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Samstag, 25. November 2023

Reisemangel bei fehlender Information zu Witterungsbedingungen durch Reiseveranstalter ?

Die Klägerin hatte eine Minderung des Reisepreises geltend gemacht, da witterungsbedingt bei einer bei der Beklagten gebuchten Ecuadorrundreise (Festland) Sichtbeeinträchtigungen bestanden hätten. Das Landgericht hatte die Klage (mit Ausnahme für eine nicht durchgeführte Durchquerung einer Fledermaushöhle) abgewiesen; die Berufung der Klägerin wurde durch Beschluss gem. § 522 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen.

Eine Informationspflicht des Reiseveranstalters zu Witterungsverhältnissen im Zielgebiet und damit zu damit einhergehenden Sichtbeeinträchtigungen habe nicht bestanden. Es würde die Möglichkeit bestehen, sich über die typischen Witterungsverhältnisse in einem Land zu bestimmten Jahreszeiten selbst zu informieren; hierüber müsse der Reiseveranstalter nicht aufklären. Das Internet biete eine kostenlose Möglichkeit, zudem (anders als eventuell Reiseführer) aktuelle Informationsmöglichkeit, zumal üblicherweise ein Reiseführer (der zudem zu bezahlen sei) regelmäßig erst nach der Entscheidung für ein Zielgebiet erworben würde.

Auch könne kein überlegener Wissensvorsprung des Reiseveranstalters eine Informationspflicht begründen, selbst wenn die Beklagte in Ecuador eine Reiseleitung unterhalte. So habe nach Angaben der Klägerin der Reiseleiter erklärt, dass die herrschenden klimatischen Verhältnisse im Dezember in Ecuador „normal“ seien, was zudem auch mit Angaben im Internet korrespondiere, wonach es in Ecuador in den nördlichen Küstenregionen mit tropischen Monsumklima eine ausgeprägte Regenzeit von Dezember bzw. Januar bis Mai und im Andenhochland zwar keine ausgeprägte Regenzeit gäbe, allerdings die Monate November bis Mai als die regenreichsten (mit häufigen Regen nachmittags) gelten würden. Das OLG verwies auf Wikipedia, wetter-atlas.de und wetterkontor.de.   In der Regenzeit könne es auch wiederholt zu Starkregen kommen, der auch länger anhalten könne und je nach damit verbundener Luftabkühlung mit starker Nebelbildung verbunden sein. Dies sei Mitgliedern des Senats bekannt, die zu Regenzeiten in Lateinamerika gewesen seien.

Damit ließe sich eine Beratungspflicht des Reiseveranstalters hinsichtlich örtlich üblicher Witterungsbedingungen im Reisemonat auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, dass es sich um eine recht hochpreisige Reise gehandelt habe. Bestimmend für den Reisepreis sei primär gewesen, dass es sich gemäß der Reisebeschreibung um eine exklusive Privatreise der Klägerin und ihres Mitreisenden gehandelt habe und die Flugreise als sogen. Gabelflug in der Business-Class (mit Ausnahme des Inlandfluges) erfolgt sei, weshalb auch eine Störung des Äquivalenzverhältnisses angenommen werden könne, wenn von der Klägerin eigene Recherchetätigkeiten im Hinblick auf Witterungsverhältnisse im Zielgebiet erwartet würden.

Auch der Umstand, dass die Beklagte mit Vertragsabschluss die ordnungsgemäße Durchführung der Reiseleitung versprach, trage nicht. Denn die Witterungsverhältnisse hätten der Erbringung der in der Reisebeschreibung benannten Programmpunkten (mit Ausnahme der Durchquerung der Fledermaushöhle, für deren Entfallen das Landgericht eine Minderung zuerkannt hatte) nicht entgegengestanden. Der Charakter einer beschriebenen Erlebnisreise sei erhalten geblieben.

