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Dienstag, 20. August 2024

Räumungsfrist Wohnraum: Wann kann diese verlängert werden ?

Wird ein Wohnraummietverhältnis gekündigt und der Mieter zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt, kann der Mieter einen Antrag auf Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist stellen, § 721 Abs. 1 ZPO. Auf Antrag kann diese Freist verlängert und verkürzt werden, § 571 Abs. 3 S. 1 ZPO. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren hatte der Vermieter gegen einen einem entsprechenden stattgebenden Beschluss über die Verlängerung der Räumungsfrist durch das Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Dieser gab das Landgericht als Beschwerdegericht statt.

Der Anspruch auf Verlängerung der Frist würde insbesondere dann bestehen, wenn die Suche nach Ersatzwohnraum während der ursprünglich gewährten Räumungsfrist trotz hinreichender Bemühungen des Mieters erfolglos war.

Vorliegend hatte der Kläger (Vermieter) auf den Verlängerungsantrag des Beklagten (Mieters) sowohl die von dem Mieter behaupteten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wie auch Bemühungen des Beklagten um Ersatzwohnraum bestritten. Da der Berliner Wohnungsraum „gerichtsbekannt angespannt sei, gab das Amtsgericht dem Verlängerungsantrag statt.

Das sei nicht frei von Verfahrensfehlern, da dem Mieter wie bei § 573 Abs. 2 BGB (Widerspruch des Mieters gegen eine Eigenbedarfskündigung, wenn diese für ihn und seine Familie angemessener Ersatzwohnraum nicht zu zumutbaren Bedingungen beschafft werden kann) die Darlegungs- und Beweislast zu den Voraussetzungen für die Verlängerung nach § 721 Abs. 3 obliege. Auch wenn keine für den Mieter unüberwindlichen Anforderungen daran gestellt werden dürften, müsse das Gericht bei gegenläufigen Sachvortrag die von den Parteien dazu angebotenen Beweise erheben. Nicht ausreichend sei ein Verweis auf eine angeblich gerichtsbekannte Lage am Wohnungsmarkt  (BGH, Urteil vom 22.05.2019 - VIII ZR 180/18 - zu § 574 Abs. 2 BGB,  was auch  für § 721 Abs. 3 ZPO gelte. Das habe das Amtsgericht nicht beachtet.

Das Amtsgericht werde bei der nunmehr nach § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessensabwägung unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags zu befinden haben, ob dem Beklagten bei hinreichender eine Anmietung von Ersatzwohnraum tatsächlich innerhalb der ursprünglichen Räumungsfrist unmöglich gewesen wäre und dabei abklären müssen, on sich der Beklagte tatsächlich in der ursprünglichen Räumungsfrist um Ersatzwohnraum  bemüht habe. Zu Recht habe der Kläger gerügt, dass der Beklagte keinerlei Unterlagen vorgelegt habe, wobei auch zu beachten sei, dass die Einreichung alleine von Bewerbungsunterlagen durch den Beklagten noch nicht den Beweis erbringen würde, dass diesen Unterlagen tatsächliche Bewerbungsbemühungen zugrunde liegen würden.

Anmerkung: Die Entscheidung des LG Berlin ist zu begrüßen. Häufig erfolgen die Fristverlängerungen bereits bei pauschalen Vortrag oder bei Vorlage nicht aussagekräftiger Unterlagen. Bewerbungsschreiben als solches reichen nicht, da nicht einmal sichergestellt ist, dass diese tatsächlich versandt wurden. Der Mieter kann Ablehnungsschreiben vorlegen oder sich auf das Zeugnis von potentiellen Vermietern beziehen, dass – und ggf. weshalb – diese den Mietinteressenten nicht berücksichtigten.

LG Berlin II, Beschluss vom 17.02.2024 - 67 T 108/23 -

Sonntag, 6. August 2023

Reparatur in eigener Werkstatt, fiktive Schadensberechnung und Unternehmensgewinn

Die Klägerin, deren Fahrzeug einen Unfallschaden erlitt, war Betreiberin einer eigenen, gewinnorientierten Kfz-Werkstatt. Nach dem Verkehrsunfall veräußerte sie das unreparierte Fahrzeug.  Sie machte gegen die beklagte Haftpflichtversicherung des den Verkehrsunfall alleine verursachenden Fahrzeugs fiktiven Schadenersatz (berechnet auf Basis eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens) geltend. Die Haftpflichtversicherung zog von dem Schadensbetrag 20% mit Hinweis darauf ab, dabei handele es sich um den (unterstellten) Unternehmensgewinn der Klägerin, der dieser nicht zustehe, da ihr Reparaturbetrieb nicht ausgelastet gewesen sei. Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr statt und ließ dies Revision zu. Die von der Klägerin eingelegte Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Zunächst fasste der BGH die Grundsätze zusammen, nach denen der Geschädigte im Rahmen fiktiven Schadensersatzes nach einem Verkehrsunfall den Unternehmensgewinn als Teil der Reparaturkosten ersetzt verlangen kann.

Nach § 249 Abs. 1 BGB habe der Schädiger den Zustand wiederherzustellen, der dem Zustand ohne das Schadenereignis entspräche. Er könne bei der Beschädigung einer Sache gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB statt der Herstellung auch den dazu erforderlichen Geldbetrag leisten. Der Geschädigte wäre infolge seiner Dispositionsfreiheit in der Verwendung der von ihm vom Schädiger verlangten Mittel frei, sei also insbesondere nicht zur Reparatur verpflichtet (BGH, Urteil vom 17.09.2019 - VI ZR 396/18 - mwN.). Allerdings habe der Geschädigte unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten diejenige zu wählen, die den geringeren Aufwand erfordere; nur der für diese Art der Schadensbehebung notwendige Geldbetrag sei im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -).

Dies bezeichnet der BGH als Wirtschaftlichkeitsgebot, welches allerdings nicht absolut gelte, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage. Nähme der Geschädigte die Schadensbehebung selbst vor, sei im Rahmen der sogen. subjektbezogenen Schadensbetrachtung der zur Herstellung erforderliche Aufwand nach der besonderen Situation des Geschädigten zu bemessen. Auf seine evtl. beschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie für ihn bestehende Schwierigkeiten sei zu seinen Gunsten Rücksicht zu nehmen. Andererseits sei zugunsten des Schädigers darauf Rücksicht zu nehmen, wenn der Geschädigte über besondere Expertise, erhöhte Einflussmöglichkeiten oder sonstige Vorteile oder Erleichterungen verfüge, was sich anspruchsverkürzend für den Geschädigten auswirken könne (BGH vom 19.10.2019 - VI ZR 45/19 -).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze habe der Geschädigte regelmäßig Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, on er das Fahrzeug voll oder minderwertig oder gar nicht reparieren lasse. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot genüge der Geschädigte idR., wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze Ersatzteilkosten auf dem allgemeinen regionalen Markt einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde lege. Die so ermittelten Reparaturkosten würden auch demjenigen zustehen, der kraft eigener Fähigkeiten oder aus sonstigen individuellen Gründen zu einer kostengünstigeren Eigenreparatur imstande sei (BGH, Urteil vom 16.05.1970 - VI ZR 168/69 -).

Auch wenn der Geschädigte einen eigenen auf Gewinnerzielung ausgerichteten Reparaturbetrieb führe, habe er Anspruch auf diese Kosten einschließlich des darin enthaltenen Gewinnanteils des Reparaturbetriebes. Nach dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB müsse sich der Geschädigte allerdings in diesem Fall auf eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit in seiner eigenen Werkstatt verweisen und es ihm zumutbar sei, ansonsten ungenutzte Kapazitäten für die notwendige Reparatur zu nutzen lassen, wenn sein Betrieb nicht ausgelastet sei (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 363/12 -). Würde man in einem solchen Fall § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nicht anwenden, stünde der Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung besser als er bei einer konkreten Schadensberechnung (Durchführung der Reparatur und Geltendmachung der Kosten) stehen würde (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -), weshalb auch bei der fiktiven Abrechnung (wie bei der konkreten Schadensabrechnung) die konkrete Ausgangssituation der Werkstatt des Geschädigten zu berücksichtigen sei.

Die Darlegungs- und Beweislast zu § 254 BGB trifft allerdings auch hier dem Schädiger. Da es sich aber um Umstände außerhalb der Sphäre des Geschädigten handele, obliege dem Schädigten eine sekundäre Darlegungslast, seine betriebliche Auslastungssituation darzustellen (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 363/12 -) und ggf. Umstände anzuzeigen, die eine Reparatur in der eigenen Werkstatt unzumutbar erscheinen lassen würden. Vom Geschädigten aufgezeigte Umstände habe der Schädiger zu widerlegen.

Nach diesen Grundsätzen verneinte der BGH einen Anspruch der Klägerin auf den Unternehmensgewinn.

Grundsätzlich könne die Klägerin fiktiv abrechnen und, obwohl sie einen gewinnorientierten Reparaturbetrieb betreibe, eine Abrechnung auf Basis des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens vornehmen.  Allerdings müsse sich hier die Klägerin aus der ihr obliegenden Schadensminderungspflicht heraus auf eine Reparaturmöglichkeit in der eigenen Werkstatt verweisen lassen. Danach könne offen bleiben ob (wie vom Berufungsgericht angenommen) für die Auslastungssituation des Betriebs der maßgebliche Zeitraum mit der Veräußerung des Fahrzeugs ende, denn die Klägerin habe zu dieser nichts vorgetragen und auch keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die gegen die Anwendung des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB sprechen würden.

