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Donnerstag, 3. Oktober 2024

Beginn der Verjährung des Regressanspruchs des Rentenversicherungsträgers

Gegenstand des Verfahrens war der Antrag auf Feststellung eines (anteiligen) Regressanspruchs des klagenden Rentenversicherungsträgers aus § 110 Abs. 1 SGB VII. Der bei ihr versicherte Geschädigte erlitt einen Arbeitsunfall, verursacht durch eine Fehlbedienung eines Teleskoparms durch den Beklagten mit der Folge einer Querschnittlähmung. Der Unfallversicherungsträger erkannte mit Bescheid vom 124.05.2017 den Unfall vom 14.05.2015 als Arbeitsunfall an. Am 06.08.2021 beantragte der Geschädigte bei der Klägerin eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Rente wurde nicht gewährt, obwohl eine medizinische Begutachtung ergab, dass der Geschädigte seine ehemalige Beschäftigung nur noch im geringeren zeitlichen Umfang ausüben kann; er erhält weiterhin Leistungen zur Teilnahme am Arbeitsleben.

Die Klage des Rentenversicherungsträgers wurde dem Beklagten am 30.12.2022 zugestellt. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Das Landgericht wies die Klage – wegen Verjährung – ab. Das OLG wies die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung zurück.

Das OLG schloss sich der Auffassung des Landgerichts an, dass die Verjährung nach § 113 S. 1 SGB VII kenntnisunabhängig ab dem Tag der Feststellung des Versicherungsfalles durch den Unfallversicherungsträger läuft (BGH, Urteil vom 25.07.2017 – VI ZR 433/16 -). Frühere Rechtsprechung, die dies anders gesehen hatte, sei durch die Entscheidung des BGH überholt.

Die Bindungswirkung gelte nicht nur für den Unfallversicherungsträger, sondern auch für andere Sozialversicherungsträger. In seiner o.g. Entscheidung habe der BGH als obiter dictum festgehalten, dass für den Beginn der Verjährung gem. § 113 S. 1 SGB VII eine Feststellung der Leistungspflicht dem Grunde nach (und nicht der Höhe nach) genüge, dass „die für den Unfallversicherungsträger bindende Feststellung der Leistungspflicht nicht nur Voraussetzung für die Verjährung seiner eigenen Ansprüche ist, sondern auch für die Verjährung der Ansprüche anderer Sozialversicherungsträger“. Zwar habe der BGH offen gelassen, ob dies auch für Ansprüche des Rentenversicherungsträgers gelte, allerdings mit dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes argumentiert, wonach die Regelung für alle Sozialversicherungsträger gelte und es (dort im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung) für unerheblich gehalten, „wenn der Beginn der Verjährung für die Rückgriffsansprüche der Krankenkasse von einem Datum abhängig gemacht würde, dass ihr nicht bekannt sei und auf das sie keinen Einfluss habe“.

Dem Rentenversicherungsträgerdrohe zwar die Verjährung seiner Ansprüche, wenn er nicht innerhalb der ab diesem Zeitpunkt laufenden Frist von dem Schadensfall Kenntnis erlange. Der Wortlaut des § 110 Abs. 1 SGB VII unterscheide jedoch nicht zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsträgern, demgegenüber § 113 S. 1 SGB VII alleine auf die Feststellung der Leistungsverpflichtung des Unfallversicherungsträgers abstelle. Die Regelung sie im Kern und ihrer Konsequenz für andere Sozialversicherungsträger – namentlich dem Rentenversicherungsträger – seit Jahrzehnten unverändert geblieben und der Gesetzgeber habe offenbar bewusst auch bei diversen Anpassungen dies nicht grundlegend geändert. Damit scheide eine planwidrige Reglungslücke aus, und auch ein redaktionelles Versehen sei nicht erkennbar. Vielmehr stelle sich die Regelung als gesetzgeberische Grundentscheidung dar, bis wann das Interesse des nach § 110 Abs. 1 SGB VII Haftenden an Rechtssicherheit noch dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Durchsetzung dieser Regressansprüche vorgehen soll.

