Mittwoch, 29. Januar 2025

Bemessung des Stundensatzes bei Haushaltsführungsschaden

Infolge eines Schadensfalls machte die Klägerin auch einen Haushaltsführungsschaden geltend, bei dem es zuletzt um die Höhe des zugrunde zu legenden Stundensatzes ging. Während die Klägerin einen Stundensatz von € 14,00 ansetzte, nahm das Amtsgericht einen solchen von € 12,00 an, demgegenüber das Landgericht im Berufungsverfahren € 8,00 (entsprechend § 21 Abs. 1 JVEG) zugrunde legte. Auf die zugelassene Revision der Klägerin musste sich nun der BGH mit der Bemessung des Stundensatzes für einen Haushaltsführungsschaden auseinandersetzen. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht.

Der BGH stellte in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung fest, dass der Verlust der Fähigkeit, weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten, einen ersatzfähigen Schaden darstelle, unabhängig davon, ob der Geschädigte Vermögensaufwendungen für eine Ersatzkraft aufgewandt habe. Entweder läge in der Hausarbeit ein Beitrag zum Familienunterhalt und würde daher einen Erwerbsschaden (iSv. § 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB) darstellen, oder sie würde den eigenen Bedürfnissen dienen und damit eine Vermehrung der Bedürfnisse (iSv. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB) darstellen. Es handele sich jeweils um messbaren Schaden der auch fiktiv berechnet werden könne. Im Falle der fiktiven Berechnung erfolge dies auf Nettolohnbasis (BGH, Urteil vom 18.02.1992 - VI ZR 367/90 -).

Richtig habe das Berufungsgericht zunächst im Rahmen einer Schätzung der Höhe des Schadens (§ 287 ZPO) die Anzahl der Arbeitsstunden ermittelt, mit der die Klägerin unfallbedingt ausgefallen sei. Streitig sei nur die darauf erfolget Bemessung der Höhe des Stundensatzes.

Der BGH verwies darauf, dass die Bemessung der Höhe Sah des Tatrichters sei. Dies sei vom BGH nur darauf überprüfbar, ob wesentliche Bemessungsfaktoren au0er Acht gelassen oder der Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt worden seien. Zur Überprüfung müssten die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung dargelegt werden. Das sei hier bei der Bemessung der fiktiven Vergütung einer Ersatzkraft mit netto € 8,00/Stunde nicht erfolgt.

Mögliche Schwierigkeiten bei der Feststellung, in welchem Umfang eine Ersatzkraft hätte eingestellt werden müssen, würden einen Verzicht auf eine nachvollziehbare Darlegung der Schätzungsgrundlagen nicht rechtfertigen. Auch sei ein pauschaler Verweis auf in 2014 und 2021 veröffentlichte Entscheidungen des OLG München im Hinblick auf Unfälle in 2009 und 2016 nicht geeignet den Ansatz von € 8,00/Stunde zu rechtfertigen, da das Lohnniveau sich nicht ohne weiteres auf den Streitfall übertragen ließe. Rechtlich bedenklich sei auch die Auffassung des Berufungsgerichts, der gesetzliche Mindestlohn könne bei der fiktiven Bemessung des Schadens keine Rolle spielen. Zwar handele es sich bei dem in § 1 MiLoG festgesetzten Mindestlohn um einen Bruttostundenlohn, während der bei der hier fiktiven Geltendmachung der Nettolohn entscheidend sei; doch bilde der in dem maßgeblichen Zeitraum geltende Mindestlohn die Untergrenze des Bruttolohnes, auf dessen Grundlage die Ermittlung des für die Schätzung maßgeblichen Nettolohns erfolgen könne. Will der Tatrichter auf der Grundlage des gesetzlichen Mindestlohnes den Schaden ermitteln, müsse er nachvollziehbar angeben, warum dieser auf der Grundlage des Einzelfalles (z.B. Anforderungen an konkret anfallende Haushaltstätigkeiten) – bei einer möglichen „Orientierung an durchschnittlichen Maßstäben“ (BGH, Urteil vom 08.03.1983 - VI ZR 201/83 -) – als fiktive Vergütung einer Ersatzkraft angesehen werden könne.

Es sei nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungs- oder Ermittlungsmethode vorzuschreiben. Der in § 21 S. 1 JVEG bestimmte Stundensatz von Zeugen für Nachteile bei der Haushaltsführung erscheine jedoch aus Rechtsgründen als alleinige Schätzgrundlage unzureichend, insoweit die Stundensätze nach dem JVEG nicht wie die Schadensschätzung nach § 287 ZPO dazu diene, einen konkreten Schaden vollständig aber nicht übermäßig zu kompensieren. Zudem seien die tatsächlichen Grundlagen, auf denen die Festsetzung der Höhe der Zeugenentschädigung beruhe, nicht so offengelegt, dass sie eine Beurteilung durch den Tatrichter nicht zulassen würden, ob diese Grundlagen auch unter den Umständen des Schadensfalls als Ausgangspunkt für eine Schadensschätzung geeignet sind.  Hier läge bereits ein Unterschied des 21 S. 1 JVEG gegenüber der nach dem im JVEG benannten Orientierungshilfen für Nebenkosten der Sachverständigen, die im Rahmen der Schadenschätzung nach § 287 ZPO herangezogen werden könnten.

