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Samstag, 21. Dezember 2024

Regress des Sozialversicherungsträgers – Grouper als Beweis der Aufwendungen ?

Wie so häufig machte auch hier der klagende Sozialversicherungsträger nach einem Unfall einen nach § § 116 Abs. 1 SGBX auf sie übergegangenen Ersatzanspruch gegen den gesetzlichen Haftpflichtversicherer (Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr, 1 VVG) geltend. Die Haftung war unstreitig. Streitig war die Höhe des von der Klägerin begehrten Schadens. Von der Beklagten wurde eingewandt, der Schaden sei bisher – soweit nicht anerkannt – nicht durch prüffähige Unterlagen belegt worden. Hier wie zwischenzeitlich ständig wurde vom Sozialversicherungsträger eingewandt, die von ihr vorgelegten „Grouper“-Ausdrucke (vom Krankenhausträger der Krankenkasse übermittelte Abrechnungsdaten) und vorgelegten Krankenhausberichte seien ausreichend. Ebenso wie es zwischenzeitlich meist geschieht, wurde dies vom Landgericht und – aufgrund der von der Beklagten eingelegten Berufung – auch vom Oberlandesgericht so gesehen (Urteil OLG Sachsen-Anhalt vom 02.07.2023 - 9 U 125/22 -), weshalb der Klage stattgegeben, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wurde. Das OLG argumentiert u.a. damit, dass § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht zu entnehmen sei, dass von der Krankenkasse tatsächlich gezahlte Krankenhauskosten aufgrund von Einwendungen gegen die Höhe vom Anspruchsübergang ausgeschlossen sein sollten, wobei es darauf verwies, dass dies auch im Zusammenhang mit dem bei Sachschäden gebräuchlichen Begriff des „Werkstattrisikos“ stünde.

Grundsätzlich, so zutreffend der BGH, stehe der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch aus nach 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu, und zwar auf Ersatz der Kosten der Heilung der bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen (§§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm. § 1 S. 1 PflVG). Die Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruchs sei in erster Linie des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters, wobei im Revisionsverfahren nur geprüft werden könne, ob dieser wesentliche Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsgrundlagen außer Acht gelassen oder seien Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe (st. Rspr., so Urteil vom 29.09.2020 - VI ZR 271/19 -). Solche Fehler lägen hier vor.

Die Klägerin sei, was das OLG verkannt habe, trotz des bereits im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses stattfindenden Anspruchsübergangs nicht als Geschädigte anzusehen. Der Schaden, der der Klägerin zu ersetzen sei, sei nicht ohne weiteres der Vermögenseinbuße gleichzusetzen, die der Klägerin durch ihre Leistungsplicht gegenüber ihrem Versicherten gem. § 11 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V entstanden sei (BGH, Urteil vom 23.02.2010 - VI ZR 331/08 -). Der nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X übergehende Anspruch auf Ersatz gehe über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses der Versicherungsträger Sozialleistungen zu erbringen habe, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen würden (sachliche Kongruenz) und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen würde (zeitliche Kongruenz). Dabei knüpfe der Forderungsübergang an die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers („zu erbringen hat“) und nicht an tatsächlich erbrachte Leistungen an (BGH, Urteil vom 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 -). Dabei könne er einen Aufwendungsersatz nur insoweit verlangen, als er Aufwendungen auf einen Schaden des Versicherten zu erbringen habe. Zu unterscheiden sei zwischen der unabhängig von einer Schadensersatzverpflichtung Dritter bestehenden Leistungsverpflichtung des Versicherungsträgers gegenüber der versicherten Person einerseits und seinem Regressanspruch gegenüber einem Schädiger andererseits; übertragen sei dem Versicherungsträger nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nur der Schadensersatzanspruch des Versicherten. Läge ein solcher nicht vor, habe er keinen Anspruch gegenüber dem Schädiger (BGH, Urteil vom 10.07.2007 - VI ZR 192/06 -). Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem frühen Zeitpunkt des Anspruchsübergangs, mit dem auch möglicherweise in der Zukunft liegende Leistungen des Versicherers für den Geschädigten gesichert würden, die sachlich und zeitlich mit Ersatzansprüchen des Geschädigten kongruent seien; ein eigener Anspruch des Versicherungsträgers auf Erstattung aller seiner durch das Schadensereignis ausgelösten Leistungen folge daraus nicht (BGH, Urteil vom 07.12.2021 - VI ZR 1189/20 -).

Das OLG habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin zur Schadenshöhe rechtsfehlerhaft verkannt.

Den Sozialversicherungsträger träfen im Grundsatz die gleichen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast wie den Geschädigten, würde dieser den Schadensersatzanspruch selbst geltend machen (u.a. BGH, Urteil vom 23.06.2020 - VI ZR 435/19 -). Es müssten Tatsachen angeführt werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Für die Beweislast für die (im Streit stehende) haftungsausfüllende Kausalität, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und weiteren Schäden des Verletzten (Sekundärschäden) betreffe, gelte das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO (wonach eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge). Auch die Systematik des Gesetzes spreche gegen einen Willen des Gesetzgebers, gesetzliche Krankenkassen (Anmerkung: Gleiches gilt für die gesetzlichen Unfallversicherungsträger) hinsichtlich der Aufwendungen beim Regress nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X besserzustellen. Der Gesetzgeber habe mit § 116 Abs. 8 SGB X eine Regelung geschaffen, die den Regress für Kosten der nicht stationären ärztlichen Behandlung und Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln vereinfache (Pauschale, werden keine höheren Kosten nachgewiesen); dies sei für die stationäre ärztliche Behandlung nicht erfolgt.

