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Samstag, 6. Juli 2024

Grundsteuer: Wertfeststellung nach dem Bundesmodell und Gegengutachten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, mit der einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus einem Grundsteuerwertbescheid entsprochen worden war, zurückgewiesen. Allerdings erfolgte die Zurückweisung der vom Finanzamt eingelegten Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern auf der Grundlage der materiellen Rechtmäßigkeit.

Grundlage war ein Grundsteuerwertbescheid in Rheinland-Pfalz. Die Ermittlung in Rheinland-Pfalz (wie auch in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) erfolgt nach dem Bundesmodell. Der BFH folgte zwar dem Finanzgericht darin, dass der angefochtene Bescheid ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit aufwerfe und damit das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 69 Abs. 3 iVm. Abs. 2 FGO aussetzen könne. Ernstliche Zweifel würden bestehen, wenn neben Gründen für die Rechtmäßigkeit des Bescheides gewichtige Umstände gegen die Rechtsmäßigkeit zutage treten würden, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken würden. Bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung sei von dem Vortrag der beteiligten und der Aktenlage auszugehen, wobei für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssten.

Vorliegend hatte der Senat nach dem Vortrag der Parteien und der Aktenlage lediglich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Diese Zweifel würden sich aus der verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften ergeben, da danach die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, dass bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Bei der Neureglung der Grundsteuer sei der Belastungsgrund nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittle (BT-Drs. 19/11085, 84).

Die Besteuerung müsse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und das daraus folgende Übermaßverbot bei der Besteuerung beachten. Dass sei nur gewahrt, wenn gewährleistet ist, dass sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert und den Sollertrag mittels einer verkehrswertorientierten Bemessungsgrundlage bestimme (BT-Drs. 19/11085, 90). Unterschiede im Einzelfall zum Wert nach §§ 217 ff BewG und dem gemeinen Wert müssten grundsätzlich hingenommen werden, solange ein Verstoß gegen das Übermaßverbot entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewandt werden könne. Eine Verletzung des Übermaßverbots läge vor, wenn der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteige (BFH, Urteil vom 16.11.2022 - II R 39/20 -).

Der Senat wies darauf hin, dass er bereits zu verschiedenen Bewertungsnormen entschieden habe, dass bei einem Ausschluss von Billigkeitsmaßnahmen in verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschriften der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zuzulassen sei, wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe. Bestünde diese Möglichkeit, seien die pauschalierenden und typisierenden Bewertungsvorschriften nicht verfassungswidrig.

Auch vorliegend sei nach dem Siebenten Abschnitt des Bewertungsgesetzes eine abweichende Wertfeststellung aus Billigkeitsgründen nicht vorgesehen (s. § 220 S. 2 BewG). Damit seien die vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze zu übertragen , weshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gelinge.

Vorliegend habe der Antragsteller Umstände vorgetragen, die einen erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich erscheinen ließen: Baujahr 1880 und schlechter Instandhaltungszustand wegen unterbliebener Renovierungen, weshalb dem Gebäude kein erheblicher Mehrwert beizumessen sei und die wirtschaftliche Einheit nur mit dem Bodenwert abzüglich etwaiger Freilegungskosten zu bewerten sei (sogen. Liquidationsobjekt). Es seien nach den Ausführungen auch Zweifel begründet, dass sich mit dem Gebäude im benannten Zustand die gesetzlich typisierten Mieterträge erzielen ließen, wie sie vom Finanzamt mit einem typisierten Reinertrag von € 3.635,28 bzw. kapitalisierten Reinertrag iHv. € 64.998,81 angenommen wurden.

Offen ließ der BFH, ob ein vom Finanzgericht angenommenes strukturelles Vollzugsdefizit bestünde, da nicht gewährleistet sei, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung des Bodenrichtwertes sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen würden. Denn – s.o. – der Antragsteller habe die Möglichkeit, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu führen. Anmerkung: Das ist zwar in der Sache richtig, führt aber zu einer erheblichen Belastung des Steuerpflichtigen, der in Ansehung von Ungenauigkeiten der Gutachterausschüsse mit der Beweislast wie auch ggf. den Kosten (für das Gutachten) beschwert wäre, zudem eine Ungenauigkeit bis 40% hinzunehmen hätte.