Damit sei – bei taggenauer Berechnung der Verjährungsfrist (BGH, Urteil vom 25.07.2017 - VI ZR 433/16 -) – die Verjährung mit dem Tag des Bescheides des zuständigen Unfallversicherungsträgers am 24.05.2017 in Lauf gesetzt worden (auf eine Leistungserbringungen durch diesen käme es nicht an) und habe am 24.05.2020 geendet. Die Verjährung sei bei Klageerhebung Ende 2022 bereits eingetreten gewesen. Vorher hab es auch keine verjährungshemmenden Umstände gegeben, was auch deshalb ausgeschlossen sei, dass die Klägerin erst im August 2021 von dem Schadensereignis Kenntnis erlangt haben will.

Allerdings verdeutlichen die Gründe des OLG, mit denen die Revision gegen seien Entscheidung zugelassen wurde, deutlich, dass das OLG die eigene Entscheidung nicht für akzeptabel hält. So verwies es darauf, dass der Gesetzgeber jedem Sozialversicherungsträger mit § 110 SGB VII hinsichtlich des Haftungsgrundes ausdrücklich eine völlig autarke Anspruchsgrundlage bei (wie hier) krassen Fehlverhalten des Anspruchsgegners eingeräumt habe und es nicht im Interesse des Gesetzgebers sein könne, den gesetzlichen Rentenversicherungsträger in der Praxis durch die strenge Verjährungsregel nach § 113 AGB VII faktisch vom Regress auszuschließen, da er vermutlich davon ausgegangen sei, dass Regressansprüche desselben überhaupt schon entstanden seien.  Es könnte im öffentlichen Interesse aller Rentenversicherungspflichtigen liegen, Ersatz für Aufwendungen zu erhalten, die ansonsten von der Solidargemeinschaft getragen werden müssten. Es sei auch nicht unbillig, dem Schädiger die Rechtsunsicherheit aufzuerlegen, erst viele Jahre nach dem Vorfall entsprechenden Regressansprüchen auszusetzen. Verwiesen wurde durch das OLG zudem auf ein Urteil des Brandenburgischen OLG vom 09.12.2014 – 3 U 48/13 - , in dem dieses auf den In § 113 SGB VII benannten § 199 BGB abstellte und die Auffassung vertrat, der Verweis auf § 199 Abs. 1 und 2 BGB sei überflüssig, wenn man nicht die dort verlangte Kenntnis mit als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn annehmen würde.  

Anmerkung: Die Entscheidung des OLG ist zunächst in seiner Begründung zur Zurückweisung der Berufung des Rentenversicherungsträgers nachvollziehbar. Unverständlich wird sie allerdings vor dem Hintergrund der Zulassung der Revision. Mit den benannten Zulassungsgründen, „nicht im Interesse des Gesetzgebers“ pp., verliert sich das OLG in allgemeine (rechtspolitische) Überlegungen. Im Urteil selbst hatte doch das OLG ausgeführt, dass eine Regelungslücke nicht vorläge und der Gesetzgeber bei mehrfachen Änderungen dies auch hätte ändern können, was er bewusst nicht getan habe. Damit würde diese Begründung nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen, sondern könnte allenfalls eine Handlungsaufforderung an den Gesetzgeber darstellen.

Ebenso wenig überzeugt die Entscheidung des Brandenburgischen OLG , auf welches sich das OLG hier zur Begründung der Zulassung der Revision berief: Zwar wird in § 113 SGB VII auf § 199 Abs. 1 und Abs. 2 BGB verwiesen. Wenn aber in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf Kenntnis abgestellt wird, kann dies nicht eine zusätzliche Voraussetzung für den Lauf der Verjährungsfrist sein, da dies dem Wortlaut des § 113 S. 1 SGB VII zuwiderliefe, der explizit auf darauf abstellt, dass die Norm „mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.“ Der Wortlaut „mit der Maßgabe“ beinhaltet bereits, dass die anderweitige Berechnung in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gerade nicht anzuwenden ist.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16.07.2024 - 7 U 89/23 -

