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Donnerstag, 16. November 2023

Kaskoversicherung: Verschweigen von und fehlende Angaben zu Vorschäden durch Versicherungsnehmer

Vorliegend wurde die beklagte Vollkaskoversicherung von ihrer Versicherungsnehmerin, der Klägerin, nach dem Diebstahl von Kraftfahrzeugteilen im Januar 2019 aus ihrem Fahrzeug in Anspruch genommen und die Beklagte hatte einen Sachverständigen beauftragt, der das Fahrzeug besichtigte und Reparaturkosten von € 18.098,28 ermittelt. Aufgrund von Zweifeln wohl infolge eines ähnlichen Schadensfalls und stellte Nachfragen, im Rahmen der die Klägerin u.a. angab, keine Kenntnis von  Vorschäden zu haben. Nachdem die Klage abgewiesen wurde, legte die Klägerin Berufung ein. Das OLG erließ unter dem 19.04.2023 einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, mit der es die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung als offensichtlich unbegründet mitteilte vor dem Hintergrund, dass es davon überzeugt sei, dass die Klägerin arglistig ihre Obliegenheit gegenüber der Beklagten verletzt habe, da sie wahrheitswidrig angegeben habe, ihr sei kein Vorschaden bekannt gewesen. Nach der Stellungnahme erließ das OLG einen weiteren (hier besprochenen) Hinweisbeschluss, in dem es darauf hinwies, weiterhin die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückweisen zu wollen.

Im Rahmen ihrer Stellungnahme überließ die Klägerin ihre Schadensanzeige vom 23.01.2018, in der sie mitgeteilt habe, dass ihr von einem Vorschaden nichts bekannt sei. Abzustellen sei auf die zugrundeliegenden AKB Abschnitt E 2.2 der Beklagten (die § 28 Abs. 3 S. 2 VVG entsprechen würden). Diese Angabe sei in Ansehung des Kaufvertrages über das Fahrzeug vom 22.11.2018 offensichtlich falsch, weshalb die Klägerin gegen ihre sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Obliegenheit zu wahrheitsgemäßen Angaben verstoßen habe. Auch wenn die Klägerin ihren Angaben zufolge bei Kauf kein Interesse an der Art von Vorschäden gehabt haben sollte, wäre sie aufgrund der Nachfrage des Versicherers zur Erkundigung zu den ihr offenbarten Vorschäden verpflichtet gewesen. Offen ließe es das OLG, ob die Erkundigungspflicht nicht bereits bei Erstellung der Schadensanzeige eine entsprechende Erkundigungspflicht gehabt habe, insbesondere vor der Begutachtung durch den von der Beklagten beauftragten Sachverständigen.

Die falsche Angabe stelle sich auch als ein arglistiges Verschweigen von Tatsachen dar; insoweit verwies das OLG auf seinen Hinweisbeschluss vom 19.04.2023. Dort hatte das OLG ausgeführt, eine arglistige Täuschung setze eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus, wobei der Versicherungsnehmer vorsätzlich handeln müsse, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirke (BGH, Beschluss vom 04.05.2009 - IV ZR 62/07 -). Eine Bereicherungsabsicht müsse nicht vorliegen. Es genüge, dass sein Verhalten den Versicherer möglicherweise bei der der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen könne (BGH, Urteil vom 22.11.2012 – IV ZR 97/11 -). Ausreichend sie daher auch, etwaige Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, um die Regulierung zu beschleunigen oder allgemein auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen zu wollen. In dem Verschweigen der Vorschäden läge angesichts des späteren Verkaufs des Fahrzeugs durch die Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung des Schadensfeststellung.

Ergänzend wies das OLG darauf hin, dass die Berufung (wie vom Landgericht zutreffend erkannt) keine Aussicht auf Erfolg habe, da die Reparatur der Vorschäden nicht dargelegt worden sei und auch eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO unmöglich sei.

