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Mittwoch, 30. Oktober 2024

Erbscheinverfahren und Erbenfeststellungsklage – Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

Im Ausgang ging es um die Erteilung eines Erbscheins, der den Beteiligten zu 1. und 3. auf Grund gesetzlicher Erbfolge auf deren Antrag erteilt wurde. Der Beteiliget zu 8. hatte mit Berufung auf ein Testament ebenfalls einen Antrag gestellt, der zurückgewiesen wurde (da Zweifel an der Echtheit des Testaments bestünden). Die Beschwerde des Beteiligten zu 8. wies das OLG Nürnberg mit Beschluss vom 08.08.2023 - 1 Wx 1539/23 - zurück. Hiergegen erhob der Beteiligte zu 8. Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung annahm.

Das BVerfG verwies darauf, dass die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlägen. Sie habe keine Aussicht auf Erfolg, da sie offensichtlich unzulässig sei, was das BVerfGG daran ausmachte, dass die Verfassungsbeschwerde nicht den in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG verankerten Grundsatz der Subsidiarität wahre. Nach diesem Grundsatz müsse ein Beschwerdeführer nicht nur den Rechtsweg im engeren Sinne erschöpft haben, sondern darüber hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen haben, um die Korrektur der gerügten Grundrechtsverletzung durch Fachgerichte zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BVerfGE 73, 322, 325).  Die Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde würden gem. §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG verlangen, dass auch zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen vorgetragen werde, soweit dies nicht aus sich heraus erkennbar sei. Dazu würde die schlüssige Darlegung der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität gehören (BVerfGE 129, 78, 93).

Das BVerfG rügte, dass in der vorliegenden Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht ersichtlich sei, dass alle Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Dabei verwies es darauf, dass der Erbprätendent neben dem Erbscheinverfahrens (welches hier betrieben wurde) vor den Fachgerichten noch eine Erbenfeststellungsklage erheben könne und so die Feststellung der Erbenfeststellung erreichen (BVerfG, Beschluss vom 29.08.2005 - 1 BvR 219/05 -). Da der Erbschein nur die Vermutung beinhaltet, dass dem dort Benannten das Erbrechts zukommt (§ 2365 BGB), erwächst das im Feststellungsrechtsstreit ergehende Urteil zwischen den Parteien in Rechtskraft iSv. § 325 ZPO; der Entscheidung im Erbscheinverfahrens kommt weder eine formelle noch materielle Bindungswirkung für einen streitigen Feststellungsprozess zu. Genau darauf stellte des BVerfG ab und wies darauf hin, dass unabhängig von einem entgegenstehenden Inhalt eines Erbscheins jederzeit der wirkliche Erbe vor dem Prozessgericht Klage auf Feststellung seines Erbrechts erheben könne und das Prozessgericht von Feststellungen des Nachlassgerichts abweichen könne (BGH, Urteil vom 14.04.2010 – IV ZR 135/08 -).

Der Vorrang der Erbenfeststellungsklage würde nicht nur bei einer inhaltlichen Überprüfung des Ergebnisses des Erbscheinverfahrens greifen, sondern auch wie hier bei Rüge von Verfahrensfehlern (als Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG) im Erbscheinverfahren. Denn im Erbenfeststellungsprozess könne der Beschwerdeführer seinen im Erbscheinverfahren übergangenen Vortrag erneut vorbringen.

BVerfG, Beschluss vom 13.07.2024 - 1 BvR 1929/23 -

Samstag, 17. Dezember 2022

Ergänzungspflegschaft für minderjähriges Kind für Erbscheinverfahren

Die Mutter der 14-jährigen Betroffenen verstarb 2021. Die Eheleute hatten ein gemeinsames Testament errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten, Vermächtnisanordnungen trafen, und u.a. Testamentsvollstreckungsanweisungen niederlegten. Sein Vater beantragte als Alleinerbe nach seiner verstorbenen Frau einen Erbschein. Das Nachlassgericht regte die Bestellung einer Ergänzungspflegschaft für den Minderjährigen im Erbscheinverfahren an.

Nachdem die Rechtspflegerin dem beschwerdeführenden Vater die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Anregung gegeben hatte, die von diesem abgelehnt wurde, ordnete sie die Ergänzungspflegschaft an und bestellte den Beteiligten zu 2. zum Ergänzungspfleger. Dagegen legte der Vater Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht (OLG) wies die Beschwerde nach Anhörung der minderjährigen Betroffenen zurück. Die nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde sei unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegschaft nach §§ 1909 Abs. 1 S. 1, 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 1. Alt. BGB vorlägen.

§ 1909 Aabs. 1 S. 1 BGB bestimme, dass derjenige, der (wie die Minderjährige) unter elterlicher Sorge stünde, für Angelegenheiten, an denen die verhindert seien, einen Pfleger erhalte. Erforderlich sei eine tatsächliche oder rechtliche Verhinderung. Von einer gesetzlichen Vertretung sei der Vater nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1 iVm. § 1795 BGB nicht ausgeschlossen; bei der Beantragung eines Erbscheins handele es sich nicht um ein Rechtsgeschäft iSv. § 1795 Abs. 1 BGB. Da auch ein Insichgeschäft bei der Beantragung eines Erbscheins nicht in Betracht käme, würde der Vertretung auch § 181 BGB nicht entgegenstehen.

