abhilfe


Die Klägerin hatte mit der Beklagten einen Reisevertrag geschlossen. In den Beförderungsbedingungen der Beklagten war ausgeführt, dass der reisende bei nicht vertragsgemäßer Leistung Abhilfe verlangen könne und er daher verpflichtet wäre, alles ihm zumutbare zu tun, um zu einer Behebung der Störung beizutragen und einen evtl. Entstehenden Schaden gering zu halten bzw. zu vermeiden. Beanstandungen seien daher anzuzeigen.

Nach dem Reisevertrag sollte der Rückflug von  Antayla nach Frankfurt am 07.10.2014 um 20.05 erfolgen. Am Abreisetag wurde die Klägerin informiert, dass sich der Rückflug wegen eines technischen Problems auf 22.40 Uhr verschiebe und der neue Zielort Köln sei. Die tatsächliche Ankunftsverspätung in Frankfurt betrug rund 6,5 Stunden. In Ansehung der Ankündigung der Beklagten buchte die Klägerin einen Ersatzflug bei einer anderen Fluggesellschaft für denselben Abend nach Frankfurt. Die Mehrkosten des Fluges in Höhe von € 1.235,00 verlangte sie am 18.03.2015  von der Beklagten als Schadensersatz. Klage und Berufung blieben erfolglos.

Der BGH verurteilte die Beklagte auf die zugelassene Revision antragsgemäß. Die Erwägungen des Landgerichts seien in einem entscheidungserheblichen Punkt verfehlt.

Richtig habe das Landgericht erkannt, dass ein Reisemangel vorgelegen habe. Die Verschiebung der Abflugzeit um rund drei Stunden, die Ankunft an einem anderen Zielflughafen, der notwendige Bustransfer und die Folge des Zeitverlusts, der dazu führe, dass die Klägerin erst in den Morgenstunden des Folgetages zu Hause gewesen wäre, würden den Reisemangel begründen, da dies die Tauglichkeit der Reise zu dem gewöhnlichen Nutzen in ihrer Gesamtheit mindere.

Auch sei die landgerichtliche Entscheidung richtig, dass die Überschreitung der Monatsfrist zur Geltendmachung des Schadens hier unbeachtlich sei, da die Beklagte über diese Ausschlussfrist informierte und die widerlegbare Vermutung gilt, dass bei korrekter Information die Frist eingehalten worden wäre. Zwar habe die Beklagte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf diese Frist hingewiesen; dies genüge aber nicht den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 4 BGB-InfoV. Es hätte ein Hinweis in der Reisebestätigung erfolgen müssen; in einem Prospekt genüge der Hinweis nur dann den Anforderungen, wenn die einschlägige Fundstelle dort auch benannt würde.

Auch sei die Erforderlichkeit der Aufwendungen durch das Landgericht rechtfehlerfrei festgestellt worden.

Entgegen der Annahme des Landgerichts stünde hier aber dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, dass diese entgegen § 651c Abs.  3 Satz 1 BGB die Beklagte nicht unter Fristsetzung zur Abhilfe aufgefordert habe. Diesbezüglich habe es an einem ordnungsgemäßen Hinweis mit dem in § 6 Abs. 2 Nr. 7 BGB-InfoV ermangelt. Danach habe der Reiseveranstalter den Reisenden in der Reisebestätigung darauf hinzuweisen, dass er einen Mangel anzuzeigen habe und vor einer Kündigung des Reisevertrages grundsätzlich eine angemessene Frist zur Abhilfeleistung zu setzen habe. Dies geschah nicht; nur in den AGB sei pauschal darauf hingewiesen worden. Dies genüge den Anforderungen nicht. Damit könne die Beklagte nicht eine Pflichtverletzung der Beklagten wegen fehlenden Abhilfeverlangens und Fristsetzung geltend machen. Die notwendige Erkenntnismöglichkeit fehle dem Reisenden.

BGH, Urteil vom 03.07.2018 - X ZR 96/17 -

Montag, 29. Oktober 2018

Verlust aus Aktienverkäufen ohne Bescheinigung gem . § 20 EStG und Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit


Der Kläger veräußerte nahezu wertlose Aktien an seine Sparkasse und machte in seiner Einkommensteuerklärung 2013 dafür Verluste mit € 5.759,78 geltend. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte diese Verluste mit der Begründung nicht, der Kläger habe diesbezüglich keine Bescheinigung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG vorgelegt. Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht der Klage statt. Die Revision des beklagten FA wurde zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BFH handele es sich hier um steuerlich anzuerkennende Verluste gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG. Danach sei auch ein negativer Gewinn und damit ein Veräußerungsverlust (entsprechend der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz zu den Einkünften aus Kapitalvermögen) erfasst.  Die Veräußerung sei die zumindest wirtschaftliche Übertragung des Eigentums auf einen Dritten. Dieser Fall der entgeltlichen Veräußerung läge auch vor, wenn wertlose Anteile zwischen fremden Dritten ohne Gegenleistung übertragen würden (BFH, Urteil vom 06.04.2011 - IX R 61/10 -).  Weitere Tatbestandmerkmale sehe das Gesetz nicht vor. Insbesondere sei danach weder die Höhe der Gegenleistung noch die Höhe anfallender Veräußerungskosten maßgeblich (entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85 Rz. 59). Mithin läge hier bei der Veräußerung der Aktien zu € 8,00 bzw. € 6,00 abzüglich der Kosten eine steuerlich beachtliche Veräußerung vor.

Das Fahlen einer Bescheinigung der auszahlenden Stelle (hier: Sparkasse) iSv. § 43a Abs. 3 S. 4 EStG stehe der Anwendung des § 29 Abs. 6 Satz 6 EStG auch nicht entgegen. Die Norm des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG diene der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Diese Gefahr sei hier nicht gegeben; die Sparkasse sei nach der veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung davon ausgegangen, dass der erzielte Verlust steuerlich unbeachtlich sei. Es wäre reiner Formalismus auch in diesem Fall zu verlangen, dass für die Verlustrechnung iSv. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG erforderlich sei (BFH, Urteil vom 20.10.2016 - VIII R 55/13 -; BFH, Urteil vom 29.08.2017 - VIII R 23/15 -).

Der Einwand des beklagten FA, es läge ein Gestaltungsmissbrauch vor (§ 42 AO), sei auch zurückzuweisen. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO könne das Steuergesetz nicht durch Gestaltungsmissbrauch umgangen werden. Dieser Missbrauch sei anzunehmen, wenn eine unangemessene Gestaltung gewählt würde, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führe. Alleine das Motiv, Steuern zu sparen, würde die Gestaltung aber nicht missbräuchlich machen (BFH, Beschluss vom 29.11.1982 - GrS 1/81 -).  Der Steuerpflichtige dürfe seine Verhältnisse so ordnen, dass möglichst keine oder nur geringe Steuern anfallen (BFH, Urteil vom 19.01.2017 - IV R 10/14 -).  Erst dann, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung nicht zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebrauche, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wähle,  auf dem nach dem Willen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreicht werden solle, wäre eine Unangemessenheit nach § 42 AO anzunehmen. Dass sei z.B. der Fall, wenn das Geschäft zu einer wirtschaftlichen Neutralisierung führe und nur steuerliche Vorteile erreicht werden sollen oder die wirtschaftliche Auswirkung durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert würde und sich danach lediglich als eine formale Maßnahme darstelle.