Zu Recht habe das Berufungsgericht eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin zu dem Einwand der beklagten Versicherung, die Klägerin könne aufgrund freier Kapazitäten in der eigenen Werkstatt den Unternehmensgewinn nicht verlangen, angenommen. Dem Geschädigten dürfe bei seiner Darlegungslast nichts Unmögliches abverlangt werden. Er könne beanspruchen, dass der Geschädigte an der Beweisführung mitwirke, soweit es sich um Umstände aus seiner Sphäre handele (BGH, Urteil vom 20.07.2006 - IX ZR 94/03 -). Dieser sekundären Darlegungslast zur Auslastungssituation sei die Klägerin nicht nachgekommen. Die beklagte Versicherung habe nicht aus eigenem Wissen zur Dauer der Reparatur noch dazu, wann der Weiterverkauf erfolgt sei, vortragen können. Nur die (Anm.: voraussichtliche) Reparaturdauer habe sich aus dem klägerseits vorgelegten Sachverständigengutachten (Grundlage der fiktiven Schadensabrechnung) ergeben; zu allen anderen Umständen stünde die beklagte Versicherung - anders als die Klägerin - außerhalb des Geschehensablaufs und verfüge über keine Erkenntnismöglichkeiten für einen konkreten Vortrag, der der Klägerin möglich und zumutbar gewesen wäre.

BGH, Urteil vom 26.05.2023 - VI ZR 274/22 -

Samstag, 15. April 2023

WEG: Unplausible Jahresabrechnung und unzulässige Rechnungsabgrenzung

Angefochten war hier u.a. ein Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) über eine Jahresabrechnung 2020 mit Nachschüssen und Vorschüssen. Geltend gemacht wurde von der Klägerin, dass die Jahresabrechnung nicht plausibel sei. Die Klage hatte im Berufungsrechtzug Erfolg, insoweit der Beschluss zu den Nachschüssen und der Anpassung der Vorschüsse (mit Ausnahme für Erhaltungsaufwendungen) für unwirksam erklärt wurde.

Die sich aus der Jahresabrechnung ableitenden Nachschüsse und Vorschüsse könnten (mit Wirksamkeit des WEMoG) nicht alleine deshalb als ungültig erklärt werden, da die Jahresabrechnung zunächst nicht nachvollziehbar sei. Allerdings verliere sie ihre Funktion ihre Funktion, nach § 28 Abs. 2 WEG, die Beschlussfassung über die Anpassung der Vorschüsse und das Einfordern von Nachschüssen vorzubereiten. Ließe sich aus den Anfangs- und Endbeständen der Konten die nicht nachvollziehen, ob alle in der Abrechnung enthaltenen Einnahmen und Ausgaben erfasst wurden, sei die Abrechnung nicht plausibel (BGH, Urteil vom 25.09.2020 - V ZR 80/19 -). Eine Abrechnung müsse für den durchschnittlichen Wohnungseigentümer verständlich sein, ohne dass er fachlicher Unterstützung bedarf (BGH, Urteil vom27.10.2017 - V ZR 189/16 -). Mit dem Verweis auf die fehlende Plausibilität käme der anfechtende Wohnungseigentümer seiner Darlegungslast nach, mit der auch Zweifel an der Richtigkeit er angepassten Vorschüsse sowie der Nachschüsse geltend gemacht werden. Es obläge nunmehr der WEG im Rahmen der sekundären Darlegungslast, darrzulegen, weshalb die beschlossenen Abrechnungsspitzen doch zutreffend sind. Gelinge es der WEG nicht, die fehlende Ergebnisrelevanz von Abrechnungsmängeln darzulegen oder stünde gar fest, dass sich Mängel in Einzelabrechnungen auf die Höhe der Naschschüsse oder der Anpassung der Vorschüsse auswirken, sei die Ungültigkeit dieses die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse betreffenden Beschlusses festzustellen.   

Aus der Gesamtabrechnung habe sich ergeben, dass diese sich auf die Abrechnungsspitzen auswirkende Defizite aufwies: So wurden in den für den Beschluss über die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse relevante Einzelabrechnungen zu den Positionen Allgemeinstrom, Heizung/Wasser, Wasser/Kanal und Kabelkosten Rechnungsabgrenzungen vorgenommen, indem noch Einnahmen und Ausgaben nach Ablauf des Abrechnungszeitraums einbezogen wurden, die zwar evtl. wirtschaftlich dem Jahr 2020 zugehörig waren, aber nicht 2020 angefallen waren. Eine derartige Rechnungsabgrenzung sei (mit Ausnahme der Verteilung nach der HeizkostenV) unzulässig (BGH, Urteil vom 16.07.2021 - V ZR 163/20 -). 

Daraus folge die Ungültigkeitserklärung, die allerdings nur die laufenden Kosten der Bewirtschaftung beträfe.  Soweit der Beschluss auch die Anpassung der Vorschüsse der Rücklagen erfasse (hier: Erhaltungsrücklagen, § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG) bestünde kein Anlass zur Ungültigkeitserklärung, da sich darauf der Fehler bei der Berechnung der Bewirtschaftungskosten nicht auswirke. Der Beschluss sei - wie nach altem Recht - trennbar. 

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.03.2023 - 2-13 S 68/22 -

Donnerstag, 6. Oktober 2022

Arzthaftung: Anhörung des Patienten zum Entscheidungskonflikt bei korrekter Aufklärung

Der Kläger wurde vom beklagten Augenarzt behandelt. Es erfolgte ein refraktiver Eingriff bei Kurzsichtigkeit. In Vollnarkose erfolgte eine LASIK-Laserbehandlung, bei der es infolge des Kneifens des Auges zu einer Dezentrierung des Laserschnitts kam. Der Beklagte brach daraufhin die LASIK-Behandlung ab und führte  eine photoreaktive EXCIMER-Laserbehandlung (PRK) durch. Einige Zeit später behandelte er das andere Auge des Klägers ebenfalls eine Revisions-PRK durch.  Der Kläger machte fortbestehende Sehbeschwerden und Augentrockenheit als Folge der Behandlung geltend; er rügte eine vom Beklagten unterlassene Aufklärung über die Risiken der Operation. Das Landgericht wies die Klage ab; die Berufung des Klägers wurde mit Beschluss nach § 522 ZPO zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bei dem BGH wurde der Beschluss des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

Das OLG unterstellte zugunsten des Klägers eine unterlassene Aufklärung des Klägers über die Risiken einer PRK-Operationstechnik, ferner, dass es sich dabei um eine Behandlungsalternative zum LASIK-Verfahren handele. Eine Anhörung des Klägers sei nicht erforderlich, da eine hypothetische Einwilligung des Klägers vorläge; einen Entscheidungskonflikt habe der Kläger nicht plausibel schriftsätzlich dargelegt. Diese Ausführungen des OLG, so der BGH, würden den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) entscheidungserheblich verletzen.

Genüge die ärztliche Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen könne der behandelnde Arzt geltend machen, dass der Patient auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die verwandte Behandlungsmethode eingewilligt hätte, § 630h Abs. 2 S. 2 BGB. Die Nachweispflicht dafür obläge dem Arzt. Allerdings setze dies voraus, dass zuvor der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel mache, dass er bei einer rechtzeitigen ordnungsgemäßen Aufklärung über Risiken des Eingriffs vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (so bereits BGH, Urteil vom 21.05.2019 - VI ZR 119/18 -). Dabei könnten an die Substantiierungsanforderung zu einem solchen Konflikt keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Entscheidend sei die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten; nicht käme es darauf an, was aus ärztlicher Sicht erforderlich oder sinnvoll sei und wie ein „vernünftiger Patient“ entscheiden würde. Das Gericht dürfe seine persönliche Beurteilung nicht an die Stelle des Patienten setzen. Gedankliche Voraussetzung des Entscheidungskonflikts wie der hypothetischen Einwilligung insgesamt sei stets die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung.

Die Entscheidung, wie der Patient unter der genannten Voraussetzung entschieden hätte und darüber, ob für ihn eine Entscheidungskonflikt vorlag, dürfe der Tatrichter nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. So würde verhindert, dass das Gericht vorschnell auf bei objektiver Betrachtung als naheliegend oder vernünftig  erscheinende Umstände abstelle. Er müsse auch möglicherweise weniger naheliegende oder auch unvernünftig erscheinende Erwägungen des Patienten in Betracht ziehen. Durch die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglicht werden, den anwaltlich vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt  durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht bewerten zu können. Nur dann, wenn die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben würden, könne von der Anhörung des Patienten abgesehen werden.

Vorliegend sei schriftsätzlich vorgetragen worden, der Kläger hätte sich gegen eine PRK ausgesprochen, da diese nach seiner Kenntnis nicht unter Vollnarkose durchgeführt würde. Das sei wenig plausibel, da sie vorliegend unter Vollnarkose durchgeführt worden sei. Allerdings sei deswegen ohne Anhörung des Klägers eine sichere Beurteilung nicht ausnahmsweise möglich gewesen, da die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Klägers nicht unstreitig geblieben seien; insbesondere habe das OLG nicht den Inhalt der im Streitfall gebotenen vollständigen Aufklärung definiert und es sei nicht erkennbar, ob der Kläger bei seinen Ausführungen zum Entscheidungskonflikt von der Hypothese einer entsprechenden vollständigen Aufklärung ausgegangen sei.

