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Sonntag, 15. Januar 2023

Der Erdrutsch in der Wohngebäudeversicherung

Der Kläger machte gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Wohngebäudeversicherung geltend, die auch auf Elementarschäden wie Erdrutsche deckte. In den Versicherungsklauseln hieß es dazu „Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen.“ Das klägerische Grundstück lag am vorderen Rand einer vor ca. 80 Jahren aufgeschütteten Terrasse. In 2018 zeigte der Kläger der Beklagten Rissbildungen an seinem Wohnhaus an, die sich durch eine Rutschung des Untergrundes verursacht würden. Die Beklagte lehnte einen versicherungsvertraglichen Anspruch ab. Klage und Berufung blieben erfolglos; auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an dieses zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht hatte das Vorliegen eines die Beklagte leistungsverpflichtenden Erdrutsches negiert, da darunter ein sinnlich wahrnehmbarer Vorgang und nicht, wie hier nach Vortrag des Klägers, eine sich langsam über Jahre vollziehende Erdbewegung zu verstehen sei. Dem folgte der BGH nicht. Vielmehr würden mit der Klausel auch Schäden gedeckt, die durch allmähliche, nicht augenscheinlich naturbedingte Bewegungen von Gesteins- oder Erdmassen verursacht würden.

Der BGH wies darauf hin, dass in Rechtsprechung und Literatur streitig sei, ob eine Klausel wie vorliegend unter „Erdrutsch“ ein mit Geschwindigkeit ablaufendes Ereignis verlange, dass dies sinnlich wahrnehmbar sei, oder auch ein über längere Zeit unmerkliches Verlagern von Bodenbestandteilen. Der letzteren Ansicht gab der BGH den Vorzug. Dies ergäbe sich aus der Auslegung.

Allgemeine Versicherungsbedingungen seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstünde, ohne dass versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse vorhanden sein müssten (BGH, Urteil vom 26.01.2022 - IV ZR 144/21 -).

Dieser Versicherungsnehmer würde, wenn sich Bodenbestandteile über einen längeren Zeitraum verlagern und hierdurch Schäden in Form von Rissbildungen am versicherten Gebäude verursachen, zunächst vom Wortlaut der Bedingungen ausgehen, wobei für ihn der tägliche Sprachgebrauch und nicht etwa die Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend sei (BGH, Urteil vom 29.03.1017 - IV ZR 533/15 -). Es käme damit entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht auf eine terminologische Unterscheidung in der Geologie an. Ausgangspunkt sei für den maßgeblichen durchschnittlichen Versicherungsnehmer die in der Klausel enthaltene Definition für Erdrutsch, nach der er erkennen würde, dass der versicherte Tatbestand mit einem naturbedingten Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen zwei unterschiedliche Vorgänge einschließe. Nach denen sei zwar mit dem Begriff des „Abstürzens“ ein plötzliches Ereignis gegeben, in der Alternative des „Abgleitens“ aber nicht gefordert würde. Unter „Abgleiten“ sei nach allgemeinen Sprachgebrauch (Duden) ein Haftungs- und Haltverlust und eine unbeabsichtigte Bewegung seitwärts und nach unten umschrieben. In Ermangelung entsprechender Klarstellung würde sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus der Klausel auch nicht entnehmen lassen, dass sich die sinnlich nicht wahrnehmbare Erdbewegung über einen längeren Zeitraum nicht unter den Tatbestand falle. Was unter „Rutschen“ nach allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird, sei in Ansehung der eigenständigen Definition des Begriffs „Erdrutsch“ nicht entscheidend. Dass die Klausel ein Abgleiten oder Abstürze von Gesteins- oder Erdmassen verlange, führe nicht dazu, dass dies eine Mindestgeschwindigkeit haben müsse, also Kriechvorgänge vom Versicherungsschutz ausgenommen wären.

