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Sonntag, 5. Mai 2024

Vertragsstrafenklausel in Bauverträgen mit Einheitspreisen

Die Klägerin gab im Rahmen einer auf Einheitspreisen basierenden Ausschreibung der Beklagten ein Angebot ab, das auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/Bund und auf die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) der Beklagten Bezug nahm. In Ziffer 2 der BVB-VOB hieß es:

 "2. Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B)

2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:

0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;

Beträge für angebotene Instandhaltungsleistungen bleiben unberücksichtigt. Die Bezugsgröße zur Berechnung der Vertragsstrafen bei Überschreitung von Einzelfristen ist der Teil dieser Auftragssumme, der den bis zu diesem Zeitpunkt vertraglich zu erbringenden Leistungen entspricht.

2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.

2.3 Verwirkte Vertragsstrafen für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlicher Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verbürgte Vertragsstrafe angerechnet.“

Eine Verhandlung der Parteien zur Vertragsstrafe fand nicht statt. Die Beklagte beauftragte die Klägerin. Nach Fertigstellung Abnahme stellte die Klägerin die Schlussrechnung, die mit Ausnahme eines Betrages von € 284.013,78 von der Beklagten bezahlt wurde. Das Landgericht gab der Zahlungsklage statt. Es ging u.a. davon aus, dass die Berufung der Beklagten auf die Verwirkung der Vertragsstrafe treuwidrig sei, auf Grund der der Einbehalt erfolgte. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück. Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung des OLG Revision ein, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrte. Ihre Revision war erfolgreich.

Anders als das Berufungsgericht ging der BGH davon aus, dass die Vertragsstrafenklausel in den BVB-VOB bei Verwendung durch den Auftraggeber einer Inhaltskontrolle nicht stand halte und gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sei, da sie den Auftragnehmer entgegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unangemessen benachteilige. Nach Z. 2.1 und 2.2 der BVB-VOB sei die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Freist für die Vollendung auf insgesamt 5% der vor der Ausführung des Auftrages vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt. Dies beeinträchtige aber bei einem Einheitspreisvertrag (wie hier) den Auftragnehmer unangemessen. Allgemeine Geschäftsbedingungen seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden würden.

Ansatzpunkt für die gebotene objektive Auslegung sei in erster Linie der Wortlaut. Dabei sei hier die Regelung für die Überschreitung der Frist für die Vollendung nach der Vertragsgestaltung eine eigenständige Regelung, die inhaltlich, optisch und sprachlich von der Vertragsstrafe für die Überschreitung sonstiger Termine getrennt sei. Die Auslegung des Begriffs „im Austragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer)“ führe nach dem klaren Wortlaut dazu, dass sich die Höhe nach der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme richte. Zwar könne sich der Begriff „Auftragssumme“ sowohl auf die nach Abwicklung des Vertrages geschuldete Vergütung wie auch auf die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte Vergütung beziehen (BGH. Urteil vom 06.12.2007 - VII ZR 28/07 -), doch sei vorliegend durch die Anknüpfung an die „im Auftragsschreiben genannte(n)“ Netto-Auftragssumme klargestellt, dass Bezugsgröße der Wert der vor Ausführung vereinbarten Netto-Vergütung sein soll. Zum Zeitpunkt der Auftragserteilung stünde bei einem Einheitspreisvertrag, bei dem die Mangen und Massen nach dem (späteren) tatsächlichen Verbrauch berechnet würden, nur diese Vergütung fest.

Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners wegen Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben läge bei einer einseitigen Vertragsgestaltung vor, bei der versucht würde, missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen, ohne von vornherein auch dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 16.07.2020 - VII ZR 159/19 -). Eine Vertragsstrafenklausel, die eine Höchstgrenze von mehr als 5% der Auftragssumme bei Überschreitung des Fertigstellungstermins vorsähe, stelle regelmäßig eine Benachteiligung dar (BGH, Urteil vom 23.01.2023 - VII ZR 210/01 -). Die Druckfunktion erlaube zwar eine spürbare Vertragsstrafe, doch sei darauf zu achten, dass sich diese in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen halte (BGH, Urteil vom 20.01.2000 - VII ZR 46/98 -). Daher seine eine Vertragsstrafe von über 5% der Auftragssumme zu hoch.

Den entsprechenden Anforderungen würde die Klausel vorliegend nicht gerecht. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise könne bei einem Einheitspreisvertrag die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-) Auftragssumme im Falle einer (z.B. wegen Verringerung der tatsächlich ausgeführten Mengen nicht nur theoretisch denkbaren) nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die Strafzahlung die 5%-Grenze überschreite. Es fehle hier an einer dies ausgleichenden Regelung.

BGH, Urteil vom 15.02.2024 - VII ZR 42/22-

Samstag, 9. September 2023

Durchsetzung der für Veräußerung von Wohnungseigentum erforderlichen Verwalterzustimmung

Die Teilungserklärung (vom 26.02.1985) sah vor, dass die Veräußerung von Wohnungseigentum der Zustimmung des Verwalters bedürfe. Die Klägerin, die ihr Wohnungs- bzw. Teileigentum mit Vertrag vom 29.10.2020 veräußerte, ersuchte die Beklagte Verwalterin um Zustimmung, die diese verweigerte. Das Amtsgericht wies die in 2021 eingegangene Klage ab; die Berufung der Klägerin wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Das Landgericht begründete sein Urteil damit, dass die Beklagte nicht passiv legitimiert sei. Die vom Landgericht zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Die Beurteilung des Rechtsfalls orientiere sich an der seit dem 01.12.2020 geltenden Fassung des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG). Dem würde nicht entgegenstehen, dass der Kaufvertrag vor Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes geschlossen worden sei. Der BGH wies darauf hin, dass mangels entsprechender Übergangsvorschriften grundsätzlich das neue Recht ab dem 01.12.2020 auch auf Altfälle anwendbar sei (zur Ausnahme in Form der gerichtlichen Ersetzung der fehlenden Übergangsvorschrift vgl. aber auch BGH, Urteil vom 07.05.2021 - V ZR 299/19 -).

§ 12 WEG sehe vor, dass als Inhalt des Sondereigentums vereinbart werden könne, dass ein Wohnungseigentümer zur Veräußerung der Zustimmung anderer Wohnungseigentümer oder eines Dritten bedürfe (Wortlaut unverändert seit 1951). Vorliegend sei in der Teilungserklärung ein Zustimmungserfordernis des Verwalters der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) bestimmt worden. Daraus folge aber nicht, dass dieser der richtige Beklagte sei. Mit dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes zum 01.12.2020 sei eine Klage auf Zustimmung zwingend gegen die GdWE zu richten, unabhängig davon, dass der zustimmungsbedürfte Kaufvertrag vor dem 01.12.2020 geschlossen worden sei. Die zum bisherigen Recht ergangene Rechtsprechung sei nicht mehr anwendbar. Würde in den (auch älteren) Teilungserklärungen ein Zustimmungserfordernis durch den Verwalter benannt, sei dieser nur (noch) als Organ der GdWE angesprochen, dem kein eigenes Zustimmungsrecht (auch nicht als Treuhänder) zustünde. Dies sei allerdings in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Der Wortlaut von $ 12 Abs. 1 WEG nennt die GdWE nicht (ausdrücklich) als Zustimmungsberechtigte. Durch die Regelung zu „Dritten“ sei dies aber auch nicht ausgeschlossen. Entscheidend für die Passivlegitimation der GdWE (also deren Rechtsstellung in einem entsprechenden Prozess als Beklagte) spreche die Neuregelung zu den Aufgaben und Befugnissen des Verwalters und das Verhältnis des Verwalters zur GdWE, wonach die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nunmehr im Außen- und Innenverhältnis ausschließlich der GdWE obliege (§ 18 Abs. 1 WEG). Diese erfülle ihre Aufgaben durch ihre Organe und der Verwalter sei das interne Organ, der die Entscheidungen der GdWE umsetze und dabei vom Verwaltungsbeirat unterstützt würde (BGH, Urteil vom 16.12.2022- V ZR 263/21; BT-Drucks. 19/18791 S. 58). Dies gelte auch dann, wenn nach dem Wortlaut einer Vorschrift ein konkretes Organ benannt würde, da damit nur das für die Erfüllung dieser Aufgabe zuständige Organ bestimmt würde (vgl. auch § 24 WEG zur Pflicht der Einberufung von Versammlungen). Es handele sich hier um einen Paradigmenwechsel durch den Gesetzgeber, der nicht ohne Auswirkung auf die Auslegung von Teilungserklärungen bleiben könne. Die Teilungserklärung (mit der in der Regel in ihr enthaltenen Gemeinschaftsordnung) sei Bestandteil der Grundbuchbucheintragung. Maßgeblich sei der Wortlaut und Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergebe, da sie auch die Sonderrechtsnachfolger von Wohnungseigentümern binde. Daher sei der Verwalter nicht als beliebiger Dritter iSv. § 12 Abs. 1 WEF, sondern als Organ der GdWE zu verstehen, dessen Organstellung sich aus dem Gesetz ergebe (vgl. § 24 Abs. 1 WEG).  Daraus ergebe sich, dass sich der Zustimmungsanspruch gegen die GdWE richte und die Zustimmungserklärung durch den Verwalter abzugeben sei, da die GdWE selbst nicht handlungsfähig sei.

