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Mittwoch, 24. April 2024

Verkehrssicherungspflicht für Bäume Bäumen Park

Die Klägerin wurde durch einen abgebrochenen Ast einer Rostkastanie im städtischen Park schwer verletzt.   Das Landgericht wies die Klage ab.  Die eingelegte Berufung wurde vom OLG als unbegründet zurückgewiesen. Dabei ging es in der Sache um die Frage, wie weit die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht für Bäume in einem Stadtpark reichen.

Der für einen Baum Verantwortliche sei verpflichtet, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine von dem Baum ausgehende Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, Urteil vom 02.10.2012 - VI ZR 311/11 -).  Diese Pflicht sei im Wald insoweit eingeschränkt, als eine Sicherung vor waldtypischen gefahren nicht erfolgen müsse (BGH aaO.). Im Übrigen käme es auf die Umstände des Einzelfalls und der Zumutbarkeit an. Maßgeblich seien dabei der Umfang des Verkehrs, der Standort und Veränderungen im Baumumfeld sowie Art, Entwicklungsphase und Alter des Baumes. Je größer die vom Baum ausgehende Gefahr sei, desto höher seien die Anforderungen an den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht. An Straßen und Wegen seien danach konkret gefährdende Bäume zu entfernen, insbesondere wenn sie nicht mehr standscher seine oder herabzustürzen drohen würden. Allerdings, so das OLG, würden alle Bäume abstrakt eine Gefahr darstellen; völlig gesunde Bäume könnten bei einem Sturm (auch ohne außergewöhnliche Windstärke) entwurzelt oder geknickt werden oder etwas von ihnen abbrechen, wie auch Schneeauflagen und starker Regen zum Abbrechen selbst starker Äste führen könnten. Aber es sei auch nichts stets eine Erkrankung eines Baumes äußerlich sichtbar. Diese ganzen Umstände würden es nicht gebieten, alle Bäume aus der Nähe von Straßen, Plätzen und Wegen zu entfernen, auch nicht in einem Park. Es sei auch keine besonders gründliche Untersuchung aller Bäume notwendig.

Es könne für die notwendige Sicherung nicht darauf abgestellt werden, was zur Beseitigung jeder Gefahr erforderlich wäre. Der Verkehr könne nicht völlig risikolos gestaltet werden. Es müsse als unvermeidlich hingenommen werden, dass gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstünden, sondern auf Gegebenheiten der Natur selbst beruhen würden (Anm.: allgemeines Lebensrisiko). Ausreichend sei daher eine Kontrolle des Verpflichteten, die außer der stets gebotenen regelmäßigen Beobachtung auf trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen des Baumes oder Frostrisse, eine Untersuchung beinhaltet, wo besondere Umstände sie dem Einsichtigen angezeigt erscheinen ließen. Dazu würden das Alter des Baumes, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung oder sein statischer Aufbau oder ähnliches gehören (BGH, Urteil vom 06.03.2014 - III ZR 352/13 -; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2023 - 1 U 310/20 -).

Entsprechend müssten die Sicherungspflichtigen die entsprechenden Bäume regelmäßig beobachten und auf Gefahrenzeichen hin kontrollieren, die ggf. eine eingehendere Untersuchung gebieten. Das OLG wies darauf hin, dass zur Kontrolldichte (den Kotrollintervallen) verschiedene Ansichten vertreten würden. So würde von halbjährlichen Kontrollen ausgegangen, der BGH allgemein dies vom Alter, Standort und Zustand abhängig machen, teilweise nach der FLL-Richtlinie ein jährlicher Intervall als ausreichend angesehen, wobei die Richtlinie weiter differenzieren würde und die jährliche Kontrolle nur bei stärker geschädigten Bäumen in der Reife- und Alterungsphase fordere, ansonsten nur alle zwei bis drei Jahre.

