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Montag, 9. Mai 2022

Paktdienstleister: Allgemeine Geschäftsbedingungen zum Weisungsrecht des Versenders und zur Art der Zustellung

Der BGH hatte sich in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (Klägerin) mit deren Antrag auf Unterlassung von bestimmten Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Paktdienstleisters gegenüber Verbrauchern auseinanderzusetzen. Zwei dieser Klauseln sind Gegenstand dieser Darstellung, von denen eine Klausel für wirksam, die andere Klausel für unwirksam angesehen wurde.

1. Wirksam ist nach Auffassung des BGH die Klausel 2.3 der AGB:

„Weisungen, die nach Übergabe der Pakete vom Versender erteilt worden sind, müssen nicht befolgt werden. Die §§ 418 Abs. 1 bis 5 und 419 HGB finden keine Anwendung.“

Das OLG Frankfurt hatte Ergebnis diese Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des Verbrauchers als unwirksam angesehen. Zutreffend habe das OLG nach Ansicht des BGH die Regelung unter Klausel 2.3 im Ergebnis als vollständige Abbedingung des Weisungsrechts des Absenders eingestuft. Anders als vom OLG angenommen, käme es hier nicht auf die kundenfeindlichste Auslegung an, da schon nach dem klaren Wortlaut ein vollständiger Ausschluss der in §§ 418, 419 HGB benannten Rechte des Absenders gegeben sei.

Allerdings sei dieser Ausschluss hier entgegen der Annahme des OLG wirksam. Dies vor dem Hintergrund, dass es sich bei der in Rede stehenden Besorgung von Paketversendungen um ein Massengeschäft handele. § 418 Abs. 1 S. 1 HGB eröffne dem Absender die Möglichkeit über das Gut nach Übergabe an den Frachtführer zu verfügen. So könne er u.a. könne nach § 418 Abs. 1 S. 2 HGB verlangen, dass das Gut nicht weiterbefördert wird oder an einen anderen Bestimmungsort und/oder Empfänger befördert wird. Allerdings sei der Frachtführer nach diesen Regelungen nur insoweit verpflichtet der Weisung zu folgen, als deren Ausführung weder Nachteile für den Betrieb seines Unternehmens noch Schäden für die Absender oder Empfänger anderer Sendungen bringe (§ 418 Abs. 1 S. 3 HGB) und zudem Ersatz der durch die Weisung entstehenden Aufwendungen sowie einen Vorschuss darauf verlangen. Ähnliches gelte auch im Rahmen des § 419 HGB, der eine Nachfrageobliegenheit des Frachtführers vorsieht.

Durch den Ausschluss der Rechte nach §§ 418, 419 HGB würde der Verbraucher bei der Versendung von Paketen im Massengeschäft nicht unangemessen benachteiligt. Eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB läge vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht zu vereinbaren sei. Sei die Abweichung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck anderweitig sichergestellt, läge Unangemessenheit nicht vor.

Zwar stünde die Regelung in den AGB im Widerspruch zu § 418 Abs. 1 HGB. Allerdings läge eine sachliche Rechtfertigung vor. Die Regelungen in §§ 418, 419 HGB seien auf ein praktisches Bedürfnis bei Transporten längerer Dauer ausgerichtet, bei denen sich während der Transportdauer des Gutes Veränderungen gegenüber den Umständen bei Absendung ergeben könnten. Hier allerdings würde ein Massentransport von kurzer Dauer (möglichst innerhalb von 24 Stunden) zu niedrigen Preisen erfolgen. Daher sei offenkundig, dass nachträgliche Weisungen bei der Vielzahl von Absendern und der großen Anzahl von Paketsendungen Nachteile für den Betrieb der Beklagten die Folge wären und ebenso die Schnelligkeit der Transporte beeinträchtigen würde. Deshalb sei zur Vereinfachung der Betriebsabläufe der Ausschluss eines nachträglichen Weisungsrechts geeignet und verhältnismäßig; auch erweise sich eine Befolgung von nachträglichen Weisungen während des laufenden Beförderungsvorgangs angesichts der kurzen Beförderungsdauer als tatsächlich nahezu unmöglich. Es würde mit der Klausel bei dem von der Beklagten betriebenen Pakettransport für jedermann und Auslegung dieser Transporte auf eine schnelle und kostengünstige Beförderung nicht in wesentliche Rechte des Verbrauchers eingegriffen, da - im Gegenteil - die Prüfung von nachträglichen Weisungen den Vertragszweck gefährden würde.