BGH, Urteil vom 05.11.2024 - VI ZR 12/24 -

Montag, 27. Januar 2025

Gewinnfeststellungsbescheid bei nicht mehr existenter Personengesellschaft

Der Kläger hatte seine Kommanditbeteiligung an der B KG sowie seinen Geschäftsanteil an der Komplementärgesellschaft, der B GmbH, mit Vertrag in 2016 gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten auf die O GmbH & Co. KG (nachfolgend O KG) übertragen. Anschließend schied die B GmbH aus und die O KG als einzige verbliebene Gesellschafterin übernahm das Vermögen der B KG im Wege der Anwachsung  mit allen Aktiven und Passiven ohne Liquidation zum 31.12.2016; die B KG wurde im Januar 2017 im Handelsregister gelöscht. Das Finanzamt (FA) erließ infolge einer Außenprüfung am 26.01.2018 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid betreffen der B KG, der dem Kläger bekanntgegeben wurde; unterhalb des Adressfeldes wurde die B KG benannt.  Adresse des Klägers. Im Bescheid erfolget der Hinweis, dass dieser an den Kläger als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehe. Der Kläger begehrte die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides. Diesen Antrag wies das FA zurück. Einspruch blieb erfolglos; das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, da sich der Bescheid gegen eine vollbeendete Personengesellschaft richte. Auf die Revision des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) das finanzgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Nichtigkeitsfeststellungsklage iSv. § 41 Abs. 1 Alt. 2 FGO sah der BFH als zulässig an, die Annahme des FG, ein Gewinnfeststellungsbescheid sei nichtig, der sich an eine vollbeendete Personengesellschaft richte, sei nichtig, als rechtsfehlerhaft.

Der Verwaltungsakt müsse inhaltlich hinreichend bestimmt sein, § 119 Abs. 1 AO; leide er an einem besonders schwerwiegenden Fehler und sie die offenkundig, sei er nichtig, § 125 Abs. 1 AO, und damit unwirksam, § 124 Abs. 3 AO. Ein solcher Fall läge vor, wenn sich aus dem Veraltungsakt nicht der Inhaltsadressat, also desjenigen, dem gegenüber etwas geregelt werden soll, ergebe. Der Feststellungsbescheid richte sich gegen den Steuerpflichtigen, § 179 Abs. 2 S. 1 AO. Die gesonderte Feststellung werde gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich vorgenommen, wenn dies gesetzlich bestimmt ist oder der Gegenstand mehreren Personen zuzurechnen sei. Diese Zurechnung habe hier nicht § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO stattzufinden, da die Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt würden, da mehrere Personen beteiligt seien, bei denen eine Zurechnung stattfände.

Ein Gewinnfeststellungsbescheid richte sich stets gegen die Gesellschafter (Mitunternehmer), unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt des Erlasses die Personengesellschaft noch bestünde oder erloschen sei. Es müsse sich aus ihm ergeben, für welche Peron der Gewinn festgestellt würde und wie hoch der Gewinnanteil der einzelnen Gesellschafter sei. Die Aufnahme der erloschenen Personengesellschaft in das Adressfeld sei unschädlich, wenn sich aus dem Bescheid die Angaben über die Gesellschafter ergäben. Die Benennung der Gesellschaft stelle sich nur als „Sammelbezeichnung“ dar. (Dazu z.B. BFH, Urteile vom 12.08.1976 - IV R 105/75 - und 25.07.2019 - IV R 61/16 -, sowie Beschluss vom 01.09.2008 - IV B 12/08 -).

Zum Unterschied dazu könne die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages nicht gegenüber der nicht mehr existenten Personengesellschaft erfolgen, da Steuerschuldner (§ 5 Abs. 1 S. 3 GewStG) und Inhaltsadressat hier die Personengesellschaft sei und nur bei einer Gesamtrechtsnachfolge die Steuerschuldnerschaft auf den Rechtnachfolger übergehe.

BFH, Urteil vom 30.10.2024 - IV R 4/23 -

Freitag, 24. Januar 2025

Videoüberwachung bei gestörten Nachbarschaftsverhältnis

Die Einbrüche in Wohnungen und Einfamilienhäuser häufen sich, weshalb auch immer mehr Eigentümer dazu übergehen, ihre Wohnung oder ihr Haus durch Videoanlagen überwachen zu lassen. Allerdings ist dies problematisch, wie das Urteil des AG Gelnhausen – unter Bezugnahme auf anderweitige Entscheidungen – belegt. Der Verfügungskläger hatte beantragt, dass eine  Videoüberwachungskamera am Nachbarhaus so betrieben werden müsse, dass Geschehnisse auf dem Grundstück des Verfügungsklägers nicht erfasst und entsprechende Aufnahmen künftighin unterlassen würden.

Das Amtsgericht (AG) sah den Antrag als nach §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB begründet an. Dabei sei unerheblich, ob das Haus des Verfügungsklägers bereits bewohnt würde. Da diese Eigentümer seien, läge der Anspruchsgrund bereits in ihrer Person. Es läge eine nicht gerechtfertigte Verletzung deren allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, welches über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB geschützt sei und den Antrag begründe. Es käme auch nicht darauf an, ob die Kamera das Grundstück der Verfügungskläger erfassen könne oder nicht.

