Das LG Hamburg vertritt die Ansicht, ein zur fristlosen Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund nach §§ 560, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB läge vor, wenn der Mieter die Mietsache unbefugt einen Dritten überlasse und trotz Fristsetzung zur Abhilfe (§ 543 Abs. 3 S. 1 BGB) nicht beende. Es änderte damit ein die Räumungsklage des Vermieters abweisendes Urteil des Amtsgerichts ab und gab dieser statt.
Eine Gebrauchsüberlassung läge vor, wenn ein Dritter aufgrund einer Vereinbarung mit dem Mieter ein selbständiges Besitzrecht an der Wohnung des Inhalts erwerbe, dass er die Wohnung unter Ausschluss des Mieters nutzen könne, aber auch dann, wenn der Mieter den Dritten für eine längere Zeit in der Wohnung aufnehme und der Dritte das Recht haben soll, die gesamte Wohnung neben oder zusammen mit dem Mieter zu nutzen. Davon abzugrenzen sei der Besucher, der den Mieter aufgrund persönlicher Beziehung aufsuche und sich in dessen Wohnung vorrübergehend aufhalte, ohne hierfür ein Entgelt zu entrichten. Nach einem Aufenthalt von vier bis sechs Wochen spräche die Vermutung dafür, dass die Dauer der Aufnahme des Dritten auf Dauer angelegt sei.
Das Landgericht würdigt die Zeugenaussagen im amtsgerichtlichen Verfahren und die Behauptungen des Beklagten, um zu Ergebnis zu gelangen, dass der Beklagte nicht nur Beuch empfangen habe, sondern einen Dritten in seiner Wohnung aufgenommen habe. Ob diese anderweitige Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht ohne erneute Vernehmung der Zeugen zulässig war, soll an dieser Stelle auf sich beruhen (dazu BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 403/14 -, R. 11).
Ausgehend von der Gebrauchs(mit)überlassung durch den Beklagten sah das Berufungsgericht darin eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechte der vermietenden Klägerin. Die Erheblichkeit sei regelmäßig bei Vorliegen einer unbefugten Gebrauchsüberlassung zu bejahen, da der Vermieter ein erhebliches Interesse daran habe, zu wissen, wer das Mietobjekt tatsächlich nutze. Zudem spreche dafür auch die Fortsetzung des unerlaubten Gebrauchs auch nach der Abmahnfrist und die damit einhergehende Missachtung des Vermieterwillens.
LG Hamburg, Urteil vom
03.11.2023 - 311 S 25/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, die von
ihm angemietete 52 qm große 2-Zimmerwohnung S. Str. ..., 3. Etage links, ...
H., nebst zugehörigem Kellerraum Nr. 134 und Dachbodenraum Nr. 134
geräumt an die Klägerin herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 4.279,08 festgesetzt.
Gründe
I.
Von der
Abfassung eines Tatbestands wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1
S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige –
insbesondere gem. §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte
und begründete – Berufung der Klägerin hat Erfolg und führt zu der beantragten
Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils, weil die nach § 529 ZPO zugrunde
zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513
Abs. 1 Alt. 2 ZPO).
1.
Der Klägerin
steht gem. § 546 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf geräumte Herausgabe der
streitgegenständlichen Wohnung gegen den Beklagten zu, weil die klägerische
Kündigung vom 20.09.2022 das Mietverhältnis zwischen den Parteien wirksam gem.
§§ 569, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB beendet hat. Ein
zur fristlosen Kündigung berechtigender wichtiger Grund im Sinne der
vorgenannten Normen liegt insbesondere vor, wenn der Mieter die Rechte des
Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache unbefugt
einem Dritten überlässt und diese unbefugte Gebrauchsüberlassung trotz
Abhilfefrist (§ 543 Abs. 3 S. 1 BGB) nicht beendet.
a) Der
Beklagte hat den Gebrauch an der Wohnung unbefugt an Dritte überlassen und
diese Gebrauchsüberlassung auch nach der mit Schreiben vom 18.08.2022 bis zum
15.09.2022 gesetzten Abhilfefrist (Anlage K 5 = Bl. 11 d. A.) nicht beendet.