Auch wenn der zur Entscheidung berufene zuständige VI. Zivilsenat des BGH in vergangenen Entscheidungen ausgeführt habe, dass den Belangen der Sozialversicherungsträger Rechnung zu tragen sei (BGH, Urteil vom 24.04.2012 - VI ZR 329/10 -), sei es den Gerichten verwehrt, die Rechtsanwendung allgemein nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversicherungsträger auszurichte, selbst wenn sie dies höher bewerten wollten als dem Schutz des Schuldners (BGH vom 24.04.2012 aaO.).  

Auch sei der Annahme des OLG nicht zu folgen, die Klägerin könne die an die Behandlungseinrichtungen gezahlten Beträge aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen nicht mehr zurückfordern und dies käme dem Fall des deshalb anzuwenden Rechtsgedanken des § 118 SGB X gleich. Nach § 118 SGB X ei ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden habe, an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grundsätzlich gebunden. Die Bindungswirkung erstrecke sich auf den Tenor des Leistungsbescheides oder des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Urteils und dessen tragende Feststellungen, nicht auf die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden (BGH, Urteil vom 16.03.2021 – VI ZR 773/20 -). [Anmerkung: Leider nimmt der BGH nicht zu der Frage Stellung, ob eine Bindungswirkung ggf. auch dann angenommen werden kann, wenn der vom Sozialversicherungsträger in Anspruch genommene Schädiger an der unanfechtbaren Entscheidung des Sozialversicherungsträgers oder eines sozial- oder sozialgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war, liegt hier doch bei Annahme einer Bindungswirkung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor]. Die von der Klägerin geleistete und ggf. nicht rückforderbare Zahlung auf die Rechnungen der Krankenhäuser stehe einer unanfechtbaren Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts nicht gleich und vorliegend würde weder der Grund noch die Höhe der Leistungspflicht der Klägerin gegenüber dem Versicherten in Streit stehen. Im, Streit stünde der Schadensersatzanspruch des Versicherten, in dessen Rahmen die Klägerin nur Anspruch auf Ersatz der von ihr verauslagten Kosten für erfolgte medizinische medizinische Untersuchungen und Behandlungen habe, soweit diese iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich waren (BGH, Urteil vom 17.09.2013 - VI ZR 95/13 -).

Sozialrechtliche Anforderungen an das Abrechnungssystem zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen sowie sozialrechtliche Anforderungen an die Datenübermittlung, Prüfung von Rechnungen und Zahlungspflichten der Krankenkassen würden keine Abweichung von den zivilrechtlichen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X rechtfertigen. Aus §§ 275, 275c, 284 – 293 und 294 bis 303 SGB V  und § 17c Abs. 2b KHG würden daran nichts ändern. Hier würden ausschließlich Rechte und Pflichten von Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern festgelegt, aber nicht das Verhältnis zum Schädiger im Rahmen zivilrechtlicher Haftung geregelt. Gesetzlich Beschränkungen der gesetzlichen Krankenkassen für die Prüfung der Krankenhausrechnungen könnten nicht als Grundlage herangezogen werden, um die Rechtsposition des Schädigers nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu beschneiden, da ansonsten die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten würden (BVerfGE 128, 193, 210; BGH, Urteil vom 11.06.2024 – VI ZR 133/23 -). Damit würden die von den Behandlungseinrichtungen erstellten Abrechnungsdaten nach allgemeinen Grundsätzen auch nur einen Anhaltspunkt, aber kein wesentliches bzw. starkes Indiz für die Erbringung und/oder Erforderlichkeit der abgerechneten Leistung darstellen (so auch zu „Grouper“-Ausdrucken OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2023 - 12 U 17/23 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.01.2024 - 1 W 24/23 -; zum Problem der Fahlcodierungen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 -). Zudem habe der Gesetzgeber nach § 294a SGB V unter anderem Krankenhäuser gem. § 108 SGB V verpflichtet, Angaben zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Die Rechtsprechung zum sogen. „Werkstattrisiko“ bei Beschädigung einer Sache für Reparatur- und Sachverständigenkosten seien für Ansprüche der gesetzlichen Krankenkassen auf Ersatz der Kosten der Heilung nicht übertragbar. Diese Grundsätze seien geprägt von dem Gedanken, dass es Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widerspreche, wen der Geschädigte bei Ausübung der ihm zustehenden Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem, Einfluss entzogen sei. Eine entsprechende Konstellation läge hier aber nicht vor.  Die gesetzliche Krankenkasse sie nicht Geschädigte, Geschädigter sei der Versicherte. Die Klägerin trage die Behandlungskosten aufgrund ihrer diesem gegenüber bestehenden Leistungspflicht. Ihre Zahlungsverpflichtung entstünde, unabhängig von einer Kostenzusage, unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten Kraft Gesetz, wenn die Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und iSv. § 39 Abs. 1 SGB V S. 2 erforderlich sei (BSG, Urteil vom 01.07.2014 - B 1 KR 29/13 R; BGH, Urteil vom 03.05.2011 - VI ZR 61/10 -). Die Leistungen der Krankasse sind nicht zwingend deckungsgleich mit dem iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlichen“ Heilbehandlungsmaßnahmen und selbst bei einer sachlichen und zeitlichen Kongruenz zwischen der Leistungspflicht der Krankenkasse und dem zu leistenden Schadensersatz bemesse sich beides nach unterschiedlichen Grundsätzen.

