oder: Ein Streit zwischen dem 66.
Zivilkammer des LG Berlin und dem VIII. Zivilsenat des BGH
Der BGH hat bestätigt, dass bei einer Doppelkündigung bei Zahlungsverzug (d.h. eine fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung) trotz zwischenzeitlicher Zahlung innerhalb der gesetzlichen Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) wirksam bleibt. Dem Rechtsstreit lag wiederholt eine Entscheidung des LG Berlin zu dieser Frage zugrunde, die das LG Berlin (partout) anders beurteilt wissen will als vom BGH (dem zuständigen Senat für Mietsachen) gesehen.
Die Beklagten waren ihren Mietzahlungsfristen aus einem Mietverhältnis aus dem Jahr 1994 in den Monaten Oktober 2019, Januar 2020 und Mai 2021 nicht nachgekommen. Da auch nach mehrmaliger vergeblicher Mahnung durch die Vermieterin (Klägerin) Zahlung nicht erfolgte, kündigte diese mit Schreiben vom 08.06.2021 das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs fristlos (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB) und hilfsweise ordentlich. Am 30.06.2021 wurden die Mietrückstände ausgeglichen. Die Klägerin erhob gleichwohl Räumungsklage, gestützt auf die hilfsweise Räumungsklage. Während das Amtsgericht er Räumungsklage stattgab, wurde sie auf die Berufung der Klägerin durch das Landgericht Berlin abgewiesen, welches zur Begründung darauf verwies, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen Kündigung auch die (wie hier) auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützte hilfsweise ordentliche Kündigung heile. Die Rechtsauffassung des BGH in seinen Urteilen vom 13.10.2021 - VIII ZR 91/20 - und vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -, gestützt auf eine vom BGH angenommene bindende Gesetzgebung, greife nicht, da es dafür an einem verfassungsrechtlich maßgeblichen Bezugspunkt, nämlich einem vom Gesetzgeber stammenden Gesetz, ermangele. Die vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin war erfolgreich.
Der BGH verwies darauf, dass die nach der Kündigung erfolgte Zahlung lediglich Auswirkung auf die fristlose Kündigung) Auswirkung habe, nicht auf eine zum Kündigungszeitpunkt zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB von der Schonfristzahlung nicht berührt wird. § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB sei auf diese weder unmittelbar noch analog anwendbar. Vorausgehende entsprechende Urteile des Landgerichts habe der BGH bereit mit Urteilen vom 13.10.2021 - VIII ZR 91/20 - und vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 - aufgehoben. Auch die jetzige Rechtsansicht des Landgerichts böten keine Veranlassung von der bisherigen Rechtsprechung des BGH abzuweichen.
Entgegen der Annahme des Landgerichts habe der Senat nicht auf ein bloßes Verhalten des Gesetzgebers (seine ins Stocken geratene Überlegungen zur Änderung der Rechtslage in Bezug auf die Schonfristzahlung und deren Auswirkung auf die hilfsweise ordentliche Kündigung) abgestellt (dazu BGH, Urteil vom 05.10.2022 - VIII ZR 307/21 -), weshalb auch der Einwand fehl gehe, der methodische Ansatz des Senats habe „äußerst bedenkliche Konsequenzen für die Rechtsklarheit“ und könne zu „untragbaren Verwerfungen in der parlamentarischen Arbeit“ führen. Die Beurteilung des Senats würde weder jeder parlamentarischen Äußerung ohne weiteres für eine historische Auslegung einer Norm eine Relevanz beigemessen noch davon ausgegangen, dass der Ablehnung oder Nichtverfolgung von Gesetzesvorhaben generell Bedeutung bei der Gesetzesauslegung zukommen.
Eine Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung ergäbe sich auch nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist die Zahlungsrückstände ausgeglichen gewesen wären. Die Pflichtverletzung, die Grundlage der ordentlichen Kündigung sei, würde durch die nachträgliche Zahlung nicht geheilt (BGH, Urteil vom 16.02.2005 - VIII ZR 6/04 -). Die Würdigung, ob diese Pflichtverletzung im Rahmen einer notwendigen Gesamtwürdigung als nicht unerheblich iSv. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen sei, obliege der Beurteilung der Tatsacheninstanz, wobei Dauer und Höhe des Zahlungsverzug zu ermitteln seien (BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 -), wozu das Landgericht keine Feststellungen getroffen habe. Auch habe das Landgericht keine Prüfung vorgenommen, ob bei einem Ausgleich eine Treuwidrigkeit iSv. § 242 BGB angenommen werden könne.
Der BGH hob damit das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Berlin auf. Es machte bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit Gebrauch, dem Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin als die 66. Zivilkammer zurückzuverweisen.