Die Klägerin rechnet den Schaden auf der Grundlage eines Privatgutachtens, welches einen wirtschaftlichen Totalschaden ausweise, fiktiv ab. Sowohl der Wiederbeschaffungswert wie auch der Restwert könnten durch Vorschäden beeinflusst werden. Eine entsprechende Abrechnung sie möglich, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO auszuschließen sei, dass im Falle von Vorschäden mit dem späteren Schadensereignis kompatible Schäden bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden seien. Dazu müsse der Geschädigte insbesondere im Fall von Schadensüberlagerungen den Umfang des Vorschadens und gegebenenfalls deren Reparatur belegen, da sich der Ersatzanspruch lediglich auf den Ersatz derjenigen Kosten erstrecke, die zur Wiederherstellung des vorbestehenden Zustandes erforderlich seien (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017 - I-1 U 31/16 -).  Den Geschädigten treffe die Darlegungs- und Beweislast, dass das Gutachten, auf welches er seinen  Anspruch stütze, im Hinblick auf den Wiederbeschaffungswert richtig sei (OLG Saarbrücken, Urteil vom 17.02.2022 - 4 U 94/21 -).Ohne detaillierte Kenntnis vom Umfang etwaiger Vorschäden und deren Reparatur sei eine Schätzung des Wiederbeschaffungswertes nicht möglich. Die Bezugnahme auf das Privatgutachten sei ungenügend, wenn dem Sachverständigen die Vorschäden nicht offengelegt worden seien. Die Klägerin habe weder die ordnungsgemäße Reparatur des Vorschadens hinreichend dargelegt noch Tatsachen für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Vorschäden vorgelegt.

Dem von der Klägerin in Bezug genommenen Privatgutachten sei zu entnehmen, dass sich dieses auf die Annahme bezöge, das Fahrzeug sie mit Originalteilen vollständig und fachgerecht repariert worden. Zum nach weis der Reparatur habe die Klägerin eine ihr vom Vorbesitzer überlassene Rechnung vom 12.11.20188 vorgelegt, aus der sich nicht ergäbe, dass Originalteile eingebaut worden seien. Eine Schadensschätzung käme nur bei Vorliegen hinreichender greifbarer Tatsachen in Betracht; auch § 287 ZPO erlaube keine völlig abstrakte Form der Schätzung eines Mindestschadens (BGH, Beschluss vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 -). Erforderliche Tatsachen für die Schätzung seien nicht vorgetragen und könnten infolge des Verkaufs auch nicht mehr bewiesen werden.

Hanseatische OLG Bremen, Hinweisbeschluss vom 14.06.2023 - 3 U 41/22 -

Donnerstag, 10. Februar 2022

Anwaltliche Pflichten bei Vergleichsabschluss und Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien. 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -

Donnerstag, 11. November 2021

Verdienstausfall als Schadensersatz nach Unfall, Zumutbarkeit der Behandlung und Darlegungs- und Beweislast

Der bereits vorgeschädigte Kläger (GdB 60%) zog sich bei einem von dem Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung am 08.08.2004 alleine verursachten und verschuldeten Verkehrsunfall Frakturen, Prellungen und Quetschungen zu. Zwischen den Parteien ist die volle Einstandsverpflichtung der Beklagten für die materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfall unstreitig.

Nach der unfallbedingten stationären Behandlung war der Kläger über längere Zeit auf einen Rollstuhl und die Hilfe seiner berufstätigen Frau angewiesen. Nach Behauptung des Klägers sei es unfallbedingt  zu Depressionen gekommen und er habe einen Selbstmordversuch gemacht. 2005 habe er seine Tätigkeit bei in der Folgezeit sich entwickelnden psychosomatischen Beschwerden wieder aufgenommen, bis es bedingt durch die Beschwerden zur Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007 gekommen sei. Schließlich bekam er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nach einmaliger Verlängerung zu einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente führte. Mit der Klage machte der Kläger seinen Verdienstausfallschaden geltend.

Das Landgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagte wurde das Urteil abgeändert und die Klage teilwiese abgewiesen. Das Oberlandesgericht stellte darauf ab, dass eine Anspruchskürzung wegen fehlender ärztlicher Behandlung der Depression zu erfolgen habe (zunächst um 50%, später mit 75%). Der Kläger verfolgte mit der zugelassenen Revision sein ursprüngliches Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.

Der BGH bestätigte, dass ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB  führe zu einer Anspruchskürzung führe. Danach müsse es der Geschädigte schuldhaft unterlassen haben, einen Schaden abzuwenden oder zu mindern. Es handele sich dabei um eine Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Eine Obliegenheitsverletzung verlange, dass der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben Maßnahmen unterlassen würde, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in seiner Position zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Danach obliege es dem Geschädigten bei einer seine Arbeitskraft beeinträchtigenden Verletzung als Ausfluss der Schadensminderungspflicht im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft im zumutbaren Ramen so nutzbringend wie möglich zu verwerten (BGH, Urteil vom 26.09.2006 - VI ZR 124/05 -).