BGH, Urteil vom 09.07.2024 - VI ZR 252/23 -

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Beginn der Verjährung des Regressanspruchs des Rentenversicherungsträgers

Gegenstand des Verfahrens war der Antrag auf Feststellung eines (anteiligen) Regressanspruchs des klagenden Rentenversicherungsträgers aus § 110 Abs. 1 SGB VII. Der bei ihr versicherte Geschädigte erlitt einen Arbeitsunfall, verursacht durch eine Fehlbedienung eines Teleskoparms durch den Beklagten mit der Folge einer Querschnittlähmung. Der Unfallversicherungsträger erkannte mit Bescheid vom 124.05.2017 den Unfall vom 14.05.2015 als Arbeitsunfall an. Am 06.08.2021 beantragte der Geschädigte bei der Klägerin eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Rente wurde nicht gewährt, obwohl eine medizinische Begutachtung ergab, dass der Geschädigte seine ehemalige Beschäftigung nur noch im geringeren zeitlichen Umfang ausüben kann; er erhält weiterhin Leistungen zur Teilnahme am Arbeitsleben.

Die Klage des Rentenversicherungsträgers wurde dem Beklagten am 30.12.2022 zugestellt. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Das Landgericht wies die Klage – wegen Verjährung – ab. Das OLG wies die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung zurück.

Das OLG schloss sich der Auffassung des Landgerichts an, dass die Verjährung nach § 113 S. 1 SGB VII kenntnisunabhängig ab dem Tag der Feststellung des Versicherungsfalles durch den Unfallversicherungsträger läuft (BGH, Urteil vom 25.07.2017 – VI ZR 433/16 -). Frühere Rechtsprechung, die dies anders gesehen hatte, sei durch die Entscheidung des BGH überholt.

Die Bindungswirkung gelte nicht nur für den Unfallversicherungsträger, sondern auch für andere Sozialversicherungsträger. In seiner o.g. Entscheidung habe der BGH als obiter dictum festgehalten, dass für den Beginn der Verjährung gem. § 113 S. 1 SGB VII eine Feststellung der Leistungspflicht dem Grunde nach (und nicht der Höhe nach) genüge, dass „die für den Unfallversicherungsträger bindende Feststellung der Leistungspflicht nicht nur Voraussetzung für die Verjährung seiner eigenen Ansprüche ist, sondern auch für die Verjährung der Ansprüche anderer Sozialversicherungsträger“. Zwar habe der BGH offen gelassen, ob dies auch für Ansprüche des Rentenversicherungsträgers gelte, allerdings mit dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes argumentiert, wonach die Regelung für alle Sozialversicherungsträger gelte und es (dort im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung) für unerheblich gehalten, „wenn der Beginn der Verjährung für die Rückgriffsansprüche der Krankenkasse von einem Datum abhängig gemacht würde, dass ihr nicht bekannt sei und auf das sie keinen Einfluss habe“.

Dem Rentenversicherungsträgerdrohe zwar die Verjährung seiner Ansprüche, wenn er nicht innerhalb der ab diesem Zeitpunkt laufenden Frist von dem Schadensfall Kenntnis erlange. Der Wortlaut des § 110 Abs. 1 SGB VII unterscheide jedoch nicht zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsträgern, demgegenüber § 113 S. 1 SGB VII alleine auf die Feststellung der Leistungsverpflichtung des Unfallversicherungsträgers abstelle. Die Regelung sie im Kern und ihrer Konsequenz für andere Sozialversicherungsträger – namentlich dem Rentenversicherungsträger – seit Jahrzehnten unverändert geblieben und der Gesetzgeber habe offenbar bewusst auch bei diversen Anpassungen dies nicht grundlegend geändert. Damit scheide eine planwidrige Reglungslücke aus, und auch ein redaktionelles Versehen sei nicht erkennbar. Vielmehr stelle sich die Regelung als gesetzgeberische Grundentscheidung dar, bis wann das Interesse des nach § 110 Abs. 1 SGB VII Haftenden an Rechtssicherheit noch dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Durchsetzung dieser Regressansprüche vorgehen soll.

Damit sei – bei taggenauer Berechnung der Verjährungsfrist (BGH, Urteil vom 25.07.2017 - VI ZR 433/16 -) – die Verjährung mit dem Tag des Bescheides des zuständigen Unfallversicherungsträgers am 24.05.2017 in Lauf gesetzt worden (auf eine Leistungserbringungen durch diesen käme es nicht an) und habe am 24.05.2020 geendet. Die Verjährung sei bei Klageerhebung Ende 2022 bereits eingetreten gewesen. Vorher hab es auch keine verjährungshemmenden Umstände gegeben, was auch deshalb ausgeschlossen sei, dass die Klägerin erst im August 2021 von dem Schadensereignis Kenntnis erlangt haben will.

Allerdings verdeutlichen die Gründe des OLG, mit denen die Revision gegen seien Entscheidung zugelassen wurde, deutlich, dass das OLG die eigene Entscheidung nicht für akzeptabel hält. So verwies es darauf, dass der Gesetzgeber jedem Sozialversicherungsträger mit § 110 SGB VII hinsichtlich des Haftungsgrundes ausdrücklich eine völlig autarke Anspruchsgrundlage bei (wie hier) krassen Fehlverhalten des Anspruchsgegners eingeräumt habe und es nicht im Interesse des Gesetzgebers sein könne, den gesetzlichen Rentenversicherungsträger in der Praxis durch die strenge Verjährungsregel nach § 113 AGB VII faktisch vom Regress auszuschließen, da er vermutlich davon ausgegangen sei, dass Regressansprüche desselben überhaupt schon entstanden seien.  Es könnte im öffentlichen Interesse aller Rentenversicherungspflichtigen liegen, Ersatz für Aufwendungen zu erhalten, die ansonsten von der Solidargemeinschaft getragen werden müssten. Es sei auch nicht unbillig, dem Schädiger die Rechtsunsicherheit aufzuerlegen, erst viele Jahre nach dem Vorfall entsprechenden Regressansprüchen auszusetzen. Verwiesen wurde durch das OLG zudem auf ein Urteil des Brandenburgischen OLG vom 09.12.2014 – 3 U 48/13 - , in dem dieses auf den In § 113 SGB VII benannten § 199 BGB abstellte und die Auffassung vertrat, der Verweis auf § 199 Abs. 1 und 2 BGB sei überflüssig, wenn man nicht die dort verlangte Kenntnis mit als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn annehmen würde.  