Offen ließ der BFH auch, ob verfassungsrechtliche Zweifel ein einer gleichheitsgerechten Bewertung bestehen, da – so das Finanzgericht – im typisierten Bewertungsverfahren nach §§ 252 ff BewG nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des Grundstücks erfolge, da der Antragsteller vorliegend keine lage- oder größenbedingt unzutreffenden Wertfeststellungen gerügt habe.

BFH, Beschluss vom 27.05.2024 - II B 78/23 (AdV) -

Samstag, 18. November 2023

Rechtliches Gehör: Übergehen des Kerninhalts des eingeführten Privatgutachtens

Die Klägerin machte aus nach § 86 VVG die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Brandschaden gegen die beklagte Herstellerin einer Geschirrspülmaschine geltend, die nach der Behauptung der Klägerin ursächlich für den Brand gewesen sein soll. Die Klage und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurden zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Die Aufhebung und Zurückverwesung erfolgte, da sich das OLG als Berufungsgericht nach Auffassung des BGH mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter einem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss anderweitiger Brandursachen nicht auseinandergesetzt und dadurch die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) verletzt habe. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte Gerichte dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Zwar müsse sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen (vgl. auch § 313 Abs. 2 ZPO), doch müsse es auf den Kern der Tatsachenvortrages einer Partei eingehen, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei (BVerfG, Beschluss vom 25.09.2020 - 2 BvR 854/20 -), was sich aus den Entscheidungsgründen erkennen lassen müsse (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZR 204/14 -).

Zwar habe das OLG im Tatbestand seines Urteils die Einwendungen der Klägerin umfassend aufgeführt, allerdings ließen die Entscheidungsgründe eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

Soweit das OLG darauf hingewiesen habe, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, fehle es an einer Auseinandersetzung mit dem auf dem Privatgutachten gestützten Vortrag der Klägerin, wonach die Ursächlichkeit der „elektrischen Anlage“ bzw. der „Elektroinstallation“ bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandortes, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne.

Gestützt auf das Privatgutachten hatte die Klägerin im Einzelnen u.a. vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht käme. Das Brandbild, welches sich entwickelt habe, könne nur von der bis zum Bedientableau unter Spannung gestandenen Geschirrspülmaschine entwickelt worden sein und nur aufgrund eines technischen Defekts eines elektronischen Bauteils derselben entstanden sein, da andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Auch habe es nach (vorgelegter) Auskunft des Netzbetreibers keine Überspannung gegeben.

Die Erwägung des OLG, die Geschirrspülmaschine sei mittlerweile  entsorgt worden und könne nicht mehr begutachtet werden, weshalb sich die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, stelle sich auch nicht als Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin dar, die unter Zugrundlegung des Privatgutachtens darauf hinwies dass mit den Lichtbildern des Brandortes und den – von den Zeugen bekundeten – Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

Eine Gehörsverletzung muss, damit die Rüge Erfolg hat, entscheidungserheblich sein. Das bejahte der BGH vorliegend, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten Vortrag der Klägerin zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Der BGH wies das OLG für das weitere Verfahren darauf hin, dass der Geschädigte nur beweisen müsse, dass ein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst sei. Nicht aufklären müsse der Geschädigte, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen sei und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt habe (BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 178/90 -). Würden nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers stammen, sei ein Produktfehler nachgewiesen. Dabei käme es nicht darauf an, ob es sich um einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handele (BGH, Urteil vom 24.11.1976 -VIII ZR 137/75 -).  Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden sei, schließe den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.

