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Donnerstag, 7. April 2022

Kaskoversicherung: Klausel Neuwertversicherung bei Totalschaden

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung, die er anlässlich eines Totalschadens des versicherten Pkw in Anspruch nahm. Dabei begehrte er eine Neupreisentschädigung. Diese besagte nach den Versicherungsbedingungen, dass der Versicherer anstelle des Widerbeschaffungswertes den Neupreis zahlt, wenn der Versicherungsfall (Totalschaden oder Verlust) innerhalb von 36 Monaten nach Erstzulassung eintritt. Allerdings wurde in der Klausel nicht ausgeführt, wann ein Totalschaden vorliegt. Der Vertrag verwies auf die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB), nach deren Ziffer 1.5.1 (2) ein Totalschaden vorliegt, wenn die erforderlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen.

Das Landgericht wies die Klage ab und das OLG wies in seinem Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigte, die zulässige Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Ein bedingungsgemäßer Totalschaden läge nicht vor, der den Ersatz des Neupreises begründe.

Nach einem Schadensgutachten würden sich die Reparaturkosten auf € 17.142,55 belaufen. Der Wiederbeschaffungswert sei aber mit € 22.500,00 ausgewiesen, läge mithin über den Reparaturkosten. Damit bestand auch nach Haftpflichtgrundsätzen kein wirtschaftlicher Totalschaden. Nicht entscheidend sei, ob ein sogen. Unechter Totalschaden vorliegt, bei dem die Schadensbehebung im Wege der Reparatur zwar geringere Kosten als eine Ersatzbeschaffung verursache, dem Geschädigten aber die Reparatur nicht zuzumuten sei. Allerdings folge das Schadensersatzrecht anderen rechtlichen Prämissen als das hier anwendbare Versicherungsvertragsrecht, welches hier anwendbar ist. Während im Schadensersatzrecht der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB die Möglichkeit habe die Schadensbehebung in die eigenen Hände zu nehmen, ließe sich dies auf den Kaskoversicherungsvertrag nicht unmittelbar übertragen.

Entscheidend sei daher für die Bewertung als bedingungsgemäßer Totalschaden die Auslegung der Versicherungsbedingungen. Diese seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstünde. Abzustellen sei dabei auf einen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Entscheidend sei zunächst der Wortlaut, der mit dem Bedingungswerk verbundene Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln (soweit für den Versicherungsnehmer erkennbar) seien zusätzlich zu berücksichtigen.

Danach würde sich hier für diesen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der die maßgeblichen Versicherungsbedingungen (hier in den AKB) mit dem Begriff des Totalschadens verbindet, ohne weiteres ergeben, dass dieser Begriff losgelöst von den Grundsätzen des Haftpflichtrechts geregelt sei.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 24.06.2021 - 20 U 96/21 -

Donnerstag, 4. Juli 2019

Kasko- und Kfz-Haftpflichtversicherung und die Folgen bei Unfallflucht (§ 142 StGB)


Der Kläger, der bei der Beklagten eine Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung hatte, verunfallte mit dem versicherten Fahrzeug. Ohne die Polizei oder sonstige Dritte zu informieren verließ er die Unfallstelle. Zwei Stunden später wurde er von Polizeibeamten bei sich zu Hause aufgesucht, die eine Atemalkoholkontrolle mit einem Wert von 0,22mg/l durchführte (wobei er behauptete, er habe erst nach dem Unfall zu Hause 1 ¾ Flaschen Bier à 0,5 l getrunken). Es erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Die Beklagte geht wegen mehrfacher Obliegenheitspflichtverletzungen des Klägers von einer Leistungsfreiheit aus. Diese wandte sie in der Klage auf Kaskoentschädigung ein und erhob Widerklage in Bezug auf die von ihr regulierten Haftpflichtansprüche. Das Landgericht (LG) gab der Klage und der Widerklage zu je ½ statt. Die Berufung beider Parteien wurde vom OLG zurückgewiesen.

Vom Ausgangspunkt habe, so das OLG, das LG zutreffend in der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) eine Verletzung der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit nach den den Versicherungsverhältnissen zugrunde liegenden AKB gesehen. Dies sei zwar vorsätzlich geschehen, nicht aber arglistig. Arglist läge nur vor, wenn der Versicherungsnehmer (VN) mit der Handlung  und zu diesem Zeitpunkt (Tathandlung des § 142 StGB) einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge und wisse, dass sein Verhalten möglicherweise die Schadensregulierung beeinflussen kann. Grundsätzlich könne bei einer Unfallflucht nicht pauschal eine Arglist angenommen werden. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls: Hier sei er zunächst am das Fahrzeug (welches nicht mehr gefahren werden konnte) am Unfallort geblieben, weshalb er mit einer Entdeckung rechnen musste, und er wart auch einige Zeit selbst am Unfallort verblieben, bis er abgeholt worden sei. Mit dem (vom Kläger organisierten) Abholen seiner Person vom Unfallort konnte er seine Pflichten nach § 142 StGB nicht mehr erfüllen, weshalb es auf seine späteren Handlungen nicht mehr ankäme.