Ausreichend für den Unterlassungsanspruch sei, dass ein sogenannter Überwachungsdruck erzeugt würde (z.B. LG Hamburg, Urteil vom 18.01.2018 - - 304 O 69/17 -; OLG Köln, Urteil vom 22.09.2016 - - I-15 U 33/16 -; für Nachbarrecht AG Brandenburg, Urteil vom 22.01.2016  - 31 C 118/14 -; für Mietrecht LG Berlin, Urteil vom 28.10.2015 - 67 S 82/15 -; für Wohnungseigentum AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 03.09.2015 - 70 C 17/15 -). Erforderlich sei, dass dritte Personen eine Überwachung ernsthaft befürchten müssten, was dann der Fall sei, wenn eine Überwachung aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich wäre. Dafür sei bereits ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis ausreichend und dass die Kamera mittels eines nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Nachbargrundstück ausgerichtet werden könne. Der Überwachungsdruck könne nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichen und sichtbaren Aufwand auf das Nachbargrundstück gerichtet werden könne (BGH, Urteil vom 16.03.2010 - VI ZR 176/09 -). Der elektronische Sicherungsmechanismus sei hier unstreitig.

Das AG nahm eine Interessensabwägung vor und negierte ein überwiegendes Interesse des Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen. Es sei zwar ein legitimes Interesse der Verfügungsklägers, sein Eigentum zu schützen. Dieser Schutzzweck gehe aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. Es müsse in Ansehung des bereits deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungskläger hätten die Möglichkeit, Videoaufzeichnungen ihres Eigentums nach den Grundsätzen des Urteils des BGH aaO. durchzuführen.

Anmerkung: Der Verweis auf das Urteil des BGH zur möglichen Durchführung einer Installation ist nicht weitergehend als die Ausführungen in dem Urteil des BGH. Es müsse sichergestellt werden, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von der Kamera erfasst wird.

AG Gelnhausen, Urteil vom 04.03.2024 - 52 C 76/14 -

Dienstag, 21. Januar 2025

Bauvorschriften der Landesbauordnungen als Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB

Der Kläger verlangte Sicherungsmaßnahmen zugunsten seines Grundstücks nach Abriss eines Gebäudes auf dem Grundstück seines Nachbarn (des Beklagten). Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe weder nach § 1004 Abs. 1 Sl1 GB iVm. nachbarrechtlichen Vorschriften einen Beseitigungsanspruch noch einen Ausgleichsanspruch nach § 1004 BGB iVm. § 922 S. 2 BGB, da die mit dem Gebäude abgerissene Außenmauer keine Grenzmauer sei. Auch § 1004 BGB iVm. § 906 BGB scheide aus, da es an einer notwendigen Einwirkung fehle. Auch sie kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 12 Abs. 1 S. 2 BauO LSA gegeben, da hier der Abriss weder die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers noch die Tragfähigkeit des klägerischen Grundstücks gefährde.

Das OLG hob auf die Berufung des Klägers das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht. Offen sei nämlich, ob ein Anspruch aus § 1004 BGB analog iVm. § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA bestünde. Es sei anerkannt, dass § 1004 BGB analog als sogen. quasi-negatorischer Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch für alle deliktisch geschützten Rechtsgüter (mithin auch jenen in § 823 Abs. 1 BGB genannten) und für die durch ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB abgesicherten Interessenssphären gelte (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.1996 - V ZR 335/95 -).

§ 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verlange die Standsicherheit jeder Anlage im Ganzen wie auch in Teilen. Im Zusammenhang kit § 3 BauO LSA ergebe sich, dass Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten seien, dass insbesondere Leben und Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden dürften. § 12  Abs. 1 S. 2 BauO LSA bestimme auch, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürften, die Norm habe nachbarschützende Wirkung (OVG Magdeburg, Urteil vom 18.02.2015 - 2 L 22/13 -). Bauvorschriften mit nachbarschützender Wirkung würden gleichzeitig Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB darstellen (vgl. BayObLG, Urteil vom 15.11.1000 - 1Z RR 187/98 -).

§ 12 Abs. 1 S. 2 BauO LSA sei nicht nur bei der Errichtung , sondern auch – wie vorliegend in Betracht kommend – sondern auch bei dem Abriss eines Gebäudes anzuwenden, was sich aus der Systematik der Regelungen in der BauO LSA ergäbe. Denn für die Beseitigung baulicher Anlagen gelte nach § 2 Abs. 4 BauO LSA (in der im Zeitpunkt des  Abrisses Herbst 2013 geltenden Fassung), wonach der Zustand nach dem Abbruch eines Gebäudes gegen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verstoßen könne, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet würden. Sei aber bei einem Abriss einer baulichen Anlage die Generalklausel des § 3 Abs. 1 BauO LSA einzuhalten, gelte für den  Abriss einer baulichen Anlage – nicht anders als für deren Errichtung- ebenfalls die Konkretisierung dieser Generalklausel in der Vorschrift über die Standsicherheit in § 12 Abs. 1 BauO LSA.

Das OLG führte sodann aus, dass vom Landgericht bisher nicht aufgeklärt worden sei, ob die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers bzw. die Tragfähigkeit seines Grundstücks durch den Abriss des Gebäudes des Beklagten gefährdet sei.

OLG Naumburg, Urteil vom 29.01.2024 - 12 U 75/23 -

Freitag, 17. Januar 2025

Zuständiges Gericht für Hinterbliebenengeld nach Arztfehler verschiedener Krankenhäuser

Der Kläger beantragte bei dem OLG eine Gerichtsstandsbestimmung, § 36 Nr. 3 ZPO, bei sachlicher Zuständigkeit eines Landgerichts, § 1 ZPO, 71 Abs. 1, 23 GVG. Seine Lebensgefährtin befand sich zunächst im Krankenhaus 1 der Stadt 1, sodann im Krankenhaus 2 der Stadt 2, um dann wieder zurückverlegt zu werden in das Krankenhaus 1, wo sie verstarb. Der Kläger machte mit der Begründung eines Arztfehlers ein Hinterbliebenengeld geltend.  Das eine Krankenhaus lag im Landgerichtsbezirk Limburg, das andere im Landgerichtsbezirk Koblenz.

