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Donnerstag, 10. Februar 2022

Anwaltliche Pflichten bei Vergleichsabschluss und Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien. 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -

Dienstag, 24. August 2021

Kostenfestsetzung: Bei Kostenregelung im Vergleich ist Wortlaut entscheidend („außergerichtliche Kosten“)

Die Parteien hatten einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, in dem es u.a. heißt: „a) Die Parteien … sind sich einig, dass jede Partei ihre eigenen außergerichtlichen Kosten trägt. b)  Die gerichtlichen Kosten trägt die Beklagte…“. Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.10.2020 setzet das Landgericht die von der Klägerin zur Festsetzung angemeldeten Kosten einschließlich der im gerichtlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten der Klägerin gegen die Beklagte fest und verwies darauf, dass sich die Regelung zu den außergerichtlichen Kosten auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten beziehe, für die im verfahren entstandenen Anwaltsgebühren die Regelung zu den Gerichtskosten entsprechend gelten würde. Die Beklagte legte gegen Beschluss Beschwerde ein, soweit Anwaltsgebühren der Klägerin mit festgesetzt wurden. Der Beschwerde wurde vom OLG stattgegeben.

Das OLG verwies darauf, dass es für eine Auslegung des Vergleichs zu den Kosten, wie vom Landgericht vorgenommen, keinen Raum gäbe. Im Kostenfestsetzungsverfahren sei die Kostenvereinbarung eines gerichtlichen Vergleichs an Han des Wortlauts umzusetzen. Unstatthaft sei es, andere Umstände als den Text des Kostentitels heranzuziehen und zu würdigen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21.09.2015 - 14 W 585/15 -).  Zwar sei eine Auslegung nach der allgemeinen Regelung des § 133 BGB möglich, doch habe sich diese stets am Wortlaut der Kostengrundentscheidung zu orientieren und sich damit an das zu halten, was in der Kostenentscheidung erkennbar zum Ausdruck gebracht würde (OLG Hamm, Beschluss vom 28.04.1989 - 23 W 152/89 -). Nicht im Kostentitel angedeutete Umstände dürften damit nicht zur Würdigung herangezogen werden.

Vorliegend gäbe der Vergleichstext, „dass jede Partei ihre eigenen außergerichtlichen Kosten trägt“, nichts dafür her, dass die Parteien damit lediglich die Verteilung außergerichtlicher Kosten regeln wollten und in Bezug auf die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten eine Verteilung unter der Regelung „Die gerichtlichen Kosten trägt die Beklagte“ fallen sollte.

Nach dem allgemeinen Verständnis des verwandten Adjektivs seien gerichtliche  Kosten nur die Gerichtskosten, die Teil der Kosten des Rechtstreits seinen und bei denen es sich ausschließlich um gerichtliche Gebühren und Auslagen iSv. § 1 Abs. 1 GKG handele. Als außergerichtliche Kosten würden gemeinhin die Kosten des Rechtstreits bezeichnet, die nicht zu den Gerichtskosten gehören würden. Anwaltsgebühren seien damit insoweit Prozesskosten und würden zu den außergerichtlichen Kosten zählen, als mit ihnen eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren vergütet würde (BGH, Beschluss vom 22.12.2004 - XII ZB 94/04 -); die Kosten vorgerichtlicher anwaltlicher Tätigkeit seinen davon nicht umfasst.