Wenn die Arbeitskraft durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder verbessert werden könne, würde es sich um eine vorgeschaltete Obliegenheit zur Schadensminderung darstellen, diese Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 04.11.1986 - VI ZR 12/86 -).  Der Geschädigte dürfe nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der bei gleicher Gesundheitsstörung die Vermögensnachteile selbst zu tragen habe.  

Die zur (jedenfalls teilweisen) Wiedererlangung der Arbeitskraft müssen dem Geschädigten zumutbar sein. Dazu gehöre auch eine Operation, wenn sie einfach und gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sei und die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung biete (BGH, Urteil vom 15.03.1994 - VI ZR 44/93 -). Danach sei für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung Voraussetzung.

Im Hinblick auf einen Verdienstausfallschaden sei eine Zumutbarkeit nur anzunehmen, wenn die Verbesserung der Gesundheit zur Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Arbeitskraft führe. Dass wiederum würde voraussetzen, dass überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit (ggf. nach zumutbaren Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen) vorläge, er also die widergewonnene Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen. Für entsprechende Feststellungen müsse der Tatrichter den mutmaßlichen Erfolg anhand der (damaligen, also zum Zeitpunkt einer Unterlassung) Lage am Arbeitsmarkt beurteilen.

Verstoße der Geschädigte gegen die ihm danach obliegende Schadensminderungspflicht, seien die erzielbare fiktiven Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Kürzung komme nicht in Betracht, da die Höhe des Schadens nicht von einer Quote abhänge, sondern davon, welches Einkommen vom Geschädigten in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände in zumutbarer Weise verdienen könnte.

Vorliegend habe sich das Berufungsgericht nicht mit der vom Kläger bestrittenen Therapiefähigkeit auseinandergesetzt habe. Sollte die Verweigerung oder Verzögerung einer indizierten Therapie eine typische Folge der unfallbedingten psychischen Erkrankung sein, scheide eine Obliegenheitspflichtverletzung aus.

Auch habe das Berufungsgericht die konkreten therapeutischen Maßnahmen nicht ermittelt, da neben der Erfolgsaussicht auch beurteilt werden müsse, welche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit hingenommen werden sollen und ob diese zu den Erfolgsaussichten angemessen seien.

Auch müsse der Tatrichter entscheiden , ob eine Obliegenheitspflichtverletzung entfalle, wenn – wie hier vom Kläger behauptet – der Amtsarzt in 2008 den Rentenantrag empfohlen habe, die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin 2012 eine unverändert fehlende Belastbarkeit festgestellt und eine Besserung ausgeschlossen habe und dies von der Ärztin der Rentenversicherung 2012 bestätigt worden sei.

Verfehlt sei zudem, dass das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung aus einem Erfolg der Behandlung der rezidivierenden depressiven Störungen unmittelbar auf Verdienstmöglichkeiten des Klägers in Höhe seines entgangenen Verdienstes geschlossen habe. Es fehle die Prüfung, ob der Kläger überhaupt, ggf. in welchem Umfang die Möglichkeit gehabt hätte, seine verbliebene bzw. neu gewonnene Arbeitskraft am Arbeitsmarkt gewinnbringend einzusetzen. Die fiktiven Einnahmen seien vom Berufungsgericht fehlerhaft nicht ermittelt worden.

Zur Darlegungs- und Beweislast wies der BGH darauf hin, dass diese grundsätzlich der Schädiger trage; er müsse darlegen und beweisen, dass es dem Geschädigten möglich und zumutbar gewesen sei, seine Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft gewinnbringend anzusetzen. Allerdings obliege dem Geschädigten insoweit eine sekundäre Darlegungslast, was bedeutet, dass er darlegen müsse, was er unternommen habe, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden bzw. was dagegen stehen würde.

Da die notwendigen Ermittlungen durch das Berufungsgericht fehlten, konnte der BGH in der Sache nicht selbst entscheiden und hob das Urteil unter Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung auf.