Das OLG wies den Antrag zurück, da ein einheitlicher Gerichtsstand ohne gerichtliche Bestimmung vorläge. Für eine mögliche Gerichtsstandsbestimmung sei das angerufen OLG zuständig, auch wenn beide möglichen Gerichtstände in unterschiedlichen OLG-Bezirken lägen, bisher noch kein Gericht mit dem Streitfall befasst sei, ein möglicher Gerichtsstand (Limburg) im Bereich des OLG-Bezirks des ersuchen OLG läge. Allerdings negieret das OLG die Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beruhe auf Zweckmäßigkeitserwägungen (BGH, Beschluss vom 16.02.1984 - I AZR 395/83 -), weshalb dann ein zuständiges Gericht zu bestimmen sei, wenn mehrere Personen mit allgemeinen Gerichtsständen bei unterschiedlichen Gerichten als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand nicht begründet sei. Grundlage sei der Sachvortrag des Antragstellers und es fände im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung keine Prüfung der Zulässigkeit oder Schlüssigkeit der Klage statt.

Vorliegend gäbe es einen gemeinsamen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO, nämlich den Sterbeort. Der Kläger wolle Hinterbliebenengeld geltend machen, also eine angemessene Entschädigung des Hinterbliebenen für das ihm entstandene seelische Leid. Der Gesetzgeber habe den Anspruch in Titel 27 „Unerlaubte Handlung“ (§ 84 Abs. 3 BGB) als deliktischen Anspruch ausgestaltet, weshalb der Gerichtsstand nach § 32 ZPO eröffnet sei. Für diesen Gerichtsstand sie ausreichend, dass nur ein wesentliches Tatbestandsmerkmal an dem Ort verwirklicht wurde. Neben dem Handlungsort käme daher auch der Ort in Betracht, in dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden sei (sogen. Erfolgsort).  § 844 Abs. 3 BGB knüpfe auch an eine eingetretene Verletzung des Rechtsguts Leben an, also an den Tod des Getöteten. In Arzthaftungsfällen sei Begehungsort iSv. § 32 ZPO neben den Orten, an denen der Behandlungsfehler begangen oder pflichtwidrig die Behandlung unterlassen worden sei, auch der Ort , an dem der Tod eintrat; damit sei bei mehreren Tätern stets ein gemeinsamer Gerichtsstand gegeben.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.07.2024 - 11 UH 18/24 -

Mittwoch, 15. Januar 2025

Unfallversicherung: Mitwirkungsanteil einer Vorerkrankung nach Bagatellunfall

Der Kläger litt zum Unfallzeitpunkt an Erkrankungen des arteriellen Systems. Durch den Bagatellunfall, auf dessen Grundlage er Ansprüche gegen seine private Unfallversicherung geltend machte, erlitt der Kläger eine Prellung mit Bluterguss  (Bagatelltrauma). Der Sachverständige habe ausgeführt, dass in der weiteren Folge der zweite Zeh rechts amputiert werden musste.

Offen blieb, ob die bestehende Erkrankung des Klägers mitursächlich (oder alleine ursächlich) für doe Amputation war. Darauf würde es so das OLG -  nicht ankommen. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass bei einem normal gesunden Menschen die Unfallverletzung kein hinreichender Grund für einen Zehenverlust sei.  Auf dieser Beurteilungsgrundlage habe das Landgericht bei seiner Entscheidung nach § 287 ZPO den Mitwirkungsanteil der Vorerkrankung mit 100% geschätzt, was nach Auffassung des OLG nicht zu beanstanden sei. Zwar könne es sein, dass der Unfall der Auslöser für den zur Amputation führenden Verlauf war, nicht aber die eigentliche Ursache. Damit sie von einer Vorerkrankung mit einem unfallfremden Mitwirkungsanteil von 100% auszugehen (LG Heilbronn, Urteil vom 24.09.2015 – 4 O 181/14 -; LG Dortmund, Urteil vom 13.09.2013 – 2 O 213/22 betreffend Vorerkrankung Diabetis mellitus).

Vor diesem Hintergrund wies das OLG den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil im Beschlussweg zurückzuweisen, § 522 ZPO, woraufhin der Kläger die Berufung zurücknahm.

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 02.07.2024 - 1 U 19/24e -

Sonntag, 12. Januar 2025

Zustellungsverzögerung durch Gericht im WEG-Verfahren und Beschlussanfechtungsfrist

Der Kläger erhob mit Klageschrift vom 19.10.2016 eine Beschlussanfechtungsklage gegen verschiedene Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) vom 17.10.2016. Den angeforderten Kostenvorschuss zahlte er am 16.11.2016. Am 17.11.2016 erweiterte der Kläger die Klage und das Amtsgericht setzte den Streitwert vorläufig fest. Dieser Beschluss wurde dem Kläger zusammen mit einer Kostenrechnung vom 24.11.2016 und dem Hinweis zugestellt, Rechtshängigkeit sei noch nicht eingetreten. Den weiteren Kostenvorschuss zahlte der Kläger nicht und erkundigte sich mit Schriftsatz vom 15.12.2020, wann das Amtsgericht entscheide. Die Klageschrift wurde nunmehr am 25.01.2021 zugestellt. Die Klage wurde abgewiesen; die Berufung war erfolglos. Das Berufungsgericht wies darauf hin, dass die Klagefrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG a.F. nicht gewahrt sei, da die Zustellung im Januar 2021 nicht mehr „demnächst“ iSv. § 167 ZPO erfolgt sei. Der Kläger habe nicht vier Jahre nach Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses für die zuerst erhobene Klage bis zur Sachstandsnachfrage zuwarten dürfen.

