Samstag, 15. April 2023

WEG: Unplausible Jahresabrechnung und unzulässige Rechnungsabgrenzung

Angefochten war hier u.a. ein Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) über eine Jahresabrechnung 2020 mit Nachschüssen und Vorschüssen. Geltend gemacht wurde von der Klägerin, dass die Jahresabrechnung nicht plausibel sei. Die Klage hatte im Berufungsrechtzug Erfolg, insoweit der Beschluss zu den Nachschüssen und der Anpassung der Vorschüsse (mit Ausnahme für Erhaltungsaufwendungen) für unwirksam erklärt wurde.

Die sich aus der Jahresabrechnung ableitenden Nachschüsse und Vorschüsse könnten (mit Wirksamkeit des WEMoG) nicht alleine deshalb als ungültig erklärt werden, da die Jahresabrechnung zunächst nicht nachvollziehbar sei. Allerdings verliere sie ihre Funktion ihre Funktion, nach § 28 Abs. 2 WEG, die Beschlussfassung über die Anpassung der Vorschüsse und das Einfordern von Nachschüssen vorzubereiten. Ließe sich aus den Anfangs- und Endbeständen der Konten die nicht nachvollziehen, ob alle in der Abrechnung enthaltenen Einnahmen und Ausgaben erfasst wurden, sei die Abrechnung nicht plausibel (BGH, Urteil vom 25.09.2020 - V ZR 80/19 -). Eine Abrechnung müsse für den durchschnittlichen Wohnungseigentümer verständlich sein, ohne dass er fachlicher Unterstützung bedarf (BGH, Urteil vom27.10.2017 - V ZR 189/16 -). Mit dem Verweis auf die fehlende Plausibilität käme der anfechtende Wohnungseigentümer seiner Darlegungslast nach, mit der auch Zweifel an der Richtigkeit er angepassten Vorschüsse sowie der Nachschüsse geltend gemacht werden. Es obläge nunmehr der WEG im Rahmen der sekundären Darlegungslast, darrzulegen, weshalb die beschlossenen Abrechnungsspitzen doch zutreffend sind. Gelinge es der WEG nicht, die fehlende Ergebnisrelevanz von Abrechnungsmängeln darzulegen oder stünde gar fest, dass sich Mängel in Einzelabrechnungen auf die Höhe der Naschschüsse oder der Anpassung der Vorschüsse auswirken, sei die Ungültigkeit dieses die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse betreffenden Beschlusses festzustellen.   

Aus der Gesamtabrechnung habe sich ergeben, dass diese sich auf die Abrechnungsspitzen auswirkende Defizite aufwies: So wurden in den für den Beschluss über die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse relevante Einzelabrechnungen zu den Positionen Allgemeinstrom, Heizung/Wasser, Wasser/Kanal und Kabelkosten Rechnungsabgrenzungen vorgenommen, indem noch Einnahmen und Ausgaben nach Ablauf des Abrechnungszeitraums einbezogen wurden, die zwar evtl. wirtschaftlich dem Jahr 2020 zugehörig waren, aber nicht 2020 angefallen waren. Eine derartige Rechnungsabgrenzung sei (mit Ausnahme der Verteilung nach der HeizkostenV) unzulässig (BGH, Urteil vom 16.07.2021 - V ZR 163/20 -). 

Daraus folge die Ungültigkeitserklärung, die allerdings nur die laufenden Kosten der Bewirtschaftung beträfe.  Soweit der Beschluss auch die Anpassung der Vorschüsse der Rücklagen erfasse (hier: Erhaltungsrücklagen, § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG) bestünde kein Anlass zur Ungültigkeitserklärung, da sich darauf der Fehler bei der Berechnung der Bewirtschaftungskosten nicht auswirke. Der Beschluss sei - wie nach altem Recht - trennbar. 

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.03.2023 - 2-13 S 68/22 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 30.06.2022, Az. 310 C 57/21 insoweit abgeändert, als die Klage auch hinsichtlich des Beschlusses unter TOP 4 vollständig abgewiesen worden ist. Der unter TOP 4 auf der Eigentümerversammlung der WEG … vom 01.09.2021 gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt, mit Ausnahme der Einforderung von Nachschüssen/Anpassung der Vorschüsse für die Erhaltungsrücklage. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu einem Viertel und die Beklagte zu drei Vierteln.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf sowohl für die erste als auch die Berufungsinstanz auf bis 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Berufungsklägerin ist Alleinerbin nach dem im Berufungsverfahren verstorbenen Kläger, Mitglied der beklagten WEG. Dieser hatte mit der Anfechtungsklage die Ungültigerklärung verschiedener auf der Versammlung vom 01.09.2021 gefasster Beschlüsse begehrt.