aa) Eine
Gebrauchsüberlassung liegt immer dann vor, wenn ein Dritter auf Grund einer
Vereinbarung mit dem Mieter ein selbständiges Besitzrecht an der Wohnung
erwirbt, dergestalt, dass er die Wohnung unter Ausschluss des Mieters
gebrauchen darf (vgl. Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB
§ 540 Rn. 20). Eine Gebrauchsüberlassung ist aber auch bereits dann
anzunehmen, wenn der Mieter dritte Personen für längere Zeit in die Wohnung
dergestalt aufnimmt, dass der Dritte das Recht haben soll, die gesamte Wohnung
neben oder zusammen mit dem Mieter zu nutzen
(Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, a. a. O., Rn. 27 m. w. N.). In
Abgrenzung hierzu ist bloßer Besucher, wer den Mieter aufgrund besonderer
persönlicher Beziehungen aufsucht und sich in dessen Wohnung für eine
vorübergehende Zeit aufhält, ohne hierfür ein Entgelt zu entrichten. Ab einem
Aufenthalt von vier bis sechs Wochen spricht eine Vermutung dafür, dass die
Aufnahme des Dritten auf Dauer angelegt ist
(Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, a. a.O., Rn. 38).
bb) Das
Amtsgericht vermochte nicht festzustellen, dass der Beklagte die
streitgegenständliche Wohnung an Dritte überlassen hat, weil die Zeuginnen
insoweit keine eigenen Wahrnehmungen gehabt hätten und es ebenso denkbar sei,
dass der Beklagte regelmäßig Besuch von Freunden empfange.
Das
Berufungsgericht hat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die vom Gericht
des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht
konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute
Feststellung gebieten. Dabei können sich Zweifel an der Richtigkeit und
Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der
Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das
Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders
würdigt als das Gericht der Vorinstanz (BGH, NJW-RR 2017, 725 Rn. 20,
beck-online). Aus Sicht des Berufungsgerichts bestand mit Blick auf die
protokollierten Aussagen der Zeuginnen N. und Z.- T. eine gewisse – nicht
notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Falle der
Wiederholung der Beweisaufnahme die erstinstanzliche Entscheidung keinen
Bestand hat. Denn insbesondere die Zeugin Z.- T. hat vor dem Amtsgericht
bekundet, dass fremde Personen in der Wohnung „wohnen“ würden und sie mehrfach
– etwa alle drei Monate - die Durchführung von Wohnungsbesichtigungen
mitbekommen habe.
cc)
Aufgrund der Vernehmung der Zeuginnen N. und Z.- T. ist die Kammer überzeugt,
dass der Beklagte die Wohnung zu den für die Kündigung maßgeblichen Zeitpunkten
im August und September 2022 jedenfalls so lange an Dritte zur Nutzung
überlassen hat, dass nicht von einem bloßen Besuch dieser Personen auszugehen
ist. Dabei geht das Gericht von dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO
aus, wonach für eine Überzeugungsbildung ein für das praktische Leben
brauchbarer Grad von Gewissheit genügt, der verbleibenden Zweifeln Schweigen
gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, NJW 2020, 1072 Rn. 8,
beck-online m. w. N.).
Zwar hat der
Beklagte in seiner persönlichen Anhörung vor der Kammer angegeben, dass er
„genug Besuch“ habe und es sein könne, dass seine (internationalen) Freunde und
Cousins nur zum Kaffee kämen oder auch blieben, um in der Wohnung zu schlafen.
Teilweise würde sein Besuch auch alleine in der Wohnung schlafen, weil der
Beklagte zu seinen – ebenfalls in H. wohnenden – kranken Eltern müsse. Einmal
habe er einen alleinstehenden Freund für 1 – 2 Monate bei sich aufgenommen.
Diese Angaben
des Beklagten sind jedoch widerlegt durch die glaubhaften Aussagen der
Zeuginnen N. und Z.- T.. Denn die übereinstimmenden detailreichen Schilderungen
der beiden Zeuginnen erlauben nach Auffassung der Kammer den Rückschluss, dass
der Beklagte die streitgegenständliche Wohnung jedenfalls in den Monaten August
und September 2022 an Dritte zur (Mit-)Nutzung überlassen hat, und dass es sich
dabei aufgrund der Länge des Aufenthaltes nicht um einen bloßen Besuch dieser
Personen gehandelt haben kann.
Die Zeugin Z.-
T. hat glaubhaft bekundet, dass im vergangenen Jahr alle 3 Monate andere
Menschen in der Wohnung des Beklagten gewohnt hätten. Die Zeugin vermochte
nachvollziehbar zu erklären, wie sie zu der Einschätzung gekommen ist, dass die
Personen dort „wohnen“ würden. Denn sie wohnt in der Wohnung, die derjenigen
des Beklagten gegenüberliegt, und hat anschaulich erläutert, dass sie sich
durch den von den Bewohnern der Wohnung des Beklagten ausgehenden Lärm gestört
gefühlt habe, weshalb sie regelmäßig durch den Türspion oder das Küchenfenster
beobachtet habe, wer die Wohnung verlasse. Dabei habe sie insbesondere
wahrgenommen, dass die jeweiligen Personen die Wohnung früh verlassen hätten
und dann im Laufe des Tages wiedergekommen seien, wobei der Beklagte oft nicht
dabei gewesen sei.