Allerdings sei dem Vater als allein Sorgeberechtigten gem. § 1680 Abs. 1 BGB die Vertretungsmacht für das Erbscheinverfahren nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3 Hs. 1, 1796 BGB zu entziehen. Die vertretungsmacht könne danach entzogen werden und soll auch entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse des Sorgeberechtigten in erheblichem Gegensatz stünde. Dies sei hier der Fall. Es sei anzunehmen, wenn die unterschiedlichen Belange, Nutzen oder Vorteile der beiden Interessensträger ein rechtsgeschäftliches Verhalten in gegensätzlichem Sinne beeinflussen könnten, also das eigene Interesse nur auf Kosten des anderen gefördert werden könne und dies objektiv feststehen würde.

Vorliegend wolle der Vater seine Alleinerbenstellung erreichen. Dem würde der Geltendmachung eines möglichen Interesse seiner Tochter an der Feststellung eines anderen als vom Vater angestrebten Verfahrenszieles entgegenstehen.

Der Tochter und ihren Bruder seien als Vermächtnis im Testament € 800.000,00 zugewandt worden. Das OLG verweis auf die durch Auslegung vorzunehmende Abgrenzung von Vermächtnisnehmerstellung und Erbenstellung, § 2087 BGB. Die Auslegung könne zu einem anderen als vom Vater gewünschten Ergebnis führen und danach die beiden Kinder der Eheleute Miterben seien, was vom Vater bestritten würde.  Hieraus resultiere der objektive Gegensatz zwischen den Interessen von Vater und Tochter, da er die von seinen Interessen abweichenden Interessen seiner Tochter an der Feststellung etwa einer Miterbenstellung nicht fördern könne. Damit sei nicht der Vorwurf verbunden, er verfolge nicht subjektiv das Wohl seiner Tochter.

Der Sorgerechtsentzug sei nur insoweit zulässig, als der Interessensgegensatz erheblich sei. Dies sei der Fall, wenn er eine genügende Vertretung des Kindes nicht erwarten lasse. Auch das sei hier zu bejahen. Der Vaters sei gehindert, im Erbscheinverfahren zugleich die Feststellung seiner Alleinerbschaft und eine etwaige davon abweichende Feststellung, den Belangen seiner Tochter gegebenenfalls objektiv besser gerecht werdenden Feststellung anzustreben.  Die Prognose, die hier geboten sei, könne nicht dem Ergebnis des Erbscheinverfahrend vorweggreifen.

Die Entscheidung zur Bestellung eines Ergänzungspflegers sei auch verhältnismäßig, da ein milderes Mittel zur Wahrung der Interessen der Tochter nicht ersichtlich sei. Mit dem Argument, mit einem Ergänzungspfleger würde der Familienfriede gestört, sei der Vater ausgeschlossen; die unabhängige Prüfung der Interessen der Minderjährigen durch einen Unbeteiligten (dem Beteiligten zu 2.) und ggf. deren Geltendmachung im Erbscheinverfahren verspräche eine mindestes nebens hohe Eignung, den Familienfrieden zu erhalten, wie ein Verzicht auf eine umfassende unabhängige (rechtliche) Prüfung der kindlichen Interessen.

Auch wenn das Erbscheinverfahren vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt sei und die Auslegung des Testaments letztlich Sache des Nachlassgerichts sei, würde dadurch die Bedeutung der Anhörung der am Verfahren (kann-) beteiligten Jugendlichen (§ 345 FamFG) nicht reduziert. Auch in diesem Verfahren könnten Mitteilungen von außerhalb des Testaments liegende Umständen Einfluss haben , wie auch argumentativ auf die zu treffende Entscheidung Einfluss genommen werden.  Dem würden die Vorschriften über die Gewährung rechtlichen Gehörs dienen (vgl. §§ 345 Abs. 1 S. 2m 7 Abs. 4, 37 Abs. 2 FamFG). Es bestünde zunächst ein recht der beteiligten darauf, von allen entscheidungserheblichen Grundlagen Kenntnis zu erlangen, was auch für minderjährige und nicht verfahrensfähige Personen gelte, die auf die Wahrnehmung ihrer Interessen durch gesetzliche Vertreter angewiesen seien.

Der hier einer Ergänzungspflegschaft entgegenstehende Wille der Tochter stünde der Entscheidung vorliegend nicht entgegen. Es würde hier nicht -wie der Vater meint - um die Entziehung des Sorgerechts gehen, sondern ausschließlich um die Vertretung im Erbscheinverfahren und damit einem Vermögensbelang. Der Ergänzungspfleger dürfe die Minderjährige auch nicht gegen deren Interessen vertreten. Zweck sei, ihre objektiv zu beurteilenden Interessen zu ermitteln und im Verfahren zur Geltung zu bringen und sie möglichst aus dem Erbscheinverfahren ergebenden familiären Meinungsverschiedenheiten herauszuhalten. Zudem habe die Jugendliche im Hinblick auf Umfang und Wirkung der Ergänzungspflegschaft Vorstellungen geäußert, die außerhalb jeglicher Realität und Rechtslage lägen

OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.10.022 - 13 WF 53/22 -