Das Amtsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge, der weiteren Feststellungen sowie der Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen (Bl. 192 ff. d. A.).

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Berufungsklägerin noch das Begehren auf Ungültigerklärung, hilfsweise Nichtigkeitsfeststellung der Beschlüsse zu den TOP 3.3, TOP 3.4 .... und TOP 4. .... Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung hat nur teilweise Erfolg und führt – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils nur zur Ungültigerklärung des Beschlusses unter TOP 4, unter Ausnahme der Anpassung der Nachschüsse/Anpassung der Vorschüsse für die Erhaltungsrücklage.

Der Beschluss zu TOP 4 war im Wesentlichen für ungültig zu erklären.

Zu Recht weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass nach dem seit dem WEMoG geltenden Recht der Beschluss über die Einforderung von Nachschüssen und die Anpassung der Vorschüsse nicht allein deshalb für ungültig zu erklären ist, wenn das zu Grunde liegende Rechenwerk der Jahresabrechnung zunächst nicht nachvollziehbar ist.

Ist dies nicht der Fall, wird die Jahresabrechnung allerdings ihrer Hauptaufgabe, als eine geordnete und übersichtliche, inhaltlich zutreffende Aufstellung sämtlicher Einnahmen und Ausgaben für das betreffende Wirtschaftsjahr (st. Rspr.; vgl. nur BGH ZWE 2010, 170 (171)) nicht gerecht und insoweit erfüllt die Abrechnung nicht ihre Funktion, die Beschlussfassung nach § 28 Abs. 2 WEG über die Anpassung der Vorschüsse und das Einfordern von Nachschüssen vorzubereiten. Lässt sich aus der Abrechnung mit Hilfe der Anfangs- und Endbestände der Konten nicht nachvollziehen, ob alle im Abrechnungsjahr getätigten Einnahmen und Ausgaben in der Abrechnung aufgeführt sind, ist die Abrechnung nicht plausibel (BGH ZMR 2021, 132). Damit stellt sich auch die ergebnisrelevante Frage, ob alle Ausgaben berücksichtigt worden sind oder Einnahmen fehlen. Da die Abrechnung für den durchschnittlichen Wohnungseigentümer auch ohne Hinzuziehung fachlicher Unterstützung verständlich sein muss (BGH NZM 2018, 233 Rn. 7), genügt der Wohnungseigentümer seiner Darlegungslast, wenn er darlegt, dass die Abrechnung nicht plausibel ist und daher Zweifel an der Richtigkeit der angepassten Vorschüsse oder Nachschüsse bestehen. Insoweit kommt der WEG eine sekundäre Darlegungslast dahingehend zu, zu erläutern, inwieweit die beschlossenen Abrechnungsspitzen gleichwohl zutreffend sind. Der Beschluss gem. § 28 Abs. 2 WEG ist in einer derartigen Konstellation für ungültig zu erklären, wenn der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Falle anfänglicher Nichtnachvollziehbarkeit bis zuletzt nicht die Darlegung gelingt, dass die Abrechnungsmängel keine Ergebnisrelevanz haben oder gar feststeht, dass sich Mängel in den Einzelabrechnungen auf die Höhe der Nachschüsse oder die Anpassung der Vorschüsse ausgewirkt haben.

