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Montag, 13. Juni 2022

Fehlende Befugnis zur Prozessvertretung des Versicherungsnehmers durch Haftpflichtversicherer

Im Rahmen der auf § 3a UWG (Rechtsbruch) gestützten, wettbewerbsrechtlichen Klage eines Rechtsanwalts gegen eine Haftpflichtversicherung musste sich letztinstanzlich der BGH mit der Frage auseinandersetzen, ob der Haftpflichtversicherer für seinen Versicherungsnehmer – soweit eine anwaltliche Vertretung nicht zwingend vorgeschrieben ist (z.B. bei Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht), also im sogenannten Parteiprozess ohne Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung, die Prozessvertretung übernehmen darf, also im . Hintergrund war gewesen, dass der Haftpflichtversicherer für seinen Versicherungsnehmer Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid einlegte.

Das Landgericht hatte der Klage gegen den Haftpflichtversicherer stattgegeben. Die Berufung des Haftpflichtversicherers war erfolgreich. Der Rechtsanwalt hat die (vom Berufungsgericht zugelassene) Revision eingelegt, die zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden Urteils des Landgerichts führte.

Eine Vertretungsberechtigung ergäbe sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht aus § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO, wonach Familienangehörige, Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit stünde, diese Vertretung übernehmen könnten. Der Anwendungsbereich der Norm könne nicht überseinen Wortlaut hinaus erweitert werden dahingehend, dass dem dort benannten Streitgenossen ein Versicherungsunternehmen gleichstünde, dem ein Recht zur Nebenintervention (§§ 66, 68 ZPO) zustünde. Die Analogie sei nur bei planwidriger Regelungslücke zulässig, an der es hier fehle. Es lasse sich nicht erkennen, dass es der gesetzgeberischen Regelungsabsicht widerspreche, zwar Streitgenossen der Partei eine Vertretung zu erlaube, nicht aber Personen, denen nach §§ 66, 68 ZPO das Recht zur Nebenintervention zustünde. Der Begriff des Streitgenossen sei in der ZPO an einem anderen Ort als die Bestimmungen über Beteiligung Dritter (so die Nebenintervention) am Verfahren geregelt. Es handele sich um eine eindeutige Begriffswahl.

Zudem läge auch keine vergleichbare Interessenslage zwischen dem Streitgenossen und dem Nebenintervenienten vor. Die Zulassung des Streitgenossen diene der Prozessökonomie, da diese bereits als Partei auf Kläger- oder Beklagtenseite am Rechtsstreit auf gleicher Seite beteiligt seien. Mit dieser der Erleichterung des Verfahrens bezogenen Rechtfertigung sei die Stellung eines zur Nebenintervention Berechtigten nicht vergleichbar. Die prozessökonomische Wirkung entfalte ihre Wirkung erst im Folgeprozess, insoweit er nach § 68 von bestimmten Einwendungen in einem Verfahren mit der Partei, der er beigetreten ist, im Folgeprozess ausgeschlossen ist.

Zudem sei die Vertretung im Rahmen des § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO bei einer entgeltlichen Tätigkeit ausgeschlossen. Dabei käme es nicht darauf an, ob ein Entgelt für die Prozessvertretung als solche vereinbart sei (BT-Drucks. 16/3655, S. 87); die Prozessvertretung dürfe auch nicht Teil einer entgeltlichen Vertragsbeziehung (wie sie zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer bestünde) sein. Hier sei der Haftpflichtversicherer im Rahmen des entgeltlichen Versicherungsvertrages verpflichtet, bei von einem Dritten gegen den Versicherungsnehmer geltend gemachten Ansprüchen diesen freizustellen und unbegründete Ansprüche abzuwehren, § 100 VVG. Die Versicherung umfasse die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, § 101 Abs. 1 S. 1 VVG. Damit sei die Vertretung durch den Haftpflichtversicherer als entgeltlich anzusehen.