Nach diesen Grundsätzen läge vorliegend kein Missbrauch vor. Der Kläger habe das Ziel verfolgt, sich von nahezu wertlosen Wertpapieren zu trennen, was sinnvoll nur durch Veräußerung möglich gewesen sei. Auch könne der Zeitpunkt der Maßnahme dem Steuerpflichtigen nicht vorgeschrieben werden; es läge in seinem Belieben, wann er Wertpapiere kauft oder verkauft (BFH, Urteil vom 25.08.2009 -), womit der Steuerpflichtige nur von den vom Gesetzgeber vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch mache. Ebensowenig könne (wie das FA meinte) vom Steuerpflichtigen verlangt werden, die Wertpapiere in seinem Depot zu behalten, um sie irgendwann evtl. schlicht auszubuchen. Dies würde (unabhängig von der zivill- und steuerrechtlich nicht zu klärenden Problematik) die Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen unzulässig einschränken.

BFH, Urteil vom  12.06.2018 - VIII R 32/16 -

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Zur (fehlenden) Begründetheit der fristlosen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages

Das Fitnessstudio, welches von einer natürlichen Person unter einer Fantasiebezeichnung geführt wurde, zog in neue Räumlichkeiten in einer Entfernung von ca. 150m. Die Beklagte kündigte daraufhin den Nutzungsvertrag fristlos. Im Rahmen der von der Betreiberin erhobenen Zahlungsklage machte  die beklagte Nutzerin etliche Gründe zur Rechtfertigung der fristlosen Kündigung geltend, mit denen sie allerdings nicht durchdrang, weshalb der Zahlungsklage vollumfänglich stattgegeben wurde. Nachfolgend sollen die Kündigungsgründe und die Erwägungen des Amtsgerichts (AG) dargelegt werden:

a)a Die Verlegung des Fitnessstudios sei kein Kündigungsgrund, da es im Einzelfall darauf ankäme, wohin das Studio verlegt würde und von wo der Nutzer käme (OLG Hamm, Urteil vom 16.12.1991 – 17 U 109/91 -). Hier läge nur eine Entfernung von 150m vor, weshalb er Beklagten ein Festhalten am Vertrag zumutbar gewesen sei.

b) Gerügt wurde das Fehlen von Duschen (die erst einige Monate nach dem Umzug eingebaut wurden). Zwar würde dies grundsätzlich einen Kündigungsgrund darstellen; da die beklagte Nutzerin aber nach eigenem Vortrag in dem alten Studio die Duschen nicht genutzt habe (da ihr dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei), ließe sich nicht erkennen, weshalb nun im neuen Studio eine Nutzung wieder möglich gewesen sein sollte. Daher läge eine Beeinträchtigung, die ein Festhalten am Vertrag als nicht mehr zumutbar erschienen lasse, nicht vor.

c) Die Umbenennung des Studios stelle keinen Kündigungsgrund dar, da die Identität des Vertragspartners nicht geändert worden sei. Die Namensänderung ließe keinen Rückschluss auf die Qualität oder Trainingsmöglichkeiten zu, noch gar habe die beklagte verdeutlicht, dass es dadurch bedingt zu einer konkreten Trainingsbeeinträchtigung gekommen sie.

d) Die Beklagte war behindert und konnte nach ihren Angaben die Treppe zum neuen Studio nicht nutzen. Es gab allerdings einen behindertengerechten Aufzug im neuen Studio, weshalb die Treppe keinen Kündigungsgrund darstellen könne. Soweit mit der Nutzung des Aufzuges Unannehmlichkeiten wegen eines Anrufs oder eines Klingelns verbunden seien, würde dies auch keine fristlose Kündigung rechtfertigen. Im Hinblick auf die Frage, ob der Aufzug funktioniere, könne dies vorliegend dahinstehen, da jedenfalls die Beklagte vor einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund der Klägerin eine Frist zur Abhilfe hätte setzen müssen oder die Klägerin hätte abmahnen müssen. Vorliegend habe der Aufzug nach dem Vortrag der Parteien zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht funktioniert, weshalb hier die Beklagte der Klägerin eine Abhilfefrist hätte setzen müssen. Eine Fristsetzung sei hier auch nicht entbehrlich gewesen, da weder eine ernsthafte und endgültige Verweigerung der Klägerin vorgelegen habe noch besondere Gründe die sofortige Kündigung hätten rechtfertigen können.

Die gleichen Erwägungen greifen nach dem Urteil für die Behauptung der Beklagten über Einschränkungen der Trainingsmöglichkeiten und Nichterreichbarkeit von Trainingsgeräten. Grundsätzlich könnte dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen; allerdings sie auch hier zuvor eine angemessene Frist zur Abhilfe zu setzen (§314  Abs. 2 S. 1 BGB), was nicht erfolgte. Da im Übrigen die Beklagte nach ihrem Vortrag nur drei Geräte genutzt hat, wäre hier für die Klägerin durch ein umstellen dieser Geräte Abhilfe zu schaffen gewesen und es sei nicht vorgetragen worden, dass dem die Klägerin nicht auf Ersuchen nachgekommen wäre.

Die Rüge der Beklagten, sie sei zu späte über den bevorstehenden Umzug des Studios informiert worden, trage die fristlose Kündigung auch nicht. Der Vertrag war auf 24 Monate mit Verlängerungsklausel abgeschlossen. Im Hinblick auf die Kündigungsfrist von acht Wochen hätte die Information über den Umzug Anfang 2016 Mitte 2015 erfolgen müssen. Allerdings habe die Beklagte nicht vorgetragen, dass sie bei einer Kenntnis vom Umzug tatsächlich fristgerecht gekündigt hätte.

Zusammenfassend bleibt mithin festzuhalten, dass eine fristlose Kündigung jedenfalls bei bestehenden Mängeln die Setzung einer Abhilfefrist nach § 314 BGB verlangt, soweit nicht erwartet werden kann, das dem nicht nachgekommen wird oder werden kann. Ein Mangel liegt nicht vor, wenn Änderungen im Studiobetrieb keine Auswirkungen auf das konkrete Vertragsverhältnis haben.

AG Plettenberg, Urteil vom 28.09.2018 - 1 C 2/18 -

Montag, 22. Oktober 2018

Totalschaden: Integritätsinteresse durch Reparatur und Voraussetzungen der 130%-Grenze


Der Kläger machte nach einem Verkehrsunfall Schadensersatzansprüche geltend. Sein Fahrzeug erlitt nach den Berechnungen des von ihm beauftragten Sachverständigen einen wirtschaftlichen Totalschaden, da sich die Reparaturkosten auf € 10.129,43, der Wiederbeschaffungswert auf € 7.436,97 beliefen. Der Kläger ließ gleichwohl das Fahrzeug reparieren, Danach hätten die Reparaturkosten nur knapp 30% über dem Wiederbeschaffungswert gelegen. Die Beklagten bestritten allerdings u.a. die sach- und fachgerechte Reparatur. Das Landgericht hatte Beweis erhoben und nach Einvernahme von Zeugen und Einholung eines Gutachtens festgestellt, dass die Reparatur zu einem kleinen Teil nicht gemäß dem Gutachten durchgeführt wurden (nach Angaben des Sachverständigen mit weiteren Kosten von € 148,40 verbunden), und im Übrigen statt eines im, Gutachten vorgesehenen Türaustauschs Spachtel- und Lackierarbeiten an der Tür berechnet wurden. Es hielt daher eine Abrechnung auf Totalschadensbasis für ausgeschlossen und nahm die Abrechnung auf der Basis des Wiederbeschaffungswertes vor.

