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Sonntag, 24. März 2024

Folgen einer (teilweisen) Unleserlichkeit des Zustelldatums auf Briefumschlag

Das Urteil des OLG Koblenz stellt sich als Lehrbeispiel zu den Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) dar. Streitig war, ob ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil rechtzeitig erfolgte. Das Landgericht hatte dies negiert und von daher diesen mit dem von der Beklagten mit der Berufung angegriffenen Urteil als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz) musste sich damit auseinandersetzen, ob (und gegebenenfalls wann) das Versäumnisurteil prozessordnungsgemäß zugestellt wurde. Grundlage der Entscheidung des Landgerichts war, dass – nach vergeblichen Versuch der elektronischen Zustellung bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten – dieses schließlich in Papierform bei diesem zugestellt wurde, aber das Datum insoweit unleserlich war, als es „12.12. 2022“ oder „17.12.2022“ bedeuten konnte; der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gab an, er habe erst am 27.12.2022 von dem Urteil Kenntnis genommen. Letztlich hat das OLG das den Einspruch der Beklagten verwerfende Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

1. Das Landgericht ging von einer Zustellung am 12.12.2022 aus. Der Einspruch erfolgte am 02.01.2023, wäre mithin verfristet gewesen (die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen, § 339 Abs. 1 ZPO). Ausgehend von diesen Daten wäre die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden gewesen (bei einer Zustellung am 17.12.2022 wäre die Frist gewahrt gewesen, da Fristablauf der 31.12.2022 wäre und, da die Frist auf einen Samstag fiel, mithin der nächste Werktag, der 01.01.2023, § 193 BGB). Wiedereinsetzung wurde der Beklagten nicht gewährt, da diese sich bei Unleserlichkeit bei Gerich hätte über das korrekte Zustelldatum informieren müssen. Das sah das OLG (zutreffend) anders. 

Abgestellt wurde vom OLG auf § 180 ZPO (Zustellung mit Postzustellungsurkunde per Einlegen in den Briefkasten, da niemand zur Entgegennahme angetroffen wurde). Diese Zustellung (am 12.12.2022) sei, so das Landgericht, von dem Postzusteller eindeutig auf der Postzustellungsurkunde vermerkt worden. Das reiche aber nicht, so das OLG. Denn nach § 180 S. 3 ZPO sei vom Zusteller das Datum der Zustellung ebenfalls auf dem zuzustellenden Umschlag zu vermerken. Der BGH habe mit Urteil vom 15.03.2023 - VII ZR 99/22 - zu einem Fall, bei dem sich kein Datum auf dem Umschlag befand (ein übrigens nicht seltener Fall) bereits entschieden, dass es sich bei hier um eine zwingende Zustellungsvorschrift iSv. § 189 ZPO handele und bei Verletzung dieser Vorschrift die Zustellung erst als mit dem Tag des tatsächlichen Zugangs als bewirkt gelte (die Gründe des BGH wurden vom OLG angeführt, u.a. die Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers). Die Schutzbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die (förmliche) Zustellung der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe des Schriftstücks diene, da sich die die Zustellung (wie ersichtlich) wichtige prozessuale Wirkungen (wie hier z.B. Fristen) knüpfen würden.

Die Grundform der Zustellung ist die körperliche Übergabe des Schriftstücks (§ 116 Abs. 1, § 177 ZPO); bei der Einlegung in den Briefkasten handelt es sich um eine Ersatzzustellung, die (an sich) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des  § 189 ZPO erfolgen darf (wenn sie auch von Zustellern häufig trotz Anwesenheit des Empfängers vorgenommen wird, wie wir in unserer Kanzlei bei Zustelllungen an und selbst häufig feststellen).  § 180 S. 2 ZPO, so das OLG in Bezug auf die Entscheidung des BGH, knüpfe an das Einlegen in den Briefkasten die Fiktion der Bekanntgabe. Die Angabe des Datum der Einlegung auf dem Umschlag solle dem Empfänger eine Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt des mit dieser Bekanntgabe genauen Zustellungszeitpunkts und damit gegebenenfalls Beginn einer Frist ausgleichen. 