Anmerkung: Es ist sicherlich das Recht des Gerichts von höchstrichterlicher Rechtsprechung abzuweichen und mit eigenen Argumenten eine andere Rechtsansicht zu vertreten. So ist im Grundsatz nichts dagegen einzuwenden, wenn hier die 66. Zivilkammer von der Rechtsprechung des BGH abweicht. Doch irgendwann muss auch dieses Gericht einsehen, dass diese Rechtsprechung gefestigt ist und neue Umstände/Gründe eine Abänderung nicht herbeizuführen mögen. So war vorliegend die Argumentation des Landgerichts im Wesentlichen bereits in den zwei Vorverfahren abgehandelt worden und es hätte auch dem LG Berlin klar sein müssen, dass eine Abänderung nicht zu erreichen ist. Die Zulassung der Revision durch das Landgericht war im Hinblick auf § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO geboten, da von einer Entscheidung des BGH abgewichen wurde. Hier hat das LG Berlin mit seinem Urteil den Parteien Steine statt Brot gegeben – austragen muss dies letztlich kostenmäßig derjenige, der den Rechtsstreit verliert.
Die Entscheidung der Zurückverweisung an eine andere Zivilkammer des LG Berlin war sicherlich aus Bedacht und zutreffend getroffen worden.
BGH, Urteil vom 23.10.2024 -
VIII ZR 106/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 66 - vom 10. Mai 2023
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere
Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts
wegen
Tatbestand
Die Beklagten
sind seit November 1994 Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Sie
zahlten die Miete für die Monate Oktober 2019, Januar 2020 und Mai 2021 nicht.
Nachdem die Klägerin sie mehrmals schriftlich an ihre
Mietzahlungsverpflichtungen erinnert hatte, erklärte sie mit Schreiben vom
8. Juni 2021 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des
Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am 30. Juni 2021 glichen die
Beklagten die Mietrückstände vollständig aus.
Das Amtsgericht
hat der Räumungsklage aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen
Kündigung des Mietverhältnisses stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete
Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil
abgeändert und die Klage abgewiesen.
Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin insoweit die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision
hat Erfolg.
I.
Das
Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - unter
Wiederholung seiner bereits im Urteil vom 31. März 2023 (66 S 149/22)
erfolgten Darlegungen -, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse,
im Wesentlichen ausgeführt:
Es sei aus
Rechtsgründen daran festzuhalten, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach
§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen auch eine
hilfsweise fristgemäß erklärte Kündigung heile, sofern diese auf denselben
(ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützt werde. Das Amtsgericht habe deshalb
zu Unrecht angenommen, dass trotz der unstreitig erfolgten Schonfristzahlung
ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe gegen die Beklagten begründet sei.
Eine bindende
Gesetzgebung, die der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 13. Oktober
2021 (VIII ZR 91/20) und vom 5. Oktober 2022 (VIII ZR 307/21) zu
erkennen meine, sei zur Frage der Wirkungen einer Schonfristzahlung nicht
gegeben. Dafür fehle bereits der verfassungsrechtlich maßgebliche Bezugspunkt,
nämlich ein vom Gesetzgeber stammendes Gesetz. Entgegen der Auffassung des
Bundesgerichtshofs komme weder Gesetzesvorhaben, die vom Gesetzgeber nicht
weiterverfolgt worden seien, noch vom Parlament abgelehnten Anträgen auf eine
Änderung des Gesetzes eine in diesem Sinne maßgebliche Bedeutung zu.
Demgegenüber beschränke sich die Argumentation des Bundesgerichtshofs auf das
"blanke in einer Unterlassung bestehende Ergebnis, zu welchem es 'warum
auch immer' gekommen" sei; dies werde der Sache in keiner Weise gerecht.
Die Wirkungen
einer Schonfristzahlung seien demnach unverändert in der Anwendung der
geltenden Gesetze durch anerkannte Methoden der Auslegung zu bestimmen. Die
Herleitung der aus der Sicht des Berufungsgerichts zutreffenden
Auslegungsergebnisse zur Reichweite der Vorschrift des § 569 Abs. 3
Nr. 2 BGB sei bereits seinen Urteilen vom 30. März 2020 (66 S
293/19) und vom 1. Juli 2022 (66 S 200/21) zu entnehmen.
II.
Diese
Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Mit
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein auf die im Schreiben vom
8. Juni 2021 hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung gestützter Anspruch
der Klägerin gegen die Beklagten auf Räumung und Herausgabe der von diesen
angemieteten Wohnung nach § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht verneint
werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese (ebenfalls) auf
die ausgebliebenen Mietzahlungen der Beklagten gestützte Kündigung nicht
infolge der Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1
BGB unwirksam geworden. Eine solche Zahlung hat (lediglich) Folgen für die
fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 569
Abs. 3 Nr. 2 BGB); eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden
Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB - deren
Voraussetzungen im Übrigen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 10. Oktober 2012
- VIII ZR 107/12, BGHZ 195, 64 Rn. 18 ff.) zugunsten der
Klägerin im Revisionsverfahren mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts
zu unterstellen sind - bleibt von der Schonfristzahlung unberührt.