Das OLG Koblenz wies mit Beschluss vom 25.06.2018 darauf hin, dass es die Zurückweisung der Berufung des Klägers  beabsichtige, mit der dieser weiterhin seinen Anspruch auf Abrechnung auf Reparaturkostenbasis versuchte durchzusetzen. Es verwies darauf, dass nach dem vom Landgericht eingeholten Gutachten die Reparatur nicht fachgerecht und auch nicht vollständig durchgeführt worden sei. So seien im Bereich der Schadenszone Radhauses vorne links und im Bereich des Frontblechs links Arbeiten (Lackierarbeiten) weder sachgerecht noch vollständig vorgenommen worden. Die noch erforderlichen Lackierarbeiten seien mit Kosten in Höhe von € 148,40 verbunden. Auch wenn der Rest-Reparaturaufwand relativ gering sei, würde dies einer für eine Abrechnung auf Basis eines den Wiederbeschaffungswert bis maximal 30% übersteigender Reparaturkosten nicht rechtfertigen können, da im Falle des Verbleibens auch geringer Restarbeiten das Integritätsinteresse des Geschädigten nicht ausreichend dokumentiert würde. Dies alleine würde schon der Forderung des Klägers entgegenstehen.

Hinzu käme der Umstand, dass in der der Klage zugrunde liegenden Reparaturrechnung Arbeiten enthalten seien, die ebenfalls nicht zu einem sach- und fachgerechten Ergebnis geführt hätten. Die Spachtel und Lackierarbeiten an der linken Außentür hätten nicht zu einem vollständig fachgerechten Ergebnis (Mangelfreiheit)  geführt. Der Geschädigte könne aber bei Vorliegen eines wirtschaftlichen Totalschadens nur die bis max. 30% über den Wiederbeschaffungswert liegenden Reparaturkosten verlangen, wenn es sich um die Kosten für eine (hier auch insoweit nicht vorliegende) sach- und fachgerechte Reparatur handele.

Nachdem der Kläger die Berufung nicht zurückgenommen hatte, wies das OLG diese mit Beschluss vom 14.08.2018 unter Bezugnahme auf den Hinweisbeschluss zurück.

OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 25.06.2018 - 12 U 3/18 -

Sonntag, 21. Oktober 2018

GmbH: Sitzverlegung nach Auflösung


Für die in 2006 gegründete GmbH, die seit dem 05.10.2016 im Handelsregister des AG Frankfurt am Main eingetragen war, wurde eine am 17.02.2017 beschlossene Auflösung am 13.03.2017 im Handelsregister eingetragen. Mit einer notariell beglaubigten Anmeldung vom 10.04.2017 hat der Liquidator die Änderung des Gesellschaftsvertrages in § 1 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages (Sitz) mit Hinweis drauf angemeldet, der Sitz sei von Frankfurt am Main nach Berlin verlegt worden. Das zuständige AG Charlottenburg wir sie Anmeldung zurück. Der eingelegten Beschwerde half es nicht ab. 

Das Kammergericht (KG) wies die zulässige Beschwerde zurück.

Zwar würde die für werbende Gesellschaften gedachte Vorschrift des § 69 Abs. 1 GmbHG nach der Auflösung der Gesellschaft entsprechende Anwendung finden. Dies dürfe aber dem Wesen der Liquidation nicht zuwiderlaufen. Zu den insoweit überhaupt anwendbaren Vorschriften würden die Vorschriften über die Änderung des Gesellschaftsvertrages gerade nicht gehören. Soweit sie gleichwohl angewandt würden (RGZ 107, 31, 33; BayObLG, Beschluss vom 12.01.1995 - 3Z BR 314/14 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.09.1973 - 20 W 639/73 -), dürfe dies aber nicht dem Wesen der Liquidation zuwiderlaufen.

Zweck der Liquidation sei, das Gesellschaftsvermögen in Geldumzusetzen, um eine Schlussverteilung vornehmen zu können, nach der weitere Maßnahmen nicht mehr erforderlich seien. Nach § 70 GmbHG sollen die laufenden Geschäfte beendet, Forderungen eingetrieben und Verbindlichkeiten ausgeglichen werden. Zum Zwecke der Begleichung von Verbindlichkeiten seien die Gläubiger durch Bekanntmachungen gem. § 65 Abs. 1 GmbH auf die Auflösung aufmerksam zu machen, damit sie ihre Forderungen anmelden könnten.

Daraus ließe sich allerdings nicht ableiten, dass eine Änderung des Gesellschaftsvertrages grundsätzlich dem Wesen der Liquidation widerspräche. Möglich wäre z.B. auch eine Kapitalerhöhung, um alle Gläubiger befriedigen zu können, die Veräußerung der Firma (des namens der Gesellschaft) zur Erlangung weiterer verteilbarer Vermögenswerte mit der Folge einer Firmenänderung oder eine Änderung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer zur Beschleunigung der Abwicklung.

Da aber eine Schlussverteilung angestrebt würde und dies das Auffinden aller Schuldner und Gläubiger voraussetze, seien Maßnahmen, die zu einer (wenn auch nur zeitweisen) Erschwerung der Erreichbarkeit im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Vorteile zu prüfen, was insbesondere für die Sitzverlegung gelte. Dies würde mit einem Wechsel des Regiistergerichts und der Registernummer einhergehen. Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin darauf, dass der statuarische Sitz mit dem tatsächlichen Sitz nicht identisch sein müssten, ändere daran nichts. Denn es bedürfe keines weiteren Grundes, der gegen die Sitzverlegung spräche, sondern eines Grundes, der diese in Ansehung der Liquidation rechtfertige.

Nicht zu klären sei hier, ob für die Verlegung des tatsächlichen Sitzes, die durch (im Handelsregister einzutragende) Änderung der Gesellschaftsanschrift in gleicher Weise der Vorbehalt der Zweckmäßigkeit gelte (was der Senat allerdings bezweifle).

KG, Beschluss vom 24.04.2018 - 22 W 63/17 -

Freitag, 19. Oktober 2018

Umfang des Rückforderungsanspruchs nach Verarmung des Schenkers


Der Landkreis machte Ansprüche des Schenkers aus übergegangenem Recht gegen die Beschenkte geltend. Die Eltern der Beklagten hatten dieser 1995 ihr Hausgrundstück schenkweise übertragen und sich ein unentgeltliches lebenslanges Wohnrecht gewahrt. 2003 verzichteten die Eltern auf das Wohnrecht und es kam zur Löschung desselben im Grundbuch. Die Beklagte vermietete nunmehr die Wohnung zu einer Nettomiete von € 340,00/Monat an ihre Mutter. 2010 verstarb ihr Vater. Ab August 2012 lebte die zwischenzeitlich pflegebedürftig gewordene Mutter in einer Alten- und Pflegeeinrichtung. Nach anfänglichen Leerstand ihrer Wohnung vermietete die Beklagte diese ab September 2013 zu einer Nettomiete von € 360,00/Monat. Im Zeitraum von August 2012 bis zum Tod der Mutter am 30.03.2015 leistete der klagende Landkreis Hilfe zur Pflege in Höhe von € 22.248,37.