Auch wenn vorliegend anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall hier ein Datum vermerkt wurde, doch sei dort (wie der Senat des OLG bei Inaugenscheinnahme des Umschlags festgestellt habe) das Datum nicht eindeutig zu lesen gewesen (entweder 12.12.22 oder 17.12.22). Das unleserliche Datum sei wie der Fall des fehlenden Datums zu behandeln. Letztlich sei der Empfänger bei einem unlesbaren Datum in der gleichen Situation wie jener, bei dem kein Datum angegeben worden ist. Er könne nicht feststellen, wann eine Frist zu laufen beginne. Zwar lag hier ein Zeitfenster vor, insoweit lediglich der Tag (der 12. oder der 17) undeutlich war. Gleichwohl sei die Frist, so das OLG, nicht sicher zu berechnen. Nach § 180 ZPO könne nur ein konkretes (leserliches) Datum gemeint sein, welches auf dem Umschlag aufzunehmen ist. Da das Zustellungsverfahren dazu diene, als förmliches Verfahren für Rechtssicherheit zu sorgen und Daten nachweisen zu können, könne ein unleserliches Datum dienen Zweck ebenso wenig erfüllen wie ein fehlendes Zustelldatum. 

Damit sei die Zustellung (gemäß Postzustellungsurkunde am 22.12.2022) unwirksam. Nach der vom Kläger nicht widerlegten Angabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe dieser erstmals von dem Versäumnisurteil am 27.12.2022 Kenntnis genommen, weshalb mit diesem Datum der Lauf der Einspruchsfrist iSv. § 189 ZPO beginne.  Diese Rechtsansicht des OLG wird durch § 189 ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gestützt, wonach bei Nichtnachweis einer formgerechten Zustellung das Datum gilt, zu dem das Dokument der betroffenen Person tatsächlich zugegangen ist. 

2. Die Klägerseite hatte eine Zustellungsvereitelung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingewandt, da dieser im Rahmen der (zulässigen) elektronischen Übermittlung (über beA = besonderes elektronisches Anwaltspostfach) das (elektronische) Empfangsbekenntnis , trotz dreifacher Erinnerung, nicht abgegeben habe. Dem folgte das OLG aus zutreffenden Erwägungen nicht. 

Das OLG konstatiert, dass die Zustellung mittels elektronischen Empfangsbekenntnis dem Gericht eine kostengünstige und schnelle Zustellung bewirken kann. Allerdings erfordere dies die Mitwirkung des Empfängers. § 175 ZPO enthalte allerdings keine Verpflichtung zur Entgegennahme (allgemeine Ansicht, z.B. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO 92 Aufl. 1024 zu § 175 Rn. 12); standesrechtliche Pflichten des Anwalts seien nicht entscheidend. Es genüge nicht, dass der Adressat das Schriftstück zur Kenntnis oder auch in Gewahrsam nähme (anders als bei Zustellung durch Gerichtsvollzieher oder Post), sondern er müsse auch den Willen haben, das Schriftstück zugestellt zu bekommen (also empfangsbereit sein). Dies geschehe in der Regel durch Unterschrift des Empfangsbekenntnisses (oder elektronische Bestätigung). Damit müsse der Anwalt zunächst Kenntnis von dem Schriftstück haben, bevor er entscheiden könne, ob er es als zugestellt ansehe. Er könne auch konkludent, so z.B. durch Überlassung an den Mandanten, den Annahmewillen zum Ausdruck bringen (Anm.: was allerdings dem Gericht in der Regel nicht bekannt ist). Das OLG weist auch darauf hin, dass die für eine Zustellung nach § 174 ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht alleine durch den Nachweis des bloßen Zugangs iSv. § 189 ZPO erfolgen könne, da zumindest eine konkludente Äußerung vorliegen müsse, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Eine Verweigerung der Empfangnahme im Sinne einer Zustellung könne bei Nichtrücksendung des Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände auf das Gegenteil hinweisen würden. Ein hierbei abweichender oder genteiliger Wille des Adressaten sei unbeachtlich, wenn er nach Außen keinen Ausdruck gefunden habe (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VIII ZB 55/14 -). 