Hierauf hat die Kammer mit der Terminsladung hingewiesen, woraufhin die Beklagte ergänzenden Vortrag gehalten und die Gesamtabrechnung vorgelegt hat. Aus diesem Vortrag ergibt sich allerdings, dass die Abrechnung Defizite aufweist, die sich auf die Abrechnungsspitzen auswirken. Im Vergleich der zuletzt vorgelegten Gesamtabrechnung zu den Einzelabrechnungen steht ein ergebnisrelevanter Fehler sogar fest. Während es sich bei der nun vorgelegten Gesamtabrechnung um eine Abrechnung betreffend allein die im Jahr 2020 angefallenen Einnahmen und Ausgaben handelt, wurden in den für den Beschluss über die Nachschüsse/Anpassung der Vorschüsse relevanten Einzelabrechnungen jedenfalls hinsichtlich der Positionen Allgemeinstrom, Heizung/Wasser, Wasser/Kanal und Kabelkosten Rechnungsabgrenzungen vorgenommen, indem noch Einnahmen und Ausgaben nach Ablauf des Abrechnungszeitraums einbezogen wurden, die vielleicht wirtschaftlich dem Jahr 2020 zuzurechnen sein mögen, in diesem aber nicht angefallen sind. Derlei Rechnungsabgrenzungen verbieten sich – unter Ausnahme der Verteilung der Kosten nach der HeizkostenV – nach wie vor (vgl. BGH NJW 2021, 3057; Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 28 Rn. 119). Denn damit verliert die Jahresabrechnung ihre Funktion als reine Einnahmen- und Ausgabenrechnung für das betreffende Abrechnungsjahr. Insoweit bestehende Schwierigkeiten der Abrechnung, auf welche der Verwalter in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf gemeinsame Kostenpositionen mit dem Nachbargrundstück hinwies, lassen sich ggf. in der Praxis über Sonderrücklagen teilweise (Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 28 Rn. 53) lösen. Für diesen Mangel war der Klägerin auch nicht Wiedereinsetzung (§§ 233 ff. ZPO, § 45 WEG) zu gewähren, vielmehr beruht er auf dem Lebenssachverhalt, den sie in seinem wesentlichen Kern mit der Klagebegründung (dazu BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann, 64. Ed. 1.11.2022, WEG § 45 Rn. 37) vorgetragen hat. Die Klägerin bemängelte einen Fehler der Abrechnung, weil die Ausgaben und Einnahmen im Zusammenhang mit den Kontoständen nicht plausibel waren. Dies beruhte, wie sich im Berufungsverfahren ergab, u.a. auf einer nicht periodengerechten Abrechnung. Damit hat die Klägerin im Kern einen hinreichenden Vortrag der Mängeltatsachen gehalten, der den gefundenen Mangel umfasste.

Die aus den vorstehenden Ausführungen folgende Ungültigerklärung betrifft allerdings nur die laufenden Kosten der Bewirtschaftung, nur insoweit besteht Anlass, die Abrechnungsspitzen für ungültig zu erklären (hierzu bereits Kammer WuM 2023, 56). Soweit der Beschluss nach § 28 Abs. 2 WEG auch die Anpassung der Vorschüsse der Rücklagen, hier der Erhaltungsrücklage (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG) erfasst, besteht kein Anlass zu Ungültigerklärung, denn insoweit wirkt sich der Fehler bei den Bewirtschaftungskosten auf die Erhaltungsrücklage nicht aus. Insoweit ist der Beschluss auch nach neuem Recht noch trennbar, denn – wie bisher (grdl. BGH NJW 2012, 2648; für die Rücklagen Kammer ZWE 2021, 178) – handelt es sich insoweit um einen abtrennbaren Teil des Beschlusses, bei dem davon auszugehen ist, dass es dem Willen der Gemeinschaft entspricht, diesen bestehen zu lassen, wenn die Jahresabrechnung nur bezüglich der Kosten der Bewirtschaftung einen Fehler aufweist.

Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 49 GKG, wobei nach Auffassung der Kammer weiterhin die Abrechnungssumme bzw. der auf die Klägerin entfallene Anteil ausschlaggebend ist (Kammer ZMR 2022, 914 mwN). Die Abrechnungssumme beträgt hier 499.565,54 €; das Siebeneinhalbfache des auf die Klägerin entfallenden Anteils von 3.747,55 € entspricht 26.059,13 €, weshalb dieser ausschlaggebend ist.

Für die Anfechtung der TOP 3.3 und die teilweise Anfechtung von TOP 3.4 schließt sich die Kammer der amtsgerichtlichen Festsetzung von 2.115,00 € an, was insgesamt zu einem Streitwert von bis 30.000,00 € führt.

Die Kammer macht insoweit von § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG zur Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung Gebrauch, sodass auch für die erste Instanz ein Streitwert bis 30.000,00 € festzusetzen ist.


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