Sonntag, 29. Dezember 2024

Scheinbeklagter und dessen Kostenantrag nach Klagerücknahme

Die Klägerin erhob gegen eine Firma X Gesellschaft mit beschränkter Haftung, vertreten durch die Mehrheitsgesellschafterin VX Klage. Im Rahmen des schriftlichen Vorverfahrens erließ das Landgericht am 03.11.2023 ein Versäumnisurteil. Am 14.11.2023 teilte das Landgericht der Klägerin mit, dass sowohl das Versäumnisurteil als auch die Erstverfügung nicht hätten zugestellt werden können. Die Klägerin teile eine neue Anschrift der Gesellschaft mit. Nachdem dort die Erstverfügung und das Versäumnisurteil am 18.11.2023 zugestellt werden konnten, zeigte ein Rechtsanwalt die Vertretung von Frau YX an und teilte mit, diese habe „das Unternehmen veräußert“, was auch im Handelsregister vor Klageerhebung „vollzogen“ worden sei. Vorsorglich legte er Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein, wobei er es ausdrücklich demjenigen vorbehielt, den Einspruch zu begründen, die die Gesellschaft/Beklagte tatsächlich vertritt. Das Landgericht beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung an gewährte der Klägerin rechtliches <Gehör zur Frage der Passivlegitimation. Mit Beschluss vom 09.01.2023 hob das Landgericht den Termin auf und erteilte Hinweise zum Stand des Handelsregisters ab dem 04.07.2023 und dessen Folgen. Am 10.01.2024 teilte das Insolvenzgericht  mit, dass am 04.01.2023 über das  Vermögen der X GmbH des Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, was das Landgericht der Klägerin und Frau YX zur Kenntnis brachte. Am 05.03.2024 nahm die Klägerin die Klage zurück. Auf den Kostenantrag  von Frau YX erlegte das Landgericht der Klägerin mit Beschluss vom 20.03.2024 die Kosten des Rechtsstreits auf. Die Klägerin legte gegen den Beschluss vom 20.03.2024 sofortige Beschwerde ein und beantragte, die Kosten der X GmbH aufzuerlegen mit Hinweis darauf, dass der Insolvenzverwalter der X GmbH die Forderung der Klägerin zur Tabelle festgestellt habe. Der Beschwerde halb das Landgericht nicht ab und legte den Vorgang dem Oberlandegericht zur Entscheidung über die Beschwerde vor. Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht als unbegründet abgewiesen.

Würde wie hier nach Einreichung der Klage bei Gericht, aber noch vor Zustellung derselben an die Beklagte das Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet, finde eine Unterbrechung des Rechtsstreits nicht statt (BGH, Beschluss vom 11.12.2008 - IX ZB 232/08 -). Für das Beschwerdeverfahren könne nichts anderes gelten.

Rechtsgrundlage der Kostenentscheidung des Landgerichts sei § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO. Den erforderlichen Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO könne auch eine Scheinbeklagte stellen, da auch eine solche Anlass zur Verteidigung habe und die Möglichkeit haben müsse, sich entsprechend § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bei der Klägerin schadlos zu halten, die die falsche Zustellung veranlasst habe. 

Nach § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO bestimme sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und die Klage daraufhin zurückgenommen würde. Der „Anlass zur Klage“ iSv. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO könne nur angenommen werden, wenn die Klage bei ihrer Einreichung zulässig und begründet war oder jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt vor ihrer Einreichung zulässig und begründet gewesen wäre. Auf eine aus objektiver Sicht zu keinem Zeitpunkt aussichtsreichen Klage sei die Bestimmung nicht anwendbar (BGH, Beschluss vom 17.12.2020 - I ZB 38/20 -).

Hier sei die Klage zu keinem Zeitpunkt aussichtsreich gewesen. Sei der gesetzliche Vertreter der Beklagten nicht nur irrtümlich falsch bezeichnet worden und die Klage an den vermeintlichen gesetzlichen Vertreter mit Willen der Klägerin zugestellt worden, sei die Klage unzulässig (BGH, Urteil vom 14.03.2017 - XI ZR 442/16 -). Zwar sei die Annahme des Landgerichts fehlerhaft, dass bereits über einen Monat vor Einreichung der Klage ein neuer Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen worden sei; bis zum heutigen Tag sei B als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen, der allerdings bereits Ende 2022 verstorben sei.

(Anmerkung: Ist die GmbH „führungslos“, hat sie also keinen Geschäftsführer, greift § 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG, wonach für den Fall, dass sich die Gesellschaft nicht in Liquidation oder im Insolvenzverfahren befindet, und ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden sollen, die Gesellschafter due Gesellschaft vertreten.)

Entscheidend sei vorliegend, dass eine Zustellung der Klageschrift an die dort benannte Frau YX nicht in Betracht gekommen sei, da diese bereits mit notariellen Vertrag vom 16.04.2019 alle ihre Gesellschaftsanteile an B veräußert habe, in dessen Hand ab diesem Zeitpunkt alle Gesellschaftsanteile der Gesellschaft gelegen hätten, was im Handelsregister aus der in den Registerordner am 04.07.2023 eingestellten Liste der Gesellschafter ersichtlich gewesen sei. Deshalb sei eine Zustellung der Klageschrift vom 03.08.2023 an Frau YX nach § 35 Abs. 1 S. 3 GmbHG nicht mehr in Betracht gekommen.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.09.2024 - 3 W 8/24

Samstag, 21. Dezember 2024

Regress des Sozialversicherungsträgers – Grouper als Beweis der Aufwendungen ?

Wie so häufig machte auch hier der klagende Sozialversicherungsträger nach einem Unfall einen nach § § 116 Abs. 1 SGBX auf sie übergegangenen Ersatzanspruch gegen den gesetzlichen Haftpflichtversicherer (Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr, 1 VVG) geltend. Die Haftung war unstreitig. Streitig war die Höhe des von der Klägerin begehrten Schadens. Von der Beklagten wurde eingewandt, der Schaden sei bisher – soweit nicht anerkannt – nicht durch prüffähige Unterlagen belegt worden. Hier wie zwischenzeitlich ständig wurde vom Sozialversicherungsträger eingewandt, die von ihr vorgelegten „Grouper“-Ausdrucke (vom Krankenhausträger der Krankenkasse übermittelte Abrechnungsdaten) und vorgelegten Krankenhausberichte seien ausreichend. Ebenso wie es zwischenzeitlich meist geschieht, wurde dies vom Landgericht und – aufgrund der von der Beklagten eingelegten Berufung – auch vom Oberlandesgericht so gesehen (Urteil OLG Sachsen-Anhalt vom 02.07.2023 - 9 U 125/22 -), weshalb der Klage stattgegeben, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wurde. Das OLG argumentiert u.a. damit, dass § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht zu entnehmen sei, dass von der Krankenkasse tatsächlich gezahlte Krankenhauskosten aufgrund von Einwendungen gegen die Höhe vom Anspruchsübergang ausgeschlossen sein sollten, wobei es darauf verwies, dass dies auch im Zusammenhang mit dem bei Sachschäden gebräuchlichen Begriff des „Werkstattrisikos“ stünde.

Grundsätzlich, so zutreffend der BGH, stehe der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch aus nach 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu, und zwar auf Ersatz der Kosten der Heilung der bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen (§§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm. § 1 S. 1 PflVG). Die Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruchs sei in erster Linie des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters, wobei im Revisionsverfahren nur geprüft werden könne, ob dieser wesentliche Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsgrundlagen außer Acht gelassen oder seien Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe (st. Rspr., so Urteil vom 29.09.2020 - VI ZR 271/19 -). Solche Fehler lägen hier vor.

Die Klägerin sei, was das OLG verkannt habe, trotz des bereits im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses stattfindenden Anspruchsübergangs nicht als Geschädigte anzusehen. Der Schaden, der der Klägerin zu ersetzen sei, sei nicht ohne weiteres der Vermögenseinbuße gleichzusetzen, die der Klägerin durch ihre Leistungsplicht gegenüber ihrem Versicherten gem. § 11 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V entstanden sei (BGH, Urteil vom 23.02.2010 - VI ZR 331/08 -). Der nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X übergehende Anspruch auf Ersatz gehe über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses der Versicherungsträger Sozialleistungen zu erbringen habe, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen würden (sachliche Kongruenz) und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen würde (zeitliche Kongruenz). Dabei knüpfe der Forderungsübergang an die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers („zu erbringen hat“) und nicht an tatsächlich erbrachte Leistungen an (BGH, Urteil vom 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 -). Dabei könne er einen Aufwendungsersatz nur insoweit verlangen, als er Aufwendungen auf einen Schaden des Versicherten zu erbringen habe. Zu unterscheiden sei zwischen der unabhängig von einer Schadensersatzverpflichtung Dritter bestehenden Leistungsverpflichtung des Versicherungsträgers gegenüber der versicherten Person einerseits und seinem Regressanspruch gegenüber einem Schädiger andererseits; übertragen sei dem Versicherungsträger nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nur der Schadensersatzanspruch des Versicherten. Läge ein solcher nicht vor, habe er keinen Anspruch gegenüber dem Schädiger (BGH, Urteil vom 10.07.2007 - VI ZR 192/06 -). Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem frühen Zeitpunkt des Anspruchsübergangs, mit dem auch möglicherweise in der Zukunft liegende Leistungen des Versicherers für den Geschädigten gesichert würden, die sachlich und zeitlich mit Ersatzansprüchen des Geschädigten kongruent seien; ein eigener Anspruch des Versicherungsträgers auf Erstattung aller seiner durch das Schadensereignis ausgelösten Leistungen folge daraus nicht (BGH, Urteil vom 07.12.2021 - VI ZR 1189/20 -).

Das OLG habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin zur Schadenshöhe rechtsfehlerhaft verkannt.

Den Sozialversicherungsträger träfen im Grundsatz die gleichen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast wie den Geschädigten, würde dieser den Schadensersatzanspruch selbst geltend machen (u.a. BGH, Urteil vom 23.06.2020 - VI ZR 435/19 -). Es müssten Tatsachen angeführt werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Für die Beweislast für die (im Streit stehende) haftungsausfüllende Kausalität, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und weiteren Schäden des Verletzten (Sekundärschäden) betreffe, gelte das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO (wonach eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge). Auch die Systematik des Gesetzes spreche gegen einen Willen des Gesetzgebers, gesetzliche Krankenkassen (Anmerkung: Gleiches gilt für die gesetzlichen Unfallversicherungsträger) hinsichtlich der Aufwendungen beim Regress nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X besserzustellen. Der Gesetzgeber habe mit § 116 Abs. 8 SGB X eine Regelung geschaffen, die den Regress für Kosten der nicht stationären ärztlichen Behandlung und Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln vereinfache (Pauschale, werden keine höheren Kosten nachgewiesen); dies sei für die stationäre ärztliche Behandlung nicht erfolgt.

