Freitag, 28. Februar 2025

Pflichtteilsstrafklausel: Stets Erbscheinvorlage im Grundbuchverfahren ?

In dem notariellen Testament der Eheleute heißt es, dass dann, wenn einer der Söhnen oder beide nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil verlangt, sie nach dem Tod des Längstlebenden ebenfalls den Pflichtteil, erhalten. In diesem Fall soll der Überlebende neu testieren können. Sollte der Überlebende nicht eine neue Verfügung von Todes wegen machen, würde es bei der Erbeinsetzung „hier in diesem Testament“ verbleiben.

Nachdem beide Eheleute verstorben sind, beantragte der Beteiligte unter Bezugnahme auf das Testament und die Eröffnungsniederschrift die Berichtigung des Grundbuchs. Das Grundbuchamt verlangte mit der angefochtenen Zwischenverfügung eine eidesstattliche Versicherung über das Nichtgreifen der Pflichtteilsklausel, um danach mit weiterer Zwischenverfügung unter Hinweis darauf, das Grundbuchamt sie für eidesstattliche Versicherungen nicht zuständig, nur noch den Erbschein haben wollte. Der dagegen eingelegten Beschwerde half das Grundbuchamt nicht ab; das Kammergericht gab ihr schließlich statt, da ein Eintragungshindernis nicht bestünde, weshalb eine Zwischenverfügung nicht veranlasst gewesen sei.

Die Berichtigung einer (hier vorliegenden) Grundbucheintragung erfolge auf Antrag (§ 13 Abs. 1 GBO), wenn die Unrichtigkeit durch öffentliche Urkunde (§ 29 GBO) nachgewiesen würde (§ 22 Abs. 1 GBO). Grundsätzlich würde der Nachweis der Unrichtigkeit bei Tod der Nachweis der Erbfolge durch Erbschein geführt werden (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). Läge eine Verfügung von Todes wegen vor, die wie hier in einer öffentlichen Urkunde enthalten sei, genüge idR. die Vorlage der Niederschrift über deren Eröffnung (§ 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GBO). Zu prüfen sei vom Grundbuchamt, ob sich daraus das behauptete Erbrecht ergäbe, wobei es die Verfügung in eigener Verantwortung auszulegen habe. Das entfalle nur, wenn für die Auslegung erst noch zu ermittelnde Umstände maßgeblich seien ( KG, Beschluss vom 29.10.2020 - 1 W 1463/20 -).

Unter Verweis auf seien eigene Entscheidung vom 06.03.2012 – 1 W 10/12 – wies das KG darauf hin, dass bei vorliegen einer sogen. Pflichtteilsstrafklausel (wie hier) der Nachweis der negativen Tatsache des Nichteintritts dieser Klausel eine eidesstattliche Versicherung ausreichend sei., wenn auch das Nachlassgericht eine solche Versicherung ohne weitere Ermittlung zugrunde legen würde. Das habe zunächst das Grundbuchamt auch so gesehen, dann aber mit der weiteren Zwischenverfügung in Ansehung des Beschlusses des BGH vom 10.02.2022 - V ZB 87/20 - zur (fehlenden) Befugnis der Grundbuchämter zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung davon Abstand genommen.

Die Pflichtteilsstrafklausel würde hier aber keine Lücke für einen Erbnahweis durch öffentliches Testament bilden. Denn die Erbfolge ergäbe sich hier trotz der Pflichtteilsstrafklausel aus dem Testament. Nach dessen Inhalt sollte der überlebende Ehegatte bei Geltendmachung des Pflichtteils durch die oder einen der Söhne berechtigt sein, neu zu testieren und sollte es bei der bisherigen testamentarischen Regelung auch im zweiten Erbfall verbleiben, wenn er nicht neu testiere. Damit sei der Verlust der Schlusserbenstellung nicht schon durch das Verlangen des Pflichtteils begründet, sondern hätte einer zusätzlichen Handlung (Erstellung eines neuen Testaments) des überlebenden Ehegatten bedurft.

Lediglich entfernt liegende Möglichkeiten würden das Verlangen nach Vorlage des Erbscheins nicht rechtfertigen können. Dass die Letztversterbende neu testiert haben könnte, stelle sich als eine solche Möglichkeit dar, die für die Anforderung eines Erbscheins nicht ausreichend sei; solche seien nur bei (hier nicht vorliegenden) konkreten Anhaltspunkten zu berücksichtigen (Scheidungsklausel, BGH, 17.02.2022 - V ZB 14/21 -).

Kammergericht, Beschluss vom 28.01.2025 - 1 W 37/25 -

Donnerstag, 27. Februar 2025

Selbstentzündung des Benzinkanisters und Betriebsgefahr nach § 7 StVG

Der Beklagte zu 2 wollte in einer Tiefgarage Benzin aus einem Plastikkanister in sein Fahrtzeug einfüllen. Nachdem der Kanister durch eine Stichflamme in Brand geriet kam es zu erheblichen Verrußungsschäden am Objekt der Versicherungsnehmerin der Klägerin; das Fahrzeug des Beklagten zu 2 nahm keinen Schaden. Die Klägerin, Gebäudeversicherer, regulierte den Schaden gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin und machte Regressansprüche nach § 86 VVG gegen die Beklagte zu 1 als Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs und deren Versicherungsnehmer, den Beklagten zu 2 geltend. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich und führte zur Klageabweisung. 