Auch Art. 12 Abs. 1 GG, der die Berufsausübungsfreiheit beinhalte, gebiete es nicht, dem Haftpflichtversicherer eine Vertretungsbefugnis nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO zuzubilligen. Zwar würde seine Berufsausübung eingeengt, wenn ihm das Recht zur Prozessvertretung nicht zuerkannt würde, da diese Einschränkung gerechtfertigt und nicht verfassungswidrig sei. Der Eingriff sei durch Gründe des Gemeinwohls begründet. § 79 Abs. 2 ZPO diene dem Schutz der rechtssuchenden Bevölkerung und der funktionierenden Rechtspflege und damit übergeordneten Gemeinwohlzielen (BGH, Urteil vom 20.01.2011 – I ZR 122/09 -; nachfolgend BVerfG, Beschluss vom 20.04.2011 – 1 BvR 624/11 -).  

Da es dem Haftpflichtversicherer möglich sei, nach einem Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid (Anm.: den der Versicherungsnehmer selbst einlegen kann) dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beizutreten bestünde für ihn kein schutzwürdiges Interesse, die Hauptpartei als Prozessbevollmächtigter zu vertreten. Auch der Umstand, dass der Haftpflichtversicherer über vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen im Versicherungsrecht und über qualifiziertes Personal mit der Befähigung zum Richteramt verfüge käme es nicht an.

Anmerkung: Es ist bei vielen Versicherungsgesellschaften üblich, dass sich diese von dem Versicherungsnehmer den Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheid zusenden lassen, um dann selbst den Widerspruch bzw. Einspruch einzulegen. So wollen sie sicherstellen, dass das Rechtsmittel korrekt und fristwahrend eingelegt wird. Auch vertreten sie den Versicherungsnehmer in einigen Fällen direkt vor Gericht und Sachbearbeiter der Versicherung nehmen die Termine wahr. Der BGH hat klargestellt, dass dies unzulässig ist.  Zur Konsequenz hat dies, dass ein derartiges Verhalten nicht nur (wie hier) eine Abmahnung nach § 3a UWG begründen kann. Vielmehr dürfte die prozessuale Handlung als solche unzulässig sein, dass das Rechtsmittel (Widerspruch oder Einspruch) oder die Klageverteidigung für den Versicherungsnehmer unwirksam ist und als Folge Vollstreckungsbescheide ergehen können bzw. solche nicht rechtzeitig mit dem Rechtsmittel des Einspruchs angefochten wird, bzw. bei einer Klageverteidigung dies nicht beachtet wird (da die unwirksam ist) und Versäumnisurteil ergeht. Die Versicherungen müssen ihre Versicherungsnehmer darauf hinweisen, dass diese - ist ein gerichtliches Verfahren zu erwarten - selbst sofort bei Zugang von Mahn- oder Vollstreckungsbescheid den Rechtsbehelf einlegen und sich im Übrigen, bei einem streitigen Verfahren, überlegen, ob sie gemäß den Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt stellen oder, wollen sie die Vertretung vor Gericht selbst übernehmen (soweit nicht anwaltliche Vertretung vorgeschrieben ist) dem Rechtsstreit auf Seiten ihres Versicherungsnehmers durch Nebenintervention beitreten.

BGH, Urteil vom 10.03.2022 - I ZR 70/21 -

Montag, 3. Februar 2020

Steuerrecht: Auslegung des Umfangs eines Einspruchs bei verbundenen Steuerbescheiden


Im Ausgangsfall legte der Kläger gegen den „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Soli vom 22.03.2018“ (ein sogenannter verbundener Bescheid, da er hier nach der Bescheidüberschrift die Bescheide zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag umfasste, darüber hinaus, in der in der Bescheidüberschrift nicht benannte Zinsen zur Einkommensteuer) mit Schreiben vom 09.04.2018 Einspruch ein. Nach einer von  ihm erbetenen Erörterung mit dem Finanzamt (FA) äußerte der Kläger Zweifel an einem zusätzlichen (vom FA berücksichtigten) veräußerungsgewinn in 2015 (statt 2016), bat erneut um einen Erörterungstermin und erhob im Rahmen desselben mit Schreiben vom 23.07.2018 erstmals Einwendungen gegen die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Verzinsung. In der Einspruchsentscheidung setzte sich das FA mit der Zinsfestsetzung nicht auseinander und lehnte mit besonderen Bescheid vom gleichen Tag eine Änderung der Zinsfestsetzung wegen Bestandskraft des Bescheides ab, da sich der Einspruch nicht gegen die Zinsen gerichtet habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage. Mit Zwischenurteil stellte das Finanzgericht fest, dass der Kläger rechtzeitig gegen die Zinsfestsetzung im Bescheid vom 22.03.2018 Einspruch erhoben habe. Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil auf und verwies den Rechtstreit an das Finanzgericht zurück.