Auch wenn der zur Entscheidung berufene zuständige VI. Zivilsenat des BGH in vergangenen Entscheidungen ausgeführt habe, dass den Belangen der Sozialversicherungsträger Rechnung zu tragen sei (BGH, Urteil vom 24.04.2012 - VI ZR 329/10 -), sei es den Gerichten verwehrt, die Rechtsanwendung allgemein nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversicherungsträger auszurichte, selbst wenn sie dies höher bewerten wollten als dem Schutz des Schuldners (BGH vom 24.04.2012 aaO.).  

Auch sei der Annahme des OLG nicht zu folgen, die Klägerin könne die an die Behandlungseinrichtungen gezahlten Beträge aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen nicht mehr zurückfordern und dies käme dem Fall des deshalb anzuwenden Rechtsgedanken des § 118 SGB X gleich. Nach § 118 SGB X ei ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden habe, an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grundsätzlich gebunden. Die Bindungswirkung erstrecke sich auf den Tenor des Leistungsbescheides oder des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Urteils und dessen tragende Feststellungen, nicht auf die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden (BGH, Urteil vom 16.03.2021 – VI ZR 773/20 -). [Anmerkung: Leider nimmt der BGH nicht zu der Frage Stellung, ob eine Bindungswirkung ggf. auch dann angenommen werden kann, wenn der vom Sozialversicherungsträger in Anspruch genommene Schädiger an der unanfechtbaren Entscheidung des Sozialversicherungsträgers oder eines sozial- oder sozialgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war, liegt hier doch bei Annahme einer Bindungswirkung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor]. Die von der Klägerin geleistete und ggf. nicht rückforderbare Zahlung auf die Rechnungen der Krankenhäuser stehe einer unanfechtbaren Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts nicht gleich und vorliegend würde weder der Grund noch die Höhe der Leistungspflicht der Klägerin gegenüber dem Versicherten in Streit stehen. Im, Streit stünde der Schadensersatzanspruch des Versicherten, in dessen Rahmen die Klägerin nur Anspruch auf Ersatz der von ihr verauslagten Kosten für erfolgte medizinische medizinische Untersuchungen und Behandlungen habe, soweit diese iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich waren (BGH, Urteil vom 17.09.2013 - VI ZR 95/13 -).

Sozialrechtliche Anforderungen an das Abrechnungssystem zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen sowie sozialrechtliche Anforderungen an die Datenübermittlung, Prüfung von Rechnungen und Zahlungspflichten der Krankenkassen würden keine Abweichung von den zivilrechtlichen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X rechtfertigen. Aus §§ 275, 275c, 284 – 293 und 294 bis 303 SGB V  und § 17c Abs. 2b KHG würden daran nichts ändern. Hier würden ausschließlich Rechte und Pflichten von Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern festgelegt, aber nicht das Verhältnis zum Schädiger im Rahmen zivilrechtlicher Haftung geregelt. Gesetzlich Beschränkungen der gesetzlichen Krankenkassen für die Prüfung der Krankenhausrechnungen könnten nicht als Grundlage herangezogen werden, um die Rechtsposition des Schädigers nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu beschneiden, da ansonsten die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten würden (BVerfGE 128, 193, 210; BGH, Urteil vom 11.06.2024 – VI ZR 133/23 -). Damit würden die von den Behandlungseinrichtungen erstellten Abrechnungsdaten nach allgemeinen Grundsätzen auch nur einen Anhaltspunkt, aber kein wesentliches bzw. starkes Indiz für die Erbringung und/oder Erforderlichkeit der abgerechneten Leistung darstellen (so auch zu „Grouper“-Ausdrucken OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2023 - 12 U 17/23 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.01.2024 - 1 W 24/23 -; zum Problem der Fahlcodierungen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 -). Zudem habe der Gesetzgeber nach § 294a SGB V unter anderem Krankenhäuser gem. § 108 SGB V verpflichtet, Angaben zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Die Rechtsprechung zum sogen. „Werkstattrisiko“ bei Beschädigung einer Sache für Reparatur- und Sachverständigenkosten seien für Ansprüche der gesetzlichen Krankenkassen auf Ersatz der Kosten der Heilung nicht übertragbar. Diese Grundsätze seien geprägt von dem Gedanken, dass es Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widerspreche, wen der Geschädigte bei Ausübung der ihm zustehenden Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem, Einfluss entzogen sei. Eine entsprechende Konstellation läge hier aber nicht vor.  Die gesetzliche Krankenkasse sie nicht Geschädigte, Geschädigter sei der Versicherte. Die Klägerin trage die Behandlungskosten aufgrund ihrer diesem gegenüber bestehenden Leistungspflicht. Ihre Zahlungsverpflichtung entstünde, unabhängig von einer Kostenzusage, unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten Kraft Gesetz, wenn die Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und iSv. § 39 Abs. 1 SGB V S. 2 erforderlich sei (BSG, Urteil vom 01.07.2014 - B 1 KR 29/13 R; BGH, Urteil vom 03.05.2011 - VI ZR 61/10 -). Die Leistungen der Krankasse sind nicht zwingend deckungsgleich mit dem iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlichen“ Heilbehandlungsmaßnahmen und selbst bei einer sachlichen und zeitlichen Kongruenz zwischen der Leistungspflicht der Krankenkasse und dem zu leistenden Schadensersatz bemesse sich beides nach unterschiedlichen Grundsätzen.

BGH, Urteil vom 09.07.2024 - VI ZR 252/23 -

Dienstag, 17. Dezember 2024

Gebrauchsüberlassung von Wohnraum an Dritte - fristlose Kündigung

Das LG Hamburg vertritt die Ansicht, ein zur fristlosen Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund nach §§ 560, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB läge vor, wenn der Mieter die Mietsache unbefugt einen Dritten überlasse und trotz Fristsetzung zur Abhilfe (§ 543 Abs. 3 S. 1 BGB) nicht beende. Es änderte damit ein die Räumungsklage des Vermieters abweisendes Urteil des Amtsgerichts ab und gab dieser statt.

Eine Gebrauchsüberlassung läge vor, wenn ein Dritter aufgrund einer Vereinbarung mit dem Mieter ein selbständiges Besitzrecht an der Wohnung des Inhalts erwerbe, dass er die Wohnung unter Ausschluss des Mieters nutzen könne, aber auch dann, wenn der Mieter den Dritten für eine längere Zeit in der Wohnung aufnehme und der Dritte das Recht haben soll, die gesamte Wohnung neben oder zusammen mit dem Mieter zu nutzen.  Davon abzugrenzen sei der Besucher, der den Mieter aufgrund persönlicher Beziehung aufsuche und sich in dessen Wohnung vorrübergehend aufhalte, ohne hierfür ein Entgelt zu entrichten. Nach einem Aufenthalt von vier bis sechs Wochen spräche die Vermutung dafür, dass die Dauer der Aufnahme des Dritten auf Dauer angelegt sei.

Das Landgericht würdigt die Zeugenaussagen im amtsgerichtlichen Verfahren und die Behauptungen des Beklagten, um zu Ergebnis zu gelangen, dass der Beklagte nicht nur Beuch empfangen habe, sondern einen Dritten in seiner Wohnung aufgenommen habe. Ob diese anderweitige Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht ohne erneute Vernehmung der Zeugen zulässig war, soll an dieser Stelle auf sich beruhen (dazu BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 403/14 -, R. 11).

Ausgehend von der Gebrauchs(mit)überlassung durch den Beklagten sah das Berufungsgericht darin eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechte der vermietenden Klägerin. Die Erheblichkeit sei regelmäßig bei Vorliegen einer unbefugten Gebrauchsüberlassung zu bejahen, da der Vermieter ein erhebliches Interesse daran habe, zu wissen, wer das Mietobjekt tatsächlich nutze. Zudem spreche dafür auch die Fortsetzung des unerlaubten Gebrauchs auch nach der Abmahnfrist und die damit einhergehende Missachtung des Vermieterwillens.

LG Hamburg, Urteil vom 03.11.2023 - 311 S 25/23 -

Sonntag, 15. Dezember 2024

Bedeutung der Beweiskraft des Protokolls zur Verkündung eines Urteil

Streitgegenständlich war die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin (Beklagte), gegen die sich der Arbeitnehmer (Kläger) wehrte. Das Arbeitsgericht hatte der Klage durch ein „Teilurteil“ stattgegeben, welches aufgrund mündlicher Verhandlung vom12.01.2023 erging. Der in der mündlichen Verhandlung benannte Verkündungstermin wurde zuletzt auf den 23.02.203 verlegt. In der Gerichtsake folgte die Urteilsformel mit der Unterschrift des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, sodann das „Teilurteil“ in vollständig abgefasster Form, untrennbar verbunden mit einem Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Es schloss sich eine Verfügung einer Justizangestellten vom 01.03.2023 betreffend die Zustellung des „Teilurteils“ an die Parteien an. Ein Protokoll über eine Verkündung des Teilurteils existierte nicht; solche würden, nach Auskunft der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts seit der elektronischen Führung der Prozessakte nicht mehr erstellt.

Gegen das Teilurteil legte die Beklagte Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) ein, die zurückgewiesen wurde. Gegen dieses Urteillegte die Beklagte Revision ein, mit der sie weiterhin Klageabweisung beantragte. Die Revision wurde – wenn auch nicht aus materiellen Erwägungen – stattgegeben und der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht (nicht an das Landesarbeitsgericht) zurückverwiesen. Die Aufhebung der Entscheidungen des Arbeitsgerichts und LAG sowie die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht erfolgten, da das Verfahren bei dem Arbeitsgericht mangels Verkündung noch nicht abgeschlossen sei, es sich bei dem „Teilurteil“ lediglich um einen Urteilentwurf handele.

Die Verkündung eines Urteils erfolge im Namen des Volkes durch Vorlesung der vollständigen Abfassung der vollständigen Urteilsformal einschließlich der Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel, und zwar in öffentlicher Sitzung (§ 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen würde das Urteil existent. Bis zu diesem Zeitpunkt handele es sich um einen – allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugenden – Entscheidungsentwurf (BAG, Urteil vom 23.03. 2021 - 3 AZR 224/20 -; für Beschlussverfahren BAG, Beschluss vom 17.08.2022 - 7 ABR 3/21 -).