Die Klägerin hatte ihren Anspruch auf § 7 StVG gestützt (wohl da von vornherein ein Verschulden des Beklagten zu 2 und damit eine Haftung nach § 823 BGB ausschied). Das OLG ordnete den Vorgang allerdings entgegen dem Landgericht nicht dem Betrieb eines Fahrzeugs zu, was für eine Haftung nach § 7 StVG des Halters (und nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG des Versicherers) in diesem Fall Voraussetzung wäre.

Die Schadensverursachung müsse nach § 7 StVG durch den Betrieb des Fahrzeugs bedingt sein, ohne dass es darauf ankäme, ob sich der Fahrzeugführer verkehrswidrig verhalten habe (sogen. Gefährdungshaftung). Ein Schaden sei bereits dann beim Betrieb eines Fahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren verwirklicht hätten. Also das Schadensgeschehen durch das Fahrzeug (mit)geprägt worden sei. Dabei sei der Begriff des Betriebs weit zu fassen, über die frühere maschinentechnische Auffassung hinaus hin zur verkehrstechnischen Auffassung. Die Gefahren gingen nicht nur vom Motor und seiner Einwirkung auf das Fahrzeug aus, sondern zunehmend von der gesamten Abwicklung des Verkehrs und im besonderen Maße von Kraftfahrzeugen, die nach der diese Umstände nicht berücksichtigenden maschinenrechtlichen Auffassung nicht im Betrieb seien (BGH, Urteil vom 04.12.1958 – III ZR 117/57 -). Seither beschränke sich die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeugs nicht auf Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr oder privaten Verkehrsraum, sondern bestünde bei allen mit seinem Betrieb oder seinen Betriebseinrichtungen zusammenhängenden Unfällen, soweit ein örtlicher und zeitlicher Kausalzusammenhang mit dem Betrieb des Kraftahrzeuges oder dem Versagen seiner Betriebseinrichtung bestünde.

Danach sei eine Schadensentstehung beim Betrieb des Fahrzeugs hier zu verneinen, auch wenn das Betanken eines Kraftfahrzeugs hinreichend eng mit dessen Betrieb zusammenhänge und das Öffnen des Benzinkanisters diesem Vorgang dienen sollte. Erforderlich sei aber, dass sich die vom Fahrzeug ausgehende Gefahr irgendwie ausgewirkt haben müsse und das Schadensgeschehen durch das Fahrzeug mitgeprägt wurde. Hier allerdings sei das Fahrzeug bei dem Brand selbst unbeteiligt gewesen und habe keine Ursache für den Brand gesetzt. Damit habe sich keine dem Fahrzeug innewohnende Gefahr verwirklicht. Da mit dem Betanken des Fahrzeugs mittels des Benzinkanisters noch nicht begonnen worden sei, zeige auch das Urteil des BGH vom 21.01.2024 - VI ZR 253/13 – (dort: Selbstentzündung des Fahrzeugs infolge eines technischen Defekts an diesem) keine andere Wertung auf, da dort darauf abgestellt worden sei, dass Tanken ein Betriebsvorgang und der Tank ein Betriebsteil sei, grds. geeignet das Merkmal „beim Betrieb“ auszufüllen, doch sei noch nicht mit dem Betanken begonnen worden, so dass sich die entsprechenden Gefahren hier nicht verwirklicht hätten.

OLG Dresden, Urteil vom 01.10.2024 - 4 U 446/24 -

Mittwoch, 26. Februar 2025

Mieterhöhung bei Wohnraummietvertrag mit Stellplatz

Die Beklagte hatten eine Wohnung und einen Stellplatz von der Vermieterin gemietet. Der Mietzins für die Wohnung und den Stellplatz war in dem Mietvertrag nicht als einheitlicher Mietzins ausgewiesen, vielmehr war er gesondert für die Wohnung und den Stellplatz benannt. Im Rahmen einer Mieterhöhung bezog sich die Klägerin zur Begründung der Erhöhung der Miete für den Wohnraum auf den Mietspiegel, für die Stellplätze auf vier Vergleichsmieten.

Der BGH wies darauf hin, die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückweisen zu wollen, da kein Grund für eine Revisionszulassung vorläge. Für die Einordnung des Mietverhältnisses als Wohnraummietverhältnis nach § 549 Abs. 1 BGB, auf welches die Vorschriften der Wohnraummiete Anwendung finden würden und mithin auch §§ 558 ff BGB, oder als ein sonstiges Mietverhältnis, sei der prägende Vertragszweck entscheidend, als die Vorstellung der Parteien über die Nutzung des Mietobjekts. Entscheidend sei, was im Vordergrund stehen würde. Hier sei dies die Anmietung zu Wohnzwecken gewesen, wobei als Indiz auch die Flächen in Betracht kämen und deren Verhältnis zueinander. Hier sei der Schwerpunkt nach zutreffender Erwägung des Berufungsgerichts bei einer Wohnungsgröße von rund 94qm, dem nur ein Stellplatz gegenüberstünde, die Wohnnutzung.