BGH, Beschluss vom 21.06.2022 - VI ZR 310/21 -

Donnerstag, 9. Dezember 2021

(Un-) Zulässige Einziehung einer Forderung aus Forderungskauf / Abtretung (Darlegungslast)

Die Klägerin klagte aus abgetretenen Recht einer Bank einen offenen Saldo der beklagten auf einem bei der Bank geführten Kreditkartenkonto ein. Von der Beklagte wurde u.a. die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin eingewandt, da die Abtretung gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstoße.

Dem folgte das OLG, anders als zuvor das Landgericht. Die Abtretung des Anspruchs nach §§ 675, 670, 398 BGB verstoße gegen ein gesetzliches Verbot und sei daher nach § 134 BGB nichtig. Die Klägerin würde die Einziehung fremder bzw. zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen als eigenständiges Geschäft und damit eine Rechtsdienstleistung gem. § 2 Abs. 2 RDG betreibe, ohne die dafür nach § 3 RDG erforderliche Befugnis zu haben.

Unstreitig sei, dass die Klägerin nicht über eine nach § 10 RDG erforderliche Registrierung verfüge. Lediglich ein mit ihr verbundenes Unternehmen habe die Registrierung. Auch wenn die Beklagte für die Voraussetzungen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot darlegungs- und beweispflichtig sei und damit nachzuweisen habe, dass die Klägerin entgegen deren Behauptung die Forderungen von der Bank nicht im Rahmen eines echten Forderungskaufs erworben sind und damit eine Inkassodienstleistung und keine bloße Inkassozession vorliegt, würde hier eine Ausnahme gelten. Habe die primär darlegungsbelastete Partei (wie hier die Beklagte) Keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung, während der Prozessgegner (wie hier die Klägerin) alle wesentlichen Tatsachen kenne und es ihm unschwer möglich sei, nähere Angaben zu machen, treffe den Prozessgegner die sekundäre Darlegungslast. Im Rahmen dieser habe er auch zumutbare Nachforschungen zu betreiben. Genüge der Prozessgegner (hier die Klägerin) seiner sekundären Darlegungslast nicht, so würde die Behauptung der Gegenpartei (hier der Beklagten) als nach § 138 Abs. 3 ZPO zugestanden gelten (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 367/19 -).

Da damit feststehen würde, dass die Beklagte keine näheren Kenntnisse habe, anders als die Klägerin, müsse die Klägerin als Erwerberin der Forderung den Nachweis ihrer Forderungsinhaberschaft darlegen und damit darlegen, dass die die Forderung vollwirksam und nicht lediglich zu Einziehungszwecken erworben habe. Damit sei der zugrundeliegende Kaufvertrag offenzulegen.

Auf den Hinweis des Senats habe die Klägerin den Forderungskaufvertrag nur unvollständig und teilweise geschwärzt vorgelegt. Damit sei die Klägerin ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Die Beklagte habe darauf hingewiesen, dass die Anlage 1 zu dem Kaufvertrag fast vollständig geschwärzt sei und sie davon ausgehen würde, dass dort abstrakt-generell geregelt sei, wer das wirtschaftliche Risiko trage, wie sich auch aus den Schwärzungen der §§ 11 und 12 der Schluss ergebe, dass es sich nicht um einen echten Forderungskauf handele, sondern um den geschäftsmäßigen Einzug fremder Forderungen. Dem sei die Klägerin nicht hinreichend entgegengetreten und habe insbesondere nicht den ungeschwärzten Vertrag vorgelegt.

Einer Beweisaufnahme durch Einvernahme der von der Klägerin benannten Zeugin habe es nicht bedurft. Die Frage, ob es sich um einen echten Forderungskauf handele sei eine Rechtsfrage und entziehe sich des Zeugenbeweises. Es sei daher davon auszugehen, dass die geschwärzten Passagen erheblich seien und auf das Vorliegen einer Inkassotätigkeit schließen ließen. Erschwerend käme hinzu, dass nach § 2 Abs. 2 des Vertrages die Vertragsparteien davon ausgegangen seien, dass die Klägerin über eine Erlaubnis zum geschäftsmäßigen Einzug von fremden Forderungen verfüge, was tatsächlich nicht der Fall sei.

Folglich sei davon auszugehen, dass die Abtretung gegen ein gesetzliches Verbot verstoße, weshalb die Klage auf die Berufung hin abzuweisen sei.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.08.2021 - 24 U 171/20 -

Mittwoch, 22. September 2021

Voraussetzung für Schadensersatz bei Verstoß gegen Datenschutz nach DSGVO

Die Antragstellerin begehrte für eine Klage auf Schadensersatz wegen Verstoßes des Antragsgegners gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Prozesskostenhilfe. Ihr Antrag wurde vom Landgericht zurückgewiesen, ebenso die dagegen bei dem OLG eingelegte Beschwerde.

Das OLG wies darauf hin, dass nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein Anspruch auf Schadensersatz voraussetze, dass einer natürlichen Person bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden sei. In Art. 82 Abs. 1 DSGVO heißt es:

„Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.“

Zwar habe die Antragstellerin zu einem Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO vorgetragen, nicht aber zu einem darauf beruhenden (hier geltend gemachten) immateriellen Schaden. Es würde hier mithin nicht darum gehen, ob die für einen Schadensersatzanspruch notwendige Erheblichkeitsgrenze erreicht sei (dazu BVerfG, Beschluss vom 14.01.2021 - 1 BvR 2853/19 -), vielmehr habe die Antragstellerin keinerlei Vortrag zu einem kausalen Schaden – trotz Hinweises des Landgerichts in dem den Antrag zurückweisenden Beschluss – gehalten.

Da damit eine Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage nicht festgestellt werden konnte, haben Landgericht und OLG die beantragte Prozesskostenhilfe versagt, § 114 ZPO.

Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/ 21 -

Mittwoch, 26. Mai 2021

Fenstersturz des an Demenz erkrankten Bewohners und Haftung des Pflegeheimbetreibers

Die Klägerin klagte aus abgetretenen Recht der Ehefrau auf Zahlung von Schmerzensgeldes wegen tödlicher Verletzungen von deren Ehemann (Erblasser) auf Grund eines Sturzes aus einem Fensters des beklagten Alten- und Pflegeheims. Der Erblasser war hochgradig dement, litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-notorischer Unruhe. Er soll örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert gewesen sein. Eine besondere Betreuung war im Hinblick auf Lauftendenzen, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und zeitweiser Sinnestäuschung bejaht worden. Der Erblasser wurde von der Beklagten in einem Zimmer im 3. OG, welches über zwei große Dachfenster verfügte, die nicht gegen unbeaufsichtigtes Öffnen gesichert waren, untergebracht. Aus einem der zwei Fenster stürzte er.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben ohne Erfolg. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG. Dabei verwies der BGH auf seine ständige Rechtsprechung, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Bewohner begründet würden. Inhaltsgleich würde auch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht den Bewohnern gegenüber vor gesundheitlichen Schädigungen bestehen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen würden. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten würde sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB, § 278 S. 1 BGB) als auch korrespondierend deliktische Ansprüche (§ 823 BGB, § 831 BGB) begründen.

Diese Pflichten des Heimbetreibers seien aber begrenzt: sie müssten mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sein. Maßstab sei das Erforderliche und für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare, wobei zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.

Den Spagat zwischen den Anforderungen auf Menschenwürde und Freiheitsrecht auf der einen Seite und Schutz der körperlichen Unversehrtheit nimmt der BGH, indem er auf eine sorgfältige Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls abstellt. Entscheidens sei das Gefahrenpotential durch körperliche und geistige Verfassung des Bewohners, wobei sich die einzuhaltende Sorgfalt und eventuell zu treffende Sicherungsmaßnahmen aus einer ex-ante-Betrachtung ergeben würden, ohne Berücksichtigung nur abstrakt denkbaren Sicherheitsrisiken und mithin orientiert an die konkrete Pflegesituation. Zum Einen will der BGH hier darauf abstellen, ob mit einer Schädigung ohne Sicherungsmaßnahmen zu rechnen sei, zum Anderen aber auch darauf, dass eine nicht wahrscheinliche Gefahr, die aber zu besonders schweren Folgen führen könne, berücksichtigt werden müsse. Diese Risikoprognose sei Voraussetzung zur Abwägung der Entscheidung zu erforderlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte des Heimbewohners und der personellen und finanziellen Möglichkeiten des Pflegeheims.

Zur Beweislage wies der BGH darauf hin, dass ein Sturzgeschehen dem „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“ im Heim zuzuordnen sei. Komme der Bewohner in einer solchen Situation zu Schaden, falle dies in seine Risikosphäre mit der Folge, dass er für eine Pflichtverletzung und deren Kausalität die Darlegungs- und Beweislast trage. Es handele sich um das allgemeine Lebensrisiko in einem vom Bewohner voll beherrschten Gefahrenbereich. Alleine der Sturz aus dem nicht verriegelten Fenster begründe damit keine kausale Pflichtverletzung.

Allerdings komme es zu einer Beweislastumkehr (bei der der Heimbetreiber den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens führen müsse), wenn der Bewohner im Herrschafts- und Organisationsbereich des Heimbetreibers zu Schaden käme und die ihn betreffenden Vertragspflichten (auch) bezwecken würden, den Bewohner vor einem solchen Schaden zu bewahren. Der Heimbetreiber müsse bei Risiken aus dem Betrieb, die von ihm voll beherrschbar seien, darlegen und beweisen, dass der Schaden nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten beruht. Dies sei der Fall, wenn der Patient in einem Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme einer ihm betreuenden Krankenschwester stürze, s. auch § 630h BGB. Es gelte auch gelte auch bei Pflegeheimen, wenn bei einer konkreten Gefahrensituation die spezielle Obhutspflicht einer dafür eingesetzten Pflegekraft obliege und sich der Schaden in diesem Zusammenhang verwirkliche (so z.B. Sturz des Heimbewohners bei begleiteten Gang zur Toilette der Sturz beim Wechsel der Bettwäsche durch einen Pfleger).