Vorliegend wurde das Empfangsbekenntnis vom Beklagtenvertreter nicht mit Datum und Unterschrift versehen an das Landgericht zurückgesandt. Anhaltspunkte für eine konkludente Empfangsbereitschaft gäbe es nicht.

 Damit sei gemäß § 189 ZPO von einer Zustellung am 27.12.2022 auszugehen und der Einspruch gegen das Versäumnisurteil rechtzeitig gewesen. 

OLG Koblenz, Urteil vom 13.12.2023 - 10 U 472/23 -

Samstag, 8. April 2023

Zur (Un-) Wirksamkeit einer Zustellung an eine c/o-Adresse

Das Landgericht (LG) wies den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurück, da die Klageschrift nach seiner Auffassung dem Beklagten nicht wirksam zugestellt worden sei. Es sei nicht belegt, dass der Beklagte tatsächlich unter Anschrift der Zustellung, bei der es sich um eine c/o-Anschrift handelt, auch tatsächlich wohne; es sei lediglich ein Einwurf in den Briefkasten erfolgt (also wohl der Person, die im c/o benannt wurde), keine Übergabe an den Beklagten. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) nach Nichtabhilfe durch das LG zurückgewiesen. 

Die Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil wurden auch vom OLG negiert. Eine Zustellung an den Beklagten sei nicht wirksam erfolgt.

Eine wirksame Zustellung hätte vorgelegen, wenn diese direkt durch persönliche Übergabe an den Beklagten oder einen Familienangehörigen oder Mitbewohner erfolgt wäre, § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Da eine persönliche Übergabe erfolglos versucht wurde, wurde das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingeworfen. Dieser Einwurf stelle sich aber nicht als eine wirksame Ersatzzustellung (§§ 180, 178 Ans. 1 Nr. 1 ZPO) dar.

Der in §§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 180  ZPO verwandte begriff der Wohnung sei im Zustellungsrecht eigenständig nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu bestimmen. Dies erfordere, dass die Partei durch die Anschrift eindeutig identifiziert werden könne und mithin an sie eine wirksame Zustellung erfolgen könne. Bei einer c/o-Anschrift sei strittig, on diese Angabe dann genügt, wenn ein ordnungsgemäßer Prozessablauf sichergestellt sei (BGH, Urteil vom 06.04.2022 - VIII ZR 262/20 -) oder für eine ordnungsgemäße Klageerhebung grundsätzlich nicht ausreicht (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.05.2014 - 16 U 4/14 -). Allerdings könne dies hier dahinstehen, da nicht feststehen würde, dass der Beklagt tatsächlich unter der c/o-Anschrift wohnhaft sei. Wohnung seien die Räume, in denen der Adressat auch (wenn auch nur vorübergehend) tatsächlich lebe und insbesondere schläft.

Der handschriftliche Vermerk auf der Postzustellungsurkunde unter der c/o-Adresse beinhalte keine Aussage dazu, welche Tatsachen dem Vermerk zugrunde liegen und ob der Beklagte unter dieser Anschrift bei dem Zustellversuch auch (noch) wohnte. § 180 ZPO bürde dem Empfänger nicht das Risiko der Wirksamkeit zweifelhafter Ersatzzustellungen auf.

Auch ließe sich nicht feststellen, dass der Beklagte nach außen den Anschein aufrechterhalten hätte, am fraglichen Ort eine Wohnung zu haben, weshalb er mit einer dortigen Zustellung hätte rechnen müssen. Nur dann, wenn der Zustellungsadressat einen solchen Anschein zielgerichtet herbeigeführt hätte, könnte er sich nicht auf eine fehlerhaft dort bewirkte Ersatzzustellung berufen (OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 26.10.2020 - 4 U 1563/20 -).