Auch aus dem Sinn und Zweck des Leistungsversprechens ergäbe sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nichts anderes. Durch einen Vergleich mit anderweitigen Regelungen in der Elementarversicherung (wie z.B. Überschwemmung, Rückstau, Vulkanausbruch, Erdbeben, Erdfall, Schneedruck, Lawinen) könne er nicht die Erkenntnis erlange, nur deutlich wahrnehmbare Vorgänge seien versichert. Eine Plötzlichkeit sei - mit Ausnahme für den Vulkanausbruch - nach dem Wortlaut der Bedingungen dort gerade nicht gefordert.

Die Zurückverweisung erfolgte, da Feststellungen zur Ursächlichkeit der Rissbildungen bisher nicht getroffen wurden.

BGH, Urteil vom 09.11.2022 - IV ZR 62/22 -

Dienstag, 28. Juni 2022

Wann liegt ein versicherter Überschwemmungsschaden vor ?

Auf die Berufung des Klägers gegen ein klageabweisendes Urteil erließ das Kammergericht (KG) als Berufungsgericht einen Hinweisbeschluss, mit dem es seine Absicht, die Berufung wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen, begründete. Dem Kläger sei nicht der Nachweis des Eintritts eines Versicherungsfalls in der Gebäudeversicherung infolge eines Unwetters mit Starkregen vom 29. bis 30.06.2017 gelungen.

Nach Teil B § 4 Nr. 1 d) der maßgeblichen AVB würde ausgeführt, dass Entschädigungen für versicherte Sachen geleistet würden, die durch Überschwemmung zerstört oder beschädigt würden. Als Überschwemmung sei in den AVB definiert eine Überflutung des Grund und Bodens, auf dem das versicherte Gebäude stünde. Dies müsse durch Ausuferung von oberirdischen Gewässern oder Witterungsniederschlägen erfolgen. Auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer würde damit erkennen, dass nicht alle durch Witterungsniederschläge verursachten Gebäudeschäden vom Versicherungsschutz erfasst würden. Schutz bestehe nur für bestimmte Risiken, hier starke Niederschläge, wobei dieser alleine nicht ausreiche, da hinzukommen müsste, dass das Gelände (Grund und Boden) überflutet werden müssten.  Eine Überschwemmung liege nicht schon deshalb vor, da Wassert in den Keller dringe. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer würde unter einer Überschwemmung verstehen, dass Wasser in erheblichem Umfang meist mit schädlicher Wirkung nicht auf normalen Weg abfließe, sondern über sonst nicht genutzte Gelände und diese überflute (BGH, Urteil vom 21.05.1964 - II ZR 9/63 -). Neben dieser Überflutung durch Ansammlung auf der Geländeoberfläche käme auch eine Überflutung von Hanggrundstücken in Betracht, was dann vorläge, wenn starker Regen auf den in einem Maß niedergehen würde, dass dieser weder vollständig versickert noch geordnet über natürliche Wege (Rinnen, Furchen) sturzbachartig abfließe. Keine Überschwemmung läge vor, wenn sich auf dem Gelände Pfützen bilden würden oder das Erdreich die Sättigungsgrenze erreicht habe, aber das Wasser noch nicht über der Erdoberfläche stünde. Auch sei nicht gefordert, dass die gesamte Grundstücksfläche überflutet sei; ausreichend sei, dass so viel Niederschlagswasser niedergeht, dass sich das Regenwasser vor dem Versickern auf dem Boden kurzfristig sammle und während dieser Phase dann Wasser in ein Gebäude eindringe.

Dem Kläger obliege die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein versicherter Schaden vorliegt, weshalb er hier die Voraussetzungen für einen Überschwemmungsschaden dartun aber auch beweisen müsse; das KG stellet dabei auf einen Vollbewies nach § 287 ZPO ab.  Einen solchen Umstand habe der Kläger, der selbst nicht anwesend war, selbst nicht gesehen und er sei auch von den Zeugen nicht bestätigt worden. Der Hinweis des Klägers, in der Vergangenheit habe sich ein ähnlicher Schaden (eindringendes Wasser) nie gezeigt, auch nicht bei nachfolgenden starken Niederschlägen, wurde vom OLG mit Hinweis darauf als unbeachtlich angesehen, dass dies alleine bedeuten könne, dass soviel Niederschlagswasser am Schadenstag niedergegangen sei, dass es zwar schadensursächlich wurde, was aber nicht belege, dass der Grund und Boden unter Wasser gestanden haben muss.