BGH, Beschluss 28.03.2023 - VI ZR 29/21 -

Mittwoch, 2. Februar 2022

Reparaturkosten-Ersatz von 130% vom Wiederbeschaffungswert und Beweiswürdigung der Instandsetzung

Immer wieder kommt es zum Streit zwischen  dem Geschädigten und dem Schädiger/dessen Versicherer, ob bei einem wirtschaftlichen Totalschaden gleichwohl Reparaturkosten verlangt werden können. Der BGH hat in seiner Entscheidung dazu neuerlich Stellung genommen und erstmals sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Ersatz von Reparaturkosten auch verlangt werden kann, wenn die Kostenprognose im Schadensgutachten Reparaturkosten vorsieht, die über die 130%-Grenze liegen. Ferner musste er sich damit auseinandersetzen, wie die Feststellung erfolgen muss, um festzustellen, dass tatsächlich zu den geltend gemachten Kosten der Schaden komplett sah- und fachgerecht behoben wurde.

In dem Fall betrug der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nach dem Schadensgutachten € 4.500,00, die Reparaturkosten gab der Sachverständige mit € 7.148,84 an. Der Kläger ließ das Fahrzeug zu einem Preis von € 5.695,49 reparieren, nutzte es weiterhin und machte gegen die Beklagten diesen Betrag abzüglich der erfolgten Zahlung auf den Wiederbeschaffungswert geltend.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung.

1. Der BGH verwies auf seine Rechtsprechung, wonach dem Geschädigten in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Ansehung seines Integritätsinteresses ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz des den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30% übersteigenden Reparaturaufwandes (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) zustünde. Voraussetzung sei, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur (mindestens für ein Jahr) weiter zu nutzen. Fachgerecht sei die Reparatur nur dann, wenn diese so durchgeführt würde, wie es vom Sachverständigen in seiner Kostenschätzung vorgesehen worden sei. Würde der Aufwand mehr als 30% betragen, sei die Reparatur wirtschaftlich unvernünftig und dem Geschädigten stünde nur der Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines etwaigen Restwertes) als Schadensersatz zu. Anderes würde im Falle der Reparatur nur dann gelten, wenn der Geschädigte auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wähle, die Reparatur aber teurer würde und ihm kein Auswahlverschulden zur Last falle. Ließe er aber das Fahrzeug reparieren, obwohl wie hier die Kostenprognose bei über 30% über dem Wiederbeschaffungswert läge und erweise sich dies als richtig, sei der Schadensersatzanspruch auch auf den Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines möglichen Restwertes) beschränkt.

Vom Grundsatz her seien die Angaben des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten zur Höhe nicht für den geschädigten verbindlich und er könne den Betrag verlangen, der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sei. Er müsse in diesem Fall den Angaben des Sachverständigen konkret entgegentreten und geltend machen, der von ihm ermittelte Betrag gebe den objektiv zur Herstellung erforderlichen Betrag wieder; würde dies vom Gegner bestritten, müsse dies im Rechtsstreit auf entsprechenden Beweisantrag des Geschädigten durch Einholung eines vom Gericht zu veranlassenden Sachverständigengutachtens geklärt werden.

In den Fällen, in denen die Reparaturkosten über 130% des Wiederbeschaffungswertes lägen, die Reparatur aber fachgerecht (ggfls. unter Verwendung von Gebrauchtteilen) Kosten auch unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen würden, würde daher ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestehen. Anm.: Bei dieser Berechnung bleibt der Restwert des Fahrzeuges außer Ansatz, dessen Abzug sich der Geschädigte bei Ersatz des Wiederbeschaffungswertes auf diesen anrechnen lassen muss.

Offen gelassen hatte der BGH bisher den Ersatzanspruch auf Reparaturkosten, die sich unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwertes auf 101 bis 130% des Wiederbeschaffungswertes belaufen. Nunmehr hielt der BGH fest, dass auch in dem Fall, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten für eine fachgerechte Reparatur (auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen) zur Wiederherstellung des Zustandes des Fahrzeuges wie vor dem Unfall innerhalb der 130%-Grenze bewegen, dem Geschädigten diese „Integritätsspritze“ nicht versagt werden könne. Der gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähige Betrag würde nicht durch die Einschätzung des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen bestimmt, sondern von den tatsächlichen Kosten einschl. des merkantilen Minderwertes.