Die Klägerin habe auch als darlegungs- und beweispflichtige Partei nicht dargelegt, dass die Zustellung dem Beklagten tatsächlich zugegangen sei.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.02.2023 - 13 W 44/23 -

Mittwoch, 14. September 2022

Förmliche Zustellung ohne Zustelldatum auf dem Zustellumschlag und Berechnung der Frist

Im Zusammenhang mit einer Klage gegen den Entzug der Anwaltszulassung musste sich der BGH damit auseinandersetzen, welche Bedeutung dem vom Zusteller auf dem Zustellungsumschlag anzubringenden Datum der Übergabe bzw. Niederlegung zukommt, hatte der der Zusteller im Rahmen der von ihm, vorgenommenen Ersatzzustellung des Widerrufsbescheids das Datum auf dem Umschlag nicht notiert. Die Zustellungsurkunde selbst benannt das Datum des 17.02.2016. Der Kläger nahm erst am 19.02.2016 davon Kenntnis. Eingehend am 21.03.2016 erhob der Kläger Klage. Der Anwaltsgerichtshof verwarf die Klage als unzulässig; die von ihm beginnend mit dem 17.02.2016 berechnete Monatsfrist für die Klage (§ 112a Abs. 1 S. 1 BRAO iVm. § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO) sei bereits abgelaufen gewesen. Die Klage sei auch durch einen zugelassenen Anwalt zu erheben; zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage sei aber bereits der Widerrufsbescheid bestandskräftig gewesen, der Kläger also nicht mehr postulationsfähig gewesen, weshalb die Klage auch nicht wirksam durch ihn selbst hätte erhoben werden können.

Gegen die Entscheidung legte der Kläger Berufung zum BGH ein. Dieser wurde unter Aufhebung des Urteils des Anwaltsgerichtshofes und Rückverweisung an diesem stattgegeben.

Verfahrensrechtlich wurde vom BGH festgehalten, dass der Widerruf der Zulassung dem Kläger förmlich zuzustellen gewesen sei, § 34 BRAO. Die Ausführung der Zustellung durch die Post richte sich nach §§ 177 bis 182 ZPO. Könne die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO (Zustellung oder Ersatzzustellung in Wohnung oder Geschäftsräumen) nicht erfolgen, könne das Schriftstück nach § 180 S. 1 ZPO in den zur Wohnung / zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder einer ähnlichen Einrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang vorgesehen habe. Mit dieser Einlegung gelte das Schriftstück als zugestellt, § 180 S. 2 ZPO. Das Datum der Zustellung sie vom Zusteller auf dem Umschlag zu vermerken, § 180 S. 3 ZPO.

Der BGH verweist auf die unterschiedlichen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung, wie mit einem hier vorliegenden Verstoß gegen § 180 S. 3 ZPO umzugehen sei: Entweder wird von einer gleichwohl wirksamen Zustellung zum Zeitpunkt der Einlegung gemäß Angabe auf der Postzustellungsurkunde ausgegangen, oder aber als Zeitpunkt der Fristberechnung vom tatsächlichen Zugang ausgegangen. Bei seiner Abwägung gab der BGH der letztgenannten Ansicht (m.E. völlig zutreffend) den Vorzug und folgt damit u.a. der Rechtsansicht des BFH in Steuersachen (z.B. Beschluss vom 15.05.2020 - IX B 119/19 -).  

Grundlegend würde der Gesetzgeber immer noch davon ausgehen, dass die Zustellung durch körperliche Übergabe erfolge, § 166 ZPO. Die Übergabe könne an jedem Ort erfolgen, an dem der Empfänger angetroffen würde, § 177 ZPO. Die Ersatzzustellung nach § 178 ZPO, die an eine andere Person als den Adressaten erfolge, habe zur Voraussetzung, dass sich diese in der Wohnung oder den Geschäftsräumen befindet und der Adressat nicht angetroffen würde. Sei diese auch nicht möglich, greife § 180 ZPO und gelte das Schriftstück mit der Einlegung in dem Behältnis als zugestellt, § 180 S. 2 ZPO. Der Nachteil dieser Art der Zustellung anstelle der körperlichen Übergabe würde durch § 180 S. 3 ZPO ausgeglichen.

