Nach einen Verkehrsunfall verklagte der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Der Kläger legte dagegen vor dem Landgericht als Berufungsgericht Berufung einlegen. Dem die Berufung enthaltenen Schriftsatz war auch eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt gewesen. In der Berufungsschrift wurde nur einer der Beklagten (der erste aus dem Passivrubrum des angefochtenen Urteils, die Halterin/Fahrerin des Pkw) mit der Angabe „Bekl./Berufungsbek.“ angegeben. Im Rahmen der Berufungsbegründung titelte der Kläger seinen Schriftsatz u.a. mit „in Sachen … ./. P,,,, N…. u.a.“ und begründete den Antrag gegen beide Beklagten (bei der weiteren Beklagten handelte es sich um den Haftpflichtversicherer des Pkw).
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung gegen beide Beklagten als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wurde die Entscheidung vom BGH aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Zur Begründung führet der BGH aus: Notwendiger Inhalt der Berufungsschrift sei die Angabe, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt würde, § 519 Abs. 2 ZPO. Die Anforderung an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sei weniger streng als jene an die des Rechtsmittelführers. Die Bezeichnung einer Partei sei als Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig. Um festzustellen, ob die Beschränkung des Rechtsmittels in Bezug auf die Berufungsbeklagtenseite (nur gegen einen der ursprünglich zwei Beklagten ?) gewollt sei, würde es auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ankommen. Aus dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil oder sonstigen beigefügten Unterlagen könnten sich Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Besondere Bedeutung käme der Frage zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf nur einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Ansehung des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoff ungewöhnlich oder gar fernliegend sei (BGH, Beschluss vom 20.11.2018 - II ZR 196/16 -).
Es sei, richte sich das Rechtsmittel wie hier gegen ein Urteil, demzufolge in der Vorinstanz mehrere Streitgenossen obsiegten, im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Anfechtung gegen die gesamte Entscheidung (mithin auch alle Streitgenossen der Gegenseite) richte, wenn es keine Beschränkung erkennen lasse. Zwar könne sich aus dem Umstand, dass auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stünden, eine solche Beschränkung ergeben, wenn nur einige von ihnen in der Rechtsmittelschrift benannt würden. Was aber nicht zwingend sei. Der BGH habe bereits eine unumschränkte Berufungseinlegung bejaht, wenn in der Rechtmittelschrift nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der erste aus dem Urteilsrubrum des angefochtenen Urteils, benannt wurde (BGH, Beschluss vom 19.03.2019 - VI ZB 50/17 : BGH, Urteil vom 15.12.2010 - XII ZR 18/09 -).
Danach sei im Rahmen gebotener Auslegung davon auszugehen, dass Berufung gegen beide Beklagten eingelegt worden sei. Es sei im Zweifel dasjenige gewollt, das nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und dem recht verstandenen Interesse entspräche. Theoretische Zweifel (Zweifel ohne tatsächliche Anhaltspunkte) seien unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 15.03.2022 - VI ZB 20/20 -). Hier sei der erste die Beklagte aus dem angefochtenen Urteil als Berufungsbeklagte benannt und es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsverfahren nur gegen sie durchgeführt werden sollte (z.B. Berufungsanträge, aus denen sich dies ergeben würde). Auch sei es den Umständen hier fernliegend, dass die Berufung nur gegen die Beklagte zu 1. geführt werden sollte, da sich aus dem, angefochtenen Urteil ergäbe, dass der Beklagte zu 1. als Halterin und Fahrerin eines Pkw, die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherer des Pkw gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen wurden. Anhaltspunkte für eine sinnvolle Differenzierung zwischen den Beklagten lägen nicht vor. Zudem wäre es sinnlos, das Verfahren in der Berufung gegen die Beklagten zu 1. weiter zu betreiben und das Urteil gegen die beklagte Versicherung in Rechtskraft erwachsen zu lassen, da gem. § 124 Abs. 1 VVG ein klageabweisendes Urteil gegen den Versicherer auch zugunsten des Versicherungsnehmers wirke und von daher bereist die Berufung gegen das Urteil, welche nur gegen die Versicherungsnehmerin gerichtet wäre, unbegründet wäre.
BGH, Beschluss vom 07.03.2023
- VI ZB 74/22 -