Damit würde es sich um nicht versicherte Möglichkeiten der Schädigung des Gebäudes durch eindringendes Regenwasser handeln.

Soweit der Kläger aus dem Schadenseintritt durch einen Wassereinbruch im Keller über einen Kellerlichtschacht rückschließen will, dass es einen Versicherungsfall gegeben habe, verkenne er, dass die von ihm nachzuweisende Kausalkette in der entgegengesetzten Richtung geführt werden müsse. Zunächst müsse nachgewiesen werden, dass es vor dem Schadenseintritt Witterungsniederschläge gegeben habe. Sodann müsse der Kläger nachweisen, dass diese Niederschläge zu einer Überflutung von Grund und Boden geführt hätten. Danach wäre vom Kläger der Nachweis zu führen, dass diese Überschwemmung kausal (oder zumindest mitursächlich) für den Schadenseintritt am Gebäude gewesen sei. Wenn versickertes Wasser in das Gebäude eindringe, läge kein Versicherungsfall vor.

Nach dem Hinweisbeschluss wurde die Berufung zurückgenommen.

Kammergericht, Beschluss vom 13.07.2021 - 6 U 70/21 -

Montag, 13. Juni 2022

Fehlende Befugnis zur Prozessvertretung des Versicherungsnehmers durch Haftpflichtversicherer

Im Rahmen der auf § 3a UWG (Rechtsbruch) gestützten, wettbewerbsrechtlichen Klage eines Rechtsanwalts gegen eine Haftpflichtversicherung musste sich letztinstanzlich der BGH mit der Frage auseinandersetzen, ob der Haftpflichtversicherer für seinen Versicherungsnehmer – soweit eine anwaltliche Vertretung nicht zwingend vorgeschrieben ist (z.B. bei Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht), also im sogenannten Parteiprozess ohne Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung, die Prozessvertretung übernehmen darf, also im . Hintergrund war gewesen, dass der Haftpflichtversicherer für seinen Versicherungsnehmer Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid einlegte.

Das Landgericht hatte der Klage gegen den Haftpflichtversicherer stattgegeben. Die Berufung des Haftpflichtversicherers war erfolgreich. Der Rechtsanwalt hat die (vom Berufungsgericht zugelassene) Revision eingelegt, die zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden Urteils des Landgerichts führte.

Eine Vertretungsberechtigung ergäbe sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht aus § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO, wonach Familienangehörige, Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit stünde, diese Vertretung übernehmen könnten. Der Anwendungsbereich der Norm könne nicht überseinen Wortlaut hinaus erweitert werden dahingehend, dass dem dort benannten Streitgenossen ein Versicherungsunternehmen gleichstünde, dem ein Recht zur Nebenintervention (§§ 66, 68 ZPO) zustünde. Die Analogie sei nur bei planwidriger Regelungslücke zulässig, an der es hier fehle. Es lasse sich nicht erkennen, dass es der gesetzgeberischen Regelungsabsicht widerspreche, zwar Streitgenossen der Partei eine Vertretung zu erlaube, nicht aber Personen, denen nach §§ 66, 68 ZPO das Recht zur Nebenintervention zustünde. Der Begriff des Streitgenossen sei in der ZPO an einem anderen Ort als die Bestimmungen über Beteiligung Dritter (so die Nebenintervention) am Verfahren geregelt. Es handele sich um eine eindeutige Begriffswahl.