2. Ob die durchgeführte Reparatur sach- und fachgerecht und nach den Vorgaben des Sachverständigen erfolgt sei, sei bei Bestreiten des Gegners vom Gericht zu prüfen. Die Beweislast, der durch Einholung eines zu beantragenden und vom Gericht einzuholenden Sachverständigengutachtens nachzukommen ist, obliegt dem Geschädigten

Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dessen Grundlage den vom Kläger zu erbringenden Beweis als erbracht angesehen. Vom Landgericht sei dies fehlerhaft nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als festgestellte Tatsache des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden. Bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen, würde dies eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht erfordern. Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite (wenn auch eingeschränkte) Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“, der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung.  

So sei ein Verfahrensfehler zu berücksichtigen, was namentlich dann vorläge, wenn das erstinstanzliche Urteil nicht den Anforderungen entspräche, die von der Rechtsprechung zu §§ 286, 287 ZPO entwickelt worden seien. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße. So seien auch unklare oder widersprüchliche Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung durch das Gericht.

Die vom Landgericht als bindend angesehene Feststellung des Amtsgerichts zu dem Sachverständigengutachten, dieses habe aufgrund der vor, während und nach der Reparatur aufgenommenen Fotos eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht, sei von den Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht nicht gedeckt. Verschiedentlich sei vom Sachverständigen darauf hingewiesen worden, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Veräußerung des Fahrzeuges eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage fehlen würde und sich auf die relativierende Aussage beschränkt, nach den übergebenden Fotos seien keine Anzeichen vorhanden, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Nur vor diesem Hintergrund habe er eine fachgerechte Reparatur bestätigt. Demgegenüber habe das Amtsgericht in der Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe an keiner Stelle seines Gutachtens zu erkennen gegeben, dass sich für ihn bei der Beantwortung der Beweisfrage Einschränkungen ergeben hätten, wie er den Pkw nicht mehr habe begutachten können.

Damit war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 100/20 -

Montag, 4. Februar 2019

Rechtsfolgen aus einem unauffindbaren Testament ?


Der verwitwete Erblasser war kinderlos. Rechte an dem Erbe wurden von der Tochter seiner verstorbenen Ehefrau (Beteiligte zu 4) und seinen Halbgeschwistern (Beteiligte zu 1 bis 3) geltend gemacht; die Eltern des Erblassers waren vorverstorben. Die Beteiligten zu 1 – 3 hatten unter Berufung auf die gesetzliche Erbfolge einen Erbschein beantragt, dem die Beteiligte zu 4 zunächst nicht entgegen getreten war. Am 15.06.2016 erließ das Nachlassgericht den Erbschein. Am 08.08 und am 16.08.2016 beantragte die Beteiligte zu 4 die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin und die Einziehung des Erbscheins vom 15.06.2016. Dabei berief sie sich darauf, dass der Erblasser am 13.02.2016 ein privatschriftliches Testament errichtet habe, mit welchem sie als Alleinerbin eingesetzt worden sei. Dieses habe er in einer Küchenschublade abgelegt. Dort habe sie, die Beteiligte zu 4, zwar im Mai 2016, nach dem Ableben des Erblassers, den entsprechenden, allerdings leeren Umschlag gefunden. Zum Beweis der Umstände der Testamentserrichtung berief sie sich auf das Zeugnis von zwei Freundinnen sowie ihres Lebensgefährten, die bei der Errichtung des Testaments anwesend gewesen sein sollen. Von den Beteiligten zu 1 bis 3 wurde Verwunderung geäußert, dass die Beteiligte zu 4 zunächst nichts gegen ihren Erbscheinantrag eingewandt hätten und im Übrigen Beweis dafür angeboten, dass der Erblasser ein distanziertes Verhältnis zur Beteiligten zu 4 gehabt habe.


Das Amtsgericht hörte die von den Beteiligten benannten Zeugen an und zog mit Beschluss vom 14.02.2018 den Erbschein vom 15.06.2016 ein; ferner stellte es mit Beschluss vom gleichen Tag fest, dass die Voraussetzungen zur Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligte zu 4 vorlägen. Gegen diese Beschlüsse richtete sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 3. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem OLG Köln zur Entscheidung vor. Die Beschwerden wurden vom OLG zurückgewiesen.