Das OLG ließ offen, in welchem Intervall hier eine Baumkontrolle (in einem Park, in dem der Baum an einem Fuß- und Radweg stand) notwendig gewesen wäre. Es läge sogar in Ansehung eines vorgelegten Auszugs aus der „Archikart Baumverwaltung“ nähe, dass der danach leicht geschädigte Baum nicht in den fachlich gebotenen Abständen kontrolliert worden sei. Danach hätte der Baum nach einer Kontrolle im Februar 2017 in spätestens zwei Jahren neuerlich kontrolliert werden müssen, was nicht erfolgt sei. Auch ließ es das OLG dahinstehen, ob die Kontrollen überhaupt hinreichend waren.

Hier wurde im Urteil die unterschiedliche Darlegungs- und Beweislast zwischen dem Baumverantwortlichen und dem (geschädigten) Kläger deutlich. Der Baumverantwortliche muss darlegen und nachweisen, dass er seiner Kontrollverpflichtung nachgekommen ist und dabei keine Baumschädigung feststellen konnte, die letztlich zu dem Schadensfall führte. Kam er der Verpflichtung nicht nach (oder kann er dies nicht nachweisen), ist aber die Schadenersatzklage gegen ihn noch nicht dem Grunde nach begründet. Zutreffend verwies das OLG (unter Bezugnahme u.a. auf das Urteil des BGH von 04.03.2004 – III ZR 225/03 – darauf, dass ein (evtl. infolge der Beweislast anzunehmendes oder auch nachgewiesenes) Unterlassen regelmäßiger Kontrolle für den Schaden kausal geworden sein müsste. Dabei kämen dem Geschädigten keine Beweiserleichterungen zugute; insbesondere würde auch kein Beweis des ersten Anscheins dafür streiten, dass bei einer häufigeren oder intensiveren Kontrolle der Unfall vermieden worden wäre. Es bestünde nach der Lebenserfahrung keine Wahrscheinlichkeit, dass bei einer normalen Sichtkontrolle – ggf. gar mehrere Monate vor dem Schadensfall – Krankheitsymptome oder andere Anzeichen einer besonderen Bruchanfälligkeit vorliegen.

Dass hier die beklagte Partei rechtzeitig hätte eine Schädigung des Baumes feststellen können, und damit die Gefahr ausräumen können, wurde auch von einem eingeholten Sachverständigengutachten nicht bestätigt. Anders als die Klägerin annehme, stünde nicht fest, dass der Ast aufgrund seiner – bei einer Regelkontrolle erkennbaren – besonderen Länge und Windexposition brach. Der Sachverständige habe dies nur vermuten, nicht aber an tatsächlichen Gegebenheiten festmachen können (Anm.: was nach § 286 ZPO nicht ausreichend ist). Der Umstand, dass sich nun nach vier Jahren nach dem Vorfall der Baum als deutlich geschädigt und zu fällen zeige, ließe keine Rückschlüsse auf den Zustand zum Zeitpunkt des Vorfalls zu.

OLG Brandenburg, Urteil vom 08.01.2024 - 2 U 10/23 -

Sonntag, 17. September 2023

Rückschnitt vom Nachbargrundstück überhängender Äste

Immer wieder kommt es im Zusammenhang mit Anpflanzungen an einer Grundstücksgrenze zu einem Streit zwischen den Nachbarn, sei es, dass bei Anpflanzungen der in den Nachbarrechtsgesetzen der Länder vorgesehene Grenzabstand nicht eingehalten ist (vgl. z.B. §§ 38 ff NachbG HE), sei es, dass ein Überhang auf das benachbarte Grundstück vorliegt. Den Überhang kann der davon betroffene Nachbar gem. § 1004 BGB entgegentreten - wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. § 1004 BGB lautet:

 (1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Ferner gibt § 910 BGB dem durch den Überhang beeinträchtigten Nachbarn auch ein Selbsthilferecht an die Hand:

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt.

(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.