Montag, 20. Mai 2024

Verjährungsbeginn für Eigentumsverschaffungsanspruch an Grundstück

Im notariellen Kaufvertrag aus 2004 erklärten die Parteien die Auflassung mit Anweisung an den Notar, den Antrag auf Vollzug der Auflassung erst zu stellen, wenn der Kläger dem schriftlich zustimmt oder die Beklagte die Kaufpreiszahlung nachgewiesen habe (bzw. diese vom Notar festgestellt worden sei). Eine Auflassungsvormerkung für die Beklagte wurde gewahrt. Mit Klage aus 2021 begehrte der Kläger die Löschung der Auflassungsvormerkung. Dabei ging er von einer Verjährung der Übereignungsforderung der Beklagten aus. Das Landgericht gab der Klage statt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde mit Beschluss des OLG zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses.

Dem Verlangen des Klägers würde eine Erfüllung des Anspruchs der Beklagten nicht entgegenstehen. Der Erfüllungsanspruch bestünde so lange, bis der schuldete Leistungserfolgt eingetreten sei (§ 362 Abs. 1 BGB). Dies bedürfe hier nicht nur der Auflassung, sondern auch der Eintragung des Eigentumswechsels in das Grundbuch (BGH, Urteil vom 13.10.2023 - V ZR 161/22 -).

Der Anspruch auf Löschung der Vormerkung, bei der es sich um ein streng akzessorisches Sicherungsrecht handele, könne gem. § 866 BGB darauf gestützt werden, dass der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch verjährt sei. Bei der Einrede der Verjährung handele es sich um eine dauernde Einrede, die den durch Vormerkung gesicherten Anspruch dauernd ausschließen würde. Allerdings sei der Übereignungsanspruch des beklagten vorliegend nicht verjährt.

Ansprüche auf Übertragung des Grundstücks würden in zehn Jahren verjähren, § 196 BGB, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs, § 200 BGB.  Ein Anspruch sei iSv. §§ 200, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden, sobald er erstmals geltend gemacht und (ggf. im Wege der Klage) durchgesetzt werden könne. Erforderlich sei dafür die Fälligkeit (z.B. BGH, Urteil vom 17.12.1999 - V ZR 448/98 -). Dies gelte auch für synallagmatisch verknüpfte vertragliche Ansprüche auf Leistung und Gegenleistung bei einem Grundstückskaufvertrag. Die Verjährung für synallagmatisch verbundene Ansprüche aus einen Vertragsverhältnis beginne erst mit der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs.

Grundsätzlich sei bei einem Kaufvertrag der Zeitpunkt dessen Abschlusses für die Entstehung des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung (und damit Beginn der Verjährungsfrist) entscheidend. Etwas anders gelte aber dann, wenn (aufgrund  gesetzlicher Regelungen oder vertraglicher Vereinbarung) der Anspruch nicht mit Vertragsabschluss, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig würde.

Üblicherweise würden in einem Grundstückskaufvertrag abweichende Regelungen zur Fälligkeit des Anspruchs auf Eigentumsverschaffung getroffen, um den Verkäufer davor zu schützen, dass er das Eigentum an seinem Grundstück verliert, ohne den Kaufpreis zu erhalten. Solche Regelungen könnten (wie hier) dazu führen, dass der Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst mit dem Nachweis der Kaufpreiszahlung fällig würde. Vor eigener Erfüllung der Kaufpreiszahlungspflicht könne der Käufer nicht erfolgversprechend auf Übertragung des Eigentums klagen (auch nicht mit dem Ziel einer Zug-um-Zug-Verurteilung). Nicht ausreichend sei, die Berechtigung des Käufers, jederzeit den Kaufpreis zu zahlen (§ 271 Abs. 2 BGB) und so die Fälligkeit des Eigentumsverschaffungsanspruchs herbeizuführen.

