Der Versicherungsnehmer der Beklagten beabsichtigte mir seinem Pkw nach rechts in sein Grundstück abzubiegen, weshalb er seine Geschwindigkeit reduzierte, nach rechts blinkte und das Fahrzeug zunächst etwas nach links zur Fahrbahnmitte (die Fahrbahn hatte keine Mittelmarkierung) hin lenkte. Zu gleichen Zeit setzte der Kläger zum Überholen (links) an. Als beide Fahrzeuge etwa auf gleicher Höhe waren, machte der Versicherungsnehmer der Beklagten eine weitere Lenkbewegung nach links (sogen. Linksschwenk) und es kam zur seitlichen Kollision der Fahrzeuge. Das Landgericht nahm eine Haftungsquote der Beklagten zu 60% an und gab dieser, unter teilweisen Abzügen bei der Schadenshöhe, auf dieser Grundlage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab, insoweit es eine Haftungsquotelung von 40% zu 60% zu Lasten des Klägers annahm.
Der Versicherungsnehmer der Beklagten habe gegen § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen in ein Grundstück) und § 9 Abs. 1 S. 2 StVO (Pflicht zum Einordnen nach rechts) verstoßen. Es käme dabei nicht darauf an, ob das Beklagtenfahrzeug dabei die (gedachte) Mittellinie überfahren habe, ebenso wenig wie es darauf ankäme, ob der Versicherungsnehmer der Beklagten der doppelten Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO genügte.
Auf Klägerseite läge ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers) sowie gegen § 1 Abs. 2 StVO (allgemeines Gefährdungsverbot) vor. Hinzu käme, dass der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt habe (Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). In der konkreten Situation sei ei n Überholen unzulässig gewesen. Eine unklare Verkehrslage läge vor, wenn nach den Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden könne. Das sei z.B. dann der Fall, wenn das Verhalten des Vorausfahrenden unklar sei. Die Unklarheit könne auch auf einem unaufmerksamen, unsicheren, fehlerhaften oder verkehrswidrigen Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers beruhen. Entscheidend seien die für den Überholenden erkennbaren äußeren Umstände (OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.01.2003 - 3 U 258/02 -).
Nach Angaben des Klägers war diesem das Beklagtenfahrzeug bereits ab der Ortseinfahrt durch seine langsame Fahrweise aufgefallen, ferner soll das Beklagtenfahrzeug ein nicht vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug durchgelassen haben. Deshalb habe er, der Kläger, besondere Vorsicht walten lassen und einen größeren Abstand eingehalten, was belege, dass er die Notwendigkeit besonderer Vorsicht erkannt habe. Im weiteren Verlauf sei das Beklagtenfahrzeug bei gesetzten rechten Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesteuert worden, was der Kläger wahrgenommen habe. In Ermangelung einer Mittelmarkierung sei für den Versicherungsnehmer der Beklagten nicht eindeutig erkennbar gewesen, ob er sich noch innerhalb seiner Fahrspur befand, für den Kläger, ob ihm die gesamte Gegenfahrspur zur Verfügung stünde.
Damit sei ein Überholen unzulässig gewesen. Der Kläger hätte hier aufgrund von ihm wahrgenommener Unsicherheiten in der Fahrweise des Beklagtenfahrzeugs, dem Verkehrsverstoß beim Einordnen zum Abbiegen sowie den örtlichen Gegebenheiten (relativ schmale Fahrbahn ohne Mittelmarkierung) nicht mit einem gefahrlosen Überholen rechnen dürfen. In Ansehung des fehlerhaften Einordnens nach links war für den Kläger auch nicht ersichtlich, wie sich der Versicherungsnehmer der Beklagten weiter verhalten würde, da die (sich verwirklichte) Gefahr bestanden habe, dass dieser noch weiter nach links ausholen würde. Es würde sich um ein unzulässiges, aber weit verbreitetes Phänomen handeln, vor dem Rechtsabbiegen in Einfahrten nach links auszuholen. Zudem sei auch bei einem Einordnen zur Mitte und Reduzierung der Geschwindigkeit en falsches Blinken nach rechts bei einem beabsichtigten Abbiegen nach links denkbar.