Es handele sich um ein Surrogat für die körperliche Übergabe weshalb der datumsvermerk auf dem Umschlag als notwendiger teil der Bekanntgabe anzusehen sei. Die Zustellungsurkunde diene nur dem Nachweis der Zustellung und sei daher kein konstitutiver Bestandteil derselben. Durch die nach § 180 S. 3 ZPO erforderliche Datumsangabe würde die Art und Weise der Ersatzzustellung geregelt und deutlich, dass dies wesentlicher Bestandteil der Zustellung sei. Dies ergäbe sich auch aus § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO, wonach in der Zustellungsurkunde vermerkt werden müsse, dass das Datum der Zustellung auf dem Umschlag vermerkt wurde.

Auch spreche die Gesetzesbegründung für diese Auslegung, der zufolge das Datum zu vermerken sei, damit der Zustellungsempfänger einen Hinweis darauf habe, wann eine mit der Zustellung in Gang gesetzte Frist beginne. Würde das Datum auf dem Umschlag fehlen oder weiche dieses von dem Datum in der Zustellungsurkunde ab, so sei nach dem Willen des Gesetzgebers die Zustellung gleichwohl wirksam, doch sei dieser Umstand bei der Prüfung, ob und wann das Schriftstück zugestellt wurde, zu berücksichtigen (BT-Drucks. 14/4554, S. 22). Der Gesetzgeber habe es also für möglich gehalten, dass der fehlende Datumsvermerk die Wirksamkeit oder den Zeitpunkt der Zustellung beeinflusse.

Da hier der Kläger den Bescheid danach (nach seinen Angaben) erst am 19.02.2016 (Freitag) in die Hand bekommen habe, gelte dieser an diesem Tag als zugestellt. Die Anfechtungsklage damit sei am 21.03.2016 (Montag) noch rechtzeitig erhoben worden (§ 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO).

Hinweis: Die Entscheidung verdeutlicht die besondere Bedeutung eines Zustellumschlags bei förmlicher Zustellung. Die gilt für alle förmlichen Zustellungen, mit denen Bescheide, Mahn- oder Vollstreckungsbescheide, Klage o.a. zugestellt werden und insbesondere mit der Zustellung Fristen zu laufen beginnen. Es ist von daher dringend anzuraten, diese Umschläge zusammen mit dem zugestellten Schriftstück aufzubewahren, unabhängig davon, ob auf diesen ein Datum vermerkt wurde oder nicht. Ist kein Datum vermerkt worden, sollte der Empfänger sich selbst (nicht auf dem Umschlag, sic.) vermerken, wann er es erhalten hat; selbst wenn ein Datum vermerkt wurde, ist nicht gesichert, dass dieses mit dem Datum in der Zustellungsurkunde übereinstimmt und der Empfänger mithin ggf. den Nachweis des Zustellungsdatum bei ihm erbringen muss, um nicht durch Fristversäumnis Rechtsnachteile zu haben.

Es empfiehlt sich ferner, bei Mängeln von Zustellungen unverzüglich bei dem zuständigen Zustellbetrieb (in der Regel die Deutsche Post) Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Zusteller zu erheben (z.B. wenn das zuzustellende Schriftstück in einen Briefkasten eines Dritten eingelegt wird, das Datum fehlt, eine persönliche Übernahme möglich gewesen wäre aber unterlassen wurde usw.) und im Rahmen des Verfahrens auch die zuständige Behörde / das Gericht darüber zu informieren. Kommt es häufiger zu entsprechenden Unregelmäßigkeiten könnte so der Empfänger leichter eine Wiedereinsetzung wegen der versäumten Frist erreichen.

BGH, Beschluss vom 29.07.2022 - AnwZ (Brfg) 28/20 -

Montag, 6. September 2021

Wirksame Zustellung einer Unterbringungsgenehmigung nach FamFG und Fristenlauf

Das Amtsgericht ordnete mit am 30.01.2020 zur Post aufgegebenen Beschluss vom 23.01.2020 die geschlossene Unterbringung bis 23.01.2021 und zwei ärztliche Zwangsmaßnahmen der Betroffenen im Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)  an. Eine am 03.03.2020 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde wurden wegen Ablaufs der Rechtmittelfrist zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts und zur Zurückverweisung an dieses.

