Sonntag, 30. April 2023

Gefährdet das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) die Verjährungshemmung ?

§ 130d S. 1 ZPO bestimmt, dass „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich enzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt … eingereicht werden, … als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Dabei sind bestimmte Formen zu wahren (so PDF, Signatur). Nur dann, wenn dies „aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften“ (so Post, Telefax) zulässig, § 130d S. 2 ZPO. Entsprechende Regelungen, wie hier zum Zivilverfahren, gelten auch nach den Prozessordnungen anderer Gerichtsbarkeiten (z.B. § 55a VwGO).

Der BGH hat mit seinem Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 - (siehe den unten stehenden Beitrag vom 28.04.2023) aufgezeigt, dass bei der Übermittlung von Schriftsätzen an Gerichte höchste Sorgfalt geboten ist. Versehentlich hatte dort der Rechtsanwalt die Berufungsbegründung nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht versandt. Die Berufung wurde vom Oberlandesgericht - zu Recht, wo der BGH - verworfen, da mit dem Zugang beim Landgericht nicht ein notwendiger fristgerechter Zugang bei dem Oberlandesgericht gewahrt wurde. Das Verschulden des Rechtsanwalts wird der Partei zugerechnet. In diesem Fall hat allerdings der Mandant einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Rechtsanwalt, vorausgesetzt, die Berufung wäre erfolgreich gewesen (was im Rahmen einer Klage auf Schadensersatz dann von dem darüber zur Entscheidung berufenen Gericht zu klären wäre).

Aber wie steht es um den Anspruch des Mandanten, wenn aus technischen Gründen eine Übermittlung des Schriftstückes an das Gericht nicht möglich ist ? Hier bietet zwar § 130d S. 2 ZPO dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, nach den „allgemeinen Vorschriften“ seinen Schriftsatz an das Gericht zu senden. Dies ist allerdings für den Rechtsanwalt mit erheblichen Mehraufwand verbunden: Nach § 130d S. 3 ZPO muss der Rechtsanwalt die vorübergehende Störung glaubhaft machen, selbst dann, wenn sie gerichtsbekannt ist (so ArbG Lübeck, Urteil vom 01.10.2020 - 1 Ca 572/20 -, Rn. 87). Erfolgt die Glaubhaftmachung nicht, nicht ausreichend oder verspätet, kann sich daraus auch eine Schadensersatzpflicht des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten ergeben.

Leider sind Störungen im elektronischen Verkehr mit Gerichten häufig. Nachzulesen sind sie auf der offiziellen Seite des beA zur „beA Verfügbarkeit“.  Dort kann man eine fehlende Verfügbarkeit aber nicht sogleich finden, wenn sie eintritt, sondern mit (unterschiedlicher) zeitlicher Verzögerung), weshalb der gewissenhafte Rechtsanwalt zunächst das Problem bei seiner Anwendung versucht zu finden (verschiedene Versuche, runter- und hochfahren des PC pp.). Interessant wird dies, wenn man ein Problem bei dem Versand feststellt, seinen Softwarespezialisten anruft, dieser Prüfungen vornimmt und dann plötzlich festgestellt wird, dass unter „beA Verfügbarkeit“ plötzlich der Systemausfall eingestellt wird, allerdings mit einer zeitlichen Verschiebung von 15 Minuten, und nach Behebung des Mangels der zeitliche Verzug zur eigenen Feststellung plötzlich mit 20 Minuten deklariert wird (so wie ich es vor einigen Wochen erleben durfte).

Grundsätzlich wäre, folgt aus einer nicht möglichen Versendung aufgrund einer vorübergehenden technischen Störung (sei es am eigenen System oder beim Empfänger) eine Fristversäumung, eine Wiedereinsetzung möglich. Allerdings erfordert dies, dass die Frist oder Notfrist ohne Verschulden nicht eingehalten wurde, § 233 ZPO. Ein verschulden wird man grundsätzlich annehmen können, wenn der Weg des § 130d S. 2 ZPO möglich wäre.

Allerdings ist dem Rechtsanwalt die Möglichkeit des § 130d S. 2 ZPO verwehrt, wenn er den gem. § 130d S. 1 BGB das Schriftstück per beA an das Gerichts- oder Verwaltungspostfach des zuständigen Gerichts sandte und die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisieret Bestätigung (Sendeprotokoll) den erfolgreichen Zugang bei dem adressierten (und zuständigen) Gericht bestätigt. Ergibt mithin die Prüfung des Sendeprotokolls, dass das Schriftstück ordnungsgemäß eingegangen ist, hat er alles getan, um eine Frist zu wahren und für den Fall, dass das Schriftstück bei dem Gericht gleichwohl nicht einging, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass der Bestätigungsvermerk falsch ist und innerhalb der Frist des § 234 ZPO Wiedereinsetzung beantragt.

Das rechtliche Problem liegt allerdings darin, dass die Wiedereinsetzung lediglich den Ablauf einer prozessualen Frist betrifft, nicht (auch) den Ablauf einer materiellen Frist. Soll mit einer Klage oder sonstigen Antrag (z.B. ein Antrag auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens, § 485 ZPO) die Verjährung gehemmt werden (§ 204 BGB), so ist Voraussetzung der rechtzeitige, vor Ablauf liegende Eingang des entsprechenden Antrages bei Gericht erforderlich (und dessen Zustellung bei der Gegenseite „demnächst“). Problematisch ist dies in dem Fall, wenn zwar nach dem Sendeprotokoll der rechtzeitige Eingang bei Gericht bestätigt wird, dieser aber tatsächlich nicht erfolgte.

beA ist unberechenbar. Man denke an die großflächige Störung im Zeitraum vom 18.04.2023 (18.00 Uhr) bis zum 21.04.2023 (21.20 Uhr) in Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Teilen von Baden-Württemberg (zeitmäßig teilweise anders); Sendungen an Gerichte in diesen Bundesländern waren nicht möglich. Nicht genug damit: Für einige Versender war dies nicht erkennbar, das sie ein Sendeprotokoll mit einem Vermerk über den erfolgreichen Eingang erhielten, obwohl ein solcher nicht vorlag. Insoweit erfolgte unter „beA Verfügbarkeit“ der Eintrag:

„Es kann nicht sichergestellt werden, dass Daten, die im Zeitraum vom 18.04.2023, 18:00 Uhr bis zur Einstellung des Produktionsbetriebs am 20.04.2023 um 8:30 Uhr versendet worden sind, beim adressierten Empfänger angekommen sind. Die in diesem Zeitraum versandten Daten müssten dann erneut eingereicht werden.“

Diese erneute Einreichung mag in Ansehung von § 233 ZPO unproblematisch sein, da ein Verschulden des Versenders nicht angenommen werden kann. Anders stellt sich dies aber dar, wenn mit dem Schriftsatz die Verjährung gehemmt werden sollte. Die Wiedereinsetzung in die abgelaufene Verjährungsfrist ist im Gesetz nicht geregelt. Das Gesetz nennt lediglich Umstände, die zwingend zu einer Hemmung führen, wie z.B. die bei Gericht eingehende Klage oder die Zustellung des Antrages auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens (allerdings rückwirkend auf den Eingang bei Gericht, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt, also nicht durch Verschulden des Antragstellers verzögert wird, § 167 ZPO).