Im Hinblick auf den Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO falle es nicht beträchtlich ins Geweicht und könne deshalb offen bleiben, ob im Überholen bei relativ geringem Platz und Abstand zugleich ein weiterer Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 4 StVO (ausreichender seitenabstand beim Überholen) vorläge.
Bei der gebotenen Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG sei darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Dabei seine eine Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BGH, Urteil vom 28.02.2012 – VI ZR 10/11 -). Nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände seien zu berücksichtigen, wobei jeder Halter dabei die Umstände beweisen müsse, die dem anderen zum Verschulden gereichen und sich auf den Unfall ausgewirkt haben.
Hier würden danach die Verstöße der Beklagtenseite gegen § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 1 S. 4 und Abs. 5 StVO zulasten der Beklagten wirken. Zu Lasten des Klägers würden die Verstöße gegen §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 3 Nr. 1 und 5 Abs. 4a StVO wirken. Der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Klägers im Rahmen seines unzulässigen und rücksichtslosen Überholmanövers überwiege dabei den Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagtenseite. Zwar treffe die Beklagtenseite der verschärfte Haftungsmaßstab des § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei abbiegen in ein Grundstück), was in der Regel zu einer beträchtlichen Mithaftung oder auch alleinigen Haftung führe. Das unzulässige und gefährliche Überholen des Klägers unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO wirke aber noch schwerer, jedenfalls unter Berücksichtigung der begleitenden Umstände. Da davon auszugehen sei, dass der Versicherungsnehmer rechtzeitig nach rechts blinkte und seine Geschwindigkeit reduzierte, treffe ihn lediglich die Haftung aus dem fehlerhaften Einordnen und dem weiteren Linksschwenk, was sich – so das OLG – als nachvollziehbar und häufig zu beobachtendes Manöver darstelle, um leichter in eine enge Grundstückseinfahrt hineinzufahren. Demgegenüber sei das Verhalten des Klägers über das unzulässige Überholmanöver hinaus gefährlich und rücksichtslos. Es sei aus einem zu geringen Abstand heraus ohne Ankündigung durch Blinken und unter starker Beschleunigung sowie mit einem geringen Seitenabstand erfolgt. Zudem sei es an der Stelle auch vollkommen unverständlich und unnötig gewesen, da das Beklagtenfahrzeug wenige Meter und Sekunden später abgebogen wäre und der Weg für den Kläger frei gewesen wäre.
OLG Schleswig, Urteil vom
06.02.2024 - 7 U 94/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das
Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom
09.06.2023, Az. 2 O 61/20, abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den
Kläger 2.510,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 12.06.2020 sowie weitere 334,75 € auf vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.10.2020 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte
verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren Schaden aus dem Verkehrsunfall vom
15.05.2020 in Seedorf nach einer Haftungsquote von 40 % zu ersetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug haben der Kläger 69 % und die Beklagte - ggf. als Gesamtschuldner neben den Erben des Hans Sommer - 31 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug haben der Kläger 38 % und die Beklagte 62 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien
streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 15.05.2020 in S. Der
Kläger befuhr mit seinem PKW Audi X (amtliches Kennzeichen X) die X-Straße in
Richtung S. Vor ihm fuhr der Versicherungsnehmer der Beklagten, der vormalige
Beklagte zu 2), der am X verstorben ist, mit seinem bei der Beklagten
haftpflichtversicherten VW (amtliches Kennzeichen X, nachfolgend
„Beklagtenfahrzeug“). Der Versicherungsnehmer der Beklagten beabsichtigte, nach
rechts in sein Grundstück - Hausnummer X - abzubiegen. Er reduzierte seine
Geschwindigkeit, blinkte nach rechts und lenkte sein Fahrzeug zunächst etwas
nach links zur Fahrbahnmitte hin. Der Kläger setzte etwa zur gleichen Zeit zum
Linksüberholen an. Der Abstand und die Geschwindigkeitsdifferenz dabei sind
streitig. Als sich die beiden Fahrzeuge etwa auf gleicher Höhe befanden,
vollzog der Versicherungsnehmer der Beklagten mit seinem Fahrzeug eine weitere
Lenkbewegung nach links - einen sog. Linksschwenk - und es kam zur seitlichen
Kollision der Fahrzeuge. Die Fahrbahn verfügt an der Unfallstelle nicht über
eine Mittelmarkierung.