In dem die Berufung zurückweisenden vorangegangenen Hinweisbeschluss vom 13.06.2023 wies das OLG darauf hin, dass zu witterungsbedingten Verhältnissen etwas anders gelten würde, wenn sich für den Reisezeitraum eine atypische, unvorhergesehenen Wetterlage abzeichne und auf die vereinbarte Reiseleistung auswirken würde (so die Durchführbarkeit geplanter Fahrten oder Wanderungen). Insoweit treffe den Reiseveranstalter eine Erkundigungs- und Umweltbeobachtungspflicht und daraus abgeleitet eine Informationspflicht gegenüber dem Reisenden. Das aber läge hier nach dem Vortrag der Klägerin nicht vor.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.08.2023 - 16 U 54/23 -

Montag, 9. Mai 2022

Paktdienstleister: Allgemeine Geschäftsbedingungen zum Weisungsrecht des Versenders und zur Art der Zustellung

Der BGH hatte sich in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (Klägerin) mit deren Antrag auf Unterlassung von bestimmten Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Paktdienstleisters gegenüber Verbrauchern auseinanderzusetzen. Zwei dieser Klauseln sind Gegenstand dieser Darstellung, von denen eine Klausel für wirksam, die andere Klausel für unwirksam angesehen wurde.

1. Wirksam ist nach Auffassung des BGH die Klausel 2.3 der AGB:

„Weisungen, die nach Übergabe der Pakete vom Versender erteilt worden sind, müssen nicht befolgt werden. Die §§ 418 Abs. 1 bis 5 und 419 HGB finden keine Anwendung.“

Das OLG Frankfurt hatte Ergebnis diese Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des Verbrauchers als unwirksam angesehen. Zutreffend habe das OLG nach Ansicht des BGH die Regelung unter Klausel 2.3 im Ergebnis als vollständige Abbedingung des Weisungsrechts des Absenders eingestuft. Anders als vom OLG angenommen, käme es hier nicht auf die kundenfeindlichste Auslegung an, da schon nach dem klaren Wortlaut ein vollständiger Ausschluss der in §§ 418, 419 HGB benannten Rechte des Absenders gegeben sei.

Allerdings sei dieser Ausschluss hier entgegen der Annahme des OLG wirksam. Dies vor dem Hintergrund, dass es sich bei der in Rede stehenden Besorgung von Paketversendungen um ein Massengeschäft handele. § 418 Abs. 1 S. 1 HGB eröffne dem Absender die Möglichkeit über das Gut nach Übergabe an den Frachtführer zu verfügen. So könne er u.a. könne nach § 418 Abs. 1 S. 2 HGB verlangen, dass das Gut nicht weiterbefördert wird oder an einen anderen Bestimmungsort und/oder Empfänger befördert wird. Allerdings sei der Frachtführer nach diesen Regelungen nur insoweit verpflichtet der Weisung zu folgen, als deren Ausführung weder Nachteile für den Betrieb seines Unternehmens noch Schäden für die Absender oder Empfänger anderer Sendungen bringe (§ 418 Abs. 1 S. 3 HGB) und zudem Ersatz der durch die Weisung entstehenden Aufwendungen sowie einen Vorschuss darauf verlangen. Ähnliches gelte auch im Rahmen des § 419 HGB, der eine Nachfrageobliegenheit des Frachtführers vorsieht.

Durch den Ausschluss der Rechte nach §§ 418, 419 HGB würde der Verbraucher bei der Versendung von Paketen im Massengeschäft nicht unangemessen benachteiligt. Eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB läge vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht zu vereinbaren sei. Sei die Abweichung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck anderweitig sichergestellt, läge Unangemessenheit nicht vor.

Zwar stünde die Regelung in den AGB im Widerspruch zu § 418 Abs. 1 HGB. Allerdings läge eine sachliche Rechtfertigung vor. Die Regelungen in §§ 418, 419 HGB seien auf ein praktisches Bedürfnis bei Transporten längerer Dauer ausgerichtet, bei denen sich während der Transportdauer des Gutes Veränderungen gegenüber den Umständen bei Absendung ergeben könnten. Hier allerdings würde ein Massentransport von kurzer Dauer (möglichst innerhalb von 24 Stunden) zu niedrigen Preisen erfolgen. Daher sei offenkundig, dass nachträgliche Weisungen bei der Vielzahl von Absendern und der großen Anzahl von Paketsendungen Nachteile für den Betrieb der Beklagten die Folge wären und ebenso die Schnelligkeit der Transporte beeinträchtigen würde. Deshalb sei zur Vereinfachung der Betriebsabläufe der Ausschluss eines nachträglichen Weisungsrechts geeignet und verhältnismäßig; auch erweise sich eine Befolgung von nachträglichen Weisungen während des laufenden Beförderungsvorgangs angesichts der kurzen Beförderungsdauer als tatsächlich nahezu unmöglich. Es würde mit der Klausel bei dem von der Beklagten betriebenen Pakettransport für jedermann und Auslegung dieser Transporte auf eine schnelle und kostengünstige Beförderung nicht in wesentliche Rechte des Verbrauchers eingegriffen, da - im Gegenteil - die Prüfung von nachträglichen Weisungen den Vertragszweck gefährden würde.