Die entsprechende Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1
BGB ist hierauf weder unmittelbar noch analog anwendbar.
a) Die
seitens des Berufungsgerichts zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht
herangezogenen Gesichtspunkte sind im Wesentlichen deckungsgleich mit
denjenigen in dessen Urteilen vom 30. März 2020 (66 S 293/19, WuM 2020,
281) und vom 20. August 2021 (66 S 98/20; unveröffentlicht). Diese
hat der Senat mit den Urteilen vom 13. Oktober 2021 (VIII ZR 91/20,
NZM 2022, 49 Rn. 29 ff. mwN) und vom 5. Oktober 2022
(VIII ZR 307/21, NZM 2023, 28 Rn. 13 ff.) aufgehoben, so dass im
vorliegenden Fall zur näheren Begründung auf die dortigen Ausführungen
umfassend Bezug genommen wird.
b) Das
Berufungsgericht hat zudem in seiner von ihm zitierten Entscheidung vom
1. Juli 2022 (66 S 200/21, NZM 2022, 617) weiterhin an seiner
gegenteiligen Ansicht zur Wirkung einer Schonfristzahlung festgehalten. Die
darin enthaltenen Ausführungen geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen
Beurteilung, wie er bereits in seinem Urteil vom 5. Oktober 2022
ausführlich dargelegt hat (VIII ZR 307/21, aaO Rn. 15 ff.), so
dass auch insoweit vollumfänglich auf diese Entscheidung verwiesen werden kann.
c)
Darüber hinausgehende neue Gesichtspunkte, die den Senat zu einer Änderung
seiner bisherigen Auffassung veranlassen könnten, enthält auch das im
Streitfall angefochtene Urteil des Berufungsgerichts nicht.
Soweit das
Berufungsgericht nach wie vor der Auffassung ist, der Senat habe bei seinen
Ausführungen zur historischen Auslegung zu Unrecht auf ein bloßes Nichthandeln
beziehungsweise ein bloßes "Verhalten des Gesetzgebers" abgestellt,
trifft dies nicht zu (siehe hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom
5. Oktober 2022 - VIII ZR 307/21, aaO Rn. 17 ff.).
Daher geht auch der Einwand des Berufungsgerichts fehl, der methodische Ansatz
des Senats habe "äußerst bedenkliche Konsequenzen für die
Rechtsklarheit" und könne zu "untragbaren Verwerfungen in der
parlamentarischen Arbeit" führen. Denn mit der vom Senat vorgenommenen
Beurteilung wird - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts -
weder jeder parlamentarischen Äußerung ohne weiteres für die historische
Auslegung einer Norm eine Relevanz beigemessen noch davon ausgegangen, dass der
Ablehnung oder Nichtverfolgung von Gesetzgebungsvorhaben generell Bedeutung im
Rahmen der Gesetzesauslegung zukäme.
2.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung stellt sich die Entscheidung
des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar
(§ 561 ZPO).
a) Eine
Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung ergibt sich nicht daraus, dass nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts die Zahlungsrückstände zum Zeitpunkt
des Ablaufs der Kündigungsfrist schon ausgeglichen waren. Denn - wie auch
die Revisionserwiderung einräumt - wird die in der Nichtzahlung liegende
Pflichtverletzung allein durch die nachträgliche Zahlung nicht geheilt (vgl.
Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04, NZM 2005, 334
unter II 2 d bb mwN). Ob die Pflichtverletzung als im Sinne von § 573
Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht unerheblich anzusehen ist, ist im Rahmen einer
Gesamtwürdigung durch das Tatgericht unter Berücksichtigung insbesondere der
Dauer und Höhe des Zahlungsverzugs zu ermitteln (vgl. Senatsurteil vom
10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, BGHZ 195, 64
Rn. 20). Dazu hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt
aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
b) Auch
kann - anders als die Revisionserwiderung meint - auf der Grundlage
der bisherigen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die Berufung
der Klägerin auf die ordentliche Kündigung ausnahmsweise als treuwidrig im
Sinne von § 242 BGB anzusehen wäre. Wie die Revisionserwiderung selbst
erkennt, hat das Berufungsgericht diese bei einem Ausgleich der
Zahlungsrückstände gebotene Prüfung (vgl. Senatsurteile vom 13. Oktober
2021 - VIII ZR 91/20, aaO Rn. 83, 88; vom 19. September
2018 - VIII ZR 231/17, BGHZ 220, 1 Rn. 43, und VIII ZR
261/17, NZM 2018, 1017 Rn. 51; Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2015
- VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225 Rn. 6) - von seinem
Rechtsstandpunkt aus wiederum folgerichtig - nicht vorgenommen.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
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