Zudem läge auch keine vergleichbare Interessenslage zwischen dem Streitgenossen und dem Nebenintervenienten vor. Die Zulassung des Streitgenossen diene der Prozessökonomie, da diese bereits als Partei auf Kläger- oder Beklagtenseite am Rechtsstreit auf gleicher Seite beteiligt seien. Mit dieser der Erleichterung des Verfahrens bezogenen Rechtfertigung sei die Stellung eines zur Nebenintervention Berechtigten nicht vergleichbar. Die prozessökonomische Wirkung entfalte ihre Wirkung erst im Folgeprozess, insoweit er nach § 68 von bestimmten Einwendungen in einem Verfahren mit der Partei, der er beigetreten ist, im Folgeprozess ausgeschlossen ist.

Zudem sei die Vertretung im Rahmen des § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO bei einer entgeltlichen Tätigkeit ausgeschlossen. Dabei käme es nicht darauf an, ob ein Entgelt für die Prozessvertretung als solche vereinbart sei (BT-Drucks. 16/3655, S. 87); die Prozessvertretung dürfe auch nicht Teil einer entgeltlichen Vertragsbeziehung (wie sie zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer bestünde) sein. Hier sei der Haftpflichtversicherer im Rahmen des entgeltlichen Versicherungsvertrages verpflichtet, bei von einem Dritten gegen den Versicherungsnehmer geltend gemachten Ansprüchen diesen freizustellen und unbegründete Ansprüche abzuwehren, § 100 VVG. Die Versicherung umfasse die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, § 101 Abs. 1 S. 1 VVG. Damit sei die Vertretung durch den Haftpflichtversicherer als entgeltlich anzusehen.

Auch Art. 12 Abs. 1 GG, der die Berufsausübungsfreiheit beinhalte, gebiete es nicht, dem Haftpflichtversicherer eine Vertretungsbefugnis nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO zuzubilligen. Zwar würde seine Berufsausübung eingeengt, wenn ihm das Recht zur Prozessvertretung nicht zuerkannt würde, da diese Einschränkung gerechtfertigt und nicht verfassungswidrig sei. Der Eingriff sei durch Gründe des Gemeinwohls begründet. § 79 Abs. 2 ZPO diene dem Schutz der rechtssuchenden Bevölkerung und der funktionierenden Rechtspflege und damit übergeordneten Gemeinwohlzielen (BGH, Urteil vom 20.01.2011 – I ZR 122/09 -; nachfolgend BVerfG, Beschluss vom 20.04.2011 – 1 BvR 624/11 -).  

Da es dem Haftpflichtversicherer möglich sei, nach einem Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid (Anm.: den der Versicherungsnehmer selbst einlegen kann) dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beizutreten bestünde für ihn kein schutzwürdiges Interesse, die Hauptpartei als Prozessbevollmächtigter zu vertreten. Auch der Umstand, dass der Haftpflichtversicherer über vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen im Versicherungsrecht und über qualifiziertes Personal mit der Befähigung zum Richteramt verfüge käme es nicht an.

Anmerkung: Es ist bei vielen Versicherungsgesellschaften üblich, dass sich diese von dem Versicherungsnehmer den Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheid zusenden lassen, um dann selbst den Widerspruch bzw. Einspruch einzulegen. So wollen sie sicherstellen, dass das Rechtsmittel korrekt und fristwahrend eingelegt wird. Auch vertreten sie den Versicherungsnehmer in einigen Fällen direkt vor Gericht und Sachbearbeiter der Versicherung nehmen die Termine wahr. Der BGH hat klargestellt, dass dies unzulässig ist.  Zur Konsequenz hat dies, dass ein derartiges Verhalten nicht nur (wie hier) eine Abmahnung nach § 3a UWG begründen kann. Vielmehr dürfte die prozessuale Handlung als solche unzulässig sein, dass das Rechtsmittel (Widerspruch oder Einspruch) oder die Klageverteidigung für den Versicherungsnehmer unwirksam ist und als Folge Vollstreckungsbescheide ergehen können bzw. solche nicht rechtzeitig mit dem Rechtsmittel des Einspruchs angefochten wird, bzw. bei einer Klageverteidigung dies nicht beachtet wird (da die unwirksam ist) und Versäumnisurteil ergeht. Die Versicherungen müssen ihre Versicherungsnehmer darauf hinweisen, dass diese - ist ein gerichtliches Verfahren zu erwarten - selbst sofort bei Zugang von Mahn- oder Vollstreckungsbescheid den Rechtsbehelf einlegen und sich im Übrigen, bei einem streitigen Verfahren, überlegen, ob sie gemäß den Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt stellen oder, wollen sie die Vertretung vor Gericht selbst übernehmen (soweit nicht anwaltliche Vertretung vorgeschrieben ist) dem Rechtsstreit auf Seiten ihres Versicherungsnehmers durch Nebenintervention beitreten.