Die Verkündung einer Entscheidung sei im Protokoll festzuhalten, § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO, wobei es sich nach § 165ZPO um eine wesentliche Förmlichkeit handele, die nur durch das Protokoll bewiesen werden könne (BGH, Beschluss vom 08.02.2012 - XII ZB 165/22 -). Sei im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung vorhanden, stünde infolge der Beweiskraft des Protokolls ein Verstoß gegen das aus § 60 ArbGG, § 311 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis einer Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest. Die würde auch gelten, wenn (wie hier) kein unterschriebenes Protokoll existiere, da danach nicht die Verkündung – gerade in einem gesonderten Verkündungstermin – bewiesen werde (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.). Der Beweis könne nicht durch den Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 315 Abs. 3 ZPO erbracht werden (BAG, Urteil vom 14.10.2020 - 5 AZR 712/19 -), was auch bei elektronischer Führung der Prozessakte gelte.

Das „Teilurteil“ sei auch nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart worden.

Würde gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen, könne nicht mehr von einer Verlautbarung im Rechtssinne gesprochen werden. Würden die Mindestanforderungen gewahrt, würden allerdings auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse des Entstehens eines wirksamen Urteils nicht hindern. Zu den Mindestanforderungen gehöre, dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt sei oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet würden (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.). Eine wirksame Verlautbarung könne ggf. dadurch erfolgen, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt habe, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage stünde (BAG, Urteil vom 14.10.2020  5 AZR 712/19 -), was hie nicht der Fall gewesen sei. Dahinstehen könne, ob das auch dann gelten würde, wenn das Gericht die Zustellung in der irrtümlichen Annahme veranlasse, es habe die Entscheidung bereits verkündet (a.A. BGH, Beschluss vom 13.06.2012 - XII ZB 592/11 -; OLG München, Urteil vom 21.01.2022 - 10 U 3446/10 -), da es hier bereits an einer Verfügung zur Übersendung an die Parteien fehlen würde und die Schlussverfügung der Geschäftsstelle die richterliche Verfügung nicht ersetzen könne.

Es käme auch nicht darauf an, dass die Parteien den Mangel der Verkündung nicht rügten, da dies von Amts wegen zu beachten sei und nicht durch unterlassene Rüge geheilt werden könne (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

Auch wenn das „Teilurteil“  des Arbeitsgerichts in Ermangelung einer wirksamen Verkündung keine rechtliche Wirkung erzeuge, könne es gleichwohl zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsschein mit der Berufung angefochten werden (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

Infolge der fehlenden Verkündung des „Urteils“ durch das Arbeitsgericht sei das Verfahren nach wie vor in erster Instanz bei dem Arbeitsgericht anhängig und dort noch nicht abgeschlossen. Mit der Berufung gegen dieses „Urteil“ könne der äußere Anschein einer wirksamen, den ersten Rechtszug beendenden gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden, weshalb das LAG auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche „Teilurteil“ hätte aufheben und den Rechtstreit ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen; eine eigene Sachentscheidung sei dem LAG verwehrt gewesen (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

Vorliegend stünde auch § 68 ArbGG, wonach ein Mangel im Verfahren eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht ausgeschlossen sei (mit § 68 ArbGG würde die Möglichkeit nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO bestehend Möglichkeit ausgeschlossen), nicht der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht entgegen. Ausnahmsweise käme dies allerdings in Betracht, wenn wie hier ein Verfahrensfehler in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden könne, da das Berufungsgericht die unterlassene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen dürfe und selbst den Rechtsstreit zurückverweisen müsse.

BAG, Urteil vom 24.10.2024 - 2 AZR 260/23 -

Samstag, 14. Dezember 2024

Fristlose Kündigung des gewalttätigen Mieters

Dem Beklagten wurde – ohne vorherige Abmahnung – fristlos wegen seiner Gewalttätigkeiten gekündigt. Seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe hatte das Landgericht (LG), den er im Berufungsverfahren nach stattgegebener Klage stellte, zurückgewiesen.

Die Kündigung sei nach § 543 Abs. 1 BGB wirksam. In § 543 Abs. 1 BGB heißt es:

Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des                                                                                            Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. 

Grundsätzlich sei zwar das Verschulden des Mieters ein wesentlicher Abwägungsfaktor für die Zumutbarkeit der Vertragsfortsetzung. Vorliegend sah aber das LG die Pflichtverletzungen des Beklagten als so gravierend an, dass dies nicht erforderlich sei. Der Vermieter habe auch Schutzpflichten gegenüber den anderen Hausbewohnern, weshalb eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem gewaltbereiten (und angeblich unter untherapierter Alkoholsucht leidenden) Beklagten unter keinen Umständen mehr zumutbar.

Anmerkung: Die Kündigung ohne Verschulden des Mieters ohne vorherige Abmahnung ist eine Ausnahme und kommt dann in Betracht, wenn das Fehlverhalten des Mieters eine Vertrauensgrundlage derart erschütterte, dass sie auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht geheilt werden kann (Hinweisbeschluss des LG München I vom 13.07.2023 - 14 S 6310/23 -).  Die Abmahnung hatte das LG Berlin (Beschluss vom 22.02.2005 – 63 S 410/04 -) bei SMS an den Vermieter mit „dumme Kuh“ und „Arschloch“ als entbehrlich gehalten, das LG Köln (Urteil vom 30.06.2022 - 6 S 203/21 -)allerdings bei einer Bedrohung von Handwerkern mit einem Messer nicht.

Bei einer Schuldlosigkeit des Mieters muss das Maß des Zumutbaren soweit überschritten sein, dass eine eingeschränkte oder fehlende  Verantwortlichkeit für das eigene Handeln völlig zurücktritt.

LG Berlin II, Beschluss vom 30.07.2024 - 67 S 190/24 -

Freitag, 13. Dezember 2024

Unterscheidungskraft (§ 30 HGB) bei Firmierung unter Beachtung des Gesellschaftszusatzes

Im Handelsregister des Amtsgerichts war eine „xx Investment GmbH“ eingetragen. Es erfolgte eine Anmeldung einer Firma „xx Invest UG (haftungsbeschränkt)“. Das Amtsgericht wies die Eintragung wegen fehlender Unterscheidungskraft zur am Ort bestehenden „xx Investment GmbH“ zurück. Phonetisch bestehe zwar eine Unterscheidung, entscheidend seien aber Gesamteindruck und Wortbild. Der eingelegten Beschwerde half das Amtsgericht nicht ab; sie wurde vom Kammergericht Berlin (KG) zurückgewiesen.

1. Zunächst zu den Begrifflichkeiten: „Firma“ ist der Name des Kaufmanns, unter der er seinen Geschäfts betreibt, § 17 Abs. 1 HGB. Bei der GmbH handelt es sich um eine Gesellschaft ohne vom Gesetz vorgegebene persönliche Haftung der Gesellschafter, deren Stammkapital mindestens € 25.000,00 betragen muss, § 5 Abs. 1 GmbHG; für die UG (haftungsbeschränkt), auch Unternehergesellschaft (haftungsbeschränkt), gerne auch als „kleine GmbH“ bezeichnet, gilt gleiches, allerdings liegt deren Stammkapital unterhalb des Stammkaptals nach § 5 GmbHG, § 6a Abs. 1 GmbHG, wobei das Haftungskapital bei der UG (haftungsbeschränkt) die Eintragung in das Handelsregister erst nach voller Einzahlung des Stammkapitals erfolgen darf, § 6a Abs. 2, wohingegen auf jeden Gesellschaftsanteil der GmbH mindestens 25% bei Abmeldung eingezahlt sein müssen, insgesamt aber mindestens 50% des in § 5 Abs.. 1 GmbHG benannten Kapitals, § 7 Abs. 2 GmbHG.

2. Um eine Verwechslung von Gesellschaften auszuschließen ist erforderlich, dass sich die neue Firma von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheidet, § 30 Abs. 1 HGB. Dies wurde hier im Hinblick auf die „xx Invest UG (haftungsbeschränkt)“ gegenüber der „xx Investment GmbH“ verneint.

2.1. Das Amtsgericht hatte zur Begründung seiner Entscheidung auf den Beschluss des BGH vom 14.07.1966 - II ZB 4/66 – verwiesen, in dem es um die Rechtsformzusätze  GmbH und GmbH & Co. KG ging. Die Beschwerdeführerin vertrat die Ansicht, dies sei nicht einschlägig, da der Verkehr ausreichend zwischen GmbH und UG (haftungsbeschränkt) unterschieden könne.

2.2. In seiner Beschwerdeentscheidung verwies das KG darauf, dass bei beiden Firmen der jeweilige Firmenbeginn mit xx identisch sei, zwei gleichlautende Buchstaben. Zu den Zusätzen Invest und Investment verwies es darauf, dass es sich um Begriffe mit demselben Wortstamm handele, wobei Invest das Verb und Investment das dazugehörige Substantiv sei, wobei Invest auch als abgekürzte deutsche Version des Wortes Investment verstanden werden könne. Die beiden Begriffe lägen nicht nur inhaltlich und phonetisch nahe beieinander, sondern seien auch bei flüchtiger Betrachtung kaum zu unterscheiden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verkehr zu Verkürzungen tendiere. Gerade bei (wie hier) Überschneidungen im Tätigkeitsbereich und gewählten Sachfirmen seien deutlichere Abstände der Firmen erforderlich (KG, Beschluss vom 17.05.2024 - 22 W 10/14 -).

Damit könne sich der geringe Unterschied allenfalls dann auswirken (also letztlich auf sich beruhen), wenn der Rechtsformzusatz beachtet würde. Auch ausgehend von der Annahme, Rechtsformzusätze würden nie eine Rolle spielen, wäre hier aber die sich aus der Gesetzeslage ergebende Verwechslungsgefahr zu beachten, da eine UG keine GmbH sei, weshalb angenommen werden könnte, die (bestehende) GmbH sei aus der UG erwachsen (§ 5a Abs. 5 GmbHG;  wonach, wie der Verfasser anmerkt,  bei einer Erhöhung des Stammkapitals bei der UG auf oder über den Betrag von § 5 Abs. 1 GmbHG die Sondervorschriften der Abs. 1 bis 5 des § 5a für die UG keine Anwendung mehr finden würden, ohne dass die Firma geändert werden müsse). In diesem Fall, so das KG, käme es auch nicht darauf an, dass perspektivisch aufgrund der Thesaurierungspflicht nach § 5a Abs. 3 GmbHG  bei einem erfolgreichen Geschäftsverlauf davon ausgegangen werden müsse, dass die Beschwerdeführerin später ohnehin den Rechtsformzusatz GmbH tragen würde; in diesem Fall wäre keine Möglichkeit mehr gegeben, die Firma der Gesellschaft zu beanstanden.  Von daher käme es nicht auf eine von der Beschwerdeführerin für notwendig erachtete Beweisaufnahme an, wie deutlich der Verkehr Rechtsformzusätze unterscheide.