Im konkreten Fall nahm der BGH keine Beweislastumkehr an. Zwar habe sich die Gefahrensituation im Sturz des Erblassers aus dem Fenster durch die fehlende Fenstersicherung verwirklicht. Allerdings habe dies außerhalb des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs des Heimträgers stattgefunden. Der Erblasser sei zu diesem Zeitpunkt nicht der Obhut einer Pflegekraft im Rahmen einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme anvertraut gewesen: er habe sich überwiegend alleine in seinem Zimmer aufgehalten und habe nicht dauerhaft betreut und begleitet werden müssen.

Die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG erfolgte, da der BGH die tatrichterliche Würdigung, die Beklagte hätte keine Vorkehrungen gegen ein Heraussteigen des Erblassers aus einem Fenster seines Zimmers treffen müssen, für unvollständig und rechtsfehlerhaft hielt. Die dazu notwendige Abwägung sei unvollständig gewesen.  Hier hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage einer sorgfältigen ex-ante-Risikoprognose, die das gesamte Krankheitsbild des Erblassers in den Blick nehme, entscheiden müssen, ggfls. sachverständig beraten. Es habe aber nur einzelne dokumentierte Demenzerscheinungen isoliert und kursorisch betrachtet, ohne dabei eine eigene besondere Sachkunde aufzuweisen.

BGH, Urteil vom 14.01.2021 - III ZR 168/19 -

Freitag, 4. September 2020

Beweislast für fehlende Aufklärung offenbarungspflichtiger Umstände bei einem Grundstückskaufvertrag


Die Kläger verkauften den Beklagten mit notariellem Kaufvertrag ein Grundstück unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Das Grundstück war mit einem Wochenendhaus nebst einer Motorradgarage bebaut, wobei die Garage als Wohnraum mit genutzt wurde. Nach Eigentumsübergang wandte sich die Bauaufsicht an die Kläger und wies darauf hin, dass die Garage nicht zu Wohnzwecken genutzt werden dürfe und ein Rückbau angedacht sei. Die Kläger haben daraufhin den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und den Kaufpreis (Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums) verlangt. Auf die Berufung wurde der Klage stattgegeben, da das Berufungsgericht von einer unterlassenen Aufklärung durch die Beklagten ausging. Dem folgte der BGH nicht, der das Urteil aufhob und den Rechtsstreits an das Berufungsgericht zurückverwies.

Von Grundsatz her kann auch nach Auffassung des BGH bei arglistiger Täuschung und wirksamer Anfechtung des Vertrages von den Klägern die Rückabwicklung des Vertrages (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) und Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der Haftung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs.1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) in Betracht kommen. Auch sei vom Berufungsgericht richtig davon ausgegangen worden, dass die arglistige Täuschung objektiv angenommen werden kann, wenn Räume als Wohnräume angepriesen würden, obwohl eine dafür erforderliche baurechtliche Genehmigung nicht vorliege. Dies deshalb da die Baubehörde die Nutzung jedenfalls bis zur Erteilung einer Genehmigung untersagen könne (BGH, Urteil vom 27.06.2014 – V ZR 55/13 -).

Die subjektive Seite des arglistigen Handelns bei der unterlassenen Aufklärung erfordere, dass der Verkäufer den Fehler jedenfalls für möglich hält und weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem Inhalt abgeschlossen hätte.

Allerdings würden die beklagten als Verkäufer nicht die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung tragen. Allerdings trage derjenige, der einen Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechte, die Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen. Dazu gehöre bei der Täuschung durch Verschweigen die fehlende Offenbarung. Da es sich dabei um eine negative Tatsache handele, kämen daher dem Käufer die Grundsätze der sekundären Beweislast zugute. Damit müsse der Verkäufer substantiiert in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht eine Aufklärung darlegen und es wäre Sache des Käufers, dies zu widerlegen.

Alleine die notarielle Form des Vertrages rechtfertige hier keine abweichende Sicht. Auch wenn hier im Vertrag aufgenommen worden sei, dass den Verkäufern unsichtbare Mängel nicht bekannt seien, würde dem kein Beweiswert in Bezug auf eine von den Verkäufern behauptete Aufklärung zulassen. Denn bei Aufklärung läge bereits kein „unsichtbarer“ Mangel mehr vor.

Anders als das Berufungsgericht, welches von einer Umkehr der Beweislast auf Grund der Bestimmungen im Kaufvertrag ausging, negierte der BGH eine Umkehr der Beweislast.  Die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Kaufvertragsurkunde erstrecke sich nicht auf bei Besichtigungen und Vertragsverhandlungen erteilte Informationen, die als solche nicht der notariellen Form bedürften (BGH, Urteil vom 15.07.2011 – V ZR 171/10 -).

Auch aus der Regelung im notariellen Kaufvertrag, der Grundbesitz werde in dem Zustand verkauft, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe, würde sich keine Rechtfertigung für eine Beweislastumkehr herleiten lassen. Daraus würde sich nichts zu eine Zulässigkeit als Wohnraumnutzung vor Vertragsabschluss ergeben.

Die Rückverweisung durch den BGH erfolgte, da sich das Berufungsgericht nicht damit auseinandersetzte, ob es den Klägern gelungen sei, die beklagtenseits behauptete Aufklärung zu widerlegen.

BGH, Urteil vom 06.03.2020 - V ZR 2/19 -

Sonntag, 23. August 2020

Darlegungs- und Beweislast bei Lohnfortzahlung und Klage aus Forderungsübergang nach § 6 Abs. 1 EFZG


Die Klägerin war Arbeitgeberin der bei einem Verkehrsunfall verunfallten Zeugin W. Sie erbrachte nach Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Zeugin Lohnfortzahlungen für den Zeitraum vom 18. - 24.03.2016, zu denen sie nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) verpflichtet war. In Höhe dieser Zahlungen machte sie gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des den Verkehrsunfall verursachenden Fahrzeuges Ansprüche aus übergegangenen Recht gem. § 6 Abs. 1 EFZG geltend. In § 6 Abs. 1 EFZG heißt es:

„Kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeitnehmer nach diesem Gesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und darauf entfallende vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Pflegeversicherung sowie zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung abgeführt hat.“

Nach der Behauptung der Klägerin sei die attestierte Arbeitsunfähigkeit Folge einer durch den Unfall bedingten HWS-Distorsion. Die Beklagte bestritt, dass der Unfall, bei dem es nur zu einem leichten Stoßimpuls gekommen sei, dass das benannte Verletzungsbild von dem Unfall hervorgerufen worden sei. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Das Landgericht hatte unter Aufhebung des Urteils die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Nach Auffassung des BGH sei die der landgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegende Auffassung, eine unfallbedingte Körperverletzung ließe sich nur dann feststellen, wenn die Klägerin die behauptete HWS-Distorsion beweisen könne, fehlerhaft. Dabei verwies es darauf, dass nach Angaben der erstinstanzlich vernommenen Zeugin W. diese starke Nacken- und Kopfschmerzen bekundet habe, welche ebenfalls als Primärverletzung in Betracht kämen; dies sei vom Landgericht nicht erwogen und geprüft worden, ob diese Beeinträchtigungen unfallbedingt seien uns zur Arbeitsunfähigkeit der Zeugin geführt haben.  

Der Arbeitgeber habe außer der Entgeltfortzahlung darzulegen und zu beweisen, dass der Zeugin W. als ihre Arbeitnehmerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB oder §§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG zugestanden habe, wobei keine anderen Grundsätze gelten würden, als wenn die Zeugin ihren Anspruch selbst geltend machen würde.

Eine Partei genüge ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen anführt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe weiterer Einzelheiten sei nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung seien. Dieser darlegungslast habe die Klägerin dadurch genügt, dass sie behauptete, die Zeugin habe infolge des Unfalls Verletzungen erlitten und sei deshalb im benannten Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen.

Für die haftungsausfüllende Kausalität, die den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung (dem ersten Verletzungserfolgt, die sogen. Primärverletzung) gelte das Beweismaß des § 286 ZPO, welches die volle Überzeugungsbildung des Gerichts verlange (sogen. Vollbeweis). Der Vollbeweis sei erbracht, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit vorläge, der Zweifeln Schweigen gebiete. Nur für die haftungsausfüllende Kausalität (die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutverletzung und weiteren Schäden des Geschädigten beträfe, sogen. Sekundärschäden) gelte das erleichterte Beweismaß des § 286 ZPO.

Vorliegend war damit das Beweismaß des § 286 ZPO anzuwenden. Danach negierte das Landgericht eine HWS-Distorsion als Folge des Unfalls. Nicht zu beanstanden sei, dass das Landgericht die Angabe der Zeugin, sie habe starke Nacken- und Kopfschmerzen gehabt und dies sei ärztlicherseits als Schleudertraume diagnostiziert worden, weshalb Physiotherapien verschrieben worden seien, anders als das Amtsgericht nicht als Beweis der Behauptung angesehen habe, da damit nicht die objektive Richtigkeit (wie bei einem Sachverständigengutachten) festgestellt würde. Die von der Zeugin mitgeteilte Diagnose des Arztes müsse nicht richtig sein, da der einen Unfallgeschädigten untersuchende Arzt nicht aus der Sicht eines Gutachters, sondern aus der Sicht eines Therapeuten vorgehe, und für ihn  die Notwendigkeit einer Therapie im Vordergrund stehe und die Diagnose zunächst untergeordnete Bedeutung habe. Von daher könnten derartige Untersuchungen nur Indizien darstellen (BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 -; BGH, Urteil vom 03.06.2008 - VI ZR 235/07 -).