Selbst wenn die Teilungserklärung ausnahmsweise dem Verwalter die Erteilung der Zustimmung eindeutig als eigenes und nur von ihm wahrnehmbares Recht zuweisen sollte, würde dies die Zuständigkeit der GdWE nicht berühren. Eine entsprechende Regelung könnte nur die Annahme rechtfertigen, dass die Wohnungseigentümer die Entscheidung über die Zustimmung zur Veräußerung nach an sich ziehen und selbst treffen könnten, wodurch aber der Verwalter nicht außenstehender Dritter würde, sondern im Interesse der übrigen Wohnungseigentümer tätig (BGH, Urteil vom 18.10.2019 - V ZR 188/18 -)und damit - nach neuen Recht - als Organ tätig.

Auch wenn, wie hier, die Teilungserklärung aus der Zeit vor dem 01.12.2020 stamme, seien diese Grundsätze anwendbar. Bei der Auslegung einer Teilungserklärung käme es nur auf eine objektive Sicht, nicht auf subjektive Vorstellungen an, weshalb sich der Inhalt der Teilungserklärung im Laufe der Zeit ändern könne, wenn in der Teilungserklärung verwandte Begriffe einen Bedeutungswechsel erfahren. In diesem Sinne sei eine ergänzende Auslegung der Teilungserklärung möglich, in denen eine Lücke durch eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse entstünde. Dies sei der Fall, wenn die Teilungserklärung zu einer Zeit errichtet wurde, in der der Verwalter bei der Erteilung der Zustimmungserklärung als Treuhänder der Wohnungseigentümer handelte, demgegenüber er jetzt als Organ der GdWE handele. Dies würde auch durch § 47 WEG bestätigt, der einen Anwendungsfall ergänzender Vertragsauslegung von Vereinbarung darstelle, so dass die allgemeinen Grundsätze der Auslegung von Grundbucherklärungen gelten würden. In der Regel sei nicht anzunehmen, dass Vereinbarungen von vor dem 01.12.2020, die von den Regelungen nach dem Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz abweichen würden, den Regelungen nach dem seit dem 01.12.2020 geltenden Regelungen gemäß dem Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz entgegen stehen würden (§ 47 S. 2 WEG). Die „Altvereinbarung“ müsse mithin im Sinne der durch die neue Gesetzesfassung geschaffenen Systematik verstanden werden und dem würde widersprechen, wenn der Verwalter trotz seiner („bloßen“) Organstellung selbst zustimmungsberechtigt wäre.

BGH, Urteil vom 21.07.2023 - V ZR 90/22 -

Montag, 24. Juli 2023

Auslegung der Berufungseinlegung gegen einen Streitgenossen als unbeschränkte Berufung ?

Nach einen Verkehrsunfall verklagte der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Der Kläger legte dagegen vor dem Landgericht als Berufungsgericht Berufung einlegen. Dem die Berufung enthaltenen Schriftsatz war auch eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt gewesen. In der Berufungsschrift wurde nur einer der Beklagten (der erste aus dem Passivrubrum des angefochtenen Urteils, die Halterin/Fahrerin des Pkw) mit der Angabe „Bekl./Berufungsbek.“ angegeben.  Im Rahmen der Berufungsbegründung titelte der Kläger seinen Schriftsatz u.a. mit „in Sachen … ./. P,,,, N…. u.a.“ und begründete den Antrag gegen beide Beklagten (bei der weiteren Beklagten handelte es sich um den Haftpflichtversicherer des Pkw).

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung gegen beide Beklagten als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wurde die Entscheidung vom BGH aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung führet der BGH aus: Notwendiger Inhalt der Berufungsschrift sei die Angabe, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt würde, § 519 Abs. 2 ZPO. Die Anforderung an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sei weniger streng als jene an die des Rechtsmittelführers. Die Bezeichnung einer Partei sei als Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig. Um festzustellen, ob die Beschränkung des Rechtsmittels in Bezug auf die Berufungsbeklagtenseite (nur gegen einen der ursprünglich zwei Beklagten ?) gewollt sei, würde es auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ankommen. Aus dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil oder sonstigen beigefügten Unterlagen könnten sich Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Besondere Bedeutung käme der Frage zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf nur einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Ansehung des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoff ungewöhnlich oder gar fernliegend sei (BGH, Beschluss vom 20.11.2018 - II ZR 196/16 -).  

Es sei, richte sich das Rechtsmittel wie hier gegen ein Urteil, demzufolge in der Vorinstanz mehrere Streitgenossen obsiegten, im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Anfechtung gegen die gesamte Entscheidung (mithin auch alle Streitgenossen der Gegenseite) richte, wenn es keine Beschränkung erkennen lasse. Zwar könne sich aus dem Umstand, dass auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stünden, eine solche Beschränkung ergeben, wenn nur einige von ihnen in der Rechtsmittelschrift benannt würden. Was aber nicht zwingend sei. Der BGH habe bereits eine unumschränkte Berufungseinlegung bejaht, wenn in der Rechtmittelschrift nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der erste aus dem Urteilsrubrum des angefochtenen Urteils, benannt wurde (BGH, Beschluss vom 19.03.2019 - VI ZB 50/17 : BGH, Urteil vom 15.12.2010 - XII ZR 18/09 -).  

Danach sei im Rahmen gebotener Auslegung davon auszugehen, dass Berufung gegen beide Beklagten eingelegt worden sei. Es sei im Zweifel dasjenige gewollt, das nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und dem recht verstandenen Interesse entspräche. Theoretische Zweifel (Zweifel ohne tatsächliche Anhaltspunkte) seien unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 15.03.2022 - VI ZB 20/20 -). Hier sei der erste die Beklagte aus dem angefochtenen Urteil als Berufungsbeklagte benannt und es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsverfahren nur gegen sie durchgeführt werden sollte (z.B. Berufungsanträge, aus denen sich dies ergeben würde). Auch sei es den Umständen hier fernliegend, dass die Berufung nur gegen die Beklagte zu 1. geführt werden sollte, da sich aus dem, angefochtenen Urteil ergäbe, dass der Beklagte zu 1. als Halterin und Fahrerin eines Pkw, die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherer des Pkw gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen wurden.  Anhaltspunkte für eine sinnvolle Differenzierung zwischen den Beklagten lägen nicht vor. Zudem wäre es sinnlos, das Verfahren in der Berufung gegen die Beklagten zu 1. weiter zu betreiben und das Urteil gegen die beklagte Versicherung in Rechtskraft erwachsen zu lassen, da gem. § 124 Abs. 1 VVG ein klageabweisendes Urteil gegen den Versicherer auch zugunsten des Versicherungsnehmers wirke und von daher bereist die Berufung gegen das Urteil, welche nur gegen die Versicherungsnehmerin gerichtet wäre, unbegründet wäre.

BGH, Beschluss vom 07.03.2023 - VI ZB 74/22 -

Dienstag, 7. März 2023

Unterschied zwischen Kostenregelung im gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleich

Zwar sollte zwischen den Parteien zunächst ein Vergleich geschlossen werden, der im laufenden Rechtsstreit vom Gericht protokolliert wird. Allerdings erfolgte dies dann nicht, und der Vergleich wurde außerhalb des Verfahrens geschlossen. In diesem außergerichtlichen Vergleich trafen sie eine Regelung über die „Kosten des Rechtsstreits“, die eine Kostenentscheidung des Gerichts vorsah. Dieses erlegte nach übereinstimmender Erledigungserklärung des Rechtsstreits gemäß den Vorgaben im außergerichtlichen Vergleich der Klägerin 37%, der Beklagten 63% der „Kosten des Rechtsstreits“ auf. Im Rahmen der Kostenausgleichung und -festsetzung wurde die Einigungsgebühr zu Lasten der Beklagten festgesetzt, die dagegen erfolgreich Rechtsmittel einlegte.

Das OLG kam bei der Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Einigungsgebühr bei beiden Parteien nicht zu berücksichtigen sei und mithin zu Lasten keiner der Parteien im Rahmen der Kostenausgleichung festgesetzt werden könne. Der Tenor der Kostenentscheidung des Landgerichts auf der Grundlage des § 91a ZPO (Erledigung der Hauptsache) laute auf eine Quotelung der „Kosten des Rechtsstreits“, wie es auch im außergerichtlichen Vergleich vorgesehen war.  

Grundsätzlich sind die Kosten des Vergleichs auch „Kosten des Rechtsstreits“. Auf der Grundlage des § 98 ZPO hatte das OLG Hamburg (Beschluss vom 24.07.2014 - 4 W 83/14 -) entscheiden, dass dann, wenn in einem gerichtlich protokollierten Vergleich von den Kosten des Rechtsstreits gesprochen würde, die Parteien damit alle Kosten, also auch jene des Vergleichs meinen würden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass die Parteien diese mit in die Kostenregelung (entgegen § 98 S. 1 ZPO, welcher eine wechselseitige Aufhebung der Kosten des Prozessvergleichs vorsieht) einbeziehen wollten. Entsprechendes könne regelmäßig bei einem gerichtlichen Vergleich angenommen werden, da diese Kosten mit zu dem Prozessgeschehen zählen würden (so bereits BGH, Beschluss vom 25.09.2008 - V ZB 66/08 -).

Grundsätzlich sieht § 98 S. 1 ZPO bei einem Prozessvergleich die wechselseitige Aufhebung der Kosten des Vergleichs vor. Das, so das OLG Frankfurt, würde auch für die den außergerichtlichen Vergleich gelten, wenn dieser (wie hier) zur Prozessbeendigung führe (BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - VI ZB 45/09 -). Eine davon abweichende Regelung läge durch die den Prozess beendende Vereinbarung der Parteien nicht vor. Zwar sei zunächst ein Prozessvergleich mit der Regelung „Kostend es Rechtsstreits und dieses Vergleichs“ beabsichtigt gewesen, doch sei dann außergerichtlich nur über die „Kosten des Rechtsstreits“ eine Vereinbarung geschlossen worden. Angesichts dieser Änderung der Wortwahl könnten vorangegangene Erwägungen nicht mehr uneingeschränkt Grundlage einer Auslegung werden. Damit würden die Erwägungen des BGH wieder greifen und die Kosten des Vergleichs nicht entgegen § 98 S. 1 ZPO als Kosten des Rechtsstreits bei der Quotelung berücksichtigt werden.