Ergänzend verwies das OLG darauf, dass vorgerichtliche Kosten anwaltlicher Tätigkeiten auch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen seien, und damit kein Reglungsbedarf bestanden habe. Anzumerken ist dazu allerdings, dass es den Parteien obliegt, ob sie über den Streitgegenstand des Rechtsstreits hinaus einen Vergleich schließen, dass vorgerichtliche außergerichtliche Anwaltsgebühren vergleichsweise mit reguliert werden sollen (gebührenrechtlicher Mehrwert des Vergleichs). Da aber außergerichtliche Anwaltskosten einer Partei nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung sein können, sich hier für einen Mehrvergleich auch aus dem Kostentitel des Vergleichs nichts ergibt, zudem jedenfalls auch die namentlich benannten Gerichtskosten nicht die im Verfahren entstandenen Anwaltsgebühren mitumfasst, die Kostenregelung zu den außergerichtlichen Anwaltskosten dem üblichen Sprachgebrauch für die Kosten der durch das Gerichtsverfahren entstandenen anwaltlichen Vergütung entspricht, ist die Entscheidung zutreffend. Darüber hinaus würde es, wenn man unter den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Bezug auf eine Regelung zu vorgerichtlichen Kosten folgen wollte, an einer Kostenregelung zu den im Gerichtsverfahren entstandenen Anwaltsgebühren ermangeln und dann diesbezüglich auch bezüglich dieser bei einer Kostenaufhebung verbleiben, da dies mangels einer abweichenden Vereinbarung in § 98 ZPO entsprechend geregelt ist. Von daher kann der Hilfserwägung des OLG nicht gefolgt werden, wenn auch im übrigen die Entscheidung zutreffend ist.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.03.2021 - 2 W 473/21 -

Mittwoch, 17. Februar 2021

Befristeter Verjährungsverzicht ist unabhängig vom Ablauf der Verjährung

 

Die Parteien stritten darüber, ob bereits zum Zeitpunkt der Erhebung einer Klage Verjährung eingetreten sei und die Beklagte erfolgreich die Einrede der Verjährung erheben könne. Mit dem Datum vom 04.02.2004 hatte die Klägerin die Einleitung eines (grundsätzlich die Verjährung hemmenden, sollte sie nicht bereits eingetreten sein) Schlichtungsverfahren beantragt. Mit Schreiben vom 27.11.2006 gab die Beklagte die Beklagte die Erklärung ab, dass sie sich „weiterhin bis einschließlich 31.12.2007 nicht auf die Einrede der Verjährung … berufen“ würde. Das Kammergericht ist im Berufungsrechtszug davon ausgegangen, dass mit dem Einleitung bzw. Beendigung des Schlichtungsverfahrens in Ansehung dieser Erklärung die Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Dem folgte der BGH im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht und verwies den Rechtstreit an das Kammergericht zurück, da bisher vom Kammergericht nicht festgestellt worden sei, wann die Verjährungsfrist zu laufen begann und ob danach eine Verjährung bereits vor dem 31.12.2007 eintrat oder durch die Klageerhebung 2009 noch gehemmt werden konnte.

Das Kammergericht war der vom BGH nicht geteilten Rechtsauffassung, beide Parteien seien der Ansicht gewesen, dass die Verjährung eines möglichen Anspruchs der Klägerin bereits bei Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 eingetreten sei; da die Beklagte mit dem Schreiben vom 27.11.2006 „weiterhin“ auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe, könne dieser Verzicht nur so verstanden werden, dass die Frist mit Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 neu zu laufen beginnen solle und ab diesem Zeitpunkt bzw. dem Endes des Schlichtungsverfahrens am 12.11.2007 die Frist von neuem zu laufen beginnen soll und durch die Erhebung der Klage in 2009 erneut gehemmt worden sei.

Für die Entscheidung kam es auf die Auslegung der Erklärung der Beklagten vom 27.11.2007 an.  Auch wenn die Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich dem Tatrichter unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB in umfassender Gesamtwürdigung aller Umstände obliegen würde, könne dies vom Revisionsgericht darauf geprüft werden, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denk- und Erfahrungssätze vorlägen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe. Derartige Rechtsfehler nahm der BGH hier an.

Das Kammergericht sie bereits fehlerhaft davon ausgegangen, dass nach dem Antragsschreiben vom 04.02.2004 auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens die Parteien von einer zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Verjährung ausgegangen seien. Am Schluss des Antragsschreibens sei von einer drohenden Verjährung zu einem späteren Zeitpunkt (16.04.2004) die Rede.

