Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung, die er anlässlich eines Totalschadens des versicherten Pkw in Anspruch nahm. Dabei begehrte er eine Neupreisentschädigung. Diese besagte nach den Versicherungsbedingungen, dass der Versicherer anstelle des Widerbeschaffungswertes den Neupreis zahlt, wenn der Versicherungsfall (Totalschaden oder Verlust) innerhalb von 36 Monaten nach Erstzulassung eintritt. Allerdings wurde in der Klausel nicht ausgeführt, wann ein Totalschaden vorliegt. Der Vertrag verwies auf die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB), nach deren Ziffer 1.5.1 (2) ein Totalschaden vorliegt, wenn die erforderlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen.
Das Landgericht wies die Klage ab und das OLG wies in seinem Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigte, die zulässige Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Ein bedingungsgemäßer Totalschaden läge nicht vor, der den Ersatz des Neupreises begründe.
Nach einem Schadensgutachten würden sich die Reparaturkosten auf € 17.142,55 belaufen. Der Wiederbeschaffungswert sei aber mit € 22.500,00 ausgewiesen, läge mithin über den Reparaturkosten. Damit bestand auch nach Haftpflichtgrundsätzen kein wirtschaftlicher Totalschaden. Nicht entscheidend sei, ob ein sogen. Unechter Totalschaden vorliegt, bei dem die Schadensbehebung im Wege der Reparatur zwar geringere Kosten als eine Ersatzbeschaffung verursache, dem Geschädigten aber die Reparatur nicht zuzumuten sei. Allerdings folge das Schadensersatzrecht anderen rechtlichen Prämissen als das hier anwendbare Versicherungsvertragsrecht, welches hier anwendbar ist. Während im Schadensersatzrecht der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB die Möglichkeit habe die Schadensbehebung in die eigenen Hände zu nehmen, ließe sich dies auf den Kaskoversicherungsvertrag nicht unmittelbar übertragen.
Entscheidend sei daher für die Bewertung als bedingungsgemäßer Totalschaden die Auslegung der Versicherungsbedingungen. Diese seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstünde. Abzustellen sei dabei auf einen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Entscheidend sei zunächst der Wortlaut, der mit dem Bedingungswerk verbundene Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln (soweit für den Versicherungsnehmer erkennbar) seien zusätzlich zu berücksichtigen.
Danach würde sich hier für diesen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der die maßgeblichen Versicherungsbedingungen (hier in den AKB) mit dem Begriff des Totalschadens verbindet, ohne weiteres ergeben, dass dieser Begriff losgelöst von den Grundsätzen des Haftpflichtrechts geregelt sei.
OLG Hamm, Hinweisbeschluss
vom 24.06.2021 - 20 U 96/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Der Senat
beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1
ZPO zurückzuweisen.
Es wird
Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
Der Senat ist
einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf
Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die
Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche
Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
Das Landgericht
hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufungsangriffe des Klägers aus der
Berufungsbegründung vom 22. Juni 2021 (Bl. 37 ff. der elektronischen
Gerichtsakte II. Instanz) greifen nicht durch.
1.
Dem Kläger
steht der geltend gemachte Anspruch auf Neupreisentschädigung nicht zu, da es
an einem bedingungsgemäßen Totalschaden im Sinne der im Versicherungsschein vom
12. November 2019 vereinbarten Klausel zur Neupreisentschädigung fehlt.
Nach ihr
verspricht der beklagte Versicherer, im Schadensfall anstelle des
Wiederbeschaffungswertes den Neupreis zu zahlen, wenn innerhalb von 36 Monaten
nach Erstzulassung des Fahrzeugs ein Totalschaden oder der Verlust des
Fahrzeugs eintritt. Über die Frage, wann von einem bedingungsgemäßen
Totalschaden in diesem Sinne auszugehen ist, trifft die Klausel selbst keine
nähere Regelung. Sie verweist lediglich auf weitere Erläuterungen einer - nicht
aktenkundigen - "Zusatzvereinbarung Premium". Im Übrigen ist in dem
Vertrag vereinbart die Geltung der - vorgelegten - AKB.
Nach der -
insoweit eindeutigen - Definition in den zugrunde liegenden AKB der Beklagten
kommt es in der Kaskoversicherung zu einer Totalschadenabrechnung erst, wenn
nach Ziff. 1.5.1 (2) des Leistungsbausteins Kasko die erforderlichen
Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Dass diese
Voraussetzungen hier nicht vorlagen, hat das Landgericht zutreffend
festgestellt und wird auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen. Nach dem
Schadengutachten vom 24. Juni 2020 (Bl. 88 ff. der elektronischen Gerichtsakte
I. Instanz) beliefen sich die erforderlichen Reparaturkosten auf brutto
17.142,55 EUR und lagen damit unterhalb des Wiederbeschaffungswertes von
brutto 22.500 EUR. Auch nach Haftpflichtgrundsätzen bestand damit - anders
als der Kläger geltend macht - kein sog. wirtschaftlicher Totalschaden.