BGH, Urteil vom 15.03.2024 - V ZR 224/22 -

Montag, 6. Februar 2023

Verjährungsbeginn: Pflichtverletzung durch fehlerhafte Rechtsanwendung

Der Kläger machte gegen die Beklagte, einem Finanzdienstleistungsunternehmen, Schadensersatzansprüche mit der Behauptung fehlerhafter Anlagenberatung geltend. Diese verwies auf eine Anlage bei der B.-Stiftung, mit der der Kläger dann 2014 Kauf- und Lieferverträge abschloss. Nach dem Verkaufsprospekt sollten die Kunden Goldbarren mit einer Reinheit von 99,9% erwerben. In 2015 wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen die Geschäftsräume der B.-Stiftung durchsucht wurden, festgestellt wurde, dass von den Anlegergeldern in Höhe von € 57 Mio. nur Golf im Wert von € 10,58 Mio. erworben wurde, im Übrigen gelagertes Gold Falschgold gewesen wäre. Der Verblieb des Geldes blieb im Wesentlichen ungeklärt. Am 17.06.2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B.-Stiftung eröffnet. Der Kläger erfuhr davon und beauftragte einen Rechtsanwalt. Die Beklagte habe, so der Kläger, behauptet, die Investitionen des Klägers seien insolvenzfest, was rechtlich unzutreffend war.  

Am 13.11.2019 wurde seine Klage der Beklagten zugestellt, mit der er Schadensersatzansprüche mit der Begründung geltend machte, die Beklagte habe ihre Pflichten aus der Anlageberatung schuldhaft verletzt. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Das Landgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hin hob das Oberlandesgericht (OLG) dessen Urteil auf und wies die Klage, unter Verweis auf die nach seiner Ansicht eingetretene Verjährung, ab. Auf die zugelassene Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Der BGH ging, wie zutreffend auch das OLG davon aus, dass die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) mangels anderweitiger Bestimmungen, mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Anspruch entstand und der Gläubiger sowohl von den anspruchsbegründenden Umständen wie auch von der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB). Ausreichend sei, dass der Gläubiger um die anspruchsbegründenden Umstände weiß und nicht, dass er den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt. Allerdings könne es auch ausnahmsweise auf die zutreffende rechtliche Würdigung ankommen, was auch das OLG erkannt habe, sich aber mit den Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Ausnahmesituation nicht befasst habe.

Läge der für den Schadensersatzanspruch erforderliche haftungsauslösende Fehler in einer falschen Rechtsanwendung des Schuldners (hier der Beklagten), könne die Kenntnis dieser Rechtsanwendung als solcher nicht ausreichen. Vielmehr müsste der Geschädigte (hier Kläger) Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis davon haben, dass die Rechtsanwendung fehlerhaft ist (BGH, Urteil vom 07.03.2019 - III ZR 117/18 - u.a.). Die Kenntnis alleine der tatsächlichen Umstände vermöge für den Laien noch keine Kenntnis der Pflichtwidrigkeit der Handlung vermitteln. Die Angabe der Beklagten über eine „Insolvenzfestigkeit der Investitionen“ des Klägers sei rechtlich unzutreffend gewesen, was aber dazu führen würde, dass beim Kläger von einer Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen erst ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden könne, dass die (vom Kläger behauptete Angabe rechtlich unzutreffend ist, was vom OLG übersehen worden sei.