Vorliegend verlangte der Kläger vom Beklagten den Rückschnitt von Ästen und Zweigen diverser Bäume, da diese auf sein Grundstück ragten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Unter Abänderung dieses Urteils gab das Landgericht der Berufung allerdings statt und wies die Klage ab. Kernpunkt war, ob hier durch den Überhang das Eigentum des Klägers in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wurde, § 1004 Abs. 1 S.1 BGB (das Selbsthilferecht des § 910 Abs. 1 BGB verlangt gem. Abs. 2, dass durch die Zweige die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigt wird). In beiden Fällen ist mithin die Beeinträchtigung des Grundstücks durch die überragenden Äste/Zweige erforderlich.

Das Landgericht ging auf der Grundlage eines eingeholten Sachverständigengutachtens davon aus, dass ein Überhang bestand. Allerdings negierte es einen Anspruch des Klägers nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. § 910 Abs. 1 S. 2 BGB im Hinblick auf § 910 Abs. 2 BGB, da die Benutzung des klägerischen Grundstücks durch den Überhang nicht als beeinträchtigt anzusehen sei.  

Nicht das subjektive Empfinden des Grundstückseigentümers sei für die Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, entscheidend, vielmehr müsse der Überhang objektiv beeinträchtigend sein. Für das Nichtvorliegen der Beeinträchtigung sei allerdings der Nachbar darlegungs- und beweisbelastet, auf dessen Grundstück der Baum stehen würde, hier mithin der Beklagte (BGH, Urteil vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 -). Dieser habe den von ihm zu erbringenden Nachweis erbracht.

Nach Auffassung der Berufungskammer des Landgerichts fehle es an einer relevanten Beeinträchtigung, wenn die Störung im Vergleich zu den Wirkungen des Rückschnitts außer Verhältnis stehen und deshalb unzumutbar sei. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die verlangte Maßnahme die Gefahr des Absterbens des Baues oder zu einer erhöhten Risikolage führe. Das Verlangen würde dann auf eine verbotene Beseitigung des Baumes hinauslaufen (im Anschluss an OLG Köln, Urteil vom 12.07.2011 - 4 U 18/10 -).  Da die Bäume (unstreitig) mindestens acht Jahre alt seien und der Kläger die Beseitigung nach § 47 Abs. 1 NachbG NRW daher nicht mehr verlangen könne, sei hier der in Rede stehende Anspruch des Klägers ausgeschlossen, da er auf die Beseitigung der Bäume hinauslaufe. Der Sachverständige sei in seinem Gutachten zu dem Schluss gelangt, dass bei dem klägerseits begehrten Rückschnitt kaum ein Baum überleben würde.

Das Landgericht bezog sich zur Stützung seiner Argumentation lediglich auf ein Urteil des OLG Köln vom 12.07.2011 - 4 U 18/10 -. Dort wurde ebenfalls festgehalten, dass eine Unzumutbarkeit bestünde, wenn in Folge des Rückschnitts es zu einem Absterben des Baumes oder einer erhöhten Risikolage käme.

Allerdings geht das Landgericht nicht auf das Urteil des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 - ein, demzufolge das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB nicht deshalb ausgeschlossen sei,  da durch die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit drohe, es sei denn, naturschutzrechtliche Beschränkungen stünden dem entgegen (was im vorliegenden Fall nicht benannt wurde). Das Selbsthilferecht würde uneingeschränkt bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, also wenn die Wurzeln oder Zweige die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigen. Wörtlich führte der BGH aus: „Eine Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung, mit der der Ausschluss des Selbsthilferechts teilweise begründet wird (…), ist gesetzlich nicht vorgesehen und widerspräche den Vorstellungen des Gesetzgebers.“ Weiter verwies der BGH darauf, dass eine Einschränkung des Selbsthilferechts nach § 910 BGB auch nicht deshalb in Betracht käme, da eine landesrechtliche Ausschlussfrist zur Beseitigung des Baumes abgelaufen und mit dem Selbsthilferecht umgangen werden könne. Die nachbarrechtlichen Vorschriften der Länder würden kein Selbsthilferecht des beeinträchtigten Nachbarn in Bezug auf überhängende Äste/Zweige oder eingedrungene Wurzeln regeln und könnten dies mangels Gesetzgebungskompetenz die Regelung des § 910 BGB daher auch nicht einschränken.