3. Das KG hat bei seiner Entscheidung im Wesentlichen auf die fehlende Unterscheidungskraft der Firma ohne Berücksichtigung des Rechtsformzusatzes abgestellt und die Frage, ob dem Zusatz UG (haftungsbeschränkt) eine Unterscheidungskraft zukommt, zunächst ausgeblendet. Die Unterscheidungskraft zwischen „xx Invest“ und „xx Investment“ hat es – zutreffend – verneint. Damit wäre die erforderliche Unterscheidungskraft der Firma nach § 30 Abs. 1 HGB nicht gegeben.

Ob im Verkehr die Unterscheidung anhand von Rechtsformzusätzen vornehmen würde, ließ das KG offen. Denn darauf käme es nicht an, da die UG zur Thesaurierung verpflichtet sei (§ 5a Abs. 3) und so gegebenenfalls in eine GmbH umwandeln könne, ohne dass dann noch die Formierung „xx Invest“ beanstandet werden könnte (§ 57c GmbHG: entstandene Rücklagen werden in Stammkapital umgewandelt) und mithin zu diesem Zeitpunkt das mögliche Unterscheidungsmerkmal UG (haftungsbeschränkt) entfallen würde (was zudem auch durch Erhöhung des Stammkapitals erfolgen kann). Vor diesem Hintergrund ist der Entscheidung des KG zuzustimmen.  

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 24.05.2024 - 22 W 14/24 -

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Sichtbehinderung bei „Grün“ und Nachzügler, Haftung nach § 17 Abs. 1 StVG

Die Situation: Der Kläger fuhr bei Umschalten auf „Grün“ in den Kreuzungsbereich hinein. Links von ihm befand sich ein Lkw, der nach links abbiegen wollte. Die Beklagte befand sich (eventuell) noch im Kreuzungsbereich (sogen. Nachzügler), konnte aber vom Kläger infolge der Sichtbehinderung durch den abbiegenden Lkw nicht gesehen werden; sie umfuhr den Lkw auf einer nicht von ihr zu nutzenden Fahrspur und stieß so mit dem klägerischen, von rechts kommenden Fahrzeug des Klägers zusammen. Das OLG ging von einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten der Beklagten zu 1/3 zu Lasten des Klägers aus.

Rechtlicher Ausgangspunkt sei hier, dass beide Verkehrsteilnehmer für die Folgen des Unfallgeschehens nach §§ 7, 17, 18 StVG einzustehen hatten, da die Unfallschäden bei dem Betrieb der Fahrzeuge entstanden seien und keine höhere Gewalt vorläge, ferner es sich für keine der Parteien um höhere Gewalt iSv. § 17 Abs. 3 StVG handele. Diese Haftungsverteilung nach § 17 StVG würde aufgrund festgestellter (also unstreitiger, zugestandener oder nach § 286 ZPO bewiesener) Umstände nicht zur Alleinhaftung der Beklagten führen:

Ein Rotlichtverstoß sei für die Beklagte nicht bewiesen. Es streite dafür auch kein Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis setze eine Geschehensablauf voraus, bei dem sich nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss aufdränge, dass ein Verkehrsteilnehmer seine im Verkehr erforderlichen Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt habe und das Unfallgeschehen dafür typisch sei (BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 -).  Der Umstand, dass der Kläger erst nach Grünanzeige für ihn losgefahren sei ließe nicht den Schluss zu, dass die Beklagt bei Rot in den Kreuzungsbereich reingefahren sei; da der Lkw die Beklagte an der Überquerung der Kreuzung gehindert habe, sei es mithin auch möglich, dass sie auch bei Grün in die Kreuzung einfuhr und dort den Abbiegevorgangs des Lkw abgewartet habe.

Allerdings sei bei der Beklagten ein Verstoß gegen § 1 As. 2 StVO zu berücksichtigen, da selbst dann, wenn es sich bei ihr um einen echten Nachzügler handele (was nicht feststünde), hätte sie die Kreuzung nur vorsichtig und unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs verlassen dürfen (OLG Hamm, Urteil vom 26.08.2016 - 7 U 22/16 -). Die Beklagte habe aber ein besonders gefährliches Fahrmanöver vorgenommen, indem sie eine dem Linksabbiegerverkehr aus einer anderen Straße vorbehaltenen Bereich trotz der Sichtbehinderung durch den Lkw nutzte und die Kreuzung ohne Beachtung des von rechts kommenden Verkehrs überquerte. Damit habe sie die ihr obliegende Sorgfalt in erheblichen Maße vermissen lassen.

Auch bei dem Kläger sei ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO festzustellen. Zwar müsste er im Allgemeinen nicht damit rechnen, dass bei einem Einfahren bei Grün in die Kreuzung Querverkehr unter Missachtung des Rotlichts für diesen von der Seite in die Kreuzung einfahre. Das ihm zustehende Vorfahrtsrecht entbinde aber nicht von der Verpflichtung, den aufgrund vorangegangener Lichtphase der Ampeln in die Kreuzung eingefahrenen Verkehrsteilnehmern, die diese nicht mehr rechtzeitig hätten räumen können, das Vorrecht einzuräumen (BGH, Urteil vom 09.11.1976 - VI ZR 264/75 -). Auch bei Grün dürfe daher eine unübersichtliche Kreuzung nur vorsichtig mit Anhaltebereitschaft durchfahren werden, da mit Nachzüglern zu rechnen sei. Auf einen Vertrauensgrundsatz, dass sich keine Nachzügler mehr im Kreuzungsbereich aufhalten würden, könne er sich nicht berufen (BGH, Urteil vom 20.12.1967 – 4 StR 382/67 -).

Hier habe sich der Kläger, dessen Sicht nach links durch den Lkw versperrt gewesen sei, nicht vergewissert, ob sich von dort kommend Nachzügler im Kreuzungsbereich befanden (die Vorrang hätten). Der Umstand, dass der Lkw zum Zeitpunkt des Anfahrens des Klägers noch die Spur nach links blockierte und das Fahrmanöver der Beklagten unter Umfahrung desselben sorgfaltswidrig gewesen sei, käme es nicht an, da es nicht so atypisch gewesen sei, dass der Kläger mit einem solchen Fahrmanöver nicht hätte rechnen müssen.  Dieses sorgfaltswidrige Verhalten sei zu Lasten des Kläger unabhängig davon zu berücksichtigen, ob es sich bei der Beklagten um einen „echten Nachzügler“ handele.

Bei der Abwägung dieser Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Beteiligte nach § 17 Abs. 1 StVG nahm das OLG eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten an.

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom  20.09.2024 - 3 U 28/24 -

Dienstag, 10. Dezember 2024

Rücktritt vom Kaufvertrag: Umweltbonus Teil des Kaufpreises

Streit bestand nach dem Rücktritt des Klägers von einem Kaufvertrag über ein Elektroauto darüber, ob der Verkäufer die staatliche Förderung („Umweltbonus“) an den Käufer erstatten muss. Das Landgericht hat die Zahlungspflicht aus dem Gesichtspunkt der geschuldeten Kaufpreisrückerstattung gem. §§ 346 Abs. 1, 440, 323 Abs. 1. 437, Nr. 2 Fall 1, 433 f BGB bejaht. Die Berufung des Verkäufers (Beklagte) war erfolglos.  

Nach § 346 Abs. 1 BGB seien im Falle eines Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und gezogene Nutzungen herauszugeben. Nach dem Rücktritt des Klägers lägen die Voraussetzungen auch in Bezug auf den nicht ausgekehrten streitgegenständlichen Teilbetrag vor, den der Kläger als staatliche Förderbeihilfe bei dem Erwerb auf seinen Antrag erhalten habe.  Zu der vom Verkäufer „empfangenen Leistung“ iSv. § 346 Abs. 1 BGB gehöre auch der an die Beklagte ausgekehrte Umweltbonus entsprechend Ziffer 5.1 der Richtlinie, der auf deren Antrag nach Zulassung des Fahrzeugs erstatten wurde. Fehlerhaft sei die Annahme der Beklagten, mit der Förderrichtlinie sei (unabhängig von der privatrechtlichen Beziehung der Parteien) nicht vereinbart, dass der Kläger den Bonus behalten könne bei einem Rücktritt vor Ablauf der Mindesthaltedauer. Hier sei aber nur das (öffentlich-rechtlich geprägte) Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Subventionsgeber betroffen. Ferner bestünde auch kein Anspruch der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der „gezogenen Nutzung“ (§ 346 Abs. 1 BGB). Vorteile, die nicht durch Gebrauch sondern nur mittels der Sache gewonnen würden, würden nicht darunter fallen. Die Förderbeihilfe in Form des Umweltbonus würde nicht einen Gebrauch des Kaufgegenstandes anknüpfen, sondern an davon unabhängige Voraussetzungen.

Der Kaufvertrag zwischen den Parteien enthalte hier auch keine Regelungslücke. Es sein keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte eine mit dem Erwerb erlangte staatliche Beihilfe bei einer Rückabwicklung auf die Beklagte übertragen wollten.

Richtig sei allerdings die Auffassung der Beklagten, der Umweltbonus habe nur einen den Marktpreis für Neufahrzeuge begünstigenden Faktor dargestellt, weshalb die Beklage nach Rückerhalt bei Weiterverkauf ohne weitere Fördermöglichkeit und ohne die Möglichkeit, den vom Kläger vereinnahmten Umweltbonus an einen Neukäufer weiterzureichen, voraussichtlich einen Verlust erleiden würde. Dies zu berücksichtigen wäre aber Sache des Richtliniengebers gewesen.