Vorliegend sei das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Vorschriften der §§ 558 ff BGB auch hinsichtlich des auf den Stellplatz entfallenden Mietanteils anwendbar seien.  Der Vermieter könne nach § 558 Abs. 1 S. 1 BGB die Zustimmung zur Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, wenn die Miete in dem Zeitpunkt, zu dem die Erhöhung ein treten soll, 15 Monate unverändert gewesen sei. Das Mieterhöhungsverlangen habe die formellen Anforderungen erfüllt.

Das Mieterhöhungsverlangen müsse auch begründet werden, damit der Mieter dieses überprüfen könne und sich schlüssig werden könne, ob er dem zustimme oder nicht.  Dazu müsse das Erhöhungsverlangen Angaben über Tatsachen enthalten, aus denen der Vermieter die Berechtigung der geforderten Mieterhöhung herleite, und zwar in dem Umfang, die der Mieter benötige, um der Berechtigung des Erhöhungsverlangens nachgehen und zumindest ansatzweise überprüfen zu können.

Dem sie die Klägerin nachgekommen. Sie habe die Erhöhung der Miete für den Wohnraum auf den Mietspiegel gestützt, bei dem es sich gem. § 558a Abs. 2 Nr. 1 BGB um ein zulässiges Begründungsmittel handele. Aber auch die Heranziehung der monatlich zu zahlenden Entgelte für vier Vergleichsstellplätze zur Erhöhung der Stellplatzmiete sei in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Zwar würde derartige Entgelte in § 558a Abs. 2 BGB nicht explizit genannt, doch enthalte die Norm keine abschließende Aufzählung (BGH, Urteil vom 13.11.2013 - VIII ZR 413/12 -).

Die ortsübliche Vergleichsmiete würde nach § 558 Abs. 2 S. 1 BGB aus den üblichen Entgelten gebildet.

Offen bleibe, ob die ortsübliche Vergleichsmiete iSv. § 558 Abs. 2 S. 1 BGB bei Vorliegen eines einheitlichen Mietverhältnisses über eine Wohnung und einen Stellplatz – wie hier – durch die Heranziehung eines Mietspiegel für die Wohnung und unter Zugrundelegung der ortsüblichen Stellplatzmiete für den Stellplatz bestimmt werden könne (so LG Rottweil, Urteil vom 03.04.1998 - 1 S 29/97 -), oder ob auf die ortsübliche Vergleichsmiete für das gesamte Mietobjekt (Wohnung und Stellplatz) abzustellen sei (so AG Koblenz, Urteil vom 25.01.2024 - 142 C 1742/23 -; AG Köln, Urteil vom 27.01.2026 - 220 C 409/15 -). Vorliegend würde dies auf den selben Mietzins hinauslaufen.

Nach den Hinweisen wurde die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen.

BGH, Hinweisbeschluss vom 22.10.2024 - VIII ZR 249/23 -

Samstag, 22. Februar 2025

Garagenräumung: Streitwert und ordnungsgemäße Berufungsbegründung

Die Klage richtete sich auf Räumung und Herausgabe einer Garage und Herausgabe einer Garage nach Kündigung derselben. Die Monatsmiete betrug € 26,00 und das Amtsgericht hat einen Wert von bis zu € 500,00 festgesetzt. Das Landgericht hatte die vom Amtsgericht nicht zugelassene Berufung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) des Beklagten wegen Unterschreitens der Berufungssumme (sie muss € 600,00 überschreiten, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), verworfen. Dagegen wandte sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, die der BGH verwarf.

Die Rechtsbeschwerde sei zwar statthaft (§§ 522 Abs. 21 S. 4, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO), aber nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt seien.

Allerdings könne nicht alleine auf die Unterschreitung des nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Wertes abgestellt werden, da entscheidend das Interesse des Beklagten an der Abänderung des angefochtenen Urteils hier die Wertgrenze von € 600,00 überschritten sei. Der Wert des Beschwerdegegenstandes sei nach §§ 2, 3 ZPO nach freien Ermessen des Berufungsgerichts zu bestimmen und im Rahmen der Rechtsbeschwerde müsse vom BGH geprüft werden, ob das Berufungsgericht bei der Ausübung des Ermessens die in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkte  umfassend berücksichtigte (BGH, Beschluss vom 21.05.2019 - VIII ZB 66/18 -). Hier würde sich der Wert nicht nach dem allein für die Bemessung der Gerichtsgebühren maßgeblichen Gerichtskostengesetz, sondern denjenigen der Zivilprozessordnung (ZPO) orientieren, vorliegend nach §§ 8 f ZPO (BGH, Beschluss vom 26.11.2015 - III ZB 84/15 -). Bei einem Räumungsrechtstreit der Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses ungewiss oder ließe sich der Zeitpunkt der Beendigung nicht bestimmen, sei § 9 ZPO anwendbar, mithin der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts (BG, Beschluss vom 23.01.2019 - XII ZR 95/17 -). Damit läge der Wert vorliegend über € 600,00. Da sich der Beklagte auf eine Fortdauer des Mietvertrages berufen habe, sei der Beendigungszeitpunkt streitig.