Der Kläger hat
behauptet, er sei mit seinem Fahrzeug beim Überholen geringfügig schneller
gefahren als das Beklagtenfahrzeug und habe ausreichend Seitenabstand gehalten.
Die Kollision sei auf der Gegenfahrbahn erfolgt und allein auf den deutlichen
Linksschwenk des Beklagtenfahrzeugs zurückzuführen.
Der Kläger hat
Beschädigungen seines Fahrzeuges rechtsseitig am Kotflügel, am Außenspiegel, an
der Felge vorne, an den Türen vorne und hinten und am Seitenteil hinten
behauptet. Er hat zuletzt Netto-Reparaturkosten in Höhe von 6.155,99 €
behauptet. Die Sachverständigenkosten beliefen sich auf 948,43 €.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug
beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu
verurteilen, an ihn 7.716,79 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.06.2020;
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren Schaden, der aus dem Verkehrsunfallereignis vom 15.05.2020 in S folgt, auf Basis einer Haftungsquote von 100 % zu ersetzen;
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 864,66 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte
hat behauptet, der Kläger sei mit minimalem Abstand am Beklagtenfahrzeug
„vorbeigeschossen“. Bei dem geringfügigen Linksschwenk habe es sich um einen
üblichen Vorgang zum besseren Abbiegen in die Einfahrt gehandelt. Für den
Kläger habe eine unklare Verkehrslage bestanden. Die Beklagte hat ferner
Vorschäden am Klägerfahrzeug behauptet.
Der Kläger hat
die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 25.05.2020 unter Fristsetzung bis
zum 03.06.2020 erfolglos zur Zahlung aufgefordert.
Das Landgericht
hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X, X und X sowie durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. X. Es hat sodann der Klage auf
Grundlage einer Haftungsquote der Beklagten von 60 % und unter Abzügen bei der Schadenshöhe
teilweise stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe
gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7, 17
Abs. 1, 2 StVG i. V. m. § 115 VVG. Die Beklagte habe für die Folgen
des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls nach einer Haftungsquote von 60 %
einzustehen. Dies entspreche den jeweiligen Verursachungsbeiträgen der
Beteiligten im Rahmen der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung. Der
Versicherungsnehmer der Beklagten habe gegen die Sorgfaltsanforderungen des
§ 9 Abs. 1 S. 2 (Rechtseinordnen), S. 4 (doppelte
Rückschaupflicht) und Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer) verstoßen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der
Versicherungsnehmer der Beklagten im Rahmen des Abbiegevorgangs nach rechts
einen Linksschwenk über die gedachte Mittellinie bis auf die Gegenfahrbahn
ausgeführt. Zudem habe er auch noch im Rückspiegel gesehen, dass das
Klägerfahrzeug hinter ihm nach links ausgeschert sei, und hierauf nicht
reagiert. Der Kläger habe demgegenüber gegen die Sorgfaltsanforderungen aus
§ 5 Abs. 4a StVO (Ankündigung des Überholens durch Benutzung der
Fahrtrichtungsanzeiger) und § 1 Abs. 2 StVO (Grundregeln im
Straßenverkehr) verstoßen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Kläger
beim Einleiten des Überholens nicht geblinkt. Das Überholmanöver selbst sei
zwar nicht unzulässig gewesen, allerdings habe der Kläger insgesamt eine
erheblich rücksichtslose Fahrweise gezeigt. Dies ergebe sich insbesondere aus
der glaubhaften Aussage des Zeugen X. Der Kläger könne deshalb 60 % der
erforderlichen Reparaturkosten ersetzt verlangen, wobei nach dem Ergebnis des
Sachverständigengutachtens nicht alle geltend gemachten Schäden auf den
streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen seien. Unfallbedingt seien -
abgrenzbare - Reparaturkosten von 5.307,04 € (netto) erforderlich. Hinzu kämen
Gutachterkosten in Höhe von 948,43 € und eine Auslagenpauschale von 25,00 €.
Hiervon habe die Beklagte 60 % zu ersetzen. Hinzu kämen vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten auf einen Gegenstandswert bis 5.000,00 € in Höhe von 540,50
€.
Wegen der
weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf die angefochtene
Entscheidung nebst darin enthaltenen Verweisungen Bezug genommen.