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 03.09.2024 - 6 U 79/23 -

Samstag, 7. Dezember 2024

Doppelkündigung des Mietvertrages nach Zahlungsverzug

oder: Ein Streit zwischen dem 66. Zivilkammer des LG Berlin und dem VIII. Zivilsenat des BGH

Der BGH hat bestätigt, dass bei einer Doppelkündigung bei Zahlungsverzug (d.h. eine fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung) trotz zwischenzeitlicher Zahlung innerhalb der gesetzlichen Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) wirksam bleibt. Dem Rechtsstreit lag wiederholt eine Entscheidung des LG Berlin zu dieser Frage zugrunde, die das LG Berlin (partout) anders beurteilt wissen will als vom BGH (dem zuständigen Senat für Mietsachen) gesehen.

Die Beklagten waren ihren Mietzahlungsfristen aus einem Mietverhältnis aus dem Jahr 1994 in den Monaten Oktober 2019, Januar 2020 und Mai 2021 nicht nachgekommen. Da auch nach mehrmaliger vergeblicher Mahnung durch die Vermieterin (Klägerin) Zahlung nicht erfolgte, kündigte diese mit Schreiben vom 08.06.2021 das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs fristlos (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB) und hilfsweise ordentlich. Am 30.06.2021 wurden die Mietrückstände ausgeglichen. Die Klägerin erhob gleichwohl Räumungsklage, gestützt auf die hilfsweise Räumungsklage. Während das Amtsgericht er Räumungsklage stattgab, wurde sie auf die Berufung der Klägerin durch das Landgericht Berlin abgewiesen, welches zur Begründung darauf verwies, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen Kündigung auch die (wie hier) auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützte hilfsweise ordentliche Kündigung heile. Die Rechtsauffassung des BGH in seinen Urteilen vom 13.10.2021 - VIII ZR 91/20 - und vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -, gestützt auf eine vom BGH angenommene bindende Gesetzgebung, greife nicht, da es dafür an einem verfassungsrechtlich maßgeblichen Bezugspunkt, nämlich einem vom Gesetzgeber stammenden Gesetz, ermangele.  Die vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin war erfolgreich.

Der BGH verwies darauf, dass die nach der Kündigung erfolgte Zahlung lediglich Auswirkung auf die fristlose Kündigung) Auswirkung habe, nicht auf eine zum Kündigungszeitpunkt zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB von der Schonfristzahlung nicht berührt wird. § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB sei auf diese weder unmittelbar noch analog anwendbar. Vorausgehende entsprechende Urteile des Landgerichts habe der BGH bereit mit Urteilen vom 13.10.2021 - VIII ZR 91/20 - und vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 - aufgehoben. Auch die jetzige Rechtsansicht des Landgerichts böten keine Veranlassung von der bisherigen Rechtsprechung des BGH abzuweichen.

Entgegen der Annahme des Landgerichts habe der Senat  nicht auf ein bloßes Verhalten des Gesetzgebers (seine ins Stocken geratene Überlegungen zur Änderung der Rechtslage in Bezug auf die Schonfristzahlung und deren Auswirkung auf die hilfsweise ordentliche Kündigung) abgestellt (dazu BGH, Urteil vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -), weshalb auch der Einwand fehl gehe, der methodische Ansatz des Senats habe „äußerst bedenkliche Konsequenzen für die Rechtsklarheit“ und könne zu „untragbaren Verwerfungen in der parlamentarischen Arbeit“ führen. Die Beurteilung des Senats würde weder jeder parlamentarischen Äußerung ohne weiteres für eine historische Auslegung einer Norm eine Relevanz beigemessen noch davon ausgegangen, dass der Ablehnung oder Nichtverfolgung von Gesetzesvorhaben generell Bedeutung bei der Gesetzesauslegung zukommen.

Eine Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung ergäbe sich auch nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist die Zahlungsrückstände ausgeglichen gewesen wären. Die Pflichtverletzung, die Grundlage der ordentlichen Kündigung sei, würde durch die nachträgliche Zahlung nicht geheilt (BGH, Urteil vom 16.02.2005 - VIII ZR 6/04 -). Die Würdigung, ob diese Pflichtverletzung im Rahmen einer notwendigen Gesamtwürdigung als nicht unerheblich iSv. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen sei, obliege der Beurteilung der Tatsacheninstanz, wobei Dauer und Höhe des Zahlungsverzug zu ermitteln seien (BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 -), wozu das Landgericht keine Feststellungen getroffen habe. Auch habe das Landgericht keine Prüfung vorgenommen, ob bei einem Ausgleich eine Treuwidrigkeit iSv. § 242 BGB angenommen werden könne.

Der BGH hob damit das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Berlin auf. Es machte bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit Gebrauch, dem Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin als die 66. Zivilkammer zurückzuverweisen.

Anmerkung: Es ist sicherlich das Recht des Gerichts von höchstrichterlicher Rechtsprechung abzuweichen und mit eigenen Argumenten eine andere Rechtsansicht zu vertreten. So ist im Grundsatz nichts dagegen einzuwenden, wenn hier die 66. Zivilkammer von der Rechtsprechung des BGH abweicht. Doch irgendwann muss auch dieses Gericht einsehen, dass diese Rechtsprechung gefestigt ist und neue Umstände/Gründe eine Abänderung nicht herbeizuführen mögen. So war vorliegend die Argumentation des Landgerichts im Wesentlichen bereits in den zwei Vorverfahren abgehandelt worden und es hätte auch dem LG Berlin klar sein müssen, dass eine Abänderung nicht zu erreichen ist. Die Zulassung der Revision durch das Landgericht war im Hinblick auf § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO geboten, da von einer Entscheidung des BGH abgewichen wurde. Hier hat das LG Berlin mit seinem Urteil den Parteien Steine statt Brot gegeben – austragen muss dies letztlich kostenmäßig derjenige, der den Rechtsstreit verliert.

Die Entscheidung der Zurückverweisung an eine andere Zivilkammer des LG Berlin war sicherlich aus Bedacht und zutreffend getroffen worden.

BGH, Urteil vom 23.10.2024 - VIII ZR 106/23 -

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Auswirkung der Reform des GbR-Rechts auf ein Teilungsversteigerungsverfahren nach Kündigung

Der Antrag des Beschwerdeführers, der neben der Beschwerdegegnerin Gesellschafter einer immobilienhaltenden GbR zu 50% war, auf Teilungsversteigerung, wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Seine Beschwerde dagegen war auch nicht erfolgreich.

Von dem Beschwerdeführer wurde das Gesellschaftsverhältnis gekündigt und gleichzeitig die freihändige Verwertung der Immobilie angeboten. Die Parteien einigten sich nicht über eine freihändige Verwertung, weshalb der Beschwerdeführerin die Zwangsversteigerung beantragte.

Der Antrag auf Teilungsversteigerung wäre nach altem Recht (§ 731 BGB a.F.) zulässig gewesen, da § 731 BGB a.F. auf das Recht der Gemeinschaft und mithin § 753 BGB und damit auf § 180 ZVG verwies. Diese Verweisungsnorm, auf die sich der BGH stützte (Beschluss vom 16.05.2013 – V ZV  198/12 -), ist mit der Gesetzesänderung zur GbR durch das MoPeG fortgefallen. Die Auseinandersetzung der GbR sei, so das Landgericht in seiner Beschwerdeentscheidung, in den jetzigen §§ 735 ff BGB neu geregelt worden, weshalb nur die Beschwerdeführerin mit er Beschwerdegegnerin als Liquidatoren antragsbefugt wären. Dies würde aber hier den Beschwerdeführer im Falle der Verweigerung des freihändigen Verkaufs oder der Versteigerung nicht schutzlos stellen. Zwar könne er nicht unmittelbar die Teilungsversteigerung beantragen, aber nach § 736a Abs 1 S. 1 BGB bewirken, dass die Beschwerdegegnerin als Liquidatorin (nach § 736 Abs. 1 BGB sind alle Gesellschafter Liquidatoren, es sei denn, der Gesellschaftervertrag enthält eine anderweitige Regelung oder es wurde ein davon abweichender Beschluss gefasst, § 736 Abs. 4 BGB) abberufen wird, § 736a Abs. 1 S. 1 BGB. Mit dieser Norm würde sichergestellt, dass eine Liquidation der Gesellschaft auch erfolgen könne, wenn eine gedeihliche Durchführung der Liquidation durch die Liquidatoren oder (ggf. nach § 736 Abs. 4 BGB) berufenen Liquidatoren nicht zu erwarten sei.

Allerdings ist hier Voraussetzung, dass die GbR im Gesellschaftsgregister eingetragen ist. Diese Eintragung könnte allerdings der die Liquidation hindernde Gesellschafter durch fehlende Mitwirkung verhindern. Dies sah auch das Landgericht und verwies darauf, dass nach den gesetzgeberischen Erwägungen im Einzelfall bei einer vergleichbaren Interessenslage dennoch § 736a BGB entsprechend angewandt werden könne, wie es bereits vor dem Inkrafttreten des die Rechtsgrundlagen für die GbR ändernden MoPeG für eine unternehmenstragende GbR angenommen worden sei.

Auch aus § 736d Abs. 2 BGB sei keine Antragsbefugnis des Beschwerdeführers abzuleiten. Danach seien im Zweifel alle Vermögensgegenstände freihändig zu verkaufen oder, wenn dies sinnvoll ist, zu versteigern. Da bedeute aber nicht, dass nach einer Kündigung (wie hier) keine Gesellschafterbeschlüsse mehr erforderlich wären. Widerspräche ein Liquidator dem Verkauf oder einer Versteigerung (wofür auch vernünftige Gründe vorliegen könnten) wäre im Rahmen eines Verfahrens nach § 736a BGB (gerichtliche Entscheidung) festzustellen, ob dieser Liquidator die Durchführung der Liquidation durch sein Verhalten verhindern will und damit ein Grund besteht, ihn abzuberufen. Entstünde durch die Verweigerungshaltung den anderen Liquidatoren ein Schaden /z.B. durch einen niedrigeren Verkaufspreis), wäre dieser ggf. durch ihn zu ersetzen.

Eine Notgeschäftsführung käme mangels einer Regelungslücke in Ansehung der gesetzgeberischen Intention der Anlehnung an das Recht der OHG und KG nicht in Betracht.

