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Sonntag, 6. August 2023

Reparatur in eigener Werkstatt, fiktive Schadensberechnung und Unternehmensgewinn

Die Klägerin, deren Fahrzeug einen Unfallschaden erlitt, war Betreiberin einer eigenen, gewinnorientierten Kfz-Werkstatt. Nach dem Verkehrsunfall veräußerte sie das unreparierte Fahrzeug.  Sie machte gegen die beklagte Haftpflichtversicherung des den Verkehrsunfall alleine verursachenden Fahrzeugs fiktiven Schadenersatz (berechnet auf Basis eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens) geltend. Die Haftpflichtversicherung zog von dem Schadensbetrag 20% mit Hinweis darauf ab, dabei handele es sich um den (unterstellten) Unternehmensgewinn der Klägerin, der dieser nicht zustehe, da ihr Reparaturbetrieb nicht ausgelastet gewesen sei. Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr statt und ließ dies Revision zu. Die von der Klägerin eingelegte Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Zunächst fasste der BGH die Grundsätze zusammen, nach denen der Geschädigte im Rahmen fiktiven Schadensersatzes nach einem Verkehrsunfall den Unternehmensgewinn als Teil der Reparaturkosten ersetzt verlangen kann.

Nach § 249 Abs. 1 BGB habe der Schädiger den Zustand wiederherzustellen, der dem Zustand ohne das Schadenereignis entspräche. Er könne bei der Beschädigung einer Sache gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB statt der Herstellung auch den dazu erforderlichen Geldbetrag leisten. Der Geschädigte wäre infolge seiner Dispositionsfreiheit in der Verwendung der von ihm vom Schädiger verlangten Mittel frei, sei also insbesondere nicht zur Reparatur verpflichtet (BGH, Urteil vom 17.09.2019 - VI ZR 396/18 - mwN.). Allerdings habe der Geschädigte unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten diejenige zu wählen, die den geringeren Aufwand erfordere; nur der für diese Art der Schadensbehebung notwendige Geldbetrag sei im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -).

Dies bezeichnet der BGH als Wirtschaftlichkeitsgebot, welches allerdings nicht absolut gelte, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage. Nähme der Geschädigte die Schadensbehebung selbst vor, sei im Rahmen der sogen. subjektbezogenen Schadensbetrachtung der zur Herstellung erforderliche Aufwand nach der besonderen Situation des Geschädigten zu bemessen. Auf seine evtl. beschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie für ihn bestehende Schwierigkeiten sei zu seinen Gunsten Rücksicht zu nehmen. Andererseits sei zugunsten des Schädigers darauf Rücksicht zu nehmen, wenn der Geschädigte über besondere Expertise, erhöhte Einflussmöglichkeiten oder sonstige Vorteile oder Erleichterungen verfüge, was sich anspruchsverkürzend für den Geschädigten auswirken könne (BGH vom 19.10.2019 - VI ZR 45/19 -).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze habe der Geschädigte regelmäßig Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, on er das Fahrzeug voll oder minderwertig oder gar nicht reparieren lasse. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot genüge der Geschädigte idR., wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze Ersatzteilkosten auf dem allgemeinen regionalen Markt einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde lege. Die so ermittelten Reparaturkosten würden auch demjenigen zustehen, der kraft eigener Fähigkeiten oder aus sonstigen individuellen Gründen zu einer kostengünstigeren Eigenreparatur imstande sei (BGH, Urteil vom 16.05.1970 - VI ZR 168/69 -).

Auch wenn der Geschädigte einen eigenen auf Gewinnerzielung ausgerichteten Reparaturbetrieb führe, habe er Anspruch auf diese Kosten einschließlich des darin enthaltenen Gewinnanteils des Reparaturbetriebes. Nach dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB müsse sich der Geschädigte allerdings in diesem Fall auf eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit in seiner eigenen Werkstatt verweisen und es ihm zumutbar sei, ansonsten ungenutzte Kapazitäten für die notwendige Reparatur zu nutzen lassen, wenn sein Betrieb nicht ausgelastet sei (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 363/12 -). Würde man in einem solchen Fall § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nicht anwenden, stünde der Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung besser als er bei einer konkreten Schadensberechnung (Durchführung der Reparatur und Geltendmachung der Kosten) stehen würde (BGH, Urteil vom 29.10.2019 - VI ZR 45/19 -), weshalb auch bei der fiktiven Abrechnung (wie bei der konkreten Schadensabrechnung) die konkrete Ausgangssituation der Werkstatt des Geschädigten zu berücksichtigen sei.