Der Landkreis hatte den Rückforderungsanspruch der Mutter gemäß § 528 BGB auf sich übergeleitet und verlangte gemäß § 818 Abs. 2 BGB Ersatz des Wertes der durch die Löschung des dinglichen Wohnrechts erlangten Bereicherung. Die unentgeltliche Aufgabe des Wohnrechts stelle sich, so der Landkreis, als eine Schenkung dar. Die Mutter sei an August 2012 nicht mehr in der Lage gewesen, ihren Unterhalt zu bestreiten, weshalb sie einen Rückforderungsanspruch gehabt habe. Das Berufungsgericht hatte den Wertanspruch des Landkreises auf die im fraglichen Zeitraum von der Beklagten erwirtschafteten Mieteinnahmen von € 5.700,00 beschränkt. Auf die Revision hob der BGH die Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück.

Zutreffend im Ausgangspunkt habe das Berufungsgericht erkannt, dass der übergegangene Anspruch der Schenkerin von Anbeginn an auf monatliche  Zahlungen in Höhe des ungedeckten Unterhaltsbedarfs gerichtet gewesen sei, da nur in dieser Höhe die Schenkerin jeweils einen Rückforderungsanspruch erworben hätte und das Geschenk nicht in natura teilbar gewesen sei mit der Folge, dass die Beklagte bis zur Erschöpfung des Wertes des Geschenks Ersatz in entsprechender Höhe zu leisten gehabt habe. Richtig sei auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass für die Wertbemessung maßgeblich der Zeitpunkt des Entstehens des Rückforderungsanspruchs (hier August 2012) sei.

Nicht gefolgt ist der BGH allerdings der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach sich die Höhe in den jeweils erwirtschafteten Mieteinnahmen wiederspiegele. Der Wert der Schenkung sei vielmehr nach dem Wertzuwachs des Grundstücks zu bemessen, der im August 2012 nach aus dem im Jahr 2003 eingetretenen Wegfall der dinglichen Belastung mit dem Wohnrecht fortbestanden habe. Weiterhin habe die die Beklagte auch die Nutzungen herauszugeben, die sie bereits seit der Schenkung aus dem Geschenk gezogen habe.

§ 528 BGB bezwecke, den Schenker vor einer wirtschaftlichen Notlage zu bewahren. Dem liege wie bei § 519 BGB der Gedanke zugrunde, eine solche Notlage nicht entstehen bzw. fortbestehen zu lassen , während der Beschenkte durch das Geschenk weiterhin bereichert sei. Mit dem Rückforderungsanspruch solle eine Vermögenslage hergestellt werden, als habe es die Schenkung nicht gegeben, was eine wirtschaftliche Betrachtungsweise fordere. Von daher sei bei einem wirtschaftlich nutzbaren Gegenstand auch die gezogene Nutzung durch den Beschenkten zu berücksichtigen.

Soweit, wie hier, die Herausgabe des geschenkten Gegenstandes nicht möglich sei, sei gem. § 818 Abs. 2 BGB dessen Wert zu ersetzen. Für die Wertermittlung bilde im Zweifel der Verkehrswert den besten Anhaltspunkt (der ggf. durch einen Sachverständigen zu ermitteln sei).  Bei dem Verzicht auf ein Wohnrecht sei deshalb die Erhöhung des Verkehrswertes auszugleichen (BGHZ 196, 285).  Nicht zu berücksichtigen sei, dass das Wohnrecht mit dem Tod der Mutter ohnehin der Beklagten zugefallen wäre; dieser Gedanke würde vernachlässigen, dass  sich der Wert aus der Nutzbarkeit über die Zeit ergäbe. Auch käme es nicht darauf an, ob bzw. in welcher Weise der Grundstückseigentümer die zugeflossene Werterhöhung realisiere (Verkauf, Eigennutzung, Vermietung oder Leerstand), sondern nur auf den objektiven Wert.

Auf die Übertragung des Grundstücks von den Eltern der Beklagten auf die Beklagte im Jahre 1995 konnte nicht abgestellt werden, da dies bereits zum Eintritt der Bedürftigkeit mehr als zehn Jahre zurück lag, § 529 Abs. 1 letzte. Alt. BGB.

BGH, Urteil vom 17.04.2018 - X ZR 65/17 -

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Ist die einmalige Entschädigung für eine Stromüberleitung einkommensteuerpflichtig ?


Der Kläger schloss 2008 mit dem Energieversorger eine Vereinbarung, wonach der Energieversorger berechtigt war, das Grundstück des Klägers „zum Zwecke von Bau, Betrieb und Unterhaltung elektrischer Leitungen nebst Zubehör einschließlich Steuer- und Telekommunikationskabel und aller dazu erforderlichen Vorkehrungen“ in Anspruch zu nehmen.  Diesbezüglich wurde eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen, wofür der Kläger vom Energieversorger eine einmalig zu zahlende Gesamtentschädigung von € 17.904,00 erhielt. Zur Ermittlung des Betrages diente u.a. der Verkehrswert des Grundstücks. Ein Mast wurde auf dem Grundstück nicht errichtet; es wurde lediglich überspannt.

In seiner Einkommensteuererklärung für 2008 ließ der Kläger die Einnahme unberücksichtigt. Der Einkommensteuerbescheid für 2008 erging in 2009.Auf Grund einer Kontrollmitteilung (anlässlich der Prüfung des Energieversorgers) nahm das Finanzamt (FA) eine Änderung des Einkommensteuerbescheides mit Änderungsbescheid in 2012 unter Verweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor, in dem es die Einnahme aus der Zahlung des Energieversorgers berücksichtigte. Einspruch und Klage gegen den Bescheid blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hatte zwar die Einnahmen nicht nach § 22 Nr. 3 EStG, aber nach § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG als steuerpflichtige Einkünfte bewertet.  § 22 Nr. 3 EStG scheide aus, da die Überspannung als auch die Dienstbarkeit notfalls mittels Enteignung hätten durchgesetzt werden können. Es lägen aber Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gem. § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG vor.

Auf die Revision wurde der Änderungsbescheid aufgehoben. Der BFH negierte, dass es sich vorliegend um Einkünfte gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG handele. Zwar würde das Entgelt für eine Dienstbarkeit dem nicht grundsätzlich entgegenstehen, da der Eigentümer die Nutzungsbefugnis einräume, und, da kein endgültiger Rechtsverlust (Eigentumsverlust) vorliege, könne sich das dafür gezahlte Entgelt als Gegenleistung für die Nutzung darstellen. Dabei sei unerheblich, ob die Einräumung freiwillig erfolge oder ein Besitzeinweisungsbeschluss einer Behörde zugrunde läge. Maßgeblich sei auf den wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarung abzustellen, wie er sich nach dem Gesamtbild der gestalteten Verhältnisse des Einzelfalls unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Vertragsparteien ergäbe.

Das FG habe nicht berücksichtigt, on und inwieweit eine zeitlich begrenzte, unter § 21 Abs. 1 S. 1 EStG fallende entgeltliche Nutzungsüberlassung eines (Teil-) Grundstücks oder von Rechten oder eine entgeltliche, aber nicht steuerbare Übertragung eines Wirtschaftsguts gegeben sei. Vorliegend sei es weder schuldrechtlich noch dinglich zur Einräumung eines zeitlich beschränkten Rechts gekommen.