Zutreffend sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Erblasser wirksam ein privatschriftliches Testament aufgesetzt habe und darin die Beteiligte zu 4 als Alleinerbin eingesetzt habe. Ein solches Testament sei nicht alleine wegen seiner Unauffindbarkeit ungültig. Vielmehr könnten Form du Inhalt mit allen zulässigen Beweismitteln festgestellt werden (Palandt, 77. Aufl. 2018, § 2255 Rn. 9). Die Unauffindbarkeit des Testaments begründe auch keine Vermutung dafür, dass es vom Erblasser vernichtet worden sei und deshalb gem. § 2255 BGB als widerrufen anzusehen sei (OLG Köln, Beschluss vom 26.02.2018 – 2 Wx 115/18 -; OLG Schleswig, Beschluss vom 12.08.2013 – 3 Wx 27/13). Soweit sich die Beteiligten zu 1 – 3 darauf beriefen, dass die Beteiligte zu 4 nichts bereits in deren Erbscheinantragsverfahren Einwendungen erhoben habe, sei das Amtsgericht zutreffend den Ausführungen der Beteiligten zu 4 gefolgt, sie habe als juristischer Laie nicht davon ausgegangen, dass auch ein nicht auffindbares Testament rechtlich von Bedeutung sein könne; ihr sei dies erst anlässlich einer juristischen Beratung bekannt geworden.

Ein Widerruf des Testaments sei vom Amtsgericht zutreffend negiert worden. Die fehlende Auffindbarkeit lasse dazu (und zu einer möglichen Vernichtung) keinen Rückschluss zu. Indizien, die für eine Willensänderung des Erblassers sprechen könnten, seien von den Beteiligten zu 1 bis 3 nicht vorgetragen worden. Insbesondere würde auch die Aussage der Eheleute H., denen gegenüber der Erblasser noch eine Woche vor seinem Tod von dem Testament berichtet habe, dagegen sprechen. Auch wäre nicht nachvollziehbar, dass der Erblasser das Testament zwar vernichte, den Umschlag aber in der Schublade belasse.

Anmerkung: Wenn Dritte ein privatschriftliches Testament kennen, ist die Gefahr, dass es bei willentlicher Vernichtung durch den Erblasser weiterhin gilt, groß. In diesem Fall wäre es notwendig, einen schriftlichen Widerruf zu fertigen, der auch jedenfalls gefunden  wird / werden kann und nicht „verlustig“ geht. 



OLG Köln, Beschluss vom 19.07.2018 - 2 Wx 261/18 -

Freitag, 1. September 2017

Abwägungsgebot zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Tatsachenbehauptung

In dem Verfahren war streitgegenständlich, ob Ausführungen der Beschwerdeführerin (Verlegerin der taz) einen Unterlassungsanspruch des Kläger des Ausgangsverfahrens (einem Journalisten der BILD-Zeitung) rechtfertigen können. Dieser wurde in Bezug auf folgende Darstellung durch das Hans. OLG Hamburg (letztinstanzlich) stattgegeben: „Ob [der Kläger] die Wahrheit sagt oder lügt, ob er vom Wulff-M.-Sumpf wusste (oder womöglich selbst darin schwamm), ist kaum herauszufinden. In der großen Affäre um den Bundespräsidenten bleibt diese Frage allenfalls eine Randnotiz. [Der Kläger] muss, anders als der Bundespräsident, kaum fürchten, dass seine Verstrickungen enthüllt und seine Abhängigkeiten öffentlich werden. Er ist Journalist, nicht Politiker. Das ist, in diesem Fall, sein Glück.“

Das BVerfG sah darin eine Verletzung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und hob das Urteil des OLG auf unter gleichzeitiger Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung.

Vom Grundsatz hielt das BVerfG fest, dass Tatsachenbehauptungen durch objektive Beziehungen zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt würden und der Überprüfung durch Beweismittel zugänglich seien, demgegenüber eine Meinungsäußerung durch „Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens“ geprägt sei. Für die Feststellung des Schwerpunktes der Äußerung käme es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an.

