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Mittwoch, 26. Mai 2021

Fenstersturz des an Demenz erkrankten Bewohners und Haftung des Pflegeheimbetreibers

Die Klägerin klagte aus abgetretenen Recht der Ehefrau auf Zahlung von Schmerzensgeldes wegen tödlicher Verletzungen von deren Ehemann (Erblasser) auf Grund eines Sturzes aus einem Fensters des beklagten Alten- und Pflegeheims. Der Erblasser war hochgradig dement, litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-notorischer Unruhe. Er soll örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert gewesen sein. Eine besondere Betreuung war im Hinblick auf Lauftendenzen, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und zeitweiser Sinnestäuschung bejaht worden. Der Erblasser wurde von der Beklagten in einem Zimmer im 3. OG, welches über zwei große Dachfenster verfügte, die nicht gegen unbeaufsichtigtes Öffnen gesichert waren, untergebracht. Aus einem der zwei Fenster stürzte er.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben ohne Erfolg. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG. Dabei verwies der BGH auf seine ständige Rechtsprechung, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Bewohner begründet würden. Inhaltsgleich würde auch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht den Bewohnern gegenüber vor gesundheitlichen Schädigungen bestehen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen würden. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten würde sowohl Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB, § 278 S. 1 BGB) als auch korrespondierend deliktische Ansprüche (§ 823 BGB, § 831 BGB) begründen.

Diese Pflichten des Heimbetreibers seien aber begrenzt: sie müssten mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sein. Maßstab sei das Erforderliche und für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare, wobei zu beachten sei, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.

Den Spagat zwischen den Anforderungen auf Menschenwürde und Freiheitsrecht auf der einen Seite und Schutz der körperlichen Unversehrtheit nimmt der BGH, indem er auf eine sorgfältige Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls abstellt. Entscheidens sei das Gefahrenpotential durch körperliche und geistige Verfassung des Bewohners, wobei sich die einzuhaltende Sorgfalt und eventuell zu treffende Sicherungsmaßnahmen aus einer ex-ante-Betrachtung ergeben würden, ohne Berücksichtigung nur abstrakt denkbaren Sicherheitsrisiken und mithin orientiert an die konkrete Pflegesituation. Zum Einen will der BGH hier darauf abstellen, ob mit einer Schädigung ohne Sicherungsmaßnahmen zu rechnen sei, zum Anderen aber auch darauf, dass eine nicht wahrscheinliche Gefahr, die aber zu besonders schweren Folgen führen könne, berücksichtigt werden müsse. Diese Risikoprognose sei Voraussetzung zur Abwägung der Entscheidung zu erforderlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte des Heimbewohners und der personellen und finanziellen Möglichkeiten des Pflegeheims.

Zur Beweislage wies der BGH darauf hin, dass ein Sturzgeschehen dem „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“ im Heim zuzuordnen sei. Komme der Bewohner in einer solchen Situation zu Schaden, falle dies in seine Risikosphäre mit der Folge, dass er für eine Pflichtverletzung und deren Kausalität die Darlegungs- und Beweislast trage. Es handele sich um das allgemeine Lebensrisiko in einem vom Bewohner voll beherrschten Gefahrenbereich. Alleine der Sturz aus dem nicht verriegelten Fenster begründe damit keine kausale Pflichtverletzung.

Allerdings komme es zu einer Beweislastumkehr (bei der der Heimbetreiber den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens führen müsse), wenn der Bewohner im Herrschafts- und Organisationsbereich des Heimbetreibers zu Schaden käme und die ihn betreffenden Vertragspflichten (auch) bezwecken würden, den Bewohner vor einem solchen Schaden zu bewahren. Der Heimbetreiber müsse bei Risiken aus dem Betrieb, die von ihm voll beherrschbar seien, darlegen und beweisen, dass der Schaden nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten beruht. Dies sei der Fall, wenn der Patient in einem Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme einer ihm betreuenden Krankenschwester stürze, s. auch § 630h BGB. Es gelte auch gelte auch bei Pflegeheimen, wenn bei einer konkreten Gefahrensituation die spezielle Obhutspflicht einer dafür eingesetzten Pflegekraft obliege und sich der Schaden in diesem Zusammenhang verwirkliche (so z.B. Sturz des Heimbewohners bei begleiteten Gang zur Toilette der Sturz beim Wechsel der Bettwäsche durch einen Pfleger).

Im konkreten Fall nahm der BGH keine Beweislastumkehr an. Zwar habe sich die Gefahrensituation im Sturz des Erblassers aus dem Fenster durch die fehlende Fenstersicherung verwirklicht. Allerdings habe dies außerhalb des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs des Heimträgers stattgefunden. Der Erblasser sei zu diesem Zeitpunkt nicht der Obhut einer Pflegekraft im Rahmen einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme anvertraut gewesen: er habe sich überwiegend alleine in seinem Zimmer aufgehalten und habe nicht dauerhaft betreut und begleitet werden müssen.