Während der Anspruch des beeinträchtigten Eigentümers nach § 1004 BGB jedenfalls der Regelverjährung des § 195 BGB unterfällt (wobei es bei einem Überhang darauf ankommt, wann welcher Teil des überhängenden Astes gewachsen ist), unterliegt das Selbsthilferecht nach § 910 BGB keiner Verjährung (BGH, Urteil vom 22.02.2019 - V ZR 136/18 -).

Allerdings betrifft das Urteil des BGH vom 11.06.2021 - V ZR 234/19 - lediglich das Selbsthilferecht nach § 910 BGB. Der Ansatz des Landgerichts in der hier besprochenen Entscheidung ist auch unter Beachtung des Urteils des BGH zutreffend, da sich der BGH zur Begründung der fehlenden Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung lediglich auf das unabhängig von den Nachbarrechten der Länder geltende Selbsthilferecht des § 910 BGB bezog, bei dem er keine Verjährungsproblematik sah. Dies lässt sich auch aus den Gründen des Urteils des BGH nicht auf den Anspruch aus § 1004 BGB übertragen. Für den Kläger in dem hier besprochenen Verfahren vor dem Landgericht bedeutet dies, dass er zwar von seinem Nachbarn keinen Rückschnitt beanspruchen kann, aber sehr wohl diesen nach § 910 BGB trotz der Gefährdung der Bäume selbst durchführen könnte.

LG Köln, Urteil vom 02.03.2023 - 6 S 27/20 -

Mittwoch, 16. März 2016

Nachbarschaftsrecht: Laubbefall durch herüberhängende Äste

Nur selten wird man in der glücklichen Lage sein, sich seinen Nachbarn aussuchen zu können. Und so gehören Nachbarstreitigkeiten zu den gerichtlichen Verfahren, die immer wieder anzutreffen sind, und bei denen letztlich nicht „die Sache“ selbst ursächlich ist, sondern  der Streit zwischen den Nachbarn. Fälle, in denen ein Richter selten eine Chance hat, eine gütliche Einigung zu bewirken (die regelmäßig auch vorher schon vor dem Schiedsmann ausblieb).


Bild: pixabay
Zu einen der Gründe für häufige nachbarschaftliche Auseinandersetzungen gehört der Bewuchs im Nachbargarten. So musste sich das OLG Brandenburg mit der Frage auseinandersetzen, ob Äste. Die mehrere Meter herüberragen, geduldet werden müssen. Neben den Regelungen des BGB sind die einschlägigen Nachbarschaftsgesetze der Länder zu berücksichtigen.

Klar wird vom OLG Brandenburg ausgeführt, dass der beeinträchtigte Nachbar vorliegend einen Anspruch auf Beseitigung des Überhangs nach §§ 1004 Abs. 1, 910 BGB habe, wenn sich ein Duldungsanspruch nicht ergibt. Insbesondere müsse er hier auch die von dem Überhang ausgehende Beeinträchtigung nicht nach § 910 Abs. 2 BGB dulden. Zwar wäre eine Beschattung vorliegend kein Grund, auch nicht ein gelegentliches Herabfallen von Eicheln; allerdings würde sich das Herabfallen des Laubs und der Kiefernadeln der Bäume als nicht unerhebliche Beeinträchtigung darstellen, da nach einem Sachverständigen 3 Kubikmeter im Jahr anfallen sollen.

Auch wenn die Frist für die Geltendmachung des Grenzabstandes nach dem Nachbarschaftsgesetz abgelaufen ist, hindere dies nicht die Ansprüche aus §§ 1004, 910 BGB. Allerdings käme ein Rückschnitt nicht in Betracht, wenn dieser genehmigungsfrei ist oder eine Genehmigung erteilt wird; wird eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt, würde dem Kläger ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zustehen (dessen Höhe in dieser Entscheidung nicht gegenständlich war).


OLG Brandenburg, Urteil vom 17.08.2015 – 5 U 109/13 -