Demgegenüber kommt es nicht auf die Frage an, ob nach den Gesichtspunkten des
Schadensersatzrechts von einem sog. "unechten" Totalschaden
auszugehen ist, bei dem die Schadensbehebung im Wege der Reparatur zwar geringere
Kosten verursacht als eine Ersatzbeschaffung, die Reparatur jedoch dem
Geschädigten nicht zuzumuten ist (vgl. zu Einzelheiten Piontek in
Filthaut/Piontek/Kayser, Haftpflichtgesetz 10. Aufl. § 10 Rn. 12).
Ohnehin aber
folgt das Schadensersatzrecht anderen rechtlichen Prämissen als das im
Streitfall maßgebliche Versicherungsvertragsrecht. Es ist von der Erwägung
getragen, dass der Gesetzgeber dem Geschädigten in § 249 Abs. 2
Satz 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt hat, die Schadenbehebung gerade
unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie
vorzunehmen. Die für das Haftpflichtrecht entwickelten Maßstäbe können deshalb
auf die Beziehung der Parteien des Kfz-Kaskoversicherungsvertrags jedenfalls
nicht unmittelbar übertragen werden (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom
14. April 2021 - IV ZR 105/20, VersR 2021, 761 Rn. 21 mwN).
Demgemäß
entscheidet über die Frage, ob eine bedingungsgemäßer Totalschaden vorliegt,
allein die Auslegung der vereinbarten Versicherungsbedingungen. Insoweit gelten
die allgemeinen Maßstäbe des Versicherungsvertragsrechts. Allgemeine
Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie
ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei
verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des
erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die
Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne
versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen
an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem
Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind
zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar
sind (BGH, Urteil vom 14. April 2021 aaO Rn. 22).
Hieran gemessen
wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer neben dem Wortlaut der Klausel
für die Neupreisentschädigung hinsichtlich des Begriffs
"Totalschaden" die für den Versicherungszweig der Kaskoversicherung
maßgeblichen Versicherungsbedingungen in den Blick nehmen und erkennen, dass
der Begriff dort eindeutig und losgelöst von den für das Haftpflichtrecht
maßgeblichen Grundsätzen eigenständig definiert ist.
Dass sich aus
der "Zusatzvereinbarung Premium" etwas anderes - insbesondere eine
von den zugrunde liegenden AKB abweichende und die Eintrittspflicht des
Versicherers erweiternde Definition des Begriffs - ergibt, hat der für die
Voraussetzungen der geltend gemachten Entschädigungsleistung als
Versicherungsnehmer darlegungsbelastete Kläger bereits nicht behauptet.
2.
Auch einen
Schadensersatzanspruch des Klägers hat das Landgericht zu Recht verneint.
Der Kläger hat
bereits nicht dargetan, dass die Mitarbeiterin der Beklagten konkrete
Erklärungen dahin abgegeben hat, ihm stünden gerade in Ansehung der
Neupreisentschädigungsklausel Leistungsansprüche zu, die über den konkret vereinbarten
Vertragsinhalt hinausgehen. Die allein behauptete Erklärung, die
"Versicherung greife", ist für sich genommen zutreffend.
Selbst wenn man
aber die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aufgrund der Erklärung
unterstellen wollte, fehlt es hinsichtlich des Schadens an einem Beweisangebot
des Klägers dafür, dass er sich für eine Reparatur des Fahrzeugs entschieden
hätte. Auf eine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens kann sich der Kläger
nicht berufen. Sie kommt nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige
verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern - wie hier - nach
pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht
gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen
hätten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2012 - IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rn. 36
mwN). Der Kläger sei hierzu auch darauf hingewiesen, dass auch eine Reparatur
(und Weiternutzung des Fahrzeugs) natürlich nichts daran geändert hätte, dass
ein Anspruch gegen die Beklagte auf weitere Zahlung bis zum Neupreis nicht
entstanden wäre. Der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 7.626,36 EUR
(Differenz Neupreis zu Wiederbeschaffungswert) besteht von vornherein nicht.
II.
Auf die
Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG)
wird hingewiesen.
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