Das OLG habe verfassungsrechtlich nicht vertretbar eine Äußerung der Beschwerdeführerin als Tatsache eingeordnet und damit vorliegend die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung zur Anwendung gebracht, obwohl es zunächst selbst das Vorliegen einer Meinungsäußerung mit der Begründung verneint habe, die Beschwerdeführerin habe eine Bewertung vorgenommen. Eine Bewertung sei aber eine Meinungsäußerung, da sie keinem Beweis zugänglich sei. Deshalb sei die Ausführung unschlüssig. Im Übrigen habe das OLG verkannt, dass die kritische Bewertung der Äußerung des Klägers  und die auch nur als bloße Vermutung ausgewiesenen Zweifel an der Wahrheit des Klägers geprägt wären von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens und auch aus der Nähe des Klägers zu den in Frage stehenden Ereignissen ein Werturteil darstellen würden.

Da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei einer erneuten Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommt, sei der Rechtstreit unter Aufhebung des Urteils zurückzuverweisen.


BVerfG, Beschluss vom 16.03.2017 – 1 BvR 3085/15

Dienstag, 24. Mai 2016

Zum Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess bei unterlassener Belehrung des Minderjährigen im Ordnungswidrigkeitsverfahren

Streitig war, ob der zum Unfallzeitpunkt 15-jährige Beklagte bei Rot über eine Fußgängerampel ging. Das Amtsgericht hat der Klage des PKW-Fahrers nach Beweisaufnahme stattgegeben. Dabei stützte es sich maßgeblich auf die Zeugenaussagen der der den Verkehrsunfall aufnehmenden Polizeibeamten zu den Angaben des Beklagten ihnen gegenüber. Allerdings hatten diese den Beklagten nicht gemäß § 67 JGG belehrt. Auf die Berufung des Beklagten wurde das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.


Das Landgericht weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Missachtung des § 67 JGG der Polizisten bei der Unfallaufnahme zu einem Beweisverwertungsverbot auch für das Zivilverfahren führe, auch insoweit, als die Polizisten wiedergeben sollten, was der Beklagte ihnen gegenüber erklärt habe. Nach §§ 46 OWIG, 136 StPO war der Beklagte als Beschuldigter eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens zu belehren gewesen. Da er minderjährig war, wäre eine Belehrung nach § 67 JGG erforderlich gewesen, wonach er berechtigt sei, vor einer Aussage seine Eltern zu kontaktieren. Die gesetzliche Regelung beruhe auf der kriminologischen Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere „Geständnisfreudigkeit“ aufweisen würden, mithin in geringerem Umfang auch bei ansonsten korrekter Belehrung über ein Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit im Sinne eines Verzichts auf eine Aussage Gebrauch machen würden.

Zwar habe der BGH entschieden, dass die strafprozessuale Belehrung nicht darauf gerichtet sei den Beschuldigten vor einer zivilrechtlichen Verfolgung zu schützen. Er solle nur davor bewahrt werden, sich an seiner strafrechtlichen Verfolgung zu beteiligen. Auch wenn damit ein strafrechtliches Verwertungsverbot nicht ohne Weiteres auf den Zivilprozess übertragen werden könne, sei aber stets eine Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall vorzunehmen (BGHZ 153, 165).

Vorliegend träfe dem Kläger kein Verschulden an der fehlenden Belehrung. Allerdings sprächen hier die Umstände gleichwohl für ein Beweisverwertungsverbot. Entscheidend dabei sei die Minderjährigkeit des Beklagten. Nach § 455 ZPO dürfe die Parteivernehmung von Minderjährigen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr nur durch Vernehmung der gesetzlichen Vertreter erfolgen. Dies bedeute, dass eine verantwortliche Aussage eines Minderjährigen überhaupt erst ab dem 16. Lebensjahr in Betracht käme. Berücksichtigt werden müsse ferner, dass der Beklagte nach dem Unfall unter Schock stand, da er unmittelbar vor seinen Angaben angefahren wurde; jedenfalls ergäbe sich aus den Bekundungen der Polizeibeamten nicht über die psychische Verfassung des Beklagten, weshalb dies nicht auszuschließen sei, zumal die Polizeibeamten nicht sachkundig für psychische Einflüsse wären.


LG Köln, Urteil vom 13.01.2016 – 13 S 129/15 -