Als Fazit ergibt sich, dass durch die Beschränkung im außergerichtlichen Vergleich auf die Kosten des Rechtsstreits die Partei, die nur mit einer Kostenquotelung von 37% beteiligt sei, durch den Wegfall der Quotelung der Vergleichs-/Einigungskosten finanziell benachteiligt wird gegenüber einer Regelung, dass die Quotelung auch für den Vergleich gilt (wie ursprünglich von den Parteien für den gerichtlichen Vergleich angedacht).

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.08.2022 - 28 W 1/22 -

Sonntag, 15. Januar 2023

Der Erdrutsch in der Wohngebäudeversicherung

Der Kläger machte gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Wohngebäudeversicherung geltend, die auch auf Elementarschäden wie Erdrutsche deckte. In den Versicherungsklauseln hieß es dazu „Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen.“ Das klägerische Grundstück lag am vorderen Rand einer vor ca. 80 Jahren aufgeschütteten Terrasse. In 2018 zeigte der Kläger der Beklagten Rissbildungen an seinem Wohnhaus an, die sich durch eine Rutschung des Untergrundes verursacht würden. Die Beklagte lehnte einen versicherungsvertraglichen Anspruch ab. Klage und Berufung blieben erfolglos; auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an dieses zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht hatte das Vorliegen eines die Beklagte leistungsverpflichtenden Erdrutsches negiert, da darunter ein sinnlich wahrnehmbarer Vorgang und nicht, wie hier nach Vortrag des Klägers, eine sich langsam über Jahre vollziehende Erdbewegung zu verstehen sei. Dem folgte der BGH nicht. Vielmehr würden mit der Klausel auch Schäden gedeckt, die durch allmähliche, nicht augenscheinlich naturbedingte Bewegungen von Gesteins- oder Erdmassen verursacht würden.

Der BGH wies darauf hin, dass in Rechtsprechung und Literatur streitig sei, ob eine Klausel wie vorliegend unter „Erdrutsch“ ein mit Geschwindigkeit ablaufendes Ereignis verlange, dass dies sinnlich wahrnehmbar sei, oder auch ein über längere Zeit unmerkliches Verlagern von Bodenbestandteilen. Der letzteren Ansicht gab der BGH den Vorzug. Dies ergäbe sich aus der Auslegung.

Allgemeine Versicherungsbedingungen seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstünde, ohne dass versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse vorhanden sein müssten (BGH, Urteil vom 26.01.2022 - IV ZR 144/21 -).

Dieser Versicherungsnehmer würde, wenn sich Bodenbestandteile über einen längeren Zeitraum verlagern und hierdurch Schäden in Form von Rissbildungen am versicherten Gebäude verursachen, zunächst vom Wortlaut der Bedingungen ausgehen, wobei für ihn der tägliche Sprachgebrauch und nicht etwa die Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend sei (BGH, Urteil vom 29.03.1017 - IV ZR 533/15 -). Es käme damit entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht auf eine terminologische Unterscheidung in der Geologie an. Ausgangspunkt sei für den maßgeblichen durchschnittlichen Versicherungsnehmer die in der Klausel enthaltene Definition für Erdrutsch, nach der er erkennen würde, dass der versicherte Tatbestand mit einem naturbedingten Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen zwei unterschiedliche Vorgänge einschließe. Nach denen sei zwar mit dem Begriff des „Abstürzens“ ein plötzliches Ereignis gegeben, in der Alternative des „Abgleitens“ aber nicht gefordert würde. Unter „Abgleiten“ sei nach allgemeinen Sprachgebrauch (Duden) ein Haftungs- und Haltverlust und eine unbeabsichtigte Bewegung seitwärts und nach unten umschrieben. In Ermangelung entsprechender Klarstellung würde sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus der Klausel auch nicht entnehmen lassen, dass sich die sinnlich nicht wahrnehmbare Erdbewegung über einen längeren Zeitraum nicht unter den Tatbestand falle. Was unter „Rutschen“ nach allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird, sei in Ansehung der eigenständigen Definition des Begriffs „Erdrutsch“ nicht entscheidend. Dass die Klausel ein Abgleiten oder Abstürze von Gesteins- oder Erdmassen verlange, führe nicht dazu, dass dies eine Mindestgeschwindigkeit haben müsse, also Kriechvorgänge vom Versicherungsschutz ausgenommen wären.

Auch aus dem Sinn und Zweck des Leistungsversprechens ergäbe sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nichts anderes. Durch einen Vergleich mit anderweitigen Regelungen in der Elementarversicherung (wie z.B. Überschwemmung, Rückstau, Vulkanausbruch, Erdbeben, Erdfall, Schneedruck, Lawinen) könne er nicht die Erkenntnis erlange, nur deutlich wahrnehmbare Vorgänge seien versichert. Eine Plötzlichkeit sei - mit Ausnahme für den Vulkanausbruch - nach dem Wortlaut der Bedingungen dort gerade nicht gefordert.

Die Zurückverweisung erfolgte, da Feststellungen zur Ursächlichkeit der Rissbildungen bisher nicht getroffen wurden.

BGH, Urteil vom 09.11.2022 - IV ZR 62/22 -

Samstag, 17. Dezember 2022

Ergänzungspflegschaft für minderjähriges Kind für Erbscheinverfahren

Die Mutter der 14-jährigen Betroffenen verstarb 2021. Die Eheleute hatten ein gemeinsames Testament errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten, Vermächtnisanordnungen trafen, und u.a. Testamentsvollstreckungsanweisungen niederlegten. Sein Vater beantragte als Alleinerbe nach seiner verstorbenen Frau einen Erbschein. Das Nachlassgericht regte die Bestellung einer Ergänzungspflegschaft für den Minderjährigen im Erbscheinverfahren an.

Nachdem die Rechtspflegerin dem beschwerdeführenden Vater die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Anregung gegeben hatte, die von diesem abgelehnt wurde, ordnete sie die Ergänzungspflegschaft an und bestellte den Beteiligten zu 2. zum Ergänzungspfleger. Dagegen legte der Vater Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht (OLG) wies die Beschwerde nach Anhörung der minderjährigen Betroffenen zurück. Die nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde sei unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegschaft nach §§ 1909 Abs. 1 S. 1, 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 1. Alt. BGB vorlägen.

§ 1909 Aabs. 1 S. 1 BGB bestimme, dass derjenige, der (wie die Minderjährige) unter elterlicher Sorge stünde, für Angelegenheiten, an denen die verhindert seien, einen Pfleger erhalte. Erforderlich sei eine tatsächliche oder rechtliche Verhinderung. Von einer gesetzlichen Vertretung sei der Vater nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1 iVm. § 1795 BGB nicht ausgeschlossen; bei der Beantragung eines Erbscheins handele es sich nicht um ein Rechtsgeschäft iSv. § 1795 Abs. 1 BGB. Da auch ein Insichgeschäft bei der Beantragung eines Erbscheins nicht in Betracht käme, würde der Vertretung auch § 181 BGB nicht entgegenstehen.

Allerdings sei dem Vater als allein Sorgeberechtigten gem. § 1680 Abs. 1 BGB die Vertretungsmacht für das Erbscheinverfahren nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3 Hs. 1, 1796 BGB zu entziehen. Die vertretungsmacht könne danach entzogen werden und soll auch entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse des Sorgeberechtigten in erheblichem Gegensatz stünde. Dies sei hier der Fall. Es sei anzunehmen, wenn die unterschiedlichen Belange, Nutzen oder Vorteile der beiden Interessensträger ein rechtsgeschäftliches Verhalten in gegensätzlichem Sinne beeinflussen könnten, also das eigene Interesse nur auf Kosten des anderen gefördert werden könne und dies objektiv feststehen würde.

Vorliegend wolle der Vater seine Alleinerbenstellung erreichen. Dem würde der Geltendmachung eines möglichen Interesse seiner Tochter an der Feststellung eines anderen als vom Vater angestrebten Verfahrenszieles entgegenstehen.

Der Tochter und ihren Bruder seien als Vermächtnis im Testament € 800.000,00 zugewandt worden. Das OLG verweis auf die durch Auslegung vorzunehmende Abgrenzung von Vermächtnisnehmerstellung und Erbenstellung, § 2087 BGB. Die Auslegung könne zu einem anderen als vom Vater gewünschten Ergebnis führen und danach die beiden Kinder der Eheleute Miterben seien, was vom Vater bestritten würde.  Hieraus resultiere der objektive Gegensatz zwischen den Interessen von Vater und Tochter, da er die von seinen Interessen abweichenden Interessen seiner Tochter an der Feststellung etwa einer Miterbenstellung nicht fördern könne. Damit sei nicht der Vorwurf verbunden, er verfolge nicht subjektiv das Wohl seiner Tochter.

Der Sorgerechtsentzug sei nur insoweit zulässig, als der Interessensgegensatz erheblich sei. Dies sei der Fall, wenn er eine genügende Vertretung des Kindes nicht erwarten lasse. Auch das sei hier zu bejahen. Der Vaters sei gehindert, im Erbscheinverfahren zugleich die Feststellung seiner Alleinerbschaft und eine etwaige davon abweichende Feststellung, den Belangen seiner Tochter gegebenenfalls objektiv besser gerecht werdenden Feststellung anzustreben.  Die Prognose, die hier geboten sei, könne nicht dem Ergebnis des Erbscheinverfahrend vorweggreifen.