Alleine der Umstand, dass der Insolvenzverwalter hinsichtlich der Aussonderung des erworbenen Goldes eine andere Rechtsansicht vertrat als die Beklagte, genüge für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht, da der Anleger bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nehme, dessen Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen er besonderes Gewicht beimessen würde. In der Regel stelle es daher kein grobes Verschulden gegen sich selbst dar,  wenn er „ohne dringenden Anlass“ davon absehe, dessen Angaben z.B. durch Lektüre des Emissionsprospektes zu überprüfen. Das Unterlassen einer Kontrolle des Beraters durch den Anleger weise auf ein Vertrauensverhältnis hin und sei nicht schlechthin unverständlich oder unentschuldbar im Sinne grober Fahrlässigkeit gem. § 199 Abs. 1 Nr.2  BGB; dies gelte auch für beschwichtigende Äußerungen des Beraters nach Zeichnung der Anlage (BGH, Urteil vom 07.07.2011 - III ZR 90/10 -). Hinzu käme, dass die den Kläger beratende Rechtsanwaltskanzlei noch im Jahr 2015 ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt sei, eine Klage gegen den Insolvenzverwalter auf Aussonderung des Goldes sei erfolgreich (Anm.: Auf eine dem Kläger als Mandanten zuzurechnende fehlerhaften Rechtsberatung geht der BGH nicht ein). Solange der Kläger von einer Insolvenzfestigkeit in Übereinstimmung mit dem mandatierten Anwalt und der Beklagten ausgehen durfte, läge daher keine grobe Fahrlässigkeit vor. Es spräche vieles dafür, dass die Verjährung erst in 2016 zu laufen begonnen habe, weshalb sie bei Klageerhebung in 2019 noch nicht eingetreten gewesen sei.

BGH, Urteil vom 20.10.2022 - III ZR 88/21 -

Mittwoch, 3. August 2022

Ärztlicher Behandlungsfehler und Beginn des Laufs der Verjährung, §§ 195, 199 BGB

Bei dem Antragsteller wurde von Ärzten der Beklagten am 25.01.2017 eine Leistenhernienoperatin durchgeführt. Danach bildeten sich beim ihm eine Sepsis mit Nierenversagen bei 4-Quadranten-Reritonitis. Nach Ansicht des Antragstellers sei dies auf eine unzureichende Reaktion der Ärzte auf die von ihm geäußerten extremen Schmerzen und eine unzureichende Befunderhebung zurückzuführen.

Für seien Klage auf Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld, vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren und einer Einstandsverpflichtung der Beklagten für mögliche kausale Zukunftsschäden beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe, § 114 ZPO. Die Beklagte erhob im Rahmen ihrer Stellungnahme die Einrede der Verjährung. Mit Hinweis auf die eingetretene Verjährung lehnte das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da es damit an einer für die Gewährung von Prozesskostenhilfe notwendigen hinreichenden Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Klage ermangele, § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die dagegen von dem Antragsteller eingelegte sofortige Beschwerde war erfolgreich.

Wie auch bereits das Landgericht sah auch das Oberlandesgericht im Rahmen seiner Beschwerdeprüfung den Vortrag des Antragstellers zu einer Haftung der Beklagten als ausreichend an, wobei es darauf verwies, dass zwar der Patient einen Behandlungsfehler darlegen und beweisen müsse, allerdings von ihm im Hinblick auf das bestehende Informationsgefälle zwischen ihm und dem Arzt keine genauen Kenntnisse der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert würden und mithin nur maßvolle Anforderungen an seien Substantiierungslast zu stellen seien, wonach er sich auf einen Vortrag beschränken könne, der die Vermutung eines ärztlichen Fehlverhaltens aufgrund der Folgen für den Patienten gestatte (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 -).