Das hätte zur Konsequent, dass dem Rechtsanwalt, der auf die Richtigkeit des Sendeprotokolls vertrauen durfte, kein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann, ihm gegenüber also Schadensersatzansprüche nicht erfolgreich geltend gemacht werden können. Ein Amtshaftungsanspruch gegen das jeweilige Bundesland gem. § 839 BGB dürfte aber auch nicht erfolgreich sein. Es kann zwar geltend gemacht werden, dass die Gerichte und damit das Bundesland (ebenso wie die Rechtsanwaltschaft) dafür Sorge tragen müssen, dass sie im beA-Verfahren über ihr EGVP erreichbar sind, doch können technische Pannen auftreten, die ein Verschulden (welches auch im Rahmen des § 839 BGB erforderlich) nicht zwingend begründen. Diskutabel wäre allenfalls, ob die grundlegende Verpflichtung zur Nutzung von beA und Einreichung mittels eines elektronischen Dokuments über das EGVP des zuständigen Gerichts angesichts der hohen Instabilität des Systems (wie schon die Auflistung auf „beA Verfügbarkeit“ ergibt) ein zumindest fahrlässiges Verhalten darstellt, welches grundsätzlich für den Amtshaftungsanspruch ausreichend ist. Allerdings sind die Länder nur ausführende Organe; die zwingende Umsetzung (zum 01.01.2022) hat der Bundesgesetzgeber beschlossen.

Danach verbliebe es bei dem Schaden des Mandanten, der keine Ansprüche gegen eine Dritten geltend machen kann. Dieses Ergebnis wäre nicht nur unbillig, es würde auch gegen den Justizgewährleistungsanspruch des Art. 2 Abs. 1 GG sprechen. Dieser ist tangiert, wenn nicht der Staat sicherstellt, dass innerhalb der gesetzlichen Frist (hier der Verjährungsfrist) gerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden können. Fällt das dafür vorgesehene elektronische System aus und kann deshalb (unverschuldet) der Anspruch nicht bei Gericht anhängig gemacht werden, kommt der Staat seiner sich aus Art. 2 Abs. 2 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG bestehenden Verpflichtung nicht nach. Zwar hat er den Ausfall des Systems in § 130d S. 2 ZPO berücksichtigt, nicht aber den Fall, dass der Absender entgegen den tatsächlichen Umständen ein den erfolgreichen Eingang bei dem zuständigen Gericht bestätigendes Sendeprotokoll erhält und mithin keine Veranlassung hat, einen alternativen Sendeweg zu wählen. Es wäre § 204 BGB dahingehend zu ergänzen, dass die Hemmungsfristen auch dann als gewahrt gelten, wenn das Dokument nach dem Sendeprotokoll gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO bei dem zuständigen Gericht eingegangen sein soll.

Der Gesetzgeber hat ersichtlich diesen Fall nicht bedacht. Damit liegt eine Gesetzeslücke vor. In der Gesetzesbegründung zu § 130a Abs. 5 ZPO zu Satz 2 heißt es (BT-Drs. 17/1234 S. 26) heißt es zum Sendeprotokoll:

„Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.“

Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.

Es könnte hier der Rechtsgedanke des § 206 BGB zur höheren Gewalt aufgegriffen werden. Nach § 206 BGB wird die Verjährung gehemmt, wenn innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist höhere Gewalt die Rechtsverfolgung hindert. Hier wird aber verlangt, dass innerhalb der letzten sechs Monate vor Eintritt der Verjährung die Rechtsverfolgung gehindert sein muss. Werden z.B. aus einem Werkmangel Ansprüche kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend gemacht und kommt es nun dazu, dass durch Ausfall des elektronischen System bei dem zuständigen Gericht kein Eingang des die Verjährungshemmung bewirkenden Schriftsatzes erfolgt, der Rechtsanwalt gleichwohl ein den Eingang bestätigendes Sendeprotokoll erhält, könnte in Ansehung der 6-Monats-Frist des § 206 nicht auf diesen rekrutiert werden. Der Gläubiger hätte bereits früher den Anspruch geltend machen können; kannte er seien Anspruch früher noch nicht, erfuhr er erst kurz vor Ablauf davon, musste er zwar zunächst den Unternehmer zur Nachbesserung auffordern, um mögliche Kosten des Verfahrens zu ersparen für den Fall, dass der Werkunternehmer die Nachbesserung vornimmt, doch würde dies die fehlende Hemmungswirkung des § 206 BGB nicht tangieren. Der Gesetzgeber hatte bewusst davon Abstand genommen, die Hemmung auf alle Fälle auszudehnen, in denen der Gläubiger ohne Verschulden an der Rechtsverfolgung gehindert war (BT-Drs. 14/6040 S. 119).  

Höhere Gewalt iSv. § 206 BGB wird angenommen, wenn der Gläubiger an der Verfolgung seiner Rechte selbst unter Wahrung der äußersten, billigerweise zu erwartenden Sorgfalt und Anstrengung gehindert worden ist (BAG, Urteil vom 07.11.2002 - 2 AZR 297/01 -; BGH, Urteil vom 06.07.1994 - XII ZR 136/93 - mwN.). Wenn in dem Fall des fehlerhaften Sendeprotokolls schlicht die Durchführung der Versendung des Schriftsatzes an das Gericht nicht möglich gewesen wäre oder als nicht erfolgreich gekennzeichnet worden wäre, hätte der Rechtsanwalt noch einen alternativen Versandweg gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO wählen können. Dem Sendeprotokoll zu vertrauen kann nicht gegen die anzuwendende Sorgfalt und Anstrengung sprechen; es kann nicht erwartet werden, dass stets von der Rechtsanwaltskanzlei bei den entsprechenden Gerichten angerufen wird und nachgefragt wird, ob das Schriftstück eingegangen ist, zumal es dann auch nicht mehr des Sendeprotokolls bedürfte, welches gerade diese Unsicherheit beseitigen und eine Kontrolle des Rechtsanwalts ermöglichen soll.

Der Umstand, dass hier nicht früher der Antrag gestellt wird, kann hier auch nicht (entsprechend § 206 BGB) dem Gläubiger angelastet werden. Er kann - unabhängig davon, ob ihm im Einzelfall eine frühere Antragstellung mit Wirkung der Verjährungshemmung möglich ist -  darauf vertrauen, dass der Justizgewährungsanspruch jederzeit gegeben ist, und mithin auch ein Schriftstück kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist ordnungsgemäß bei dem Gericht eingeht, wenn er ein entsprechendes Sendeprotokoll erhält.