2. Die Klausel 2.5.5

„Hat der Empfänger G. eine Abstellgenehmigung erteilt, gilt das Paket als zugestellt, wenn es an der in der Genehmigung bezeichneten Stelle abgestellt worden ist.“

hatte das OLG als wirksam angesehen. Anders der BGH.

Zwischenanmerkung: Es handelt sich hier nicht um einen der häufig vorkommenden Fälle, dass der Paktzusteller (ohne dass eine Einwilligung des Empfängers vorliegt) das Paket vor der Haus-, Wohnungs- oder Geschäftsraumtür (im Treppenhaus) abstellt, ein leider immer wieder vorkommender Fall. Vielmehr hat der Empfänger in dem der Klausel zugrunde liegenden Fall dem Paketzusteller eine bestimmte Stelle angegeben, an der das Paket, wenn er nicht angetroffen wird, abstellen kann.

Dass das Abstellen des Pakets an irgendeiner Stelle vor dem Haus oder in einem Mehrparteienhaus unzulässig ist, bedarf keiner Erörterung. Unabhängig davon hält der BGH aber auch die hier fragliche Klausel, nach der ein Abstellen an einem mit dem Empfänger vereinbarten Ort als Zustellung (Zugang) gilt, für unwirksam, da diese Regelung nach Empfänger nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen dne Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige.

Die Klausel als solche sei klar und verständlich und verstoße daher nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Allerdings würde sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, da sie nicht vorsähe, dass der Empfänger von der Bereitstellung des Pakets an der Ablieferungsstelle und dem Zeitpunkt der Abstellung in Kenntnis gesetzt würde.

Grundsätzlich seien Pakete nach § 3 Nr. 3 S. 1 PUDLV zuzustellen, sofern der Empfänger nicht erklärt habe, dass er die Sendung abholen wolle. Die Zustellung habe an der in der Anschrift benannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch Aushändigung an den Empfänger oder einen Ersatzempfänger zu erfolgen, soweit nicht gegenteilige Weisungen des Absenders oder Empfängers vorlägen (§ 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV). Nach § 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV würden aber Absender oder Empfänger die Weisung erteilen, dass auch in anderer Weise als durch persönliche Aushändigung an den Empfänger oder eine empfangsberechtigte Person an der in der Anschrift genannten Wohn- oder Geschäftsadresse zustellen.

Die Art und Weise der Zustellung in einem Fall des § 3 Nr. 3 PUDLV sei dort nicht geregelt. Die Zulassung der Form der Zustellung entspräche grundsätzlich den Interessen des Versenders, Beförderers und Empfängers, da dies die Zustellung beschleunige und vereinfache. Sie bedeute aber auch die Gefahr, dass ein Unbefugter die Sendung an sich nehme; es läge in der Natur der Sache, dass als Abstellort ein allgemein zugänglicher Ort - da er auch für den Frachtführer erreichbar sein müsse - gewählt würde. Das Risiko sei dann besonders groß, wenn die Abstellgenehmigung nicht nur für eine konkrete Lieferung erfolge, sondern für eine Vielzahl von Fällen. In diesen Fällen müsse gewährleistet werden, dass der Empfänger von einer bestimmten Sendung erfahre und in Kenntnis gesetzt würde, dass er sie an der in der Genehmigung benannten Stelle in Besitz nehmen könne. Nur so sei gewährleistet, dass der Empfänger in der Lage ist, die Sendung bald an sich zu nehmen, bevor es ein unberechtigter Dritter tut.

Die Erfüllung dieser Verpflichtung sei der Beklagten auch möglich. Nach der Lebenserfahrung würden dem Paketzusteller Abstellgenehmigungen elektronisch erteilt, weshalb er in der Lage sei, auf demselben Weg eine Benachrichtigung dem Empfänger zuzuleiten.  

BGH, Urteil vom 07.04.2022 - I ZR 212/ 20 -

Donnerstag, 10. Februar 2022

Anwaltliche Pflichten bei Vergleichsabschluss und Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien. 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -