Samstag, 7. Dezember 2024

Doppelkündigung des Mietvertrages nach Zahlungsverzug

oder: Ein Streit zwischen dem 66. Zivilkammer des LG Berlin und dem VIII. Zivilsenat des BGH

Der BGH hat bestätigt, dass bei einer Doppelkündigung bei Zahlungsverzug (d.h. eine fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung) trotz zwischenzeitlicher Zahlung innerhalb der gesetzlichen Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) wirksam bleibt. Dem Rechtsstreit lag wiederholt eine Entscheidung des LG Berlin zu dieser Frage zugrunde, die das LG Berlin (partout) anders beurteilt wissen will als vom BGH (dem zuständigen Senat für Mietsachen) gesehen.

Die Beklagten waren ihren Mietzahlungsfristen aus einem Mietverhältnis aus dem Jahr 1994 in den Monaten Oktober 2019, Januar 2020 und Mai 2021 nicht nachgekommen. Da auch nach mehrmaliger vergeblicher Mahnung durch die Vermieterin (Klägerin) Zahlung nicht erfolgte, kündigte diese mit Schreiben vom 08.06.2021 das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs fristlos (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB) und hilfsweise ordentlich. Am 30.06.2021 wurden die Mietrückstände ausgeglichen. Die Klägerin erhob gleichwohl Räumungsklage, gestützt auf die hilfsweise Räumungsklage. Während das Amtsgericht er Räumungsklage stattgab, wurde sie auf die Berufung der Klägerin durch das Landgericht Berlin abgewiesen, welches zur Begründung darauf verwies, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen Kündigung auch die (wie hier) auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützte hilfsweise ordentliche Kündigung heile. Die Rechtsauffassung des BGH in seinen Urteilen vom 13.10.2021 - VIII ZR 91/20 - und vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -, gestützt auf eine vom BGH angenommene bindende Gesetzgebung, greife nicht, da es dafür an einem verfassungsrechtlich maßgeblichen Bezugspunkt, nämlich einem vom Gesetzgeber stammenden Gesetz, ermangele.  Die vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin war erfolgreich.

Der BGH verwies darauf, dass die nach der Kündigung erfolgte Zahlung lediglich Auswirkung auf die fristlose Kündigung) Auswirkung habe, nicht auf eine zum Kündigungszeitpunkt zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB von der Schonfristzahlung nicht berührt wird. § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB sei auf diese weder unmittelbar noch analog anwendbar. Vorausgehende entsprechende Urteile des Landgerichts habe der BGH bereit mit Urteilen vom 13.10.2021 - VIII ZR 91/20 - und vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 - aufgehoben. Auch die jetzige Rechtsansicht des Landgerichts böten keine Veranlassung von der bisherigen Rechtsprechung des BGH abzuweichen.

Entgegen der Annahme des Landgerichts habe der Senat  nicht auf ein bloßes Verhalten des Gesetzgebers (seine ins Stocken geratene Überlegungen zur Änderung der Rechtslage in Bezug auf die Schonfristzahlung und deren Auswirkung auf die hilfsweise ordentliche Kündigung) abgestellt (dazu BGH, Urteil vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -), weshalb auch der Einwand fehl gehe, der methodische Ansatz des Senats habe „äußerst bedenkliche Konsequenzen für die Rechtsklarheit“ und könne zu „untragbaren Verwerfungen in der parlamentarischen Arbeit“ führen. Die Beurteilung des Senats würde weder jeder parlamentarischen Äußerung ohne weiteres für eine historische Auslegung einer Norm eine Relevanz beigemessen noch davon ausgegangen, dass der Ablehnung oder Nichtverfolgung von Gesetzesvorhaben generell Bedeutung bei der Gesetzesauslegung zukommen.

Eine Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung ergäbe sich auch nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist die Zahlungsrückstände ausgeglichen gewesen wären. Die Pflichtverletzung, die Grundlage der ordentlichen Kündigung sei, würde durch die nachträgliche Zahlung nicht geheilt (BGH, Urteil vom 16.02.2005 - VIII ZR 6/04 -). Die Würdigung, ob diese Pflichtverletzung im Rahmen einer notwendigen Gesamtwürdigung als nicht unerheblich iSv. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen sei, obliege der Beurteilung der Tatsacheninstanz, wobei Dauer und Höhe des Zahlungsverzug zu ermitteln seien (BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 -), wozu das Landgericht keine Feststellungen getroffen habe. Auch habe das Landgericht keine Prüfung vorgenommen, ob bei einem Ausgleich eine Treuwidrigkeit iSv. § 242 BGB angenommen werden könne.

Der BGH hob damit das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Berlin auf. Es machte bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit Gebrauch, dem Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin als die 66. Zivilkammer zurückzuverweisen.

Anmerkung: Es ist sicherlich das Recht des Gerichts von höchstrichterlicher Rechtsprechung abzuweichen und mit eigenen Argumenten eine andere Rechtsansicht zu vertreten. So ist im Grundsatz nichts dagegen einzuwenden, wenn hier die 66. Zivilkammer von der Rechtsprechung des BGH abweicht. Doch irgendwann muss auch dieses Gericht einsehen, dass diese Rechtsprechung gefestigt ist und neue Umstände/Gründe eine Abänderung nicht herbeizuführen mögen. So war vorliegend die Argumentation des Landgerichts im Wesentlichen bereits in den zwei Vorverfahren abgehandelt worden und es hätte auch dem LG Berlin klar sein müssen, dass eine Abänderung nicht zu erreichen ist. Die Zulassung der Revision durch das Landgericht war im Hinblick auf § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO geboten, da von einer Entscheidung des BGH abgewichen wurde. Hier hat das LG Berlin mit seinem Urteil den Parteien Steine statt Brot gegeben – austragen muss dies letztlich kostenmäßig derjenige, der den Rechtsstreit verliert.

Die Entscheidung der Zurückverweisung an eine andere Zivilkammer des LG Berlin war sicherlich aus Bedacht und zutreffend getroffen worden.

BGH, Urteil vom 23.10.2024 - VIII ZR 106/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 66 - vom 10. Mai 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Beklagten sind seit November 1994 Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Sie zahlten die Miete für die Monate Oktober 2019, Januar 2020 und Mai 2021 nicht. Nachdem die Klägerin sie mehrmals schriftlich an ihre Mietzahlungsverpflichtungen erinnert hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 8. Juni 2021 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am 30. Juni 2021 glichen die Beklagten die Mietrückstände vollständig aus.

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin insoweit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - unter Wiederholung seiner bereits im Urteil vom 31. März 2023 (66 S 149/22) erfolgten Darlegungen -, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Es sei aus Rechtsgründen daran festzuhalten, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen auch eine hilfsweise fristgemäß erklärte Kündigung heile, sofern diese auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützt werde. Das Amtsgericht habe deshalb zu Unrecht angenommen, dass trotz der unstreitig erfolgten Schonfristzahlung ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe gegen die Beklagten begründet sei.

Eine bindende Gesetzgebung, die der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 13. Oktober 2021 (VIII ZR 91/20) und vom 5. Oktober 2022 (VIII ZR 307/21) zu erkennen meine, sei zur Frage der Wirkungen einer Schonfristzahlung nicht gegeben. Dafür fehle bereits der verfassungsrechtlich maßgebliche Bezugspunkt, nämlich ein vom Gesetzgeber stammendes Gesetz. Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs komme weder Gesetzesvorhaben, die vom Gesetzgeber nicht weiterverfolgt worden seien, noch vom Parlament abgelehnten Anträgen auf eine Änderung des Gesetzes eine in diesem Sinne maßgebliche Bedeutung zu. Demgegenüber beschränke sich die Argumentation des Bundesgerichtshofs auf das "blanke in einer Unterlassung bestehende Ergebnis, zu welchem es 'warum auch immer' gekommen" sei; dies werde der Sache in keiner Weise gerecht.

Die Wirkungen einer Schonfristzahlung seien demnach unverändert in der Anwendung der geltenden Gesetze durch anerkannte Methoden der Auslegung zu bestimmen. Die Herleitung der aus der Sicht des Berufungsgerichts zutreffenden Auslegungsergebnisse zur Reichweite der Vorschrift des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB sei bereits seinen Urteilen vom 30. März 2020 (66 S 293/19) und vom 1. Juli 2022 (66 S 200/21) zu entnehmen.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein auf die im Schreiben vom 8. Juni 2021 hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung gestützter Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Räumung und Herausgabe der von diesen angemieteten Wohnung nach § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht verneint werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese (ebenfalls) auf die ausgebliebenen Mietzahlungen der Beklagten gestützte Kündigung nicht infolge der Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden. Eine solche Zahlung hat (lediglich) Folgen für die fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB); eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB - deren Voraussetzungen im Übrigen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, BGHZ 195, 64 Rn. 18 ff.) zugunsten der Klägerin im Revisionsverfahren mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellen sind - bleibt von der Schonfristzahlung unberührt. Die entsprechende Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB ist hierauf weder unmittelbar noch analog anwendbar.

a) Die seitens des Berufungsgerichts zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht herangezogenen Gesichtspunkte sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denjenigen in dessen Urteilen vom 30. März 2020 (66 S 293/19, WuM 2020, 281) und vom 20. August 2021 (66 S 98/20; unveröffentlicht). Diese hat der Senat mit den Urteilen vom 13. Oktober 2021 (VIII ZR 91/20, NZM 2022, 49 Rn. 29 ff. mwN) und vom 5. Oktober 2022 (VIII ZR 307/21, NZM 2023, 28 Rn. 13 ff.) aufgehoben, so dass im vorliegenden Fall zur näheren Begründung auf die dortigen Ausführungen umfassend Bezug genommen wird.

b) Das Berufungsgericht hat zudem in seiner von ihm zitierten Entscheidung vom 1. Juli 2022 (66 S 200/21, NZM 2022, 617) weiterhin an seiner gegenteiligen Ansicht zur Wirkung einer Schonfristzahlung festgehalten. Die darin enthaltenen Ausführungen geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung, wie er bereits in seinem Urteil vom 5. Oktober 2022 ausführlich dargelegt hat (VIII ZR 307/21, aaO Rn. 15 ff.), so dass auch insoweit vollumfänglich auf diese Entscheidung verwiesen werden kann.

c) Darüber hinausgehende neue Gesichtspunkte, die den Senat zu einer Änderung seiner bisherigen Auffassung veranlassen könnten, enthält auch das im Streitfall angefochtene Urteil des Berufungsgerichts nicht.

Soweit das Berufungsgericht nach wie vor der Auffassung ist, der Senat habe bei seinen Ausführungen zur historischen Auslegung zu Unrecht auf ein bloßes Nichthandeln beziehungsweise ein bloßes "Verhalten des Gesetzgebers" abgestellt, trifft dies nicht zu (siehe hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom 5. Oktober 2022 - VIII ZR 307/21, aaO Rn. 17 ff.). Daher geht auch der Einwand des Berufungsgerichts fehl, der methodische Ansatz des Senats habe "äußerst bedenkliche Konsequenzen für die Rechtsklarheit" und könne zu "untragbaren Verwerfungen in der parlamentarischen Arbeit" führen. Denn mit der vom Senat vorgenommenen Beurteilung wird - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - weder jeder parlamentarischen Äußerung ohne weiteres für die historische Auslegung einer Norm eine Relevanz beigemessen noch davon ausgegangen, dass der Ablehnung oder Nichtverfolgung von Gesetzgebungsvorhaben generell Bedeutung im Rahmen der Gesetzesauslegung zukäme.

2. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung stellt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

a) Eine Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung ergibt sich nicht daraus, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Zahlungsrückstände zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist schon ausgeglichen waren. Denn - wie auch die Revisionserwiderung einräumt - wird die in der Nichtzahlung liegende Pflichtverletzung allein durch die nachträgliche Zahlung nicht geheilt (vgl. Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04, NZM 2005, 334 unter II 2 d bb mwN). Ob die Pflichtverletzung als im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht unerheblich anzusehen ist, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung durch das Tatgericht unter Berücksichtigung insbesondere der Dauer und Höhe des Zahlungsverzugs zu ermitteln (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, BGHZ 195, 64 Rn. 20). Dazu hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

b) Auch kann - anders als die Revisionserwiderung meint - auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die Berufung der Klägerin auf die ordentliche Kündigung ausnahmsweise als treuwidrig im Sinne von § 242 BGB anzusehen wäre. Wie die Revisionserwiderung selbst erkennt, hat das Berufungsgericht diese bei einem Ausgleich der Zahlungsrückstände gebotene Prüfung (vgl. Senatsurteile vom 13. Oktober 2021 - VIII ZR 91/20, aaO Rn. 83, 88; vom 19. September 2018 - VIII ZR 231/17, BGHZ 220, 1 Rn. 43, und VIII ZR 261/17, NZM 2018, 1017 Rn. 51; Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2015 - VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225 Rn. 6) - von seinem Rechtsstandpunkt aus wiederum folgerichtig - nicht vorgenommen.

III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

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