Anderes ergäbe sich auch nicht aus der zeitgleich vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (AU-Bescheinigung), da auch bei dieser nicht die objektiv richtige Diagnose im Vordergrund stünde. Die AU-Bescheinigung habe weder Angaben zur Diagnose (also Art der Erkrankung) enthalten noch gebe sie Aufschluss dazu, ob die Krankheit unfallbedingt sei. Da sie sich nicht auf Art und Umfang der Krankheit erstrecke, käme es vorliegend nicht darauf an, welche (formelle oder materielle) Beweiskraft einer Privaturkunde zukomme.

Die Revision würde allerdings zutreffend rügen, dass sich das Landgericht bezüglich unfallbedingter Verletzungen lediglich mit dem HWS-Syndrom auseinandergesetzt habe. Die von der Zeugin benannten starken Nacken- und Kopfschmerzen seien nicht beachtet worden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin diese bei der Beweisaufnahme zutage getretenen Umstände zumindest hilfsweise zu eigen gemacht habe, da der Begriff der Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB, §§ 7 Abs. 1, 11 StVG weit gefasst sei und jeden Eingriff in die körperliche Integrität meint. Selbst wenn sich eine HWS-Distorsion nicht verifizieren ließe, könnten starke Nacken- und Kopfschmerzen eine Rechtsgutverletzung und nicht nur einen Verletzungsverdacht begründen. Ob diese unfallbedingt seien, ließe sich aus der landgerichtlichen Entscheidung nicht entnehmen, weshalb diese insoweit unvollständig sei. Würde die Unfallbedingtheit im weiteren Verfahren vor dem Landgericht festgestellt, wäre nach dem Beweismaß des § 287 ZPO zu prüfen, ob diese eine Arbeitsunfähigkeit (und damit einen Verdienstausfallschaden) begründen.

BGH, Urteil vom 23.06.2020 - VI ZR 435/19 -

Donnerstag, 4. Juli 2019

Kasko- und Kfz-Haftpflichtversicherung und die Folgen bei Unfallflucht (§ 142 StGB)


Der Kläger, der bei der Beklagten eine Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung hatte, verunfallte mit dem versicherten Fahrzeug. Ohne die Polizei oder sonstige Dritte zu informieren verließ er die Unfallstelle. Zwei Stunden später wurde er von Polizeibeamten bei sich zu Hause aufgesucht, die eine Atemalkoholkontrolle mit einem Wert von 0,22mg/l durchführte (wobei er behauptete, er habe erst nach dem Unfall zu Hause 1 ¾ Flaschen Bier à 0,5 l getrunken). Es erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Die Beklagte geht wegen mehrfacher Obliegenheitspflichtverletzungen des Klägers von einer Leistungsfreiheit aus. Diese wandte sie in der Klage auf Kaskoentschädigung ein und erhob Widerklage in Bezug auf die von ihr regulierten Haftpflichtansprüche. Das Landgericht (LG) gab der Klage und der Widerklage zu je ½ statt. Die Berufung beider Parteien wurde vom OLG zurückgewiesen.

Vom Ausgangspunkt habe, so das OLG, das LG zutreffend in der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) eine Verletzung der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit nach den den Versicherungsverhältnissen zugrunde liegenden AKB gesehen. Dies sei zwar vorsätzlich geschehen, nicht aber arglistig. Arglist läge nur vor, wenn der Versicherungsnehmer (VN) mit der Handlung  und zu diesem Zeitpunkt (Tathandlung des § 142 StGB) einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge und wisse, dass sein Verhalten möglicherweise die Schadensregulierung beeinflussen kann. Grundsätzlich könne bei einer Unfallflucht nicht pauschal eine Arglist angenommen werden. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls: Hier sei er zunächst am das Fahrzeug (welches nicht mehr gefahren werden konnte) am Unfallort geblieben, weshalb er mit einer Entdeckung rechnen musste, und er wart auch einige Zeit selbst am Unfallort verblieben, bis er abgeholt worden sei. Mit dem (vom Kläger organisierten) Abholen seiner Person vom Unfallort konnte er seine Pflichten nach § 142 StGB nicht mehr erfüllen, weshalb es auf seine späteren Handlungen nicht mehr ankäme.

Damit wäre die Obliegenheitspflichtverletzung, die in der Unfallflucht läge, für die Beklagte leistungsbefreiend, wenn diese kausal für fehlende Feststellungen durch den Versicherer wäre. Die Kausalität wird vermutet, weshalb der Beklagte den Kausalitätsgegenbeweis führen müsse.

Hier sei zu berücksichtigen, dass er nicht den Nachweis geführt habe, bei dem Verkehrsunfall nicht alkoholisiert zu sein. Die Angaben des Klägers in seiner Anhörung durch das Landgericht und des Zeugen G. sowie der als Zeugin gehörten Ehefrau des Klägers hätten nachvollziehbar für das LG nicht der erforderliche Gewissheit begründet, dass ein sogen. Nachtrunk vorgelegen habe. So waren insbesondere die Angaben des G. von Detailarmut geprägt und weichen bezüglich des jeweiligen Alkoholkonsums von dem Vortrag des Klägers ab.

Der Kläger habe aber den Nachweis erbracht, dass die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit jedenfalls teilweise nicht für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten ursächlich gewesen sei. Zutreffend habe das LG festgestellt, dass eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nur in dem Umfang, wie eine Ursächlichkeit anzunehmen ist bzw. ein Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht würde, zur Leistungsfreiheit führe. Dies ergäbe sich aus den AKB, die auch für die vorsätzliche Obliegenheitspflichtverletzung vorsähen, dass eine Verpflichtung zur Leistung weiterhin bestünde, als der VN nachweise, dass die Verletzung der Obliegenheit u.a. für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht nicht ursächlich wäre („… insoweit zur Leistung verpflichtet, als ….“).  

Da der Beklagte sogleich, als ihn die Polizei aufsuchte, seine schuldhafte Unfallverursachung eingeräumt habe, könnten Feststellungsnachteile für die Beklagte nicht entstehen. Auch Nachteile zu einer etwaigen  Haftungsquote seien nicht ersichtlich (hier: Abkommen von der Fahrbahn in einer Linkskurve). Es sei auch nicht erkennbar, dass eventuell innerhalb der Zeit, bis die Polizei den Unfall bemerkte (die schon 2 Stunden später bei dem Beklagten war) Spuren auf der Fahrbahn o.ä, verlorengegangen sein könnten.

Die Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt könne mit höchstens 0,84 Promille angenommen werden, wie das LG zutreffend festgestellt. Damit sei nicht auszuschließen, dass es zu dem Unfall infolge der durch die Alkoholisierung bedingten relativen Fahruntüchtigkeit des Klägers gekommen sei. Mangels Angaben des diesbezüglich darlegungs- und beweisbelasteten Klägers dazu, was er wann vor dem Unfall getrunken habe, könne auch keine Berechnung der Alkoholkonzentration auf den Unfallzeitpunkt erfolgen, weshalb das angebotene Sachverständigengutachten nicht einzuholen gewesen sei. Da die Rückrechnung hier zum Unfallzeitpunkt mithin nicht möglich sei, treffe die Beklagte insoweit ein Feststellungsnachteil. Was gewesen wäre, wenn erst einige Tage später die Polizei auf den Kläger aufmerksam geworden wäre, ist hier nicht bedeutsam (Fall des Urteils OLG Stuttgart vom 16.10.2014 – 7 U 121/14 -), da zwei Stunden nach dem Vorfall noch Feststellungen möglich waren. Die Falschangabe des Klägers, erst nach dem Unfall Alkohol getrunken zu haben, stelle keine selbständige die Leistungsfreiheit begründende Obliegenheitspflichtverletzung dar.

Dies führe im Ergebnis zu einer Kürzung des Anspruchs des Klägers um 50% im Rahmen der Kaskoversicherung und zu einer Kürzung des widerklagend geltend gemachten Betrages auf Ersetzung des Haftpflichtschadens auch um 50% (der mit € 1.780,86, also im Rahmen der Höchstgrenze nach AKB, geltend gemacht worden war).

OLG Stuttgart, Urteil vom 13.12.2018 - 7 U 188/18 -

Dienstag, 21. Mai 2019

Arzthaftung/Krankenhaushaftung: Umfang der Darlegungslast des Patienten zu Hygienemängeln


Klägerin nahm den beklagten Krankenhausträger auf materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Entfernung der Gebärmutter in Anspruch. Sie machte u.a. geltend, dass die Beklagte unter Verstoß gegen die maßgeblichen Leitlinien unterlassen habe, eine Antibiotikaprophylaxe vorzunehmen, bei einer Wiederaufnahme sie sie nur unzureichend untersucht worden sei und dass es im Krankenhauszimmer Hygienemängel gegeben habe. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung der Entscheidung des OLG und Zurückverweisung. Begründet wurde dies vom BGH damit, dass es das OLG versäumt habe, die unterlassene Antibiotikaprophylaxe auch unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens zu betrachten und in Bezug auf die behaupteten Hygienemängel die sekundäre Beweislast der Beklagten (Krankenhausträger) nicht beachtet habe.