Die landgerichtliche Entscheidung beruhe aber nicht auf diesen Rechtsfehler. Es würde an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Berufungsbegründung ermangeln. Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO müssten in der Berufungsbegründung die Umstände bezeichnet werden, aus denen sich die Rechtsverletzung und ihre Erheblichkeit ergeben würden. Zudem müssten konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden, bezeichnet werden (§ 530 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO) sowie etwaige neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel und die Tatsachen benannt werden, auf Grund derer die neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 531 ZPO zuzulassen seien (§ 530 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO). Anmerkung: Dies muss innerhalb der (ggf. verlängerten) Berufungsbegründungsfrist erfolgen.

Diesen Anforderungen habe die Berufungsbegründung nicht genügt. Es sei lediglich gerügt worden, es fehle dem Urteil  mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 313a ZPO an dem notwendigen Tatbestand (§ 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Das Amtsgericht habe die Beschwer unzutreffend auf einen Wert von unter € 600,00 bemessen, deshalb die Berufung zu Unrecht für unstatthaft gehalten und damit den Anspruch des Beklagten auf effektiven Rechtsschutz verkürzt. Es würde sich aber nicht ergeben, weshalb in der Sache eine andere Entscheidung hätte ergehen müssen bzw. materiell-rechtlich die amtsgerichtliche Entscheidung unrichtig sein soll. Der Verweis auf den fehlenden Tatbestand zeigt für sich keinen Umstand auf, aus dem sich eine Erheblichkeit der Rechtsverletzung für die angefochtene Entscheidung ergeben könne. Die angefochtene Entscheidung beruhe nicht auf dem Fehlen des Tatbestandes, vielmehr läge der Verfahrensfehler in der amtsgerichtlichen Entscheidung selbst.

Anmerkung: Nach § 313 Abs. 2 ZPO müssen im Tatbestand „die erhobenen Ansprüche und dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden“. Fehlt es daran, liegen aber – wie offenbar hier – Entscheidungsgründe vor, so kann sich ein Berufungsführer mit den Entscheidungsgründen auseinandersetzen. Inwieweit der fehlende Tatbestand auf die Entscheidung Einfluss hat, wäre ggf. darzulegen.

BGH, Beschluss vom 07.08.2024 - XII ZB 121/24 -

Dienstag, 18. Februar 2025

Haftung des auf falscher Straßenseite und Gehweg fahrenden Radfahrers

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrrad einen Gehweg auf der linken Seite der Sch-Straße. Dabei fuhr sie Richtung Stegeweg, der auf die Sch-Straße mündet; der Verkehr auf der Sch-Straße ist bevorrechtigt; im Stegeweg ist ein Stoppschild. Der Beklagte fuhr den Stegweg und kollidierte im Einmündungsbereich zur Sch-Straße mit der Klägerin, die sich verletzte und deren Fahrrad beschädigt wurde. Da der Beklagte (und sein Versicherer) nicht den Schaden regulierten, erhob die Klägern Klage, die abgewiesen wurde. Dabei ging das Landgericht nach Beweisaufnahme davon aus, dass die Klägerin den Verkehrsunfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten selbst und allein verschuldet habe.

Die Klägerin hätte den Gehweg als Erwachsene nicht befahren dürfen, § 2 Abs. 5 StVO, weshalb sie hier schon grob verkehrswidrig gehandelt habe. Zudem sei sie auf der Sch-Straße links statt rechts gefahren, was ebenfalls grob verkehrswidrig gewesen sei.

Verfehlt sei zudem die Annahme der Klägerin, sie sei gegenüber dem Kraftfahrer, der aus der Straße Stegeweg kam, vorfahrtsberechtigt gewesen. Zwar sei der Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn der Sch-Straße gegenüber dem Verkehr auf dem Stegeweg vorfahrtsberechtigt. Dieses Vorfahrtsrecht habe aber die Klägerin, die verbotswidrig und in falscher Richtung auf dem Gehweg der Sch-Straße fuhr, nicht für sich beanspruchen können. Durch die Nutzung des Gehweges habe für sie § 10 StVO (Einfahren und Anfahren) gegolten. Sie gelte hie als in die Fahrbahn Einfahrende und habe sich mithin so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Weiterhin habe sie als Nutzerin des Gehweges § 25 StVO (Fußgänger) halten und dürfe die Straße danach letztlich nur überqueren, wenn kein Verkehr käme, denn dieser habe gegenüber einem Fußgänger Vorrang. Nach eigene Angaben habe die Klägerin den Pkw am Stoppschild des Stegeweg stehen gesehen; sie habe nicht gewartet, bis das Beklagtenfahrzug abgefahren sei, sondern sei einfach auf den Stegeweg aufgefahren und fuhr dort ungebremst gegen den Pkw, der dabei gewesen sei, sich in die Sch-Straße, aufgrund schlechter Einsehbarkeit, hineinzutasten.  