BGH, Urteil vom 21.09.2021 - VI ZR 91/19 -

Donnerstag, 4. Juli 2019

Kasko- und Kfz-Haftpflichtversicherung und die Folgen bei Unfallflucht (§ 142 StGB)


Der Kläger, der bei der Beklagten eine Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung hatte, verunfallte mit dem versicherten Fahrzeug. Ohne die Polizei oder sonstige Dritte zu informieren verließ er die Unfallstelle. Zwei Stunden später wurde er von Polizeibeamten bei sich zu Hause aufgesucht, die eine Atemalkoholkontrolle mit einem Wert von 0,22mg/l durchführte (wobei er behauptete, er habe erst nach dem Unfall zu Hause 1 ¾ Flaschen Bier à 0,5 l getrunken). Es erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Die Beklagte geht wegen mehrfacher Obliegenheitspflichtverletzungen des Klägers von einer Leistungsfreiheit aus. Diese wandte sie in der Klage auf Kaskoentschädigung ein und erhob Widerklage in Bezug auf die von ihr regulierten Haftpflichtansprüche. Das Landgericht (LG) gab der Klage und der Widerklage zu je ½ statt. Die Berufung beider Parteien wurde vom OLG zurückgewiesen.

Vom Ausgangspunkt habe, so das OLG, das LG zutreffend in der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) eine Verletzung der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit nach den den Versicherungsverhältnissen zugrunde liegenden AKB gesehen. Dies sei zwar vorsätzlich geschehen, nicht aber arglistig. Arglist läge nur vor, wenn der Versicherungsnehmer (VN) mit der Handlung  und zu diesem Zeitpunkt (Tathandlung des § 142 StGB) einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge und wisse, dass sein Verhalten möglicherweise die Schadensregulierung beeinflussen kann. Grundsätzlich könne bei einer Unfallflucht nicht pauschal eine Arglist angenommen werden. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls: Hier sei er zunächst am das Fahrzeug (welches nicht mehr gefahren werden konnte) am Unfallort geblieben, weshalb er mit einer Entdeckung rechnen musste, und er wart auch einige Zeit selbst am Unfallort verblieben, bis er abgeholt worden sei. Mit dem (vom Kläger organisierten) Abholen seiner Person vom Unfallort konnte er seine Pflichten nach § 142 StGB nicht mehr erfüllen, weshalb es auf seine späteren Handlungen nicht mehr ankäme.

Damit wäre die Obliegenheitspflichtverletzung, die in der Unfallflucht läge, für die Beklagte leistungsbefreiend, wenn diese kausal für fehlende Feststellungen durch den Versicherer wäre. Die Kausalität wird vermutet, weshalb der Beklagte den Kausalitätsgegenbeweis führen müsse.

Hier sei zu berücksichtigen, dass er nicht den Nachweis geführt habe, bei dem Verkehrsunfall nicht alkoholisiert zu sein. Die Angaben des Klägers in seiner Anhörung durch das Landgericht und des Zeugen G. sowie der als Zeugin gehörten Ehefrau des Klägers hätten nachvollziehbar für das LG nicht der erforderliche Gewissheit begründet, dass ein sogen. Nachtrunk vorgelegen habe. So waren insbesondere die Angaben des G. von Detailarmut geprägt und weichen bezüglich des jeweiligen Alkoholkonsums von dem Vortrag des Klägers ab.

Der Kläger habe aber den Nachweis erbracht, dass die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit jedenfalls teilweise nicht für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten ursächlich gewesen sei. Zutreffend habe das LG festgestellt, dass eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nur in dem Umfang, wie eine Ursächlichkeit anzunehmen ist bzw. ein Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht würde, zur Leistungsfreiheit führe. Dies ergäbe sich aus den AKB, die auch für die vorsätzliche Obliegenheitspflichtverletzung vorsähen, dass eine Verpflichtung zur Leistung weiterhin bestünde, als der VN nachweise, dass die Verletzung der Obliegenheit u.a. für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht nicht ursächlich wäre („… insoweit zur Leistung verpflichtet, als ….“).  

Da der Beklagte sogleich, als ihn die Polizei aufsuchte, seine schuldhafte Unfallverursachung eingeräumt habe, könnten Feststellungsnachteile für die Beklagte nicht entstehen. Auch Nachteile zu einer etwaigen  Haftungsquote seien nicht ersichtlich (hier: Abkommen von der Fahrbahn in einer Linkskurve). Es sei auch nicht erkennbar, dass eventuell innerhalb der Zeit, bis die Polizei den Unfall bemerkte (die schon 2 Stunden später bei dem Beklagten war) Spuren auf der Fahrbahn o.ä, verlorengegangen sein könnten.