Damit wäre die Obliegenheitspflichtverletzung, die in der Unfallflucht läge, für die Beklagte leistungsbefreiend, wenn diese kausal für fehlende Feststellungen durch den Versicherer wäre. Die Kausalität wird vermutet, weshalb der Beklagte den Kausalitätsgegenbeweis führen müsse.

Hier sei zu berücksichtigen, dass er nicht den Nachweis geführt habe, bei dem Verkehrsunfall nicht alkoholisiert zu sein. Die Angaben des Klägers in seiner Anhörung durch das Landgericht und des Zeugen G. sowie der als Zeugin gehörten Ehefrau des Klägers hätten nachvollziehbar für das LG nicht der erforderliche Gewissheit begründet, dass ein sogen. Nachtrunk vorgelegen habe. So waren insbesondere die Angaben des G. von Detailarmut geprägt und weichen bezüglich des jeweiligen Alkoholkonsums von dem Vortrag des Klägers ab.

Der Kläger habe aber den Nachweis erbracht, dass die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit jedenfalls teilweise nicht für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten ursächlich gewesen sei. Zutreffend habe das LG festgestellt, dass eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nur in dem Umfang, wie eine Ursächlichkeit anzunehmen ist bzw. ein Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht würde, zur Leistungsfreiheit führe. Dies ergäbe sich aus den AKB, die auch für die vorsätzliche Obliegenheitspflichtverletzung vorsähen, dass eine Verpflichtung zur Leistung weiterhin bestünde, als der VN nachweise, dass die Verletzung der Obliegenheit u.a. für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht nicht ursächlich wäre („… insoweit zur Leistung verpflichtet, als ….“).  

Da der Beklagte sogleich, als ihn die Polizei aufsuchte, seine schuldhafte Unfallverursachung eingeräumt habe, könnten Feststellungsnachteile für die Beklagte nicht entstehen. Auch Nachteile zu einer etwaigen  Haftungsquote seien nicht ersichtlich (hier: Abkommen von der Fahrbahn in einer Linkskurve). Es sei auch nicht erkennbar, dass eventuell innerhalb der Zeit, bis die Polizei den Unfall bemerkte (die schon 2 Stunden später bei dem Beklagten war) Spuren auf der Fahrbahn o.ä, verlorengegangen sein könnten.

Die Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt könne mit höchstens 0,84 Promille angenommen werden, wie das LG zutreffend festgestellt. Damit sei nicht auszuschließen, dass es zu dem Unfall infolge der durch die Alkoholisierung bedingten relativen Fahruntüchtigkeit des Klägers gekommen sei. Mangels Angaben des diesbezüglich darlegungs- und beweisbelasteten Klägers dazu, was er wann vor dem Unfall getrunken habe, könne auch keine Berechnung der Alkoholkonzentration auf den Unfallzeitpunkt erfolgen, weshalb das angebotene Sachverständigengutachten nicht einzuholen gewesen sei. Da die Rückrechnung hier zum Unfallzeitpunkt mithin nicht möglich sei, treffe die Beklagte insoweit ein Feststellungsnachteil. Was gewesen wäre, wenn erst einige Tage später die Polizei auf den Kläger aufmerksam geworden wäre, ist hier nicht bedeutsam (Fall des Urteils OLG Stuttgart vom 16.10.2014 – 7 U 121/14 -), da zwei Stunden nach dem Vorfall noch Feststellungen möglich waren. Die Falschangabe des Klägers, erst nach dem Unfall Alkohol getrunken zu haben, stelle keine selbständige die Leistungsfreiheit begründende Obliegenheitspflichtverletzung dar.

Dies führe im Ergebnis zu einer Kürzung des Anspruchs des Klägers um 50% im Rahmen der Kaskoversicherung und zu einer Kürzung des widerklagend geltend gemachten Betrages auf Ersetzung des Haftpflichtschadens auch um 50% (der mit € 1.780,86, also im Rahmen der Höchstgrenze nach AKB, geltend gemacht worden war).

OLG Stuttgart, Urteil vom 13.12.2018 - 7 U 188/18 -