Gegen die nach dem für die Gewährung der Prozesskostenhilfe sprechende Erfolgsaussicht gemäß Vortrag des Antragstellers könnte danach lediglich der Eintritt der Verjährung sprechen. Es gilt hier für die in Betracht kommenden Ansprüche gem. §§ 630a ff, 823ff BGB die regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB von drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umstände und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder aber ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Dies zugrunde legend wies das OLG als Beschwerdegericht darauf hin, die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis sei nicht schon dann zu bejahen, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt sei. Vielmehr sei erforderlich, dass er auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache hätte schließen können müssen. Erforderlich sei dazu nicht nur die Kenntnis von den Tatsachen, aus denen sich auch für den medizinischen Laien ergäbe, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen sei oder Maßnahmen nicht getroffen hätte, die nach ärztlichem Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich sind. Diese Kenntnis ei aber erst vorhanden, wenn die dem Antragsteller (Patienten) bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Arztes und auf die Ursache des Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen würden (BGH, Urteil vom 08.11.2016 - VI ZR 594/215 -). Im Hinblick auf ärztliche Behandlungsfehler sei zudem die Kenntnis des Abweichens vom medizinischen Standard oder des Unterlassens medizinisch gebotener Handlungen erforderlich.  Diese Kenntnis richte sich in Ansehung der Komplexität moderner medizinischer Behandlungsweisen nicht nach wissenschaftlichen Kriterien, sondern der Parallelwertung in der Laiensphäre des Patienten, nach der die Behandlung nicht lege artis durchgeführt worden sei. Er müsse mithin diejenigen Behandlungstatsachen kennen, die in Bezug auf einen Behandlungsfehler ein ärztliches Fehlverhalten und in Bezug auf die Schadenskausalität eine ursächliche Verknüpfung bei objektiver Betrachtung nahelegen. Ob eine Abweichung vom Standard vorläge könne der Laie, mit Ausnahme grundlegender Behandlungsmethoden, erst durch eine ärztliche Begutachtung des Schadens feststellen. Diese Begutachtung sei vorprozessual erst durch ein von der Krankenkasse eingeholtes viszeralchirurgisches MDR-Gutachten vom 18.08.2020, welches der Antragsteller mit Schreiben der Krankenasse vom 24.08.2020 zur Kenntnis erhielt, erfolgt. Ob eine fachgutachterliche Stellungnahme für den Lauf der Verjährungsfrist zwingend sei (so OLG Köln, Urteil vom 05.03.2018 - 5 U 98/16 -) könne auf sich beruhen, da nicht ersichtlich sei, aufgrund welcher sonstiger Umstände der Antragsteller zuvor die nach den benannten Maßstäben gebotene Kenntnis hätte erlangen können.

OLG Dresden, Beschluss vom 04.05.2022 - 4 W 252/22 -

Mittwoch, 17. Februar 2021

Befristeter Verjährungsverzicht ist unabhängig vom Ablauf der Verjährung

 

Die Parteien stritten darüber, ob bereits zum Zeitpunkt der Erhebung einer Klage Verjährung eingetreten sei und die Beklagte erfolgreich die Einrede der Verjährung erheben könne. Mit dem Datum vom 04.02.2004 hatte die Klägerin die Einleitung eines (grundsätzlich die Verjährung hemmenden, sollte sie nicht bereits eingetreten sein) Schlichtungsverfahren beantragt. Mit Schreiben vom 27.11.2006 gab die Beklagte die Beklagte die Erklärung ab, dass sie sich „weiterhin bis einschließlich 31.12.2007 nicht auf die Einrede der Verjährung … berufen“ würde. Das Kammergericht ist im Berufungsrechtszug davon ausgegangen, dass mit dem Einleitung bzw. Beendigung des Schlichtungsverfahrens in Ansehung dieser Erklärung die Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Dem folgte der BGH im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht und verwies den Rechtstreit an das Kammergericht zurück, da bisher vom Kammergericht nicht festgestellt worden sei, wann die Verjährungsfrist zu laufen begann und ob danach eine Verjährung bereits vor dem 31.12.2007 eintrat oder durch die Klageerhebung 2009 noch gehemmt werden konnte.

Das Kammergericht war der vom BGH nicht geteilten Rechtsauffassung, beide Parteien seien der Ansicht gewesen, dass die Verjährung eines möglichen Anspruchs der Klägerin bereits bei Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 eingetreten sei; da die Beklagte mit dem Schreiben vom 27.11.2006 „weiterhin“ auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe, könne dieser Verzicht nur so verstanden werden, dass die Frist mit Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 neu zu laufen beginnen solle und ab diesem Zeitpunkt bzw. dem Endes des Schlichtungsverfahrens am 12.11.2007 die Frist von neuem zu laufen beginnen soll und durch die Erhebung der Klage in 2009 erneut gehemmt worden sei.

