Immer wieder holen Parteien
eines künftigen Prozesses bereits vorprozessual Sachverständigengutachten ein
(insbesondere in Bausachen), um in einem späteren Verfahren auf sicheren
Grundlagen zu stehen, sei es im Hinblick auf vom Auftraggeber behaupteten
Mängeln, sei es zur Sicherung der (Rechts-) Ansicht durch den Auftraggeber,
gemäß der eine Zahlung an den Auftragnehmer nicht erfolgen muss. Dabei gibt es
verschiedene Zeitpunkte der Einholung: Dies kann schon sehr früh erfolgen (z.B.
aus Anlass eines Abnahmeverlangens oder nach einem Abnahmetermin), sei es im
Rahmen der folgenden Korrespondenz über streitige Mängel, im Zusammenhang mit der
Vorbereitung der Klage bzw. nach deutlicher Klageandrohung, aber auch durch den
Beklagten nach Klagezustellung oder im Laufe des gerichtlichen Verfahrens durch
eine der Parteien oder beide Parteien. Immer wieder kommt es dann nach einem
Urteil zum Streit, ob derartige Sachverständigenkosten für die obsiegende
Partei erstattungsfähig sind (bei einem teilweise Obsiegen, ob sie bei einer
Urteil oder Vergleich festgestellten Kostenquotelung bei der Kostenausgleichung
und -festsetzung zu berücksichtigen sind).
Vorliegend hatte der Beklagte
zwei Privatgutachten vor dem Prozess und eines begleitend während des Prozesses
eingeholt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung hatte der Rechtspfleger die Kosten
von keinem der Gutachten berücksichtigt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte
sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Das zur Entscheidung über die
sofortige Beschwerde berufene OLG Hamm wies auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hin, demzufolge
diejenigen Kosten des Rechtstreits erstattungsfähig seien, die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Auch eingeholte
Privatgutachten könnten zu diesen Kosten zählen, wenn es der Partei an einer
eigenen Sachkunde ermangele und das Gutachten prozessbezogen sei.
Prozessbezogenheit setze einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem gerichtlich
ausgetragenen Rechtsstreit voraus.
1. Zu den vorprozessual
eingeholten Sachverständigengutachten sei erforderlich, dass sich der Rechtsstreit
konkret abzeichne. Dass sei anzunehmen, wenn das Gutachten zur Beurteilung der
Prozessaussichten, der Einstandspflicht und der Anspruchsmöglichkeiten
eingeholt würde. Die Beauftragung müsse das „Wie“ der Prozessführung dienen.
Die Einholung müsse von der Partei ex ante (also zum Zeitpunkt der Beauftragung)
als sachdienlich angesehen werden dürfen.
a) Zum Zeitpunkt der
Beauftragung des ersten Gutachtens durch den Beklagten habe es an der
Prozessbezogenheit gefehlt, da - wie nachfolgende Schreiben dokumentieren
würden - die außergerichtlichen Einigungs- und Erledigungsmöglichkeiten noch nicht
ausgeschöpft gewesen seien. Das Gutachten habe der Feststellung von Mängeln der
Werkleistungen gedient, die zur Grundlage von Schadenersatzansprüchen gegen die
Klägerin gemacht werden könnten, und damit zur Feststellung von Gegenrechten.
Dies gehöre zur Sphäre, „ob“ ein solches eingeholt werden soll, nicht aber „wie“
die Prozessführung erfolgen soll.
Anm. 1: Diese Ansicht des
OLG ist richtig. Letztlich verhandelten die Parteien noch und der Beklagte war
bemüht, sich Argumente für seine Verhandlungsposition zu verschaffen. Auch wenn
damit die Möglichkeit bestand, einen Rechtsstreit abzuwenden, diente es nicht
der späteren Prozessführung, auch wenn es bei dieser nützlich werden könnte, da
ein solcher Rechtsstreit gerade noch nicht abzusehen war. Ob gegebenenfalls ein
materieller Kostenerstattungsanspruch des Beklagten gegen die Klägerin bestand
(z.B. § 631 BGB iVm. § 280 BGB) ist für die Beurteilung im Rahmen der
Kostenfestsetzung nach § 91 ZPO bzw. der Kostenausgleichung nach § 92 ZPO ohne
Bedeutung.
2. Bei dem zweiten
Gutachten soll es sich um die Kosten des Sachverständigen für seine Teilnahme an
einem Ortstermin vor dem Rechtsstreit gehandelt haben, in dem der Sachverständige
die Kosten seiner Teilnahme, die Erstellung einer Beweissicherung und
Dokumentation abrechnete. Erst im Ortstermin habe sich herausgestellt, dass
sich die Parteien nicht über die Verantwortlichkeit der Klägerin hätten einigen
können. Die Erstellung der Beweissicherung und Fotodokumentation sei zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich gewesen. Es hätte
ausgereicht, die am Tag des Ortstermins noch fortbestehenden Mängel, die im vorherigen
Gutachten benannt wurden, zum Gegenstand des Rechtstreits zu machen. Über das
vorgehende Gutachten hinaus habe der Sachverständige nur einen Zustand beschrieben;
es sei auch dem Beklagten möglich gewesen, diese Symptome für einen Mangel in das
Verfahren ohne gutachterlichen Beistand einzuführen.