Anmerkung: Die Entscheidung des OLG ist zunächst in seiner Begründung zur Zurückweisung der Berufung des Rentenversicherungsträgers nachvollziehbar. Unverständlich wird sie allerdings vor dem Hintergrund der Zulassung der Revision. Mit den benannten Zulassungsgründen, „nicht im Interesse des Gesetzgebers“ pp., verliert sich das OLG in allgemeine (rechtspolitische) Überlegungen. Im Urteil selbst hatte doch das OLG ausgeführt, dass eine Regelungslücke nicht vorläge und der Gesetzgeber bei mehrfachen Änderungen dies auch hätte ändern können, was er bewusst nicht getan habe. Damit würde diese Begründung nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen, sondern könnte allenfalls eine Handlungsaufforderung an den Gesetzgeber darstellen.

Ebenso wenig überzeugt die Entscheidung des Brandenburgischen OLG , auf welches sich das OLG hier zur Begründung der Zulassung der Revision berief: Zwar wird in § 113 SGB VII auf § 199 Abs. 1 und Abs. 2 BGB verwiesen. Wenn aber in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf Kenntnis abgestellt wird, kann dies nicht eine zusätzliche Voraussetzung für den Lauf der Verjährungsfrist sein, da dies dem Wortlaut des § 113 S. 1 SGB VII zuwiderliefe, der explizit auf darauf abstellt, dass die Norm „mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.“ Der Wortlaut „mit der Maßgabe“ beinhaltet bereits, dass die anderweitige Berechnung in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gerade nicht anzuwenden ist.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16.07.2024 - 7 U 89/23 -

Samstag, 2. April 2022

Arbeitsunfall und Regress: Verschuldenszurechnung gem. § 278 BGB im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung

Der gesetzliche Unfallversicherungsträger (UT) im Falle eines Personenschadens des (pflicht-) versicherten Arbeitnehmers anlässlich eines Arbeits- oder Wegeunfalls eintrittspflichtig. Die Ansprüche, für die der UUT aufkommen muss, gehen bereits mit dem Unfallereignis auf den UT über, die dieser gegen den verantwortlichen Schädiger (unter Berücksichtigung eines evtl. Mitverschuldens des Arbeitnehmers) regressieren kann, § 110 SGB X. In Betracht kommen können dabei auch Ansprüche gegen den Arbeitgeber („Unternehmer“ nach dem Gesetzeswortlaut im SGB VII). Allerdings sind hier Besonderheiten zu berücksichtigen. So haftet der bei einem Arbeitsunfall gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 104 Abs. 1 SGB VII nur bei Vorsatz; ein Forderungsübergang nach § 116 SGB X findet, soweit eine Haftung nicht besteht, nach § 116 SGB X nicht statt. Allerdings sieht § 107 Abs. 1 SGB VII vor, dass der Arbeitgeber dem UT dessen entstandene Aufwendungen (bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs) zu erstatten hat, wenn der als Versicherungsfall nach dem SGB VII einzustufende Unfall vom Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde.

In dem dem BGH zur Entscheidung über eine Revision vorliegenden Rechtsstreit hatte die Arbeitgeberin (Beklagte) zwei Personen (die ehemaligen Beklagten zu 3. und 5., tätig als Nachunternehmer) im Rahmen eines ihr erteilten Auftrags zur Dacheindeckung mit der Errichtung des benötigten Gerüsts beauftragt, welches fehlerhaft ohne Fangnetz und Bordbretter erstellt wurde. Der geschädigte Arbeitnehmer (ein Auszubildender der Beklagten) stürzte bei der Ausführung von Dachdeckerarbeiten vom Dach und zog sich schwere Verletzungen zu. Das Oberlandesgericht (OLG) hat unter Abänderung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts (LG) die Klage des UT gegen die Arbeitgeberin (Beklagte) (haftend neben den ehemaligen Beklagten zu 3. und 5.) dem Grunde für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Urteil gegen sie aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

Soweit das OLG als Anspruchsgrundlage § 116 SGB X nannte, verneinte der BGH diesen zutreffend unter Verweis auf § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII, da es sich weder um einen vorsätzlich begangenen Arbeitsunfall noch um einen Wegeunfall handelte.

Damit käme als Rückgriffsanspruch des klagenden UT lediglich nach §§ 110 Abs. 1, § 11 S. 1 SGB VII in Betracht. Die hierzu getroffenen Feststellungen des OLG hielt der BGH für eine Bejahung des Anspruchs nicht für ausreichend.

Die Haftung nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII für Personen, deren Haftung wie hier nach §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt sei, gehe bis zur Höhe des zivilrechtlichen Haftungsanspruchs nur auf den UT über, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten. Gleiches gelte nach § 111 S. 1 SGB VII, wenn der Arbeitgeber durch ein Organ (z.B. den Geschäftsführer), Abwickler oder Liquidator einer juristischen Person, vertretungsberechtigten Gesellschafter (so bei einer OHG oder dem Komplementär einer KG) oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter des Unternehmers in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig den Versicherungsfall verursacht hätten.  