Für die Entscheidung kam es auf die Auslegung der Erklärung der Beklagten vom 27.11.2007 an.  Auch wenn die Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich dem Tatrichter unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB in umfassender Gesamtwürdigung aller Umstände obliegen würde, könne dies vom Revisionsgericht darauf geprüft werden, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denk- und Erfahrungssätze vorlägen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe. Derartige Rechtsfehler nahm der BGH hier an.

Das Kammergericht sie bereits fehlerhaft davon ausgegangen, dass nach dem Antragsschreiben vom 04.02.2004 auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens die Parteien von einer zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Verjährung ausgegangen seien. Am Schluss des Antragsschreibens sei von einer drohenden Verjährung zu einem späteren Zeitpunkt (16.04.2004) die Rede.

Der BGH stellt darauf ab, dass es sich vorliegend um einen befristeten Verjährungsverzicht handele, der den Ablauf der Verjährung selbst nicht beeinflusse. Der Verjährungsverzicht habe regelmäßig zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen sei. Dieser Verzicht würde den Gläubiger von der alsbaldigen Erhebung der Klage (vor Ablauf des Zeitraums) entbinden. Erhebe er allerdings nicht innerhalb des Zeitraums Klage, könne sich der Gläubiger bei einer Klage nach Ablauf des Zeitraums wieder auf die Einrede der Verjährung berufen. Erfolge die Klage innerhalb des Zeitraums, würde der Verzicht auf die Einrede greifen und in diesem Fall auch über die Frist hinaus wirken. Allerdings gelte dies nur für den Hemmungstatbestand der Klage, es sei denn der Schuldner habe anderweitiges erklärt.

Für eine darüberhinausgehende Wirkung des Verjährungsverzichts bedürfe es besonderer Anhaltspunkte, so für einen vom Kammergericht angenommen neuen Lauf der Verjährungsfrist. Diese Anhaltspunkte müssten erkennen lassen, dass ein über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehender Verzichtswille des Schuldners bestand. Derartiges ließe sich nicht feststellen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verzicht im vorgenannten Sinn entgegen der Auffassung des Kammergerichts auch dann Sinn machen würde, wenn nach Annahme der Parteien zu dem Zeitpunkt des Verzichts die Verjährung bereits eingetreten sein sollte, das Schlichtungsverfahren die Verjährung also nicht mehr hätte hemmen können. Denn durch den Verzicht konnte die Klägerin ungeachtet einer bereits eingetretenen Verjährung den Ausgang des Schlichtungsverfahrens abwarten und bis Ende 2007 Klage erheben. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung noch nicht festgestanden habe, dass das Schlichtungsverfahren bis zu, 31.12.2007 abgeschlossen ist, bestand jedenfalls für die Klägerin die Chance, dass die Beklagte die Verzichtserklärung bei längerer Dauer des Schlichtungsverfahrens verlängert.

BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 285/19 -

Freitag, 27. Mai 2016

Verjährung des Regresses des Unfallversicherungsträgers nach §§ 110, 111 SGB VII

In seinem Urteil vom 08.12.2015 – VI ZR 37/15 – hat der BGH seine herausgebildete Rechtsprechung zur Frage der Verjährung von Ansprüchen des Sozialversicherungsträgers, bei der es stets darum geht, ab wann die Verjährungsfrist zu laufen beginnt.

§ 113 SGB VII bestimmt, dass für die Verjährung die Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 u. 2 und 199 BGB entsprechend mit der Maßgabe gelten, dass die Frist erst ab dem Tag gerechnet wird, zu dem der Sozialversicherungsträger seine Leistungspflicht bindend festgestellt habe. Vorliegend hatte der Unfallversicherungsträger geltend gemacht, dass er keinen diesbezüglichen Verwaltungsakt erlassen habe, also keine Bindungswirkung eingetreten sei. Dem Folgten der BGH wie auch die Vorinstanzen nicht. Der BGH führte aus, es wäre zunächst ausreichend, dass der Sozialversicherungsträger seine Leistungspflicht dem Grunde nach feststellt. Beiden Versicherten hatte der Kläger (Unfallversicherungsträger) beiden Versicherten schriftlich mitteilte, dass ein Arbeitsunfall vorläge und er daher Leistungen zu erbringen habe. Diese Schreiben würden sich als Verwaltungsakt darstellen, da ein verständiger Versicherter sie in Ermangelung anderer Umstände nur als verbindliche Regelung und nicht als bloße Information auffassen könnte.

