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Sonntag, 23. August 2020

Darlegungs- und Beweislast bei Lohnfortzahlung und Klage aus Forderungsübergang nach § 6 Abs. 1 EFZG


Die Klägerin war Arbeitgeberin der bei einem Verkehrsunfall verunfallten Zeugin W. Sie erbrachte nach Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Zeugin Lohnfortzahlungen für den Zeitraum vom 18. - 24.03.2016, zu denen sie nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) verpflichtet war. In Höhe dieser Zahlungen machte sie gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des den Verkehrsunfall verursachenden Fahrzeuges Ansprüche aus übergegangenen Recht gem. § 6 Abs. 1 EFZG geltend. In § 6 Abs. 1 EFZG heißt es:

„Kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeitnehmer nach diesem Gesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und darauf entfallende vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Pflegeversicherung sowie zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung abgeführt hat.“

Nach der Behauptung der Klägerin sei die attestierte Arbeitsunfähigkeit Folge einer durch den Unfall bedingten HWS-Distorsion. Die Beklagte bestritt, dass der Unfall, bei dem es nur zu einem leichten Stoßimpuls gekommen sei, dass das benannte Verletzungsbild von dem Unfall hervorgerufen worden sei. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Das Landgericht hatte unter Aufhebung des Urteils die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Nach Auffassung des BGH sei die der landgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegende Auffassung, eine unfallbedingte Körperverletzung ließe sich nur dann feststellen, wenn die Klägerin die behauptete HWS-Distorsion beweisen könne, fehlerhaft. Dabei verwies es darauf, dass nach Angaben der erstinstanzlich vernommenen Zeugin W. diese starke Nacken- und Kopfschmerzen bekundet habe, welche ebenfalls als Primärverletzung in Betracht kämen; dies sei vom Landgericht nicht erwogen und geprüft worden, ob diese Beeinträchtigungen unfallbedingt seien uns zur Arbeitsunfähigkeit der Zeugin geführt haben.  

Der Arbeitgeber habe außer der Entgeltfortzahlung darzulegen und zu beweisen, dass der Zeugin W. als ihre Arbeitnehmerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB oder §§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG zugestanden habe, wobei keine anderen Grundsätze gelten würden, als wenn die Zeugin ihren Anspruch selbst geltend machen würde.

Eine Partei genüge ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen anführt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe weiterer Einzelheiten sei nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung seien. Dieser darlegungslast habe die Klägerin dadurch genügt, dass sie behauptete, die Zeugin habe infolge des Unfalls Verletzungen erlitten und sei deshalb im benannten Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen.

Für die haftungsausfüllende Kausalität, die den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung (dem ersten Verletzungserfolgt, die sogen. Primärverletzung) gelte das Beweismaß des § 286 ZPO, welches die volle Überzeugungsbildung des Gerichts verlange (sogen. Vollbeweis). Der Vollbeweis sei erbracht, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit vorläge, der Zweifeln Schweigen gebiete. Nur für die haftungsausfüllende Kausalität (die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutverletzung und weiteren Schäden des Geschädigten beträfe, sogen. Sekundärschäden) gelte das erleichterte Beweismaß des § 286 ZPO.

Vorliegend war damit das Beweismaß des § 286 ZPO anzuwenden. Danach negierte das Landgericht eine HWS-Distorsion als Folge des Unfalls. Nicht zu beanstanden sei, dass das Landgericht die Angabe der Zeugin, sie habe starke Nacken- und Kopfschmerzen gehabt und dies sei ärztlicherseits als Schleudertraume diagnostiziert worden, weshalb Physiotherapien verschrieben worden seien, anders als das Amtsgericht nicht als Beweis der Behauptung angesehen habe, da damit nicht die objektive Richtigkeit (wie bei einem Sachverständigengutachten) festgestellt würde. Die von der Zeugin mitgeteilte Diagnose des Arztes müsse nicht richtig sein, da der einen Unfallgeschädigten untersuchende Arzt nicht aus der Sicht eines Gutachters, sondern aus der Sicht eines Therapeuten vorgehe, und für ihn  die Notwendigkeit einer Therapie im Vordergrund stehe und die Diagnose zunächst untergeordnete Bedeutung habe. Von daher könnten derartige Untersuchungen nur Indizien darstellen (BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 -; BGH, Urteil vom 03.06.2008 - VI ZR 235/07 -).

Anderes ergäbe sich auch nicht aus der zeitgleich vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (AU-Bescheinigung), da auch bei dieser nicht die objektiv richtige Diagnose im Vordergrund stünde. Die AU-Bescheinigung habe weder Angaben zur Diagnose (also Art der Erkrankung) enthalten noch gebe sie Aufschluss dazu, ob die Krankheit unfallbedingt sei. Da sie sich nicht auf Art und Umfang der Krankheit erstrecke, käme es vorliegend nicht darauf an, welche (formelle oder materielle) Beweiskraft einer Privaturkunde zukomme.

Die Revision würde allerdings zutreffend rügen, dass sich das Landgericht bezüglich unfallbedingter Verletzungen lediglich mit dem HWS-Syndrom auseinandergesetzt habe. Die von der Zeugin benannten starken Nacken- und Kopfschmerzen seien nicht beachtet worden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin diese bei der Beweisaufnahme zutage getretenen Umstände zumindest hilfsweise zu eigen gemacht habe, da der Begriff der Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB, §§ 7 Abs. 1, 11 StVG weit gefasst sei und jeden Eingriff in die körperliche Integrität meint. Selbst wenn sich eine HWS-Distorsion nicht verifizieren ließe, könnten starke Nacken- und Kopfschmerzen eine Rechtsgutverletzung und nicht nur einen Verletzungsverdacht begründen. Ob diese unfallbedingt seien, ließe sich aus der landgerichtlichen Entscheidung nicht entnehmen, weshalb diese insoweit unvollständig sei. Würde die Unfallbedingtheit im weiteren Verfahren vor dem Landgericht festgestellt, wäre nach dem Beweismaß des § 287 ZPO zu prüfen, ob diese eine Arbeitsunfähigkeit (und damit einen Verdienstausfallschaden) begründen.

BGH, Urteil vom 23.06.2020 - VI ZR 435/19 -