Die Darlegungs- und Beweislast zu § 254 BGB trifft allerdings auch hier dem Schädiger. Da es sich aber um Umstände außerhalb der Sphäre des Geschädigten handele, obliege dem Schädigten eine sekundäre Darlegungslast, seine betriebliche Auslastungssituation darzustellen (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 363/12 -) und ggf. Umstände anzuzeigen, die eine Reparatur in der eigenen Werkstatt unzumutbar erscheinen lassen würden. Vom Geschädigten aufgezeigte Umstände habe der Schädiger zu widerlegen.

Nach diesen Grundsätzen verneinte der BGH einen Anspruch der Klägerin auf den Unternehmensgewinn.

Grundsätzlich könne die Klägerin fiktiv abrechnen und, obwohl sie einen gewinnorientierten Reparaturbetrieb betreibe, eine Abrechnung auf Basis des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens vornehmen.  Allerdings müsse sich hier die Klägerin aus der ihr obliegenden Schadensminderungspflicht heraus auf eine Reparaturmöglichkeit in der eigenen Werkstatt verweisen lassen. Danach könne offen bleiben ob (wie vom Berufungsgericht angenommen) für die Auslastungssituation des Betriebs der maßgebliche Zeitraum mit der Veräußerung des Fahrzeugs ende, denn die Klägerin habe zu dieser nichts vorgetragen und auch keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die gegen die Anwendung des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB sprechen würden.

Zu Recht habe das Berufungsgericht eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin zu dem Einwand der beklagten Versicherung, die Klägerin könne aufgrund freier Kapazitäten in der eigenen Werkstatt den Unternehmensgewinn nicht verlangen, angenommen. Dem Geschädigten dürfe bei seiner Darlegungslast nichts Unmögliches abverlangt werden. Er könne beanspruchen, dass der Geschädigte an der Beweisführung mitwirke, soweit es sich um Umstände aus seiner Sphäre handele (BGH, Urteil vom 20.07.2006 - IX ZR 94/03 -). Dieser sekundären Darlegungslast zur Auslastungssituation sei die Klägerin nicht nachgekommen. Die beklagte Versicherung habe nicht aus eigenem Wissen zur Dauer der Reparatur noch dazu, wann der Weiterverkauf erfolgt sei, vortragen können. Nur die (Anm.: voraussichtliche) Reparaturdauer habe sich aus dem klägerseits vorgelegten Sachverständigengutachten (Grundlage der fiktiven Schadensabrechnung) ergeben; zu allen anderen Umständen stünde die beklagte Versicherung - anders als die Klägerin - außerhalb des Geschehensablaufs und verfüge über keine Erkenntnismöglichkeiten für einen konkreten Vortrag, der der Klägerin möglich und zumutbar gewesen wäre.

BGH, Urteil vom 26.05.2023 - VI ZR 274/22 -

Freitag, 17. Januar 2020

Fiktiver Schadensersatz und Beilackierungskosten bei Unfallschaden


Die Entscheidung betrifft seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum streitige Fragen: Können im Rahmen der Geltendmachung von fiktiven Schadensersatzansprüchen für Schäden am Fahrzeug auch Beilackierungskosten gelten gemacht werden, oder können diese nur nach Durchführung einer Reparatur, wenn es zur Beilackierung kommen musste und kam, als Schadensersatz geltend gemacht werden ? Nach welchem Beweismaß ist festzustellen, ob Beilackierungskosten bei fiktiver Schadensberechnung erstattungsfähig sind  ?