Die Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt könne mit höchstens 0,84 Promille angenommen werden, wie das LG zutreffend festgestellt. Damit sei nicht auszuschließen, dass es zu dem Unfall infolge der durch die Alkoholisierung bedingten relativen Fahruntüchtigkeit des Klägers gekommen sei. Mangels Angaben des diesbezüglich darlegungs- und beweisbelasteten Klägers dazu, was er wann vor dem Unfall getrunken habe, könne auch keine Berechnung der Alkoholkonzentration auf den Unfallzeitpunkt erfolgen, weshalb das angebotene Sachverständigengutachten nicht einzuholen gewesen sei. Da die Rückrechnung hier zum Unfallzeitpunkt mithin nicht möglich sei, treffe die Beklagte insoweit ein Feststellungsnachteil. Was gewesen wäre, wenn erst einige Tage später die Polizei auf den Kläger aufmerksam geworden wäre, ist hier nicht bedeutsam (Fall des Urteils OLG Stuttgart vom 16.10.2014 – 7 U 121/14 -), da zwei Stunden nach dem Vorfall noch Feststellungen möglich waren. Die Falschangabe des Klägers, erst nach dem Unfall Alkohol getrunken zu haben, stelle keine selbständige die Leistungsfreiheit begründende Obliegenheitspflichtverletzung dar.

Dies führe im Ergebnis zu einer Kürzung des Anspruchs des Klägers um 50% im Rahmen der Kaskoversicherung und zu einer Kürzung des widerklagend geltend gemachten Betrages auf Ersetzung des Haftpflichtschadens auch um 50% (der mit € 1.780,86, also im Rahmen der Höchstgrenze nach AKB, geltend gemacht worden war).

OLG Stuttgart, Urteil vom 13.12.2018 - 7 U 188/18 -

Freitag, 19. August 2016

Versicherungsrecht: Auskunftsobliegenheit auch entgegen eigenen Interessen

Im Rahmen einer Schadensregulierung ging der beklagte Wohngebäudeversicherer u.a. im Zusammenhang mit dem Brand im September 2010 des versicherten Gebäudes der Frage einer Eigenbrandstiftung nach. Der klagende Versicherungsnehmer hatte im Juli 2008 das Haus auf sich übertragen lassen, nachdem sein Sohn Kay, der dies 2001 erworben hatte und dort mit seiner damaligen Lebensgefährtin wohnte, sich von dieser trennte; der Kläger hat sodann das Haus an seine beiden Söhne vermietet.  Die Beklagte hatte den Kläger u.a. zu dessen Söhnen befragt und dazu, ob er Kenntnis von Sachverhalten habe, die den Verdacht nahelegen könnten dass diese den Brand gelegt hätten und ferner, ob sie finanzielle, berufliche oder persönliche Schwierigkeiten hätten. Der Kläger gab an, keine Kenntnis über irgendwelche finanziellen Schwierigkeiten seiner Söhne zu haben. Tatsächlich hatte aber der eine Sohn im März 2008 die eidesstattliche Versicherung ab und wurde im April 2009 wegen Computerbetrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.  Die Beklagte lehnte wegen arglistiger Verletzung von Obliegenheiten durch ihren Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz ab.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hatte auf die Berufung hin der Klage stattgegeben. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagte wurde das Urteil vom BGH im Beschlussweg aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Bei der im Rahmen der Regulierungsermittlung durch den beklagten Versicherer gestellten Frage nach möglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Söhne handele es sich um eine zur Feststellung des Versicherungsfalls erforderliche und daher zulässige Frage. Der Versicherungsnehmer sei nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zur unverzüglichen Auskunftserteilung verpflichtet, soweit dies zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich ist, und habe jede Untersuchung zu Ursache und Höhe zu gestatten. Diese Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers sei weit gefasst.   Das schließe auch die Feststellung solcher Umstände mit ein, aus denen sich die Leistungsfreiheit des Versicherers (z.B. nach § 81 VVG) ergeben könnte. Von daher habe der Versicherungsnehmers auf Verlangen auch insoweit Auskünfte wahrheitsgemäß zu erteilen, als sie eventuell seinen eigenen Interessen entgegenstehen.

Der BGH verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück, da dieses unter Verletzung des rechtlichen Gehörs einem Beweisangebot der Beklagten  nicht nachgegangen war, aus dem sich inzident ergeben sollte, dass der Kläger sehr wohl Kenntnis von den finanziellen Verhältnissen des Sohnes Kay und dem Computerbetrug hatte, da er mit der geschädigten des Computerbetrugs gesprochen haben soll, die von der Beklagten als Zeugin diesbezüglich benannt war.


BGH, Beschluss vom 13.04.2016 – IV ZR 152/14 -