Damit habe die Klägerin massiv gegen bestehende Verkehrsregeln verstoßen, weshalb die Betriebsgefahr des Pkw völlig zurücktreten würde. Der Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin sich verkehrsgerecht verhalten würde und von dem Gehweg nur auf die Fahrbahn auffährt, wenn sie den Fahrzeugverkehr nicht behindert.

LG Frankfurt/Oder, Urteil vom 19.07.2024 - 12 O 23/23 -

Freitag, 14. Februar 2025

Software-Vertrag: Gerichtsstand bei Beteiligten aus zwei Mitgliedsstaaten der EU

Die Klägerin, ein österreichisches Unternehmen, schloss mit einem in Deutschland ansässigen Unternehmen (Beklagte) einen Softwarevertrag. Die Klägerin entwickelte Software und die Parteien schlossen einen Vertrag über die Entwicklung und den Betrieb dieser Software in Deutschland. Es entstand Streit darüber, ob die Software allen rechtlichen Vorgaben entspricht. Die Klägerin klagte ihre Vergütung in Österreich ein; die Parteien hatten keinen Erfüllungsort und auch keinen Gerichtsstand vereinbart. Das Erstgericht verneinte die internationale Zuständigkeit, da der Erfüllungsort am Sitz des deutschen Unternehmens läge. Das Rekursgericht folget dem. Im Revisionsverfahren fragte sich der Oberste Gerichtshof (Österreich), ob für die Bestimmung des Erfüllungsortes bei Distanzdienstleistungen der Ort maßgeblich ist, an dem der Dienstleistungserbringer schöpferisch tätig ist, oder der Ort, an dem dies erbracht wurde bzw. wo sie den Gläubiger derselben erreiche.

Grundlagen des sogen. Vorabentscheidungsverfahrens zur Frage des örtlich und in der EU zuständigen Gerichts war die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, wonach sich die Zuständigkeit grundsätzlich der Wohnsitz des Beklagten richten soll (Erwägungsründe 15 und 16 der Verordnung).     Art. 7 der VO sehe vor, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates habe, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden könne, u.a. (Z.1b) 2. Spiegelstrich) für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder nach dem Vertrag hätten geliefert werden sollen.

Das vorlegende Gericht würde mit seiner Frage wissen wollen, ob Art. 7 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich dahin auszulegen sei, dass Erfüllungsort bei einem Vertrag über die Entwicklung und den anschließenden Betrieb einer Software, die nach den Bedürfnissen des Bestellers ausgerichtet sei, der in einem anderen Mitgliedsstaat ansässig sei als das für die Schöpfung, Erstellung und Programmierung zuständige Unternehmen, der Ort sei, an dem die Schöpfung pp. stattgefunden habe oder der Ort, an dem die Software dem Besteller erreiche, von diesem also abgerufen und eingesetzt werden könne.  

Die Verordnung bezwecke, so der EuGH, die Vorschriften in Zivil- und Handelssachen durch Zuständigkeitsvorschriften zu vereinheitlichen. Es soll ohne weiteres für in der EU ansässige Personen möglich sein, festzustellen, welches Gericht sie anrufen könne, wie auch ein potentieller Beklagter feststellen könne, vor welchem Gericht er verklagt werden könne. Die in Art. 7 Nr. 1 enthaltende Regel eines Gerichtsstandes für Streitigkeiten zu einem Vertrag oder Ansprüchen aus einem solchen entspräche dem Ziel der räumlichen Nähe und habe ihren Grund in der engen Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht.

In Art. 7 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich würde das Anknüpfungskriterium für den Gerichtsstand autonom der Ort in einem Mitgliedsland angesehen, an dem die Dienstleitung erbracht werden soll oder würde, weshalb dieses autonome Anknüpfungskriterium für sämtliche Klagen aus ein und demselben Vertrag für Dienstleistungen anwendbar sei. Es käme damit darauf an, an welchem Ort die hauptsächliche Leistungserbringung nach dem Vertrag, mangels einer dortigen Bestimmung aus dessen tatsächliche Erfüllung, erfolge. Bei einer Mehrzahl von vertraglichen Verpflichtungen sei die charakteristische Verpflichtung zu bestimmen.

Die Erstellung und Programmierung einer Software sei keine charakteristische Verpflichtung eines solchen Vertrages über die Lieferung von Software (wie hier), da die vertragsgegenständliche Dienstleistung dem betreffenden Besteller nicht tatsächlich erbracht würde, solange diese nicht einsatzbereit sei. Die Dienstleistung würde erst erbracht, wenn sie einsatzbereit und ihre Qualität geprüft werden könne. Da die charakteristische Verpflichtung eines Vertrages über die Online-Lieferung von Software wie im Ausgangsverfahren darin bestünde, diese dem Besteller zur Verfügung zu stellen, sei Erfüllungsort der Ort, an dem die Software dem Besteller erreichte, d.h. der Ort, an dem sie von ihm abgerufen und zum Einsatz gebracht würde. Würde die Software an verschiedenen Orten zum Einsatz gebracht, befände sich dieser Ort am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Bestellers, da es sich für Kläger und Beklagten um einen feststehenden und feststellbaren Ort handele, der geeignet sei, die Beweiserhebung und Geltung des Prozesses zu vereinfachen.

