Freitag, 26. Februar 2021

WEG: Durch Rechtsänderung fehlt Miteigentümer das Prozessführungsrecht zur Störungsabwehr

Die Parteien sind Wohnungseigentümer in einer kleinen Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger wandte sich gegen die Nutzung eines Parkplatzes in der Garage durch den Beklagten und verlangte, dass dem Beklagten das Abstellen von Gegenständen im Treppenhaus untersagt werden soll. Das Amtsgericht gab der Klage zur Parkplatzbenutzung dahingehen statt, dass der beklagte nicht häufiger als an 73 Tagen im Jahr diesen nutzen dürfe (sein Anteil am Gemeinschaftseigentum betrage 1/5 und entsprechend könne er den Parkplatz nutzen) und wies die Klage zu, Abstellen von Gegenständen mit der Begründung ab, es fehle an einer Beeinträchtigung. Beide Parteien legten gegen die am 25.11.2019 verkündete amtsgerichtliche Entscheidung Berufung ein, soweit sie unterlegen waren.

Das Landgericht hob das amtsgerichtliche Urteil auf und wies die Klage insgesamt ab. Dabei verwies das Landgericht darauf, dass die Abweisung bereits wegen der zum 01.12.2020 erfolgten Rechtsänderung im Wohnungseigentumsgesetz erfolgen müsse, die auch hier im laufenden Verfahren zu beachten sei. Während nach bisherigen Recht Abwehransprüche aus dem Binnenrecht dem einzelnen Eigentümer zustanden, § 15 Abs. 3 WEG a.F., wurde dies mit der Novellierung zum 01.12.2020 auf den Verband übertragen, da nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG die Verpflichtung zur Einhaltung des Binnenrechts nur noch gegenüber dem Verband bestünde, der auch gem. § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG alleine für die Ansprüche aus § 1004 BGB zuständig sei.

Zwar würden die Ansprüche nach § 1004 BGB weiterhin auch dem Eigentümer zustehen, es ermangele ihm aber nach § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG an der Prozessführungsbefugnis. Mit der Regelung in § 9a Abs. 2 Alt. 1 BGB sei in Abweichung von § 1011 BGB dies dem Verband als Träger des Verwaltungsmonopols zugewiesen worden.

Das Landgericht sah hier Probleme im Hinblick auf die Dauer von Gerichtsverfahren vor dem Hintergrund, dass z.B. bei einer evtl. erforderlichen Beschlussersetzungsklage zur Durchsetzung eines Beseitigungsanspruchs wegen baulicher Veränderungen bis zur Bestandskraft des Urteils im Beschlussersetzungsverfahrens Verjährung des Beseitigungsanspruchs eingetreten sein könnte. Ggf. müsste hier der Verband mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes gezwungen werden, verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen. Jedenfalls sah das Landgericht in derartigen Konsequenzen keine Veranlassung hier den eindeutigen gesetzgeberischen Willen in Frage zu stellen.

Übergangsvorschriften wären im neuen Rehct nicht benannt; lediglich gem. § 48 Abs. 5 WEG würde das alte Verfahrensrecht für laufende Verfahren weiterhin gelten. In Ermangelung von Übergangsvorschriften zum materiellen recht sei daher die Rechtsänderung hier im Berufungsverfahren zu berücksichtigen. Mithin habe der Eigentümer mit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung zum 01.12.2020 das Recht zur eigenen Geltendmachung der Ansprüche verloren. Da nach der Rechtsprechung des BVerfG der Gesetzgeber im Hinblick auf Überleitungen über einen breiten Gestaltungsspielraum verfüge, komme hier auch keine Eingrenzung  analog § 48 Abs. 5 WEG in Betracht, noch mit Blick auf einen effektiven Rechtsschutz nach Art. 14 GG.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.01.2021 - 2-13 S 155/19 -

Dienstag, 23. Februar 2021

„Zu erbringen hat“ (§ 116 Abs. 1 SGB X) knüpft an Leistungspflicht, nicht an tatsächlich erbrachte Leistung

Der Vater der 14-jährigen Geschädigten beantragte bei der Rentenversicherung stationäre Rehabilitationsleistungen, die diese erbrachte und nach § 116 Abs. 1 SGB X bei dem Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers regressierte. Dieser leistete unter Vorbehalt und forderte dann die Zahlung mit der Begründung zurück, die Geschädigte sei nicht Mitglied der Rentenversicherung. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt; die zugelassene Revision der Rentenversicherung führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Vom Grundsatz normiert § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X, dass ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften (z.B. nach § 7 StVG, § 823 BGB) beruhender Schadensersatzanspruch auf den Versicherungsträger übergeht, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen (sachliche Kongruenz) sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen (zeitliche Kongruenz). Dabei sei auf die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers abzustellen (im Gesetz heißt es „zu erbringen hat“), nicht auf eine tatsächlich erbrachte Leistung. Fehlt mithin die Leistungspflicht, kann selbst bei erbrachter Leistung der Anspruch nicht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X geltend gemacht werden, da es dann einem dort benannten gesetzlichen Forderungsübergang ermangelt.