Auch habe das FG nicht berücksichtigt, dass lediglich dem Energieversorger ein einseitiges, auf fünf Jahre beschränktes Recht zum Rücktritt eingeräumt wurde, wie auch dem Kläger kein Recht eingeräumt wurde, unter bestimmten Umständen eine Rückübertragung zu verlangen. Damit sei der Kläger dauerhaft mit der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit belastet worden.

Auch wenn eine notfalls zwangsweise Durchsetzung des Rechts nicht die Anwendung des § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG hindere, sei dies doch bei der wirtschaftlichen Betrachtung zu berücksichtigen. Hier sei dem Kläger für die dingliche Eigentumsbeschränkung und den damit verbundenen wirtschaftlichen Verlust  ein Ausgleich gezahlt worden, was vom FG auch nicht berücksichtigt worden sei. Im Vordergrund stünde mithin, wie sich aus der Art und Weise der Berechnung ergäbe, der Ausgleich für die Eigentumsbeschränkung. Es käme nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige (evtl. teilweise) enteignet würde, oder ob er zur Abwendung einer Enteignung auf der Grundlage einer einvernehmlichen Einigung die Dienstbarkeit bestellt. Stünde wie hier die (nicht zeitlich beschränkte) Nutzungsüberlassung im Vordergrund, sondern die Aufgabe eines Vermögenswertes, sei der Vorgang wie eine nicht steuerbare Vermögensvernichtung zu behandeln.

Richtig sei vom FG gesehen worden, dass kein Fall des § 22 Nr. 3 EStG vorliege. Nicht erfasst würden Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich. Würde das Entgelt erbracht, da der Vermögensgegenstand in seiner Substanz endgültig aufgegeben werde, gehöre der Erlös nicht zu den Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG.

BFH, Urteil vom 02.07.2018 - IX R 31/16 -

Dienstag, 16. Oktober 2018

Wettbewerbsrecht: Werbung mit Standort bei fehlender örtlicher Anwesenheit


Häufig findet man in Anzeigen oder auf einer Homepage  den Verweis darauf, dass das Unternehmen (auch) im eigenen Ort des potentiellen Kunden ansässig ist, obwohl dort tatsächlich nur eine Telefonnummer geschaltet ist oder ein Briefkasten hängt.

Dies, so das OLG Frankfurt, ist wettbewerbswidrig. Es änderte einen Beschluss des LG Frankfurt am Main ab, mit dem dieses einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Werbung mit einem Standort, der tatsächlich nicht existiert, da sich dort weder der Antragsgegner noch ein Mitarbeiter von ihm regelmäßig aufhalte, abgelehnt hatte. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Rechtsansicht sieht hier das OLG sehr wohl einen die Unterlassungsverfügung rechtfertigenden wettbewerbswidrigen Eingriff.

Ist tatsächlich am angegebenen Ort weder der Unternehmer noch ein Mitarbeiter von ihm regelmäßig erreichbar, sondern werden diese von einem dritten Ort aus tätig, sei die Standortaussage geeignet, die geschäftliche Entscheidung des potentiellen Kunden zu beeinflussen, §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 , 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, wenn die Leistung des Unternehmens üblicherweise bei dem Kunden vor Ort erbracht werde. Die Entscheidung für einen örtlichen Anbieter  könne maßgeblich auch davon abhängen, dass gegenüber auswärtigen Anbietern Anfahrtkosten erspart würden, die ein auswärtiger Anbieter mit in seine Kalkulation des Gesamtpreises mit einfließen lassen könnte, und auch bei Nachbesserungswünschen die örtliche Nähe als Vorteil angesehen werden könne.

Der Internetauftritt des Antragsgegners würde dem Leser den Eindruck der örtlichen Nähe vermitteln. Dabei käme es für diese nicht darauf an, ob vor Ort ein Telefonanschluss oder Briefkasten sei; auch käme es nicht darauf an, ob in dem Ort auch die Gewerbeanmeldung erfolgt sei. Entscheidend sei die (suggerierte) tatsächliche örtliche Anwesenheit. Fehle diese, sei der einen anderweitigen Eindruck vermittelnde Internetauftritt wettbewerbswidrig und zu unterlassen.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.08.2018 - 6 W 64/18 -

Freitag, 12. Oktober 2018

Handelsregister: Zum Nachweis der Rechtsnachfolge in einer Kommanditgesellschaft


Sachverhalt: Es sollten das Ausscheiden des verstorbenen Kommanditisten F.B. und der Eintritt der Beteiligten zu 2. und 3., der Austritt des Beteiligten zu 2. und die Erhöhung des Kommanditanteils des Beteiligten zu 3. durch die Beteiligte zu 1. (unter Berufung auf eine ihr durch die Kommanditisten erteilte Vollmacht) zum Handelsregister angemeldet werden. Zum Nachweis der Erbfolge wurden Eröffnungsniederschriften und Erbverträge des Notariats Stuttgart vorgelegt. Wegen Unklarheit der Erbquoten verlangte das Registergericht die Vorlage eines Erbscheins. Es wies schließlich die Anmeldung zurück.

Entscheidung: Das Kammergericht hat die zulässige Beschwerde zurückgewiesen.

Der Nachweis der Rechtsnachfolge habe nach § 12 Abs. 1 S. 4 HGB durch öffentliche Urkunde zu erfolgen. Dies sei in der Regel der Erbschein. Allerdings könnte entsprechend § 35 Abs. 1 S. 2 GBO auch öffentlich beurkundete Verfügungen von Todes wegen mit den entsprechenden Eröffnungsprotokollen genügen. Dann aber müsse sich die Rechtsnachfolge direkt aus der Urkunde ergeben, ohne dass weitere tatsächliche Ermittlungen erforderlich wären.

Diese Voraussetzungen negierte hier das Kammergericht. Es ergäbe sich hier nicht aus der Urkunde der genaue Anteil, der für die sich im Wege der Sondererbfolge übergehende Gesellschafterstellung von Bedeutung sei. Es hieße im Erbvertrag lediglich, dass der Erblasser die Beteiligten zu 2. und 3. Nach Maßgabe einer Teilungsanordnung in § 2 desselben zu seinen Erbinnen einsetze, wobei in der Teilungsanordnung im wesentlichen Geschäftsanteile an einer GmbH verteilt würden und auch die Verteilung nicht nach einem hälftigen Schlüssel erfolge. Auf § 2091 BGB, wonach Erben im Zweifel als zu gleichen Teilen eingesetzt gelten, könne nicht zurückgegriffen werden, da Bruchteile nicht benannt worden seien. Damit sei eine Auslegung erforderlich unter Berücksichtigung auch außerhalb der Urkunde liegender Umstände. Ein urkundlicher Nachweis sei nicht geführt.

Dies sei hier auch nicht deshalb entbehrlich, da im Ergebnis nur der Beteiligte zu 3. Alleiniger Kommanditist werden sollte. Die Kommanditanteile würden mangels einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag (vgl. § 177 HGB)  mit dem Eintritt des Erbfalls im Wege der Sonderrechtsnachfolge dem Erbteil entsprechend auf den jeweiligen Erben unmittelbar übergehen, was zwingend im Handelsregister zu wahren sei (KG, Beschluss vom 30.05.2000 - 1 W 931/99 -).  