Nicht entscheidend sei, dass – wie die Beklagte geltend mache – die Vorgaben, an die sich die Klägerin hätte halte müssen, in den Rechtsvorschriften des Mitgliedslandes BRD zu sehen seien. Zwar entspräche dieser Anknüpfungspunkt den in den Erwägungsgründen der VO genannten Zielen der Vorhersehbarkeit und räumlichen Nähe. Da sich die Parteien aber uneins über die Tragweite dieser Vorgaben seien, dies zur inhaltlichen Klärung des zuständigen Gerichts gehöre, könne dies nicht berücksichtigt werden, da die Bestimmung des Erfüllungsortes nicht von Kriterien abhängen dürfe, die Teil der inhaltlichen Prüfung der Klage seien.

EuGH, Urteil vom 28.11.2024 - C-526/23 -

Mittwoch, 12. Februar 2025

Räumungsurteil über Pachtsache mit oder ohne Sicherheitsleistung ?

Das Landgericht hatte einer Zahlungs- und Räumungsklage über ein Pachtobjekt stattgegeben und das Urteil gegen Sicherheitsleistung von € 150.425,00 für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Kläger beantragte, nachdem der Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, eine Vorabentscheidung über die Vollstreckbarkeit (§ 718 ZPO) mit dem Ziel, dass der Räumungsanspruch ohne Sicherheitsleistung vollstreckt werden kann.

Dem folgte das Berufungsgericht (OLG Rostock) nicht. Voraussetzung sei eine fehlerhafte Anwendung der §§ 708, 709 und 711 S. 1 ZPO.

Nach § 708 Nr. 7 ZPO könne die Entscheidung des Landgerichts nicht fehlerhaft sein, da danach lediglich ein Räumungsanspruch bei einem Mietverhältnis ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären sei. § 708 Nr. 7 ZPO sei (entsprechend § 23 Nr. 2a GVG) alleine auf Mietverhältnisse anwendbar und auch nicht analog auf Pachtverhältnisse anwendbar, wofür auch der Ausnahmecharakter der Regelung, der alleine die Eilbedürftigkeit bei Mietsachen im Auge habe, spreche (z.B. OLG Düsseldorf, Teilurteil vom 24.08.2008 - I-24 U 74/08 -). Der vom OLG Celle mit Teilurteil vom 16.05.2023 - 2 U 37/23 – entgegengesetzten Ansicht könne nicht gefolgt werden, in der unter Hinweis auf § 227 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO (Terminsbestimmungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August für Streitigkeiten auf Herausgabe, Überlassung pp. von Räumen und Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum) angenommen wurde, dass (im Rahmen einer Rechtsfortbildung) auch eine Pachtsache unter § 708 Nr. 7 ZPO falle. Diese Ansicht würde schon wegen des unterschiedlichen Wortlautes der Norm nicht tragen. Richtig ist, dass der Wortlaut beider Normen divergiert; dass aber § 227 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO durch einen Verweis auf Räume neben der Benennung von Wohnraummietverhältnissen auch Pachtverhältnisse meint, die Angaben „von Wohnräumen oder anderen Räumen“ aber ein Pachtverhältnis ausschließen würde, erschließt sich nicht zwingend.

Allerdings sei bei möglichen gemischten Vollstreckungen aus einem Urteil (Geldforderung und vertretbare Handlung) bei der Sicherheitsleistung zu differenzieren. Für den Räumungsanspruch und die Geldforderung seien jeweils gesonderte Sicherheitsleistungen festzusetzen; insoweit nahm das OLG hier eine Änderung der entsprechenden landgerichtlichen Titulierung vor.  

OLG Rostock, Teilurteil vom 26.09.2024 - 3 U 56/24 -

Montag, 10. Februar 2025

Gemeinsame Betriebsstätte durch konkreten Arbeitsablauf zum Unfallzeitpunkt

Der Kläger war Arbeitnehmer der Fa. I und lieferte auf Weisung seines Arbeitsgebers eine Lkw-Ladung an die Beklagte zu 2. Sein Lkw wurde auf deren Betriebsgelände von dem Beklagten zu 1, einem Arbeitnehmer der Beklagten zu 2, ent- und anschließend mit Gitterboxen wieder beladen. Nach Beendigung dieser Arbeiten war der Kläger mir dem Verschließen seines Sattelauflegers beschäftigt. Währenddessen wurde vom Ladepersonal der Beklagten zu 2 ein weiterer Lkw zum Laden hereingeholt, der sich seitlich neben dem Lkw des Klägers befand. Als der Kläger am linken Ende des Auflegers einen Spiegel einsetzte, erfasste der Beklagte zu 1 mit einem Gabelstapler den Kläger mit dem Staplergehäuse am rechten Unterschenkel. Der Kläger zog sich u.a. eine Distorsion des rechten Kniegelenks zu. Er erhob vor dem Arbeitsgericht Würzburg Klage, die vom Arbeitsgericht als unbegründet abgewiesen wurde.  Die Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht hatte die Klageabweisung damit begründet, dass dem Anspruch des Klägers § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII entgegen stünde. Dem folgte das LAG.