Anm. 2: Damit handelt es
sich hier ersichtlich auch nur um Aufwendungen des Beklagten, mit denen er
seine Rechtsposition sichern wollte, nicht aber „wie“ er den Prozess führen
will. An dieser Stelle - wenn es dem Beklagten um eine gerichtsverwertbare sichere
Beweissicherung ging - hätte er ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485
ZPO durchführen können, also einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellen
müssen. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahren sind Kosten des (späteren)
gerichtlichen Verfahrens, wenn sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen
beruft, die Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens waren, §§ 493 Abs. 1
iVm. 91 ZPO
3. Die weiteren vom Beklagten
geltend gemachten Sachverständigenkosten betrafen ein prozessbegleitend
eingeholtes Privatgutachten (Zustellung der Klageschrift am 25.07.2012,
gutachterliche Stellungnahme vom 04.09.2912). Es handele sich, so das OLG, um notwendige
Kosten, wenn dies unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit geboten sei, da
der Partei andernfalls eine gerichtlich geforderte Substantiierung nicht
möglich wäre oder die Partei ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten
nicht überprüfen, insbesondere Fragen an den gerichtlich bestellten Sachverständigen
nicht formulieren könne (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO).
Das OLG sah keinen Grund darin,
dass der Beklagte durch dieses Gutachten eine detaillierte mangelbezogene
Kostenschätzung erstellen ließ, da bereits im ersten Gutachten eine Mangelsumme
von € 30.000,00 geschätzt hatte, worauf sich der Beklagte hätte beziehen können.
Über die detaillierten Mängel habe das Gericht Beweis zu erheben und in diesem
Zusammenhang die Beweisaufnahme auch auf die Höhe der geltend gemachten
Gegenansprüche erstrecken müssen. Die detaillierte Aufstellung habe zwar auch
Kosten beinhaltet, die in der Kostenschätzung nicht enthalten gewesen seien,
doch könne das OLG im Rahmen einer Schätzung (§ 287 ZPO) nicht ermitteln welcher
Zeitaufwand darauf entfallen sei.
Anm. 3: Hier wirken sich
für den Beklagten die vorgerichtlich eingeholten Gutachten zu seinem Nachteil aus.
Da das erste Gutachten bereits eine Kostenschätzung enthielt, kam es auf die (detaillierte)
Kostenschätzung im dritten Gutachten nicht an, da offensichtlich auch das Landgericht
im Verfahren keine Detaillierung verlangte. Wäre das dritte Gutachten nach einem
Hinweis des Landgerichts (§ 139 ZPO) zu einer seiner Ansicht nach notwendigen Detaillierung
eingeholt worden, wären die Kosten des Gutachtens erstattungsfähig gewesen. Zwar
waren im dritten Gutachten auch Mängelpositionen mit Kostenbeträgen versehen
worden, die bei dem ersten Gutachten noch nicht berücksichtigt wurden, doch
konnte hier das OLG Kosten für dieses Gutachten auch nicht teilweise
zusprechen, da nicht ersichtlich war, welcher Zeitaufwand (gegenüber dem abgerechneten
Gesamtzeitaufwand für das Gutachten als solches) auf diese Positionen entfiel.
Auch wenn das OLG von einer Schätzung spricht, gilt auch hier, dass eine
Schätzung nach § 287 ZPO nicht ins Blaue hinein erfolgen darf, sondern konkrete
Anhaltspunkte vorliegen müssen, die gegebenenfalls vorzutragen sind (BGH,
Urteil vom 08.05.2012 - VI ZR 37/11 unter II.3.a).
Es ist zwar verständlich, dass
bei zu befürchtenden hohen Kosten einer gerichtlichen Auseinandersetzung der
Besteller einer Werkleistung (wie hier) sicher gehen will, dass die von ihm
angenommenen Mängel tatsächlich bestehen, wenn sie vom Auftragnehmer nicht
anerkannt werden. Er läuft aber in diesem Fall Gefahr, dass er die Kosten des
Gutachtens selbst zu tragen hat, jedenfalls nicht über eine Kostenfestsetzung
erstattet verlangen kann, wobei ein möglicher materieller Anspruch im
vorliegenden Fall möglicherweise verjährt sein dürfte. Die Einholung mehrerer
Gutachten, gar vor einem Prozess, zu denselben Themenbereich ist auch
unverständlich, ebenso ein Gutachten, in dem der Sachverständige zwar Symptome
aufzeigt (die auch die Partei selbst sieht), aber nicht den Mangel (mangels
Prüfung) feststellt. Hätte der Beklagte nach Zustellung der Klage oder endgültiger
Mitteilung der Gegenseite, dass nunmehr Zahlungs- oder Abnahmeklage erhoben
würde, ein Gutachten zur Feststellung der Mängel und zu den Kosten der
Beseitigung eingeholt, um so seine Verteidigung an Hand des Gutachtens einzurichten,
wäre eine Erstattungsfähigkeit zu bejahen gewesen, da der Beklagte
offensichtlich keine eigenen Erfahrungen hatte. Im Übrigen hätte vor einem
Rechtstreit bereits ein selbständiges Beweisverfahren beantragen können (s.o.
Anmerkung 2), was - selbst wenn es für ihn ungünstig verläuft - jedenfalls nicht
Mehrkosten verursacht hätte, sondern bei günstigen Ausgang erstattungsfähige
Kosten gesichert hätte.
OLG Hamm, Beschluss vom 08.02.2022
- I-25 W 214/21 -