Es würde sich bei §§ 110, 111 SGB VII nicht um einen (wie in § 116 SGB X) übergeleiteten Schadensersatzanspruch, sondern um einen originären selbständigen Anspruch des UT privatrechtlicher Natur handeln. Er fordere Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Unternehmers (Arbeitgebers) oder qua gesetzlicher Zurechnung der in § 111 SGB VII benannten Personen. Offen ließ der BGH in diesem Zusammenhang, ob die (vergleichbar zu der zu § 31 BGB entwickelte Repräsentantenhaftung) Haftungszurechnung auch Personen umfasse, denen der Unternehmer bedeutsame wesensmäßige Funktionen zugewiesen hat und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführten (bejahend OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.03.2010 - 12 U 91/09 -). Jedenfalls würde § 111 S. 1 SGB VII nicht eine Zurechnung des Verschuldens von Personen begründen, die als Nachunternehmer von der juristischen Person (dem Arbeitgeber des Geschädigten) beauftragt seien.

Ein über § 111 S. 1 SGB VII hinausgehender Rückgriffsanspruch auf Dritte käme im Rahmen der Haftung nach § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe den Rückgriffsanspruch nach § 110 ff SGB VII besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm abgesehen, weshalb es sich verbiete, eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften vorzunehmen. Dies begründe sich auch aus dem Regelungszweck der Normen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen würden (BGH, Urteil vom 15.07.2008 - VI ZR 212/07 -) und am besonders zu missbilligendes Verhalten der durch die Haftungsbeschränkung gem. § §§ 104 ff SGB VII Begünstigte selbst oder (bei juristischen Personen) ihrer Organe anknüpfen würden.

Zudem sei auch § 278 BGB im Hinblick auf die Voraussetzung der Verschuldenszurechnung nicht erfüllt. Dies setze ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner voraus, aus dem sich die Verbindlichkeit ergebe (BGH, Urteil vom 07.03.1972 - VI ZR 158/70 -). Ein derartiges Schuldverhältnis würde aber zwischen dem gesetzlichen Unfallversicherer und dem Unternehmer vor dem Eintritt des Versicherungsfalls nicht bestehen. Die maßgebliche, eigenständige Rechtsbeziehung würde erst durch den Versicherungsfall entstehen.

Zu einer abschließenden Entscheidung gem. § 563 Abs. 3 ZPO sah sich der BGH gehindert. Das OLG müsse prüfen, ob der Beklagte zu 2 (Geschäftsführer der Beklagten zu 1.) in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht habe. Dies könne in einer verursachenden Handlung oder Unterlassung verursacht habe, ohne dass es sich um eine spezifische Tätigkeit im Rahmen der Vertretungsberechtigung handeln müsste. Entscheidend sei, ob er im Rahmen der  Bauleitung (die er nach den Feststellungen des OLG erbracht habe) grob fahrlässig gegenüber dem verletzten Arbeitnehmer bestehende vertragliche Schutzpflichten und Verkehrssicherungspflichten verletzte und hierdurch den Arbeitsunfall verursachte bzw. mitverursachte.

BGH, Urteil vom 09.12.2021 - VII ZR 170/19 -

Freitag, 11. Dezember 2020

Zahlung von Verwarnungsgeld durch Arbeitgeber ist grundsätzlich eine zu versteuernde Einnahme

 

Die Klägerin betrieb eine Paketzustelldienst. Deren angestellte Fahrer hatten die Aufgabe, Pakete bei den Kunden abzuholen oder den Kunden Pakete zuzustellen. Regelmäßig hielten die Fahrer in der Nähe der Kunden (um den Vorgang zu beschleunigen). Soweit die Klägerin keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO zum Halten im Halteverbot pp. erhielt, nahm es die Klägerin hin, dass die Fahrer die Fahrzeuge gleichwohl im Halteverbot pp. abstellten und dann Verwarnungsgelder angefordert wurden. Diese wurden direkt von der Klägerin als Halterin angefordert und auch von dieser gezahlt, auch dann, wenn sie nur aufgefordert wurde, entweder einen Zeugenfragebogen auszufüllen oder das Verwarnungsgeld zu zahlen.  Anderweitige Verwarnungs- und Bußgelder (so für Geschwindigkeitsverstöße ihrer Fahrer) zahlte die Klägerin nicht.

Der Beklagte (das Finanzamt [FA]) war der Ansicht, es handele sich bei diesen von der Klägerin gezahlten Verwarnungsgeldern um lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn und berief sich auf die Entscheidung des BFH vom 14.11.2013 zur Zahlung von Bußgeldern für die Überschreitung von Lenk- und Ruhezeiten. Die Klägerin meldete daher in ihrer Lohnsteuer-Anmeldung für April 2014 für Lohnsteuer in Bezug auf die benannten Verwarnungsgelder in Höhe von € 1.925,96 sowie die darauf beruhende Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag pauschaliert nach § 38a EstG an und legte dagegen auch Einspruch ein. Der Einspruch wurde zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Revision des FA führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Finanzgericht.

Der BFH führte aus, bei der pauschalierten Steuer handele es sich um eine von der Steuer ´des Arbeitnehmers abgeleitete Steuer. Es müsste sich mithin um eine in Geldwert bestehende Einnahme iSv. § 19 EstG handeln. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit würden neben dem Lohn auch andere Bezüge gehören, die dem Arbeitnehmer (AN)  gewährt würden, unabhängig davon, ob der AN darauf einen Rechtsanspruch habe. Ein Bezug zum Dienstverhältnis läge vor, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt würde, da der AN Arbeitnehmer des Arbeitgebers (AG) sei und nur deshalb die Zuwendung als Gegenleistung für die Dienste des AN gezahlt würden. Auch der Erlass von Forderungen, die dem AG gegen den AN zustünden könne Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 S. 2 EstG sein. 