Geht man mithin (insoweit fehlten Feststellungen der Vorinstanzen, weshalb es zur Zurückverweisung kam) davon aus, dass vorliegend  Ersatzansprüche nach § 7 Abs. 1 StVG gegenüber dem Haftpflichtversicherer gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bestanden, ferner, dass die stationäre Rehabilitationsbehandlung auf den unfallbedingten Verletzungen zurückzuführen war, und die Rentenversicherung hier nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI auf Antrag Leistungen zu erbringen hatte, habe sachliche und zeitliche Kongruenz auf Ersatz gegen den Haftpflichtversicherer bestanden. Zwar sei die Geschädigte selbst nicht Mitglied der Rentenversicherung. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI lautet:

„Als sonstige Leistungen zur Teilhabe können erbracht werden:

4. stationäre Heilbehandlung für Kinder von Versicherten, … , wenn hierdurch voraussichtlich eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit beseitigt oder eine beeinträchtigte Gesundheit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann,

…“

(§ 31 SGB 6 in der Fassung vom 17.7.2015)

Entscheidend für den Anspruch über § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X sei nicht, ob die Leistung auf einer Mitgliedschaft des Geschädigten beruhe, oder ob der Geschädigte nur Begünstigter sei. In beiden Fällen läge eine den Forderungsübergang begründende Identität zwischen Schadensersatzberechtigten und Leistungsempfänger vor.

Der Zweck des § 116 SGB X sei es zu vermeiden, dass der Schädiger durch die dem Geschädigten zufließende Sozialleistung haftungsfrei gestellt würde oder der Geschädigte doppelt entschädigt würde (BGH, Urteil vom 08.07.2003 - VI ZR 274/02 -).

Anderes würde sich auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 24.04.2012 - VI ZR 329/10 - ergeben. Dort sei es um die Frage gegangen, ob die Forderung bereits zum Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sei, wenn zu diesem Zeitpunkt das Sozialversicherungsverhältnis noch nicht besteht. Erforderlich sei für dem Übergang zum Schadenzeitpunkt, dass eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem Geschädigten nicht völlig unwahrscheinlich sei. Sind Sozialleistungen auf Grund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen, setze ein Rechtsübergang zu diesem Zeitpunkt allerdings das Bestehen einer Mitgliedschaft voraus; wird die Mitgliedschaft erst später begründet, würde der Übergang auch erst zu diesem späteren Zeitpunkt eintreten. Im Urteil vom 24.04.2012 sei es um den Forderungsübergang auf den Rentenversicherungsträger aus einem erst Jahre nach dem Unfall begründeten Versicherungsverhältnis gegangen.

Zusammenfassend hielt der BGH fest, dass die Differenzierung im Hinblick darauf erfolge, welche Sozialleistungen aus welchem Sozialversicherungsverhältnis im Rahmen des Forderungsübergangs geltend gemacht würden. Hier handele es sich um Ansprüche aus Sozialleistungen zugunsten der Geschädigten, die an das Rentenversicherungsverhältnis ihres Vaters anknüpfen würden.

BGH, Urteil vom 19.01.2021 - VI ZR 125/20 -

Samstag, 20. Februar 2021

Juristische Inkompetenz des Richters ist grundsätzlich kein Befangenheitsgrund

 

Die abgelehnten Richter hatten einen Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Rahmen seiner Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Anhörungsrüge) beantragte er gleichzeitig die Richter des Senats, die an dem Zurückweisungsbeschluss mitwirkten, wegen Befangenheit abzulehnen. Die Befangenheit begründete er damit, dass von einer unzureichenden juristischen Qualifikation der Richter ausgegangen werden müsse, da sie die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention „ostentativ missachtet“ hätten. Der Befangenheitsantrag wurde zurückgewiesen.

Die über den Befangenheitsantrag zur Entscheidung berufenen Richter des Senats wiesen diesen, ohne Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter, teils als unzulässig zurück (insoweit eine abgelehnte Richterin nicht mehr Mitglied des Senats sei und damit nicht zur Entscheidung über die Anhörungsrüge berufen sei), im übrigen als unbegründet zurück.

Voraussetzung für die Ablehnung wegen Befangenheit sei das Vorliegen eines Grundes, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, § 42 Abs. 2 ZPO. Das setze voraus, dass aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung alle Umstände Anlass gegeben sei, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Diese Voraussetzungen seien vom Antragsteller nicht dargetan.

Nach Auffassung des BGH kommt es nicht darauf an, ob eine unzureichende juristische Qualifikation der abgelehnten Richter vorläge, da eine solche keinen Grund zur Annahme einer Befangenheit gäbe. Auch wenn Rechtsansichten geäußert würden, würde dies nicht eine Befangenheit rechtfertigen, es sei denn, diese seien grob fehlerhaft, weshalb sich bei vernünftiger und besonnener Betrachtungsweise der Eindruck der Voreingenommenheit gegenüber einer Partei aufdränge. Dies müsste sich hier aus dem Beschluss über die Zurückweisung der beantragten Prozesskostenhilfe ergeben, was aber nicht der Fall sei.

Zwar hat sich nach § 44 Abs. 3 ZPO der abgelehnte Richter dienstlich zur Ablehnung zu äußern. Dies sei hier nicht erforderlich gewesen, da die Begründung mit unzureichender Qualifikation als solche bereits nicht geeignet sei, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, sich zudem die Rechtsansicht der abgelehnten Richter aus dem Beschluss ergäbe und sie damit zur Aufklärung des Sachverhalts im Zusammenhang mit dem Ablehnungsgesuch nicht beitragen könnten.

BGH, Beschluss vom 10.02.2021 - VI ZB 66/20 -

Freitag, 19. Februar 2021

Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit: Unterlassene Offenbarung einer Vorbeziehung

In einem Rechtsstreit zwischen einer gesetzlichen Krankenversicherung und einer Klinik, in welchem die Krankenversicherung Schadensersatz gem. § 116 SGB X wegen einer von ihr behaupteten erheblichen Schädigung ihrer Versicherten anlässlich einer stationären Behandlung in der Klinik geltend machte, holte das Landgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten ein. Nach Vorlage des Gutachtens beantragte die beklagte Klinik eine mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den medizinischen Sachverständigen. Sodann zog das Landgericht die Behandlungsunterlagen der Klinik bei und erließ einen weiteren Beweisbeschluss, demzufolge der medizinische Sachverständige ergänzend zu der Behauptung der Klägerin Stellung nehmen sollte, die Operation der Klinik sei nicht indiziert und die Nachsorge fehlerhaft gewesen. Nach Eingang dieses Ergänzungsgutachtens wurde von der Beklagten erneut die mündliche Anhörung des Sachverständigen beantragt, dem das Landgericht nachkam und den Sachverständigen in der Ladungsverfügung zu einer ergänzenden Stellungnahme aufforderte. Nach Überlassung der ergänzenden Stellungnahme an die Beklagte lehnte diese nunmehr den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab mit der Begründung, dieser habe Ressentiments gegen die Beklagte, wie sich u.a. darin zeige, dass e behaupte, die Beklagte würde Befunde „unterschlagen“ und die Dokumentation der Beklagten mit der Behauptung negiere, diese sei von minderer Bedeutung.  Der Sachverständige wies eine Befangenheit zurück, er habe keine Ressentiments gegen die Beklagte. Er habe nie Kontakt zur Beklagten gehabt oder das Klinikum betreten. Lediglich mit deren Hauptoperateur 8der auch im vorliegenden Fall als Operateur tätig war) habe er am Universitätsklinikum Jena von 1996 – 2002 in gleichberechtigter und ab 2003 in vorgesetzter Position zusammengearbeitet. Im Hinblick auf diese Stellungnahme des Sachverständigen lehnte die Beklagte ihn nunmehr auch im Hinblick auf seien mitgeteilte Nähe zu dem Hauptoperateur ab.

Das Landgericht wies den Befangenheitsantrag zurück. Auf die Beschwerde der beklagten hin wurde dem Antrag stattgegeben.

Das OLG wies auf § 406 Abs. 1 ZPO hin, demzufolge ein gerichtlich bestellter Sachverständiger aus den gleichen Gründen wie ein Richter abgelehnt werden könne. Es würde jede Tatsache genügen, die auch nur ein subjektives Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen könne, ohne dass es darauf ankäme, ob der Sachverständige tatsächlich befangen sei. Ein enges persönliches oder berufliches Verhältnis könne grundsätzlich geeignet sein, Misstrauen in die Unparteilichkeit zu begründen, wobei der Umstand der privaten oder 8wie hier) beruflichen „Nähe“ zu hinterfragen sei. Es käme auf die Gesamtschau an. Auch wenn danach keine Gründe für eine tatsächliche Befangenheit ersichtlich seien, die nach dem objektivieren Standpunkt der Beklagten Zweifel an der Unvoreingenommenheit rechtfertigen würden.

Das OLG stellte auf die mehr als elfjährige kollegiale Zusammenarbeit des Sachverständigen mit dem Hauptoperateur der Beklagten und dort im fraglichen Fall auch tätigen Operateur ab. In einem solchen Fall könnten persönliche Erfahrungen bewusst oder unbewusst Einfluss auf das Ergebnis der Begutachtung nehmen (OLG Köln, Beschluss vom 13.01.1992 - 13 W 65/91 -). Hinzu käme hier, dass der Sachverständige dieses nahe Verhältnis zunächst verschwiegen hatte. Ein solches Verheimlichen ließe vom Standpunkt der Beklagten bei vernünftiger sensibler Betrachtung den Schluss zu, der Sachverständige wolle die wahre Intensität des Kontakts verbergen. Dies aber könne seinen Grund darin haben, dass er bei der Begutachtung durch die kollegiale Beziehung beeinflusst wurde (OLG Naumburg, Beschluss vom 07.05.2007 - 10 W 19/07 -). Das Verschweigen einer solchen Nähe wie hier könne bereits als selbständiger Befangenheitsgrund ausreichen. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen nach möglichen Verbindungen zwischen dem Sachverständigen und bei ihr angestellten Personen zu forschen, vielmehr habe der Sachverständige gem. § 407a Abs. 2 ZPO die Pflicht, selbst unverzüglich nach Beauftragung zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen und solche Gründe unverzüglich dem Gericht mitzuteilen. Bei einer Offenbarung könne sich dann auch die Beurteilung eines Befangenheitsantrages anders darstellen.

Dabei könne auf sich beruhen, dass der Hauptoperateur gar nicht Partei ist.  Es sei bei der sachverständig zu beurteilenden Frage um dessen Operation und damit um die Bewertung von dessen Leistungen gegangen. Die Diktion des Sachverständigen offenbare allerdings, dass hier die Annahme der beklagten, der Sachverständige sei ihrem Hauptoperateur gegenüber negativ eingestellt, nicht von der Hand zu weisen sei. Im Rahmen einer „kollegialen Verbundenheit“ wäre unter normalen Bedingungen mit einer entsprechenden Diktion nicht zu rechnen gewesen. Es würde so suggeriert, dass es dem Operateur an den intellektuellen Leistungen ermangele.

Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30.10.2020 - 6 W 336/20 -

Mittwoch, 17. Februar 2021

Befristeter Verjährungsverzicht ist unabhängig vom Ablauf der Verjährung

 

Die Parteien stritten darüber, ob bereits zum Zeitpunkt der Erhebung einer Klage Verjährung eingetreten sei und die Beklagte erfolgreich die Einrede der Verjährung erheben könne. Mit dem Datum vom 04.02.2004 hatte die Klägerin die Einleitung eines (grundsätzlich die Verjährung hemmenden, sollte sie nicht bereits eingetreten sein) Schlichtungsverfahren beantragt. Mit Schreiben vom 27.11.2006 gab die Beklagte die Beklagte die Erklärung ab, dass sie sich „weiterhin bis einschließlich 31.12.2007 nicht auf die Einrede der Verjährung … berufen“ würde. Das Kammergericht ist im Berufungsrechtszug davon ausgegangen, dass mit dem Einleitung bzw. Beendigung des Schlichtungsverfahrens in Ansehung dieser Erklärung die Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Dem folgte der BGH im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht und verwies den Rechtstreit an das Kammergericht zurück, da bisher vom Kammergericht nicht festgestellt worden sei, wann die Verjährungsfrist zu laufen begann und ob danach eine Verjährung bereits vor dem 31.12.2007 eintrat oder durch die Klageerhebung 2009 noch gehemmt werden konnte.

Das Kammergericht war der vom BGH nicht geteilten Rechtsauffassung, beide Parteien seien der Ansicht gewesen, dass die Verjährung eines möglichen Anspruchs der Klägerin bereits bei Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 eingetreten sei; da die Beklagte mit dem Schreiben vom 27.11.2006 „weiterhin“ auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe, könne dieser Verzicht nur so verstanden werden, dass die Frist mit Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 neu zu laufen beginnen solle und ab diesem Zeitpunkt bzw. dem Endes des Schlichtungsverfahrens am 12.11.2007 die Frist von neuem zu laufen beginnen soll und durch die Erhebung der Klage in 2009 erneut gehemmt worden sei.

Für die Entscheidung kam es auf die Auslegung der Erklärung der Beklagten vom 27.11.2007 an.  Auch wenn die Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich dem Tatrichter unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB in umfassender Gesamtwürdigung aller Umstände obliegen würde, könne dies vom Revisionsgericht darauf geprüft werden, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denk- und Erfahrungssätze vorlägen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe. Derartige Rechtsfehler nahm der BGH hier an.

Das Kammergericht sie bereits fehlerhaft davon ausgegangen, dass nach dem Antragsschreiben vom 04.02.2004 auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens die Parteien von einer zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Verjährung ausgegangen seien. Am Schluss des Antragsschreibens sei von einer drohenden Verjährung zu einem späteren Zeitpunkt (16.04.2004) die Rede.

Der BGH stellt darauf ab, dass es sich vorliegend um einen befristeten Verjährungsverzicht handele, der den Ablauf der Verjährung selbst nicht beeinflusse. Der Verjährungsverzicht habe regelmäßig zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen sei. Dieser Verzicht würde den Gläubiger von der alsbaldigen Erhebung der Klage (vor Ablauf des Zeitraums) entbinden. Erhebe er allerdings nicht innerhalb des Zeitraums Klage, könne sich der Gläubiger bei einer Klage nach Ablauf des Zeitraums wieder auf die Einrede der Verjährung berufen. Erfolge die Klage innerhalb des Zeitraums, würde der Verzicht auf die Einrede greifen und in diesem Fall auch über die Frist hinaus wirken. Allerdings gelte dies nur für den Hemmungstatbestand der Klage, es sei denn der Schuldner habe anderweitiges erklärt.

Für eine darüberhinausgehende Wirkung des Verjährungsverzichts bedürfe es besonderer Anhaltspunkte, so für einen vom Kammergericht angenommen neuen Lauf der Verjährungsfrist. Diese Anhaltspunkte müssten erkennen lassen, dass ein über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehender Verzichtswille des Schuldners bestand. Derartiges ließe sich nicht feststellen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verzicht im vorgenannten Sinn entgegen der Auffassung des Kammergerichts auch dann Sinn machen würde, wenn nach Annahme der Parteien zu dem Zeitpunkt des Verzichts die Verjährung bereits eingetreten sein sollte, das Schlichtungsverfahren die Verjährung also nicht mehr hätte hemmen können. Denn durch den Verzicht konnte die Klägerin ungeachtet einer bereits eingetretenen Verjährung den Ausgang des Schlichtungsverfahrens abwarten und bis Ende 2007 Klage erheben. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung noch nicht festgestanden habe, dass das Schlichtungsverfahren bis zu, 31.12.2007 abgeschlossen ist, bestand jedenfalls für die Klägerin die Chance, dass die Beklagte die Verzichtserklärung bei längerer Dauer des Schlichtungsverfahrens verlängert.

BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 285/19 -

Samstag, 13. Februar 2021

Haftung des Landes bei Riss von Schafen durch einen Wolf ?

 

Die Kläger, Schafhalter und -züchter, machten gegen das Land Schleswig-Holstein Ansprüche wegen Verlustes von 12 Schaden geltend, der durch mehrere Angriffe eines Wolfs auf deren Schafherde im Zeitraum 25.10 bis 16.11.2018 entstand. Es kam zu Verhandlungen über die Art der Einzäunung bzw. des Zaunmaterials und schließlich zur Errichtung (zusammen mit Mitarbeitern des Landes) mit elektrischen Weidezäunen gesicherten Nachtpferches. Es wurde festgestellt, dass für die Risse der Wolf GW924 verantwortlich war. Nachdem dieser in der Folge bei einem anderen Halter einen als wolfssicher eingestuften Zaun überwand, wurde vom Land im Januar 2019 die Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG zur Tötung des Wolfes erteilt. Er wurde im Januar 2020 überfahren.

Die Kläger behaupteten, durch die Wolfsangriffe sei es zum Verlammen (Abort) bei 140 trächtigen Schafen gekommen. Dafür begehren sie Schadensersatz und weiterhin Feststellung, dass das Land zum Ersatz von Schäden durch Wolfsangriffe verpflichtet sei. Die Klage wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Das OLG erließ einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, demzufolge es beabsichtige, die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (was dann auch in der Folge mit Beschluss vom  03.11.2020 erfolgte.

Wie das Landgericht negierte das OLG einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB iVm. Art. 34 GG wegen Amtspflichtverletzung durch das Land. Es gäbe keine gesetzliche Grundlage für eine Verpflichtung, eine Anwesenheit von Wölfen in Schafzuchtgebieten in Schleswig-.Holstein zu verhindern. In Betracht käme nur eine Genehmigung zum Töten von Wölfen auf der Grundlage des § 45 Abs. 7 Nr. 1 BNatSchG als Ausnahme vom hier einschlägigen Tötungsverbot für besonderes geschützte Arten nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Diese Ausnahme greife in Einzelfällen, um ernste landwirtschaftliche Schäden abzuwenden. Eine entsprechende Genehmigung habe das Land nicht pflichtwidrig unterlassen, sondern erteilt.

Ob eine Genehmigung erteilt wird läge im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Zwar hätten die Kläger einen Anspruch auf richtige Ermessensausübung. Diesen sah das OLG hier aber als gegeben an. Die Abschussgenehmigung sie erteilt worden, nachdem der Wolf eine als wolfssicher geltende Schutzmaßnahme überwunden habe. Erst damit fehlten ersichtlich geeignete Maßnahmen, um landwirtschaftliche Schäden durch dieses Tier abzuwenden. Mithin habe auch erst zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzung für die Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG vorgelegen. Das OLG weist (wohl hilfsweise) darauf hin, dass hier eine frühere Genehmigung auch nicht nachweislich geholfen hätte, da selbst nach der Genehmigung eine Tötung des Wolfes nicht gelungen sei.

Ferner würde auch kein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Enteignung oder des enteignungsgleichen Eingriffs bestehen, da ein solcher seitens des Landes nicht vorgelegen habe. Nicht ein Handeln des Landes habe zu den behaupteten Schäden geführt. Ein positives Handeln sei aber für einen Eingriff im enteignungsrechtlichen Sinne erforderlich; nicht ausreichend sei ein reines Unterlassen und Untätigbleiben. Hier habe das Land nicht getan, um die Wolfspopulation im Land zu fördern. Ferner wäre erforderlich, dass das Land unmittelbar in das Eigentum eingreift, was hier auch nicht erfolgt sei.

Ebenfalls wäre auch kein Anspruch aus dem Gesichtspunkt gegeben, dass das Eigentum und die Berufsfreiheit der Kläger zu schützen sei. Diesem Schutz sei das Land durch die Leitlinien zur Gewährung von Billigkeitsleistungen im Artenschutz mit den Verwaltungsvorschriften zur Entschädigung von Landwirten für Wolfsangriffe und der Unterstützung bei der Schaffung von Schutzmaßnahmen entsprochen. Aber auch wenn man davon ausgehen wollte, dass eine Schutzpflichtverletzung bestünde, würde dies mangels einer entsprechenden gesetzlichen Norm nicht eine Entschädigungs- oder Ausgleichsanspruch begründen können. Derartiges könne nicht durch Richterrecht eingeräumt werden (BGH, Urteil vom 10.12.1987 - III ZR 220/86 -).

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom 24.09.2020 - 11 U 61/20 -

Freitag, 12. Februar 2021

Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei baurechtswidrigem Offenstall

 

Die Beklagte hatte auf ihrem Grundstück mit einer Entfernung von ca. 12m zum Wohnhaus der klagenden Nachbarin. Die von der Beklagten gegründete UG betrieb auf dem Grundstück eine Reitschule. Ein Antrag der Beklagten auf Baugenehmigung wurde im Verwaltungsverfahren als auch im nachfolgenden Klageverfahren abgewiesen. Das Verwaltungsgericht sah in dem Offenstall eine fehlende Rücksichtnahme auf die Interessen der beigeladenen Klägerin, und zwar wegen der Entfernung von ca. 12m zu den Ruheräumen der Klägerin und da die Boxen mit Auslauf zum Wohnhaus der Klägern ausgerichtet seien. Dies wirke auf das benachbarte Wohngrundstück belastend. Das Landgericht verurteilte auf die Klage der Klägerin die Beklagte auf Unterlassung der Pferdehaltung in dem Offenstall. Das OLG sah die Problematik in der Lärmverursachung und beschränkte die Verurteilung auf die Einhaltung der jeweiligen TA Lärm.  Dieser Entscheidung folgte der BGH auf die vom OLG zugelassene Revision hin nicht.

Die Beschränkung übergehe den Umstand, dass der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB darauf gerichtet sei, die konkrete Lärmbeeinträchtigung zu unterlassen, bzw. auf ein Ma0 zurückzuführen, welches nicht mehr als wesentliche Beeinträchtigung anzusehen sei. Allerdings würde sich daraus auch noch kein Anspruch auf Unterlassen der Pferdehaltung in dem Offenstall ergeben. Vorliegend sei dieser Anspruch, dass die Beklagte die Haltung ihrer Pferde auf ihrem Grundstück unterlässt, aber aus § 1004 Abs. 1 S. 1 analog iVm. § 823 Abs. 2 BGB und dem öffentlich-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme begründet.

Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts würden einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn begründen. Zu diesen Normen würde das Gebot der Rücksichtnahme zählen, wie es z.B. seine Ausprägung in den Normen des § 34 Abs. 1 BauGB (des „Einfügens“) oder des § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB (der „schädlichen Umwelteinwirkungen“) gefunden habe. Im Falle eines solchen Verstoßes bedürfe es für den Unterlassungsanspruch keiner weitergehenden Beeinträchtigung des Nachbarn. Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB würden den Schutz des Nachbarn vorverlagern und nicht an einen Verletzungserfolg anknüpfen.

Die bestandskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Versagung der Baugenehmigung habe auch Bindungswirkung für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die beklagte zur Frage, ob gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen wurde. Damit sei dies im Zivilverfahren nicht gesondert zu prüfen. Das Urteil binde nach § 121 Nr. 1 VwGO die beteiligten, zu denen nach § 63 Nr. 3 VwGO auch Beigeladene (hier die Klägerin) zähle. Die materielle Rechtskraft binde auch andere Gerichte, mithin auch die Zivilgerichte. Nach den mit der Entscheidung in Rechtskraft erwachsenen tragenden Gründen derselben stünde die materielle Baurechtswidrigkeit des Offenstalls fest.

BGH, Urteil vom 27.11.2020 - V ZR 121/19 -

Dienstag, 9. Februar 2021

Erfasst vereinbarte Umsatzsteuer auf (Gewerberaum-) Miete auch die Nebenkosten ?

Im Gewerberaummietvertrag der Parteien wurde der Mietzins mit € 10.500,00 „zzgl. der jeweils gültigen Umsatzsteuer“ vereinbart. Weiterhin wurde vereinbart, dass die Mieterin (Beklagte die öffentlichen und privaten Lasten des Grundbesitzes, so u.a. Grundsteuer, Versicherungsprämien zu tragen hat. Für 2018 erteilte die Klägerin eine Nebenkostenabrechnung über Grundbesitzabgaben und Versicherungsprämien zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer von 19%. Das Amtsgericht wies die Klage ab, soweit die Klägerin Umsatzsteuer begehrte. Das Landgericht gab der Berufung der Klägerin statt und erkannte ihr auch die geltend gemachte Umsatzsteuer zu. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Betriebskosten seien Bestandteil der Miete. Die von dem Mieter zu erbringenden Leistungsentgelte (Grundmiete und Nebenkosten) seien die Gegenleistung für die von dem Vermieter zu erbringende Gesamtleistung. Es könne auch vereinbart werden, dass der Mieter und Nebenkosten Umsatzsteuer auf die zu zahlende Miete übernimmt. Das Landgericht habe den Vertrag nach §§ 133, 157 BGB so ausgelegt, dass die Beklagte die Umsatzsteuer sowohl auf die Grundmiete wie auch die Betriebskosten, auch in Form von Grundbesitzabgaben und Versicherungsprämien, zu tragen habe. Diese Auslegung sei rechtsfehlerfrei vorgenommen worden.

Die Klägerin habe vorliegend gem. § 9 UstG zur Umsatzsteuer im Rahmen der Vermietung optiert. Damit sei die Umsatzsteuer auf den gesamten Umsatz entstanden, mithin auf Grundmiete und Nebenkosten (OFD Köln, DB 1985, 2227). Der Umstand, dass auf Versicherungsbeiträge bereits Versicherungssteuer erhoben würde, stünde einer Umsatzsteuerpflicht nach § 10 Abs. 2 S. 2 Hs.1 UStG nicht entgegen. Versicherungssteuer sei keine Umsatzsteuer iSd. Umsatzsteuergesetzes (BFH, Beschluss vom 23.11.2010 - V B 119/09 -). Die Steuerpflicht entfalle nicht anteilig insoweit, als einzelne Nebenkosten nicht mit Vorsteuer belastet seien (OFD Köln aaO.). Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Bestandteile des Umsatzes einschl. derer, die die wirtschaftliche Grundlage des Vertragsabschlusses bilden würden, derart eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige wirtschaftliche Leistung bilden würden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

Es würde sich auch bei den Positionen Grundbesitzabgaben und Versicherungsbeiträge nicht um solche handeln, die eine umsatzsteuerrechtliche Sonderrolle einnehmen würden und als „durchlaufende Posten“ nicht zum Entgelt gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 UstG gehören würden. Dies könne nur angenommen werden, wenn der Unternehmer (hier Vermieter) nur als Mittelsperson fungieren würde, ohne selbst Anspruch auf den Betrag gegen den Leistenden (hier Mieter) zu haben und auch selbst nicht zur Zahlung an den Empfänger verpflichtet zu sein. Daran ermangele es hier, da in der direkten Leistungsbeziehung nicht die Mieterin, sondern die Vermieterin verpflichtet sei.

Der Beklagten sie die Umsatzsteueroption der Klägerin bekannt gewesen, was schon aus der Vereinbarung ersichtlich sei, dass die Miete „zuzüglich der jeweils gültigen Umsatzsteuer“ vereinbart worden sei. Damit aber se der Beklagten auch bewusst gewesen, dass sie eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erhält (vgl. § 14 UstG) und den Vorsteuerabzug nutzen könne. In Ansehung der Einheitlichkeit der Leistungsentgelte Grundmiete und Nebenkosten würde damit feststehen, dass die Klägerin auch auf die Umlage der Grundbesitzabgaben und Versicherungskosten Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen habe und damit in ihren Rechnungen auszuweisen habe. diese an das Finanzamt abzuführen habe.

Würde man den Vertrag so auslegen, dass auf die Nebenkosten keine Umsatzsteuer geltend gemacht werden kann, würde dies für die Klägerin als Vermieterin einen ersichtlich nicht gewollten Verlust darstellen, da sie dann nur die Nettobeträge erhalten würde, davon aber an das Finanzamt Umsatzsteuer abführen müsse (zudem dies gegenüber der Mieterin zum Zwecke des Vorsteuerabzugs auch ausweisen müsse).

BGH, Urteil vom 30.09.2020 - XII ZR 6/20 -

Samstag, 6. Februar 2021

Obligatorische Angabe „Herr“ oder „Frau“ im Internetbestellformular rechtfertigt Unterlassungsbegehren

 

Die Entscheidung ist schon deshalb interessant, da nicht von dem Kläger oder der Klägerin und auch nicht von der Beklagten oder dem Beklagten gesprochen wird, sondern von der beklagten Person bzw. der klagenden Person. Die geschlechtsneutrale Formulierung hängt mit dem Sachverhalt und dem Begehren der „klagenden Person“ zusammen. Diese wollte via Internet bei der Beklagten Person etwas kaufen und musste dort bei dem Bestellvorgang expressis verbis zwischen den Anredeformen „Herr“ und „Frau“ wählen. Gleiches war der Fall bei der Registrierung; ohne die entsprechende Angabe wurde weder der Bestellvorgang noch die Registrierung fortgesetzt. Daraufhin begehrte sich zum Einen Unterlassung und zum Anderen eine Geldentschädigung in Höhe von € 5.000,00. Während der Anspruch auf Geldentschädigung abgewiesen wurde, war der Unterlassungsantrag erfolgreich.

Das Landgericht (LG) negierte einen Verstoß gegen § 21 AGG (Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes [AGG]). Eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, 2 AGG liege wegen eines fehlenden Bezuges zur vertraglichen Leistung nicht vor. Von daher scheide auch eine Geldentschädigung auf der Grundlage von § 21 Abs. 2 S. 2 AGG aus.

Der Unterlassungsanspruch sei aber nach § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB begründet. Zu den geschützten Rechtspositionen würde nach § 823 Abs. 1 BGB auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehören. Dieses würde auch die geschlechtliche Identität umfassen (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/17 -). Die Anreden „Herr“ und „Frau“ würden jeweils dem männlichen bzw. weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Wenn wie hier die klagende Person gezwungen würde, eine dieser Anreden zu wählen, was aber nicht der Identität der klagenden Person entspräche. Die beklagte Person habe darauf auch keinen Anspruch, da dies für die von ihr zu erbringenden Dienstleistungen (wie sie selbst einräumte) völlig irrelevant sei. Eine individuelle Entscheidung eines Menschen zu seiner Geschlechtsidentität sei zu respektieren (BVerfG, Beschluss vom 15.08.1996 - 2 BvR 1833/95 -). Die Geschlechtsidentität würde auch über die Anrede zum Ausdruck kommen. Wenn eine Änderung des Namens nach dem Transsexuellengesetz bereits geändert wurde, sei dies zu berücksichtigen. Allerdings ei dies nicht nur auf diesen Fall begrenzt. Die Anrede sei nach dem Selbstverständnis der betroffenen Person zu ihrer selbstempfundenen Geschlechtszugehörigkeit auszurichten. Die Entscheidung des BGH vom13.03.2018 - VI ZR 143/17 - würde dem nicht entgegenstehen, da sich dort der BGH auf Vordrucke und Formulare beschränkte und festhielt, dass kein Anspruch bestünde, dort mit den generischen Maskulinum angesprochen zu werden; hier würde es um die Anrede einer bestimmten Person in konkret an diese gerichtete Erklärungen gehen. Der Umstand, dass es noch keine Anredeform für Personen aus dem heterogenen Kreis der Personen nicht nicht-binärer Geschlechtsidentität gäbe, sei nicht entscheidend.

Allerdings würde sich aus § 823 BGB kein Anspruch auf Entschädigung ableiten lassen. Eine Geldentschädigung könne nur verlangt werden, wenn die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen schwerwiegenden Eingriff bedeuten würde und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden könne. Auch wenn hier bei der Rechnung die Anrede „Herr“ erfolgte, sei zu berücksichtigen, dass dieses Schreiben nur an die klagende Person gerichtet worden sei und der beklagten Person keine Böswilligkeit zur Last gelegt werden könne.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2020 - 2-13 O 131/20 -

Mittwoch, 3. Februar 2021

Urteilstenor „früherer Zustand wieder herzustellen“ nicht vollstreckungsfähig

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass ein Antrag bei Gericht einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. Was hilft es dem Kläger, wenn er obsiegt, dann aber den erwirkten Titel nicht durchsetzen kann, da es an dem vollstreckungsfähigen Inhalt ermangelt. Unabhängig davon, dass an sich das Gericht bei fehlender Vollstreckbarkeit eines begehrten Titels darauf hinweisen muss und die Klage im Hinblick auf ein deshalb zu negierendes Rechtschutzbedürfnis abzuweisen hätte, kommt es immer wieder vor, dass der erkennende Richter auf diesen Umstand nicht achtet. 

So auch in dem vom LG Frankfurt am Main zu beurteilenden Fall. Der Gläubiger hatte gegen den Schuldner ein Versäumnisurteil erwirkt, demzufolge der Schuldner „den Anbau/Überbau im Bereich des Gemeinschaftseigentums … zu beseitigen/zurückzubauen und den früheren Zustand wieder herzustellen“ habe. Das Versäumnisurteil wurde rechtskräftig, der Schuldner aber nicht tätig. Nunmehr wollte der Gläubiger im Rahmen der Ersatzvornahme vorgehen und beantragte die Festsetzung eines Kostenvorschusses in Höhe von € 25.000,00, dem das Amtsgericht stattgab. Der dagegen vom Schuldner eingelegten Beschwerde gab das Landgericht (zutreffend) statt.

Zwar ergibt sich ein Anspruch auf Ersatzvornahme in Fällen, in denen der Schuldner zu einer „vertretbaren Handlung“ (§ 887 ZPO), also einer Handlung, die auch durch einen Dritten durchgeführt werden kann, verurteilt wird. Allerdings sah sich hier das Landgericht veranlasst, den Antrag auf die Beschwerde des Schuldners hin zurückzuweisen, da Grundlage nur ein vollstreckungsfähiger Titel sein kann (§ 704 ZPO). Um festzustellen, ob der Titel vollstreckungsfähig ist kann neben dem Tenor auch zur Auslegung des Versäumnisurteils auf die Klageschrift zurückgegriffen werden und das Prozessgericht könne, so das Landgericht, als Vollstreckungsgericht sein Wissen auch aus dem Erkenntnisverfahren mit heranziehen. Verblieben allerdings dann immer noch Unklarheiten im Titel, mit dem dem unbestimmten Antrag gefolgt worden sei, fehle es aber an der Vollstreckungsfähigkeit.

Diese Unbestimmtheit ergab sich vorliegend aus der Formulierung, dass der „frühere Zustand“ wieder hergestellt werden müsse. Es sei schon nicht ersichtlich, welche Veränderungen durch den beanstandeten Anbau/Überbau erfasst seien, erst Recht nicht, wie der frühere zustand gewesen sei, dessen Wiederherstellung erfolgen solle. In der Klageschrift sei die Rede von vom Schuldner entfernten Fenstern, Erweiterung der Außenmauer und Errichtung einer neuen Mauer. Allerdings ließe sich nicht zweifelsfrei feststellen, welche Maßnahmen in welchem Umfang zur Wiederherstellung des früheren Zustandes erforderlich seien. Das Landgericht verwies auf eine Entscheidung des BGH im Urteil vom 24.02.1978 - V ZR 95/75 -, wonach die notwendige Konkretisierung fehle. wenn lediglich eine Wiederherstellung  begehrt würde und die Prüfung des Sollzustandes damit unzulässig vom Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert würde. Es wäre dem Gläubiger im Erkenntnisverfahren durch Vorlage von Plänen, Bildern, Beschreibungen möglich gewesen, den gewollten Zustand eindeutig zu definieren. Lediglich kleinere Auslegungsschwierigkeiten könnten im Vollstreckungsverfahren behoben werden.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.11.2020 - 2-13 T 73/20 -