Hiergegen
wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches
Begehren auf Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Würdigung des
Landgerichts, ihr Versicherungsnehmer sei mit seinem Linksschwenk bis auf die
Gegenfahrbahn geraten, sei fehlerhaft. Dies gelte auch für die Annahmen, ihr
Versicherungsnehmer habe den Linksschwenk erst vollführt, nachdem er im
Rückspiegel das Ausscheren des Klägerfahrzeugs nach links wahrgenommen habe,
und er hätte dessen Überholabsicht deshalb erkennen und seinen Abbiegevorgang
noch abbrechen können. Ein Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht sei
nicht gegeben. Ursächlich für die Kollision sei auch nicht die „fortgesetzte
Linksbewegung“ des Beklagtenfahrzeugs gewesen, sondern das zu schnelle und enge
Überholmanöver des Klägers. Für den Kläger habe eine unklare Verkehrslage
bestanden, so dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb das Landgericht keine
Unzulässigkeit des Überholmanövers angenommen habe. Der bei unklarer
Verkehrslage überholende Kläger sei nicht in den Schutzbereich des § 9
Abs. 5 StVO einbezogen. Ihn müsse deshalb eine höhere Haftungsquote
treffen als die Beklagte. Das Landgericht habe auch fehlerhafte Schlüsse aus
den festgestellten Vorschäden gezogen; die Klage hätte vielmehr abgewiesen
werden müssen, nachdem der Kläger die Vorschäden zuvor verschwiegen habe.
Die Beklagte beantragt nunmehr:
Das Urteil des Landgerichts Kiel vom 12.06.2023 - 2 O 61/20 - wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Sie beantragt zudem, im Hinblick auf die Haftungsverteilung
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt
das angefochtene Urteil. Eine unklare Verkehrslage lasse sich nicht begründen,
weil im Gegenteil klar gewesen sei, dass das Beklagtenfahrzeug nach rechts in
das Grundstück abbiegen würde.
Wegen des
weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die im
Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat -
durch seinen Einzelrichter - am 16.01.2024 eine mündliche Verhandlung
durchgeführt.
II.
Die Berufung
der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat einen
Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1
StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG auf Ersatz seines unfallbedingten
Schadens nach einer Haftungsverteilung von 40 % zu 60 % zu seinen Lasten.
Gemäß
§ 513 ZPO kann eine Berufung nur auf eine Rechtsverletzung oder darauf
gestützt werden, dass die gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigenden
Feststellungen ein anderes als das landgerichtliche Ergebnis rechtfertigen.
Vorliegend rechtfertigen die vom Landgericht in nicht zu beanstandender Art und
Weise getroffenen Feststellungen ein anderes Ergebnis, nämlich eine abweichende
Haftungsverteilung.
Dem Landgericht
ist zunächst darin zu folgen, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten gegen
§ 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
beim Abbiegen in ein Grundstück) und § 9 Abs. 1 S. 2 StVO (Pflicht
zum Einordnen nach rechts) verstoßen hat. Auf die diesbezüglichen Ausführungen
des Landgerichts wird zunächst Bezug genommen. Nach den nicht angegriffenen
Feststellungen des Landgerichts hat der Versicherungsnehmer der Beklagten seine
Geschwindigkeit reduziert, den Fahrtrichtungsanzeiger rechts betätigt und sich
mit seinem Fahrzeug nach links zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet. Unmittelbar
vor dem beabsichtigten Abbiegen in sein Grundstück hat er sein Fahrzeug noch
weiter nach links gelenkt und einen sog. Linksschwenk vollzogen, wobei es zur
Kollision mit dem Klägerfahrzeug gekommen ist. Damit stehen die genannten
Verkehrsverstöße fest. Bereits mit dem Einordnen nach links hat der
Versicherungsnehmer der Beklagten gegen das Gebot verstoßen, sein Fahrzeug vor
dem Rechtsabbiegen möglichst weit rechts einzuordnen. Und jedenfalls mit dem
weiteren Linksschwenk hat er andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet,
wodurch es zum Unfall mit dem nachfolgenden Klägerfahrzeug gekommen ist, das
bereits im Überholen begriffen war. Darauf, ob das Beklagtenfahrzeug beim
Einordnen oder beim weiteren Linksschwenk die gedachte Mittellinie überfahren