Das „phantomschwarz Perleffekt“ lackierte Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Unfall beschädigt. Er rechnete mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung den Schaden auf der Grundlage eines Gutachtens fiktiv ab. Diese regulierte auch, strich allerdings den im Gutachten mit netto € 643,39 benannten Betrag für Beilackierungskosten. Das Landgericht hatte, nachdem ihr das Amtsgericht noch stattgegeben hatte, die Klage diesbezüglich abgewiesen. Es vertrat die Auffassung,  bei Karosserieschäden  würden die zur Vermeidung möglicher Farbtonabweichungen erforderlichen Kosten einer Beilackierung angrenzender, nicht unmittelbar unfallgeschädigter Teile nicht zu dem im Rahmen fiktiver Schadensberechnung erstattungsfähigen Herstellungskosten. Kosten würden nur anfallen, wenn sich nach Reparatur und Lackierung des beschädigten Teils eine Farbabweichung ergebe und daher die Beilackierung der angrenzenden Teile notwendig mache. Ob etwas anders gelten würde, wenn nach den Umständen zwingend davon ausgegangen werden müsse, dass bei Durchführung einer Reparatur eine Beilackierung erforderlich sei, ließ das Berufungsgericht offen.

Dem folgt der BGH nicht. Grundsätzlich habe der Geschädigte einen Anspruch auf dem zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes erforderlichen Geldbetrag. Ziel sei die Herstellung des Zustandes, der (wirtschaftlich) dem entspräche, der ohne das Schadensereignis bestehen würde.

Der Geschädigte sei in der Disposition (Verwendung) des vom Schädiger zu zahlenden Schadensersatzes frei. Daher sei er nicht verpflichtet, dieses reparieren zu lassen, sondern könne auch fiktiv (wie hier auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens) abrechnen. Eine Verbindlichkeit der Angaben des Sachverständigen bestünde nicht; zu erstatten sei der zu ermittelnde, zur Herstellung objektiv erforderliche Betrag. Das Gericht habe diesen nach § 287 Abs. 1 ZPO nach freier Überzeugung zu ermitteln. Revisionsrechtlich könne die dem Tatrichter obliegende Ermittlung nur dahingehend geprüft werden, ob Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt wurden, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen wurden oder der Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt wurden. Vorliegend habe das Landgericht (Berufungsgericht) die Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt und wesentlichen Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt.

Richtig sei, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten träfe. Allerdings sei vom Landgericht das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO, welches geringere Anforderungen als § 286 ZPO stelle, verkannt. Während nach § 286 ZPO eine Gewissheit erreicht sein müsse, die Zweifeln Schweigen gebietet, sei im Rahmen des § 287 ZPO ein Ermessen ausreichend, bei dem auch in Kauf genommen würde, dass dieses mit der Wirklichkeit nicht in Überstimmung stünde (BGH, Urteil vom 06.12.2012 - VII ZR 84/10 -). Von daher könne das Landgericht hier nicht eine (selbst im Rahmen des § 286 ZPO überspannte) absolute Gewissheit für die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten für den Fall tatsächlicher Durchführung der Schadensbeseitigung fordern. Bei fiktiver Abrechnung verbleibe immer eine gewisse Unsicherheit, ob der objektiv erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspräche, der bei tatsächlicher Durchführung der Reparatur auch anfällt. E käme auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit an.

Die Auffassung des Landgerichts sei unzutreffend, dass die Beilackierung mit der Beseitigung des Unfallschadens nichts zu tun habe. Wenn eine solche als notwendig angesehen würde, um einen Zustand widerherzustellen, der vor dem Unfall bestand, so sei sie ebenso Teil der Beseitigung des durch den Unfall verursachten Schadens.

Ferner habe das Landgericht ein wesentliches Beweisangebot des Klägers übergangen (Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG). So habe er unter Beweis gestellt, dass die Beilackierung auf Grund des Farbtons des Fahrzeugs technisch zwingend erforderlich sei. Diese Darlegung sei auch entgegen der Annahme des Landgerichts ausreichend (substantiiert) gewesen, da eine Partei nur insoweit Tatsachen vortragen müsse, als diese in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht in seiner Person als entstanden erscheinen zu lassen.

Vor diesem Hintergrund hob der BGH die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück.

BGH, Urteil vom 17.09.2019 - VI ZR 396/18 -