KG, Beschluss vom 16.07.2018 - 22 W 17/18 -

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Wechsel von der Leistungs- zur Feststellungsklage im Berufungsverfahren


Die Klägerin (eine Wohnungseigentümergemeinschaft) machte wegen fehlerhafter Dacharbeiten durch das von der beklagten Bauträgerin beauftragte Unternehmen erstinstanzlich Schadensersatz in Höhe von € 27.838,26 netto, die Feststellung der Einstandsverpflichtung der Beklagten für anfallende Mehrwertsteuer bei Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein, mit der sie u.a. geltend machte, dass unter Berücksichtigung der neuern Rechtsprechung des BGH die Mängelbeseitigungskosten nicht mehr (wie hier) fiktiv abgerechnet werden könnten. Während die Beklagte die Abänderung des Urteils durch Klageabweisung beantragte, beantragte die Klägerin die Zurückweisung der Berufung und beantragte hilfsweise, dass die Beklagte ihr die Kosten der Dachreparatur nach Maßgabe eines bestimmten Gutachtens einschl. etwaiger nachträglicher Mehraufwendungen zu erstatten habe und ferner die Beklagte auf Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten an die Klägerin zu verurteilen.

Die Berufung der Beklagten wurde vom OLG zurückgewiesen und das Urteil unter Berücksichtigung der teilweisen Klageänderung mach Maßgabe der Hilfsanträge aufrechterhalten. Die Klageänderung, so das OLG, sei zulässig und begründet gewesen.

Der BGH hatte seine Rechtsprechung zur fiktiven Abrechnung von werkvertraglichen Mängelbeseitigungsansprüchen geändert. Mit seiner Entscheidung vom 22.02.2018 - VI ZR 46/17 - legte der BGH dar, dass der Besteller, der das mangelhafte Werk behalte und den Mangel nicht beseitigen lasse, entgegen der bis dahin verbreiteten Ansicht seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen könne. So aber hatte hier die Klägerin den Schaden im Leistungsantrag geltend gemacht. Das OLG sah daher hier eine nach § 264 Nr. 2 ZPO privilegierte Antragsänderung durch die Klägerin, die auch noch im Berufungsverfahren erfolgen könne (BGH, Urteil vom 19.01.2017 - VII ZR 301/13 -); danach können Klageerweiterungen oder –beschränkungen vorgenommen werden, ohne dass dies eine Klageänderung wäre.  

Das notwendige Feststellungsinteresse läge hier auch vor. Es habe noch keine Mangelbeseitigung stattgefunden, weshalb ein Vorrang der Leistungsklage ausscheide. Dass die Klägerin hier in der Sache auch einen Schadensersatzanspruch habe, sei vom Landgericht zutreffend bejaht worden.

OLG Koblenz, Urteil vom 16.05.2018 - 5 U 1321/17 -

Mittwoch, 10. Oktober 2018

SEPA-Lastschrift im Onlinehandel mit Verbrauchern auf Bank im EU-Ausland


Der Onlinehändler schloss gegenüber einem Verbraucher mit Wohnsitz in Deutschland bei Bankeinzug Konten in Luxemburg aus. Auf Antrag eines Verbraucherschutzverbandes verurteilte das LG Freiburg (Breisgau) den Händler, dies bei Meidung eines Ordnungsgeldes zu unterlassen. Die dagegen eingelegte Berufung wies das OLG Karlsruhe zurück.

Das Landgericht hatte sich auf Art. 9 Abs. 2 SEPA-VO bezogen. Diese, so das OLG, sei ein Verbraucherschutzgesetz iSv. § 2 Abs. 1 UKlaG und eine Marktverhaltensregel iSv. § 3a UWG.

Verbraucherschutzgesetze nach dem UKlaG seien Normen, deren eigentlicher Zweck der Verbraucherschutz seien, auch wenn sie weiterhin anderen Zwecken auch dienen würden. Lediglich dürfe der Verbraucherschutz nicht nur eine untergeordnete Bedeutung haben oder eine zufällige Nebenwirkung darstellen. In diesem Sinne seien alle Vorschriften, welche Verhaltenspflichten des Unternehmers gegenüber Verbrauchern beinhalten neben den in § 2 Abs. 2 UKlaG benannten Normen verbraucherschützend, die a) entsprechende Verhaltenspflichten beinhalten und b) deren Verletzung Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigen würden.

Zutreffend habe das Landgericht die sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 2 SEPA-VO resultierende Vereinfachung des Zahlungsverkehrs für Verbraucher nicht lediglich als untergeordnete oder Nebenwirkung, sondern als unmittelbar verbraucherschützendes Ziel angesehen. Missverständlich seien zwar die Formulierung der Überschrift und der Erwägungsgrund 35 der Verordnung, in denen auf technische Vorschriften und Geschäftsanforderungen abgestellt würde; allerdings sei aus den Sätzen 8 und 9 des Erwägungsgrundes 1 ersichtlich, dass hier die Verbraucherinteressen im Vordergrund stünden, zumal im Erwägungsgrund 7 deutlich ausgedrückt würde, dass auf den Bedarf der Verbraucher an innovativen, sicheren und kostengünstigen Zahlungsdiensten abzustellen sei.

Art. 9 Abs. 2 SEPA-VO berühre auch die Kollektivinteressen der Verbraucher, da er die Verbraucherrechte aller Besteller von Waren der Beklagten mit Wohnsitz im Inland und luxemburgischen Konto betreffe und daher in Gewicht und Bedeutung über den Einzelfall hinausgehen würde. Verbraucherschutzvorschriften, wie hier Art. 9 Abs. 2 SEPA-VOP, würden in der Regel eine Marktverhaltensregel iSv. § 3a UWG darstellen.

Soweit die Beklagte eingewandt habe, dass sie lediglich (wie hier) im Einzelfall aufgrund intern definierter Parameter (die sie aus Geheimhaltungsinteressen nicht offenbaren wollte) die Lastschrifteinzug verweigert habe, ließe dies nicht erkennen, dass es sich hier nur um einen Einzelfall gehandelt habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Ausschluss grundsätzlich bei einem Wohnsitz in Deutschland gelten solle.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.04.2018 - 4 U 120/17 -

Montag, 8. Oktober 2018

Gemeinschaftliches Testament, Testierfreiheit für den Längerlebenden und Verschwiegenheitspflicht des beratenden Anwalts


Die Eheleute hatten in 2004 ein handschriftliches Testament errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten und zum Schlusserben den gemeinsamen Sohn (Beteiligten zu 2.) bestimmten. Im Testament wurde ( zu Ziff. 2.) die Regelung aufgenommen, dass der überlebende Ehegatte „durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt „ sein soll und „in jeder Weise frei verfügen“ können soll.  Nach dem Tot ihres Ehemanns errichtete die Ehefrau ín 2015 ein weiteres Testament und bestimmte in diesem die Beteiligte zu 1. Zur Alleinerbin, wobei sie den Beteiligten zu 2. ausdrücklich auf dessen Pflichtteil verwies. Nach dem Ableben der Ehefrau beantragte die Beteiligte zu 1. unter Berufung auf das Testament aus 2015 einen sie als Alleinerbin ausweisenden Erbschein. Das Nachlassgericht wies den Antrag zurück. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1. Beschwerde ein, in deren Rahmen des Nachlassgericht den Zeugen Rechtsanwalt A. anhörte, der sich auf seine Zeugnisverweigerungspflicht berief. Nach Nichtabhilfe der Beschwerde legte das Nachlassgericht den Vorgang dem OLG zur Entscheidung über die Beschwerde vor.