Entgegen der Annahme des Landgerichts sei die Beschwerdefrist von einem Monat gem. § 63 Abs. 1 FamFG nicht abgelaufen gewesen. Die Frist würde erst mit Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses bei der Betroffenen zu laufen beginnen, § 63 Abs. 3 S. 1 FamFG, wobei die Bekanntgabe durch förmliche Zustellung (§§ 166ff ZPO) oder durch Aufgabe zur Post erfolgen könne (§ 14 Abs. 2 S. 1 FamFG). Das Gericht habe aber dann keine Wahlmöglichkeit zur Zustellungsart, wenn eine spezielle gesetzliche Regelung eine bestimmte Form vorschreibe, wie dies in § 41 Abs. 1 S. 2 FamFG vorgesehen sei, demzufolge wie hier anfechtbare Beschlüsse förmlich zuzustellen sind. Die Zustellung müsse in diesem Fall an den Betreuten selbst erfolgen; eine Ersatzzustellung an den Betreuer sei unzulässig (BGH, Beschluss vom 26.06.2019 – XII ZB 35/19 -). Wird die Form nicht eingehalten, werde die Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt. Eine Heilung bei tatsächlichen Zugang bei der Betroffenen entspr. § 189 ZPO scheide aus, da dies zur Voraussetzung habe, dass das Gericht eine Zustellung jedenfalls angestrebt hätte (BGH, Urteil vom 29.03,2017 – VIII ZR 11/16 -). Würde aber wie hier bewusst von einer förmlichen Zustellung an der Betroffenen Abstand genommen und die Bekanntgabe mittels Post angeordnet, käme es auf den tatsächlichen Zugang nicht an.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den BGH im Rahmen der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts war die Unterbringungsgenehmigung als auch die Genehmigung für die ärztlichen Zwangsmaßnahmen bereits abgelaufen. Von daher sei der betroffenen die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der eingelegten Beschwerde ihren Antrag auf einen Feststellungsantrag iSv. § 62 FamFG  umzustellen.

BGH, Beschluss vom 16.06.2021 - XII ZB 358/20 -

Sonntag, 8. September 2019

WEG: Beschlussanfechtungsklage und Berechnung der Frist für die rechtzeitige Zahlung des Gerichtskostenvorschusses


Die Parteien, Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, hatten auf einer Eigentümerversammlung vom 16.06.2016 diverse von dem klagenden Miteigentümer mit am 13.07.2016 bei dem zuständigen Amtsgericht eingegangener Klage angefochten. Mit Schreiben des Gerichts vom 15.07.2016 wurde der Kläger gem. § 12 Abs. 1 GKG zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Dieser Vorschuss ging am 09.08.2016 bei der Gerichtskasse ein. Die Zustellung der Klage wurde daraufhin veranlasst und erfolgte am 17.08.2016. Mit am 16.08.2016 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz wurde die Klage vom Kläger begründet; zugleich hatte er wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung beantragt und die Klage um einen Verpflichtungs- und Feststellungsantrag erweitert.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben erfolglos. Die Abweisung erfolgte wegen Nichtwahrung der Klagefrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Berufung.

Anders als das Amts- und Landgericht nahm der BGH an, dass der Kläger die Klageerhebungsfrist gewahrt habe. Zwar sei die Zustellung der Klage nicht innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erfolgt, doch wirke die tatsächliche (spätere) Zustellung nach § 167 ZPO auf den Tag der Einreichung der Klage zurück, an dem die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Das in § 167 ZPO „demnächst“ sei erfüllt, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten würden. Für die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, der für die Zustellung erforderlich ist, sei bei der Berechnung der noch hinnehmbaren Verzögerung von 14 Tagen nicht auf die Zeitspanne zwischen der Aufforderung zur Einzahlung der Gerichtskosten und deren Eingang bei der Gerichtskasse abzustellen, sondern darauf, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge einer Nachlässigkeit des Klägers verzögert habe, um eine Überforderung des Klägers sicherzustellen (BGH, Urteil vom 10.07.2015 - V ZR 154/14;BGH Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16 -). Der Umstand, dass zwischen dem (zu Gunsten des Klägers unterstellten) Zugang der Gerichtskostenrechnung am 20.07.2016 und dem Eingang des Vorschusses bei der Gerichtskasse mehr als 14 Tage lägen, würd daher einer Annahme einer Zustellung „demnächst“ iSv. § 167 ZPO nicht entgegen stehen. Festzustelle sei, ob dem Kläger eine Verfahrensverzögerung von mehr als 14 Tagen vorgeworfen werden könne.