Grundlegend: Nach § 104 SGB VII seien Unternehmer den Versicherten, die für ihr Unternehmen tätig seien, nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein versicherter Unfall verursachte, nur verpflichtet wenn Vorsatz vorläge oder sich der Unfall auf dem versicherten Weg (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII) ereigne. Dies gelte auch gem. § 105 SGB VII für die Haftung im gleichen Betrieb tätiger Versicherter. Die so normierte Haftungsfreistellung gelte auch für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen tätigen untereinander, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten würden.

Der Terminus der „gemeinsamen Betriebsstätte“ erfasse betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen würden, miteinander verknüpft seien, sich ergänzen oder unterstützen würden, wobei die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgen könne. Es sei aber ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf erforderlich, also ein sich tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstelle (BGH, Urteil vom 20.01.2008 – VI ZR 152/11 -). Das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfülle den Tatbestand noch nicht, auch nicht parallele Tätigkeiten oder ein beziehungsloses Nebeneinander. Es sei eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten in der konkreten Unfallsituation erforderlich, die die Bewertung der gemeinsamen „Betriebsstätte“ rechtfertige.

Im Einzelfall sei es als notwendige Arbeitsverknüpfung möglich, dass Beschäftigte verschiedener Unternehmen sich nicht sachlich ergänzende oder unterstützende Maßnahmen verrichten, wegen einer räumlichen Nähe aber eine Verständigung  über den Arbeitsablauf erforderlich sei und hierzu konkrete Absprachen getroffen würden (BGH, Urteil vom 22.01.2008 aaO.).

Die für eine „gemeinsame Betriebsstätte“ typische Gefahr habe sich hier durch ein ablaufbedingtes „in die Quere kommen“ bei den versicherten Tätigkeiten realisiert.  Es habe zum Unfallzeitpunkt ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrere Unternehmen vorgelegen, da eine Verständigung zum Arbeitsablauf und konkrete Ansprachen (ggf. stillschweigend) notwendig gewesen seien. Zur gemeinsamen Betriebsstätte habe nicht nur der Lkw des Klägers gehört, sondern auch der nähere Bereich der Abladestelle die im Hinblick auf die räumliche Nähe eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordere. Erst ,mit dem Verlassen des Klägers aus dem Gefahrenbereich der Abladestelle könne von einem Verlassen der gemeinsamen Betriebsstätte gesprochen werden. Es habe hier auch nicht ein rein zufälliges Zusammentreffen von Kläger und dem Beklagten zu 1 vorgelegen, da für die Beendigung des Transportauftrages nicht nur die Entladung des Fahrzeugs, sondern auch dessen Entfernen aus dem Gefahrenbereich erforderlich gewesen sei.

Dem Beklagten zu 2 käme zwar nicht das Privileg nach § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII als Unternehmer zu, doch würde eine Haftung von ihm nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldausgleichs entfallen, § 840 Abs. 2 BGB.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist anhängig bei dem BAG zu 8 AZN 786/24.

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 10. Oktober 2024 - 5 SLa 26/24 -

Freitag, 7. Februar 2025

Ist im Rechtsstreit widersprüchlicher Vortrag beachtlich ?

Die Klägerin hatte zunächst eine Schlussrechnung vorgelegt, in der vom Gesamtbetrag € 32.757,58 mit dem Vermerk abgezogen waren, „abzgl. Restleistungen in Teilbereichen der Fa. V.“. Nach Hinweis des Gerichts, der Abzug von € 32.757,58 erschließe sich nicht, weshalb dies die Klägerin aufschlüsseln wollte. Sie legte dann aber eine mit der ersten Schlussrechnung inhaltsgleiche Schlussrechnung vor, die lediglich den Abzug nicht enthielt; stattdessen wurde die Klage um den Betrag erweitert. Damit entspreche die Rechnung nun dem Aufmaßprotokoll, so die Klägerin. Der vormalige Abzugsbetrag sei ein Nachlass der Nachunternehmerin an die Klägerin wegen der bestrittenen vollständigen Fertigstellung gewesen, für den Fall, dass die Klägerin sofort zahle, den sie an den Beklagten weitergereicht habe und nunmehr gestrichen habe, nachdem dieser nicht gezahlt habe. Das Landgericht wies die Klage mangels prüfbarer Rechnung ab; die Berufung wurde vom Kammergericht als Berufungsgericht zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht.

Der BGH sah hier den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) als verletzt an. Insoweit sei von der Klägerin zutreffend gerügt worden, indem das Berufungsgericht wegen Widerspruchs zum früheren Vortrag, den Vortrag zur zweiten Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich gehalten habe, einen Beweis für den behaupteten Grund des Vortragswechsels gefordert habe, und das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergangen habe.

Der BGH hielt fest, dass keine Partei gehindert sei, ihren Vortrag im Laufe des Rechtsstreits zu ändern wie auch zu präzisieren. Entstünden dabei Widersprüchlichkeiten im eigen Parteivortrag, könne dies (nur) im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO Beachtung finden. Eine Nichtberücksichtigung dieses neuen Vortrags würde auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinauslaufen und damit auch gegen Art. 103 GG verstoßen (BGH, Beschluss vom 23.11.2023 - V ZR 170/22 -).