BGH, Urteil vom 10.03.2022 - I ZR 70/21 -

Samstag, 3. Juli 2021

Rechtskrafterstreckung des klageabweisenden Urteils gegen Kfz-Haftpflichtversicherung

Der Schwiegersohn der Beklagte parkte im September 2015 deren Fahrzeug VW Touran am Fahrbahnrand in einer Kurve und öffnete die Fahrertür. Der Ehemann der Klägerin fuhr mir einen Pkw Hyundai an dem Fahrzeug der Beklagten unter Inanspruchnahme der Gegenfahrspur vorbei und kollidierte mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer. Zunächst erhob die Klägerin Klage gegen den Schwiegersohn der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer (Pflichtversicherer) des VW Touran. Das Amtsgericht wies die Klage ab, da die Klägerin ihr Eigentum an dem VW Touran trotz Bestreitens der dortigen Beklagten nicht konkret dargelegt habe(fehlende Aktivlegitimation). Die gegen das Urteil eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Nunmehr erhob die Klägerin Klage gegen die hiesige Klägerin. Die Klage wurde vom Amtsgericht unter Verweis auf § 124 VVG als unzulässig abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.

§ 124 Abs. 1 VVG lautet:

„Soweit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, wirkt das Urteil, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer ergeht, auch zugunsten des Versicherers.“

Der BGH verweist darauf, dass die Beklagte von der Rechtskrafterstreckung des Urteils im vorangegangenen Verfahren persönlich erfasst sei. Würde ein Urteil zwischen einem Dritten und dem Versicherer ergehen, demzufolge dem Dritten ein Anspruch gegen den Versicherer nicht zustehe, würde sich das Urteil auch auf den Anspruch des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erstrecken. Über den Wortlaut hinaus würde sich die Bindungswirkung auch auf das Verhältnis des mitversicherten Fahrers erstrecken. Voraussetzung sei stets, dass der Dritte einen Direktanspruch gegen den Versicherer gem. § 115 Abs. 1 VVG habe, § 124 Abs. 3 VVG.

Die Direktklage gegen den Versicherer könne auf einer Haftungsverantwortlichkeit des Halters oder des Fahrers oder von beiden beruhen. Der Geschädigte sei daher nach einer rechtskräftigen Abweisung seiner Klage gegen den Halter nunmehr den Fahrer zu verklagen oder auch nur in Bezug auf dessen Haftung den Versicherer. Der Versicherer könne in diesem Fall wegen einer Haftung des Fahrers aber nicht mehr in Anspruch genommen werden, da durch die rechtskräftige Klageabweisung diesem gegenüber darüber auch im Verhältnis zum Versicherer bindend entschieden worden sei. Würde – wie hier – die Klage gegen den Versicherer abgewiesen, sei denn eine Klage gegen den Halter ausgeschlossen, wenn der Versicherer wegen oder auch wegen der Halterhaftung in Anspruch genommen worden war. Dies entspräche dem Zweck des § 124 Abs. 1 VVG, wonach der Versicherer nicht trotz eines für ihn günstigen Urteils (hier: keine Einstandspflicht, auch nicht gegenüber dem Halter) im Falle der Verurteilung seines versicherten/Versicherungsnehmers aus der Zahlpflicht aus dem versicherungsvertraglichen Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen werden könne.