Im Hinblick auf die Hygienemängel habe das OLG die Anforderungen an die Darlegungslast des Patienten überspannt. An die Substantiierungspflicht des Patienten seien im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Abforderungen zu stellen, da von ihm keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet werden dürfe, weshalb der Patient seinen Vortrag dahingehend beschränken dürfe, dass die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für den Patienten gestatte. Diese eingeschränkte primäre Darlegungslast des Patienten ginge einher mit einer gesteigerten Verpflichtung des Gerichts  zur Sachverhaltsaufklärung (§ 139 ZPO) von Amts wegen bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§1 44 Abs. 1 S. 1 ZPO), soweit der Patient darauf angewiesen sei, dass der Sachverhalt durch ein solches aufbereitet würde. Die Darlegungslast des Patienten könne auch nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eingeschränkt sein, soweit der Patient außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs stünde und ihm weitergehende Angaben nicht möglich seien, demgegenüber aber der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt bzw. unschwer in Erfahrung bringen könne; in diesem Fall habe die Behandlungsseite im Rahmen der sekundären Darlegungslast auf die Behauptungen des Patienten substantiiert zu erwidern.

Genüge mithin die primäre Darlegung des Patienten den maßvollen Anforderungen um die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite zu gestatten, es ihm auch unmöglich und unzumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären, sei die sekundäre Darlegungslast der Behandlungsseite ausgelöst. Dies würde bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall sein, da sich sowohl die Existenz möglicher Infektionsquellen (etwa in Gestalt weiterer Patienten oder verunreinigter Instrumente als auch Maßnahmen zur Einhaltung von Hygienebestimmungen und Infektionsprävention sich in der Regel der Kenntnis des Patienten entziehen würden, demgegenüber die Behandlerseite über die erforderlichen Informationen verfüge. Es sei auch nicht erforderlich, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorträgt; dies sie ausreichend (BGH, Beschluss vom 16.08.2016 - VI ZR 634/15 -), aber nicht Voraussetzung. Auch mit diesem Beschluss vom 16.08.2016 habe nicht ausgesagt werden sollen, dass der Patient weitergehenden Vortrag halten müsse, als dass er die Vermutung eines Hygienefehlers  der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestatte.

Diesen Anforderungen habe die Klägerin entsprochen, da sie geltend gemacht habe sie habe sich die bakterielle Infektion aufgrund unterdurchschnittlicher hygienischer Zustände in ihrem Krankenzimmer zugezogen. Im Hinblick darauf hätte es hier der Beklagtenseite oblegen, konkret zu den von ihr ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hygiene und zum Infektionsschutz im Krankenzimmer der Klägerin vorzutragen, so beispielhaft durch Vorlage von Desinfektions- und Reinigungsplänen, einschlägiger Hausordnung und Bestimmungen des Hygieneplans.

Auf von der Beklagten bestrittene, von der Klägerin wahrgenommene und benannte Umstände (desolates hygienisches Verhalten der im selben Zimmer untergebrachten Mitpatientin u.a.) käme es daher nicht an.

BGH, Urteil vom 19.02.2019 - VI ZR 505/17 -

Freitag, 31. August 2018

Kaufvertrag: Zur Beweislast für das Fehlschlagen von Nachbesserungen


Der Kläger hatte von dem Beklagten am 16.11.2016 einen Gebrauchtwagen erworben. Er monierte im Frühjahr 2017 wiederholt Funktionsmängel am Verdeck (es ließ sich nicht öffnen und nicht schließen). Die Beklagte veranlasste im März, Mai und Juli 2017 Untersuchungen und Reparaturen des Öffnungs- und Schließmechanismus. Als der Kläger im Juli 2017 zum vierten Mal den Mechanismus reklamierte, veranlasste die Beklagte lediglich eine Untersuchung ohne Reparatur.

Der Kläger verklagte die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges. Das Landgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten zum OLG Bamberg wies dieses die Beklagte darauf hin, die Berufung nach § 522 ZPO zurückweisen zu wollen.

Das Landgericht sei zutreffend von einem Sachmangel ausgegangen. Der Käufer habe darzulegen und zu beweisen, dass ein Mangel bei Übergabe der Kaufsache vorlag (§§ 434 Abs. 1 S. 1 iVm. 446 S. 1 BGB) und dieser trotz Nachbesserungsversuchen des Verkäufers weiterhin vorhanden sei. Dabei genüge der Käufer seiner Darlegungs- und Beweislast für das Fehlschlagen der Nachbesserung bereits durch den Nachweis, dass das Mangelsymptom weiterhin auftrete (BGH, Urteil vom 09.03.2011 - VIII ZR 266/09 -).  Unstreitig sei hier, dass der Öffnungs-. Und Schließmechanismus weiterhin nicht funktioniere.

Soweit die Beklagte geltend gemacht hatte, sie habe bereits erstinstanzlich unter Beweisantritt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgetragen, dass mutmaßlich ein Steuerungsgerät defekt sei  und dieser Defekt bei Übergabe des Fahrzeuges noch nicht vorgelegen habe, sei dieser Vortrag unbeachtlich. Da die Beklagte drei Nachbesserungsversuche vorgenommen habe, hätte sie genügend Gelegenheit gehabt, die Ursache des Defekts zu eruieren, weshalb eine geäußerte Mutmaßung die hier notwendige konkrete Darlegung nicht habe ersetzen können.

Im Rahmen der Berufung wurde von der Beklagten Vortrag zu Wert- und Schadensersatz gehalten, der allerdings bereits in der 1. Instanz hätte erfolgen können und deshalb vom OLG nach § 531 ZPO zurückgewiesen wurde. Dabei wies das OLG auch darauf hin, dass das Landgericht die Parteien auf die Problematik des Wertersatzes hingewiesen habe, ohne dass die Beklagte darauf eingegangen wäre.

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 16.05.2018 - 3 U 54/18 -

Dienstag, 6. Februar 2018

Kfz-Sachverständigengutachten zur Feststellung der Reparaturkosten nach Verkehrsunfall: Zur Darlegungslast und Schätzung der (erforderlichen) Kosten

Der Sachverständige hatte sein Honorar nach der Höhe der von ihm ermittelten Reparaturkosten von € 16.788,60 und Wertminderung von € 6.000,00 mit € 1.733,75 zuzüglich Auslagen in Form von Schreibgebühren von € 3,46/Seite geltend gemacht.

Die Bemessung des Honorars nach der Höhe des ermittelten Schadens sieht der BGH grundsätzlich als zulässig an. Der geschädigte habe allerdings gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten darzulegen, wobei die Erteilung einer Rechnung bei Zahlung durch den Geschädigten eine Indizwirkung entfalten würde. Dies im Hinblick auf den zu beachtenden Umstand, dass der Geschädigten häufig nur eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten zur Angemessenheit solcher Rechnungen hat. Dies schlage sich in dem tatsächlich gezahlten Betrag nieder.

Fehle aber die Zahlung der Rechnung, komme ihr auch keine Indizwirkung zu und reiche für die Erforderlichkeit der Kosten ein einfaches Bestreiten der Beklagtenseite. 

Vorliegend hätte, so der BGH, das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten berücksichtigen müssen, demzufolge sich der tatsächliche Reparaturschaden nur auf € 2.664,60, die Wertminderung nur auf € 2.000,00 belaufe. Da die richtige Ermittlung der Schadenshöhe vom Sachverständigen als Erfolg  geschuldet würde und er dafür hafte, würde bei dem nach der Schadenshöhe berechneten Honorar die Fehlerhaftigkeit entscheidend ins Gewicht fallen. Die vom Sachverständigen ermittelte Schadenshöhe könne nur dann Bemessungsgrundlage sein, wenn sie richtig wäre.  Das Berufungsgericht hätte mithin erst die richtige Schadenshöhe ermitteln müssen.

Auch die Bewertung der vom Sachverständigen geltend gemachten Nebenkosten durch das Berufungsgericht sei verfehlt gewesen. Fehlerhaft habe das Berufungsgericht auf eine BVSK-Honorarbefragung 2011 abgestellt, da diese für die abschließend vorzunehmende Schätzung im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht geeignet sei, die zu erwartenden Ansätze bei den anfallenden Nebenkosten verlässlich abzubilden. Zwar sei dem Tatrichter keine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben und § 287 ZPO gebe die Art der Schätzmethode nicht vor. Die Schadenshöhe dürfe aber nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unrichtiger Erwägungen festgesetzt werden, noch dürften wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer Acht gelassen werden. Der Tatrichter dürfe bei zentralen Fragen auch nicht auf nach Sachlage unerlässlich fachliche Erkenntnisse verzichten. Listen und Tabellen dürften verwandt werden und der Tatrichter sei in ihrer Verwendung auch frei; bestehen aber berechtigte Zweifel des Gerichts an diesen, müsse er gegebenenfalls auf deren Heranziehung verzichten. Dies sei nicht beachtet worden: Die BVSK-Honorarbefragung sei auf der Grundlage unklarer Vorgaben zu den Nebenkosten durchgeführt worden. Aus den Erläuterungen zu ihr ergäbe sich, dass sogenannte Nebenkosten zu keinem Zeitpunkt definiert worden seien.  Auch müsse davon ausgegangen werden, dass Gewinnanteile mit enthalten seien, was unzulässig sei. Der Tatrichter könne bei Sachverständigen aller Fachrichtungen auch auf das JVEG zurückgreifen (so bereits Senatsurteil vom 26. April 2016 - VI ZR 50/15 -).