2. Die Klausel 2.5.5

„Hat der Empfänger G. eine Abstellgenehmigung erteilt, gilt das Paket als zugestellt, wenn es an der in der Genehmigung bezeichneten Stelle abgestellt worden ist.“

hatte das OLG als wirksam angesehen. Anders der BGH.

Zwischenanmerkung: Es handelt sich hier nicht um einen der häufig vorkommenden Fälle, dass der Paktzusteller (ohne dass eine Einwilligung des Empfängers vorliegt) das Paket vor der Haus-, Wohnungs- oder Geschäftsraumtür (im Treppenhaus) abstellt, ein leider immer wieder vorkommender Fall. Vielmehr hat der Empfänger in dem der Klausel zugrunde liegenden Fall dem Paketzusteller eine bestimmte Stelle angegeben, an der das Paket, wenn er nicht angetroffen wird, abstellen kann.

Dass das Abstellen des Pakets an irgendeiner Stelle vor dem Haus oder in einem Mehrparteienhaus unzulässig ist, bedarf keiner Erörterung. Unabhängig davon hält der BGH aber auch die hier fragliche Klausel, nach der ein Abstellen an einem mit dem Empfänger vereinbarten Ort als Zustellung (Zugang) gilt, für unwirksam, da diese Regelung nach Empfänger nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen dne Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige.

Die Klausel als solche sei klar und verständlich und verstoße daher nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Allerdings würde sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, da sie nicht vorsähe, dass der Empfänger von der Bereitstellung des Pakets an der Ablieferungsstelle und dem Zeitpunkt der Abstellung in Kenntnis gesetzt würde.

Grundsätzlich seien Pakete nach § 3 Nr. 3 S. 1 PUDLV zuzustellen, sofern der Empfänger nicht erklärt habe, dass er die Sendung abholen wolle. Die Zustellung habe an der in der Anschrift benannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch Aushändigung an den Empfänger oder einen Ersatzempfänger zu erfolgen, soweit nicht gegenteilige Weisungen des Absenders oder Empfängers vorlägen (§ 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV). Nach § 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV würden aber Absender oder Empfänger die Weisung erteilen, dass auch in anderer Weise als durch persönliche Aushändigung an den Empfänger oder eine empfangsberechtigte Person an der in der Anschrift genannten Wohn- oder Geschäftsadresse zustellen.

Die Art und Weise der Zustellung in einem Fall des § 3 Nr. 3 PUDLV sei dort nicht geregelt. Die Zulassung der Form der Zustellung entspräche grundsätzlich den Interessen des Versenders, Beförderers und Empfängers, da dies die Zustellung beschleunige und vereinfache. Sie bedeute aber auch die Gefahr, dass ein Unbefugter die Sendung an sich nehme; es läge in der Natur der Sache, dass als Abstellort ein allgemein zugänglicher Ort - da er auch für den Frachtführer erreichbar sein müsse - gewählt würde. Das Risiko sei dann besonders groß, wenn die Abstellgenehmigung nicht nur für eine konkrete Lieferung erfolge, sondern für eine Vielzahl von Fällen. In diesen Fällen müsse gewährleistet werden, dass der Empfänger von einer bestimmten Sendung erfahre und in Kenntnis gesetzt würde, dass er sie an der in der Genehmigung benannten Stelle in Besitz nehmen könne. Nur so sei gewährleistet, dass der Empfänger in der Lage ist, die Sendung bald an sich zu nehmen, bevor es ein unberechtigter Dritter tut.