Zutreffend sei danach das FG zunächst davon ausgegangen, dass den AN nicht schon deshalb Arbeitslohn zugeflossen sei, da der AG (die Klägerin) die Verwarnungsgelder iSv. § 56 OWiG gezahlt habe. Die Verwarnungsgelder seien jeweils bei der Klägerin als Halterin der Fahrzeuge wegen Parkverstößen ihrer AN geltend gemacht worden. Daher habe die Klägerin eine eigene Verbindlichkeit erfüllt. Betroffener im Sinne des OWiG sei ungeachtet eines Tatbeitrages auch der Halter des Fahrzeuges (BVerfGE 80, 109). Sei der Halter nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit der Verwarnung einverstanden und zahlt er, würde die Verwarnung wirksam, ohne dass damit die Voraussetzungen sachlich-rechtlicher Art bzw. eines Bußgeldtatbestandes festgestellt würden. Nach der Zahlung sei ein Rechtsmittelausgeschlossen. 

Dies unterscheide sich von den Sachverhalten, die den Entscheidungen in BFHE 208, 104 und BFHE 243, 520 zugrunde gelegen hätten, da dort zugrunde lag, dass die jeweilige Klägerin die Zahlung von Verwarnungsgeldern bzw. Bußgeldern erfolgte, die gegen die jeweiligen Fahrer erhoben wurden.

Allerdings ließe sich, anders als das FG meine, daraus noch nicht ableiten, dass den AN der Klägerin hier kein geldwerter Vorteil zugeflossen sei. Ein geldwerter Vorteilwürde auch dann dem AN zufließen, wenn der AG zu erkennen gebe, dass er keinen Rückgriff nehmen würde und sich der AN damit einverstanden erkläre. Ein vom FG negierter Rückgriffsanspruch des AG könne nicht festgestellt werden.

Die Erwägung des FG, ein vertraglicher Regressanspruch liege nicht vor, da eine Zusage des AG, eine dem AN bei der Arbeitsdurchführung erfolgte Geldstrafe/-buße zu übernehmen einen Verstoß gegen die guten Sitten darstelle (§ 138 BGB) und daher eine Vereinbarung nicht zur Disposition des AG stünde, trage nicht, da es darum hier nicht gehen würde. Die Klägerin habe zudem selbst geltend gemacht, ihre Fahrer angewiesen zu haben, in Gebieten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht hätte erlangt werden können, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Damit könne auch nicht konkludent eine (Neben-) Pflichtverletzung der AN ausgeschlossen werden. In Ansehung der von der Klägerin vorgetragenen Weisung hätte das FG auch nicht einen gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag verneinen können (§§ 683 S. 1, 670 BGB) und die Übernahme sei im ausschließlich eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt.

Es sei daher nunmehr vom FG nach der Zurückverweisung zu prüfen, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin wegen der unstreitig durch ihre Fahrer begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zustünde. Stelle es einen realisierbaren (also einredefreien und fälligen) Ersatzanspruch gegen den jeweiligen Fahrer fest, wäre die Frage des Zeitpunktes des Erlasses (§ 397 BGB) zu klären, d.h. dem Zeitpunkt des jeweiligen Zuflusses des geldwerten Vorteils bei dem AN

Klarstellend wies der BFH darauf hin, dass im Falle eines Erlasses eines realisierbaren Anspruchs das Vorliegen von Arbeitslohn nicht mit der Erwägung verneint werden könne, die Zahlung sei im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt. Ein rechtswidriges Tun des AN stelle sich nicht als beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung dar (Aufgabe der Rechtsprechung in BFHE 208, 104), auch wenn es sich bei den Parkverstößen wie hier regelmäßig um solche im absoluten Bagatellbereich handele.

BFH, Urteil vom 13.08.2020 - VI R 1/17 -

Samstag, 16. Juli 2016

Kfz-Haftpflichtversicherung: Verkehrsunfallflucht und arglistige Verletzung der Aufklärungspflicht mit Folge des Verlustes des Versicherungsschutzes

Der Beklagte hatte mit dem bei der Klägerin haftpflichtversicherten Fahrzeug einen Verkehrsunfall. Ein Strafverfahren gegen ihn wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde gem. § 153a stopp gegen Auflagen eingestellt. Die Klägerin, die an den Unfallgegner Schadensersatz leisten musste, verlangte diese Zahlung von € 2.068,13 von dem beklagten zurück und beruft sich dabei darauf, der Beklagte habe durch das Entfernen vom Unfallort arglistig eine Obliegenheit nach dem Versicherungsvertrag verletzt und sie habe daher einen Anspruch auf Erstattung des regulierten Betrages.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung war erfolgreich. Das Amtsgericht schloss sich der herrschenden Rechtsprechung an, dass die Verkehrsunfallflucht eine arglistige Obliegenheitspflichtverletzung darstellt (BGH vom 01.12.1999 – IV UR 71/00 -). Damit käme es auch nicht darauf an, ob der Beklagte überhaupt den kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 2 VVG geführt hätte; wird dieser nicht geführt, ist ohnehin von der arglistigen Obliegenheitspflichtverletzung auszugehen, die hier aber bereits tatbestandlich anzunehmen wäre.