Der BGH stellt darauf ab, dass es sich vorliegend um einen befristeten Verjährungsverzicht handele, der den Ablauf der Verjährung selbst nicht beeinflusse. Der Verjährungsverzicht habe regelmäßig zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen sei. Dieser Verzicht würde den Gläubiger von der alsbaldigen Erhebung der Klage (vor Ablauf des Zeitraums) entbinden. Erhebe er allerdings nicht innerhalb des Zeitraums Klage, könne sich der Gläubiger bei einer Klage nach Ablauf des Zeitraums wieder auf die Einrede der Verjährung berufen. Erfolge die Klage innerhalb des Zeitraums, würde der Verzicht auf die Einrede greifen und in diesem Fall auch über die Frist hinaus wirken. Allerdings gelte dies nur für den Hemmungstatbestand der Klage, es sei denn der Schuldner habe anderweitiges erklärt.

Für eine darüberhinausgehende Wirkung des Verjährungsverzichts bedürfe es besonderer Anhaltspunkte, so für einen vom Kammergericht angenommen neuen Lauf der Verjährungsfrist. Diese Anhaltspunkte müssten erkennen lassen, dass ein über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehender Verzichtswille des Schuldners bestand. Derartiges ließe sich nicht feststellen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verzicht im vorgenannten Sinn entgegen der Auffassung des Kammergerichts auch dann Sinn machen würde, wenn nach Annahme der Parteien zu dem Zeitpunkt des Verzichts die Verjährung bereits eingetreten sein sollte, das Schlichtungsverfahren die Verjährung also nicht mehr hätte hemmen können. Denn durch den Verzicht konnte die Klägerin ungeachtet einer bereits eingetretenen Verjährung den Ausgang des Schlichtungsverfahrens abwarten und bis Ende 2007 Klage erheben. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung noch nicht festgestanden habe, dass das Schlichtungsverfahren bis zu, 31.12.2007 abgeschlossen ist, bestand jedenfalls für die Klägerin die Chance, dass die Beklagte die Verzichtserklärung bei längerer Dauer des Schlichtungsverfahrens verlängert.

BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 285/19 -

Montag, 18. November 2019

Gartenpflege und (nicht genehmigtes) Entfernen von Bäumen durch Mieter


In einem schriftlichen Mietvertrag zwischen den Klägern als Vermieter und den Beklagten als Mieter über ein Einfamilienhaus war vorgesehen, dass die Beklagten auch die Gartenpflege übernehmen, ohne dass allerdings dort Art und Umfang näher bestimmt worden wären. Insbesondere war dort auch nicht dazu geregelt, ob die Beklagten Bäume entfernen könnten, was durch diese erfolgte.  Die Kläger wollten deshalb Schadensersatz. Das Amtsgericht wies die Klage ab; auf die Berufung hob das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil auf, und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht (zur Beweisaufnahme) zurück.

Problematisch war im vorliegenden Fall (wie häufig im Zusammenhang mit entsprechenden mietvertraglichen Regelungen) eine hinreichend klare Bestimmung, was im Einzelnen die Mieter zur Gartenpflege tun mussten resp. auch nicht tun durfte. Das Landgericht betrachtete dies im Licht des § 305c Abs. 2 BGB (Unklarheitenregelung zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen). Im Allgemeinen würde man den Mieter nicht als befugt ansehen können, ohne ausdrückliche Genehmigung Pflanzen (Bäume) im Rahmen der übernommenen Gartenpflege zu entfernen, so das Landgericht. Es kann sogar vom Gegenteil ausgegangen werden: Der Mieter ist grundsätzlich nur zu einfachen Arbeiten bei übernommener Gartenpflege, wird nichts weiteres vereinbart, verpflichtet, wie Unkrautjäten, Rasenmähen, Laub rechen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2004 – 10 U 70/04 -). Der Umfang möglicher Verpflichtungen des Mieters ist aber gegenüber dem Recht des Mieters getrennt zu betrachten. Das Landgericht stellt auf § 10 des Mietvertrages ab, in dem zur „Benutzung der Mietsache“ zwar einige Verhaltenspflichten im Detail benannt und geregelt seien, ferner allgemein von „Um-, An- und Einbauten sowie Installationen oder andere Veränderungen der Mietsache“ spräche ohne konkret die Gartenpflege zu benennen, könne im Umkehrschluss auch eine Erlaubnis zur Beseitigung von (jedenfalls optisch störenden ) Gehölzen angenommen werden.  Es könne auf sich beruhen, ob diese Auslegung zutreffend sei, da es für die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zu Gunsten des Mieters (da der AGB-Mietvertrag vom Vermieter gestellt wurde) ausreiche, wenn zwei unterschiedliche vertretbare Auslegungsvarianten existieren würden (BGH, Urteil vom 19.12.2018 - VIII ZR 254/17 -).