Die Entscheidung zur Bestellung eines Ergänzungspflegers sei auch verhältnismäßig, da ein milderes Mittel zur Wahrung der Interessen der Tochter nicht ersichtlich sei. Mit dem Argument, mit einem Ergänzungspfleger würde der Familienfriede gestört, sei der Vater ausgeschlossen; die unabhängige Prüfung der Interessen der Minderjährigen durch einen Unbeteiligten (dem Beteiligten zu 2.) und ggf. deren Geltendmachung im Erbscheinverfahren verspräche eine mindestes nebens hohe Eignung, den Familienfrieden zu erhalten, wie ein Verzicht auf eine umfassende unabhängige (rechtliche) Prüfung der kindlichen Interessen.

Auch wenn das Erbscheinverfahren vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt sei und die Auslegung des Testaments letztlich Sache des Nachlassgerichts sei, würde dadurch die Bedeutung der Anhörung der am Verfahren (kann-) beteiligten Jugendlichen (§ 345 FamFG) nicht reduziert. Auch in diesem Verfahren könnten Mitteilungen von außerhalb des Testaments liegende Umständen Einfluss haben , wie auch argumentativ auf die zu treffende Entscheidung Einfluss genommen werden.  Dem würden die Vorschriften über die Gewährung rechtlichen Gehörs dienen (vgl. §§ 345 Abs. 1 S. 2m 7 Abs. 4, 37 Abs. 2 FamFG). Es bestünde zunächst ein recht der beteiligten darauf, von allen entscheidungserheblichen Grundlagen Kenntnis zu erlangen, was auch für minderjährige und nicht verfahrensfähige Personen gelte, die auf die Wahrnehmung ihrer Interessen durch gesetzliche Vertreter angewiesen seien.

Der hier einer Ergänzungspflegschaft entgegenstehende Wille der Tochter stünde der Entscheidung vorliegend nicht entgegen. Es würde hier nicht -wie der Vater meint - um die Entziehung des Sorgerechts gehen, sondern ausschließlich um die Vertretung im Erbscheinverfahren und damit einem Vermögensbelang. Der Ergänzungspfleger dürfe die Minderjährige auch nicht gegen deren Interessen vertreten. Zweck sei, ihre objektiv zu beurteilenden Interessen zu ermitteln und im Verfahren zur Geltung zu bringen und sie möglichst aus dem Erbscheinverfahren ergebenden familiären Meinungsverschiedenheiten herauszuhalten. Zudem habe die Jugendliche im Hinblick auf Umfang und Wirkung der Ergänzungspflegschaft Vorstellungen geäußert, die außerhalb jeglicher Realität und Rechtslage lägen

OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.10.022 - 13 WF 53/22 -

Mittwoch, 4. Mai 2022

Titelersetzendes außergerichtliches Anerkenntnis eines Schadensersatzanspruchs und Feststellungsinteresse

Hat der Gläubiger (hier aus einem Schadensfall) ein Feststellungsinteresse für eine Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung des Schuldners, wenn der Schuldner (außergerichtlich) bereits ein Anerkenntnis abgegeben hat ? Antwort: Nein, wenn der Gläubiger durch das Anerkenntnis ausreichend geschützt ist. Ob hier der klagende Gläubiger durch das außergerichtliche Anerkenntnis des beklagten Haftpflichtversicherers ausreichend geschützt, war im Streit.

Das Oberlandesgericht (OLG) wies darauf hin, dass ein außergerichtliches schriftliches Anerkenntnis dann das Feststellungsinteresse an einem Urteil entfallen lassen würde, wenn der Schuldner seine Ersatzpflicht für bereits eingetretene und künftige noch entstehende Schäden dem Grunde nach mit Wirkung eines Feststellungsurteils anerkenne und zugleich uneingeschränkt auf die Einrede der Verjährung verzichte (so die herrschende Rechtsprechung, z.B. OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.03.2006 - 4 U 117/05 -; KG, Urteil vom 19.01.2004 - 22 U 71/03 -; OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2000 - 6 U 208/99 -). Das Feststellungsinteresse entfalle nämlich dann, wenn die für ein Feststellungsurteil erforderliche Unsicherheit, die dem Recht oder der Rechtslage des Klägers (Gläubigers) bei einem Bestreiten durch den Beklagten (Schuldner) drohe, ausgeräumt würde.

Im konkreten Fall sei das Anerkenntnis der beklagten Haftpflichtversicherung aber nicht ausreichend gewesen, diese Unsicherheit auszuräumen. Das Anerkenntnis von dieser habe sich auf „den unfallbedingten zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden ab dem 28.02.2020“ bezogen. Es sei damit zeitlich eingeschränkt gewesen, da es nur die (etwaig weiteren) Schäden ab dem 28.02.2020 (Tag des Anerkenntnisses) erfasst habe, nicht auch die Schäden (einschließlich der immateriellen Schäden), die ab dem 13.10.2019 (bis zum 28.02.2020) bereits entstanden gewesen seien.

Auch aus dem Umstand, dass die Beklagten (der Haftpflichtversicherer und der versicherte Versicherungsnehmer) die Auffassung vertraten, ein zur Beendigung ausreichendes Anerkenntnis abgegeben zu haben, folge nichts anderes. Das OLG wies darauf hin, dass eine Erklärung nach §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden könne/müsse und ein eventuelles Redaktionsversehen berücksichtigt werden könne. Der Wortlaut sei vorliegend eindeutig im Hinblick auf das Anerkenntnis des lediglich zukünftigen materiellen und immateriellen Schadensersatzes. Mit der Erklärung, ein ausreichendes Anerkenntnis abgegeben zu haben, sei nicht erklärt worden, dass auch die bereits ab dem Unfall vom 13.10.2019 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden einbezogen werden sollten. Damit sei nicht davon auszugehen, dass das abgegebene Anerkenntnis vom 28.02.2020 anders als formulier auch auf Schäden ausgedehnt werden könne, die vor diesem Tag lägen.

Damit musste sich das OLG mit der Frage auseinandersetzen, ob im Umfang des Anerkenntnisses (hier im Hinblick auf künftige, ab dem 18.02.2020 eintretende Schäden) dieses im Tenor eines Urteils zu berücksichtigen sei. Das wurde vom OLG verneint. Es verwies darauf, dass die Aufgabe des Bestreitens das Feststellungsinteresse nur entfallen lasse, wenn der Kläger endgültig gesichert sei. Die endgültige Sicherung beträfe aber den gesamten geltend gemachten Anspruch, also ab dem Unfallereignis vom 13.10.2019. Da das vorliegend nicht der Fall gewesen sei, sei der umfassende Antrag weiterhin gerechtfertigt.

OLG Hamm, Urteil vom 17.12.2021 - I-7 U 99/20 -

Donnerstag, 7. April 2022

Kaskoversicherung: Klausel Neuwertversicherung bei Totalschaden

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung, die er anlässlich eines Totalschadens des versicherten Pkw in Anspruch nahm. Dabei begehrte er eine Neupreisentschädigung. Diese besagte nach den Versicherungsbedingungen, dass der Versicherer anstelle des Widerbeschaffungswertes den Neupreis zahlt, wenn der Versicherungsfall (Totalschaden oder Verlust) innerhalb von 36 Monaten nach Erstzulassung eintritt. Allerdings wurde in der Klausel nicht ausgeführt, wann ein Totalschaden vorliegt. Der Vertrag verwies auf die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB), nach deren Ziffer 1.5.1 (2) ein Totalschaden vorliegt, wenn die erforderlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen.

Das Landgericht wies die Klage ab und das OLG wies in seinem Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigte, die zulässige Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Ein bedingungsgemäßer Totalschaden läge nicht vor, der den Ersatz des Neupreises begründe.

Nach einem Schadensgutachten würden sich die Reparaturkosten auf € 17.142,55 belaufen. Der Wiederbeschaffungswert sei aber mit € 22.500,00 ausgewiesen, läge mithin über den Reparaturkosten. Damit bestand auch nach Haftpflichtgrundsätzen kein wirtschaftlicher Totalschaden. Nicht entscheidend sei, ob ein sogen. Unechter Totalschaden vorliegt, bei dem die Schadensbehebung im Wege der Reparatur zwar geringere Kosten als eine Ersatzbeschaffung verursache, dem Geschädigten aber die Reparatur nicht zuzumuten sei. Allerdings folge das Schadensersatzrecht anderen rechtlichen Prämissen als das hier anwendbare Versicherungsvertragsrecht, welches hier anwendbar ist. Während im Schadensersatzrecht der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB die Möglichkeit habe die Schadensbehebung in die eigenen Hände zu nehmen, ließe sich dies auf den Kaskoversicherungsvertrag nicht unmittelbar übertragen.

Entscheidend sei daher für die Bewertung als bedingungsgemäßer Totalschaden die Auslegung der Versicherungsbedingungen. Diese seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstünde. Abzustellen sei dabei auf einen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Entscheidend sei zunächst der Wortlaut, der mit dem Bedingungswerk verbundene Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln (soweit für den Versicherungsnehmer erkennbar) seien zusätzlich zu berücksichtigen.