Die zulässige Revision blieb erfolglos. Die Klagefrist des hier noch nach § 48 Abs. 5 WEG anwendbaren § 46 Abs. 1 S. 2 WEG (jetzt § 45 Abs. 1 WEG) in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung sei versäumt.  Die Zustellung sei nicht innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung am 17.10.2016 erfolgt, da sie auch nicht „demnächst“ iSv. § 167 ZPO zugestellt worden sei, so dass die Zustellung nicht auf den Tag des Eingangs der Klageschrift bei Gericht, an dem die Klagefrist noch nicht abgelaufen gewesen wäre, zurückwirke.

„Demnächst“ erfolge eine Zustellung, wenn sich die der Partei zurechenbare Verzögerung in einem hinnehmbaren Rahmen halte. Das werde bei 14 Tagen regelmäßig angenommen, wobei darauf abgestellt werden, um wie viele Tage sich der ohnehin für die Zustellung erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit der Partei verzögert habe. Nicht zuzurechnen seien allerdings Verzögerungen bei der Zustellung durch eine fehlerhafte Sachbehandlung durch das Gericht, auch wenn diese fehlerhafte Sachbehandlung durch eine der Partei zuzurechnende Verzögerung erfolgt sei (BGH, Urteil vom 21.07.2023 - V ZR 215/21 -). Unterbleibe allerdings eine Vorschussanforderung durch das Gericht, bestünde eine Nachfrageobliegenheit der Partei innerhalb angemessener Frist (BGH, Urteil vom 25.09.2015 - V ZR 203/14 -). Wenn die Partei allerdings ihre geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht habe, also insbesondere auch den Gerichtskostenvorschuss zahlte, bestünde grundsätzlich keine Veranlassung mehr, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren und durch Nachfrage auf eine Beschleunigung hinzuwirken (BGH, Beschluss vom 07.04.2022 - V ZR 165/21 -).

Im Hinblick auf die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses könnten dem Kläger keine Vorwürfe gemacht werden. Auch hätte das Amtsgericht die Zustellung der ursprünglichen Klage nicht von der Einzahlung des weiteren Gerichtskostenvorschusses für die Klageerweiterung abhängig machen dürfen, da Klage und Klageerweiterung sich hier bei der Anfechtung von Wohnungseigentümerbeschlüssen hätten trennen lassen.

Allerdings sei der Kläger trotz der rechtzeitig und ausreichenden Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses gehalten gewesen, sich bei dem Amtsgericht nach dem Sachstand er Zustellung zu erkundigen; dieser seiner Obliegenheit sei er durch die erst am 15.12.2020 erfolgte Nachfrage nicht nachgekommen.

Den Kläger treffe in einem wohnungseigentumsrechtlichen Beschlussanfechtungsverfahren die Obliegenheit, bei Verzögerungen der Klagezustellung spätestens innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Monatsfrist zur Erhebung der Anfechtungsklage bei Gericht den Sachstand zu erfragen, auch wenn er alle geforderten Mitwirkungspflichten (so die Zahlung des Gerichtsostenvorschusses) erbracht habe. Erfülle er diese Obliegenheit nicht, beginne im Rahme der Prüfung der Voraussetzungen des § 167 ZPO („demnächst“) zuzurechnende Zeitraum einer Zustellungsverzögerung.

Zwischen den Miteigentümern einer WEG bestünde ein gesetzliches Schuldverhältnis durch welches Verhaltenspflichten begründet würden (§ 14 WEG a.F., jetzt § 14 WEG), aus dem sich auch darüberhinausgehende Treue- und Rücksichtnahmepflichten iSv. § 241Abs. 2 BGB ergäben. Bei Beschlussanfechtungsklagen ergäben ich Treue- und Rücksichtnahmepflichten aus dem Sinn und Zweck der Ausschlussfristen (§ 46 Abs. 1 S. 2 WEG a.F., § 45 S. 1 WEG). Die Beschlussfassung nach § 23 Abs. 1 S. 1 WEG sei ein zentrales Element der Willensbildung der WEG zur Regelung ihrer Angelegenheiten und die Ausschlussfrist sei Ausdruck des gesetzgeberischen Anliegens, über die Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die ordnungsgemäße Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums zu gewährleisten. Wohnungseigentümer und Verwalter sollten In Kenntnis der Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber haben, ob, in welchem Umfang und aufgrund welcher tatsächlichen Grundlagen gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden sollen (BGH, Urteil vom 28.12.2012 - V ZR 251/11 -). Dazu gehöre auch die Frage, ob die Beschlüsse in Bestandkraft erwachsen sind und ab welchem Zeitpunkt nicht mehr mit einer Klage zu rechnen sei. Diesbezügliche Klarheit bestünde aber erst mit Zustellung der Klage. Die Fiktion des § 167 ZPO zur Rückwirkung der Zustellung auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung könnte dem zwar entgegenstehen, doch vertrat der BGH die Auffassung, dass das gesetzgeberische Ziel der alsbaldigen Klarheit verfehlt würde, wenn selbst nach längerer Zeit ein Klageverfahren über den Bestand gefasster Beschlüsse noch durchgeführt werden könne. Die Sicherstellung sei geboten, da die Bestandskraft eines Beschlusses für die Durchführung von Maßnahmen (so bauliche Veränderungen) oder Folgebeschlüsse relevant sein könnte.