Von daher wäre in diesem Fall nach dem Rechtsgedanken des § 206 BGB zur höheren Gewalt bei einem Fehler des Sendeprotokolls die Verjährungsfrist als gewahrt anzusehen.

Andernfalls bliebe nur die Möglichkeit, soll mittels eines bestimmten Antrages die Verjährung nach § 404 BGB gehemmt werden, den Antrag nicht nur elektronisch zu übermitteln, sondern zusätzlich auch als Telefax oder durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten. Stellt sich dann heraus, dass der elektronisch über beA gesandte Antrag wegen eines Systemfehlers entgegen dem Sendeprotokoll nicht bei Gericht eingegangen ist, unverzüglich die Annahme der richtigen Übertragung glaubhaft zu machen und auf den bereits rechtzeitig dem Gericht auf anderweitigem Weg zugeleiteten Antrag zu verweisen.


Freitag, 28. April 2023

Fehlerhafte Übermittlung per beA an unzuständiges Gericht und Wiedereinsetzung

Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2021 verlängert worden war, leitete der Klägervertreter die Berufungsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versehentlich an das Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts, welches diese erst am 11.10.2021 an das Berufungsgericht weiterleitete. Unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig. Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH).

Der BGH hielt die Rechtsbeschwerde zwar nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 1 S. 1 ZPO für statthaft, aber wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO für unzulässig. So sei hier weder das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt noch der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

Die Berufungsbegründung hätte bis zum 30.09.2021 bei dem Berufungsgericht eingehen müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die Übersendung an das EGVP des Landgerichts könne die Frist nicht wahren. § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO bestimme, dass das elektronische Dokument, dessen sich der Rechtsanwalt bedienen muss, erst wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen sei, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden sei, was mit der Übermittlung an das EGVP des Landgerichts nicht erfüllt würde. Das EGVP des Landgerichts sei nicht für den Empfang von Dokumenten für das Berufungsgericht bestimmt. Der Umstand, dass sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht als Intermediär die Dienste des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in Anspruch nähme könne daran nichts ändern, da beide Gerichte kein gemeinsames EGVP unterhalten, vielmehr durch entsprechende separate Posteingangsschnittstellen gesichert sei, dass der „Client“ eines Gerichts jeweils nur auf die an dieses Gericht adressierten Nachrichten zugreifen könne.

Der Kläger sei auch nicht ohne Verschulden iSv. § 233 S. 1 ZPO verhindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, weshalb keine Wiedereinsetzung erfolgen könne; der Kläger habe sich das Verschulden seines Rechtsanwalts zurechnen zu lassen. Der Rechtsanwalt habe sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten würden denjenigen bei (wie früher noch möglicher) Übersendung per Telefax entsprechen, weshalb es auch bei Nutzung des beA notwendig sei, den Versandvorgang zu überprüfen. Die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisierte Bestätigung müsse kontrolliert werden und so geprüft werden, ob nach dem Sendeprotokoll die Übersendung an den richtigen Empfänger erfolgte. Diese Kontrolle habe der Rechtsanwalt selbst vorzunehmen, wenn er die Versendung des fristwahrenden Schriftsatzes übernehme. Vorliegend habe aber der Klägervertreter lediglich geprüft, ob die Übermittlung „erfolgreich“ gewesen sei (was im Sendprotokoll auch ausgewiesen wird), nicht aber, ob die Versendung an das richtige Gericht vorgenommen wurde.

Eine Wiedereinsetzung käme schon dann nicht in Betracht, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht. Im fall der irrtümlichen Übermittlung der Berufungsbegründung an das erstinstanzliche Gericht wirke sich das Verschulden einer Partei bzw. ihres Verfahrensvertreters nicht aus, wenn der Schriftsatz so zeitig bei dem falschen Gericht eingehen würde, dass eine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne. Hier sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, der Kläger (Klägervertreter) habe nicht erwarten könne, dass bei einer nur einen Tag vor Fristablauf eingehenden Berufungsbegründung im EGVP eines unzuständigen Gerichts der Schriftsatz rechtzeitig an das Berufungsgericht weitergeleitet würde; diese Erwägung würde keinen Rechtsfehler erkennen lassen.

BGH, Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 -

Donnerstag, 27. April 2023

Anhörungsrüge gegen Beschluss zur vorangegangenen Anhörungsrüge ?

Die Berufung des Klägers gegen ein Urteil eines Arbeitsgerichts wurde vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wurde vom Kläger Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Diese wurde vom BAG nicht angenommen. Gemäß § 78a ArbGG erhob der Kläger Anhörungsrüge, die vom BAG zurückgewiesen wurde. Gegen den Zurückweisungsbeschluss erhob der Kläger ebenfalls Anhörungsrüge; diese wurde vom BAG als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anhörungsrüge gem. § 78a ArbGG entspricht der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO und nach § 178a SGG, 152a VwGO, 133a FGO. Das BAG zeigte die Grenzen der Anhörungsrüge auf, die sich auch aus Sinn und Zweck der Normen erklärt. Sie kann von dem Rechtssuchenden erhoben werden, wenn gegen eine Entscheidung eines Gerichts kein ordentliches Rechtsmittel mehr möglich ist und r der Ansicht ist, die Entscheidung beruht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs (so dem Übergehen von Vortrag und/oder Beweisangeboten).

Vom BAG wurde ausgeführt, dass die weitere Anhörungsrüge unzulässig sei, da ein erneuter Rechtsbehelf gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhörungsrüge als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet zurückgewiesen wurde, unanfechtbar sei und von daher die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses gem. § 78a Abs. 4 S. 4 ArbGG der erneuten Rüge entgegenstehen würde (BAG, Beschluss vom 19.11.2014 - 10 AZN 618/14 (A); entsprechend zu § 321a Abs. 4 S. 4 ZPO BGH Beschluss vom 02.03.2015 - V ZR 219/13 -). Dies sei auch vom Bundesverfassungsgericht so gesehen worden (BVerfG, Beschluss vom 26.04.2011 - 2 BvR 597/11 -).

Das gelte auch dann, wenn die (erste) Anhörungsrüge wegen Fristversäumnis (es gilt hier eine Notfrist von zwei Wochen, die mit Kenntnis [Zustellung] der Entscheidung, zu der die Anhörungsrüge erhoben wird) zurückgewiesen worden sei und damit keine inhaltliche Entscheidung getroffen wurde.

§ 78a ArbGG (und entsprechendes gilt auch für § 321a ZPO) trage dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, demzufolge dem Rechtssuchenden die Möglichkeit gewährt werden müsse, eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht (also eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG) einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Käme dies nicht zum Tragen, da es dem Rechtssuchenden nicht gelinge, die gesetzlich vorgeschriebene Formalien einzuhalten, sei das vom Gesetzgeber eröffnete Mindestmaß an Rechtsschutz gewahrt und trete nunmehr das auch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Rechtssicherheit in den Vordergrund (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -).