Danach würde sich hier für diesen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der die maßgeblichen Versicherungsbedingungen (hier in den AKB) mit dem Begriff des Totalschadens verbindet, ohne weiteres ergeben, dass dieser Begriff losgelöst von den Grundsätzen des Haftpflichtrechts geregelt sei.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 24.06.2021 - 20 U 96/21 -

Donnerstag, 10. Februar 2022

Anwaltliche Pflichten bei Vergleichsabschluss und Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien. 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -

Freitag, 10. Dezember 2021

Erbvertrag nichtehelicher Partner bei nachfolgender Heirat und späterer Scheidung

Am 02.05.2000 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 2. einen notariellen Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und die Tochter der Beteiligten zu 2. sowie den Beteiligten zu 1. zu Erben des Letztversterbenden bestimmten. Der Erblasser und die Beteiligte zu 2. heirateten am 26.10.2001; die Ehe wurde mit Rechtskraft vom 06.04.2006 geschieden. Der Erblasser verstarb am 07.06.2017.

Das Gericht musste klären, wer Erbe nach dem verstorbenen Erblasser wurde. Ließ sich dies aus dem vor Eheschließung abgeschlossenen Erbvertrag entnehmen ?

Der Beteiligte zu 1., der einen Erbscheinsantrag stellte, kann diesen, so zutreffend das OLG, nur beanspruchen, , wenn die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Das erfordere, dass der Erblasser keine davon abweichende letztwillige Verfügung hinterlassen haben dürfte, was mittels Testament als auch Erbvertrag möglich sei.  Ein Erbvertrag läge vor.

Hatte dieser Erbvertrag, wie vom Beklagten zu 1. geltend gemacht, mit der Ehescheidung seine Wirksamkeit verloren ? § 2279 Abs. 1 BGB sähe vor, dass auf vertragsmäßige Zuwendungen in einem Erbvertrag die für die letztwillige Verfügung geltenden Vorschriften anzuwenden seien. Dazu gehöre auch § 2077 BGG, nach der eine letztwillige Verfügung zugunsten des Ehegatten unwirksam würde, würde die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst; gleiches gelte auch in dem Fall, dass der Erblasser zugunsten seines Verlobten eine letztwillige Verfügung getroffen hätte und die Verlobung vor dem Tot des Erblassers aufgelöst würde (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.02.2016 - 20 W 322/14 -). Ferner würde § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB auch dann Anwendung finden, wenn der Erblasser und die bedachte Person zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung verlobt seien und erst danach heiraten würden.

Aber § 2077 BGB sei nicht auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ohne ernstliches Eheversprechen (Verlöbnis) anwendbar (BayObLG, Beschluss vom 06.09.1983 – 1 Z 53/83 -). § 2077 BGB würde nur eine dispositive Auslegungsregel für die in der Norm benannten Fallgruppen enthalten. Ob die Regel in § 2077 BGB entsprechend Anwendung finden könne, wenn die Ehe erst nach Errichtung der letztwilligen Verfügung oder des Erbvertrages geschlossen worden ist, aber vor dem Tod des Erblassers wider geschieden wurde, würde unterschiedlich gesehen. Das OLG vertrat die Auffassung, dass das Zusammenleben ohne Trauschein schon seit Langem zur gesellschaftlichen Normalität gehöre und sich daran nicht als Regelfall eine Eheschließung anschließe. Das Verlöbnis als Vorbereitung der Ehe sei wie diese auf Dauer angelegt, während die nichteheliche Lebensgemeinschaft idR. ohne rechtliche Bindung und ohne bestimmte Dauer eingegangen würde. Von daher könne bei nichtehelichen Lebenspartnern, auch wenn sie späterhin die Ehe schließen, nicht ohne weiteres die Annahme eines besonderen partnerschaftlichen Bindungswillens unterstellt werden.

Vor diesem Hintergrund sei der tatsächliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bzw. des Abschlusses des Erbvertrages zu ermitteln, § 2084 BGB, wozu zu ermitteln sei, ob er Erblasser, hätte er eine spätere Trennung in Betracht gezogen, ebenso verfügt hätte.  Ergäben sich keine ausdrücklichen Anhaltspunkte, sei der hypothetische Wille zu erforschen. Es ergäbe sich hier aus dem Wortlaut des Erbvertrages nichts dafür, dass er in Vorbereitung der Ehe geschlossen sei.  Die Beteiligte zu 1. verwies auf die Scheidungsauseinandersetzung, Zugewinnausgleichsvereinbarung, den damit verbundenen Versorgungsausgleich, die Vermögenstrennung sowie das alleine Sorgerecht des Erblassers; dies ließe aber nicht belegen, dass der Erblasser die beteiligte zu 2. im Falle einer kommenden Trennung nicht auch als Erbin eingesetzt hätte, vielmehr würde damit eher das Gegenteil angedeutet. Wenn im Erbvertrag seitens der Parteien ihr Vermögen akribisch trennen und auch sonst ihre nachehelichen Regelungen getroffen haben, läge die Vermutung nahe, dass sie auch den Erbvertrag aufgehoben hätten. Allerdings gäbe die Akte nichts dafür her, dass der Erblasser dazu nicht mehr in der Lage gewesen sei. Daher hielt es das OLG für überwiegend wahrscheinlich, dass der Erblasser, wenn er bei Abschluss des Erbvertrages die Trennung vorhergesehen hätte, auch keine dem § 2007 Abs. 1 BGB nachgebildete Klausel aufgenommen hätte.,

Anmerkung: Dieser Erbenstreit verdeutlicht, dass sich die die in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebenden Partner bei Errichtung eines Testaments bzw. Abschluss eines Erbvertrages Gedanken für den Fall einer Trennung, auch für den Fall einer möglicherweise anschließenden Heirat und nachfolgender Scheidung , machen sollten und dies mit in das Testament  bzw. den Erbvertrag aufnehmen sollten. Nur so können Folgerungen, wie sie hier das OLG versuchte, ausgeschlossen werden, die evtl. nicht dem Willen des Erblassers entsprechen.

OLG Rostock, Beschluss vom 13.07.2021 -3 W 80/20 -

Dienstag, 24. August 2021

Kostenfestsetzung: Bei Kostenregelung im Vergleich ist Wortlaut entscheidend („außergerichtliche Kosten“)

Die Parteien hatten einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, in dem es u.a. heißt: „a) Die Parteien … sind sich einig, dass jede Partei ihre eigenen außergerichtlichen Kosten trägt. b)  Die gerichtlichen Kosten trägt die Beklagte…“. Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.10.2020 setzet das Landgericht die von der Klägerin zur Festsetzung angemeldeten Kosten einschließlich der im gerichtlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten der Klägerin gegen die Beklagte fest und verwies darauf, dass sich die Regelung zu den außergerichtlichen Kosten auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten beziehe, für die im verfahren entstandenen Anwaltsgebühren die Regelung zu den Gerichtskosten entsprechend gelten würde. Die Beklagte legte gegen Beschluss Beschwerde ein, soweit Anwaltsgebühren der Klägerin mit festgesetzt wurden. Der Beschwerde wurde vom OLG stattgegeben.

Das OLG verwies darauf, dass es für eine Auslegung des Vergleichs zu den Kosten, wie vom Landgericht vorgenommen, keinen Raum gäbe. Im Kostenfestsetzungsverfahren sei die Kostenvereinbarung eines gerichtlichen Vergleichs an Han des Wortlauts umzusetzen. Unstatthaft sei es, andere Umstände als den Text des Kostentitels heranzuziehen und zu würdigen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21.09.2015 - 14 W 585/15 -).  Zwar sei eine Auslegung nach der allgemeinen Regelung des § 133 BGB möglich, doch habe sich diese stets am Wortlaut der Kostengrundentscheidung zu orientieren und sich damit an das zu halten, was in der Kostenentscheidung erkennbar zum Ausdruck gebracht würde (OLG Hamm, Beschluss vom 28.04.1989 - 23 W 152/89 -). Nicht im Kostentitel angedeutete Umstände dürften damit nicht zur Würdigung herangezogen werden.

Vorliegend gäbe der Vergleichstext, „dass jede Partei ihre eigenen außergerichtlichen Kosten trägt“, nichts dafür her, dass die Parteien damit lediglich die Verteilung außergerichtlicher Kosten regeln wollten und in Bezug auf die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten eine Verteilung unter der Regelung „Die gerichtlichen Kosten trägt die Beklagte“ fallen sollte.

Nach dem allgemeinen Verständnis des verwandten Adjektivs seien gerichtliche  Kosten nur die Gerichtskosten, die Teil der Kosten des Rechtstreits seinen und bei denen es sich ausschließlich um gerichtliche Gebühren und Auslagen iSv. § 1 Abs. 1 GKG handele. Als außergerichtliche Kosten würden gemeinhin die Kosten des Rechtstreits bezeichnet, die nicht zu den Gerichtskosten gehören würden. Anwaltsgebühren seien damit insoweit Prozesskosten und würden zu den außergerichtlichen Kosten zählen, als mit ihnen eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren vergütet würde (BGH, Beschluss vom 22.12.2004 - XII ZB 94/04 -); die Kosten vorgerichtlicher anwaltlicher Tätigkeit seinen davon nicht umfasst.