Wenn auch danach die Klageabweichung durch das Amtsgericht an sich gerechtfertigt wäre, ergab sich vorliegend die Besonderheit, dass nach (bestrittenen aber klägerseits unter Beweis gestellten) Vortrag der Kläger vor Unterzeichnung von diesen den beklagten mehrfach erklärt worden sei, da0ß weder Efeu an der Hauswand noch Bäume ohne Zustimmung der Kläger entfernt oder gefällt werden dürften. Es sei damit auch hier nach §§ 133, 157 BGB bei der Auslegung der Willenserklärung der wirkliche Wille der Parteien unter Berücksichtigung des objektiven, am Wortlaut auszumachenden Willens zu klären. Diese Begleitumstände habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, was nachzuholen sei.

LG Berlin, Urteil vom 25.06.2019 - 67 S 100/19 -

Sonntag, 18. August 2019

Städtebaulicher Vertrag über den Kauf eines Grundstücks und Dauer des Wiederkaufsrechts der Gemeinde


Der Kläger kaufte am 17.09.1996 von der beklagten Stadt  ein in einer ehemaligen Kleingartenanlage, die von der Stadt in 1959 in ein Siedlungsgebiet umgewandelt wurde, zum Preis von DM 101.790,00 ein 552qm großes  Grundstück, wobei zwischen den Parteien Streit bestand, ob dies einen Preisnachlass von 20% oder 29% vom Wert darstellt. Im Gegenzug zu dem Preisnachlass erhielt die Beklagte ein Wiederkaufsrecht von 30 Jahren, beginnend mit dem Eigentumserwerb, u.a. für den Fall, dass der Kläger das Grundstück Dritten ganz oder teilweise verkauft oder zur eigentumsähnlichen Nutzung überlässt. Die Wahrung des Eigentums an dem Grundstück erfolgte am 06.05.1999 im Grundbuch. Nachdem der Kläger die Beklagte 2013 darüber informierte, dass er das Grundstück verkaufen wolle, bot ihm diese an, gegen Zahlung von € 47.078,78 auf das Wiederkaufsrecht, welches nach ihrer Ansicht am 16.03.2017 ende, zu verzichten. Der Kläger zahlte den Betrag unter Vorbehalt der Klärung der Wirksamkeit des Wiederkaufsrechts und verkaufte mit Vertrag vom 01.02.2016 das Grundstück zu € 335.000,00.

Die Klage auf Rückzahlung der € 47.078,78 war erfolgreich. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zurück. Auf die Revision der Beklagten änderte das Landgericht das Urteil unter Abweisung der Klage ab.

Nach Auffassung des BGH stünde dem Kläger kein Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt auf Rückzahlung des unter Vorbehalt gezahlten Ablösebetrages zu.