Das OLG wies das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1. zurück. Das Testament aus 2004 hindere die Wirksamkeit des Testaments der überlebenden  Ehefrau und der evtl. gewollte anderweitige Zweck der Regelung unter Ziffer 2. Könne nicht geklärt werden, da sich der evtl. auskunftsfähige RA A. auf eine bestehende Verschwiegenheitsverpflichtung berufen habe.

Mit dem Ableben des Ehemanns sei die Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 2. Nach § 2271 Abs. 2 S. 1 1. Halbs. BGB bindend geworden. Dass die Eheleute einen Änderungsvorbehalt in ihrem Testament aufgenommen hätten oder hatten aufnehmen wollen, sei nicht erkennbar.

Die Verfügung unter Ziffer 2. im Testament aus 2005 sei auslegungsbedürftig und –fähig.  Eine Formulierung der hier verwandten Art würde allgemein als klarstellender Hinweis angesehen, dass der Überlebende die volle Stellung eines unbeschränkten Erben haben solle, was sich auf lebzeitige Rechtsgeschäfte bezöge. Es sei nicht Ausdruck einer Verfügungsstellung über die Schlusserbfolge im Testament.

Umstände außerhalb der Urkunde, die hier der Formulierung eine anderweitige Bedeutung beimessen könnten, seien nicht ersichtlich. Hier sei lediglich eine Aussage des Zeugen RA A. in Betracht gekommen, der ggf. Angaben zu Entstehung der Regelung hätte machen können. Diese habe sich aber zulässig auf seine Verschwiegenheitspflicht berufen und von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge sei Rechtsanwalt gewesen (und sei es noch); es möge sein, dass er und die Erblasserin auch persönlich verbunden gewesen waren, doch habe sie ihn auch in ihren erbrechtlichen Angelegenheiten (2004 und/oder 2015 bliebe schon in Ansehung des Zeugnisverweigerungsrechts offen) konsultiert.

Der Zeuge sei nach dem Tot der Erblasserin nicht von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung befreit worden, § 385 Abs. 2 ZPO. Diese Entbindung sei lediglich durch die Erben möglich, mithin in einem Verfahren, in dem festgestellt werden solle, wer Erbe ist, durch alle in Betracht kommenden Erben. Vorliegend habe nur die Beteiligte zu 1. Ihn entbunden, nicht der Beteiligte zu 2.  Aber es käme die Möglichkeit der Entbindung (durch den oder die Erben) auch nur in Betracht,  soweit die Aussage lediglich Tatsachen im vermögensrechtlichen Bereich beträfen, da nur insoweit die Befreiungsbefugnis nach § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben übergehen könne. Eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht durch den oder die Erben könne nicht erfolgen, soweit die höchstpersönliche Sphäre des Verstorbenen berührt sei.

Ein reiner Vermögensbezug sei aber bei dem Beweisthema eines etwaigen Änderungsvorbehalts ausgeschlossen, da notwendigerweise nicht nur Fragen des Verhältnisses der Eheleute zu ihrem Vermögen, sondern auch solche des Verhältnisses der Eheleute untereinander sowie zu dem gemeinsamen Sohn (dem Beteiligten zu 2.) betroffen wären.

Im Rahmen eines Erbscheinverfahrens käme zwar auch ein Rückgriff auf den mutmaßlichen, auf die Entpflichtung des Zeugen gerichteten Willens in Betracht. Die tragende Erwägung für einen entsprechenden Willen sei, dass dem verstorbenen an einer Aufklärung gerade im Hinblick auf die Wirksamkeit einer von ihm gewünschten Erbfolge gelegen sei. Hier spräche dagegen, dass der Zeuge RA A. auf den zu Lebzeiten der Erblasserin zur Nichtoffenbarung der maßgeblichen Tatsachen und Umstände geäußerten Willen auf dezidierte Nachfrage hingewiesen habe.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.04.2018 - 3 Wx 202/17 -

Freitag, 5. Oktober 2018

Privatanzeige: Zur (konkludenten oder ausdrücklichen) Einwilligung einer telefonischen Kontaktaufnahme durch Makler


Die Verfügungsklägerin (VKl) bot in einer Anzeige mit dem Zusatz „von Privat“ eine Eigentumswohnung zum Verkauf unter Angabe ihrer Telefonnummer an. Sie wurde von mehr als 80 Maklern  angerufen, u.a. der Verfügungsbeklagten (VBK). Eine Mitarbeiterin dieser rief die VKl am 05.07.2017 an und fragte die VKl, ob die VBK die Wohnung ihren Kunden vorstellen dürfe, was für die VKl unverbindlich und kostenlos sei, die auch weiterhin die Wohnung privat anbieten dürfe. Streitig war zwischen den Parteien, ob die VBK auch nach einem Besichtigungstermin fragte.

Die VKl sah in dem Anruf eine unzumutbare Belästigung iSv. § 7 Abs. 2 Nr. 7 UWG und darin ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Die VBK sah in ihrem Anruf keine wettbewerbswidrige Handlung und vertrat zudem die Auffassung, das Verhalten der VKl sei rechtsmissbräuchlich, da die VKl trotz Anrufe zahlreicher Makler bei ihr nicht angegeben habe, dass Anrufe durch Makler unerwünscht seien.  Das Landgericht erließ die von der VKl beantragte einstweilige Verfügung und bestätigte nach Einspruch der VBK dies durch Urteil vom 21.11.2017. Gegen dieses legte die VBK Berufung ein. Die Berufung hatte Erfolg. Ein Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB iVm. 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG bestünde nicht.

Der Anruf der VBK stelle sich nicht als unerbetene Werbung iSv. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG dar. Unter Werbung würden alle Maßnahmen eines Unternehmens verstanden, die auf Förderung des Absatzes  eigner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet seien, wozu auch die mittelbare Absatzförderung (wie Imagewerbung oder Sponsoring) gehören würde.  In diesem Sinne sei der Anruf der VBK, auch wenn er nicht auf einen direkten Vertragsabschluss für einen Maklervertrag mit der VKl gerichtet gewesen sei. Mittelbar der Förderung des Absatzes der VBK dienlich gewesen.  Allerdings sei der Anruf nicht als unerbetene Werbung zu werten.

Mit der Angabe der eigenen Telefonnummer in der Verkaufsanzeige habe die VKl ihr Einverständnis abgegeben, telefonische Kaufangebote zu erhalten, auch solche von Maklern für von diesen vertretenen Kaufinteressenten. Auch habe sie ihr Einverständnis mit telefonischen Anfragen zum Kaufobjekt erklärt. Wer seine Immobilie unter Angabe der eigenen Rufnummer anbiete, müssend damit rechnen, dass er nicht nur von privaten Kaufinteressenten, sondern auch von Maklern und gewerblichen Käufern kontaktiert würde. Dies liege auch regelmäßig im Interesse des annoncierenden Verbrauchers, da damit der Kreis der potentiellen Interessenten steigen würde. Ausgehend vom maßgeblichen Empfängerhorizont (BGH, Urteil vom 17.07.2008 - I ZR 75/06 -) habe für die VBK kein Grund für die Annahme bestanden, dass die VKl nur Anfragen von Privatpersonen, nicht von Maklern erhalten wolle; entsprechendes habe die VKl auch in der Anzeige, obwohl möglich (und auch in entsprechenden Fällen verbreitet üblich), nicht erklärt.