Ergänzend verwies das OLG darauf, dass vorgerichtliche Kosten anwaltlicher Tätigkeiten auch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen seien, und damit kein Reglungsbedarf bestanden habe. Anzumerken ist dazu allerdings, dass es den Parteien obliegt, ob sie über den Streitgegenstand des Rechtsstreits hinaus einen Vergleich schließen, dass vorgerichtliche außergerichtliche Anwaltsgebühren vergleichsweise mit reguliert werden sollen (gebührenrechtlicher Mehrwert des Vergleichs). Da aber außergerichtliche Anwaltskosten einer Partei nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung sein können, sich hier für einen Mehrvergleich auch aus dem Kostentitel des Vergleichs nichts ergibt, zudem jedenfalls auch die namentlich benannten Gerichtskosten nicht die im Verfahren entstandenen Anwaltsgebühren mitumfasst, die Kostenregelung zu den außergerichtlichen Anwaltskosten dem üblichen Sprachgebrauch für die Kosten der durch das Gerichtsverfahren entstandenen anwaltlichen Vergütung entspricht, ist die Entscheidung zutreffend. Darüber hinaus würde es, wenn man unter den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Bezug auf eine Regelung zu vorgerichtlichen Kosten folgen wollte, an einer Kostenregelung zu den im Gerichtsverfahren entstandenen Anwaltsgebühren ermangeln und dann diesbezüglich auch bezüglich dieser bei einer Kostenaufhebung verbleiben, da dies mangels einer abweichenden Vereinbarung in § 98 ZPO entsprechend geregelt ist. Von daher kann der Hilfserwägung des OLG nicht gefolgt werden, wenn auch im übrigen die Entscheidung zutreffend ist.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.03.2021 - 2 W 473/21 -

Mittwoch, 17. Februar 2021

Befristeter Verjährungsverzicht ist unabhängig vom Ablauf der Verjährung

 

Die Parteien stritten darüber, ob bereits zum Zeitpunkt der Erhebung einer Klage Verjährung eingetreten sei und die Beklagte erfolgreich die Einrede der Verjährung erheben könne. Mit dem Datum vom 04.02.2004 hatte die Klägerin die Einleitung eines (grundsätzlich die Verjährung hemmenden, sollte sie nicht bereits eingetreten sein) Schlichtungsverfahren beantragt. Mit Schreiben vom 27.11.2006 gab die Beklagte die Beklagte die Erklärung ab, dass sie sich „weiterhin bis einschließlich 31.12.2007 nicht auf die Einrede der Verjährung … berufen“ würde. Das Kammergericht ist im Berufungsrechtszug davon ausgegangen, dass mit dem Einleitung bzw. Beendigung des Schlichtungsverfahrens in Ansehung dieser Erklärung die Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Dem folgte der BGH im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht und verwies den Rechtstreit an das Kammergericht zurück, da bisher vom Kammergericht nicht festgestellt worden sei, wann die Verjährungsfrist zu laufen begann und ob danach eine Verjährung bereits vor dem 31.12.2007 eintrat oder durch die Klageerhebung 2009 noch gehemmt werden konnte.

Das Kammergericht war der vom BGH nicht geteilten Rechtsauffassung, beide Parteien seien der Ansicht gewesen, dass die Verjährung eines möglichen Anspruchs der Klägerin bereits bei Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 eingetreten sei; da die Beklagte mit dem Schreiben vom 27.11.2006 „weiterhin“ auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe, könne dieser Verzicht nur so verstanden werden, dass die Frist mit Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 neu zu laufen beginnen solle und ab diesem Zeitpunkt bzw. dem Endes des Schlichtungsverfahrens am 12.11.2007 die Frist von neuem zu laufen beginnen soll und durch die Erhebung der Klage in 2009 erneut gehemmt worden sei.

Für die Entscheidung kam es auf die Auslegung der Erklärung der Beklagten vom 27.11.2007 an.  Auch wenn die Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich dem Tatrichter unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB in umfassender Gesamtwürdigung aller Umstände obliegen würde, könne dies vom Revisionsgericht darauf geprüft werden, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denk- und Erfahrungssätze vorlägen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe. Derartige Rechtsfehler nahm der BGH hier an.

Das Kammergericht sie bereits fehlerhaft davon ausgegangen, dass nach dem Antragsschreiben vom 04.02.2004 auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens die Parteien von einer zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Verjährung ausgegangen seien. Am Schluss des Antragsschreibens sei von einer drohenden Verjährung zu einem späteren Zeitpunkt (16.04.2004) die Rede.

Der BGH stellt darauf ab, dass es sich vorliegend um einen befristeten Verjährungsverzicht handele, der den Ablauf der Verjährung selbst nicht beeinflusse. Der Verjährungsverzicht habe regelmäßig zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen sei. Dieser Verzicht würde den Gläubiger von der alsbaldigen Erhebung der Klage (vor Ablauf des Zeitraums) entbinden. Erhebe er allerdings nicht innerhalb des Zeitraums Klage, könne sich der Gläubiger bei einer Klage nach Ablauf des Zeitraums wieder auf die Einrede der Verjährung berufen. Erfolge die Klage innerhalb des Zeitraums, würde der Verzicht auf die Einrede greifen und in diesem Fall auch über die Frist hinaus wirken. Allerdings gelte dies nur für den Hemmungstatbestand der Klage, es sei denn der Schuldner habe anderweitiges erklärt.

Für eine darüberhinausgehende Wirkung des Verjährungsverzichts bedürfe es besonderer Anhaltspunkte, so für einen vom Kammergericht angenommen neuen Lauf der Verjährungsfrist. Diese Anhaltspunkte müssten erkennen lassen, dass ein über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehender Verzichtswille des Schuldners bestand. Derartiges ließe sich nicht feststellen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verzicht im vorgenannten Sinn entgegen der Auffassung des Kammergerichts auch dann Sinn machen würde, wenn nach Annahme der Parteien zu dem Zeitpunkt des Verzichts die Verjährung bereits eingetreten sein sollte, das Schlichtungsverfahren die Verjährung also nicht mehr hätte hemmen können. Denn durch den Verzicht konnte die Klägerin ungeachtet einer bereits eingetretenen Verjährung den Ausgang des Schlichtungsverfahrens abwarten und bis Ende 2007 Klage erheben. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung noch nicht festgestanden habe, dass das Schlichtungsverfahren bis zu, 31.12.2007 abgeschlossen ist, bestand jedenfalls für die Klägerin die Chance, dass die Beklagte die Verzichtserklärung bei längerer Dauer des Schlichtungsverfahrens verlängert.

BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 285/19 -

Dienstag, 9. Februar 2021

Erfasst vereinbarte Umsatzsteuer auf (Gewerberaum-) Miete auch die Nebenkosten ?

Im Gewerberaummietvertrag der Parteien wurde der Mietzins mit € 10.500,00 „zzgl. der jeweils gültigen Umsatzsteuer“ vereinbart. Weiterhin wurde vereinbart, dass die Mieterin (Beklagte die öffentlichen und privaten Lasten des Grundbesitzes, so u.a. Grundsteuer, Versicherungsprämien zu tragen hat. Für 2018 erteilte die Klägerin eine Nebenkostenabrechnung über Grundbesitzabgaben und Versicherungsprämien zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer von 19%. Das Amtsgericht wies die Klage ab, soweit die Klägerin Umsatzsteuer begehrte. Das Landgericht gab der Berufung der Klägerin statt und erkannte ihr auch die geltend gemachte Umsatzsteuer zu. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Betriebskosten seien Bestandteil der Miete. Die von dem Mieter zu erbringenden Leistungsentgelte (Grundmiete und Nebenkosten) seien die Gegenleistung für die von dem Vermieter zu erbringende Gesamtleistung. Es könne auch vereinbart werden, dass der Mieter und Nebenkosten Umsatzsteuer auf die zu zahlende Miete übernimmt. Das Landgericht habe den Vertrag nach §§ 133, 157 BGB so ausgelegt, dass die Beklagte die Umsatzsteuer sowohl auf die Grundmiete wie auch die Betriebskosten, auch in Form von Grundbesitzabgaben und Versicherungsprämien, zu tragen habe. Diese Auslegung sei rechtsfehlerfrei vorgenommen worden.

Die Klägerin habe vorliegend gem. § 9 UstG zur Umsatzsteuer im Rahmen der Vermietung optiert. Damit sei die Umsatzsteuer auf den gesamten Umsatz entstanden, mithin auf Grundmiete und Nebenkosten (OFD Köln, DB 1985, 2227). Der Umstand, dass auf Versicherungsbeiträge bereits Versicherungssteuer erhoben würde, stünde einer Umsatzsteuerpflicht nach § 10 Abs. 2 S. 2 Hs.1 UStG nicht entgegen. Versicherungssteuer sei keine Umsatzsteuer iSd. Umsatzsteuergesetzes (BFH, Beschluss vom 23.11.2010 - V B 119/09 -). Die Steuerpflicht entfalle nicht anteilig insoweit, als einzelne Nebenkosten nicht mit Vorsteuer belastet seien (OFD Köln aaO.). Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Bestandteile des Umsatzes einschl. derer, die die wirtschaftliche Grundlage des Vertragsabschlusses bilden würden, derart eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige wirtschaftliche Leistung bilden würden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

Es würde sich auch bei den Positionen Grundbesitzabgaben und Versicherungsbeiträge nicht um solche handeln, die eine umsatzsteuerrechtliche Sonderrolle einnehmen würden und als „durchlaufende Posten“ nicht zum Entgelt gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 UstG gehören würden. Dies könne nur angenommen werden, wenn der Unternehmer (hier Vermieter) nur als Mittelsperson fungieren würde, ohne selbst Anspruch auf den Betrag gegen den Leistenden (hier Mieter) zu haben und auch selbst nicht zur Zahlung an den Empfänger verpflichtet zu sein. Daran ermangele es hier, da in der direkten Leistungsbeziehung nicht die Mieterin, sondern die Vermieterin verpflichtet sei.