Zutreffend sei allerdings die Auffassung des OLG, dass die Regelung zum Wiederkaufsrecht im Hinblick auf die Dauer von 30 Jahren nichtig sei, § 134 BGB. Sie stelle sich sowohl nach § 6 Abs. 3 S. 4 BauGB-MaßnahmenG idF. Vom 22.04.1993 (jetzt: § 11 Abs. 2 S. 1 BauGB) als auch nach § 9 Abs. 1 AGBG (iVm. Art. 229 § 5 S. 1 EBGB) als eine unangemessene Vertragsbestimmung dar (dabei ließ es dahingestellt ob, Klauseln eines privatrechtlichen städtebaulichen Vertrages nach dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen zum 31.12.1994 alleine an den Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 1 BauGB oder auch an §§ 307ff BGB zu messen seien, da der Vertrag vorher geschlossen wurde). Nach § 6 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG 1993 müssten in Ansehung des Ziels der Bauleitplanung, die Nutzung entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplanes oder die Deckung des Wohnbedarfs,  die in dem städtebaulichen Vertrag vereinbarten Leistungen insgesamt angemessen sein. Das bedeute, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung des Gesamtvorgangs die Gegenleistung nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung und dem Wert der von der Behörde erbrachten / zu erbringenden Leistung stünde und auch ansonsten die Übernahme von Pflichten zu keiner unzumutbaren Belastung für den Vertragspartner der Behörde führen würfe. Dieser Prüfungsmaßstab gelte auch im Rahmen von § 9 AGBG. Danach sei die an sich zulässige Bindungswirkung im Hinblick auf deren Dauer von 30 Jahren unwirksam. Dies würde auch bei einem von der Beklagten behaupteten Nachlass von 29% gelten. Es handele sich um eine Beschränkung im Rahmen einer Subventionierung durch die öffentliche Hand, bei der die den Käufer auferlegten Bedingungen nicht zu einer unzumutbaren Belastung führen dürften. Es bedürfe also einer zeitlichen Begrenzung zur Ausübung des Wiederkaufsrechts im Verhältnis zu Höhe des Nachlasses. Besondere Umstände, die hier diese Bindungsdauer rechtfertigen könnten lägen nicht vor. Weder habe die Subventionierung über dem üblichen Rahmen (bei Einheimischenmodellen idR. 30%) gelegen, noch seien andere diese Dauer rechtfertigende Umstände erkennbar.

Die Nichtigkeit der zeitlichen Komponente führe aber nicht auch zur Nichtigkeit des vereinbarten Wiederkaufs als solchem. Die Lücke sei durch §§ 157, 133 BGB zu schließen. Das Verbot der geltungserhaltendem Reduktion von Klauseln nach §§ 9ff AGBG (heute: §§ 307ff BGB)  gelte nichts ausnahmslos. Bei Fehlen gesetzlicher Regelungen, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten (vgl. § 306 Abs. 2 BGB) würde die ersatzlose Streichung der Klausel zu einem Ergebnis, dass den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das gesamte Vertragsgefüge einseitig zugunsten des Vertragspartners des Verwenders verschiebe, so dass diesem ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar wäre, käme keine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht (BGH, Urteil vom 16.04.2010 - V ZR 175/90 - zu § 306 Abs. 3 BGB; BGH, Urteil vom 06.07.2016 - IV ZR 44/15 -). Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG würde die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragspartner unter Berücksichtigung ihrer beiderseitigen Interessen durch eine materielle Ausgewogenheit ersetzt und so ihre Gleichheit wiederhergestellt (BGH, Urteil vom 06.04.2013 - VIII ZR 80/12 -).