Es könne auch nicht erfolgreich eingewandt werden, die Klageabweisung sei nur aus formellen Gründen erfolgt. § 124 Abs. 1 VVG würde auf ein Urteil abstellen, demzufolge ein geltend gemachter Schadensersatzanspruch der klagenden Partei nicht zustünde. Werden die Schadensersatzansprüche im ersten Prozess wie auch im zweiten Prozess aus dem gleichen Sachverhalt hergeleitet, käme es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Abweisung erfolgte, hier also wegen fehlender Aktivlegitimation.  Entscheidend sei, dass die Abweisung aus sachlichen und nicht aus prozessualen Gründen erfolgte. Die Abweisung wegen fehlender Aktivlegitimation sei ein sachlicher Grund.

BGH, Urteil vom 27.04.2021 - VI ZR 883/20 -

Freitag, 6. März 2020

Auskunftsanspruch des Rechtsschutzversicherers gegen Anwalt (oder: Rechtsschutzversicherung - des Anwalts Liebling ?)


Ist der Mandant mit Rechtsschutzversicherung der „1. Klasse-Patient mit Privatversicherung zur Chefarztbehandlung“ oder nicht ? Der rechtsschutzversicherte Mandant verursacht mehr Arbeit als jener, der nicht rechtsschutzversichert ist, da der Anwalt sich häufig mit zusätzlichen Anfragen des Versicherers beschäftigen muss. Hinzu kommt, dass ein rechtsschutzversicherter Mandant häufig risikofreudiger ist, was aber auch zu einem Haftungsproblem des Anwalts führen kann, wenn dieser sich darauf einlässt und der Rechtsschutzversicherer nachher Schadensersatz begehrt.

Vorliegend wurde die beklagte Anwaltskanzlei für einen Versicherten der klagenden Rechtsschutzversicherung tätig und führte auch die Korrespondenz mit dem Versicherer. Die Klägerin erteilte jeweils auf Anfrage Deckungsschutz, zunächst für die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs, sodann für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs und leiste an die Anwaltskanzlei Kostenvorschüsse von insgesamt € 2.862,26. Im September 2016 erstatte die Kanzlei an den Versicherer kommentarlos einen  Betrag von € 1.309,41 und reagierte sodann nicht auf Anfragen des Versicherers zum Sachstand. Den sodann seitens des klagenden Rechtsschutzversicherers beauftragten Anwälten wurde lediglich die Ablehnung einer Auskunft mitgeteilt. Nach Klageerhebung und nachdem die Beklagten im Termin Angaben zum verfahren gemacht hatte, erklärte die Klägerin insoweit (einseitig) die Hauptsache für erledigt und begehrte im Übrigen noch den verzugsschaden in Form eigener Anwaltsgebühren. Der Klage wurde stattgegeben. Die Berufung und auch die zugelassene Revision wurden zurückgewiesen.

Die Klage sei, auch im Hinblick auf das von der Klägerin für erledigt erklärte Auskunftsbegehren, von Anfang an begründet gewesen und erst (mit der notwendigen Konsequenz der Hauptsacheerledigungserklärung) mit der Erklärung der beklagten im Termin vor dem Amtsgericht unbegründet geworden sei. Die Klägerin sei Inhaberin eines Auskunftsanspruchs nach § 666 BGB  gewesen, und zwar aus übergegangenem Recht gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG.  Da es sich bei der Rechtsschutzversicherung auch um eine Sachversicherung handele, greife § 86 VVG zum Übergang eines Anspruchs des Versicherungsnehmers (VN) auf den Versicherer, der insoweit erfolge, als der Versicherer dem VN den Schaden ersetzt. Die Zahlung der Kostenvorschüsse stelle sich als Zahlung auf einen Schadens des VN dar. Insoweit ist der Anspruch des VN gegen den Gegner des VN auf die Rechtsschutzversicherung übergegangen. Mit der Zahlung des Gegners an den vom VN bevollmächtigten Anwalt ginge der Auszahlungsanspruch des VN gegen den Anwalt (§§ 675 Abs. 1, 667 BGB) gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer über. Diese Zahlung hätten wzar die Beklagten an die Klägerin weitergeleitet, aber erst im Termin erklärt, es habe sich um die Leistung der Gegenseite gehandelt.