Der Beklagten sie die Umsatzsteueroption der Klägerin bekannt gewesen, was schon aus der Vereinbarung ersichtlich sei, dass die Miete „zuzüglich der jeweils gültigen Umsatzsteuer“ vereinbart worden sei. Damit aber se der Beklagten auch bewusst gewesen, dass sie eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erhält (vgl. § 14 UstG) und den Vorsteuerabzug nutzen könne. In Ansehung der Einheitlichkeit der Leistungsentgelte Grundmiete und Nebenkosten würde damit feststehen, dass die Klägerin auch auf die Umlage der Grundbesitzabgaben und Versicherungskosten Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen habe und damit in ihren Rechnungen auszuweisen habe. diese an das Finanzamt abzuführen habe.

Würde man den Vertrag so auslegen, dass auf die Nebenkosten keine Umsatzsteuer geltend gemacht werden kann, würde dies für die Klägerin als Vermieterin einen ersichtlich nicht gewollten Verlust darstellen, da sie dann nur die Nettobeträge erhalten würde, davon aber an das Finanzamt Umsatzsteuer abführen müsse (zudem dies gegenüber der Mieterin zum Zwecke des Vorsteuerabzugs auch ausweisen müsse).

BGH, Urteil vom 30.09.2020 - XII ZR 6/20 -

Montag, 3. Februar 2020

Steuerrecht: Auslegung des Umfangs eines Einspruchs bei verbundenen Steuerbescheiden


Im Ausgangsfall legte der Kläger gegen den „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Soli vom 22.03.2018“ (ein sogenannter verbundener Bescheid, da er hier nach der Bescheidüberschrift die Bescheide zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag umfasste, darüber hinaus, in der in der Bescheidüberschrift nicht benannte Zinsen zur Einkommensteuer) mit Schreiben vom 09.04.2018 Einspruch ein. Nach einer von  ihm erbetenen Erörterung mit dem Finanzamt (FA) äußerte der Kläger Zweifel an einem zusätzlichen (vom FA berücksichtigten) veräußerungsgewinn in 2015 (statt 2016), bat erneut um einen Erörterungstermin und erhob im Rahmen desselben mit Schreiben vom 23.07.2018 erstmals Einwendungen gegen die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Verzinsung. In der Einspruchsentscheidung setzte sich das FA mit der Zinsfestsetzung nicht auseinander und lehnte mit besonderen Bescheid vom gleichen Tag eine Änderung der Zinsfestsetzung wegen Bestandskraft des Bescheides ab, da sich der Einspruch nicht gegen die Zinsen gerichtet habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage. Mit Zwischenurteil stellte das Finanzgericht fest, dass der Kläger rechtzeitig gegen die Zinsfestsetzung im Bescheid vom 22.03.2018 Einspruch erhoben habe. Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil auf und verwies den Rechtstreit an das Finanzgericht zurück.

Der BFH wies darauf hin, dass auf der Grundlage des § 357 Abs. 3 S. 1 AO die genaue Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht erforderlich sei, allerdings die Zielrichtung des Begehrens angegeben werden müsse, aus der sich der angefochtene Verwaltungsakt ergeben müsse  oder Zweifel/Unklarheiten beseitigt werden müssten. Fehle es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung, sei eine Auslegung erforderlich. Diese Auslegung eines Rechtsbehelfs richte sich außerprozessual als auch prozessual nach § 133 BGB. Es sei der wirkliche Wille zu erforschen, weshalb auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden dürften. Allerdings dürfe dies nicht dazu führen, dass die Auslegung zu einem Ergebnis führe, für welches es in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte gäbe. Damit ergäben sich im Wesentlichen folgende Fallgruppen:

  1. Würden miteinander verbundene Bescheide unter Wiedergabe der amtlichen Bescheidbezeichnung (wie hier: „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag“) angefochten, ohne dass (zunächst) konkrete Einwendungen erhoben würden und erfolgt späterhin (ggf. nach Ablauf der Einspruchsfrist) eine Begründung gegen einen bestimmten Bescheid, beziehe sich der Rechtsbehelf jedenfalls auch gegen diesen Bescheid. So hatte das FG Düsseldorf mit Urteil vom 26.05.2008 - 18 K 2172/07 AO - (zitiert vom BFH) den Einspruch gegen einen wie oben bezeichneten Bescheid auch als Einspruch gegen den im Bescheid festgesetzten Verspätungszuschlag angesehen, wobei allerdings das FG Düsseldorf die Auffassung vertrat, dass die korrekte Bezeichnung des Bescheides dies bereits umfasse und sich vorliegend zusätzlich (worauf der BFH einzig abstellt) aus der darauf bezogenen Begründung desselben ergäben.
  2. Enthalte das (unspezifisch) auf verbundene Bescheide bezogene Einspruchsschreiben eine Begründung, sei der Gegenstand des Einspruchs einengend auszulegen. Würden nach Ablauf der Einspruchsfrist auch Einwendungen gegen einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt erhoben, die in der ursprünglichen Begründung nicht benannt worden seien, so würde dem die Bestandskraft des Bescheides entgegenstehen (BFHE 222, 196; BFHE 243, 304).
  3. Richte sich der Einspruch ausdrücklich zwar nur gegen einzelne miteinander verbundene Verwaltungsakte und würde innerhalb der Einspruchsfrist der Einspruch auf einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt ausgedehnt, stünde der weiteren Anfechtung keine Bestandskraft entgegen. Dies ist verständlich, da der nur eingeschränkte zunächst erhobene Einspruch nicht als Verzicht auf ein Rechtsmittel im Übrigen gedeutet werden kann; erfolgt allerdings der weitere Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist, stünde ihm auch die Bestandskraft entgegen.  

Die Auslegung des Einspruchs obliege, so der BFH, dem Finanzgericht. Der BFH als Revisionsgericht könne nur prüfen, ob das Finanzgericht die anerkannten Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen habe, ferner, ob der Einspruch überhaupt auslegungsbedürftig sei. An der Auslegungsbedürftigkeit würde es bei einer nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Erklärung fehlen.

Vorliegend sei zwar die Bescheidüberschrift gewählt worden, doch sei diese unvollständig gewesen, insoweit die mit festgesetzten Zinsen zur Einkommensteuer nicht erwähnt worden seien. Von daher habe es hier einer Auslegung bedurft.

Da das Finanzgericht diese Grundsätze nicht gewahrt habe, sei die Sache zurückzuverweisen und das Finanzgericht müsse sich mit dem Verhalten des Klägers nach Einlegung des Einspruchs und insbesondere auch seinen an das FA gerichteten Schreiben auseinandersetzen.

BFH, Urteil vom 29.10.2019 - IX R 4/19 -

Mittwoch, 24. Juli 2019

Mieter: Zur Feststellung, ob eine natürliche Person oder eine GmbH Mieter ist


Häufig werden Mietverträge etwas unbedarft ausgefüllt und bei Auseinandersetzungen wundern sich dann die Mietvertragsparteien über die daraus für sie (positiv oder negativ) eintretenden Konsequenzen. Eine (nicht einmal seltene) Variante lag dem Urteil des Kammergerichts (KG) zugrunde: Streitig war u.a. (der Artikel bezieht sich nur darauf, im übrigen möge das Urteil gelesen werden) ob die Beklagten zu 1. und 2. selbst Mieter von Gewerberäumen waren.


Die Mietvertragsparteien würden, so das KG, alleine durch den zwischen ihnen abgeschlossenen Mietvertrag bestimmt. Wer danach Vertragspartei geworden sei, sei durch Auslegung zu ermitteln, wobei vorrangig die Angaben im Vertragsrubrum seien. Damit sei in erster Linie darauf abzustellen, wer als Mieter im Mietvertrag ausgeführt worden sei und diesen unterschrieben habe. Der Umstand, dass der Unterschriftszeile ein Stempelaufdruck einer Firma beigefügt sei, ändere daran nichts und ließe nicht den (zwingenden) Rückschluss zu, dass der Vertragsschließende den Vertrag ausschließlich im Namen der Gesellschaft abgeschlossen habe.

Vorliegend seien im Rubrum des Mietvertrages auf Mieterseite „M… To…, Prokurist und Gesellschafter der … GmbH“ sowie „H…, Geschäftsführer von … GmbH“ (die Beklagten) benannt mit dem Zusatz „- beide nachfolgend Mieter -“. Diese Bezeichnung spricht nach Auffassung des KG eindeutig dafür, dass beide persönlich Mieter werden wollten und die Zusätze nur kenntlich machen sollten, dass die Nutzung durch die GmbH (die unstreitig sei) erfolgen soll.

Die Unterzeichnung sei auch von beiden Beklagten auf der Unterschriftenzeile (ohne die im Rubrum verwandten Zusätze zur Funktion bei der GmbH) erfolgt, wobei der Beklagte zu 2. den Zusatz „ppa.“, obwohl er Prokura hatte und üblicherweise auch unter Verwendung dieses Zusatzes für die GmbH unterschreiben würde, nicht verwandt habe. Zwar sei dies Unterlassen des Zusatzes nur ein schwaches Indiz für die Vertragsstellung des Beklagten zu 2., füge sich allerdings in die Gesamtwürdigung ein; der beklagte zu 2. Habe auch im Rahmen seiner Anhörung keine plausible Erklärung abgegeben, weshalb er hier den auf die Vertretungsmacht für die GmbH deutendem Zusatz „ppa.“ vorliegend entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten im nicht geschäftlichen Verkehr nicht aufgenommen habe.

Auch der auf der Unterschriftenzeile für die Mieter aufgenommene Stempelaufdruck der GmbH ändere an der Würdigung nichts und gebe nur einen Hinweis auf den Nutzer der angemieteten Gewerberäume.