LG Hamburg, Beschluss vom 11.06.2024 - 328 T 16/24 -

Mittwoch, 4. Dezember 2024

Darlegungsumfang zur Kompatibilität von Schäden nach Kfz-Unfall

Streitig war, ob ein Fahrzeugschaden, den der geschädigte Kläger gerichtlich geltend machte, durch den dort streitigen Unfall verursacht wurde.  Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, die Berufung wurde im Beschlussweg nach § 522 ZPO zurückgewiesen. Dabei wies das Berufungsgericht darauf hin, dass bei Richtigkeit der Angaben des erstinstanzlich vernommenen Zeugen zum Zustand des Klägerfahrzeugs vor Fahrtantritt die nicht kompatiblen Schäden nicht im Nachhinein entstanden sein; es stünde die ernsthafte Möglichkeit einer Manipulation im Raum, was gestützt würde durch die Verweigerung der von der beklagten Haftpflichtversicherung erbetenen Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs vor dessen Verkauf durch den Kläger gestützt würde. Auch wenn der Sachverständige ausgeführt habe, bestimmte abgrenzbare Schäden (Türaußengriff, Beifahrertür, rechter Außenspiegel, Scheinwerfer, rechte Seitenwand) seien auf das Schadensereignis zurückzuführen, ändre dies nichts, da der Klägerdarzulegen habe, dass und in welchem Umfang ein Vermögensnachteil entstanden sei.

Mit dieser Entscheidung sah der BGH durch das OLG das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 GG) als verletzt an. Danach sei das Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge gehöre dazu. Dies gelte auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung darauf beruhen würde, dass das Gericht wie hier (verfahrensfehlerhaft) überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei stelle (BGH, Beschluss vom 06.06.2023 – VI ZR 197/21 -).

Das OLG habe alleine darauf abgestellt, der Kläger habe nicht dargelegt, welche der behaupteten Schäden an seinem Fahrzeug durch die Kollision mit dem gegnerischen Fahrzeug entstanden seien und welche nicht. Ferner sei das OLG der Annahme, der Kläger müsse zu vom Sachverständigen als kompatibel festgestellten Schäden vortrage, welche in dem von ihm vorgelegten Schadensgutachten enthaltenen Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung erforderlich seien.

Dieser Vortrag durch den Kläger sei nicht erforderlich. Der Sachverständige habe dargestellt, welche Schäden durch die Kollision verursacht seien. Damit aber sei die Abgrenzung oder Abgrenzbarkeit keine Frage der Darlegung, sondern gegebenenfalls ein Gesichtspunkt der Beweiserhebung und richterlichen Überzeugungsbildung, ob der Kläger den ihm obliegenden Beweis zumindest teilweise erbracht habe (BGH, Beschluss vom 06.06.2023 - VI ZR 197/21 -).

Ebenfalls als überspannt sah der BGH die Anforderung des OLG an, der Kläger habe darzulegen, welche der in dem von ihm vorgelegten Sachverständigengutachten benannten Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung der Schäden an dem klägerischen Pkw, deren Kompatibilität der Sachverständige festgestellt habe, erforderlich seien und klar eine Abgrenzung vorzunehmen. Der BGH verwies darauf, dass hier nicht der Vollbewies nach § 286 ZPO zu erbringen sei, sondern das Beweismaß des § 287 ZPO ausreichend sei, wodurch nicht nur die Beweisführung, sondern auch bereits die Darlegung erleichtert würde (BGH, Beschluss vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 -).  Weder müsse der Geschädigte zur substantiierten Darlegung eines geltend gemachten Schadens ein Privatgutachten vorlagen, noch ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung gemäß ergänzen. Vielmehr könne der Geschädigte durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich angenommenen Höhe Reparaturkosten anfallen (BGH, Beschluss vom 06.06.2023 – VI ZR 197/21 -).

BGH, Urteil vom 25.09.2024 - VIII ZR 58/23 -

Samstag, 30. November 2024

Grundbuchumschreibung, notarielles Testament und Pflichtteilsstrafklausel

Am 27.09.2004 errichteten die Eheleute eine notarielles gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen und uneingeschränkten Erben einsetzten. Der Längerlebende sollte durch die Beteiligten (ihre Kinder) zu gleichen Teilen beerbt werden; im Falle des Vorversterbens eines der Kinder sollten dessen Abkömmlinge an seine Stelle treten, für die Beteiligte zu 4, die keine Ankömmlinge hatte, sollte deren Anteil den übrigen Beteiligten bzw. deren Abkömmlingen anwachsen. Weiter wurde im Testament aufgenommen, dass derjenige Erbe, der nach dem Erstversterbenden seinen Pflichtteil verlangt, nach dem Zuletztversterbenden auch lediglich seinen Pflichtteil verlangen könne und im Übrigen der freiwerdende Nachlass den übrigen Beteiligten bzw. deren Abkömmlingen zu gleichen Teilen zufließen sollte, die im ersten Erbgang keinen Pflichtteil verlangten.

2014 verstarb der Vater, der Eigentümer eines Grundstücks war; die Mutter wurde als Eigentümerin Im Grundbuch eingetragen. In 2022 verstarb die Mutter. Am 09.05.2023 schlossen die Beteiligten einen notariellen Erbauseinandersetzungsvertrag, demzufolge der Beteiligte zu 3 das Grundstück übernehmen sollte; die Eigentumsänderung wurde bewilligt und beantragt und am 15.06.2023 beantragte die Notarin die Eigentumsumschreibung. Das Grundbuchamt erließ am 28.06.2023 eine Zwischenverfügung, da das Testament als Erbnachweis nicht genüge, da dieses eine Pflichtteilsstrafklausel enthalte. Der Erbnachweis könne durch Vorlage eines Erbscheins oder durch notariell beurkundete eidesstattliche Versicherungen aller Erben, dass keiner von ihnen nach dem Tod des Erstverstorbenen den Pflichtteil geltend gemacht habe, erfolgen. Daraufhin formulierte die Notarin eine Erklärung „Zur Vorlage bei dem Amtsgericht … - Grundbuchamt  -“, „dass nach dem Tod des Erstversterbenden unserer Eltern – keinerlei Pflichteilsansprüche geltend gemacht worden seien“ und sie damit die Mutter zu je 1/5 beerbt hätten. Sodann versicherten die Beteiligten, über die Folgen einer vorsätzlich oder fahrlässig abgegebenen falschen eidesstattlichen Versicherung belehrt worden zu sein und versicherten die Richtigkeit der Erklärung an Eides statt. Diese Erklärung sandte sie den Beteiligten mit dem Hinweis, dass die Erklärung in öffentlich beglaubigter Form abzugeben sei und in Hessen daher entweder die Unterschrift durch ein Ortsgericht oder einen Notar beglaubigt werden müsse, wobei sie aus Kostengründen zur Beglaubigung durch das Ortsgericht anriet. Die Beteiligten ließen ihre Unterschrift (vier Beteiligte in Hessen durch den Ortsgerichtsvorsteher, ein Beteiligter in Baden-Württemberg durch einen Notar) beglaubigen. Die Schriftstücke wurden bei dem Grundbuchamt eingereicht.

Mit weiterer Zwischenverfügung vom 16.08.2023 wies das Grundbuchamt darauf hin, dass das Eintragungshindernis nicht behoben worden sei. Die eidesstattlichen Versicherungen sämtlicher Miterben seien in notarieller Form vorzulegen, Unterschriftsbeglaubigen würden nicht ausreichen. Die Notarin legte gegen die Zwischenverfügung Beschwerde für die Beteiligten ein. Dieser half das Grundbuchamt nicht ab und leget die Beschwerde zur Entscheidung dem Oberlandesgericht (OLG) vor, welches sie zurückwies. Es sah die Beschwerde zwar als zulässig, in der Sache als nicht begründet an.

Die nach § 18 Abs. 1 S. 1 GBO veranlasste Zwischenverfügung sei zutreffend durch ein Eintragungshindernis veranlasst worden, da nicht mit den im Grundbuchverfahren zulässigen Mitteln nachgewiesen worden sei, dass die die Eigentumsübertragung bewilligenden Beteiligten in Erbengemeinschaft die Eigentümer seien, deren Recht durch die Übertragung betroffen würde.

Die Bewilligung müsse gem. § 19 GBO durch denjenigen erfolge, dessen Recht betroffen sei. Damit müssten die Bewilligenden die Erben der noch im Grundbuch eingetragen Mutters ein. Der Nachweis habe grundsätzlich durch öffentliche Urkunden zu erfolgen, § 28 Abs. 1 GBO. Ein Nachweis der Erbfolge könne durch einen Erbschein oder (vorliegend nicht in Betracht kommend) ein Europäisches Nachlasszeugnis geführt werden, aber auch, beruhe die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten sei, durch die Verfügung von Todes wegen, die die Erbfolge nachweise, § 35 Abs. 1 S. 2 GBO.

In Form des notariellen Testaments läge eine öffentliche Urkunde vor. Allerdings würde dieses die Erbfolge nicht nachweisen, da aus ihm nicht ersichtlich sei, ob nach dem Tod des Vaters ein Pflichtteil begehrt wurde und damit Erben der Mutter ausgeschieden seien. Sollten alle Beteiligten ihren Pflichtteil nach dem Tod des Vaters geltend gemacht haben, wäre nicht ersichtlich, dass die Berechtigten die Eigentumsübertragung bewilligt hätten. Dieser Fall sei im Testament nicht geregelt worden und deshalb seien zwei Auslegungsmöglichkeiten gegeben: Entweder greife die gesetzliche Erbfolge, dann wäre der Nachweis nicht durch Testament erbracht, oder es erben die Abkömmlinge der eingesetzten Erben, dann hätten nicht die Berechtigten die Eigentumsänderung bewilligt.

Das OLG setzte sich sodann damit auseinander, wie der Nachweis einer (hier) negativen Tatsache der fehlenden Geltendmachung des Pflichtteils erfolgen kann und vertritt mit einer verbreiteten Ansicht in der Rechtsprechung die Auffassung, dass dafür die von einem Notar aufgenommene eidesstattliche Versicherung genüge (z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 17.08.2011 - I-15 W 242/11-; OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.08.2012 - 2 W 138/12 -). Im Regelfall habe nur die eidesstattliche Versicherung einen hinreichenden Beweiswert, da im Unterschied zur einfachen Erklärung nur die falsche Versicherung an Eides statt nach § 156 StGB strafbar sei. In Ansehung des zu erreichenden Beweiswertes nach § 35 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GBO müsse die Erklärung eine möglichst hohe Gewähr der inhaltlichen Richtigkeit bieten; die eine Erklärung falschen Inhalts sei nicht ohne weiteres strafbar und biete daher nicht dieselbe und damit ausreichende Gewähr für die Richtigkeit wie die notarielle Erklärung (anders u.a. OLG Schleswig, Beschluss vom 16.08.2024 - 2x W 46/24 -).

Es sei auch erforderlich, dass die Erklärung von einem Notar aufgenommen wird, da nur dann von einer angemessenen Belehrung über die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherung ausgegangen werden könne (§ 38 Abs. 2 BeurkG). Diese Belehrung sie erforderlich, um den dargelegten notwendig möglichst hohen Beweiswert zu erzielen. Erfolge lediglich eine Unterschriftsbeglaubigung durch einen Notar, bestünde nach § 49 Abs. 2 BeurkG keine Beratungspflicht. Eine anderweitig vorformulierte Belehrung, wie hier, biete schon wegen der fehlenden Möglichkeit zu Rückfragen (der Erklärenden an den Notar) keine der Aufnahme durch den Notar gleichwertige Alternative.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.09.2024 - 20 W 212/23 -

Freitag, 29. November 2024

Gemeinschaftliches Testament, Trennung von Verfügungen und Umfang der Eröffnung

Die Eheleute hatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Der überlebende Ehemann (Beteiligter zu 1) hatte beantragt, das hinterlegte Testament nur teilweise (ohne dessen Ziffer 3) zu eröffnen und bekannt zu geben. Mit Beschluss verwies das Nachlassgericht darauf, dass es gedenke das gesamte Testament zu eröffnen und den Beteiligten bekanntzugeben, mit der Begründung, dass zwar nach § 349 Abs. 1 FamFG trennbare Verfügungen des Überlebenden erst im zweiten Erbgang bekannt zu geben seien, es sich hier aber nicht um eine trennbare Verfügung handele. Die gegen den Beschluss eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Obwohl es sich bei dem Beschluss nur um eine Zwischenentscheidung handelte, sah das OLG die Beschwerde als zulässig an, da sie hier wegen der Schwere der aus ihr möglicherweise folgenden Rechtsverletzung wie eine Endentscheidung zu behandeln sei und damit der Beschwerdeweg nach § 59 FamFG eröffnet sei (so auch bereits OLG München, Beschluss vom 07.04.2021 - 31 Wx 108/21 -).

Das Nachlassgericht habe das in seiner Verwahrung befindliche Testament zu eröffnen, sobald es vom Tod des Erblassers Kenntnis erlange, § 348 Abs. 1 FamFG. Grundsätzlich habe sich die Eröffnung auf das gesamte Schriftstück zu beziehen. Für die Eröffnung gemeinschaftlicher Testamente mache § 349 Abs. 1 FamFG insoweit eine Ausnahme, als im Geheimhaltungsinteresse des überlebenden Ehegatten dessen Verfügungen den übrigen Beteiligten nicht bekannt zu eben seien, soweit sie sich von den Verfügungen des Erstverstorbenen trennen ließen.  

Vorliegend sei Ziffer 3 im gemeinschaftlichen Testament nicht trennbar. Die Rechtsprechung sei dahingehend einheitlich, dass die Trennbarkeit bei Verwendung der sprachlichen Mehrheitsform (Wir-Form“) nicht vorläge, ebenso nicht, wenn die Verfügungen von den Eheleuten mit „der Überlebende von uns“ oder „der Längstlebende von uns“ eingeleitet würden (z.B. OLG München aaO.; OLG Schleswig, Beschluss vom 23.11.2012 - 3 Wx 74/12 -). Dadurch würde zum Ausdruck gebracht, dass nicht nur überlebende Ehegatte die Verfügung getroffen habe, sondern auch der Erstverstorbene. Unbeachtlich sei dabei, dass die Verfügung die der Erstverstorbene für den Fall, dass er der Längerlebende gewesen wäre, getroffen habe, würde nicht dadurch unwirksam, dass er nun Erstverstorbener ist; die Frage der Wirksamkeit der Verfügungen sei bei Eröffnung des Testaments gerade nicht zu prüfen (BGH, Beschluss vom 11.04.1984 - Iva ZB 16/83 -). Die Eheleute hätten es durch entsprechende sprachliche Formulierungen in der Hand gehabt, ihre jeweiligen Verfügungen in trennbarer Weise vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 02.02.1994 - 1 BvR 1245/89 -).

Auch der hier vorliegende Umstand, dass dem Überlebenden das Recht zur Änderung der unter Ziffer 3 benannten Verfügung eingeräumt worden sei, stünde einer Eröffnung nicht entgegen, Die Befugnis würde dem Überlebenden nicht genommen und die Bekanntgabe setze auch für die weiteren Beteiligten keine Fristen hinsichtlich etwa der Ausschlagung oder Anfechtung der testamentarischen Verfügungen des Überlebenden für den Erbfall nach dem Längstlebenden in Lauf.

Hinweis: Soll das Testament im Fälle des Todes des Erstversterbenden nicht in Gänze eröffnet werden, müssen die Eheleute (Lebenspartner) mithin deutlich in den jeweiligen Verfügungen zum Ausdruck bringen, ob es sich nur um eine Verfügung von einem von ihnen oder eine gemeinschaftliche Verfügung handelt. Die Wir-Form streitet stets, unabhängig vom Inhalt, für eine gemeinschaftlich getroffene Verfügung. Soll sie nur für einen von ihnen getroffen werden, muss dies ausgeführt werden (z.B.: „Ich, XY ….“). 

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.05.2024 - 8 W 13/24  -

Mittwoch, 27. November 2024

Unterlassene Mitteilung über Veräußerung der Mietsache

Die Kläger hatten nach Mietende Klage auf Rückzahlung der Kaution erhoben. Doch war der Beklagte nicht mehr Vermieter; er hatte es unterlasen, den Klägern den Eigentumswechsel mitzuteilen. Da mit dem Eigentumswechsel der Rechtsnachfolger im Eigentum zur Rückzahlung der Kaution verpflichtet war, § 556a S. 1 BGB, wäre mithin – ohne übereinstimmende Erledigungserklärung – hier die Klage auf Kosten der Kläger abzuweisen gewesen. Das Amtsgericht erlegte den Klägern die Kosten auf, deren sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung erfolgreich war.

Das Landgericht verwies darauf, dass den Klägern ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch im Hinblick auf die angefallenen Prozesskosten zustünde, der im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen sei (BGH, Urteil vom 22.11.2001 – VII ZR 405/00 -).  Der Beklagte sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, die Kläger (vor Klageerhebung) darauf hinzuweisen, dass eine Veräußerung des Grundstücks stattgefunden habe.  Dies leitete das Landgericht aus § 242 BGB (Treu und Glauben) und aus einer reziproken Anwendung des Rechtsgedankens des § 555e BGB (Kündigung nach Modernisierungsankündigung) ab. Die Kläger als Mieter hätten, ohne eine Prüfung im Grundbuch vorzunehmen, davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte weiterhin Eigentümer ist und für die Rückzahlung der Kaution hafte.  

Anmerkung: Danach hätte der Beklagte auch im Falle einer Klagerücknahme der Kläger die Kosten zu tragen gehabt, § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.  

LG Berlin, Beschluss vom 04.07.2024 - 67 T 37/24 -

Sonntag, 24. November 2024

(Kunst-) Urheberschutz, Panoramafreiheit und Drohnen

Die Klägerin klagte gegen die Beklagte wegen eines von ihr veröffentlichten Buches, welches mittels einer Drohne gefertigte Luftbildaufnahmen von Installationen von Künstlern enthielt mit dem Antrag, der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln, ohne ihre Einwilligung die Veröffentlichung von Abbildungen, Vervielfältigungen  und Verbreitung (selbst oder durch Dritte) von Werken bestimmter Künstler zu unterlassen und begehrte darüber hinaus Schadensersatz. Das Landgericht gab der Klage statt. Im Rahmen der Berufung wurde vom OLG lediglich der Schadenersatzanspruch heruntergesetzt. Die vom OLG zugelassene Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Die Aktivlegitimation der Klägerin (ein rechtsfähiger Verein kraft staatlicher Verleihung, dessen satzungsgemäßer Zweck die treuhänderische Wahrnehmung der Nutzungs- und Einwilligungsrechte sowie der Vergütungsansprüche von Urhebern und Leistungsberechtigten im visuellen Bereich war, stand fest (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 iVm. §§ 16, 17 UrhG). Die Beklagte, so der BGH, habe in die den Urhebern nach §§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 iVm. §§ 16, 17 UrhG zustehenden Rechte zur Vervielfältigung und Verbreitung der Werke eingegriffen.

Es handele sich um bildliche Widergaben von Installationen der Künstler gehandelt, die iSv. § 16 Abs. 1 UrhG vervielfältigt worden seien. Dazu würde jede körperliche Festlegung eines Werks zählen, die geeignet sei, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen, einschließlich der bildlichen Wiedergabe von körperlicher Kunst (BGH, Urteil vom 23.02.2017 – I ZR 92/16 -). Die Beklagte habe durch den Vertrieb der Bücher mit Lichtbildern der Installationen, auch in das Verbreitungsrecht der Urheber eingegriffen (BGH aaO.).

Es habe sich nicht um erlaubte Nutzungen der dargestellten Werke nach § 59 Abs. 1 UrhG gehandelt. Danach sei es nur erlaubt, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befänden, mit Mitteln der Malereien oder Grafik, Lichtbild oder Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. De Aufstellung eines Kunstwerks an einem öffentlichen Ort bringe zum Ausdruck, dass das Werk der Allgemeinheit gewidmet sei und damit jedermann es abbilden und diese Abbildung verwerten dürfe.

Bei der Auslegung von § 59 Abs. 1 S. 1UrhG (Panoramafreiheit) sei zu berücksichtigen, dass diese Reglung der Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG diene. Danach könnten die Mitgliedstaaten für bleibend an öffentlichen Orten befindlichen Werken der Baukunst oder von Plastiken Ausnahmen von Beschränkungen des Vervielfältigungsrechts vorsehen. Wenn sie eine Ausnahme von der Beschränkung des Vervielfältigungsrechts vornehmen könnten, könnten sie auch eine Ausnahme von Beschränkungen vom Verbreitungsrecht vornehmen, soweit dies durch den Zweck der erlaubten Vervielfältigung gerechtfertigt sei.

Vorliegend handele es sich bei den Fotografien um Lichtbilder iSv. § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG. Die Installationen hätten sich „an“ öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befunden, wenn sie von dort aus wahrnehmbar gewesen wären, unabhängig davon, ob das Werk selbst öffentlich zugänglich wäre. Wege, Straßen und Plätze seien „öffentlich“, wenn sie für jedermann frei zugänglich seien.

Hier seien die Installationen von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus wahrgenommen werden.

Die Lichtbilder seien aber mittels Drohnen aus dem Luftraum gefertigt worden. Solche Lichtbilder seien von der durch § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG gewährleisteten Panoramafreiheit nicht erfasst. § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG stelle eine Schrankenbestimmung dar, die es dem Publikum ermöglichen soll, das, was es mit eigenen Augen von der öffentlich zugänglichen Straße, Weg oder Platz sehen kann, als Gemälde, Zeichnung, Fotografie oder Film zu betrachten. Diese Freiheit gelte aber nicht, wenn der Blick z.B. durch Fotografie von einem für das allgemeine Publikum unzugänglichen Ort aus fixiert werden soll (BGH, Urteil vom 05.06.2003 - I ZR 192/00 -, Hundertwasserhaus). Auch seien keine Aufnahmen des Werks erfasst, die unter Verwendung von Hilfsmitteln (wie Leitern) oder nach Beseitigung von bildschützenden Vorrichtungen (wie Hecken) angefertigt würden. Dies gelte auch für die Zuhilfenahme von Fluggeräten wie hier der Drohne.

BGH, Urteil vom 23.10.2024 - I ZR 67/23 -

Donnerstag, 21. November 2024

Sicherheitsleistung im Urteil bei „gemischter Vollstreckung“

Das Landgericht hatte der Klage auf Räumung des Pachtgegenstandes und auf Zahlung rückständiger Pacht stattgegeben. Das Urteil wurde gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 150.425,00 für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Beklagte legte gegen das Urteil Berufung ein. Vom Kläger wurde in Bezug auf den Räumungsausspruch gem. § 718 ZPO eine Vorabentscheidung über die Vollstreckbarkeit des Räumungsanspruchs begehrt, wonach der Räumungsanspruch ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar sein sollte. Diesen Antrag sah das OLG als zulässig, aber nur teilweise als begründet an.

Die Grundlage des Antrages, § 718 S. 1 ZPO, lässt eine Vorabentscheidung des Berufungsgerichts über die Vollstreckbarkeit zu, die ohne mündliche Verhandlung durch Teilurteil ergehen kann, § 718 S. 2 ZPO. Der Antrag kann auch von der Partei gestellt werden, die selbst keine eigene Berufung oder Anschlussberufung eingelegt hat.  

Vom OLG wird darauf verwiesen, dass § 718 Abs 1 ZPO anwendbar sei, wenn das Urteil in der Hauptsache angegriffen würde, und die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung der §§ 708, 709 und 711 S. 1 ZPO beruhe. Diese Voraussetzungen sah das OLG allerdings hier nicht.

So sei die Annahme des Klägers fehlerhaft, § 708 Nr. 7 ZPO käme zur Anwendung, weshalb der Räumungsanspruch ohne Sicherheitsleistung zulässig sei. § 708 N. 7 ZPO greife ausschließlich für Mietverhältnisse (entspr. § 23 Nr. 2a GVG), nicht für Pachtverhältnisse. Dafür spreche der Ausnahmecharakter der Norm, der allein die besondere Eilbedürftigkeit bei Mietsachen im Auge habe (OLG Düsseldorf, Teilurteil vom 24.06.2008 - I-24 U 74/08 -). Die Gegenansicht des OLG Celle (16.05.2023 - 2 U 37/23 -) mit Verweis auf § 227 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO überzeuge nicht, zumal die benannte Norm wegen des unterschiedlichen Wortlauts der Normen nicht tragen würde.

Zu einem Hilfs-Hilfsantrag des Klägers verwies das OLG darauf, dass es auch danach bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung nach § 709 ZPO verbleibe. Allerdings träfe die Auffassung des Klägers zu, dass bei einer „gemischten Vollstreckung“ (hier Geldforderung und Räumung, letztere als vertretbare Handlung) zu differenzieren sei und für den Räumungsanspruch und die Geldforderung gesonderte Sicherheitsleistungen festzusetzen seien. Dies berücksichtigend sei von den Werten der begehrten Ansprüche (Räumung € 75.000,00 und Geldforderung € 61.750) ein Zuschlag von jeweils 10% hinzuzurechnen, wobei sich das OLG insoweit an der Kommentierung von Herget in Zöller, ZPO, 25. Auf. Zu § 709 Rn. 6 orientierte, der den Zuschlag mit möglichen Schäden des Schuldners aus der Vollstreckung (im Falle seines Obsiegens im weiteren Verfahren) begründet. Das ergab rechnerisch  für den Räumungsanspruch eine Sicherheitsleistung in Höhe von € 82.500,00. Für die Geldforderung wurde gemäß § 709 ZPO die Sicherheitsleistung im Hinblick auch auf den Aufschlag von 10% auf 110% des zu vollstreckenden Betrages festgesetzt.

OLG Rostock, Teilurteil vom 26.09.2024 - 3 U 56/24 -

Sonntag, 17. November 2024

Private Unfallversicherung: Ablauf einer Frist wegen fehlender Invaliditätsfeststellung

Mancher wird froh sein, nach einem Unfall eine private Unfallversicherung zu haben. Doch auch hier sind „Spielregeln“ zu beachten, damit ein versicherungsvertraglicher Anspruch auch erfolgreich geltend gemacht werden kann, wie ein Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO des OLG Dresden zeigt.

Der Entscheidung lag ein Antrag der versicherten Klägerin bei der beklagten privaten Unfallversicherung auf Feststellung des Invaliditätsgrades aufgrund eines Unfalls vom 24.05.2019 zugrunde. Dem wurde von der Beklagten wegen Fristversäumung nicht stattgegeben. Die Klage wurde vom LG Leipzig (LG) abgewiesen. Das OLG wies die Klägerin in seinem Beschluss darauf hin, dass es gedenke deren Berufung durch einstimmigen Beschluss wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Berufung zurückzuweisen.

Das LG habe die Klage zutreffend abgewiesen, da die Frist zur Invaliditätsfeststellung nach Z. 2.1.1.1. AUB 2000, demzufolge die Invalidität binnen 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt werden müsse nicht eingehalten worden sei. Die Überlassung eines Krankenhausentlassungsberichts, der keine Angaben zur Invalidität enthalten habe, sei nicht ausreichend gewesen.

Es handele sich bei der fristgerechten Feststellung um eine Anspruchsvoraussetzung (BGH, Urteil vom 22.05.2019 - IV ZR 73/18 -), welche dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht diene und selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden führe, wenn dem Versicherten an der Nichteinhaltung der Frist keine Schuld träfe (BGH, Urteil vom 07.03.2007 – IV ZR 137/06 -). Die Beklagte könne sich auch auf die in ihren Versicherungsbedingungen berufen, da sie den Kläger gem. § 186 VVG auf die vertraglichen Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen hingewiesen habe. Dort wurde dem Versicherten mitgeteilt, dass ein Anspruch auf Invaliditätsleistung bestünde, wenn innerhalb von einem Jahr nach dem Unfall die Invalidität eingetreten sei und innerhalb von 15 Monaten von einem Arzt schriftlich festgestellt worden sei (Schreiben vom 27.05.2019), was sogar noch einmal mit Schreiben vom 11.06.2019 wiederholt worden sei mit der Aufforderung, die Fristen, die bis zum 24.06.2020 laufen würden, zu beachten und bei Nichteinhaltung derselben kein Leistungsanspruch bestünde. Mit einem weiteren Schreiben vom 25.05.2020 wurde der Kläger noch einmal entsprechend belehrt und diesem ein Formular (Ärztliche Bescheinigung zur Begründung eines Invaliditätsanspruchs) beigefügt, welches von einem Arzt ausgefüllt werden müsse, und es wurde aufgeführt, welche Unterlagen vorgelegt werden müssten. Das vom Arzt ausgefüllte Formular wurde der Beklagten nach Fristablauf überlassen.

Die Berufung der Beklagten auf den Fristablauf sei auch nicht treuwidrig. Treuwidrig könnte dies dann sein, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumung deutlich würde, er aber eine Belehrung gleichwohl unterlasse, wovon auszugehen sei, wenn der Invaliditätsanspruch rechtzeitig geltend machen würde, seine Angaben bzw. vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahelegen, allerdings die ärztliche Feststellung der Invalidität noch fehlen würde (BGH, Urteil vom 30.11.2005 - IV ZR 154/04 -). Diese Voraussetzungen sah hier das OLG als nicht vorliegend an.

Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, ihr Schreiben vom 03.06.2020 sei nicht beantwortet worden. Darin habe sie der Beklagten einen OP-Termin am 08.06.2020 benannt und angefragt, ob diese Information ausreichend sei; mangels einer Beantwortung habe sie dann den Krankenhausentlassungsbericht am 09.06.2020 übersandt.  Allerdings habe die Beklagte mit dem Schreiben vom 08.06.2020 reagiert und die Klägerin darauf hingewiesen, dass der Invaliditätsanspruch unabhängig vom Behandlungsverlauf und dem Zeitpunkt der Operation geltend zu machen sei und zudem auf die Erläuterungen in den vorangegangenen Schreiben verwiesen. Damit aber habe die Klägerin nicht davon ausgehen könne, dass die Überlassung des Entlassungsberichts ausreichend sei. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, noch einmal auf die Notwendigkeit der ärztlichen Feststellung hinzuweisen, nachdem der Entlassungsbericht keine Angaben zu einer Invalidität enthielt.

Festzuhalten bleibt: Im Rahmen der privaten Unfallversicherung sind für die Feststellung von Invalidität und daraus möglichen Leistungen Fristen vorgegeben und ist eine bestimmte Form (nämlich die schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt) vorgesehen. Zeigt der Versicherungsnehmer der Versicherung einen Unfall an und belehrt der Versicherer den Versicherungsnehmer gem. § 186 VVG über die Voraussetzungen und einzuhaltenden Fristen für einen möglichen Anspruch, geht ein Fristversäumung zu Lasten des Versicherungsnehmers. Nur ausnahmsweise kann sich der Versicherungsnehmer auf eine Treuwidrigkeit und Rechtsmissbrauch berufen, wenn dem Versicherer deutlich wird, dass der Versicherungsnehmer noch Belehrungsbedarf habe, so wenn er Unterlagen einreicht, die zwar auf eine Invalidität deuten, nicht aber die schriftliche Feststellung derselben durch einen Arzt beinhalten; in diesem Fall muss der Versicherer noch einmal belehren, da ansonsten die Berufung auf den Fristablauf rechtsmissbräuchlich ist. Zu beachten ist auch, dass eine erst nach Fristablauf festgestellte Invalidität keinen Anspruch gegen den Versicherer rechtfertigt.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 18.07.2024 - 4 U 266/24 -