Der Beschluss des BVerfG vom 30.04.2003 war Auslöser für die Einfügung der §§ 321a ZPO und 78a ArbGG, da das BVerfG - wohl in Ansehung der Flut von Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Fachgerichte - darauf verwies, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs fordere und insoweit dem Gesetzgeber eine Frist setzte, dies zu schaffen. Nimmt mithin der Rechtssuchende an, eine Entscheidung eines Gerichts beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nach den nunmehr in den einschlägigen Gesetzen geregelten Gehörsrüge der Rechtssuchende gehalten, eine Anhörungsrüge zu erheben, in der er unter Einhaltung der Frist darlegen muss, worin die Verletzung rechtlichen Gehörs liegt und welche Auswirkungen diese angenommene Verletzung auf den Ausgang des Prozesses hat. Eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs ist demgegenüber subsidiär, kann also nur erhoben werden, wenn zuvor (erfolglos) die Anhörungsrüge erhoben wurde. Wird der Anhörungsrüge vom Fachgericht nicht stattgegeben, gleich aus welchen Gründen, ist damit auch dann eine weitere Anhörungsrüge ausgeschlossen, wenn das Fachgericht tatsächlich auch bei dieser das rechtliche Gehör verletzt haben würde (was aber dann nicht der Fall wäre, wenn die Anhörungsrüge nicht Frist- und Formgericht erhoben wurde du deshalb zurückgewiesen wurde). Auch weiterhin ist mithin eine Verfassungsbeschwerde gegen eine nicht rechtmittelfähige Entscheidung eines Fachgerichts möglich (§ 13 Nr. 8a BVerfGG iVm. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Wird also im Rahmen der Anhörungsrüge durch das Fachgericht dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs nicht entsprochen oder beruht die Zurückweisung der Anhörungsrüge als unbegründet (neuerlich) auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nunmehr grundsätzlich für den Rechtssuchenden die Verfassungsbeschwerde eröffnet.

BAG, Beschluss vom 21.03.2023 - 6 AZN 56/23 (F) -

Montag, 24. April 2023

Finanz-Vollmacht zwischen Eheleuten: Auftragsverhältnis oder Gefälligkeit

Die Eheleute hatten sich nach über 50-jähriger Ehe eineVollmacht erteilt. Die Klägerin ist deren Tochter. Nach dem Tod der Mutter war sie Miterbin derselben und machte gegen ihren Vater klageweise einen auf §§ 662, 666 BGB gestützten Auskunftsanspruch geltend. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht (LG) wies die Klägerin darauf hin, dass es gedenke, ihre Berufung als offenbar unbegründet zurückzuweisen, § 522 ZPO.

Ein Auftragsverhältnis ist ein Vertragsverhältnis. Dies zugrundelegend wies das OLG darauf hin, dass die Klägerin ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen ihren Eltern nicht bestritten habe. Es nahm nunmehr die Abgrenzung zwischen einem (rechtsgeschäftlichen) Auftragsverhältnis und einem reinen Gefälligkeitsverhältnis vor, da lediglich im Rahmen des Auftrages nach § 662 BGB eine Auskunftsanspruch des Auftraggebers (hier der Ehefrau und in deren Rechtsnachfolge der Klägerin) bestehen würde. Entscheidend sei für die Abgrenzung der Rechtsbindungswille. Dieser sei im Einzelfall nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände und der Verkehrssitte zu ermitteln (BGH, Urteil vom 22.06.1956 - I ZR 198/54 -). Abzustellen sei dabei darauf, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste, mithin darauf, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden dargestellt habe.

Ein Rechtsbindungswille könnet sich bei erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung (die hier in Ansehung der Vermögensverhältnisse zweifelhaft erscheine) ergeben. Bedeutung könne dagegen gewinnen, dass mit notarieller Urkunde vom 27.06.1958 eine Vereinbarung der Gütertrennung getroffen wurde, und zum Zeitpunkt der Generalvollmacht nebst Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung die Ehe bereits über 50 Jahre bestanden habe. Ferner sei von Bedeutung, dass weder vorgetragen noch ersichtlich sei, das die Erblasserin zwischen Vollmachtserteilung und ihrem Tod jemals wegen mit der Vollmacht getätigter Geschäfte Auskunft und Rechenschaft vom Beklagten verlangt hätte. In diesem Fall könne ein Abrechnungsverlangen durch Erben gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen (OLG Hamm, Urteil vom 18.10.2018 - 10 U 91/17 -).

In einem Beschluss des OLG Koblenz vom 10.06.2020 - 12 U 7/20 - sei ein Gefälligkeitsverhältnis negiert worden, wenn eine Vertrauensperson ohne verwandtschaftlichem Verhältnis EC-Karte nebst PIN übergeben würden und damit diese Vertrauensperson über erhebliche Vermögenswerte (Bankguthaben von mehr als € 50.000,00) verfügen könne. Dies läge vorliegend anders. Gerade bei Eheleuten könne die Annahme eines Vertragsverhältnisses und damit die Annahme des § 666 BGB unangemessen erscheinen (BGH, Urteil vom 05.07.2000 - XUU ZR 26/98 -; OLG Köln Urteil vom 19.09.2012 - 16 U 196/11 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2006 - 4 U 10/05 -).

Zudem käme auch eine konkludente Freistellung von Auskunftspflichten nach § 666 BGB in Betracht, da § 666 BGB dispositiv sei.

Mit Beschluss vom 08.02.2023 wies das OLG die Berufung zurück.

OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2023 - 6 U 89/22 -

Sonntag, 23. April 2023

Abdingbarkeit der Verpflichtung zur steuerlichen Zusammenveranlagung ?

Der Antragsteller (AS) begehrte von seiner von ihm seit 2019 getrennt lebenden Ehefrau (Antragsgegnerin, AG) die Zustimmung zur steuerlichen Zusammenveranlagung. Das Familiengericht gab seinem Antrags nicht statt; die dagegen eingelegte Beschwerde des AS wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Während des Zusammenlebens erledigte die AG die steuerlichen Belange der Eheleute. Nachdem die Eheleute vom Finanzamt zur Abgabe der Einkommenssteuererklärung für die Jahre 2013 bis 2019 aufgefordert wurden, wandte sich die AG an den AS und erbat von diesem die erforderlichen Unterlagen und wies den AS mehrfach darauf hin, dass eine gemeinsame steuerliche Veranlagung gegenüber einer Einzelveranlagung der Eheleute wirtschaftlich günstiger wäre. Zu dieser Zusammenveranlagung verweigerte der AS allerdings seine Zustimmung. Seit dem 17.12.2020 sind die im Rahmen der Einzelveranlagung gegenüber der AG ergangenen Steuerbescheide (mit Erstattungen von rund € 10.900,00) rechtskräftig. Die mit einer Nachzahlung von rund € 23.000,00 gegenüber dem AS ergangenen Steuerbescheide waren noch nichts bestandkräftig.

Das OLG führte aus, dass sich aus dem Wesen der Ehe grundsätzlich die Verpflichtung ergeben würde, die finanziellen Belastungen des anderen Teils möglichst zu vermindern, soweit dies ohne Verletzung der eigenen Interessen möglich sei. Von daher bestünde für beide Eheleute jeweils die Verpflichtung, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen, wenn dadurch die Steuerschuld des anderen Ehegatten verringert würde, der in Anspruch genommene keinen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sei (BGH, Urteil vom 13.10.1976 - IV ZR 104/74 -). Diese Pflicht würde auch nach einer Scheidung als Nachwirkung der Ehe bestehen bleiben (BGH, Urteil vom 12.06.2002 - XII ZR 288/00 -).

Allerdings sei hier die Verpflichtung wirksam abbedungen worden. Aus dem Schriftverkehr ergäbe sich, dass der AS nicht bereit war, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen und die Nachteile einer Einzelveranlagung hinnehmen wollte. Dem habe die AG zugestimmt. Damit habe zwischen den Parteien Einvernehmen bestanden, keine Zusammenveranlagung vorzunehmen, sondern die Steuererklärungen getrennt im Sinne einer Einzelveranlagung abzugeben. Am Rechtsbindungswillen würden Zweifel nicht bestehen. Der AS sei von der AG darauf hingewiesen worden, dass er bei einer Einzelveranlagung mehr nachzahlen müsse, er habe aber auf eine Beendigung seiner Betreuung durch den (von der AG beauftragten) Lohnsteuerhilfeverein bestanden, wobei beide Parteien davon ausgegangen wären, dass sich die AG dort weiter betreuen lassen würde. Damit lägen die Voraussetzungen für eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zur Einzelveranlagung vor und liege nicht nur eine einfache Erklärung des AS vor, keine Zusammenveranlagung zu wollen.

Der grundsätzliche Anspruch aus der ehelichen Verbundenheit und Fürsorgepflicht auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung die aufgrund der rechtsgeschäftlichen Absprache der Beteiligten erloschen. Dies erfasse sowohl die Geltendmachung der Zusammenveranlagung gegenüber dem Finanzamt, wie auch Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis der Beteiligten. Gegen die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung würden keine Bedenken bestehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.11.2005 - 19 W 52/05 -). Während das OLG Frankfurt eine konkludente Vereinbarung als ausreichend ansah, läge hier sogar eine tatsächliche vor.

Der vertraglichen Absprache stünde nicht entgegen, dass der AS im Nachhinein versucht habe, sich von dieser wieder zu lösen, als er von der im Rahmen der Einzelveranlagung entfallenden Nachzahlung erfahren habe. Es würde sich dabei um einen anfechtungsrechtlich unbeachtlichen Motivirrtum handeln. Dem AS seien die erheblichen steuerlichen Nachteile einer Einzelveranlagung durch Erläuterungen der AG und eines Mitarbeiters des Lohnsteuerhilfevereins bekannt gewesen, war aber aus Verärgerung über die AG sowie Unstimmigkeiten über die Kostentragung der Tätigkeit des Lohnsteuerhilfevereins bereit gewesen, etwaige finanzielle Nachteile hinzunehmen.

Die jetzige Verweigerungshaltung der AG sei auch nicht treuwidrig. Der AS habe mit der geschlossenen Vereinbarung auf die sich aus der nachehelichen Solidarität ergebenden Pflichten der AG verzichtet.

OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2023 - 2 UF 212/22 -

Schadensersatz: Darf sich Tiefbauunternehmer auf Kabelpläne verlassen ?

Das Beklagte Tiefbauunternehmen holte bei der Klägerin wegen eines Auftrages, Tiefbauarbeiten in einer Innenstadtstraße von Rostock vorzunehmen, bei der Klägerin eine Leitungsauskunft ein. Darin war ein Kabelverlauf mit einer grünen Linie eingezeichnet und angeben „Kabelbestand in Fremdtrasse“, „Die genaue Lage ist durch Probeschlitze zu ermitteln !“ und „Tiefenlage der Kabel ca. 0,7 m.“. Bei den Arbeiten wurde ein Kabel in einer Tiefe von 3,30 m beschädigt.

Das Landgericht wies die Schadensersatzklage ab. Ein Verschulden der Beklagten, welches nach § 823 BGB erforderlich sei, läge nicht vor. Zwar würde die Rechtsprechung hohe Anforderungen an Tiefbauunternehme stellen, sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf von unterirdisch verlegten Versorgungsleitungen zu erkundigen und sich Gewissheit im Boden zu verschaffen. In Ansehung einer unverhältnismäßig hohen Gefahr durch Beschädigungen an Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen sei mit äußerster Vorsicht vor allem bei Verwendung von Baggern und anderem schweren Arbeitsgerät vorzugehen. Der Unternehmer habe sich über deren Verlauf vorab zu erkundigen und sich im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung die Kenntnisse zu verschaffen, welche die sichere Ausführung der Arbeiten voraussetzt. Da die Bauämter regelmäßig Versorgungsleitungen nicht verlegen würden, müsse sich der Unternehmer bei den Versorgungsunternehmen erkundigen und, wenn dies nicht weiterhilft, andere Maßnahmen (wie z.B. Probebohrungen oder Ausgrabungen von Hand in dem Bereich, in dem er ausheben will, vorzunehmen (BGH, Urteil vom 20.12.2005 - VI ZR 33/05 -).

Dem sei die Beklagte hier nachgekommen. Danach habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass sich ein Kabel in einer Tiefe von ca. 0,7 m befindet. Der Umstand, dass sich die in einer Fremdtrasse befand habe für den Beklagten keine Veranlassung geben müssen, dass sich die Tiefenangabe nicht auf die Kabel in der Fremdtrasse beziehe; auch bei einem solchen Kabel könne die Klägerin davon Kenntnis haben und Angaben machen, so dann, wenn der Betreiber der Fremdtrasse dies ihr mitteile. Davon habe die Beklagte in Ansehung der konkret mit ca. 0,7 m erfolgten Angabe ausgehen dürfen. Bei fehlender Kenntnis der Tiefenlage hätte die Klägerin die Angabe nicht tätigen dürfen; erst dann hätte sich die Beklagte bei dem Betreiber der Fremdtrasse erkundigen müssen.

Zum Auffinden des Kabels in einer Tiefe von mehr als 3 m habe die Beklagte auch keine Suchschachtung (Probeschlitze) vornehmen müssen, da sie nach der Leitungsauskunft in dieser Tiefe nicht mit Kabeln hätte rechnen müssen. Auch habe es für die Beklagte keine sonstigen Anhaltspunkte gegeben, die auf ein Kabel in dieser Tiefe gedeutet hätten und die Leitungsauskunft falsch sein könnte. Alleine der Umstand, dass die Beklagte (nach klägerischer Angabe) in einer Tiefe von ca. 0,7 m kein Kabel gefunden haben soll, ändere daran nichts. Denn es bestand auch die Möglichkeit, dass sich das Kabel außerhalb des ausgebaggerten Bereichs in einer Tiefe von 0,7 m befinden konnte.

LG Rostock, Urteil vom 20.01.2023 - 2 O 260/22 -

Freitag, 21. April 2023

Substantiierungsanforderung der Geltendmachung von Werklohn auf Stundenlohnbasis

Die Klägerin machte Vergütungsansprüche auf Basis von behaupteten aufgewandten Stunden geltend, die sie mit e 38,00/Stunde netto abrechnete. In der Schlussrechnung wurden die in mehreren Rechnungen bereits berechneten Leistungen Rechnungen von ihr zusammengefasst und die Stunden aufgelistet. Die Auftragserteilungen sollen teilweise durch den Geschäftsführer der Beklagten, teilweise dessen Bauleiter erfolgt sein. Das Landgericht wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab, das Oberlandesgericht (OLG) die Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO zurück.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und zur Zurückverweisung an das OLG. Das OLG habe entscheidungserheblich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, Art. 103 Abs. 1 GG. Nach Art. 103 Abs. 1 GG müsse das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in seine Erwägungen einbeziehen. Dazu gehöre auch, den Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und, wenn es sich um eine zentrale Frage handele, in den Entscheidungsgründen zu bescheiden.  Das rechtliche Gehör sei verletzt, wenn die Begründung nur den Schluss zulasse, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 17.06.2020 - VII ZR 111/19 -).

Zwar wurde von der Klägerin nicht vorgetragen, dass der Bauleiter von der Beklagten bevollmächtigt gewesen sei. Dies sei aber der unter Beweis gestellte Kern der Angaben der Klägerin, in denen sie behauptete, ab dem 13.05.2016 vom Bauleiter oder dem Geschäftsführer der Klägerin oder beiden gemeinschaftlich mit zusätzliche Malerarbeiten beauftragt worden zu sein und der Geschäftsführer der Beklagten haben von den Arbeiten der Klägerin Kenntnis genommen.

Zu den Stundenlohnarbeiten beruhe die Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das OLG überspannte Substantiierungsanforderungen gestellt habe und deshalb den Sachvortrag der Parteien nicht zur Kenntnis genommen und die angebotenen Beweise erhoben zu haben (BGH, Beschluss vom 10.08.2022 - VII ZR 243/19 -).

Der nach Zeitaufwand abrechnende Unternehmer müsse im Ausgangspukt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden er für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchem Stundensatz angefallen seien. Nicht erforderlich sei für eine schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrages eine Differenzierung dergestalt, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt würden, auch wenn dies sinnvoll sein mag. Erforderlich sei dies nicht, weil die Bemessung und damit die im Vergütungsprozess angestrebte Rechtsfolge nicht davon abhängig sei, wenn der Unternehmer welche Tätigkeiten ausführte, weshalb eine entsprechende Angabe nur erforderlich sei, wenn die Vertragsparteien eine entsprechende detaillierte Abrechnung vereinbart hätten (BGH, Urteil vom 17.04.2009 - VII ZR 164/07 -). Ohne eine entsprechende Vereinbarung sei es Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergebe (BGH, Urteil vom 17.04.2009 - VII ZR 164/07 -).

Damit seien die Angaben der Klägerin zur Anspruchshöhe schlüssig gewesen. Sie habe angegeben, dass sie für insgesamt 15 Häuser Malerarbeiten durchgeführt habe, bei den Häusern 1 - 6 und 15 sowohl im Innen- wie auch im Außenbereich, bei den Häusern 7 - 14 nur im Außenbereich. Sie habe auch ausgeführt, wie viele Stunden auf welche Gewerke entfallen wären. Soweit im Streitstünde, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten gehandelt habe, obläge es der Beklagten als Besteller, diese Umstände darzulegen.

BGH, Beschluss vom 01.02.2023 - VII ZR 882/21 -

Donnerstag, 20. April 2023

Zurückstellen des Akteneinsichtsgesuchs des Nebenintervenienten

Die Bedeutung der Nebenintervention wird häufig verkannt. Für den Nebenintervenienten besteht die Möglichkeit, wenn auch abhängig vom Vortrag der Partei, der er in dem Rechtsstreit beitritt, Einfluss auf das gerichtliche Verfahren zu nehmen, auch Rechtsmittel einzulegen. Der Kreis derer, die einem Rechtsstreit als Nebenintervenient beitreten dürfen, ist allerdings limitiert. Dies verdeutlicht auch der Beschluss des OLG Frankfurt, mit dem der Antrag des dem Rechtsstreit durch Nebenintervention Beitretenden auf Akteneinsicht zurückgestellt wurde.

Grundsätzlich hat derjenige, der dem Rechtsstreit im Rahmen einer Nebenintervention beitritt (§  66 ZPO) wie auch die Parteien selbst ein Recht auf Einsicht in die Gerichtsakte, § 67 iVm.  § 299  ZPO). Dieses Recht steht ihm auch zu, wenn noch keine Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention erfolgte, § 71 Abs. 2 iVm. § 299 Abs. 1 ZPO. Dies wird auch vom OLG in seinem Beschluss festgehalten. Offen ließ das OLG die Frage, ob dies auch für vor dem erklärten Beitritt mitgeteilte geheimhaltungsbedürfte Informationen gelte. Denn vorliegend sei erst mit der Entscheidung über die Zulässigkeit des Beitritts über das Akteneinsichtsgesuch zu entscheiden und dieses zurückzuweisen, wenn die Voraussetzungen der Nebenintervention offensichtlich nicht vorlägen.

Vom OLG wird zutreffend ausgeführt, dass für die zulässige Nebenintervention ein rechtliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei Voraussetzung sei, § 66 ZPO. Dieses rechtliche Interesse erfordere, dass die Entscheidung oder deren Vollstreckung mittelbar oder unmittelbar auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Nebenintervenienten rechtlich einzuwirken vermag (BGH, Beschluss vom 18.11.2015 - VII ZB 57/12 -). Erfasst würden durch § 66 ZPO insbesondere Fälle der Rechtskrafterstreckung auf den Nebenintervenienten, der Vollstreckbarkeit und Tatbestandswirkung bezüglich des Nebenintervenienten, der Vorgreiflichkeit (z.B. bei einem Verfahren zwischen Kaufvertragsparteien bei Beitritt des evtl. sekundär haftenden beurkundenden Notars), der akzessorischen Haftung, der Prozessstandschaft des materiell Berechtigten, des befürchteten Regresses beim Nebenintervenienten oder von Regressansprüchen des Nebenintervenienten.

Nicht gedeckt sind durch § 66 ZPO ist damit ein rein tatsächliches oder wirtschaftliches Interesse. Dazu, so das OLG, gehöre der bloße Wunsch des Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, das Gericht würde im Falle einer günstigen Entscheidung an seinem Standpunkt auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit festhalten.  Dies gelte auch dann, wenn in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssten oder über die gleiche Rechtsfrage zu entscheiden wäre.

Im vorliegenden Verfahren sei von der Nebenintervenientin, die in keiner Rechtsbeziehung zum Kläger und in einer rechtlich vom vorliegenden Rechtsstreit unabhängigen Beziehung zur Beklagten stünde, geltend gemacht worden, selbst ein einstweiliges Verfügungsverfahren gegen die Beklagte zu betreiben, und das vorliegende Verfahren sei „faktisch präjudiziell“. Damit würde die Nebenintervenientin nur auf ein nicht ausreichendes tatsächliches Interesse abstellen.

Nicht ersichtlich ist aus den Beschlussgründen, ob eine der Parteien des Rechtsstreits den Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention stellte, § 71 Abs. 1 ZPO. Ohne einen solchen Antrag würde sich die Prüfung des Gerichts auf die Prüfung der Prozesshandlungsvoraussetzungen (Partei-, Prozessfähigkeit, gesetzliche Vertretung, Postulationsfähigkeit und Vollmacht) zu beschränken haben. Das rechtliche Interesse wie auch eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Beitritts sind nur auf Rüge zu prüfen (Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 66 Rn. 14; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO 81. Auf. § 71 Rn. 4).

Beachtlich ist an der vorliegenden Entscheidung des OLG, dass dieses das in § 71 Abs. 3 ZPO normierte Recht des Nebenintervenienten einschränkt, d.h. das Akteneinsichtsgesuch bis zur (rechstkräftigen) Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention zurückstellt. dass die Nebenintervenientin bis zum rechtskräftigen Ausspruch der Unwirksamkeit der Nebenintervention im Hauptverfahren zuzuziehen ist, mithin auch die Rechte des Nebenintervenienten (und damit das Recht auf Akteneinsicht) nach § 299 Ab. 1 ZPO hat, da mit Parteien iSv. § 299 Abs. 1 ZPO die Prozessbeteiligten gemeint sind, zu denen auch der Nebenintervenient gemeint ist, was so ersichtlich auch vom OLG verstanden wird.  Gleichwohl ist der Entscheidung zuzustimmen. Das OLG verweist darauf, dass bei Fehlen der Voraussetzungen für eine Nebenintervention sich diese und das Akteneinsichtsgesuch darin erschöpfen würden, die Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 ZPO für Akteneinsichtsgesuche durch Dritte zu unterlaufen und/oder statt eines Gesuchs über den Gerichtsvorstand mit abweichenden Rechtsschutzmöglichkeiten zum umgehen. Diesem beugt das OLG durch das Zurückstellen des Antrages vor, da danach das Gesuch dann positiv zu entscheiden wäre, wenn über die Zulässigkeit der Nebenintervention entscheiden wird.  Fraglich ist dies allerdings für den Fall, dass die Entscheidung über die Nebenintervention auch in der Endentscheidung ergehen kann, und - bei Feststellung der Zulässigkeit - die Nebenintervenientin an der Ausübung ihres Rechts nach Art. 103 GG (rechtliches Gehör) gehindert worden wäre. Zwar bezieht sich hier das OLG darauf, dass nach der derzeitigen Begründung der Nebenintervention nach § 66 ZPO nicht von einer zulässigen Nebenintervention auszugehen sei, doch würde dies nicht einen weiteren, die Voraussetzungen evtl. belegenen Vortrag der Nebenintervenientin ausschließen. Grundsätzlich ist das Zurückstellen bis zu einer (rechtskräftigen) Entscheidung über die Nebenintervention sicherlich richtig, da die Gerichtsakte nur parteiöffentlich ist, nicht allgemein zugänglich ist (wie sich auch aus § 299 ZPO erschließt). Allerdings dürfte dann die Entscheidung über die Zulassung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zusammen oder zeitgleich mit der Endentscheidung im Verfahren ergehen.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.11.2022 - 11 U 78/22 (Kart.)

Samstag, 15. April 2023

WEG: Unplausible Jahresabrechnung und unzulässige Rechnungsabgrenzung

Angefochten war hier u.a. ein Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) über eine Jahresabrechnung 2020 mit Nachschüssen und Vorschüssen. Geltend gemacht wurde von der Klägerin, dass die Jahresabrechnung nicht plausibel sei. Die Klage hatte im Berufungsrechtzug Erfolg, insoweit der Beschluss zu den Nachschüssen und der Anpassung der Vorschüsse (mit Ausnahme für Erhaltungsaufwendungen) für unwirksam erklärt wurde.

Die sich aus der Jahresabrechnung ableitenden Nachschüsse und Vorschüsse könnten (mit Wirksamkeit des WEMoG) nicht alleine deshalb als ungültig erklärt werden, da die Jahresabrechnung zunächst nicht nachvollziehbar sei. Allerdings verliere sie ihre Funktion ihre Funktion, nach § 28 Abs. 2 WEG, die Beschlussfassung über die Anpassung der Vorschüsse und das Einfordern von Nachschüssen vorzubereiten. Ließe sich aus den Anfangs- und Endbeständen der Konten die nicht nachvollziehen, ob alle in der Abrechnung enthaltenen Einnahmen und Ausgaben erfasst wurden, sei die Abrechnung nicht plausibel (BGH, Urteil vom 25.09.2020 - V ZR 80/19 -). Eine Abrechnung müsse für den durchschnittlichen Wohnungseigentümer verständlich sein, ohne dass er fachlicher Unterstützung bedarf (BGH, Urteil vom27.10.2017 - V ZR 189/16 -). Mit dem Verweis auf die fehlende Plausibilität käme der anfechtende Wohnungseigentümer seiner Darlegungslast nach, mit der auch Zweifel an der Richtigkeit er angepassten Vorschüsse sowie der Nachschüsse geltend gemacht werden. Es obläge nunmehr der WEG im Rahmen der sekundären Darlegungslast, darrzulegen, weshalb die beschlossenen Abrechnungsspitzen doch zutreffend sind. Gelinge es der WEG nicht, die fehlende Ergebnisrelevanz von Abrechnungsmängeln darzulegen oder stünde gar fest, dass sich Mängel in Einzelabrechnungen auf die Höhe der Naschschüsse oder der Anpassung der Vorschüsse auswirken, sei die Ungültigkeit dieses die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse betreffenden Beschlusses festzustellen.   

Aus der Gesamtabrechnung habe sich ergeben, dass diese sich auf die Abrechnungsspitzen auswirkende Defizite aufwies: So wurden in den für den Beschluss über die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse relevante Einzelabrechnungen zu den Positionen Allgemeinstrom, Heizung/Wasser, Wasser/Kanal und Kabelkosten Rechnungsabgrenzungen vorgenommen, indem noch Einnahmen und Ausgaben nach Ablauf des Abrechnungszeitraums einbezogen wurden, die zwar evtl. wirtschaftlich dem Jahr 2020 zugehörig waren, aber nicht 2020 angefallen waren. Eine derartige Rechnungsabgrenzung sei (mit Ausnahme der Verteilung nach der HeizkostenV) unzulässig (BGH, Urteil vom 16.07.2021 - V ZR 163/20 -). 