Diese Frage verneinte der BGH. Die zahlungspflichtige Partei müsse nicht am gleichen Tag zahlen, an dem ihr die Zahlungsaufforderung zugehen würde. Es sei eine Zeitspanne zu berücksichtigen, die die Partei im Normalfall benötigen würde, um für eine ausreichende Kontendeckung zu sorgen und die Überweisung zu veranlassen. Hier sei in der Regel (dies könne sich nach den Umständen des Falls verlängern, BGH Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/126 -) eine Woche. Das würde bedeuten: Eine Untätigkeit zur Einzahlung nach Zugang der Vorschussanforderung am 20.07.2016 könnte dem Kläger bis zum  27.07.2016 nicht vorgeworfen werden. Der maßgebliche Zeitraum der 14 Tage hätte am 28.07.2016 begonnen und wäre daher erst am 10.08.2016 abgelaufen. Die Zahlung sei aber bereits am 09.08.2016 bei der Gerichtskasse eingegangen. Aber auch wenn man von einem Zugang der Gerichtskostenrechnung bereits am Montag, 18.07.2016 oder früher ausgehen wollte, wäre eine zurechenbare Verzögerung nicht angenommen werden: Zwar wären unter Zugrundelegung der Wochenfrist zur Überweisung und der weiteren 14 Tage diese Fristen bereits am Montag, 08.08.2016 abgelaufen gewesen, weshalb der Zahlungseingang am 09.08.2019 an sich später gewesen wäre. Allerdings könne dem Kläger kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er nach Einreichung der Anfechtungsklage bis zum Ablauf der Klagefrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG (ein Monat nach Beschlussfassung) nicht unternommen habe. Würde eine Klage bereits vor Ablauf einer durch Zustellung zu wahrenden Frist eingereicht, erfolge die Zustellung der Klage aber erst nach Ablauf der Frist, seien bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse in die maßgebliche 14-Tage-Frist nicht mit einzurechnen (BGH, Urteil vom 25.09.2015 - V ZR 2013/14 -; BGH, Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16 -). So sei es vorliegend: Die maßgebliche Klagefrist war Montag, der 18.07.2016 (der 16.06,2016 sei ein Samstag gewesen, der nach § 222 ZPO ausscheidet). Eine bis dahin eingetretene Versäumnis sei dem Kläger daher nicht zuzurechnen. Für § 167 ZPO käme es also nur auf die relevante Verzögerung ab dem 19.07.2016 an. Unter Berücksichtigung der Erledigungsfrist (bis spätestens 26.07.2016) wäre daher der Vorschuss am 09.08.2019 noch innerhalb des zuzubilligenden 14-Tage-Zeitraums erfolgt.  

Das angefochtene Urteil wurde vom BGH aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

BGH, Urteil vom 17.05.2019 - V ZR 34/18 -

Donnerstag, 27. Juni 2019

WEG: Berechnung der Frist für Anfechtungsklage, § 46 Abs. 1 S. 2 WEG


Auf der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 16.06.2016 wurden mehrere Beschlüsse gefasst, von denen der Kläger einige mit seiner am 13.07.2016 bei dem zuständigen Amtsgericht (AG) eingegangenen Klage angefochten hatte. Mit Schreiben der Geschäftsstelle des AG vom 15.07.2016 wurde ein Kostenvorschuss angefordert (§ 12 Abs. 1 GKG), den der Kläger eingehend bei der Justizkasse am 09.08.2016 zahlte. Die Klage wurde sodann dem Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft am 17.08.2016 zugestellt. Das Amtsgericht wies die Klage wegen Versäumung der Klagefrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG zurück. Die Berufung des Klägers vor dem Landgericht war nicht erfolgreich. Auf seine (vom Berufungsgericht zugelassene) Revision hob der BGH das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zurück.

Nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG muss die Beschlussanfechtungsklage „innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben und innerhalb zweier Monate nach der Beschlussfassung begründet werden.“

Vorliegend wurde die Monatsfrist für die Zustellung der Klage (das wäre der 16.07.2016 gewesen) nicht gewahrt. Allerdings greift vorliegend nach Auffassung des BGH § 167 ZPO, wonach die spätere Zustellung auf den Tag der Einreichung der Klage (13.07.2016) zurück wirke, an dem die vorliegend die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen sei. § 167 ZPO lautet:

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

Entscheidend ist dabei das Merkmal „demnächst“, welches erfüllt sei, wenn die eine der Partei zuzurechnende Verzögerung noch in einem hinnehmbaren Rahmen halte. Im Hinblick auf die notwendige Vorschusszahlung nach § 12 Abs. 1 GKG seien sich der 5. und 7. Zivilsenat des BGH darin einig, dass dies dann der Fall sei, wenn eine Frist von 2 Wochen eingehalten würde, die allerdings nicht auf die Zeitspanne zwischen Rechnungseingang und Zahlung abstelle, sondern darauf, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert habe. Damit soll eine Überforderung des Klägers ausgeschlossen werden. Dies hätte zur Folge:

Geht man zugunsten des Klägers von einem Zugang der Gerichtskostenrechnung am 20.07.2016 und den Eingang der Gerichtskosten bei der Gerichtskasse am 09.08.2016 aus, würde der Annahme einer Zustellung „demnächst“ nichts im Wege stehen, da die Verfahrensverzögerung von mehr als 14 Tagen dem Kläger nicht vorgeworfen werden könnte. Ein Tätigwerden am Tag des Eingangs der Zahlungsaufforderung sei nämlich nicht erforderlich. Zu berücksichtigen sei auch die Zeitspanne, die die Partei für gewöhnlich benötige, um sich die finanziellen Mittel zu beschaffen und Zahlung zu veranlassen; hierzu sei der Partei eine Erledigungsfrist von einer Woche (nach den Umständen evtl. verlängerbar, vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2017 – V ZR 103/15 -) zuzugestehen. Die Frist wär damit bei dieser Berechnung vorliegend am 10.08.2016 abgelaufen gewesen; das Geld ging mit dem 09.08.2016 daher rechtzeitig ein.

Aber auch wenn man mit dem Landgericht von einem (nicht näher dargelegten und mehr fiktiven) Zugang der Gerichtskostenanforderung am 18.07.2016 ausgehen wollte, könnte dem Kläger eine Verzögerung von mehr als 14 Tagen bei der Zustellung nicht zugerechnet werden, weshalb sich der BGH mit dieser Fiktion des Landgerichts nicht weiter auseinandersetzen musste und auseinandersetzte. Zwar sei dann der Zeitraum für die Zahlungsfrist nach einer Woche und der weitere Zeitraum von 14 Tagen am 08.08.2016 abgelaufen gewesen und der Zahlungseingang am 09.08.2016 verspätet gewesen. Allerdings könne dem Kläger kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er ab Eingang der Klage bei Gericht bis zum Ablauf der Klagefrist gem. § 46 Abs. 1 S. 2 WEG untätig bliebe, da bei Einreichung der Klage vor Ablauf der zu wahrenden Zustellungsfrist, die Zustellung aber erst danach erfolge, seien bis zum Fristablauf auftretende Versäumnisse nicht in die maßgebliche 14-Tages-Frist einzurechnen: Da hier die Klagefrist erst am 18.07.2016 (Fristablauf am Samstag, 16.07.2016, deshalb nach § 222 Abs. 2 ZPO nachfolgender Werktag) ablief, käme es auf bis dahin eingetretene Versäumnisse nicht an. Eine relevante Verzögerung sei nach § 167 ZPO erst für die nachfolgende Zeit (ab 19.07.2016) bedeutsam, weshalb auch in diesem Fall die Zahlung am 09.08.2016 noch innerhalb der zulässigen Frist von zwei Wochen sowie einer weiteren Woche erfolgt sei.

BGH, Urteil vom 17.05.2019 - V ZR 34/18 -