Die Erfüllung dieser Verpflichtung sei der Beklagten auch möglich. Nach der Lebenserfahrung würden dem Paketzusteller Abstellgenehmigungen elektronisch erteilt, weshalb er in der Lage sei, auf demselben Weg eine Benachrichtigung dem Empfänger zuzuleiten.  

BGH, Urteil vom 07.04.2022 - I ZR 212/ 20 -

Sonntag, 6. Februar 2022

Neuer Vortrag zur Art der kausalen ärztlichen Fehlbehandlung im Berufungsverfahren mit Bezug auf medizinisches Privatgutachten

Der Kläger klagte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Arzt wegen angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung mit der Folge einer Beinlähmung ein. Er behauptete in 1. Instanz vor dem Landgericht Fehler des Beklagten im Zusammenhang mit einer Ansteckung VZV, einem Herpes-Virus. Das Landgericht wies die Klage ab. Nunmehr holte der Kläger ein medizinisches Privatgutachten ein und stütze seine Berufung gegen das Urteil unter Bezugnahme auf dieses Gutachten darauf, er habe an einer Neuro- bzw. Lymeberreliose gelitten, was der Beklagte übersehen habe. Dies hätte der Beklagte erkenn können und müssen und sei behandlungsfehlerhaft nicht erkannt worden sowie die Diagnosen von ihm seien falsch gewesen. Er habe neben der (negativen) serologischen Befundung zu einer Borreliose weitere Befunde erheben müssen, was er pflichtwidrig unterlassen habe, bei deren Vornahme aber Borreliose erkannt worden wäre. In Ansehung der richtigen Diagnose sei das verordnete hochdosierte Cortison kontraindiziert gewesen und ursächlich für die vom Kläger geklagte Beinlähmung. Zudem sei er über die Risiken der Cortisonbehandlung nicht aufgeklärt worden.

Zunächst musste sich das OLG der Frage widmen, ob der Kläger mit seinem neuen Vortrag zugelassen werden konnte, bevor es - bei Bejahung – klären musste, ob sich daraus ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten herleiten lässt.

Das OLG hat auf sich beruhen lassen, ob – wie klägerseits geltend gemacht – in dem Vortrag im Berufungsverfahren, er habe im Behandlungszeitraum an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten (gestützt auf das zwischenzeitlich eingeholte Privatgutachten) lediglich eine Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages lag oder ob es sich um neuen Sachvortrag iSv. § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Nach Auffassung des OLG bedurfte es dazu keiner Entscheidung, da bei Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages dieser ohnehin zuzulassen wäre, aber auch dann, wenn man ihn als „neues Vorbringen“ ansehen würde, dies einer Zulassung nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegenstehen würde. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO ist neuer Vortrag zuzulassen, wenn das Unterlassen des Vortrages in er 1. Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht. Eine Nachlässigkeit des Klägers verneinte das OLG.

Jede Partei sei schon im ersten Rechtszug gehalten, die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt seien oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande gewesen seien. Der gebotene Sorgfaltsmaßstab sei einfache Fahrlässigkeit. Allerdings dürften in einem Arzthaftungsprozess an eine Substantiierungsverpflichtung des Patienten nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, was auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten gelte. Deshalb seien die Parteien nicht gehalten, bereits in 1. Instanz ihre Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf einen eingeholten sachverständigen Rat zu stützen oder selbst (oder durch Dritte) in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erheben (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 -). Dem würde nicht entgegenstehen, dass der Privatgutachter des Klägers kein Facharzt für Neurologie sei. Da selbst eigene Recherchen des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten in medizinischer Fachliteratur ausreichen würden, um den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zu genügen (BGH aaO.), dann müsse dies erst recht für Vorbringen gelten, welches sich auf ein medizinisches Gutachten gelten, auch wenn der privat beauftragte ärztliche Gutachter nicht dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers maßgeblichen Fachgebiet angehöre.

Damit brachte das OLG deutlich zum Ausdruck, dass das erstinstanzliche Abstellen auf bestimmte ärztliche Fehler nicht ein Abstellen im Berufungsverfahren auf anderweitige Fehler hindert, da der Kläger im Arzthaftungsprozess nicht veranlasst ist, sich bereits vorab ein eigenes medizinisches Gutachten zu besorgen bzw. sich in die medizinische Fachliteratur einzulesen; erfolge dies erst im Zusammenhang mit der von ihm gegen ein klageabweisendes Urteil eingelegten Berufung, liegt darin keine diesen neuen Sachvortrag ausschließende Nachlässigkeit iSv. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.