Der BFH wies darauf hin, dass auf der Grundlage des § 357 Abs. 3 S. 1 AO die genaue Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht erforderlich sei, allerdings die Zielrichtung des Begehrens angegeben werden müsse, aus der sich der angefochtene Verwaltungsakt ergeben müsse  oder Zweifel/Unklarheiten beseitigt werden müssten. Fehle es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung, sei eine Auslegung erforderlich. Diese Auslegung eines Rechtsbehelfs richte sich außerprozessual als auch prozessual nach § 133 BGB. Es sei der wirkliche Wille zu erforschen, weshalb auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden dürften. Allerdings dürfe dies nicht dazu führen, dass die Auslegung zu einem Ergebnis führe, für welches es in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte gäbe. Damit ergäben sich im Wesentlichen folgende Fallgruppen:

  1. Würden miteinander verbundene Bescheide unter Wiedergabe der amtlichen Bescheidbezeichnung (wie hier: „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag“) angefochten, ohne dass (zunächst) konkrete Einwendungen erhoben würden und erfolgt späterhin (ggf. nach Ablauf der Einspruchsfrist) eine Begründung gegen einen bestimmten Bescheid, beziehe sich der Rechtsbehelf jedenfalls auch gegen diesen Bescheid. So hatte das FG Düsseldorf mit Urteil vom 26.05.2008 - 18 K 2172/07 AO - (zitiert vom BFH) den Einspruch gegen einen wie oben bezeichneten Bescheid auch als Einspruch gegen den im Bescheid festgesetzten Verspätungszuschlag angesehen, wobei allerdings das FG Düsseldorf die Auffassung vertrat, dass die korrekte Bezeichnung des Bescheides dies bereits umfasse und sich vorliegend zusätzlich (worauf der BFH einzig abstellt) aus der darauf bezogenen Begründung desselben ergäben.
  2. Enthalte das (unspezifisch) auf verbundene Bescheide bezogene Einspruchsschreiben eine Begründung, sei der Gegenstand des Einspruchs einengend auszulegen. Würden nach Ablauf der Einspruchsfrist auch Einwendungen gegen einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt erhoben, die in der ursprünglichen Begründung nicht benannt worden seien, so würde dem die Bestandskraft des Bescheides entgegenstehen (BFHE 222, 196; BFHE 243, 304).
  3. Richte sich der Einspruch ausdrücklich zwar nur gegen einzelne miteinander verbundene Verwaltungsakte und würde innerhalb der Einspruchsfrist der Einspruch auf einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt ausgedehnt, stünde der weiteren Anfechtung keine Bestandskraft entgegen. Dies ist verständlich, da der nur eingeschränkte zunächst erhobene Einspruch nicht als Verzicht auf ein Rechtsmittel im Übrigen gedeutet werden kann; erfolgt allerdings der weitere Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist, stünde ihm auch die Bestandskraft entgegen.  

Die Auslegung des Einspruchs obliege, so der BFH, dem Finanzgericht. Der BFH als Revisionsgericht könne nur prüfen, ob das Finanzgericht die anerkannten Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen habe, ferner, ob der Einspruch überhaupt auslegungsbedürftig sei. An der Auslegungsbedürftigkeit würde es bei einer nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Erklärung fehlen.

Vorliegend sei zwar die Bescheidüberschrift gewählt worden, doch sei diese unvollständig gewesen, insoweit die mit festgesetzten Zinsen zur Einkommensteuer nicht erwähnt worden seien. Von daher habe es hier einer Auslegung bedurft.

Da das Finanzgericht diese Grundsätze nicht gewahrt habe, sei die Sache zurückzuverweisen und das Finanzgericht müsse sich mit dem Verhalten des Klägers nach Einlegung des Einspruchs und insbesondere auch seinen an das FA gerichteten Schreiben auseinandersetzen.