Von daher ergäbe sich für jeden Wohnungseigentümer die Notwendigkeit, eine offensichtliche Untätigkeit des Gerichts nicht nur hinzunehmen, sondern ihr zumindest durch eine Sachstandsanfrage entgegenzuwirken.

Diesem Bedürfnis nach alsbaldiger Rechtssicherheit und -klarheit trage die materiell-rechtliche Ausschlussfrist zudem dadurch Rechnung, dass sie nicht disponibel und weder vom Gericht noch die Parteien verlängert werden könne (BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 28/22 -).

Der BGH verkennt nicht, dass für den Rechtssuchenden in Ausnahmefällen wie hier für die Mitwirkungsobliegenheit klar erkennbar sein müsse, was er zu tun habe, um einen Rechtsverlust zu vermeiden (BVerfG, Beschluss vom 07.05.1991 – 2 BvR 215/90 -).  Eine den Anforderungen an Fristenklarheit entsprechende Frist ergäbe sich aus § 46 Abs. 1 S. 3 WEG a.F. (§ 45 S. 2 WEG) iVm. § 234 Abs. 3 ZPO. Danach könne nach Ablauf von einem Jahre, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht mehr beantragt werden. Diese Frist sei auch hier zu beachten und der klagende Wohnungseigentümer habe deshalb innerhalb dieser Frist den Sachstand zu erfragen.

Nicht tangiert wären von der Frist Gründe, die die Nichtigkeit von angefochtenen Beschlüssen begründen würden.  Nichtigkeitsgründe hätten aber nicht vorgelegen.

BGH, Urteil vom 25.10.2024 - V ZR 17/24 -

Freitag, 10. Januar 2025

Verzögerungsgebühr bei Flucht in die Säumnis

Das Landgericht hatte nach schriftlichen Vorverfahren einen Verhandlungstermin angesetzt. Im Termin erschien der Klägervertreter nicht. Es erging auf Antrag des Beklagtenvertreters ein klageabweisendes Versäumnisurteil. Auf den Einspruch fand ein neuer Termin statt, an dessen Schluss das Urteil verkündet wurde, demzufolge das Versäumnisurteil aufrecht erhalten blieb. Mit gesonderten Beschluss erlegte das Landgericht dem Kläger eine Verzögerungsgebühr in Höhe eines Gebührensatzes von 1,0 aus einem Streitwert von € 45.320,00 auf (mithin € 601,00). Begründet wurde dies mit dem Nichterscheinen des klägerischen Prozessbevollmächtigten, und der dort dadurch bedingten Notwendigkeit, einen neuen Termin anzuberaumen. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Das Kammergericht Berlin (KG) wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

Das KG wies darauf hin, dass gem. § 38 Abs. 1 1, Fall GKG das Gericht einer Partei eine besondere Gebühr auferlegen könne, würde die Anberaumung eines neuen Termins zu mündlichen Verhandlung durch das Verschulden einer Partei notwendig.

Der neue Termin sei notwendig geworden, da der Kläger Einspruch gegen das Versäumnisurteil (VU) eingelegt habe und diesen aufrechterhalten habe. Die Gebühr käme in Betracht, wenn nach Erlass eines Versäumnisurteils aufgrund des Einspruchs der säumigen Partei ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden müsse. Das folgerte das KG aus einem Umkehrschluss aus § 38 S. 1 GKG, der eine Ausnahmeregelung nur für den Fall vorsehen, dass ein VU oder eine Entscheidung nach Lage der Akten gem. § 355 Abs. 1 ZPO nicht ergehen dürfe. Entscheidend sie der Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht.

Die Verzögerungsgebühr habe Strafcharakter; sie stelle sich als Sanktion für ein prozesswidriges Verhalten einer Partei oder ihres Vertreters dar. Deshalb könne sie nicht verhängt werden, wenn die Partei oder ihr Vertreter das Verfahren zwar verzögern würden, sich dabei aber prozessordnungsgemäß verhalten würden.

Vorliegend sie das Verhalten des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten als schuldhaft anzusehen, da gegen die Prozessförderungspflicht verstoßen worden sei. Verschulden läge sowohl bei vorsätzlichen als auch fahrlässigen Handlungen vor, § 276 BGB. Nach § 38 GKH sei ein grobes Verschulden oder Verschleppungsabsicht erforderlich. Die Prozessförderungspflicht verlange eine konzentrierte Verfahrensführung. Vorbringen dürfe nicht aus prozesstaktischen Gründen zurückgehalten werden (BGH, Beschluss vom 25.04.2024 - V ZR 238/23 -).