und zumindest teilweise die Gegenfahrbahn befahren hat, kommt es für den
Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 2 StVO nicht an. Ob die entsprechende
Schlussfolgerung des Landgerichts tragfähig ist oder nicht, ist deshalb
unerheblich und bedarf keiner weiteren Erörterung. Ob den Versicherungsnehmer
der Beklagten darüber hinaus ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 4
StVO (Pflicht zur doppelten Rückschau) trifft, ist ebenfalls nicht
entscheidend. Er selbst hatte angegeben, das Klägerfahrzeug noch im Rückspiegel
gesehen zu haben, als es hinter ihm nach links ausgeschert war. Die Beklagte
argumentiert letztlich, dass eine geeignete Reaktion ihres Versicherungsnehmers
aufgrund des engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs nicht mehr möglich gewesen
sei. Dies erlaubt zwei mögliche Rückschlüsse: Entweder der Versicherungsnehmer
der Beklagten hat erst so spät auf den rückwärtigen Verkehr geachtet, dass er
sein Abbiegemanöver - einschließlich des bereits eingeleiteten Linksschwenks -
nicht mehr hat abbrechen können, was einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1
S. 4 StVO begründen würde. Oder er hat zwar seiner Rückschaupflicht
genügt, jedoch ungeachtet dessen - d.h. in Ansehung des evtl. zum Überholen
ansetzenden Klägerfahrzeugs - sein Abbiegemanöver einschließlich Linksschwenk
fortgesetzt, was den Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 2 StVO und
insbesondere gegen § 9 Abs. 5 StVO umso gravierender erscheinen
ließe. Für den Grad des der Beklagten zuzurechnenden Verschuldens ihres
Versicherungsnehmers und das Ausmaß ihrer Mithaftung macht es keinen
entscheidenden Unterschied, welche der Variante hier zutrifft.
Dem Landgericht
ist weiter darin zu folgen, dass den Kläger ein Verstoß gegen § 5
Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Benutzung des
Fahrtrichtungsanzeigers) sowie gegen § 1 Abs. 2 StVO (Grundregeln im
Straßenverkehr, Gefährdungsverbot) trifft. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
hat der Kläger sein Überholmanöver nicht durch Blinken angekündigt und ist
zudem rücksichtslos und gefährlich gefahren. Die diesbezüglichen Feststellungen
und die entsprechende Würdigung des Landgerichts sind nicht zu beanstanden. Der
Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) berechtigt das Gericht,
die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich nach seiner individuellen
Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk-, Natur- und
Erfahrungsgesetze gebunden ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage 2022,
§ 286, Rn. 13). Ein Verstoß gegen diese Grundsätze ist nicht erkennbar. Im
Übrigen steht die Wiederholung der Beweisaufnahme gemäß §§ 529, 531 ZPO
nicht im reinen Ermessen des Berufungsgerichts. Sie ist im Sinne eines
gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen
Feststellungen begründen und eine gewisse - nicht notwendig überwiegende -
Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall einer Beweiserhebung die
erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben werden, sich also
ihre Unrichtigkeit herausstellt (Zöller/Heßler, a.a.O., § 529, Rn. 3).
Solche konkreten Anhaltspunkte sind vorliegend allerdings nicht ersichtlich und
werden mit der Berufung auch nicht vorgetragen. Der Senat schließt sich der
Beweiswürdigung des Landgerichts ausdrücklich an. Nach der glaubhaften Aussage
des Zeugen X fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug „sehr dicht“ auf das
Beklagtenfahrzeug auf, um dann „extrem Gas“ zu geben und „wie wild“ an ihm
„vorbeizuziehen“. Hinzu kommt, dass dabei der Abstand des Kläger- zum
Beklagtenfahrzeugs nicht groß gewesen sein kann. Denn nach den Ermittlungen des
Sachverständigen Dipl.-Ing. X (Gutachten vom 24.03.2022, Bl. 234 ff. d. A.,
dort Anlage A 15 = Bl. 262 d. A.) war der Kollisionswinkel sehr klein, d.h. die
Fahrzeuge fuhren - bei nach links eingeschlagenen Vorderrädern des
Beklagtenfahrzeugs - annähernd parallel. Daraus lässt sich ableiten, dass der
seitliche Abstand der Fahrzeuge schon vor dem Einleiten des (weiteren)
Linksschwenks nicht groß gewesen sein kann, weil ansonsten bis zur Kollision
ein größerer Winkel des Beklagtenfahrzeugs zum Klägerfahrzeug erreicht worden
wäre.