BGH, Urteil vom 24.10.2017 - VI ZR 61/17 -

Donnerstag, 11. Januar 2018

Betriebskosten: Darlegungs- und Beweislast des Mieters zum Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot

Der Mieter machte Rückforderungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereichen (§ 812 BGB) an gezahlten Betriebskostennachforderungen geltend. Die Klage wurde vom Amtsgericht abgewiesen. Das Landgericht erteilte den Hinweis dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen.

Die beabsichtigte Zurückweisung erfolgte nicht aus dem Grund des § 814 BGB: Sollte der Mieter die Nachzahlung in Kenntnis der Nichtschuld vorgenommen haben, wäre er nach dieser Norm mit einer Rückforderung ausgeschlossen. Aber hier erfolgte (wohl) die Zahlung unter Vorbehalt, weshalb die Norm des § 814 BGB nicht greifen würde.

Das Landgericht verwies darauf, dass für den Kondiktionsanspruch wegen rechtsgrundlos erbrachter Betriebskostennachzahlung der diesen Anspruch geltend machende Mieter die Darlegungs- und Beweislast für den fehlenden Rechtsgrund trägt, auch dann, wenn er unter Vorbehalt leisten würde. Dies würde auch für den vorliegenden Fall gelten, dass der Mieter einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot geltend macht. Insoweit würde den Mieter sogar eine „nochmals gesteigerte“ Darlegungslast treffen. Insoweit bezieht sich das Landgericht auf Entscheidungen des BGH vom 06.07.2011 - VIII ZR 340/10 - und 17.12.2014 - XII ZR 170/13 -.  Der BGH hat festgehalten, dass bei dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot bei den Betriebskosten der Mieter die volle Darlegungs- und Beweislast treffe und eine pauschale Angabe, der Kostenansatz in der Abrechnung übersteige den überregional ermittelten Kostenansatz für Wohnungen gleicher Größe genüge nicht. Dies folge aus dem Grundsatz, dass es sich bei der Beachtung der Wirtschaftlichkeit durch den Vermieter um eine diesen treffende Nebenpflicht handele.

Auch treffe den Vermieter keine subsidiäre Darlegungslast. Dies auch dann nicht, wenn die Steigerung gegenüber dem Vorjahr mehr als 10% betrage. Insoweit beruft sich das Landgericht auch auf den BGH, der in der Entscheidung vom 17.12.2014 aaO., wonach der Vermieter grundsätzlich keine näheren Tatsachen (z.B. Preisvergleich) vortragen müsse.


LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 17.08.2017 - 67 S 190/17 -

Freitag, 22. Dezember 2017

Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB: Nachweis des dem Vermieter entstehenden erheblichen Nachteils

Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis über Wohnraum gegenüber den Beklagten  und begründete die Kündigung damit, dass das Gebäude abgerissen werden solle, eine Abrissgenehmigung auch bereits vorläge. Auf dem Gelände solle ein Objekt mit Gewerberäumen zur Erweiterung eines Modegeschäfts, deren Geschäftsführerin die Klägerin sei, errichtet werden. Nur der Abriss mit der Neuerrichtung von Gewerberaum würde eine wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks ermöglichen.

Der auf Räumung und Herausgabe gerichteten Klage wurde in den Vorinstanzen stattgegeben. Der BGH hat auf die zugelassene Revision der Beklagten das Urteil aufgehoben  und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

Der BGH wies darauf hin, dass die von der Klägerin geltend gemachten Gründe eine Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht rechtfertigen könne. Es ermangele hier an dem erheblichen Nachteil, der ohne die Verwertungskündigung drohe. Die Frage des Nachteil sei vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und dem damit einhergehenden Bestandsinteresse des Mieters zu prüfen. Das Eigentum gewähre dem Vermieter vor diesem Hintergrund keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder Nutzung mit größtmöglichen Vorteil. Die Nachteile des Vermieters bei Versagung einer Verwertungskündigung dürften aber auch keinen Umfang annehmen, der die Nachteile des Mieters bei Verlust der Wohnung wesentlich übersteige. Eine Generalisierung sei nicht möglich, sondern auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es handele sich dabei um eine tatrichterliche Frage, die im Revisionsverfahren nur eingeschränkt geprüft werden könne.

Weder seien von dem Berufungsgericht tatsächliche Umstände festgestellt worden, die begründen könnten, dass die Klägerin mit der Verwertung langfristig Pachteinnahmen aus allen ihren Grundstücken zu sichern noch dafür, dass es sich bei der Erweiterung des Modegeschäfts um eine „existentielle Frage“ handele, noch sei von der Klägerin dazu etwas vorgetragen worden. Es würden insbesondere Feststellungen zu konkreten Nachteilen für die wirtschaftliche Situation der Klägerin fehlen. Eine vom Berufungsgericht vorgenommene pauschale Betrachtungsweise sei verfehlt, da dies letztlich dazu führe, dass der Vermieter zur bloßen Gewinnoptimierung nach Belieben verfahren könne.

Auch soweit seitens der Klägerin die Sicherung einer Schwestergesellschaft benannt worden sei, würde dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen können. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB stelle auf den Vermieter ab, nicht auf ein mögliches Interesse eines Dritten. Damit unterscheide sich dieser Kündigungsgrund von der Eigenbedarfskündigung, mit der auch zugunsten eines bestimmten Personenkreises die Kündigung ausgesprochen werden könne.

Im Rahmen des Gerichtsverfahrens könnten nur solche Gründe berücksichtigt werden, die der Vermieter in der Kündigungserklärung mitteilt. Die Interessen der Schwestergesellschaft seien nicht einmal in dem Kündigungsschreiben benannt worden.

Eine Zurückverweisung erfolgte, da sich das Landgericht mit anderen Kündigungsgründen (aus seiner Warte richtig) nicht auseinandergesetzt hat und dies nun nachzuholen hat.


BGH, Urteil vom 27.09.2017 - VIII ZR 243/16 -

Freitag, 20. Oktober 2017

Vollberittvertrag und Pensionsvertrag – die Beweislast bei einer Verletzung des Pferdes

Die Klägerin gab ihr Pferd in den Reitstall de Beklagten zum Vollberitt. Geschuldet war die Unterstellung, Fütterung und Pflege  und der Beritt, die Dressurausbildung und die Gewähr für eine artgerechte Bewegung des Pferdes sowie die Ausbildung der Reiterin. Das Pferd erhielt in der Folge mehrmals in der Woche unter Aufsicht freien Auslauf in der Halle. A 01.12.2010 wurde das Pferd durch den seit dem 01.10.2010 bei dem Beklagten tätigen Praktikanten in der Halle frei laufen gelassen. Dabei stieß es mit dem Kopf gegen eine Stahlstütze des Hallendaches und zog sich tierärztlich zu behandelnde Verletzungen zu. Die Klägerin behauptete, das Pferd habe Veränderungen im Gehirnparenchym erlitten und könne nicht mehr geritten werden. Sie machte Schadensersatz in Höhe von € 40.396,10 gelten.  Klage und Berufung wurden zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und zur Zurückverweisung.

Der BGH folgt dem OLG, dass es sich vorliegend um einen typengemischten Vertrag mit Schwerpunkt auf dem Dienstvertragsrecht handele. On der reine Pensionsvertrag seinen Schwerpunkt im Dienstvertragsrecht oder Verwahrungsvertragsrecht (Mietrecht) habe, bedürfe keiner Entscheidung. Vorliegend habe die Ausbildung des Pferdes im Vordergrund gestanden. Eine Haftung des Beklagten wegen einer von ihm zu vertretenen Vertragspflichtverletzung nach §§ 611, 280 Abs. 1 BGB sei nach dem Stand des Verfahrens nicht auszuschließen.

Die Verletzung des Pferdes habe sich in der Obhut des Beklagten ereignet. Der Beklagte habe das Pferd vor und bei dem schadensbringenden Freilauf auch nicht geschulten Fachpersonal, sondern alleine einem Praktikanten anvertraut, der auch erst zwei Monate im Stall gewesen sei. Das würde die Annahme rechtfertigen, dass der Beklagte selbst (§ 276 BGB) oder der Praktikant als sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) die ihm obliegende Sorgfalt verletzt habe. Hier müsse sich der Beklagte entlasten.

Zwar würde grundsätzlich der Anspruchsteller bei einem Schadensersatzanspruch die Beweislast für eine Vertragspflichtverletzung tragen. Liegt aber die Schadensursache im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Anspruchsgegners (was auch bei einem Verwahrunsgvertrag der Fall sein könne), rechtfertige des den Schluss, dass er die ihm obliegende Sorgfalt verletzte und müsse er darlegen und nachweisen, dass ihn kein Pflichtenverstoß treffe.

Nicht zu beanstanden sei, dass das OLG auf der Grundlage eines Sachverständigengutachten davon ausging, dass Bedenken gegen die bauliche Anordnung in der Halle nicht bestünden, wenn das Tier angemessen vorbereitet würde (also kein „Kaltstart“) und die betreuende Person angemessen reagiere.  Allerdings könne nicht von einer ordnungsgemäßen Vorbereitung ausgegangen werden. Eine gehörte Zeugin habe erklärt, sie habe das Pferd vor dem Freilauf jeweils einige Zeit am Strick geführt; ob dies auch der Praktikant tat, sei ungeklärt.  Hier müsse das OLG die angebotenen Beweise weiter erheben.