Die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG erfolgte, da der BGH die tatrichterliche Würdigung, die Beklagte hätte keine Vorkehrungen gegen ein Heraussteigen des Erblassers aus einem Fenster seines Zimmers treffen müssen, für unvollständig und rechtsfehlerhaft hielt. Die dazu notwendige Abwägung sei unvollständig gewesen.  Hier hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage einer sorgfältigen ex-ante-Risikoprognose, die das gesamte Krankheitsbild des Erblassers in den Blick nehme, entscheiden müssen, ggfls. sachverständig beraten. Es habe aber nur einzelne dokumentierte Demenzerscheinungen isoliert und kursorisch betrachtet, ohne dabei eine eigene besondere Sachkunde aufzuweisen.

BGH, Urteil vom 14.01.2021 - III ZR 168/19 -

Freitag, 14. Dezember 2018

Zur Berücksichtigung von Verletzungsfolgen bei Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes


Die Klägerin stürzte auf dem Gehweg vor dem Grundstück des Beklagten (dem die Räum- und Streupflicht oblag) infolge von Glatteis und zog sich dabei einen Außenknöchelbruch links vom Typ Weber B zu. Der Bruch wurde operativ im Rahmen eines zweiwöchigen Krankenhausaufenthaltes versorgt.  U.a. verlangte sie ein Schmerzensgeld von mindestens € 50.000,00. Das Landgericht sprach ein Schmerzensgeld von € 12.500,00 zu. Im Berufungsverfahren verlangte sie ein weiteres Schmerzensgeld nicht unter € 37.500,00. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Der BGH hob insoweit das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.


Bei seiner Entscheidung stellte das OLG darauf ab, das zuerkannte Schmerzensgeld einen angemessenen Ausgleich für den bisher erlittenen immateriellen Schaden darstelle.  Dabei ging das OLG davon aus, dass die Gebrauchstauglichkeit des linken Beines deutlich eingeschränkt sei und die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk links weitestgehend aufgehoben sei, sich das Gangbild als hinkend darstelle und die Klägerin weitgehend nicht in die Hocke gehen und hinknien könne. Neben persistierenden Schmerzen, Schlafstörungen und der Bewegungseinschränkung habe das Landgericht die Schwellung im Bereich der Knöchel und die Narbe berücksichtigt sowie eine MdE von 20%. Allerdings könne, wie ein vom Gericht eingeholtes Gutachten ausgeführt habe, derzeit nicht abschließend geklärt werden, ob und wie sich der bestehende Zustand weiter entwickle.

Der BGH wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass Streitgegenstand ein einheitlicher Anspruch der Klägerin auf Schmerzensgeld sei. Das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass dabei eine ganzheitliche Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes erforderlich sei (BGH, Beschluss des Großen Senats vom 06.07.1955 - GSZ 1/55 -, BGHZ 18. 149, 151ff). Verlange der Geschädigte wie vorliegend für eine erlittene Körperverletzung uneingeschränkt Schmerzensgeld, so wären alle entweder bereits eingetretenen und objektiv erkennbaren Verletzungsfolgen erfasst wie auch jene, deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen werden könnten. Lediglich Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt (Tag der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz) noch nicht eingetreten wären und deren Eintritt nicht objektiv vorherbar wären (mit denen also nicht ernsthaft gerechnet werden müsse) und die deshalb bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zwangsläufig unberücksichtigt bleiben müssten, würden von dem Klageanspruch nicht erfasst werden und könnten nur Gegenstand eines Feststellungsantrages sein (BGH, Urteil vom 14.02.2006 - VI ZR 322/04 -).  

Nicht geklärt habe das Berufungsgericht, worauf die behauptete fortdauernde Schmerzsymptomatik beruhe und wie sich diese auf den Schmerzensgeldanspruch auswirke, da lediglich hinsichtlich der Schmerzsymptomatik die Verletzungsfolgen berücksichtigt worden seien, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestanden hätten. So habe bereits die Klägerin in der Berufungsbegründung darauf verwiesen, dass das Landgericht nicht Dauerschäden schmerzensgelderhöhend berücksichtigt habe. Der Sachverständige sei nach den Feststellungen des OLG davon ausgegangen, dass die Schmerzsymptomatik weiterer Abklärung zugänglich sei; hierfür kämen sowohl unfallbedingt entstandene Knochenmarködeme als auch eine auf dem Unfallgeschehen fußende psychosomatische Erkrankung in Betracht. Hier wären weitere Untersuchungen zu veranlassen.

BGH, Urteil vom 10.07.2018 - VI ZR 259/15 -