Hier sei von Fahrlässigkeit auszugehen. Es sei aus prozesstaktischen Gründen ein Versäumnisurteil in Kauf genommen worden, um sich die Entscheidung einer Klagerücknahme oder eines Einspruchs offen zu halten. Insbesondere sei das Nichterscheinen zum Termin nicht darin begründet gewesen, aus anwaltlicher Vorsicht prozessuale Nachteile für den Kläger zu vermeiden;  entscheidend für die Verzögerung des entscheidungsreifen Verfahrens  eine beabsichtigte Prüfung der Rechtslage durch ein beauftragtes Rechtsgutachten, wozu – so das KG – der Prozessbevollmächtigte des Klägers allerdings spätestens nach Einreichung der Klage am 11.12.2023 bis zum Termin am 10.07.2023 ausreichend Gelgenehit gehabt habe. Gegen die Prozessförderungspflicht sie verstoßen, da die Entscheidung, ob und inwieweit das Verfahren streitig geführt werden soll, bis zum Termin nicht grundlegend vorbereitet gewesen sei. Es sei dem Kläger zwar unbenommen, bei ausstehender externer Expertise ein VU gegen sich ergehen zu lassen. Und auch das Nichtauftreten im Termin sei grundsätzlich ein gesetzlich erlaubtes Mittel.  Allerdings hätte hier die Klärung bis zum Termin herbeigeführt werden müssen. In dem Unterlassen läge die Prozessordnungswidrigkeit, zumal es sich angeboten hätte, die Rechtslage vor Klageerhebung zu prüfen. Und seit Klageerhebung sieben Monate zur Prüfung zur Verfügung gestanden hätten. Zudem habe der Kläger auch nach Erhalt des Rechtsgutachtens am 19.07.2024 den Einspruch gegen das Versäumnisurteil aufrechterhalten und das Rechtsgutachten bzw. dessen Inhalt nicht in das Verfahren eingeführt und nicht einmal bis zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss nach § 38 GKG das Rechtsgutachten erwähnt, was darauf deute, dass er diesem für ihn bedeutsamen Rechtsgutachten nicht die erforderliche Beachtung im Rahmen der Prozessförderungspflicht bis zum Termin am 10.07.2024 gewidmet habe.

Eine Verhängung der Verzögerungsgebühr käme dann nicht in Betracht, wenn das Gericht die Verzögerung durch geeignete Maßnahmen hätte vermeiden können. Hier sei das Landgericht seiner Prozessförderungspflicht durch stringente Verfahrensführung nachgekommen.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 30.10.2024 - 21 W 35/24 -  

Montag, 6. Januar 2025

Geht dingliches Vorkaufsrecht zugunsten Familienangehörigen dem Mietervorkaufsrecht vor ?

Die Eheleute haben im Zuge ihrer Scheidung ein gemeinsames Haus in Wohnungseigentum geteilt und drei Wohnungen gebildet. Von denen zwei der Beklagte und eine die Klägerin erhielt. Gleichzeitig wurden wechselseitig dingliche Vorkaufsrechte bewilligt. Zu der einen in 2019 vom Beklagten verkauften Wohnung mit einem Kaufpreis von € 29.000,00 übte die Klägerin ihr Vorkaufsrecht aus. Der Mieter der Wohnung übte sein Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 BGB aus. Der Beklagte und der Mieter schlossen sodann einen notariellen Vertrag, der die Einzelheiten regelte. Der Mieter wurde als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, danach das Vorkaufsrecht der Klägerin gelöscht. Gegen die Löschung erhob die Klägerin Widerspruch und auf ihre Rechtsbeschwerde wies das OLG das Grundbuchamt an, einen Widerspruch gegen die Löschung im Grundbuch einzutragen (Beschluss vom 27.04.2023 - V ZB 58/22 -). Mit der Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten die Auflassung des Eigentums an der Wohnung Zug um Zug gegen Zahlung von € 27.000 nebst Bewilligung der Eintragung als Eigentümerin, vom Beklagten vereinnahmte Mieten, Nutzungsentschädigung sowie Feststellung der Erstattungspflicht möglicher weiterer Schäden, Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von € 4.610,90 an die Klägerin und wies im Übrigen die Berufung der Klägerin zurück.  Die Revision der Klägerin führte im Umfang der Zulassung derselben zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das OLG.

Ein Anspruch der Klägerin auf Auslassung könne sich nur aus der Ausübung des dinglichen Vorkaufsrechts ergeben. Ein solcher Kaufvertrag – von dem das OLG ausgegangen sei und der BGH dies deshalb hier voraussetzen müsse – vorausgesetzt wäre zu beachten, dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin gegenüber dem Vorkaufsrecht des Mieters den Vorrang genieße. Damit käme die Klägerin in den Genuss der Vormerkungswirkung nach § 1098 Abs. 2 BGB iVm. §§ 883 Abs. 2, 888 BGB mit der Folge, dass die Verfügung des Beklagten zugunsten des Mieters ihr gegenüber unwirksam wäre (BGH, Beschluss vom 27.04.2023 – 58/22 -). Die zu Unrecht gelöschte Vormerkung hätte deren Vormerkungswirkung nicht beseitigt. Damit könne die Klägerin weiterhin die Auflassung Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises verlangen und der Beklagte wäre wegen der relativen Unwirksamkeit der Veräußerung an den Dritten (Mieter) auch in der Lage, den Anspruch zu erfüllen.

Das dingliche Vorkaufsrecht genieße jedenfalls dann Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters, wenn es von dem Eigentümer zugunsten eines Familienangehörigen iSv. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB bestellt würde. Dieser Fall läge gier vor, da auch die Geschiedenen weiterhin als Familienangehörige anzusehen seien.