Ob hier maßgeblich die Leistungspflicht oder die Rechtskraft eines Urteils gem. § 113 SGB ist oder zusätzlich  die weiteren Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 BGB vorliegen müssten, ließ der BGH offen. Darauf kam es vorliegend nicht an, da auch bereits im September 2005 der Kläger Bescheide zur Zahlung von Verletztengeld und Übernahme von Behandlungskosten erließ; da diese Bescheide die Versicherten nicht beschwerten, erwuchsen sie sofort in Rechtskraft, weshalb der Anspruch nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstand.

Der Kläger machte weiterhin geltend, dass sie nicht bereits am 18.01.2006 von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erfahren zu haben, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Auch damit konnte er nicht durchdringen.

Die für eine Klage erforderliche Kenntnis wird im allgemeinen angenommen, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, eventuell auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend (wenn auch nicht unbedingt risikolos) möglich ist. Er müsse also nicht alle Umstände im Einzelnen wissen, noch hinreichend sichere Beweismittel zur Hand haben (Bestätigung von BGH, Urteil vom 27.05.2008 – XI ZR 132/07 – und vom 09.11.2007 – B ZR 25/07 -).  Hier war die Rechtsabteilung (Regressabteilung) des Klägers über diese Umstände informiert gewesen, auf deren Kenntnis (nicht auf die Kenntnis des Leistungssachbearbeiters) der BGH abstellt. Ihr lag der Unfallbericht vor. Behauptete Säumnisse des Beklagten wurden unter Überschrift „Organisatorische Ursachen“ aufgeführt. Damit hätte der Mitarbeiter der Rechtsabteilung davon ausgehen müssen, dass die im Verfahren behaupteten Versäumnisse aus dem Verantwortungsbereich des Beklagten den Arbeitsunfall jedenfalls mitverursacht haben. Aus dem Bericht ergäbe sich auch nicht, dass der Bericht wegen nicht abgeschlossener technischer Ursachenforschung nur vorläufigen Charakter habe.

Da damit die notwendigen Kenntnisse iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits in 2006 ebenso vor wie  auch zu diesem Zeitpunkt bindend die Leistungspflicht feststand. Die Verjährung begann mithin Ende 2006 zu laufen und trat Ende 2009 ein.

Auch aus dem Umstand, dass auf ein Schreiben des Klägers vom 19.01.2007, mit dem sie gegenüber dem Beklagten die Prüfung von Schadensersatzansprüchen mitteilte ergäbe sich auch im Hinblick auf ein am folgenden Tag mit dem Beklagten geführten Telefonat, in dem der Beklagte lediglich erklärte, er wolle derzeit noch nicht seinen Haftpflichtversicherer benennen, keine Hemmung der Verjährung. Die Hemmung setzt eine Verhandlung über den Anspruch oder anspruchsbegründende Umstände voraus, § 203 BGB. Das Schreiben und das darauf geführte Telefonat stellen sich nicht als Verhandlungen dar, zumal auch der Kläger nur von einer Prüfung von Ansprüchen sprach.

Der weitere Umstand, dass der Haftpflichtversicherer gegenüber der Deutschen Rentenversicherung auf die Einrede der Verjährung verzichtete, führt auch nicht weiter. Selbst wenn es sich bei dem Kläger und der Deutschen Rentenversicherung um Gesamtgläubiger handeln sollte, würde der Verjährungsverzicht gegenüber einem von beiden nicht mangels anderweitiger Anhaltspunkte tangieren.


BGH, Urteil vom 08.12.2015 – VI ZR 37/15 -