Sonntag, 28. Mai 2023

Parteiberichtigung auf Beklagtenseite bei der Beschlussmängelklage und Fristwahrung (§ 45 WEG)

Die Kläger, Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GsWE), erhoben eine Klage gegen Beschlüsse einer Eigentümerversammlung vom 14.12.2020 zu TOP 1 und TOP 2, die die geänderte Ausführung einer Geländerkonstruktion im Zusammenhang mit einer zu einem früheren Zeitpunkt beschlossenen Instandsetzung zusammenhängender Dachterrassenflächen zum Gegenstand hatten. In der am 13.01.2021 bei Gericht eingegangenen Klageschrift benannten sie die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte und die Verwalterin als Zustellungsbevollmächtigte. Auf Hinweis des zuständigen Amtsgerichts auf die neue Rechtslage seit dem 01.12.2020 haben sie noch mit am 11.02.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz das Beklagtenrubrum dahingehend geändert, dass Beklagte die GsWE sei, „mit Ausnahme der Kläger“. In der Verhandlung wurde von den Klägern erklärt, die Klage richte sich ohne Ausnahme gegen die GdWE. Die Klage wurde von Amts- und Landgericht zurückgewiesen.

Das Landgericht hatte die Zulassung der Revision auf die für die Anfechtungsfrist des § 45 S. 1 WEG entscheidende Frage, ob die Frist gewahrt sei, beschränkt. Diese Beschränkung sah der BGH als unwirksam an. Eine Beschränkung der Revisionszulassung sei nur auf rechtlich und tatsächlich abtrennbare Teile des Gesamtstreitstoffs zulässig. Danach müsste der zugelassene Streitstoff unabhängig von dem übrigen Streitstoff bewertet werden können. Auf einzelne Rechtsfragen könne die Zulassung nicht beschränkt werden. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen seien materiellrechtlich auf das gleiche Rechtsschutzziel, Klärung der Gültigkeit der angegriffenen Beschlüsse, gerichtet. Es läge keine Klagehäufung vor. Infolge der Identität wären auch die Auswirkungen der Rechtskraft dieselben. Nach dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz zum 01.12.2020 habe sich daran nichts geändert. Eine rechtserhebliche Unterscheidung gäbe es zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage lediglich dann, wenn es auf eine der Fristen des § 45 S. 1 WEG (Frist für Anfechtungsklage 1 Monat nach Beschlussfassung, für Klagebegründung 2 Monate nach Beschlussfassung) ankäme. Bei Versäumung dieser Fristen könne die Klage nur Erfolg haben, wenn der angefochtene Beschluss nichtig sei.

Allerdings wurde die Revision zurückgewiesen, da die Beschlussklagen gem. § 44 Abs. 2 S. 1 WEG gegen die GdWE und nicht mehr (wie nach § 46 Abs. 1 S. 1 WEG) ein Klage auf Erklärung der Ungültigkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümer  gegen die weiteren Wohnungseigentümer zu richten sei. Eine gegen die Wohnungseigentümer gerichtete Klage könne damit auch die Frist des § 45 WEG (für die Anfechtungsklage) nicht wahren.

Innerhalb der Frist des § 45 WEG sei die Klage gegen die übrigen Wohnungseigentümer bei Gericht eingegangen. Wer Partei ist, ergäbe sich aus der in der Klageschrift anzugebenden Parteibezeichnung, § 253 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Diese sei zwar als Prozesshandlung auslegungsfähig. Maßgeblich sei dabei auf den Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaig beigefügter Anlagen aus objektiver Deutung aus Sicht des Empfängers abzustellen. Bei objektiv unrichtiger oder auch mehrdeutiger Bezeichnung sei grundsätzlich die Person als Partei anzusehen, die erkennbar betroffen sein soll. Zu unterscheiden sei dies von einer irrtümlichen Benennung der falschen, materiell am Rechtsverhältnis nicht beteiligten Person als Partei, die Partei würde. Danach würden die übrigen Wohnungseigentümer Parte auf Beklagtenseite, wenn eine Beschlussklage wie hier gegen sie gerichtet wird.  

Eine Auslegung, dass sich die Klage entgegen der Parteibezeichnung gegen die GdWE richte, sei nur ausnahmsweise möglich. Dafür müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Wenn  die Wohnungseigentümer als Partei bezeichnet würden, müsste sich für die Annahme, die Klage richte sich gegen die GdWE entsprechende Anhaltspunkte aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift (und Anlagen) ergeben. Die Benennung des Verwalters genüge dazu nicht; dieser sei als Organ der Gemeinschaft (§ 9a Abs. 1 S. 1 WEG) auch nach § 44 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 WEG a.F. zu benennen gewesen. Die irrtümliche Benennung der falschen Partei sei daher damit gerade nicht auszuschließen.

In seinem späteren Urteil vom 24.02.2023 - V ZR 152/22 - wies der BGH auch darauf hin, dass die Klage gegen die nicht namentlich benannten übrigen Wohnungseigentümer diese als Partei darstellen würde, nicht die GdWE, da nach bisherigen Recht (gültig bis 30.11.2020) nicht notwendig die Wohnungseigentümer bereits in der Klage benannt werden mussten und der Verwalter (als Zustellungsvertreter) benannt wurde, es ausreichend gewesen sei, wenn die Benennung bis zum Schluss der Verhandlung erfolgt, § 44 Abs. 1 S. 2 WEG a.F. Diese Regelungen habe der BGH auch herangezogen, um eine fristwahrenden Parteiwechsel von den übrigen Wohnungseigentümern auf den Verband zu rechtfertigen. Dies sei auf die jetzige Rechtslage (seit dem 01.12.2020) nicht übertragbar. Die Regelungen in den bisherigen §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 1 WEG a.F., und damit die Anknüpfung für den bisher angenommenen fristwahrenden Parteiwechsel, seien ersatzlos entfallen.

Damit sei hier zum Zeitpunkt der Änderung (Richtigstellung) der Parteibezeichnung mit Schriftsatz vom 11.02.2021 die Frist des § 41 S. 1 WEG zur Erhebung der Anfechtungsklage abgelaufen. Die Klage gegen die richtige Beklaget wurde (mit dem Schriftsatz vom 11.02.2021 qua Berichtigung der Parteibezeichnung) verspätet gewesen. Eine Beschlussanfechtungsklage, die nach dem 30.11.2021 bei Gericht eingehe und sich gegen die übrigen Wohnungseigentümer richte, wahre die Klagefrist nicht.

Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 45 S. 2 WEG iVm. §§ 233 ZPO scheide aus, da dies ein fehlendes Verschulden an der Versäumung der Frist voraussetze.  Dies könne bei der Benennung der übrigen Wohnungseigentümer statt der GdWE als Beklagte bei der (hier) anwaltlich vertretenen Partei nicht in Betracht kommen.

Damit scheide eine Anfechtung der Beschlüsse aus. Ein Nichtigkeitsgrund wurde vom BGH verneint.

BGH, Urteil vom 13.01.2023 - V ZR 43/22 -

Freitag, 26. Mai 2023

AGB-Kontrolle der Reservierungsgebühr zu Immobilienmaklerverträgen

Die Beklagte (Immobilienmaklerin) wies den Klägern ein Einfamilienhaus nach. Die Maklerprovision sollte nach dem Maklervertrag 6,69% des Kaufpreises betragen. Da die Kläger sich um die Finanzierung bemühen mussten, schlossen sie einige Monate später mit der Beklagten den von dieser vorgelegten Reservierungsvertrag, in dem es u.a. hieß, dass mit Zahlung einer Reservierungsgebühr (die bei kauf auf die Maklerprovision angerechnet werden sollte) von € 4.200,00 das Objekt exklusiv nur den Klägern angeboten und verkauft würde. Käme es während der Reservierungszeit nicht zu einem Kaufvertrag, hätten die Kläger keinen Erstattungsanspruch. Der Kaufvertrag wurde, da die Kläger keine Finanzierung erhielten, nicht abgeschlossen. Die Klage auf Rückzahlung der Reservierungsgebühr wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Ihre Berufung blieb erfolglos. Auf die vom Landgericht (Berufungsgericht) zugelassene Revision wurden die Urteile vom BGH aufgehoben und der Klage stattgegeben.   

Das Landgericht ging von einer Wirksamkeit der Reservierungsvereinbarung aus. Eine Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB käme nicht in Betracht, da es sich bei der Vereinbarung nicht um eine Nebenabrede zum Maklervertrag handele, sondern um eine eigenständige Vereinbarung. Dem folgte der BGH nicht. Vielmehr sah der BGH den Reservierungsvertrag als unwirksam nach § 307 Abs. 1 S. 1 Abs. 2 Nr. 1 BGB an, weshalb die Reservierungsgebühr ohne Rechtsgrund geleistet worden sei und zurückzuzahlen sei, § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB.

Wie auch das Landgericht sah der BGH in dem Reservierungsvertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 BGB), mithin um Vertragsbedingungen, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurden und von der Beklagten den Klägern gestellt wurden. Zwar könne eine einseitige Vertragsgestaltungsfreiheit dann noch vorliegen (und gegen die Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 305 ff BGB sprechen), wenn sich der Inhalt dieser vorformulierten Bestimmungen als Ergebnis einer freien Entscheidung des mit dem Vorschlag Konfrontierten darstelle, was aber voraussetze, dass der Konfrontierte, wenn er schon keine Möglichkeit hat, auf den Inhalt Einfluss zu nehmen, in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere alternative Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit der Durchsetzung einbringen kann (BGH, Urteil vom 15.02.2017 - IV ZR 91/16 -); derartiges sei aber weder behauptet noch festgestellt worden.

Unzutreffend sei die Annahme des Landgerichts, bei dem Reservierungsvertrag würde es sich um eine vom Maklervertrag zu trennende eigenständige Vereinbarung handeln. § 307 Abs. 2 S. 1 BGB zur Inhaltskontrolle von Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen fände auf Abreden nicht Anwendung, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und die hierfür vorgesehene Vergütung unmittelbar regeln (BGH, Urteil vom 05.10.2017 - III ZR 56/17 -); hier greife die Privatautonomie, derzufolge es den Vertragsparteien im Allgemeinen freigestellt sei, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen. Dies gelte aber mir für Abreden, die den unmittelbaren Leistungsgegenstand betreffen, nicht für solche Regelungen, die die Leistungspflicht der Parteien einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren (BGH, Urteil vom 05.10.2017 aaO.). Pflichten die die Hauptleistungspflicht charakterisieren, seien durch Auslegung der Vereinbarung zu ermitteln. Anders als individuelle Vertragsbestimmungen seien Allgemeine Geschäftsbedingungen objektiv und ohne Berücksichtigung des Einzelfalls und des Willens der Parteien auszulegen, wobei besondere Bedeutung dem Wortlaut der Klausel und ihrem Verständnis des typischerweise beteiligten redlichen  Verkehrskreises unter Berücksichtigung von deren Interessen zukomme.

Danach könne der Reservierungsvertrag nicht als eine gegenüber dem Maklervertrag eigenständige Vereinbarung angesehen werden; er handele sich bei diesem um eine ergänzende Regelung zum Maklervertrag. Hauptleistung sei die Verschaffung der Möglichkeit des Abschlusses eines Kaufvertrages durch die Kläger. Dazu stelle sich die Reservierungsvereinbarung nur eine Nebenabrede dar. Deutlich würde dies schon an der Einleitung, in der die Parteien als „Makler“ und „Kaufinteressent“ bezeichnet würden; zudem würde festgehalten, dass der Kaufinteressent mit der Reservierungsgebühr eine bestimmte Leistung des Maklers (nämlich das exklusive Vorhalten der Immobilie) honoriere. Das wäre ohne einen Maklervertrag zwischen den Parteien nicht sinnvoll möglich. Zudem würde sich der Zusammenhang auch daraus ergeben, dass die Reservierungsgebühr auf die Maklerprovision angerechnet werden soll.

Dem würde nicht entgegen stehen, dass die Vereinbarungen in zwei Dokumenten aufgenommen seien. Auch der Umstand, dass die Reservierungsvereinbarung erst 13 Monate nach dem Maklervertrag abgeschlossen worden sei, stünde dem nicht entgegen. Eine andere Sichtweise würde es Maklern durch die Wahl der Vertragsgestaltung ermöglichen, sich der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle zu entziehen. Ebensowenig käme es darauf an, dass es der freien Entscheidung des Kaufinteressenten unterlag, die Reservierungsvereinbarung abzuschließen (sollte sich aus der Entscheidung BGH im Urteil vom 10.02.1988 - Iva ZR 268/86 - ein anderes Verständnis ergeben, würde daran nicht mehr festgehalten).

Nach § 207 Abs. 1 S. 1 BGB seien Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung sei im Zweifel anzunehmen, wenn die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht zu vereinbaren sei oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus dem Vertrag ergeben, so einschränke. Dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei.

Eine unangemessene Benachteiligung läge vor, wenn der Verwender der AGB missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners versuche durchzusetzen, ohne auch die Belange des Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen. Zur Feststellung sei eine umfassende Würdigung des Vertrages erforderlich. Die Reservierungsvereinbarung stelle den Versuch der Beklagten dar, sich für den Fall des Scheiterns ihrer Vermittlungsbemühungen gleichwohl eine Vergütung zu sichern, ohne dass gewährleistet sei, dass sich für den Kunden nennenswerte Vorteile ergeben würden. Auch wenn die Beklagten ein gewisses Interesse daran haben konnten, dass die Klägerin das Objekt Dritten nicht anbietet, sei zu berücksichtigen, dass der Verkaufsinteressent nicht gebunden würde; er könne seine Verkaufsabsicht aufgeben oder das Objekt ohne die Beklagte an einen Dritten veräußern. Auch in diesen Fällen hätte die Kaufinteressenten einen nicht unerheblichen betrag zu zahlen, ohne Gewähr zu haben, dass sie das Objekt auch tatsächlich erwerben können. Zudem würde ein derartiges Entgelt regelmäßig geeignet sein, Einfluss auf die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit im Sinne einer Förderung des Kaufentschlusses zu nehmen, um nicht die bereist erfolgte Zahlung verfallen zu lassen. Auch erbringe die Beklaget keine relevante Gegenleitung; davon könne allenfalls gesprochen werden, wenn die Reservierungszeit so lang wäre, dass die Gefahr bestünde, dass das Objekt nicht mehr zu dem ins Auge gefassten Kaufpreis veräußert werden könnte, was bei einer Reservierungsdauer hier von einem Monat nicht der Falls sei. Hinzu käme hier zudem noch, dass nach der Vereinbarung die reservierungsgebühr auch dann nicht zurückgezahlt werden müsse, wenn nicht der Kaufinteressent das Nichtzustandekommen des Kaufvertrages zu vertreten habe, sondern die Beklagte oder ein Dritter.

Zudem würde der Reservierungsvertrag auch dem Leitbild der gesetzlichen Regelung widersprechen, da die Kaufinteressenten, da das Reservierungsgeld unabhängig davon geschuldet würde, ob sie die Immobilie erwerben oder nicht. Dies käme einer erfolgsunabhängigen (Teil-) Provision gleich, die nach allgemeiner Ansicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugunsten von Maklern unwirksam sei (BGH, Urteil vom 18.12.1974 - IV ZR 89/73 -).

Offen bleiben könne vor diesem Hintergrund der Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, ob der Reservierungsvertrag auch nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB (notarielle Beurkundung) formunwirksam und damit nach § 125 S. 1 BGB nichtig sei. 

BGH, Urteil vom 20.04.2023 - I ZR 113/22 -

Mittwoch, 24. Mai 2023

Vollstreckung des titulierten Anspruchs auf Heckenrückschnitt

Die Schuldnerin hatte sich in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet, „die sich über die Länger der überdachten Terrasse der der Beklagten ziehende Bepflanzung auf ihrer Seite auf einer Höhe von 2,50 m zu kürzen und auf dieser Höhe zu halten“. Dem kam sie aber nicht nach, weshalb der Gläubiger beantragte, gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld, für den Fall der Nichtzahlung desselben Zwangshaft festzusetzen. Den beantragten Beschluss erließ das Landgericht und setzte ein Zwangsgeld von € 500,00, ersatzweise Zwangshaft für je € 500,00 1 Tag, fest. Der dagegen von der Schuldnerin eingelegten Beschwerde half das Landgericht nicht nach; das Oberlandesgericht hob den angefochtenen Beschluss sodann auf und wies den Antrag des Gläubigers zurück.

Das Oberlandesgericht wie auf die Unterschiede in §§ 888 Abs. 1 und 887 ZPO hin. § 888 Abs. 1 ZPO ist für Zwangsvollstreckungen bei vertretbaren Handlungen, § 888 ZPO für Zwangsvollstreckungen bei nicht vertretbaren Handlungen anwendbar. Hier sei aber der Antrag nach § 888 ZPO (Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft) gestellt worden, obwohl ein Fall des § 887 ZPO vorgelegen habe.

Eine vertretbare Handlung liege vor, wenn das geschuldete Verhalten von einem Dritten anstelle der Schuldnerin vorgenommen werden könne, ohne dass es dem Gläubiger darauf ankäme, dass die Handlung gerade von der Schuldnerin vorgenommen wird (BGH, Beschluss vom 27.11.2008 - I ZB 46/08 -). Anderes könne nur angenommen werden, wenn die Vollstreckung von einer Mitwirkung eines Dritten abhänge, gegen den sich der titulierte Leistungsanspruch nicht richte.  Erteile der Dritte sein Einverständnis nicht, könne der Schuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommen und wäre auch ein Dritter dazu nicht in der Lage; in diesem Fall läge eine nicht vertretbare Handlung iSv. § 888 Abs. 1 ZPO vor (BGH, Beschluss vom 27.11.2008 aaO.; BGH, Beschluss vom 09.10.2013 - I ZB 51/11 -).

Da der geschuldete Rückschnitt auch von einem Dritten vorgenommen werden könne (BGH, Beschluss vom 19.03.2004 - IXa ZB 328/03 - zur Beseitigung von Anpflanzungen; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.03.2022 - 26 W 19/21 - zur Beseitigung von Zäunen) handele es sich grds. um eine vertretbare Handlung. Es sei für den Gläubiger rechtlich als auch wirtschaftlich gleichgültig, ob die Schuldnerin selbst oder ein Dritter für diese die Arbeiten durchführt. Dass hier der Rückschnitt noch von der Zustimmung eines Dritten abhängig wäre, sei auch nicht ersichtlich. Damit fehle es bereits an einem schlüssigen, das beantragte Zwangsmittel des § 888 ZPO begründenden Sachvortrag des Gläubigers.

Das OLG wies darauf hin, dass alleine der Umstand, dass die Schuldnerin als Eigentümerin des Grundstücks dessen betreten durch Dritte versagen könne, nicht dazu führe, die Handlung als unvertretbar iSv. § 887 ZPO anzusehen. Unter Beachtung der Grenzen aus § 38 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG sei sie zum Rückschnitt der Hecke auf eine Höhe von 2,50 m verpflichtet. Damit müsste das Landgericht ggf. auf Antrag des Gläubigers diesen ermächtigen, die erforderlichen Maßnahmen unter Beachtung der naturschutzrechtlichen Grenzen selbst (Anm.: oder durch einen Dritten) vorzunehmen und der Schuldnerin aufzugeben, das Betreten des Grundstücks zu diesem Zweck zu dulden (OLG Hamm, Beschluss vom 23.09.1983 - 14 W 121/93 -).

Eine Umdeutung des nach § 888 ZPO gestellten Antrages als einen solchen nach § 887 ZPO scheide aus. Die Zwangsmittel seien so wesensverschieden, dass eine solche Umdeutung allenfalls in Betracht käme, wenn der der Gläubiger seinen Antrag nach § 887 ZPO hilfsweise (notfalls) als einen solchen nach § 887 ZPO behandelt wissen will (OLG Hamm, Beschluss vom 23.09.1983 - 14 W 121/83 -). Diese Voraussetzung läge hier nicht vor.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.03.2023 - 26 W 1/23 -

Sonntag, 21. Mai 2023

Nachlasspflegschaft bei Vielzahl von (auch unbekannten) Erben gem. § 1961 BGB

Das OLG Brandenburg setzte sich mit den Hürden für eine von Nachlassgläubigern begehrte Nachlasspflegschaft auseinander, wenn diverse Erben unbekannt sind und diverse Erbausschlagungen von Miterben vorliegen. Denn eine unsichere Erbrechtslage nach § 1961 BGB könne nicht schon angenommen werden, wenn mehre Erben bekannt sind, die keinen Erbschein beantragt haben und auch untätig sind.

Die Antragstellerin begehrte als Nachlassgläubigern des Erblassers die Anordnung einer Nachlasspflegschaft zur Durchsetzung offener Darlehensforderungen. In Ansehung der komplexen Erbrechtslage (die nachverstorbene Ehefrau des Erblassers sei Miterbin geworden, weshalb deren unbekannte Erben nun auch zu berücksichtigen seien, neben den Abkömmlingen des Erblasers aus 1. Ehe, der auch nachverstorben sei, und en Abkömmlingen aus 2. Ehe, von denen zwei die Erbschaft ausgeschlagen hätten, der dritte die Ausschlagungsfrist versäumt habe und Erbe geworden sei; weiterhin sei ein Enkel Erbe geworden, da dessen Mutter die Einholung der Genehmigung für die Ausschlagung versäumt habe).

Das Amtsgericht wies den Antrag zurück. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der vom Amtsgericht nicht abgeholfen wurde und die nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) rechtskräftig zurückwies.

Das OLG konstatierte, dass die Antragstellerin gemäß der Voraussetzung der § 1961 einen gegen den Nachlass gerichteten Anspruch geltend machte. Darüber hinaus sei aber eine unsichere Erbrechtslage erforderlich, § 1690 BGB. Der Erbe dürfe die Erbschaft noch nicht angenommen haben, die Annahme müsse ungewiss sein oder der Erbe müsse seiner Person nach unbekannt sein. Abzustellen sei auf die auch im Rahmen der Amtsermittlung erfolgte Überzeugungsbildung des Nachlassgerichts bzw. an seiner Stelle des Beschwerdegerichts, wobei auch im Fall des § 1961 BGB die besondere Situation des dem Erben fernstehenden Gläubigers zu berücksichtigen sei, dem die regelmäßig umfangreiche Nachforschung zur Beschaffung der erforderlichen Unterlagen zum Nachweis der Passivlegitimation des Erben nicht zugemutet werden könne.  Daraus schlussfolgerte das OLG, dass eine unsichere Erbrechtslage vorliege, wenn die maßgeblichen Verhältnisse in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sehr weitläufig wären, weshalb dem Nachlassgläubiger nicht zugemutet werden könne, den Nachweis zur Erbenstellung zu erbringen. Das sei etwa der Fall, wenn alle potentiellen gesetzlichen und testamentarischen die Erbschaft ausgeschlagen hätten oder weder dem Nachlassgläubiger noch dem Nachlassgericht Erkenntnisse zur Person des Erben bekannt seien. Ausreichend für § 1961 BGB sei, dass beschaffbare Unterlagen zu keiner zweifelsfreien Würdigung der Erbrechtslage führen würden. Stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe sei, käme - auch wenn ein Erbschein nicht erteilt würde - eine Nachlasspflegschaft nicht in Betracht (in deren Rahmen der Nachlassgläubiger dann seinen Anspruch gegen den Nachlasspfleger als Vertreter des endgültigen Erben geltend machen kann).

Nach diesen vom OLG benannten Grundsätzen kann nach seiner Auffassung hier keine Nachlasspflegschaft abgeordnet werden. Dabei bezog sich das OLG auf ein anderes Verfahren, in dem die Erben des nachverstorbenen 2. Ehefrau des Erblassers bekannt waren und nach Erlass der hier streitigen Entscheidung des Nachlassgerichts bekannt wurde, dass eine dortige Miterbin die Erbschaft ausgeschlagen habe; ohne diese Feststellung wäre dem Antrag stattzugeben gewesen. Damit würden mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Miterben feststehen.

Das OLG sah m Hinblick auf die nach Erlass der Entscheidung des Nachlassgerichts bekannt gewordene Erbausschlagung nach der 2. Ehefrau von einer Kostenauferlegung des Beschwerdeverfahrens aus Billigkeitsgründen ab. Die Entscheidung verdeutlicht aber, dass der Nachlassgläubiger vor der Beantragung einer Nachlasspflegschaft selbst tätig werden muss, um mögliche Erben festzustellen.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.12.2022 - 3 W 84/22 -

Freitag, 19. Mai 2023

Vergütung des Zwangsverwalters bei Weiterführung eines Gewerbebetriebs

Der Zwangsverwalter wurde in einem von der Gläubigerin in 2018 beantragten Zwangsverwaltungsverfahren vom Gericht bestellt. Auf dem der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück befand sich ein Biomassekraftwerk, welches vom Zwangsverwalter weiter betrieben wurde. Für eine Tätigkeit beantragte er für 2020 die Festsetzung einer Vergütung von € 238.437,55 beantragt und hierbei auf § 18 Abs. 1 ZwVwV eine Regelvergütung von 12% der von ihm erzielten Einnahmen sowie von 2,4% im Hinblick auf vertraglich geschuldete, aber nicht eingezogene Forderungen, ferner eine Auslagenpauschale und die gesetzliche Mehrwertsteuer verwiesen Das Amtsgericht setzte die Vergütung antragsgemäß fest. Dagegen wandten sich die Schuldnerin und die Gläubigerin. Das Landgericht hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde wurde vom Zwangsverwalter gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt.

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde insoweit statt, als es die Beschwerde der Schuldnerin (über deren Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden war) nicht als unzulässig abgewiesen hatte; im Übrigen wurde die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

1. Durch die Insolvenz der Schuldnerin sei das Verfahren nicht nach § 240 ZPO unterbrochen worden. Wenn die Beschlagnahme (wie hier) bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam geworden sei, würde sie gem. § 80 Abs. 2 InsO von der Insolvenz nicht betroffen. Allerdings sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners Verfahrensbeteiligter kraft Amtes. Das zulässige Rechtsmittel des Schuldners, eingelegt vor der Insolvenzeröffnung, bleibe zwar wirksam, doch an seien Stele trete der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes. Dies habe das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.

2. Der Beschwerde des Gläubigers habe das Landgericht zutreffend stattgegeben. Führe der Zwangsverwalter einen auf dem beschlagnahmten Grundstück befindlichen Gewerbebetrieb fort, bemesse sich seine Vergütung nach Zeitaufwand, § 19 Abs. 1 ZwVwV. § 18 Abs. 1 ZwVwV fände nur bei Nutzung des Grundstücks durch Vermieten und Verpachten Anwendung, nicht bei der Fortführung eines Gewerbebetriebs.

Da der Zwangsverwalter hier nicht vermietete oder verpachtete käme von vornherein im Rahmen des Weiterbetriebs des Biomassekraftwerkes allenfalls eine entsprechende Anwendung des § 18 Abs. 1 ZwVwV in Betracht. Allerdings lägen die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vor, da keine planwidrige Regelungslücke bestünde. § 19 ZwVwV würde zeigen, dass der Verordnungsgeber für den Fall des Nichtgreifens der Regelung des § 18 ZwVwV eine Regelung geschaffen habe. Danach sei eine Vergütung nach Zeitaufwand vorzunehmen, wobei unterschiedliche Stundensätze heranzuziehen seien. Fallen Einnahmen aus Vergütung und Verpachtung nicht an, käme es auf solche nicht an.

Auch habe der Verordnungsgeber nicht übersehen, dass es nicht nur Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung geben könne, sondern auch durch sonstige Verwertungsmaßnahmen.  

§ 5 Abs. 1 ZwVwV sehe vor, dass die Art der Nutzung zum Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsverwaltung beibehalte werden soll, was durch § 5 Abs. 2 ZwVwV belegt würde, wonach die „Nutzung“ grundsätzlich durch Vermietung/Verpachtung erfolgt, dies aber nicht zwingend sei. Handele es sich z.B. bei dem der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück um eine Ton-, Sand- oder Kiesgrube, sei stets anerkannt, dass der Zwangsverwalter die Rohstoffe ausbeuten und verkaufen könne (OLG Hamm, Beschluss vom 28.09.1994 - 15 W 369/93 -). Hier sei anerkannt, dass sich die Vergütung des Zwangsverwalters nach § 19 ZwVwV und damit nach Stundensätzen richte. Entsprechendes gelte auch bei landwirtschaftlicher Zwangsverwaltung, wenn der Zwangsverwalter (bei Abweichung von § 150b ZVG, wonach der Schuldner zum Verwalter bestellt wird) im Wege der Eigenbewirtschaftung die Ernte einbringe und verkaufe. Es könne nicht angenommen werden, dass dem Verordnungsgeberdiese Praxis üblicher Berechnung bei Erlass der Verordnung unbekannt war, was bedeute, dass die Entscheidung in § 18 ZwVwV bewusst auf Vermietung und Verpachtung beschränkt wurde.  

Eine Regelungslücke ergäbe sich auch nicht im Hinblick auf Insolvenzrechtliche Vergütungsordnung (InsVV). Zwar sei der Zwangsverwalter in seiner Rechtsstellung im Grundsatz einem Insolvenzverwalter vergleichbar (BGH, Urteil vom 05.02.2009 - IX ZR 21/07 -). Dies gelte auch bei einer Betriebsfortführung. Allerdings habe der Verordnungsgeber die Vergütung des Zwangsverwalters anders als jene des Insolvenzverwalters geregelt und gerade nicht an einen bestimmten Prozentsatz einer der Verwaltung unterliegenden Vermögensmasse angeknüpft (so § 2 InsVV), sondern nach §§ 18, 19 ZwVfV danach unterschieden, ob die Zwangsverwaltung durch Vermietung/Verpachtung erfolgt (dann seien die Bruttomieten entscheidend) oder in sonstiger Weise (dann wäre auf Zeitaufwand/Stundensatz abzustellen). Folgerichtig würde es damit an einer Regelung zu einer Berechnungsgrundlage entsprechend § 1 InsVV für eine nach an der Vermögensmasse orientierten Vergütung fehlen.

Die Entscheidung des Verordnungsgebers sei zu respektieren und könne nicht durch eine Analogiebildung abgeändert werden. Da mithin eine Abrechnung gemäß § 18 ZwVwV ausscheide und eine Entscheidungsreife nicht vorläge, habe das Landgericht ermessensfehlerfrei die amtsgerichtliche Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht aufgehoben.

BGH, Beschluss vom 11.01.2023 - V ZB 23/22 -

Montag, 15. Mai 2023

Die virtuelle Mitgliederversammlung des (eingetragenen) Vereins und deren Regelung in der Satzung

Das Vereinsregister hatte die Anmeldung der (einstimmig beschlossenen) satzungsändernden Regelung zur Ausübung von Mitgliedschaftsrechten in einer Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation des beschwerdeführenden Vereins als zu unbestimmt und daher unzulässig angesehen. Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass eine Vereinssatzung sehr wohl die Möglichkeit einer virtuellen Versammlung begründet, auch, dass sie alternativ eine reale und eine virtuelle Versammlung vorsehen würde, ebenso wie Mischformen (Teilnahme physisch oder nach Wahl virtuell) denkbar seien. Dies könne mit Begründung des verein sind ei Satzung aufgenommen werden, aber auch nachträglich.

Das OLG stellte auf die Notwendigkeit einer konkreten Fassung der Satzungsregelung ab. Es müssten zwar nicht sämtliche Einzelheiten der virtuellen Durchführung geregelt werden (wie sie der Entscheidung des OLG Hamm vom 27.09.2022 - 27 W 106/11 - zugrunde gelegen hätten), aber es müsse der Satzung der grundsätzliche Durchführungsweg einer virtuellen Mitgliederversammlung entnommen werden können. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine Mischform aus realer und virtueller Mitgliederversammlung zugelassen würde, da sichergestellt werden müsse, dass die virtuell anwesenden ebenso wie die physisch anwesenden Mitgliedre partizipieren können.

Die neue Satzungsregelung, dass ein teil der Mitglieder oder alle ihre Mitgliedsrechte im Wege elektronischer Kommunikation und ohne Anwesenheit am Versammlungsort ausüben könnten, sei dahin auszulegen, dass auch eine rein virtuelle Mitgliederversammlung durchgeführt werden könne und sei nicht unbestimmt. Nicht geregelt sei aber, ob es im Rahmen einer virtuellen Mitgliederversammlung erforderlich sei, dass sämtliche Mitgliedre gleichzeitig unter Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel virtuell anwesend sein müssen, oder ob es ausreichend sei, dass diese auf elektronischen Weg Fragen und Anträge stellen und ihre Stimme abgeben könnten, sie aber nicht gleichzeitig virtuell anwesend sein müssten und auch nicht die Möglichkeit einer Diskussion bestehen müsse. Wegen der Wesentlichkeit sei dies aber in der Satzung zu regeln und könne nicht in das Ermessen des Vorstandes gestellt werden.

Weiterhin enthalte die neue Satzungsregelung keine Regelung dazu, wie die vorgesehene Möglichkeit der Wahrnehmung der Mitgliedsrechte auf elektronischen Weg durch den dies nutzenden Teil der Mitglieder umgesetzt werden soll. Letztlich könne es sich entsprechend der Videoverhandlung nach § 128a ZPO nur um eine reale Mitgliederversammlung handeln, bei der den Mitgliedern freigestellt würde, an dieser virtuell teilzunehmen. In diesem Fall der Mischform müsse aber eine vergleichbare Partizipation der virtuell und physisch anwesenden Mitglieder gewährleistet sein. Wie vorliegend die virtuell teilnehmenden Mitglieder ihre Mitgliedschaftsrechte wahrnehmen können, sei aber nicht geregelt. Es würden insbesondere Regelungen dazu fehlen, dass den virtuell Teilnehmenden wie den real Teilnehmenden die Verfolgung der Mitgliederversammlung ermöglicht werden muss und sie Fragen und Anträge stellen und sich an Abstimmungen beteiligen können. Auch das führe zur Unzulässigkeit der Satzungsregelung.

OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 - I-27 W 58/22 -

Samstag, 13. Mai 2023

Durchsetzung der Kindesanhörung im Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts

Die Parteien waren die Eltern des Kindes L., geb. 2018, welches bei der Antragsgegnerin (AG) lebte. Vom Antragsteller wurde die Regelung des Umgangs und der Informationspflicht beim Familiengericht beantragt. Das Familiengericht bestimmte einen Termin zur Kindesanhörung; in der Verfügung wurde das persönliche Erscheinen der Antragsgegnerin angeordnet und diese aufgefordert, „für das Erscheinend es Kindes Sorge zu tragen“. Zudem wurde ein Hinweis auf Zwangsmittel nach § 35 Abs. 3 FamFG erteilt. Die Antragsgegnerin sowie ihr Kind erschienen nicht; mit Anwaltsschriftsatz wurde behauptet, sie habe mit dem Kind vor dem Gerichtsgebäude gestanden, das Kind habe sich aber geweigert, in das Gebäude zu gehen und mit dem Richter alleine zu reden. Das Familiengericht setzte unter Verweis auf § 89 FamFG gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von € 500,00 fest. Gegen diesen Beschluss legte die Antragsgegnerin erfolgreich (nach Nichtabhilfe durch das Familiengericht) Beschwerde ein.

Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes käme hier nicht in Betracht. Für das persönliche Erscheinen der Antragsgegnerin fehle es an einer eindeutigen Anordnung. Zwar sie sie zunächst angeordnet worden, durch den Zusatz aber deutlich gemacht, dass dies lediglich das Erscheinen des Kindes sichern soll. Es könne daher offen bleiben, ob das Erscheinen des betreuenden Elternteils im Rahmen einer Kindesanhörung überhaupt angeordnet werden dürfe (OLG Celle, Beschluss vom 29.07.2019 - 21 WF 123/19 -) und im Vollstreckungsverfahren nach § 33 FamFG geprüft werden dürfe. Ein Ordnungsgeld nach § 33 Abs. 3 S. 1 FamFG gegen die Mutter wegen des Nichterscheinens des Kindes käme nicht in Betracht, da dies nur für die Beteiligten selbst vorgesehen sei.

Auch die Voraussetzungen für ein Zwangsgeld nach § 35 FamFG lägen nicht vor. Es handele sich dabei, anders als die Ordnungsmittel nach § 33 FamFG, um ein in die Zukunft gerichtetes Beugemittel, durch welches eine Handlung oder Unterlassung erzwungen werden soll, ohne Sanktionscharakter zu haben (BGH, Beschluss vom 06.09.2017 - XII ZB 42/17 -). Dies würde aber eine gerichtliche Anordnung voraussetzen, die in der Zukunft noch durchgesetzt werden soll. Da der (einzige) Termin zur Vornahme der Handlung aber bereits abgelaufen war, läge die Voraussetzung nicht vor (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.08.1997 - 2 WF 71/97 -).

Wie aber soll Verfahren werden, wenn eine verfahrensrechtliche Durchsetzung der Verpflichtung des betreuenden Elternteils, das Kind zur gerichtlichen Anhörung zu bringen, nicht möglich ist ?  Die Norm des § 35 FamFG sei ungeeignet (OLG Celle aaO.; Kammergericht, Beschluss vom 17.05.2019 - 18 UF 32/19 -), da sie sich nur auf einen konkreten Termin beziehe, die Festsetzung und Vollstreckung von Zwangsmitteln aber voraussetze, dass eine Zuwiderhandlung bereits erfolgt sei. Es würde eine Gesetzeslücke bestehen. Auch eine zwangsweise Vorführung des Kindes nach § 33 Abs. 3 S. 3 FamFG käme nicht in Betracht, da ein vierjähriges Kind nicht unentschuldigt fernbleiben würde.

Als Lösungsansatz sieht das OLG bei einer als zwingend vorzunehmenden persönlichen Anhörung des Kindes, welche an der notwendigen Mitwirkung des betreuenden Elternteils scheitere, die verfahrensrechtliche Prüfung, ob nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen ein schwerwiegender Grund für das Absehen von der Kindesanhörung nach § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG vorliege. Sollte dieser Grund nicht angenommen werden können, wäre materiell-rechtlich eine vorläufige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 BGB zu überlegen, was häufig die Einleitung eines gesonderten Verfahrens erforderlich mache. Zudem könne - gegebenenfalls in einem gesonderten Verfahren - eine einstweilige Anordnung ohne vorherige Anhörung des Kindes ergehen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2023 - 5 WF 138/22 -

Donnerstag, 11. Mai 2023

Handyverbot im Fahrzeug - umlagern des Smartphones beim Freitelefonieren

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße in Höhe von € 250,00, und zwar wegen vorschriftswidriger Benutzung eines elektronischen Geräts (Mobiltelefon) als Führer eines Kraftfahrzeugs. Nach der eigenen „geständigen Einlassung“ des Betroffenen will er ein Mobiltelefon in der linken Hand gehalten haben und über die Freisprechanlage telefoniert haben. Als rechtlich unerheblich sah das Amtsgericht die weitere Angabe des betroffenen an, er habe das Handy nur für eine Umlagerung in die Hand genommen und den Gesprächspartner aufgefordert, während der Umlagerung das Gespräch nicht fortzuführen.

Die dagegen vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.

Die entscheidende Fragestellung lautete, ob nach der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO der Tatbestand auch dann erfüllt ist, wenn der Fahrzeugführer während des Betriebs des Fahrzeugs sein Mobiltelefon aufnimmt, während er es über eine Freisprecheinrichtung nutzt. Oder bedarf es im Zusammenhang mit einer Nutzung einer Bedienfunktion ?

Es sei nicht mit dem Wortlaut von § 23 Abs. 1a StVO vereinbar, einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO anzunehmen, wenn das Gerät nur gehalten würde. Deshalb müsse eine über das Halten hinausgehende Benutzung des Geräts erfolgen. § 23 Abs. 1a S. 1 Nr. 1 StVO bestimme, dass der Fahrzeugführer ein elektronisches Gerät, welches der Kommunikation, Information oder Organisation diene oder dazu bestimmt sei, nur benutzen dürfe, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten würde. Das Aufnehmen / Halten des Geräts sei mithin nur im Zusammenhang mit dessen Bedienung (Nutzung) untersagt. Eine Ortsveränderung des Geräts sei unter Berücksichtigung der Grenzen zulässiger richterlicher Interpretation dem Wortsinn des Begriffs „Benutzen“ nicht zu entnehmen (Art. 103 Abs. 2 GG; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 - 2 BvR 2559/08 -). Die Begründung des Änderungsentwurfs für den heutigen § 23 Abs. 1a StVO bezieht sich auch darauf, dass statt dem bisherigen  Verbot nunmehr ein Gebot, unter welchen Voraussetzungen eine Gerätenutzung zulässig sei, aufgenommen worden sei (BR-Drs. 556/17 S. 25). Es wäre nicht einsichtig, eine funktionsneutrale Tätigkeit wie das Umlegen des Gerätes anders zu bewerten als bei sonstigen im Fahrzeug mitgeführten Gegenständen, unabhängig auch davon, ob eine  - von der Benutzung entkoppelte - Verbindung zuvor beendet wurde oder über die Freisprecheinrichtung fortgeführt würde.

Allerdings weist das Oberlandesgericht unter Verweis auf den Beschluss des OLG Stuttgart vom 25.04.2016 4 Ss 212&16 -) auch darauf hin, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung eine Regelungslücke habe schließen wollen, in denen das Gerät in der Hand gehalten würde, obwohl dies nicht notwendig sei, da das Gespräch über eine Freisprecheinrichtung geführt würde. Daher sei es ausreichend für die Verwirklichung des § 23 Abs. 1a StVO, wenn Halten und Benutzung tatsächlich zusammenfallen würden, ohne dass das Halten für die Nutzung relevant sei. Allerdings: Es sei nicht ersichtlich, dass die Absicht bestanden hätte, ein generelles Verbot des Aufnehmens oder Haltens elektronischer Geräte (ohne einen Zusammenhang mit der Bedienfunktion) einzuführen. Wäre es Ziels Ziel des Verordnungsgebers gewesen, die Hände des Fahrzeugführers vollständig von fahrfremden Tätigkeiten freizuhalten (oder immer neue Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf Schutzbehauptungen auszuräumen), wäre das spezifische Verbot für elektronische Geräte unverständlich. Die Begründung mache deutlich, dass der Verordnungsgeber gerade in der Kombination von Halten und Bedienen einer Nutzungsfunktion eine erhöhte Gefährdung der Verkehrssicherheit gesehen hat, im Gegensatz zu andren fahrfremden Tätigkeiten (wie essen).

Das Amtsgericht würde zu klären haben, ob eine Umlegung oder ein Halten im Zusammenhang mit einer Bedienung vorgelegen habe. Abschließend wies das Oberlandesgericht noch darauf hin, dass eine den Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllende Nutzung auch dann vorläge, wenn die Umlegung (auch) erfolge, um störungsfrei weitertelefonieren zu können.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.04.2023 - 1 ORbs Ss 151/23 -

Dienstag, 9. Mai 2023

Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) und Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache

Nachdem ein über ihren anwaltlichen Bevollmächtigten Widerspruch gegen eine Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter ein. Daraufhin erging ein Abhilfebescheid, mit dem der angegriffene Bescheid aufgehoben wurde. Im Abhilfebescheid entschied das Jobcenter, dass der Widerspruchsführerin (und jetzigen Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - BVerfG -) auf Antrag die Kosten des Widerspruchsverfahrens erstattet würden, soweit sie notwendig, nachgewiesen und der Widerspruch erfolgreich gewesen wäre. Am 05.11.2020 stellte der Bevollmächtigt der Widerspruchsführerin Antrag auf Kostenfestsetzung. Am 07.05.2021 erhob er wegen Nichtverbescheidung Untätigkeitsklage zum Sozialgericht. Am 18.05.2021 erließ das Jobcenter den Kostenfestsetzungsbescheid, woraufhin die Widerspruchsführerin ihre Untätigkeitsklage in der Hauptsache für erledigt erklärte und beantragte, ihr die notwendigen Kosten ihre außergerichtlichen Kosten (entstanden im Verfahren vor dem Sozialgericht) zu erstatten. Dieser Antrag auf Kostenerstattung wurde vom Sozialgericht abgelehnt mit der Begründung, es sei durch das Gericht nach billigen Ermessen zu entscheiden und der Zuspruch der Kosten würde nicht der Billigkeit entsprechen. Zwar habe das Jobcenter nicht innerhalb der Frist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG über den Antrag entschieden. Anders als das HessLSG im Beschluss vom 15.02.2008 - L 7 B 184/07 AS - sehe es eine Obliegenheit hier der klagenden ehemaligen Widerspruchsführerin, die Beklagtenseite (Jobcenter) vor Schäden zu bewahren (Grundsatz Treu und Glauben aus dem Sozialrechtsverhältnis), weshalb sie sich vor Erhebung der Untätigkeitsklage noch einmal an das Jobcenter hätte wenden müssen und die Entscheidung über die Kostenfestsetzung hätte anmahnen und die Erhebung einer Untätigkeitsklage ankündigen müssen. Dies sei nicht geschehen. Daher erscheine die Untätigkeitsklage mutwillig.

Gegen die (mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht angreifbare) Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin wegen Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) und Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsbeschwerde wurde zur Entscheidung angenommen und ihr wurde stattgegeben.

Es läge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot vor. Dies sei denn zu bejahen, wenn gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür verstoßen würde, was der Fall sei, wenn der Inhalt einer Norm in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewandt würde. Das sei hier bei Anwendung des § 193 SGG durch das Sozialgericht der Fall gewesen.

Richtig sei, dass im vorliegenden Fall der Hauptsacheerledigung das Sozialgericht nach billigen Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze über die Kosten zu entscheiden gehabt habe. Grundlage sei der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung (Rechtsgedanke der § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 154 Abs. 1, 2 und 4 VwGO, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO). Würde die Untätigkeitsklage vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erhoben und erginge der Bescheid noch innerhalb der Frist., würde keine Kostenerstattung erfolgen, da die Klage unzulässig gewesen wäre.  Sei aber die Untätigkeitsklage zulässig und begründet käme grundsätzlich eine Kostenerstattung in Betracht, wenn die Behörde nicht innerhalb der gesetzlichen Wartefrist über den Antrag entschieden habe und kein zureichender Grund für die Verspätung vorläge (s. § 88 Abs. 1 S. 1 SGG). Vorliegend war die Wartefrist bei Erhebung der Klage abgelaufen gewesen, der Bescheid erst danach erlassen worden und ein zureichender Grund für die Verzögerung nicht ersichtlich.

Allerdings könne auch bei einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage das Gericht in Ausübung nach dem ihm in § 193 SGG eingeräumten Ermessen eine Kostenerstattung ablehnen. Dieses Ermessen habe aber das Sozialgericht in nicht mehr nachvollziehbarer Weise gehandhabt. Der Gedanke, der Leistungsempfänger habe (jedenfalls bei anwaltlicher Vertretung) vor Erhebung der Untätigkeitsklage die Behörde noch einmal zu mahnen und die Untätigkeitsklage anzudrohen, könne nicht nachvollziehbar aus dem geltenden Recht abgeleitet werden. Ohne Anlass bestünde vor der Erhebung der Untätigkeitsklage keine generelle Notwendigkeit, den Sachstand zu erfragen; diese Pflicht könne nur unter besonderen Umständen des Einzelfalls bestehen. Solche besonderen Umstände seien vom Sozialgericht nicht benannt worden, die eine Mutwilligkeit der Klageerhebung begründen könnten.

Weder aus dem Wortlaut des § 88 SGG noch aus dem Wortlaut des § 193 SGG ergäbe sich eine generelle Pflicht zu Sachstandsanfrage vor Erhebung der Untätigkeitsklage oder eine Pflicht, eine solche anzukündigen. Es seien auch keine systematischen oder entstehungsgeschichtlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Die Ausnutzung einer nach Ablauf der Wartefrist gegebenen formalen Rechtsposition verstoße grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Gesetzgeber habe durch die Wartefrist von drei bzw. sechs Monaten selbst geregelt, wie lange der betroffene zuwarten müsse. So wie sich die Bürger/innen die Versäumung einer Frist selbst strikt entgegen halten müssen, dürfe auch der Staat grundsätzlich nicht darauf vertrauen, auf den Ablauf einer gesetzlichen Frist erneut hingewiesen zu werden. Zudem könnten Bürger/innen dem Staat keine Fristen setzen, die das Gesetz nicht vorsehe. Sie könnten auch nicht über Rechtsfolgen disponieren; diese ergäben sich aus dem Gesetz. Die Kostenpflicht einer Untätigkeitsklage nach Ablauf der Wartefrist sei eine prozessrechtlich vorgesehene Konsequenz und die Herbeiführung derselben grundsätzlich nicht treuwidrig.

Aus einem Gebot der Rücksichtnahme könne sich zwar unter besonderen Umständen die Pflicht zur Erinnerung der Behörde an den Fristablauf ergeben, doch ergäbe sich daraus keine allgemeine Nachfragepflicht. Es läge auch fern davon auszugehen (wie es das Sozialgericht tat), bei einem regelmäßigen Vorliegen der formalen Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage und bei Berücksichtigung deren Erfolgsaussichten mit der Folge der regelmäßigen Kostenhaft der Beklagten in der Erhebung der Klage (ohne Nachfrage oder Hinweis) einen evidenten Widerspruch zum Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG zu sehen. Den Bürger/n/innen dürfe die Kostenerstattung nicht mit der Begründung verweigert werden, dass ihre Klage gegen ein rechtswidriges Verhalten des Staates offensichtlich zulässig und begründet sei.

Das Sozialgericht habe auch keine besonderen Umstände aufgezeigt, die hier im Einzelfall die Erhebung er Klage als missbräuchlich erscheinen ließen, indem nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGB ohne Nachfrage oder Nachfristsetzung Untätigkeitsklage erhoben worden sei. Es habe angemerkt, das Verhaltend er Beschwerdeführerin sei „nichts anderes als die Ausnutzung einer formal bestehenden Rechtsposition“ zur „Erzielung eines anders nicht erreichbaren Gebührenvorteils“. Zwar könne es Konstellationen geben, bei den eine Fristsäumnis der Behörde treuwidrig zur Erhebung einer Untätigkeitsklage ausgenutzt würde, auch um Kostenvorteile zu erlangen. Das könne sich aus dem konkreten Geschehen vor Klageerhebung ergeben. Aus der (hier vorliegenden) anwaltlichen Vertretung alleine könne eine derartige Mutwilligkeit aber nicht gefolgert werde.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.02.2023 - 1 BvR 311/22 -

Sonntag, 7. Mai 2023

Schlichtungsverfahren (§ 15a EGZPO) und durch Eigentümerwechsel Parteiwechsel im Prozess

§ 15a EGZPO sieht (in Verbindung mit den landesrechtlich dazu ergangenen Gesetzen (hier: § 53 Abs. 2 JustG NRW) sieht für bestimmte Verfahren vor, dass dem gerichtlichen Verfahren ein Schlichtungsverfahren vorzuschalten ist. Die gilt z.B. bei Nachbarschaftsstreitigkeiten; die Kläger verlangten vorliegend von der Mutter der Beklagten, die noch Eigentümerin des Grundstücks war, den Rückschnitt von Sträuchern und Ästen pp. auf deren Grundstück vorzunehmen. Da sich die Beteiligten nicht einigten, kam es in 2016 zu einem erfolglosen Schlichtungsverfahren zwischen den Klägern und der Mutter der Beklagten. In 2016 übertrug die Mutter der Beklagten ihr Eigentum an dem Grundstück auf die Beklagte. In Unkenntnis dieses Umstandes erhob der Kläger zunächst gegen die Mutter, erklärten dann einen Parteiwechsel, weshalb anstelle der Mutter die Beklagte Prozessbeteiligte wurde.

Das Amtsgericht hat, dem folgend das Landgericht im Rahmen der Berufung der Kläger, die Klage als unzulässig angewiesen. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass zwischen den Parteien dass für ie Zulässigkeit der Klage notwendige Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Dem folgte der BGH nicht und hob die Urteile von Amts- und Landgericht unter Zurückverweisung an das Amtsgericht auf.

Vom BGH wurde darauf verwiesen, dass er bereits für die ehemalige nordrhein-westfälische Regelung zu § 15a EGZPO in § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchts. E) GüSchlG NRW entschieden habe, dass das Ziel des § 15a EGZPO in der Entlastung der Zivilgerichts bestünde und bei einem Parteiwechsel auf Klägerseite kein neuer Schlichtungsversuch erforderlich sei, da das Ziel der Entlastung nicht mehr erreicht werden könne, wenn die erfolgte Schlichtung erfolglos geblieben sei und der Rechtsstreit bei Gericht anhängig geworden sei (Urteil vom 18.06.2010 - V ZR 9/10 -). Für den heutigen § 53 Abs. 1 JustG NRW gelte nichts anderes; offen geblieben sei allerdings, on bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite anderes gelten würde.

Nunmehr entscheid der BGH, dass auch bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite sich die Entlastung der Gerichte nicht mehr erreichen ließe und von daher der Parteiwechsel auch auf Beklagtenseite kein neues Schlichtungsverfahren erfordere.

In der Rechtsprechung sei die Frage der Auswirkung des Parteiwechsels auf Beklagtenseite umstritten. Während (wie vorliegend) das AG Neumünster (Urteil vom 09.06.2006 - 35 V 1341/05 -) ein neues Schlichtungsverfahren als erforderlich ansehe, da ansonsten dem nunmehrigen Beklagten die Möglichkeit der Schlichtung genommen würde), würde überwiegend die Ansicht vertreten, dass nach dem Zweck des § 15a EGZPO auch in diesem Fall kein erneutes Schlichtungsverfahren erforderlich sei. Dieser überwiegenden Auffassung würde sich der BGH anschließen.

Mit dem obligatorischen Schlichtungsverfahren sei nach der Gesetzesbegründung zu § 15a EGZPO (BT-Drs. 14/980 S 5 zu § 15a EGZPO, LT-Drs. 12/4614 S. 27 zum nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetz) beabsichtigt, die Zivilgerichte zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen. Dieses Ziel ließe sich nicht erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben sei und ein Gerichtsverfahren anhängig geworden sei. Das Gerichtsverfahren müsse in diesem Fall wie jedes andere Verfahren nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) durchgeführt werden. Die Klage könne also erweitert (§ 264 Nr. 2 ZPO) oder (nach Maßgabe von § 263 ZPO) geändert werden, ohne dass die Zulässigkeit der Klage (auch im Hinblick auf § 15a EGZPO) tangiert sei (BGH, Urteil vom 22.10.2004 - V ZR 47/04 -). Daher ändere auch der Parteiwechsel auf Klägerseite, der sich als Klageänderung iSv. § 263 ZPO darstelle, nichts an der Zulässigkeit (BGH, Urteil vom 18.06.2020 - V ZR 9/10).

Auch der Parteiwechsel auf Beklagtenseite stelle sich als Klageänderung entsprechend § 263 ZPO dar, wenn der neue Prozessgegner dem zustimme (was bei einem Parteiwechsel nach einer Verhandlung zur Hauptsache zwingend erforderlich sei) oder das Gericht den Wechsel als sachdienlich zulasse.

Stimme der neue Beklagte dem Parteiwechsel zu, würde ein neues Schlichtungsverfahren dem Ziel des § 15a EGZPO zuwiderlaufen. Denn mit der Weiterverfolgung des Klageabweisungsantrages gäbe der neue Beklagte zu erkennen, dass er auch nicht bereit sei, die Klageforderung zu erfüllen. Das Verlangen eines neuen Schlichtungsverfahrens würde damit dem Ziel des § 15a EGZPO zuwiderlaufen.

Nichts anderes würde aber auch bei einem als sachdienlich zugelassenen Parteiwechsel gelten. Diese Zulassung diene dazu, einen neuen Prozess zu vermeiden. Es käme nicht darauf an, ob der neue Beklagte freiwillig in den Prozess eingetreten ist. Selbst wollte man nicht ausschließen, dass die Schlichtung mit dem neuen Beklagten Erfolg haben wird, würde das primäre gesetzgeberische Ziel des Schlichtungsverfahrens der Verringerung der Belastung der Zivilgerichte, nicht mehr erreichbar sein. Ziel des § 13a EGZPO sei nicht, dem Parteien die Möglichkeit eines nicht offenkundig aussichtslosen vorprozessualen Schlichtungsversuchs zu eröffnen; eine gütliche Streitbeilegung sei auch in einem anhängigen Verfahren möglich. [Anm.: Auch in einem nach erfolglosen Schlichtungsverfahren nachfolgenden gerichtlichen Verfahren 1. oder auch 2. Instanz werden häufig noch Mediationsverfahren gem. § 278a ZPO, die dem Schlichtungsverfahren ähneln, durchgeführt.]

Die Überlegung des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren, der Beklagtenwechsel sei wie eine subjektive Klagehäufung zu behandeln (§§ 59 ff ZPO) bei der gegen jeden Beklagten das Schlichtungsverfahren durchzuführen sei (BGH, Urteil vom 13.07.2010 - VI ZR 111/09 -), trat der BGH nicht bei. Bei der Klagehäufung würde die konsequente Auslegung des § 15a EGZPO erreicht, dass die Rechtssuchenden in den durch das Gesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssten und diesen Einigungsversuch nicht einfach umgehen könnten. Bei dem Beklagtenwechsel würde diese Umgehungsgefahr nicht bestehen, da - anders als bei der einfachen Streitgenossenschaft - nicht mehrere Prozessrechtsverhältnisse begründet würden, sondern ein gegen den Beklagten geführtes Verfahren, dem das obligatorische Schlichtungsverfahren  hier vorausgegangen sei.

BGH, Urteil vom 16.12.2022 - V ZR 34/22 -

Freitag, 5. Mai 2023

Wohnungseigentum: Gestreckte Begründung des Sondernutzungsrechts

Das Grundbuchantrag hatte eine beantragte Eintragung eines Sondernutzungsrechts als Inhalt des Sondereigentums (§ 5 Abs. 4, § 19 Abs. 3 S. 1 WEG) mit der Begründung zurückgewiesen, die notariell vorgenommene Zuordnungserklärung vom 20.02.2018, bei Grundbuchamt noch 2018 eingegangen, sei nicht ausreichend. Zugrunde lag dem eine im Grundbuch gewahret Teilungserklärung, bei der Sondernutzungsrechte an Stellplätzen noch nicht bestimmten Sondereigentumseinheiten zugewiesen waren und sich der Teiler/Bauherr die Zuordnung vorbehielt und eine notarielle Bewilligung für die Zuordnung noch vor dem eigenen Ausscheiden aus der Wohnungseigentümergemeinschaft und Veräußerung der letzten Sondereigentumseinheit vornahm.

Das sah das Kammergericht (KG) , welches nach Nichtabhilfe der Beschwerde durch das Grundbuchamt über diese entscheiden musste, sah das zutreffend anders als das Grundbuchamt. Dies folgerte das KG aus der darin enthaltenen und gemäß §7 Abs. 3 WEG im Grundbuch gewahrten Ermächtigung, durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt für einen einzelnen Wohnungseigentümer ein die übrigen Wohnungseigentümer ausschließendes Sondernutzungsrecht an den Stellplätzen zu begründen.

Offen könne bleiben, ob die beantragte Eintragung lediglich eine Klarstellung sei, da das verdinglichte Sondernutzungsrecht durch die Zuordnungserklärung bereits vollständig entstanden sei. Durch die Erklärung seien die bisher zum Mitgebrauch berechtigten übrigen Wohnungseigentümer (§ 16 Abs. 1 S. 3 WEG) gemäß § 10 Abs. 3 WEG von der Nutzung ausgeschlossen worden (negative Komponente). Der Ausschluss aller nicht begünstigten Wohnungseigentümer durch die Teilungserklärung würde unter der aufschiebenden Bedingung der Zuweisungserklärung stehen und (gem. § 158 Abs. 1 BGB) mit dieser wirksam. Gleiches könnte (als positive Komponente) gelten, wenn die Ermächtigung dahingehend verstanden werden sollte, dass für jeden Wohnungseigentümer ein gesondertes, jeweils durch eine ihn begünstigende (erste) Zuordnungserklärung aufschiebend bedingtes Recht zum alleinigen Gebrauch bestimmt würde.

Selbst wenn man von einer rechtsändernden Eintragung ausgehen würde. Auch in diesem Fall würde es keine Bewilligung der übrigen Wohnungseigentümer gem. § 19 GBO notwendig sein. Sie wären von der Wahrung des Sondernutzungsrechts im Grundbuch des begünstigten Wohnungseigentümers nicht betroffen, da die negative Komponente bereits mit dem Eintritt der aufschiebenden Bedingung der Zuordnungserklärung als Inhalt des Sondereigentums in allen Wohnungsgrundbüchern der Wohnungseigentümergemeinschaft eingetragen sei.

Der zwischenzeitliche Zeitablauf seit 2018 würde ebenfalls keine Mitwirkung der übrigen Wohnungseigentümer gem. § 19 GBO erfordern. Die Eintragung nach § 10 Abs. 3 S. 1 WEG sei nur für die Wirkung gegen den Sondernachfolger relevant. Hätte der Berechtigte (zwischenzeitlich)  schuldrechtlich über das Sondernutzungsrecht (hier an einem Stellplatz) zugunsten eines anderen Sondereigentümers verfügt,  wäre dieser andere Wohnungseigentümer sachenrechtlich (iSv. § 19 GBO) nicht betroffen. Denn seine Nutzungsbefugnis wäre mangels Wahrung im Grundbuch zu seinem Sondereigentum nicht zum Inhalt desselben geworden. Ein schuldrechtlicher Anspruch eines Dritten könne daher das Bewilligungserfordernis nicht begründen (entgegen OLG München, Beschluss vom 22.12.2017 - 34 Wx 139/17 -).

Das Grundbuchamt habe auch nicht bloßen Zweifeln nachzugehen, das Grundbuch könne bei einer bewilligten Eintragung unrichtig werden. In der Zuordnungserklärung läge regelmäßig die Eintragungsbewilligung. Für die W. ergäbe sich aus dem entsprechenden Vorbehalt in der Teilungserklärung die Bewilligungsberechtigung. Für diese Bewilligungsermächtigung käme es aber nicht darauf an, dass ihr Zuweisungsrecht mit der Veräußerung der letzten Sondereigentumseinheit enden soll. Die W. sei erst 2019 aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgeschieden. Sie habe aber, und das sei ausreichend (OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2017 - 15 W 474/16 -), zuvor noch durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt ihr Zuweisungsrecht ausgeübt. Mit dem Zugang dieser Erklärung habe die Ermächtigung der W. zur (anderweitigen) Zuweisung geendet (BGH, Urteil vom 02.12.2011 - V ZR 74/11 -). Diese so noch zur Zeit, als die W. noch Eigentümerin war und nicht alle Sondereigentumseinheiten veräußert waren, konkretisierte Bewilligungsberechtigung wirke bis zur Eintragung der positiven Komponente (also Umsetzung durch Wahrung im Grundbuch des Sondereigentums) fort.

Kammergericht, Beschluss vom 07.02.2023 - 1 W 213/22 -

Mittwoch, 3. Mai 2023

Schadensersatz bei geringen optischen Mangel einer Hofeinfahrt / -fläche ?

Nach einem Verkehrsunfall verlangten die Kläger von der beklagten Versicherung Schadensersatz in Höhe von € 12.550,00 für die Wiederherstellung der gesamten Hofeinfahrt, §§ 7 Abs. 1 StVG iVm. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. VVG, da nur so ein einheitliches Fugenbild zu erreichen sei. Die Beklagte zahlte lediglich Schadensersatz für die (nach ihrer Ansicht ausreichende) Teilerneuerung der betroffenen Pflasterung. Die Berufung der Kläger gegen die Klageabweisung der ersten Instanz wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen. Das verbleibende teilweise uneinheitliche Fugenbild stelle nur eine kaum wahrnehmbare optische Beeinträchtigung dar und ein auszugleichender Minderwert würde dadurch auch nicht entstehen.

Auch wenn der Geschädigte nach § 249 Abs. 1 grundsätzlich die Wiederherstellung des Zustandes verlangen könne, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Insoweit würde dem Geschädigten (auch der Geldersatzanspruch nach § 249 Abs. 2 BGB, sei allerdings nach § 249 Abs. 2 BGB allerdings dann nicht zustehen, wenn die Herstellung dieses Zustandes unverhältnismäßig sei; dann sei der Ersatzberechtigte in Geld zu entschädigen, § 251 Abs. 2 S. 1 BGB.

Zur Feststellung, ob die Wiederherstellung iSv. § 251 Abs. 2 S. 1 unverhältnismäßig sei, dürfe der mit der Nachbesserung erzielbare Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür erforderlichen Geldaufwandes stehen. Diese Unverhältnismäßigkeit sei anzunehmen, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb unangemessener Aufwand gegenüberstünde (BGH, Urteil vom 06.12.2001 - VII ZR 241/00 -). Zu berücksichtigen seien der Wert der Sache in einem mangelfreien Zustand und die Bedeutung des Mangels (BGH, Urteil vom 04.04.2014 - V ZR 275/12 -).

Daran ausgerichtet sei eine komplette Neupflasterung der ca. 250 m² großen Hofeinfahrt zum Erreichen eines einheitlichen Fugenbildes unverhältnismäßig. Es würde sich nur um einen optischen Mangel handeln, der den bestimmungsgemäßen Gebrauch nicht beeinträchtige. Zwar handele es sich hier nicht um ein werkvertragliches Vertragsverhältnis zwischen den Parteien (sondern um einen deliktischen Schadenersatzanspruch nach § 7 StVG), doch sei gleichwohl das objektiv geringe Interesse der Klägerin zu berücksichtigen.

Auch bei lediglich optischen Beeinträchtigungen sei ein strenger Maßstab anzulegen (OLG Celle, Urteil vom 01.11.2011 - 14 U 52/11 -). Im Einzelfall sei aber zu differenzieren, wie stark sich diese im Gesamteindruck auswirke. Es handele sich hier um eine Fläche, die dem Rangieren und Abstellen von Fahrzeugen diene. Die nicht ganz gradlinigen Fugen in einem Teilbereich der Pflasterung, die auf den Übersichtsbildern nicht wahrnehmbar seien, würden keine Auswirkungen auf den Gesamteindruck haben. Nur bei vergrößerten Aufnahmen und unter Zuhilfenahme einer Wasserwaage und eines Zollstocks wären die Abweichungen erkennbar. Diese fehlende Einheitlichkeit trete bei der bestimmungsgemäßen Nutzung der Fläche mit parkenden und rangierenden Fahrzeugen im optischen Gesamteindruck soweit zurück, dass sie für den unbefangenen Betrachter nicht mehr wahrnehmbar sei und schon gar nicht zu einer optischen Gesamtbeeinträchtigung der Anlage führe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass besondere ästhetische Anforderungen an die Hoffläche zu stellen seien, denen diese nicht mehr gerecht würde (OLG Celle, Urteil vom 18.07.2002 - 22 U 197/01 -).

Auch sei zu berücksichtigen, dass nach dem eingeholten Sachverständigengutachten die Hoffläche von Anfang an nicht den technischen Regelwerken entsprochen habe und in jedem Fall zu Fugenverschiebungen geführt hätte. Die Kläger stünden bei einer vollständigen Neupflasterung besser als ohne das Schadensereignis, da die sanierte Fläche einen deutlich besseren Aufbau habe und die die nicht sanierte Fläche ohnehin nicht fachgerecht (direktes Aneinanderlegen von Klinkersteinen) verlegt worden sei.

Die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 251 Abs. 1 S. 2 BGB. Dieser Anspruch richte sich nicht wie bei §§ 249, 250 BGB auf das Integritätsinteresse des Geschädigten und wäre nicht nach den Herstellungskosten zu bemessen, sondern auf Ersatz des Wertinteresse. Zu ersetzen sei daher im Falle der Unverhältnismäßigkeit von Wiederherstellungskosten die Differenz zwischen dem Vermögen, wie es sich ohne das schädigende Intereses darstellen würde, und dem Wert des Vermögens, wie es sich durch das schädigende Ereignis darstelle (BGH, Urteil vom 11.03.2020 - IX ZR 104/08 -).

Hier läge ein messbarer Minderwert nicht vor. Die Pflasterfläche stelle nach dem Gutachten, unabhängig vom Fugenverlauf, keinen Wertanteil an dem streitgegenständlichen Objekt dar. Der Gesamtwertanteil der Pflasterfläche betrage 0,7% des Verkehrswertes (€ 2.450,00). Bei Berücksichtigung üblicher Rundungsdifferenzen würde dieser Wertanteil nach dem Gutachten in den Rundungen untergehen.

OLG Celle, Urteil vom 15.02.2023 - 14 U 166/21 -