Das Landgericht weist darauf hin, dass damit noch nicht der Regressanspruch begründet wäre. Der Versicherer hat darzulegen, welche Maßnahmen er bei Erfüllung der Obliegenheiten getroffen hätte. Insoweit hatte vorliegend die Klägerin vorgetragen, dass, wäre der Beklagte am Unfallort verblieben, die Polizei Feststellungen zu Personen und Zustand von Fahrzeugen hätte treffen können; diese Sachverhaltsaufklärung sei nicht mehr möglich. Soweit der beklagte sich hier zu diesen Feststellungen auf das Zeugnis seiner Freundin, die Beifahrerin war, beruft, handelt es sich nach Auffassung des Landgerichts nicht um eine gleichwertige Beweislage gegenüber verhinderten polizeilichen Feststellungen.


LG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2015 – 9 S 27/14 -

Freitag, 27. Mai 2016

Verjährung des Regresses des Unfallversicherungsträgers nach §§ 110, 111 SGB VII

In seinem Urteil vom 08.12.2015 – VI ZR 37/15 – hat der BGH seine herausgebildete Rechtsprechung zur Frage der Verjährung von Ansprüchen des Sozialversicherungsträgers, bei der es stets darum geht, ab wann die Verjährungsfrist zu laufen beginnt.

§ 113 SGB VII bestimmt, dass für die Verjährung die Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 u. 2 und 199 BGB entsprechend mit der Maßgabe gelten, dass die Frist erst ab dem Tag gerechnet wird, zu dem der Sozialversicherungsträger seine Leistungspflicht bindend festgestellt habe. Vorliegend hatte der Unfallversicherungsträger geltend gemacht, dass er keinen diesbezüglichen Verwaltungsakt erlassen habe, also keine Bindungswirkung eingetreten sei. Dem Folgten der BGH wie auch die Vorinstanzen nicht. Der BGH führte aus, es wäre zunächst ausreichend, dass der Sozialversicherungsträger seine Leistungspflicht dem Grunde nach feststellt. Beiden Versicherten hatte der Kläger (Unfallversicherungsträger) beiden Versicherten schriftlich mitteilte, dass ein Arbeitsunfall vorläge und er daher Leistungen zu erbringen habe. Diese Schreiben würden sich als Verwaltungsakt darstellen, da ein verständiger Versicherter sie in Ermangelung anderer Umstände nur als verbindliche Regelung und nicht als bloße Information auffassen könnte.

Ob hier maßgeblich die Leistungspflicht oder die Rechtskraft eines Urteils gem. § 113 SGB ist oder zusätzlich  die weiteren Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 BGB vorliegen müssten, ließ der BGH offen. Darauf kam es vorliegend nicht an, da auch bereits im September 2005 der Kläger Bescheide zur Zahlung von Verletztengeld und Übernahme von Behandlungskosten erließ; da diese Bescheide die Versicherten nicht beschwerten, erwuchsen sie sofort in Rechtskraft, weshalb der Anspruch nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstand.

Der Kläger machte weiterhin geltend, dass sie nicht bereits am 18.01.2006 von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erfahren zu haben, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Auch damit konnte er nicht durchdringen.

Die für eine Klage erforderliche Kenntnis wird im allgemeinen angenommen, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, eventuell auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend (wenn auch nicht unbedingt risikolos) möglich ist. Er müsse also nicht alle Umstände im Einzelnen wissen, noch hinreichend sichere Beweismittel zur Hand haben (Bestätigung von BGH, Urteil vom 27.05.2008 – XI ZR 132/07 – und vom 09.11.2007 – B ZR 25/07 -).  Hier war die Rechtsabteilung (Regressabteilung) des Klägers über diese Umstände informiert gewesen, auf deren Kenntnis (nicht auf die Kenntnis des Leistungssachbearbeiters) der BGH abstellt. Ihr lag der Unfallbericht vor. Behauptete Säumnisse des Beklagten wurden unter Überschrift „Organisatorische Ursachen“ aufgeführt. Damit hätte der Mitarbeiter der Rechtsabteilung davon ausgehen müssen, dass die im Verfahren behaupteten Versäumnisse aus dem Verantwortungsbereich des Beklagten den Arbeitsunfall jedenfalls mitverursacht haben. Aus dem Bericht ergäbe sich auch nicht, dass der Bericht wegen nicht abgeschlossener technischer Ursachenforschung nur vorläufigen Charakter habe.

Da damit die notwendigen Kenntnisse iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits in 2006 ebenso vor wie  auch zu diesem Zeitpunkt bindend die Leistungspflicht feststand. Die Verjährung begann mithin Ende 2006 zu laufen und trat Ende 2009 ein.

Auch aus dem Umstand, dass auf ein Schreiben des Klägers vom 19.01.2007, mit dem sie gegenüber dem Beklagten die Prüfung von Schadensersatzansprüchen mitteilte ergäbe sich auch im Hinblick auf ein am folgenden Tag mit dem Beklagten geführten Telefonat, in dem der Beklagte lediglich erklärte, er wolle derzeit noch nicht seinen Haftpflichtversicherer benennen, keine Hemmung der Verjährung. Die Hemmung setzt eine Verhandlung über den Anspruch oder anspruchsbegründende Umstände voraus, § 203 BGB. Das Schreiben und das darauf geführte Telefonat stellen sich nicht als Verhandlungen dar, zumal auch der Kläger nur von einer Prüfung von Ansprüchen sprach.

Der weitere Umstand, dass der Haftpflichtversicherer gegenüber der Deutschen Rentenversicherung auf die Einrede der Verjährung verzichtete, führt auch nicht weiter. Selbst wenn es sich bei dem Kläger und der Deutschen Rentenversicherung um Gesamtgläubiger handeln sollte, würde der Verjährungsverzicht gegenüber einem von beiden nicht mangels anderweitiger Anhaltspunkte tangieren.