Allerdings wies das OLG die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Nach Beweisaufnahme durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens kam es zum Ergebnis, dass mir hoher Wahrscheinlichkeit Borreliose zum Zeitpunkt der streitbefangenen Behandlung noch nicht vorlag. Es habe auch nicht darüber befinden müssen, ob der Beklagte im Zusammenhang mit der Cortisonbehandlung eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt habe, da diese jedenfalls nicht zu einem Schaden geführt habe; die gerichtlich bestellten Sachverständigen hätten darauf hingewiesen, dass Schäden durch eine Cortisonbehandlung in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert seien.

OLG Dresden, Urteil vom 14.09.2021 - 4 U 1771/20 -

Donnerstag, 16. Dezember 2021

Verharmlosung von Vorschäden in der Kaskoversicherung und Leistungsfreiheit nach § 28 VVG

Der Kläger nahm die beklagte Kaskoversicherung nach einem Unfall vom 02.12.2018 in Anspruch. Das Fahrzeug hatte einen Vorschaden vom 28.03.2018, von dem die ganze rechte Fahrzeugseite betroffen gewesen war, die nun auch im Rahmen des Unfalls betroffen sei, aus dem heraus der Kläger die Versicherung in Anspruch nahm. Der Kläger behauptete, ihm seien Vorschäden nicht bekannt gewesen, er habe den Wagen als Gebrauchtwagen erworben.

Das OLG wies darauf hin, dass bei Vorschäden in dem erneut beschädigten Bereich und bei bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens vom Geschädigten ausgeschlossen werden müsse, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs aus dem Vorunfall noch vorhanden sind (KG, Urteil vom 27.08.2015 – 22 U 152/14; OLG Düsseldorf vom 06.02.2016 – 1 U 158/05; OLG Hamm, Beschluss vom 01.02.2013 – 9 U 238/12 -) . Dazu müsse der Geschädigte zur Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur (welche Reparaturschritte wurden mit welchen Materialien/Ersatzteilen durchgeführt) vortragen.

Dem sei der Kläger nicht ausreichend nachgekommen. Er habe in Bezug auf die im Gutachten vom 28.03.2018 benannten Schäden nicht im Ansatz dargelegt, in welcher Art und Weise die Reparatur erfolgt sei (obwohl er dies exakt hätte darlegen müssen); auch eine aussagekräftige Reparaturrechnung über den Vorschaden sei nicht vorgelegt worden (was dann offenbar und verständlicherweise den Anforderungen entsprochen hätte). Zweifel an der fach- und sachgerechten Reparatur würden sich aus einem Gutachten im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ergeben, da nach den dortigen Angaben die Lackschichtdichten teilweise erheblich voneinander abweichen würden.

Der Umstand, dass dem Kläger die Vorschäden nicht bekannt gewesen seien, würde ihn nicht entlasten. Dies würde nicht in den Verantwortungsbereich eines Schädigers fallen (KG aaO.; OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2013 – I-11 U 214/13 -). Der Kläger hätte hier entsprechende Auskünfte vom Vorbesitzer einholen müssen. Dies habe er nicht getan, weshalb seien Klage abzuweisen sei.

Zutreffend habe das Landgericht eine Leistungsfreiheit des verklagten Kaskoversicherers nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG iVm. Teil B Ziffer 2 (2) AKB wegen vorsätzlicher (arglistiger) Verletzung der den Kläger treffenden Aufklärungspflicht ausgehen können. Der Kläger habe den Sachverständigen (eingeschaltet bei dem streitigen Unfall) nur teilweise („verharmlosend) über den Vorschaden informiert und damit die Beklagte nur unzureichend über diesen, den Wert des Fahrzeugs maßgeblich bestimmenden Umstand aufgeklärt und im Ergebnis den Sachverständigen über den Umfang der Vorschäden getäuscht. Dass diese Umstände für den Sachverständigen von erheblicher Bedeutung gewesen seien, hätte sich dem Kläger geradezu aufdrängen müssen. Nach Erhalt des Gutachtens vom 05.12.2018 hätte der Kläger erkennen können, dass der Sachverständige von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei, da in dem Gutachten nur Vorschäden hinten rechts benannt wurden. Dies stelle eine Bagatellisierung der sich aus dem Gutachten vom 28.03.2018 ersichtlichen Schäden dar.