BGH, Urteil vom 12.01.2017 - III ZR 4/16 -

Samstag, 20. Mai 2017

Verkehrsunfall: Erstattungsfähigkeit nur von „üblichen“ Sachverständigenkosten und Beweislast

Sachverständigenkosten gehören nach § 249 BGB grundsätzlich zu dem erstattungsfähigen Herstellungsaufwand des Geschädigten. Allerdings ist der Anspruch beschränkt auf die Kosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten als zweckmäßig und notwendig erscheinen. Unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ist er gehalten, den wirtschaftlicheren Weg, wenn er die Höhe der Kosten beeinflussen kann, im Rahmen des ihm Zumutbaren zu begehen. Dabei ist die spezielle Situation und seine Erkenntnisse und Einflussmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Diese Grundsätze gelten, worauf der BGH verweist, auch für ein vom Geschädigten nach einem Verkehrsunfall eingeholtem Sachverständigengutachten. Seiner Darlegungslast nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB würde er aber zunächst durch Vorlage der (von ihm beglichenen)  Rechnung des Sachverständigen genügen. Es wäre dann Sache des Gegners substantiiert Einwendungen zu erheben; ein einfaches Bestreiten der Angemessenheit würde nicht ausreichen.

Diese Grundsätze gelten auch im Falle einer Zession der Sachverständigenkosten, wie sie üblicherweise vom Geschädigten als Zedenten an den die Begutachtung durchführenden Sachverständigen (als Zessionar) erfüllungshalber vorgenommen würden. Durch diese Zession sei allerdings nicht auf die Erkenntnismöglichkeit des Zessionars (Sachverständigen) sondern weiterhin auf jene des Geschädigten (Zedenten) abzustellen, da der Zessionar die Forderung so erwerbe, wie sie zuvor bei dem Zedenten bestand.

Vorliegend hatte das Berufungsgericht die Klage aus der abgetretenen Forderung teilweise abgewiesen, da es die Sachverständigenkosten nach § 287 ZPO schätzte. Grundlage der Kosten war die Vereinbarung zwischen dem Geschädigten du dem Sachverständigen, dass sich die Kosten nach der festzustellenden Schadenshöhe zuzüglich Nebenkosten berechnen würden. Da die Höhe hinreichend bestimmt  bestritten wurde, könne eine Schätzung nach § 287 ZPO erfolgen. Die berechneten Nebenkosten seien nach JVEG anzugleichen, da dies eine hinreichende Schätzgrundlage darstelle. Diese Vorgehensweise wurde vom BGH gebilligt.


BGH, Urteil vom 28.02.2017 – VI ZR 76/16 -

Donnerstag, 11. Mai 2017

Vollberittvertrag und Haftung des Unterstellers und Ausbilders bei Verletzung des Pferdes

Die Klägerin schloss mit dem Beklagten einen Vertrag, demzufolge der Beklagte die Unterstellung, Fütterung, Pflege als auch den beritt des damals vierjährigen Wallachs der Klägerin übernahm. Am 02.12.2010 ließ die Praktikantin des Beklagten das Pferd in der Reithalle frei laufen; das Pferd stieß dabei gegen eine Stahlstütze des Hallendaches und musste daraufhin tierärztlich versorgt werden. Die Klägerin verlangte Schadensersatz von über € 40.000,00 mit der Begründung, infolge des Vorfalls sei das Pferd nicht mehr zum Reiten nutzbar.

Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab; das Oberlandesgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Vernehmung einer Zeugin. Die von der Klägerin eingelegte Revision führte zur Aufhebung des klageabweisenden Urteils und Zurückverweisung an das Oberlandesgericht.

Auszugehen sei von einem typengemischten Vertrag mit Schwerpunkt auf den Dienstvertrag nach § 611 BGB. Bei einem gemischten Vertrag könne nicht  nach den verschiedenen Rechtstrukturen unterschieden werden, sondern wäre der Schwerpunkt festzustellen, nach dem sich dann das gesamte Vertragsverhältnis orientiere. Vorliegend habe die Ausbildung des damals noch sehr jungen Pferdes für den Einsatz bei Turnieren und die Vorführung bei Prüfungen den Schwerpunkt gebildet. Damit läge der Schwerpunkt im Dienstvertragsrecht und scheide Verwahrungs- und Mietvertragsrecht aus.

Ein Rückgriff auf Verwahrungsrecht käme auch nicht deshalb in Betracht, um den Pferdeeigentümer vor Beweisschwierigkeiten zu bewahren.  Zwar trage der Anspruchssteller die Beweislast für eine Vertragspflichtverletzung. Stamme aber die Schadensursache aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Anspruchsgegners  und rechtfertige die Sachlage den Schluss, dass dieser die ihm obliegende Sorgfalt verletzte (was hier der Fall sei), müsse er sich von dem Vorwurf der Vertragsverletzung entlasten. Dazu habe er darzulegen und nachzuweisen, dass ihn kein Pflichtenverstoß trifft.

Nicht zu beanstanden sei die auf der Grundlage des eigeholten Sachverständigengutachtens getätigte Annahme des Oberlandesgerichts, dass die Anlage als solche baulich geeignet sei , wenn das Tier angemessen vorberitet sei (also kein „Kaltstart“).  Auch konnte nach Ansicht des BGH das Oberlandesgericht in Ansehung der gutachterlichen Ausführungen davon ausgehen, dass es sich bei dem Pferd um ein ausgeglichenes Tier gehandelt habe, weshalb ein ausreichendes und kompetentes Führen des Pferdes in der Halle vor dem Freilauf genügt hätte.

Die angehörte Zeugin habe allerdings nur allgemein eine Aussage zur Üblichkeit des Führens im Reitstall des Beklagten tätigen können, nichts dazu, wie es vor dem streitgegenständlichen Vorfall war. Ferner habe es das Oberlandesgericht unterlassen, zwei von der Klägerin zu der relevanten Frage des Führens des Pferdes vor dem Vorfall (benannt dazu, dass es nicht geführt worden sei) nicht vernommen, obwohl diese Zeuginnen zum Termin auch geladen waren.

Bleibe es also offen, ob die Praktikantin das Pferd vor dem Freilauf ordnungsgemäß vorbereitet habe, gehe dies zu Lastend es Beklagten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.

Ob die Klägerin mit ihrem zweitinstanzlichen Beweisangebot wegen Präklusion ausgeschlossen ist (§ 531 Abs. 2 ZPO), sei mangels von Darlegungen im Berufungsurteil im Revisionsurteil nicht zu entscheiden und müsse (noch) vom Oberlandesgericht nach der Zurückverweisung entschieden werden, wenn es nach erneuter Vernehmung der einen Zeugin wiederum zu der Auffassung gelangt, die Praktikantin habe das Pferd ordnungsgemäß vorbereitet.


BGH, Urteil vom 12.01.2017 -  III ZR 4/16 -

Freitag, 28. April 2017

Zur Darlegungslast des Nutzers eines Fitnessstudios bei Kündigung aus gesundheitlichen Gründen

Der Nutzer des Fitness-Studios kündigte unter Beifügung eines ärztlichen Attests, demzufolge er „aufgrund einer akuten Erkrankung“ bis auf weiteres sportunfähig sei. Die Klägerin, die die Kündigung als unbegründet zurückwies, verlangt ausstehende du für die restliche Vertragsdauer zukünftige Nutzungsentgelte mit ihrer Klage geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt.

1. Zwar rechtfertigt eine dauerhafte Erkrankung, die eine Nutzung der Fitnesseinrichtung unmöglich macht, die Kündigung des Vertrages mit dem Studio. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt allerdings im Rahmen des hier einschlägigen § 314 BGB der Nutzer. Dieser darlegungslast ist der beklagte allerdings nach Auffassung des Amtsgerichts nicht nachgekommen. Er habe nur pauschal vorgetragen, wegen einer „akuten Erkrankung“ keine sportliche Betätigung ausüben zu können. Dies sei einer Überprüfung nicht zugänglich. Die Klägerseite habe darauf bereits hingewiesen.

Aus diesem Grund sei die Kündigung als fristlose Kündigung unzulässig und als fristgerechte Kündigung auszulegen.

2. Die Klägerin könne hier auch die Vorauszahlungen des Nutzungsentgelts begehren, nachdem der Beklagte mit zwei Beträgen in Rückstand war. Die entsprechende Klausel in den vereinbarten Vertragsbedingungen sei wirksam. Es sei insbesondere nicht zu beanstanden, dass diese Klausel für den Fall des Zahlungsverzugs keine Kündigung des Vertrages vorsähe, sondern die vorzeitige Fälligkeit aller ausstehenden Beträge. Eine Unangemessenheit scheide aus, da sich der Nutzer durch die Nichtzahlung vertragswidrig verhalte und ohnehin für den Rest der Laufzeit des Vertrages an seinen bestehenden Pflichten festgehalten würde. Der Nutzer habe kein schutzwürdiges Interesse daran, eine vorzeitige Vertragsbeendigung durch ein eigenes vertragswidriges Verhalten herbeizuführen.

3. Die Jährlichen Erhöhungen des Nutzungsentgelts von € 0,50/Monat gemäß den Vertragsbedingungen sind ebenso wie die vereinbarte Wartungspausche vom Nutzer zu zahlen.


AG Bad Homburg, Urteil vom 13.04.2017 - 2 C 2672/16 (20) -