Vorliegend hätte mithin das Berufungsgericht den nach seiner Ansicht entscheidungserheblichen bestrittenen Vortrag der Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse nur erbrachte Leistungen, durch Einholung des beantragen Sachverständigengutachtens nachgehen müssen. Es durfte diesen Vortrag nicht übergehen, selbst wenn es darin einen Widerspruch zu einem früheren Vortrag sehe. Erst nachdem es den Beweis erhoben habe, dürfe der Vortragswechsel im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden. Nicht zulässig sei es auch, vor einer Beachtung des neuen Vortrages, die Gründe für den Vortragswechsel und Beweise dafür zu verlangen.

BGH, Beschluss vom 20.11.2024 - VII ZR 191/23 - 

Mittwoch, 5. Februar 2025

Überholer stößt mit zu schnell fahrenden Gegenverkehr zusammen

Nach der Überzeugung des Senats, die er in seinem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO näher darlegte, war die vom Kläger gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Berufung in der Sache unbegründet. Er habe mit seinem Pkw einen in seiner Fahrtrichtung fahrenden Lkw beschleunigend von 88 auf 96 km/h überholt und sei dabei mit einem entgegenkommenden Pkw, der die hier zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c) StVO um 12 km/h überschritten habe, kollidiert. Dieser Unfall sei für die beklagte entgegenkommende Fahrerin (Beklagte zu 2) unabwendbar gewesen, § 17 Abs. 3 StVG, unabhängig von der Geschwindigkeitsüberschreitung um 12 km/h. Aber auch im Übrigen hätte der Kläger einen kausalen schuldhaften Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 2 nicht bewiesen und träte hier die Betriebsgefahr von deren Pkw vollständig hinter dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Klägers und der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr zurück.

So damit, ob eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht alleine deshalb der Fahrerin des entgegenkommenden Fahrzeugs zugerechnet werden könne, da das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre. Das verneinte er mit Hinweis darauf, dass erforderlich sei, dass sich in dem Unfall eine auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende Gefahrenlage aktualisiere. Damit sei der erforderliche rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall zwar nicht räumlich, aber zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Das wäre der Fall, gelänge dem Fahrer bei einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise zwar nicht das Anhalten des Fahrzeugs vor der späteren Unfallstelle, aber hätte er zumindest den Wagen so stark abbremsen können, dass dem Verletzten Zeit zum rechtzeitigen Verlassen des Gefahrenbereichs verblieben wäre. Das aber würde auch gelten, wenn es dabei nur zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Verletzungen käme (BGH, Urteil vom 06.09.2017 – 7 U 18/27 -).

Hierzu setzte sich der Senat mit der kritischen Verkehrslage auseinander. Diese beginne mit dem Zeitpunkt, wenn die erkennbare Situation konkreten Anhalt dafür biete, dass eine Gefahrensituation unmittelbar bevorstünde. Für einen vorfahrtsberechtigten Fahrzeugführer würde dies in Bezug auf seinen Vorrang nicht bei abstrakten Gefahren bestehen, sondern erst bei erkennbaren Umständen für eine  bevorstehende Vorfahrtverletzung, wofür es neben der Fahrweise des Wartepflichtigen auf alle Umstände ankäme, die sich auf seine Fahrweise auswirken könnten, also auch die Fahrweise des Wartepflichtigen selbst. Gäbe der Vorfahrtsberechtigte dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß Veranlassung die Wartepflicht (insbesondere wegen Fehleinschätzung des Verkehrslage) zu verletzen, so könne die kritische Verkehrslage bereits vor der eigentlichen Vorfahrtverletzung eintreten (BGH, Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 -).

Daraus würde sich hier erschließen, dass die Unfall für die Beklagte zu 2 weder räumlich noch zeitlich vermeidbar war noch sich die Personen- und Sachschäden erheblich anders dargestellt hätten.

Die kritische Verkehrssituation habe sich für die Beklagte erst dargestellt, als die Beklagte zu 2das überholende Klägerfahrzeug erstmals gesehen habe.  Außer durch ein hochrisikoreiches und nicht zumutbares Ausweichen in den Straßengraben sei der Unfall weder räumlich noch zeitlich vermeidbar gewesen. Nach dem Gutachten wer die Beklagte zu 2 zwar bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch vor dem vorliegenden konkreten Unfallort zum Stehen gekommen, der Zusammenstoß hätte sich allerdings an einer „unerheblich anderen Stelle“, rund 8 m weiter nördlich in Fahrtrichtung des Klägers / gegen die Fahrtrichtung der Beklagten zu 2 mit einer zeitlichen Verzögerung von nur 0,3 Sekunden ereignet.  Der Unfall wäre damit weder zeitlich und örtlich zu vermeiden gewesen und zudem wäre der Kläger auch in diesem Fall mit dem überholten Lkw kollidiert, die Personen- und Sachschäden hätten sich auch nur unwesentlich anders dargestellt.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 05.08.2024 - I-7 U 57/24 -