Die VKl habe auch nicht nur konkludent, sondern ausdrücklich in eine telefonische Kontaktaufnahme eingewilligt. Ein Unternehmer, der seine E-Mail-Adresse, Faxnummer und/oder Telefonnummer veröffentliche, erkläre damit ausdrücklich, dass er auf diesem Wege kontaktiert werden wolle und ihm Kaufanfragen im Rahmen üblicher Verkaufstätigkeiten übermittelt werden könnten. Nichts anderes würde für einen Verbraucher gelten, der seine Telefonnummer in einer Verkaufsanzeige bekannt gäbe. Dass nicht ausdrücklich auch angegeben wurde, dass auch Anrufe von Maklern erwünscht seien, ändert daran nichts, da es auf den objektiven Erklärungswert.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.06.2018 - 8 U 153/17 -

Donnerstag, 4. Oktober 2018

Wohnraummietrecht: Dauerhafter Kündigungsverzicht und Individualvereinbarung


Die Rechtsvorgängerin des Klägers schloss mit den Beklagten einen Mietvertrag über eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus. Zur Mietzeit hieß es in dem Formularvertrag in § 2 Nr. 1a des Mietvertrages mit der Überschrift „Kündigungsverzicht“, hinter der der Klammerzusatz „maximal vier Jahre“ handschriftlich gestrichen wurde, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen würde und beide Mietparteien „wechselseitig bis zu …. (maximal vier Jahre ab Vertragsschluss) auf ihr Recht zur ordentlichen Kündigung“ verzichten, wobei der benannte Klammerzusatz ebenfalls handschriftlich gestrichen wurde, der Zeitraum des Kündigungsverzichts nicht eingetragen wurde. Der Kläger kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landgericht hatte der Räumungsklage auf die Berufung des Klägers hin stattgegeben. Der BGH hat im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten das Urteil im Beschlussweg aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Amtsgericht hatte in der Regelung in § 2 Nr. 1a des Mietvertrages eine (Individual-) Vereinbarung eines dauerhaften Ausschlusses der ordentlichen Kündigung gesehen. Demgegenüber vertrat das Landgericht die Auffassung, dass es sich angesichts des verwandten (und nach Auffassung des Landgerichts von den Beklagten gestellten)  Formulars um eine Vertragsbedingung handele, die der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht unterläge und nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sei, wenn der Zeitraum von vier Jahren überschritten würde.

Der BGH weist darauf hin, dass nach dem Vortrag der Beklagten die Rechtsvorgängerin des Klägers das Vertragsformular von „Haus und Grund“ mitgebracht habe, die auf dessen Verwendung bestanden habe. Die Beklagten, die nach deren Vortrag erhebliche Investitionen in das Mietobjekt planten, hätten ein langfristiges Mietverhältnis unter Ausschluss der erleichterten Kündigung im Zweifamilienhaus (§ 573a BGB) und wegen Eigenbedarfs, auch für den Fall eines Verkaufs ausschließen wollen. Auf diesen Vortrag der Beklagten sei das Berufungsgericht nicht eingegangen. Es sei aber nicht auszuschließen, dass bei Berücksichtigung dieses Vortrages, der von zentraler Bedeutung dafür sei, ob es sich um eine Individualvereinbarung handele oder um eine von den Beklagten gestellte und wegen unangemessener Benachteiligung der Vermieterseite unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) handele, zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.

Ein „Stellen“ iSv. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB läge vor, wenn eine Partei die Formularbestimmungen in die Verhandlungen einbringe und ihre Verwendung zum Vertragsschluss verlangt würde. Der Kläger sei hier darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die Formularbestimmung in diesem Sinne von den Beklagten gestellt worden sei (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB; BGH vom 17.02.2010 - VIII ZR 67/09 -). Dies würde auch dann gelten, wenn der Beklagte zu 2. Von der Rechtsvorgängerin des Klägers veranlasst worden wäre, das Formular von „Haus und Grund“ zu besorgen und zum Termin mitzubringen, da dann immer noch die Initiative von ihr ausgegangen wäre. Anderes würde sich auch nicht daraus ergeben, dass die beklagten auf einen dauerhaften Kündigungsausschluss bestanden hätten. Zwar sei ausreichend, wenn der Verwender die Bedingung nur „im Kopf gespeichert“ hätte, um sie wiederholt zu verwenden; da aber die Beklagten den Mietvertrag als private Mieter abgeschlossen hätten, seien Anhaltspunkte für die Absicht der Wiederverwendung einer derartigen Vertragsbedingung (als Bedingung für die Annahme von AGB) nicht gegeben.

Ferner läge ein Gehörsverstoß des Landgerichts darin, dass der detaillierte Vortrag der Beklagten zum Aushandeln des Kündigungsverzichts und einer Zusatzvereinbarung (nach der sich die beklagten zur Vermeidung von Abrechnungsschwierigkeiten verpflichteten, das Heizöl selbst einzukaufen) nicht berücksichtigt worden. Auch vorformulierte Klauseln könnten im Einzelfall Gegenstand einer Individualvereinbarung sein, weshalb sich das Berufungsgericht mit dem entsprechenden Vortrag der Beklagten hätte auseinandersetzen müssen.

Auch wenn das Landgericht seine Entscheidung nicht darauf gestützt habe, sei seine Annahme, auch Individualvereinbarungen eines Verzichts auf eine ordentliche Kündigung seien nicht wirksam, falsch. In einer Individualvereinbarung könne die ordentliche Kündigung für sehr lange Zeiträume ausgeschlossen werden (BGH vom 10.07.2013 - VIII ZR 388/12 -).  Die Grenze sei allerdings nach § 138 BGB (wofür hier Anhaltspunkte nicht vorlägen) in der Ausnutzung einer Zwangslage oder aus sonstigen Gründen, die für eine Sittenwidrigkeit sprächen, zu ziehen. Es könne auf sich beruhen (wie von Instanzgerichten angenommen, so z.B. OLG Karlsruhe ZMR 2008, 533), ob nach Ablauf von 30 Jahren entsprechend § 544 BGB eine außerordentliche Kündigung mit gestezlicher Kündigungsfrist möglich sei, da ein solcher Zeitablauf hier nicht vorläge.

Wenn im weiteren Verfahren vor dem Landgericht festgestellt würde, dass es sich bei dem dauerhaften Ausschluss der ordentlichen Kündigung um eine von der Vermieterin gestellte und wegen unangemessener Benachteiligung der Beklagten unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) handele, dürfte dem Kläger eine Berufung darauf verwehrt sein, da die Inhaltskontrolle von AGB nur den Vertragspartner des Verwenders schützen würde. Wenn der Vertragspartner des Verwenders die Bedingung uneingeschränkt auch gegen sich gelten lassen wolle, sei es dem Verwender nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit zu berufen (BGH, Urteil vom 20.09.2017 - VII ZR 250/16 -).  Diese Voraussetzung dürfte hier gegeben sein, da die Beklagten von Anfang an deutlich gemacht hätten, dass sie sich an dem beiderseitigen dauerhaften Kündigungsausschluss festhalten lassen wollten.

BGH, Beschluss vom 08.05.2018 - VIII ZR 200/17 -