Die Beklagte habe dem Kläger das Grundstück zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis verlauft, was ihr in Ansehung des Gebots der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel nur gestattet sei, wenn dies der Erfüllung legitimer öffentlicher Aufgaben diene und die zweckentsprechende Mittelverwendung sichergestellt sei (§ 90 GO NRW). Das zeitlich befristete Wiederkaufsrecht würde mithin erst die Grundlage für den Verkauf begründen können. Die ersatzlose Streichung der Klausel würde dazu führen, dass der Vertrag insgesamt keinen Bestand mehr haben könnte, käme es nicht zu einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. § 6 Abs. 3 AGBG (jetzt: § 306 Abs. 3 BGB) (dazu EuGH, Urteil vom 07.08.2018  C-96/16 und C-94/17; BGH vom 16.04.2016 - VIII ZR 79/15 -). Durch die Nichtigkeit der Klausel insgesamt und damit dem fehlenden Bestand für den Vertrag  würde der Kläger entgegen der Zielsetzung des Unionsgesetzgebers eines bestmöglichen Verbraucherschutzes schlechter gestellt als durch eine ergänzende Vertragsauslegung.

Die ergänzende Vertragsauslegung habe nach dem objektivierten hypothetischen Parteiwillen so zu erfolgen, dass ein Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien wiederhergestellt  und die materielle Ausgewogenheit gewahrt würde. Ausgehend von einem vom Kläger behaupteten Preisnachlass von 20% würde dies bei einer Dauer des Wiederkaufsrechts von 20 Jahren der Fall sein. Eine solche Frist diene dem von der Gemeinde verfolgten Zweck der Verhinderung einer Grundstücksspekulation und stelle zugleich eine adäquate Gegenleistung des Käufers für den verbilligten Erwerb dar.

Da die Weiterveräußerung rund 17 Jahre nach der grundbuchlichen Wahrung bzw. 19,5 Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages erfolgte, könne der Kläger den Ablösebetrag nicht zurückverlangen.

BGH, Urteil vom 15.02.2019 - V ZR 77/18 -

Sonntag, 3. Januar 2016

Schwarzgeldabrede und notarieller Kaufvertrag

Auch wenn es verwunderlich ist, so ist doch eine Schwarzgeldabrede auch bei notariellen Kaufverträgen zwischen fremden Dritten nicht ein Ausnahmefall. Immer wieder kommt dies vor, da z.B. der Käufer die Grunderwerbsteuer (auf den Schwarzgeldanteil) sparen will, der Verkäufer eventuell Teile des Erlöses versteuern muss. Dabei denken wohl Käufer als auch Verkäufer, dass durch die Wahrung der Auflassung im Grundbuch (d.h. die Eigentumsumschreibung, § 311 b BGB, der durch die Schwarzgeldabrede nichtige Vertrag gleichwohl wirksam würde (wenn die Vertragsparteien sich überhaupt weitergehende Gedanken über Risiken machen sollten).

So wohl auch in dem dem OLG Hamm zur Entscheidung vorgelegten Fall: Es geht um eine Teilfläche eines Grundstücks. Mit notariellen Vertrag erwarb der Kläger ein Grundstück, welches im Kaufvertrag mit „G3 8, Flst…., Gebäude- und Freifläche, T-Straße, groß 657m²“ angegeben wurde. Dafür zahlte er gemäß notariellen Vertrag € 130.000,00 und zusätzlich „schwarz“ € 13.000,00. Später stellte in Vermesser fest, dass der kaufgegenstand noch mehr Fläche umfasste, als von den Parteien bei Abschluss des Kaufvertrages angenommen. Der Kläger begehrte daher die Auflassung einer weiteren Teilfläche des Grundstücks.

Klage und Berufung waren erfolglos.


Der Kaufvertrag war wegen der Schwarzgeldabrede nichtig, da es an dem Beurkundungserfordernis fehlte, § 311b BGB. Zwar wird die fehlende Form bei Wahrung der Auflassung gem. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB geheilt. Dies gilt aber, so das OLG Hamm, dann nicht, wenn sich wie hier die Parteien über den Verkauf eines Grundstücks einigten, welches einen größeren Umfang hat als nach dem objektiven Erklärungswillen im Kaufvertrag vorgegeben und danach auch aufgelassen wurde. Der Grundsatz der falsa demonstratio non nocet (§ 133 BGB)  gilt nicht im Grundbuchrecht. 

OLG Hamm, Urtel vom 25.06.2015 - 22 U 166/14 -