Die Zeugin hat
überdies detailreich und damit glaubhaft bekundet, dass sie im Frühjahr und
Sommer des letzten Jahres jeweils einmal mitbekommen habe, wie die Wohnung
mehreren Personen gezeigt worden sei. Das habe sie unmittelbar wahrnehmen
können, weil die Tür offen gestanden habe. Die Männer, denen die Wohnung
gezeigt worden sei, seien ein paar Tage später mit Koffern wiedergekommen. Der
Mann, der den Männern die Wohnung gezeigt habe, habe sich der Zeugin gegenüber
als Herr M. vorgestellt – es habe sich aber nicht um den Beklagten gehandelt.
Gestützt wird
die Aussage der Zeugin Z.- T. durch die Aussage der weiteren Zeugin N., die
unter der streitgegenständlichen Wohnung lebt. Diese hat ebenfalls bekundet,
aufgrund des Lärms durch den Türspion und das Fenster beobachtet zu haben,
welche Personen die von dem Beklagten angemietete Wohnung betreten und
verlassen hätten. Das seien im Herbst 2022 regelmäßig zwei unbekannte Männer
gewesen, welche die Zeugin genau zu beschreiben vermochte. Aufgrund ihrer
Beobachtungen kam auch diese Zeugin zu dem Schluss, dass die Männer „definitiv“
dort gewohnt hätten.
b) Die
Rechte der Klägerin als Vermieterin sind durch die unerlaubte
Gebrauchsüberlassung durch den Beklagten auch erheblich beeinträchtigt. Die
Erheblichkeit ist regelmäßig zu bejahen, wenn eine unbefugte
Gebrauchsüberlassung vorliegt, weil der Vermieter ein erhebliches Interesse
daran hat, zu wissen, wer das Mietobjekt tatsächlich nutzt (vgl.
Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2022, BGB § 543 Rn. 150). Dafür spricht
hier überdies, dass der Beklagte die unerlaubte Gebrauchsüberlassung trotz
Abhilfefrist fortgesetzt und damit den Vermieterwillen missachtet hat. Dagegen
sind keine Umstände ersichtlich, die gegen die Erheblichkeit der
Beeinträchtigung der Vermieterrechte sprechen.
c) Die
Kündigung ist ordnungsgemäß gem. § 569 Abs. 4 BGB begründet worden.
Als Kündigungsgrund wird die – trotz Abhilfefrist – fortgesetzte Überlassung
der Wohnung an Dritte angeführt.
2.
Dem Beklagten
war keine Räumungsfrist gem. § 721 Abs. 1 S. 1 ZPO von Amts
wegen zu gewähren. Nach dieser Vorschrift soll dem Räumungsschuldner zur
Vermeidung von (für ihn nicht ausreichend vorhersehbarer) Obdachlosigkeit die
Möglichkeit eingeräumt werden, trotz bestehender Pflicht zur Räumung noch eine
in Größe, Ausstattung, Wohnlage und Preis angemessene Ersatzwohnung zu finden.
Das Gericht hat unter Berücksichtigung dieses Zwecks im konkreten Einzelfall
aufgrund des von den Parteien vorgetragenen und vom Gericht festgestellten
Sachverhalts die widerstreitenden Interessen der Parteien gegeneinander
abzuwägen (BeckOK ZPO/Ulrici, 50. Ed. 1.7.2023, ZPO § 721 Rn. 5 m. w. N.).
Diese
Interessenabwägung führt zur Versagung einer Räumungsfrist. Denn dem Beklagten
droht keine Obdachlosigkeit, weil er selber in seiner Anhörung in der
mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass er gelegentlich nicht in der
streitgegenständlichen Wohnung übernachte. Mithin verfügt der Beklagte
anscheinend über die Möglichkeit woanders zu übernachten, etwa bei seinen
ebenfalls in H. lebenden Eltern. Es ist auch weder vorgetragen noch
ersichtlich, dass der Beklagte sich um Ersatzwohnraum bemüht hätte. Das wäre
jedoch erforderlich gewesen, weil der Beklagte – nach der Überzeugung der
Kammer – hinsichtlich der Gebrauchsüberlassung der Wohnung an Dritte die
Unwahrheit gesagt hat und er daher mit einem für ihn negativen Ausgang des
Berufungsverfahrens rechnen musste.
3.
Die
Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708
Nr. 7 u. 10, 713 ZPO.
Die Revision
ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat
noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543
Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung erschöpft sich in der Anwendung
etablierter Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall.
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