Dem Herausgabeanspruch folge der Auskunftsanspruch des VN gegen seinen Anwalt; es handele sich um ein Hilfsrecht analog §§ 412, 401 BGB. Das Auskunftsrecht habe sich sowohl auf den bereits ausgekehrten Betrag als auch den bisher nicht abgerechneten Betrag bezogen. Diesem Begehren des Rechtsschutzversicherers habe auch keine anwaltliche Verschwiegenheitsverpflichtung nach §  43a Abs. 2 BRAO entgegen gestanden. Eine Entbindung von der Schweigepflicht könne ausdrücklich aber auch konkludent durch den Mandanten erklärt werden. Wenn der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis des Mandanten einen Prozess vorfinanziere und der Mandant die Korrespondenz mit seinem Rechtsschutzversicherer seinem Anwalt überlasse, würde letzterer konkludent von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung in Ansehung der Abrechnung entbunden. Da nur so der Anwalt der dem Mandanten obliegenden Auskunftspflicht gegenüber dem Versicherer sachgerecht nachkommen könne.

Anmerkung: Was hier im Einzelnen die beklagte Anwaltskanzlei veranlasste, keine Auskünfte an den Rechtsschutzversicherer zu erteilen, lässt sich nicht erkennen. Hätte sie hier nicht für den Mandanten bei dem Rechtsschutzversicherer um Kostendeckung nachgesucht und die Korrespondenz mit diesem geführt, hätten sie jedenfalls auch nicht auf Aufforderungen desselben reagieren müssen. Die Interessenswahrnehmung gegenüber dem Rechtsschutzversicherer stellt sich jedenfalls als gesondertes Mandat dar, welches der Anwalt gegenüber dem Mandanten abrechnen könnte. Da aber wohl die meisten Anwälte dies ohne zusätzliche Gebühren für den Mandanten übernehmen, wird man wohl einen Gebührenanspruch nur annehmen können, wenn der Mandant von seinem Anwalt vorab darauf hingewiesen wurde. Aber auch ohne eine gesonderte Beauftragung wird teilweise die Ansicht vertreten, der Anwalt müsse auf die Belange seines Rechtsschutzversicherten Mandanten (wenn ihm der bestand einer Rechtsschutzversicherung bekannt ist) Rücksicht nehmen, was auch bedeuten kann, dass er diesem z.B. bei Erteilung eines Klageauftrags anrät, zunächst Deckungsschutz einzuholen. Will er dies ausschließen, sollte er jedenfalls zur eigenen Sicherung den Mandanten bei Mandatserteilung darauf ausdrücklich hinweisen. Allerdings würde dies letztlich den Versicherer nicht notwendig hindern, Ansprüche wie hier (gleichwohl) geltend zu machen: Geht nämlich Zahlungsanspruch bei Vorleistung des Versicherers auf diesen nach § 86 VVG über, ist es nicht entscheidend, ob hier bereits ansonsten ein Kontakt zwischen Anwalt des VN und Versicherer bestand. Damit aber geht auch der Auskunftsanspruch des VN gegen den Anwalt auf den Versicherer über. Einzig könnte hier die Verschwiegenheitsverpflichtung des Anwalts dem begehrend es Versicherers entgegenstehen. Da man eine konkludente Einwilligung des VN in einem solchen Fall wohl nicht annehmen könnte, müsste sich der Versicherer zunächst die ausdrückliche Einwilligung des VN holen.

BGH, Urteil vom 13.02.2020 - IX ZR 90/19 -