Auch käme es nicht darauf an, ob das dingliche Vorkaufsrecht bereits zum Zeitpunkt der Begründung des dinglichen Vorkaufsrechts bereits bestand (wie es vorliegend der Fall war). Dieser Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts ergäbe sich aus dem gesetzgeberischen Regelungskonzept in § 577 BGB. Da der Vermieter das Wohnungseigentum auch nach Überlassung der Wohnung an den Mieter an einen Familienangehörigen verkaufen könne, ohne dass dies ein Vorkaufsrecht des Mieters begründen würde, wäre unerfindlich, weshalb das Mietvorkaufsrecht bei einem nach Überlassung der Wohnung an den Mieter einem für einen Familienangehörigen bestellten Vorkaufsrecht vorgehen sollte.

BGH, Urteil vom 27.09.2024 - V ZR 48/23 -

Freitag, 3. Januar 2025

Dreiseitige Vereinbarung zum Mieterwechsel und deren Durchsetzung

Die Beklagte und die W GmbH schlossen am 13./22.10.2020 einen Mietvertrag über Gewerberäume, befristet vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2024. Die Beklagte wurde vom Kläger aufgrund erteilter Handlungsvollmacht (§ 54 HGB) vertreten. Am 23.02.2022 schlossen die W GmbH, die Beklagte und der Kläger (der sich und die Beklagte vertrat, letztere aufgrund der Handlungsvollmacht) mit seiner Einzelfirma GD eine als „Nachtrag zum Mietvertrag vom 13.10.2020 Vertragspartnerwechsel und Übernahmevereinbarung zum 01.03.2022“ überschriebene Vereinbarung, der zufolge die Beklagte zum 01.03.2022 aus dem Mietverhältnis mit der W GmbH austritt und die Einzelfirma GD des Klägers mit Übernahme aller Rechte und Pflichten und Regelungen  in dieses eintritt. Am 23.02.2022 forderte der Kläger die Beklagte zur Räumung des Mietobjekts und Herausgabe an sich auf, die Beklagte forderte von dem Kläger die Herausgabe der Handlungsvollmacht. Am 29.11.2023 erhob der Kläger Räumungsklage. Das Landgericht gab der Räumungsklage statt. Dagegen wandte sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Die Parteien erklärten den Rechtsstreit einvernehmlich in der Hauptsache für erledigt, nachdem der Kläger darauf verwies, dass das Mietverhältnis am 31.12.2023 geendet habe.

Das Oberlandesgericht musste nunmehr noch nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung durch die Parteien über die Kosten des Verfahrens nach § 91a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen entscheiden. Maßgeblich sei insoweit, wer im Verfahren voraussichtlich unterlegen gewesen wäre, wenn es nicht zur Hauptsacheerledigung gekommen wäre (BGH, Beschluss vom 20.07.2017 - IX ZR 56/16 -).

Her sah das OLG den Kläger im Hinblick auf das Räumungsverlangen als voraussichtlich unterlegene Partei an, da die Klage bereits zum Zeitpunkt ihrer Erhebung im November 2022 unbegründet gewesen sei.  Der Kläger sie nicht Eigentümer der Mieträume gewesen, weshalb sich ein Herausgabeanspruch nicht aus § 985 BGB ergäbe. Damit könne nur die Nachtragsvereinbarung als Anspruchsgrundlage in Betracht kommen. Aber diese ergäbe bei Auslegung nach §§ 133, 157 BGB keinen Anspruch des Klägers auf Räumung und Herausgabe an sich.

Bei der Auslegung wäre in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der diesem zu entnehmende Parteiwille zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 15.012012 - XI ZR 22/12 -). Der übereinstimmende Parteiwille würde dabei aber dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgehen (BGH, Beschluss vom 30.04.2012 – XII ZR 124/12 -).

Das OLG sah in dem Nachtrag zwei Vereinbarungen, die aber keinen unmittelbaren Anspruch des Klägers gegen die Beklagte begründen würden: Gegenstand des Nachtrages sei zum Einen die Abänderung einer schuldrechtlichen Vereinbarung der W GmbH mit der Beklagte dahingehend, dass das Mietverhältnis zum 01.03.2022 endet.  Gleichzeitig sollte zum Anderen ein Mietverhältnis mit der Einzelfirma des Klägers und der W GmbH durch Eintritt der Einzelfirma in das bisherige Mietverhältnis begründet werden; die klägerische Einzelfirma sollte die Rechte, Pflichten und Regelungen, die zwischen der Beklagten und der W GmbH bestanden, übernehmen.  Eine Regelung zu unmittelbaren Ansprüchen im Verhältnis zwischen Kläger zur Beklagten wurde nicht getroffen; vielmehr beinhalte die Regelung nur die Beendigung des Schuldverhältnisses zwischen W GmbH und Beklagter und die Begründung eines Schuldverhältnisses zwischen der Einzelfirma des Klägers und der W GmbH. Ein eigener Anspruch des Klägers gegen die Beklagte war damit nicht begründet worden.

Es habe dafür auch kein praktisches Bedürfnis bestanden, da die Umsetzung des Mieterwechsels über die Ansprüche in den jeweiligen schuldrechtlichen Vereinbarungen möglich gewesen sei. Die W GmbH habe gegen die Beklagte einen Räumungs- und Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 BGB geltend machen können, die Einzelfirma des Klägers gegen die W GmbH einen Anspruch auf Überlassung des Besitzes gem. § 535 Abs. 1 BGB.

OLG Dresden, Beschluss vom 08.04.2024 - 5 U 1855/23 -