BGH, Urteil vom 08.12.2015 – VI ZR 37/15 -

Donnerstag, 17. März 2016

Anwaltsregress: Umfassender Sachvortrag und rechtliche Würdigung zu allen Anspruchsgrundlagen ist erforderlich

„Fasse Dich kurz“ – ein Aufkleber aus alten Zeiten in Telefonzellen. Dieser Grundsatz soll jedenfalls aber nicht in anwaltlichen Schriftsätzen gelten, folgt man hier dem BGH. Danach hat der Anwalt „die zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich darzustellen“. In diesem Zusammenhang weist der BGH auch darauf hin, dass aus dem Grundsatz „iura novit curia“ („Das Recht kennt der Gerichtshof“) keine Einschränkung der Verpflichtung des Anwalts hergeleitet werden könne.

Bild: pixabay
Der BGH musste sich (wieder einmal) mit einem Anwaltsregress befassen. In dem Vorprozess hatte der beklagte Anwalt die Klägerin im Zusammenhang mit einem Schadensfall aus einem Speditionsgeschäft vertreten. In dem Verfahren war streitig, welches Versicherungsrisiko von dem Spediteur eingedeckt werden sollte. Der Klage wurde lediglich im geringen Umfang stattgegeben. Im Rahmen des Regresses machte nun die ehemalige Mandantin geltend, der Beklagte habe im Ausgangsverfahren nicht hinreichend deutlich gemacht, dass die Spedition zur Eindeckung einer Allgefahrenversicherung verpflichtet gewesen sei. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab; der BGH hob die Entscheidungen auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Zutreffend verweist der BGH in seiner Entscheidung darauf, dass im Zivilrechtsstreit grundsätzlich die Beibringung des Tatsachenstoffs Sache der Parteien ist. Allerdings, so der BGH, ist der Anwalt verpflichtet, über den Tatsachenvortrag hinaus „das Gericht davon zu überzeugen, dass und warum seine Rechtsauffassung richtig ist“. Kommen verschiedene Rechtsgründe in Betracht, muss der Anwalt alle Rechtsgründe ins Feld führen und den Sachvortrag so gestalten, dass alle Gründe auch konkret dem Gericht dargelegt werden.

Im konkreten Fall hielt der BGH dem verklagten Anwalt allerdings vor, dass er den Terminus der All-Risk-Versicherung nicht erläutert habe. Hier würde es sich nicht um einen einfachen Rechtsbegriff (wie z.B. Eigentum) handeln, weshalb zum substantiierten Vortrag die Erläuterung des damit versicherten Risikos gehört.

Anmerkung: Bekanntlich wird ein Rechtsstreit nicht von den Anwälten sondern vom Gericht entschieden. Von daher ist an sich bereits unverständlich, weshalb der Anwalt nach Auffassung des BGH letztlich das Gericht belehren soll, gegebenenfalls sogar penetrant belehren soll, damit es die von ihm vertretene (eventuelle sogar zutreffende) Auffassung teilt. Der Verfasser muss sich häufig den Hinweis des Gerichts anhören, man würde auch die Rechtsnorm, die Rechtsprechung pp. kennen; lapidar wird daher dann immer darauf hingewiesen, dass dies sein möge, der BGH aber in seinen Haftungsprozessen gegen Anwälte offenbar andere Auffassung sei.

Richtig ist im vorliegenden Verfahren des BGH, dass natürlich nicht nur der Name der konkret abgeschlossenen Versicherung zu benennen war, sondern auch der dahinter stehende Versicherungsumfang zu benennen war, da es gerade um den Versicherungsumfang in dem Rechtsstreit ging. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Richter in der Materie der Bezeichnung bestimmter Versicherungen firm ist, unabhängig davon, dass es sich nicht um gesetzliche Einordnungen handelt sondern um versicherungsvertragliche Bestimmungen und damit notwendig Gegenstand eines Sachvortrages sein muss, unabhängig davon, dass eine Definition des Inhalts in den Fachkommentaren zu finden wäre. Allerdings: Hätte nicht der Richter auf die fehlende Darlegung nach § 139 ZPO hinweisen müssen ?


BGH, Urteil vom .12.2015 – IX ZR 272/14 -

Dienstag, 17. September 2013

Nichteheliche Lebensgemeinschaft: Haftungsprivilegiert nach § 116 Abs. 6 SGB X

[Bild: Jorma Bork  / pixelio.de]
Kommt es zu einem Schadensfall ist der Sozialversicherer (z.B. die gesetzliche Krankenkasse) gehindert, bei dem Schädiger Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wenn es sich bei dem Versicherten um einen Familienangehörigen des Schädigers handelt und der Vorfall nicht auf Vorsatz oder grob fahrlässigen Verhalten des Schädigers beruht, ferner der Familienangehörige mit dem Schädiger in häuslicher Gemeinschaft lebt, § 116 Abs. 6 SGB X. Gedacht ist hier z.B. an Eheleute, bei denen der eine Ehepartner durch Unachtsamkeit des anderen verletzt wird. In diesem Fall soll der Krankenversicherer seine Aufwendungen nicht bei dem schädigenden Ehepartner regressieren können.  Hintergrund ist der Gedanke, dass durch die häusliche Gemeinschaft und eine dadurch auch anzunehmende finanzielle Gemeinschaft der verletzte Ehepartner letztlich mit für die an sich durch seine Krankenversicherung gedeckten Kosten einzustehen hätte.