Daraus folge die Ungültigkeitserklärung, die allerdings nur die laufenden Kosten der Bewirtschaftung beträfe.  Soweit der Beschluss auch die Anpassung der Vorschüsse der Rücklagen erfasse (hier: Erhaltungsrücklagen, § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG) bestünde kein Anlass zur Ungültigkeitserklärung, da sich darauf der Fehler bei der Berechnung der Bewirtschaftungskosten nicht auswirke. Der Beschluss sei - wie nach altem Recht - trennbar. 

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.03.2023 - 2-13 S 68/22 -

Samstag, 8. April 2023

Zur (Un-) Wirksamkeit einer Zustellung an eine c/o-Adresse

Das Landgericht (LG) wies den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurück, da die Klageschrift nach seiner Auffassung dem Beklagten nicht wirksam zugestellt worden sei. Es sei nicht belegt, dass der Beklagte tatsächlich unter Anschrift der Zustellung, bei der es sich um eine c/o-Anschrift handelt, auch tatsächlich wohne; es sei lediglich ein Einwurf in den Briefkasten erfolgt (also wohl der Person, die im c/o benannt wurde), keine Übergabe an den Beklagten. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) nach Nichtabhilfe durch das LG zurückgewiesen. 

Die Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil wurden auch vom OLG negiert. Eine Zustellung an den Beklagten sei nicht wirksam erfolgt.

Eine wirksame Zustellung hätte vorgelegen, wenn diese direkt durch persönliche Übergabe an den Beklagten oder einen Familienangehörigen oder Mitbewohner erfolgt wäre, § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Da eine persönliche Übergabe erfolglos versucht wurde, wurde das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingeworfen. Dieser Einwurf stelle sich aber nicht als eine wirksame Ersatzzustellung (§§ 180, 178 Ans. 1 Nr. 1 ZPO) dar.

Der in §§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 180  ZPO verwandte begriff der Wohnung sei im Zustellungsrecht eigenständig nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu bestimmen. Dies erfordere, dass die Partei durch die Anschrift eindeutig identifiziert werden könne und mithin an sie eine wirksame Zustellung erfolgen könne. Bei einer c/o-Anschrift sei strittig, on diese Angabe dann genügt, wenn ein ordnungsgemäßer Prozessablauf sichergestellt sei (BGH, Urteil vom 06.04.2022 - VIII ZR 262/20 -) oder für eine ordnungsgemäße Klageerhebung grundsätzlich nicht ausreicht (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.05.2014 - 16 U 4/14 -). Allerdings könne dies hier dahinstehen, da nicht feststehen würde, dass der Beklagt tatsächlich unter der c/o-Anschrift wohnhaft sei. Wohnung seien die Räume, in denen der Adressat auch (wenn auch nur vorübergehend) tatsächlich lebe und insbesondere schläft.

Der handschriftliche Vermerk auf der Postzustellungsurkunde unter der c/o-Adresse beinhalte keine Aussage dazu, welche Tatsachen dem Vermerk zugrunde liegen und ob der Beklagte unter dieser Anschrift bei dem Zustellversuch auch (noch) wohnte. § 180 ZPO bürde dem Empfänger nicht das Risiko der Wirksamkeit zweifelhafter Ersatzzustellungen auf.

Auch ließe sich nicht feststellen, dass der Beklagte nach außen den Anschein aufrechterhalten hätte, am fraglichen Ort eine Wohnung zu haben, weshalb er mit einer dortigen Zustellung hätte rechnen müssen. Nur dann, wenn der Zustellungsadressat einen solchen Anschein zielgerichtet herbeigeführt hätte, könnte er sich nicht auf eine fehlerhaft dort bewirkte Ersatzzustellung berufen (OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 26.10.2020 - 4 U 1563/20 -).

Die Klägerin habe auch als darlegungs- und beweispflichtige Partei nicht dargelegt, dass die Zustellung dem Beklagten tatsächlich zugegangen sei.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.02.2023 - 13 W 44/23 -

Montag, 3. April 2023

Übertragung (ausschließlich) von Miteigentumsanteilen und Auswirkung auf Grundpfandrechte

Die Beteiligten waren im Wohnungs- und Teileigentumsgrundbuch eingetragene Wohnungs- und Teileigentümer. U.a. war in Blatt 82 (lastenfrei in Abt. III) des Grundbuchs ein Sonder-/Teileigentum vermerkt, über den sich die Beteiligten mit  notarieller Urkunde einigten,  dass dieses in Gemeinschaftseigentum überführt wird und die darauf entfallenden Miteigentumsanteile auf andere Grundbücher gleichmäßig aufgeteilt übertragen werden sollen. Der Antrag, die Eigentumsumschreibung in die Grundbücher einzutragen und das Teileigentumsgrundbuch Blatt 82 zu schließen, wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten nach einer Zwischenverfügung lediglich die Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegten, nicht aber eine Nachverpfändung der in den Grundbüchern der aufnehmenden Eigentümer eingetragen Grundpfandrechte vornahmen und sich auch nicht insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarfen.

Die Beschwerde zum Oberlandesgericht war erfolgreich. Nach Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung seien Eintragungshindernisse nicht mehr gegeben.  Einer vom Grundbuchamt als notwendig angesehenen Nachverpfändung bedürfe es nicht.

Es handele sich hier um eine Übertragung von Miteigentumsanteilen ohne Übertragung von Sondereigentum. Dies sei grundsätzlich zulässig (wurde auch hier vom Grundbuchamt nicht in Zweifel gezogen). Streitig sei allerdings, ob sich die Belastungen auf in Abt. III der Grundbücher, in dem die Übernahme des Miteigentumsanteil vermerkt wird, auch auf den übernommenen Miteigentumsanteil erstreckt. Der BGH sähe die Änderung der mit einem bestimmten Sondereigentum verbundenen Miteigentumsanteile als eine Inhaltsänderung iSv. § 877 BGB an (BGH, Urteil vom 18.06.1986 - V ZR 156/75 -). Das würde dazu führen, dass die auf dem bisherigen Miteigentumsanteil lastenden Grundpfandrechte sich auch auf den inhaltlich geänderten Miteigentumsanteil erstrecken würden.  Da zudem die Erstreckung für den Grundpfandrechtsgläubiger rechtlich vorteilhaft sei, bedürfe es dazu auch nicht seiner Zustimmung. Ebenso würde damit eine erneute Unterwerfungserklärung (§ 800 ZPO) nicht erforderlich sein.

OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.2022 - 15 W 271/22 -