Der Kläger hat
ferner bei unklarer Verkehrslage überholt und damit auch gegen § 5
Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen. Das Überholen war für ihn in der
konkreten Situation unzulässig. Insoweit kann der abweichenden Einschätzung des
Landgerichts nicht gefolgt werden. Eine unklare Verkehrslage i. S. d. § 5
Abs. 3 Nr. 1 StVO liegt dann vor, wenn nach allen Umständen mit einem
ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden darf. Dies ist z. B. auch dann
der Fall, wenn ungewiss ist, wie sich der vorausfahrende Verkehrsteilnehmer
verhalten wird. Die Unklarheit kann auch auf einem unaufmerksamen, unsicheren,
fehlerhaften oder verkehrswidrigen Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers
beruhen. Maßgeblich sind die gesamten äußeren Umstände, die für einen
aufmerksamen Kraftfahrer, der überholen will, erkennbar sind. Es kommt darauf
an, wie sich die Verkehrssituation für den Überholenden dargestellt hat (vgl.
z. B. OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.01.20223, Az. 3 U 358/02, Juris Rn. 29).
Die Voraussetzungen für eine unklare Verkehrslage lagen danach vorliegend für
den Kläger vor. Dem Kläger war das Beklagtenfahrzeug nach eigenen Angaben schon
ab der Ortseinfahrt durch seine langsame Fahrweise aufgefallen. Zudem soll der
Versicherungsnehmer der Beklagten ein nicht vorfahrtberechtigtes Fahrzeug
durchgelassen haben. Der Kläger habe deshalb besondere Vorsicht walten lassen
und größeren Abstand gehalten. Der Kläger hat also erkannt, dass besondere
Vorsicht angezeigt war. Im weiteren Verlauf wurde das Beklagtenfahrzeug
unstreitig mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger nach links in
Richtung Fahrbahnmitte hin eingeordnet, was einen Verstoß gegen § 9
Abs. 1 S. 2 StVO darstellt. Dies hat der Kläger nach eigenem Bekunden
auch wahrgenommen. Zudem fehlte eine Mittelmarkierung als Orientierungshilfe;
der Versicherungsnehmer der Beklagten konnte so nicht eindeutig erkennen, ob er
innerhalb seiner Fahrspur fuhr, und der Kläger konnte nicht erkennen, ob ihm
die gesamte Breite der Gegenfahrspur zum Überholen zur Verfügung stand. Unter Berücksichtigung
aller Umstände war das Überholen in dieser Situation unzulässig. Der Kläger
durfte aufgrund der zuvor wahrgenommenen Unsicherheiten in der Fahrweise des
Beklagtenfahrzeuges, dem Verkehrsverstoß beim Einordnen zum Abbiegen sowie den
örtlichen Gegebenheiten (relativ schmale Fahrbahn ohne Mittelmarkierung) nicht
mit einem gefahrlosen Überholen rechnen. Aufgrund des fehlerhaften Einordnens
nach links war außerdem ungewiss, wie sich der Versicherungsnehmer weiter
verhalten würde. Gerade durch das vorausgegangene Einordnen nach links bestand
die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit, dass das Beklagtenfahrzeug vor dem
Abbiegen - wie geschehen - noch weiter nach links ausholen würde. Es handelt
sich um ein zwar unzulässiges, aber gleichwohl weit verbreitetes Phänomen, vor
dem Rechtsabbiegen in Einfahrten nach links auszuholen. Denkbar bei einem
Einordnen zur Mitte bei Reduzierung der Geschwindigkeit wäre auch ein falsches
Blinken nach rechts bei beabsichtigtem Abbiegen nach links.
Ob im Überholen
bei relativ geringem Platz und Abstand zugleich ein weiterer Verstoß des
Klägers gegen § 5 Abs. 4 StVO (ausreichender Seitenabstand) liegt,
fällt aufgrund des Verstoßes gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO nicht
beträchtlich ins Gewicht und kann dahinstehen.
Im Rahmen der
bei einer Kollision zweier Kraftfahrzeuge gemäß §§ 17 Abs. 1, 2, 18
Abs. 3 StVG gebotenen Abwägung ist auf die Umstände des Einzelfalls
abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem
einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei eine Abwägung und Gewichtung
der jeweiligen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei eine umfassende
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des
Unfallhergangs geboten ist (BGH, Urteil vom 28.02.2012, VI ZR 10/11, Juris Rn.
6; OLG Frankfurt, Urteil vom 31.03.2020, 13 U 226/15, Juris Rn. 43). Im Rahmen
der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der
Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden
Fahrzeuge ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige oder aber zugestandene und
bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu
beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die
nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige
Rechtsfolgen herleiten will. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße
Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage
haben deswegen außer Betracht zu bleiben (ständige Rechtsprechung des BGH,
Urteil vom 21.11.2006, VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urteil vom 27.06.2000, VI
ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.07.2018, 1 U 117/17,
Juris Rn. 5). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen
Tatbeiträge müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis
obliegt demjenigen, welcher sich auf einen in die Abwägung einzustellenden
Gesichtspunkt beruft (BGH, Urteil vom 13.02.1996, VI ZR 126/95, NZV 1996, 231,
232; OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020, 4 U 1914/19, Juris Rn. 4 m.w.N.).
Unter
Zugrundelegung dieser Grundsätze führt die Abwägung vorliegend zu der eingangs
genannten Haftungsverteilung von 40 % zu 60 % zulasten des Klägers. Die zuvor
aufgeführten Verursachungs- und Verschuldensanteile sind entweder unstreitig
oder nach Durchführung der Beweisaufnahme als erwiesen anzusehen. Sie sind auch
jeweils mitursächlich für den Unfall gewesen. Zulasten der Beklagten wirken
dabei die Verstöße gegen § 9 Abs. 1 S. 2 StVO, § 9
Abs. 5 StVO und ggf. § 9 Abs. 1 S. 4 StVO. Und zulasten des
Klägers greifen die Verstöße gegen § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 3
Nr. 1 und § 5 Abs. 4a StVO. Der Verursachungs- und
Verschuldensbeitrag des Klägers im Rahmen seines unzulässigen und
rücksichtslosen Überholmanövers überwiegt dabei den Verursachungs- und
Verschuldensbeitrag des Versicherungsnehmers der Beklagten. Den
Versicherungsnehmer der Beklagten traf zwar der verschärfte Haftungsmaßstab des
§ 9 Abs. 5 StVO, wonach man sich beim Abbiegen in ein Grundstück so
zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
ausgeschlossen ist. Der Verstoß hiergegen führt in der Regel zu einer
beträchtlichen Mithaftung oder auch einer alleinigen Haftung des Abbiegenden.
Allerdings wiegt das unzulässige und gefährliche Überholen des Klägers unter
Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO demgegenüber noch schwerer.
Dies gilt jedenfalls unter Berücksichtigung der begleitenden Umstände. Dem
Versicherungsnehmer der Beklagten ist zugute zu halten, dass er ordnungsgemäß
und rechtzeitig nach rechts geblinkt und seine Geschwindigkeit frühzeitig
reduziert hat. Ihn trifft lediglich die Haftung aus dem fehlerhaften Einordnen
und dem weiteren Linksschwenk vor dem Abbiegen, was sich allerdings als
nachvollziehbares und häufig zu beobachtendes Manöver darstellt, um leichter in
eine enge Grundstückseinfahrt zu fahren. Es handelte sich offenbar nach dem
weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme um die ständige Übung des
Versicherungsnehmers, ohne dass es dabei vorher jemals zu Problemen gekommen
wäre. Das Verhalten des Klägers war hingegen über das bloße - unzulässige -
Überholmanöver hinaus gefährlich und rücksichtslos. Das Überholen erfolgte aus
einem zu geringen Abstand heraus, ohne Ankündigung durch Blinken, unter starker
Beschleunigung und mit geringem Seitenabstand. Und abgesehen davon war das
Überholen an der konkreten Stelle in der konkreten Situation auch vollkommen
unverständlich und unnötig. Nur wenige Meter weiter und wenige Sekunden später
wäre das Beklagtenfahrzeug abgebogen und der Weg für den Kläger frei gewesen.
Die Abwägung
unter Würdigung aller Umstände führt vorliegend dazu, dass die Beklagte zu
einer Mithaftungsquote von 40 % und der Kläger zu einer überwiegenden
Haftungsquote von 60 % für die Folgen des Unfalls einzustehen haben.
Soweit die
Beklagte ausführt, der Kläger sei aufgrund seines unzulässigen Überholens nicht
in den Schutzbereich von § 9 Abs. 5 StVO einbezogen, weil die
Vorschrift allein dem rechtmäßig fließenden Verkehr diene und nicht demjenigen,
der bei unklarer Verkehrslage überhole (Schriftsatz vom 26.10.2023, Bl. 71 f.
eA), findet dies keine Stütze in der hierzu zitierten Literatur und
Rechtsprechung. Ein unzulässiges Überholen erschüttert allenfalls den gegen den
Abbiegenden sprechenden Anscheinsbeweis (Hentschel/König/Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 9 Rn. 44). Vorliegend kommt es
jedoch nicht auf die Beweislast an, weil die jeweiligen Verkehrsverstöße
feststehen. Der nachfolgende Verkehr bleibt auch im Falle eines eigenen, auch
schuldhaften Verursachungsanteils vom Schutzbereich des § 9 Abs. 5
StVO erfasst; ein eigener Verkehrsverstoß oder sonstiger Verursachungsbeitrag
des nachfolgenden Fahrzeugführers fließt - wie vorstehend erfolgt - nach den
allgemeinen Grundsätzen in die Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG ein.
Hinsichtlich
der Anspruchshöhe ist im Ausgangspunkt den Ausführungen und Zahlen des
Landgerichts zu folgen. Danach sind Reparaturkosten in Höhe von 5.307,04 €
(netto) ersatzfähig. Gegen die vom Sachverständigen Dipl.-Ing. X ermittelte
Schadenshöhe sind keine Einwendungen erhoben worden. Die Problematik der
zunächst nicht mitgeteilten Altschäden führt vorliegend nicht dazu, dass dem
Kläger keinerlei Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Es handelt sich dabei
nicht um einen typischen Unfallschaden, sondern eher um Gebrauchsspuren
(zerkratzte Felgen, kleinerer Lackkratzer mit allenfalls geringfügiger Delle,
Lackauftrag am Spiegelgehäuse), die jedenfalls vom streitgegenständlichen
Unfallschaden gut abgrenzbar sind. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts
wird verwiesen. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung, die auch der
Rechtsprechung des erkennenden Senats entspricht, ist deshalb nicht
einschlägig. Insoweit ist das landgerichtliche Urteil nicht zu beanstanden. Der
Kläger kann auch die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden (bei
tatsächlicher Reparatur anfallende MwSt., Nutzungsausfall) verlangen, freilich
nur zur Quote von 40 % und nur für die vom Sachverständigen als unfallbedingt
anerkannten Schäden. Auch die Kosten des vorgerichtlich eingeholten
Schadensgutachtens in Höhe von 948,43 € sind - anteilig - ersatzfähig. Die
Unfallkostenpauschale beläuft sich nach der ständigen Rechtsprechung des
erkennenden Senats nur auf 20,00 € (statt 25,00 wie vom Landgericht
angenommen). Die Beklagte hat dem Kläger danach 40 % von (5.307,04 € + 948,43 €
+ 20,00 € =) 6.275,47 € zu ersetzen, mithin 2.510,19 €. Hinzu kommen
vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten auf diesen Streitwert in Höhe von 453,87 €
(RVG bis 31.12.2020, 1,3-fache Geschäftsgebühr + Auslagenpauschale + MwSt). Die
Beträge sind wie vom Landgericht ausgeführt gemäß §§ 286 Abs. 1, 288
BGB seit dem 12.06.2020 (Hauptforderung) bzw. gemäß §§ 291, 288 BGB seit
dem 18.10.2020 (Nebenforderung) zu verzinsen.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Quote entspricht
dem Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen im jeweiligen Rechtszug unter
Berücksichtigung des Feststellungsinteresses. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision
ist nicht zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder
grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts. Es handelt sich um eine Entscheidung im Rahmen einer
Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG im Einzelfall unter Anwendung der
hierzu entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung.
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