BFH, Urteil vom 29.10.2019 - IX R 4/19 -

Montag, 9. Juli 2018

Zur (verneinten) Umdeutung einer Verteidigungsanzeige in einen Einspruch


Das Landgericht hatte gegen den Beklagten am 27.01.2017 ein Versäumnisurteil (im schriftlichen Vorverfahren wegen fehlender Verteidigungsanzeige des Beklagten) erlassen, welches dem Beklagten am 02.02.2017 zugestellt wurde. Der Beklagte hatte am 01.02.2017 Verteidigungsanzeige erklärt. Nach Zustellung des Versäumnisurteils erklärte der Beklagte mit seinem am 22.02.2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 21.01.2017 Einspruch gegen das Versäumnisurteil.

Der Einspruch wurde vom Landgericht verworfen. Die dagegen vom beklagten eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

Der Einspruch muss binnen zwei Wochen nach Zustellung des Versäumnisurteils erfolgen, § 399 Abs. 1 ZPO. Diese Frist war bei Eingang der Einspruchsfrist vom 21.02.2017 am 22.02.2012 bereits abgelaufen (Zustellung: 02.02.2017, Ablauf 16.02.2017). Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Notfrist wurde nicht gestellt und waren Gründe dafür für das Land- als auch Oberlandesgericht offenbar nicht ersichtlich.

Nur wenn die am 01.02.2017 bei dem Landgericht eingegangene Verteidigungsanzeige auch als Einspruch gegen das bereits am 27.01.2017 verkündete aber erst am 02.02.2017 eingegangene Versäumnisurteil ausgelegt werden könnte, wäre mithin rechtzeitig Einspruch eingelegt worden. Allerdings kam der Verteidigungsanzeige hier nicht die Wirkung (auch) eines Einspruchs zu. Eine entsprechende Auslegung oder Umdeutung sei, so das OLG nicht möglich. Einer Auslegung der verteidigungsanzeige auch als Einspruch stünde bereits die Unkenntnis des Beklagten von dem erst später zugestellten Versäumnisurteil entgegen.  Eine Umdeutung sei zwar prozessual grundsätzlich von einer fehlerhaften Prozesserklärung in eine zulässige und wirksame möglich,  wenn deren Voraussetzungen eingehalten würden und die Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des Erklärenden entspräche und weiterhin dem nicht schutzwürdige Interessen des Gegners entgegen stünden. Hier aber ließe sich bezogen auf den Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung vor Zustellung des Versäumnisurteils nicht feststellen, dass der mutmaßliche Wille auf einen Einspruch gegen dieses Versäumnisurteil gerichtet gewesen sei. Der Wille, sich gegen eine Klage verteidigen zu wollen, beinhalte nicht automatisch den Willen, auch eine gerichtliche Entscheidung, nach der der Klage auf der Grundlage einer Schlüssigkeitsprüfung stattgegeben worden sei (klagestattgebendes Versäumnisurteil) angreifen zu wollen. Dies könne schon gar nicht in einem Fall wie vorliegend angenommen werden, in dem es um einen vergleichsweise überschaubaren Streitwert ginge und im Wesentlichen Rechtsfragen und eine richterliche Bewertung im Vordergrund gestanden hätten; in diesem Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass die beklagte Partei eine Entscheidung letztlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht akzeptieren würde.

Eine Vergleichbarkeit mit der Entscheidung des OLG Braunschweig vom 09.05.1994 - 2 WF 37/04 -läge hier nicht vor, da dort anders als vorliegend zusammen mit der verteidigungsanzeige bereits die Klageerwiderung erfolgt sei (das OLG Köln hatte mit Beschluss vom 27.04.2001 - 10 WF 41/01 - allerdings bei dieser Konstellation auch einen wirksamen Einspruch negiert).

Hinweis: Ist unklar, ob eventuell bereits ein Versäumnisurteil erlassen wurde, empfiehlt es sich, zusammen mit einer Verteidigungsanzeige vorsorglich auch Einspruch gegen ein eventuell bereits erlassenes Versäumnisurteil einzulegen, da damit der Wille deutlich wird, dass auch eine Entscheidung des Gerichts qua Schlüssigkeitsprüfung nicht akzeptiert wird.

OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 05.01.2018 - 5 U 65/17 -