Nach dem Hinweisbeschluss (§ 522 ZPO) nahm der Kläger seien Berufung gegen das klageabweisende Urteil zurück.

OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 28.07.2021 - 12 U 353/21 -

Sonntag, 13. November 2016

Haftung des Versicherungsmakler: Zum Inhalt und Umfang der Beratungs- und Aufklärungspflicht

Der Versicherungsmakler ist Vertreter des Versicherungsnehmers; mit seiner Hilfe will der (künftige) Versicherungsnehmers eine auf seine Bedürfnisse geschnittene Versicherung abschließen. So zumindest die Idealvorstellung.

Die Klägerin machte gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend, nachdem es bei ihr infolge eines Fehlalarms zur Auslösung der Sprinkleranlage kam und dadurch die Halle mit Löschschaum gefüllt wurde. Dadurch seien von der Betriebsunterbrechungsversicherung nicht gedeckte Schäden von mehr als € 10 Mio. entstanden. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Auf die Revision erfolgte die Zurückverweisung an das OLG.

Grundlage eines möglichen Anspruchs gegen den Versicherungsmakler ist § 280 Abs. 1 BGB (heute als lex specialis §§ 59ff VVG, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitigen Maklervertrages noch nicht galten). Zu den Pflichten des Versicherungsmakler führte der BGH aus, dieser sei Vertrauter und Berater des Versicherungsnehmers; er müssen für diesen individuellen, auf das entsprechende Objekt passenden Versicherungsschutz besorgen, oft kurzfrostig. Von daher würde er über einen Geschäftsbesorgungsvertrag meist zur Tätigkeit für den Versicherungsnehmers, auch zum Abschluss des Vertrages,  verpflichtet. Der Versicherungsmakler würde von sich aus das Risiko untersuchen und das Objekt prüfen und den Versicherungsnehmer als seinen Auftraggeber stets unterrichtet halten. Vor diesem Hintergrund könne der Versicherungsmakler als treuhändlerähnlicher Sachwalter des Versicherungsnehmers bezeichnet werden und mit einem sonstigen Berater verglichen werden. Dies unabhängig davon, ob die Provision des Versicherungsmaklers von dem Versicherer getragen würde.

Es sei vorliegend nicht erwiesen, dass die Klägerin von der Beklagten die Vermittlung eines umfassenden, alle Risiken abdeckenden Versicherungsschutzes bei der Betriebsunterbrechungsversicherung verlangt habe. Entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts würde dies aber einem Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht entgegenstehen. Zwar sei von der beklagte darauf hingewiesen worden, dass gegenüber der Klägerin Versicherungslücken aufgezeigt worden wären. Allerdings erfülle der Versicherungsmakler seine Pflicht nicht alleine dadurch, dass er auf alle Risiken hinweist und anrät, gegen alle diese Risiken zu versichern. Vielmehr bestünde die pflichtgemäße Beratung in einem am konkreten Bedarf des Versicherungsnehmers orientierten Hinweis auf eine sach- und interessengerechte Versicherung und darüber hinaus in einer Information über die dafür erforderlichen Kosten. Entsprechendes sei von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Da in der Betriebsunterbrechungsversicherung eine Vielzahl von Risiken einzeln wie auch zusammen versicherbar wären, wäre die Empfehlung, alle Unternehmen der Gruppe gegen alle Risiken zu versichern, verfehlt und ersichtlich nicht sachgerecht.

Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherungsnehmer unmissverständlich klar macht, dass er keine weitere Beratung wolle und darauf verzichte.

Dem Versicherungsmakler trifft für die Erfüllung der Aufklärungs- und Beratungspflicht die sekundäre Beweislast, für einen Verzicht des Versicherungsnehmers die Darlegungs- und Beweislast.


BGH, Urteil vom 10.03.2016 – I ZR 147/14 -