Zudem sei hier die Anlage 1 zum Mietvertrag mit „Anlage 1 zum Gewerbemietvertrag Dr. A. D… / M… To… und H… J…“ überschrieben und von beiden Beklagten auf der Mieterzeile unterschrieben worden, wodurch die persönliche Mieterstellung beider Beklagten hinreichend deutlich dokumentiert sei.

Auch weitere Anhaltspunkte, die von den Beklagten benannt wurden, so insbesondere vormietvertraglicher Schriftverkehr, würden nicht den Schluss zulassen, dass die GmbH, nicht die Beklagten selbst Mieter werden wollten und sollten.

KG, Urteil vom 04.02.2019 - 8 U 109/17 -

Freitag, 19. Juli 2019

Testament auf einem kleinen Notizzettel (Voraussetzungen für ein wirksames Testament)


Die kinderlosen Eheleute hatten ein gemeinschaftliches Testament ohne Bestimmung eines Schlusserbens. Nach dem Tot des Ehemanns der Erblasserin wurden zwei Entwürfe notarieller Testamente der Erblasserin zugunsten der Beteiligten zu 1. Als Alleinerbin erstellt. Nach dem Ableben der Erblasserin legte diese die Entwürfe sowie einen undatierten, quadratischen und nur wenige Zentimeter messenden Notizzettel dem Nachlassgericht vor und beantragte für sich einen Erbschein.  Auf dem Zettel, mit vollständiger Unterschrift der Erblasserin, stand: „Wenn sich für mich … einer findet, der für mich aufpasst und nicht ins Heim steckt der bekommt mein Haus und alles was ich habe.“

Das Nachlassgericht wies den Erbscheinantrag zurück. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass dies deswegen keine letztwillige Verfügung sei, da der erbe nicht namentlich benannt sei. Das Amtsgericht, welcher der dagegen eingelegten Beschwerde nicht abhalf, legte den Vorgang dem OLG vor, welches die Beschwerde als unbegründet zurückwies.

Das OLG ließ es, ebenso wie das Nachlassgericht, dahinstehen, ob der Notizzettel überhaupt eigenhändig von der Erblasserin beschrieben wurde, da dies hier dem Schriftstück auch nicht zur Wirksamkeit als Testament verholfen hätte.

Grundsätzlich würde der hier verwandte beschriebene Zettel die formellen Voraussetzungen des § 2247 BGB erfüllen können (OLG Schleswig, Beschluss vom 16.07.2015 - 3 Wx 53/15 -).

Die fehlende Angabe des Ortes, an dem das Schriftstück erstellt wurde wäre in Ansehung des Umstandes, dass dies in § 2247 Abs. 2 BGB nur als Sollbestimmung vorgesehen ist, grundsätzlich unschädlich, es sei denn, wenn sich gerade daraus Zweifel an der Gültigkeit ergäben, § 2247 Abs. 5 S. 2 BGB (so diskutiert bei Erstellung eines Testaments im Ausland,  OLG Schleswig aaO.).

Auch wenn die Angabe von Tag, Monat und Jahr der Errichtung des Testaments nur als Sollbestimmung in § 2247 Abs. 2 BGB aufgenommen ist, sei hier durch das Fehlen der Angabe bereits die Ungültigkeit eines eventuell in dem Notizzettel liegenden Testaments zu sehen. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass es zeitlich vor dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 28.01.2001 geschrieben wurde. Ein evtl. in dem Notizzettel zu sehendes Testament ließe sich nach § 2247 Abs. 5 S. 1 BGB deshalb nur dann als gültiges Testament ansehen, wenn sich der Zeitpunkt über die Errichtung anderweitig feststellen ließe; der Errichtungszeitpunkt sei erforderlich, wenn mehrere Testamente existieren und deren Gültigkeit von dem jeweiligen Zeitpunkt der Errichtung (wie hier) abhängen. Zwar könne die Formulierung „mein Haus“ ein Indiz für die Errichtung nach dem Ableben des Ehemannes sein, wenn zuvor beide Eigentümer des Hauses gewesen sein sollten; allerdings könne die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung noch Alleineigentümerin gewesen sein oder mit der Formulierung gar nicht die Eigentumsstellung im dinglichen Sinne wiederspiegeln sollte. Wenn damit möglich wäre, dass die Erblasserin den Notizzettel schrieb, bevor das gemeinschaftliche Testament errichtet wurde (nach dem der Ehemann der Erblasserin ihr Alleinerbe werden sollte) wäre mit dem gemeinschaftlichen Testament konkludent das vorherige Testament widerrufen worden.

Zudem würde vorliegend nicht zweifelsfrei feststehen, dass die Erblasserin den Notizzettel mit Testierwillen verfasst habe. Zwar könne der letzte Wille, eigenhändig geschrieben und unterschrieben, in einem Brief oder auf einem Notizzettel verfasst werden, ohne dass nach der äußeren Form dies eindeutig als Testament erkannt werden müsse. Auch wenn so den Voraussetzungen des § 2247 BGB genüge getan ist, wäre doch die Feststellung eines entsprechenden Testierwillens erforderlich, der als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aus § 2247 Abs. 3 S. 2 BGB abzuleiten sei.  Es müsse mithin zweifelsfrei feststehen, dass die Erblasserin die Urkunde als letztwillige Verfügung ansah oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament und nicht bloß als einen Entwurf, eine Ankündigung oder ähnliches darstellen. Die entsprechende Feststellung des Testierwillens habe im Wege der Auslegung nach § 133 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände, auch außerhalb der Urkunde, zu erfolgen. Entspricht das Schriftstück nicht üblichen Gepflogenheiten für Testamente, seien strenge Anforderungen zu stellen und wäre § 2084 BGB (wonach im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen ist, bei der die Verfügung Erfolg haben kann) nicht anwendbar (hier bezieht sich das OLG auf eine ständige Rechtsprechung, so z.B. OLG Schleswig aaO.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.07.2014 - 3 Wx 95/13 -). Damit aber würden Zweifel daran verbleiben, ob hier mit Testierwillen gehandelt wurde. So sei zu beachten, dass die Erblasserin aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments (wenn dieses vorher verfasst wurde) die übliche Gepflogenheit beim Abfassen eines privatschriftlichen Testaments gekannt habe (Anmerkung: Diese Annahme des OLG ist zweifelhaft, da alleine durch den einmaligen Gebrauch, bei dem nicht ersichtlich ist, dass er auf die Erblasserin zurückgeht, wissen kann, dass dies eine „übliche Gepflogenheit ist). Zudem würde die Formulierung auf dem Notizzettel, dass derjenige „der auf mich aufpasst und nicht ins Heim schickt“ das Haus „bekommen“ solle, ließe die Interpretation zu, dass dies auch schon zu Lebzeiten erfolgen soll, nicht erst nach dem Tod (das Wort „erben“) sei nicht enthalten. Auch die notariellen Testamentsentwürfe würden Zweifel am Vorliegen des Testierwillens begründen, da danach die Erblasserin wohl kurz vor ihrem Tod notarielle testieren wollte, was nicht erforderlich gewesen wäre, wenn sie zuvor den Notizzettel mit Testierwillen verfasst habe. Auch die Angabe der Beteiligten zu 1. unterstellt, die Erblasserin habe ihr erklärt, sie als Erbin einzusetzen, trage nicht, da eine mündliche Äußerung zur wirksamen Erbeinsetzung nicht ausreiche und in dem Dokument keinen Widerhall fände.

Darüber hinaus wäre eine eventuelle letztwillige Verfügung auf dem Notizzettel unbestimmt und daher nichtig. Der Erblasser müsse sich über den Inhalt aller wesentlichen Teile seines letzten Willens selbst schlüssig sein, § 2065 BGB. Dazu gehöre die Bestimmung der Person, die bedacht werden soll. Dies müsse nicht namentlich erfolgen müsse und ausreichend sei, dass die Person anhand des Inhalts und ggf. außerhalb der Urkunde liegender Umstände erst zuverlässig festgestellt werden könne. Die Bestimmung sei aber so im Testament aufzunehmen, dass jede Willkür eines Dritten ausgeschlossen sei (Bay ObLG, Beschluss vom 23.05.2001 - IZ BR 10/01 -). Der Erblasser könne nicht die Bestimmung, sondern nur die Bezeichnung der Person einem Dritten überlassen (BGH, Urteil vom 18.11.1954 - IV ZR 142/54 -). Es sei eine Auslegung nach § 2084 BGB vorzunehmen; bleibe der Wortlaut der letztwilligen Verfügung aber so unklar, dass eine Auslegung ergebnislos verlaufe, sei die Verfügung nichtig. Nach der hier verwandten Formulierung „aufpassen“ und nicht ins Heim „gesteckt“ werden, sei wohl die Ermöglichung eines Lebens außerhalb eines Heimes gemeint. Damit ergäbe sich ein breites Spektrum: Der Nachbar, der klingelt und nachfragt, wenn er die Erblasserin einige Zeit nicht wie gewohnt sieht, Personen, die der Erblasserin bei Schriftverkehr und in finanziellen Angelegenheiten oder bei der körperlichen Pflege helfen. Die Hilfe könne gelegentlich, regelmäßig oder ständig erfolgen, auch durch mehrere Personen mit unterschiedlich hohem Anteil. Damit sei der Begriff „aufpassen“ für eine Bestimmung der Person des Bedachten nicht auslegungsfähig. Anders wäre es, wenn sich die Formulierung auf eine einzige Pflegekraft bezöge, die der pflegebedürftige Erblasser selbst bestimmt, aber namentlich im Testament nicht nennt.

OLG Braunschweig, Beschluss vom 20.03.2019 - 1 W 42/17 -