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Montag, 30. Oktober 2023

Haftung bei auffahren eines Radfahrers auf Pkw

Der Kläger nahm mit seinem Rennrad an einem Zeitfahren seines Radsportvereins teil. Die Strecke führte über öffentliche, nicht für den übrigen Verkehr gesperrte Straßen. An der S-Straße schloss der Kläger annähernd zum Zeugen B. auf. Zu dieser Zeit fuhr der Kläger mit seinem Pkw Opel Astra ebenfalls die S-Straße in gleicher Fahrtrichtung mit ca. 30 km/h. Im weiteren verlauf der Straße wurde die Höchstgeschwindigkeit auf 40 km/h beschränkt. Ob der Kläger nach links zu einer Sportanlage abbiegen wollte, war streitig. Der Zeuge B. setzte zum Überholen des Pkw an. Der Kläger befand sich noch einige Meter hinter dem Zeugen B., wollte aber auch überholen. Kurz vor Beendigung des Überholvorgangs kollidierte der Zeuge B. mit der linken vorderen Ecke des Pkw (aus unklaren Grund) und stürzte. Der Beklagte bremste stark ab. Auch der Kläger bremste, wich nach rechts aus, konnte aber eine Kollision mit dem rechten Heck des Pkw nicht mehr verhindern und stürzte ebenfalls, wobei er sich Verletzungen zuzog.

Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf seine Berufung erließ des Oberlandesgericht (OLG) einen Hinweisbeschluss, demzufolge es beabsichtige, die Berufung wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit zurückzuweisen.

Grundsätzlich würden der Beklagte als Fahrer und Halter gemäß §§ 7, 18 Abs. 1 StVG und der Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG eines unfallbeteiligten Fahrzeugs gesamtschuldnerisch für einen Schadensersatzanspruch haften. Die Verletzungen des Klägers seien beim Betrieb eines Fahrzeugs verursacht worden. Es läge keine höhere Gewalt nach § 7 StVG vor. Allerdings würde vorliegend die Gefährdungshaftung des Pkw gegenüber dem Mitverschulden des Klägers nach §§ 9 StVG, 254 BGB zurücktreten. Die Haftungsabwägung würde sich an den zu § 17 Abs. 1 entwickelten Rechtsgrundsätzen orientieren. Dazu seien alle unstreitigen oder erwiesenen Faktoren einzubeziehen, die zur Entstehung des Schadens beigetragen und einem der Beteiligten zuzurechnen seien (BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05 -). Diese Abwägung könne auch zum vollständigen Ausschluss einer Einstandsverpflichtung führen, wenn das Verschulden des Geschädigten derart überwiege, dass die vom Schädiger ausgehende Ursache völlig zurücktrete (OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.02.2014 – 4 U 59/13 -). Davon sei hier auszugehen.

Das OLG ging davon aus, dass es sich für den Kläger um einen typischen Auffahrunfall handele, der dem Anschein nach dadurch verursacht worden sei, dass er zu dicht aufgefahren sei oder unaufmerksam war; in beiden Fällen hätte er grob gegen seien Verkehrspflichten verstoßen.  Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO müsse der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug idR. so groß sein, dass auch hinter dem (gefahrlos) gehalten werden kann, wenn dieses plötzlich abgebremst wird. Grundlos dürfe der Vorausfahrende nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO nicht stark abbremsen, doch sei hier das starke Abbremsen durch die vorausgegangene Kollision mit dem weiteren Radfahrer ein zwingender Grund gewesen. Weiterhin berücksichtigte das OLG, dass sich der Kläger auf einer sportlich ambitionierten Zeitfahrt befunden habe, was offenbar Einfluss auf seinen Fahrstil gehabt und die Unfallgefahr erhöht habe. Ohne Bemühen um schnelles Vorankommen habe im Bereich einer Geschwindigkeitsbegrenzung keine Veranlassung zum Überholen [Anm.: Nach dem Beschluss befand sich die Geschwindigkeitsbegrenzung erst im weiteren Verlauf der Straße, nicht an der Unfallstelle] und – wohl in Vorbereitung des Überholmanövers- Unterschreitens des gebotenen Sicherheitsabstandes bestanden.

Es sei nicht erwiesen, dass der Beklagte nach links abbiegen wollte. Insoweit habe der Beklagte seine vorherige Angabe zulässig glaubhaft korrigiert (was vom OLF näher dargelegt wurde). Letztlich käme es für die Beurteilung der Kollision als typischen Auffahrunfall auch nicht darauf an, ob der Beklagte nach links abbiegen wollte. Der Kläger sei nicht auf den Pkw aufgefahren, da dieser plötzlich und unangekündigt nach links habe abbiegen wollen, sondern da der Pkw infolge der Kollision stark abgebremst worden sei. Plötzliche Ereignisse wie ein Unfall oder drohende Gefahren seien typischerweise Anlass für ein abruptes Abbremsen des Vorausfahrenden, weshalb gerade die Abstandsregeln gelten würden. Halte sich ein Verkehrsteilnehmer nicht an diese und kann er deshalb nicht mehr rechtzeitig reagieren, sei er als alleiniger Unfallverursacher des Auffahrunfalls anzusehen.

Ebenso unerheblich sei der Umstand, dass der Kläger nach seiner Sicht den eigenen Überholvorgang bereits eingeleitet habe. Auch dies würde nicht die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes rechtfertigen, solange sich das überholende Fahrzeug noch hinter dem zu überholenden Fahrzeug auf dem rechten Fahrstreifenbefände. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei er noch nicht auf die linke Fahrspur ausgeschert gewesen, sondern nur Richtung Mittellinie gefahren. Auch dass er „instinktiv“ nach dem Abbremsen nach rechts ausgewichen sei, spreche gegen ein bereits eingeleitetes Überholmanöver.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Schleswig, Urteil vom 27.04.2023 - 7 U 214/22 -

Freitag, 25. November 2022

Gilt „Rechts vor Links“ auch bei Fahrt entgegen der Einbahnstraße ?

Die Fahrerin des Pkw des Klägers bog nach links in eine Straße ab. Zu dieser Zeit befuhr der Zweibeklagte die Straße, in die die das klägerische Fahrzeug einbog um letztlich in gleicher Fahrtrichtung weiterzufahren, wie der klägerische Pkw nach seinem Einbiegen. Bis zu der Einmündung der Straße, aus der der klägerische Pkw auf die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße einfuhr, war die vom Beklagtenfahrzeug genutzte Straße eine Einbahnstraße, die das Beklagtenahrzeug entgegen der erlaubten Fahrtrichtung befuhr; erst ab der Einmündung war ein Befahren in beiden Fahrtrichtungen zulässig. Im Kreuzungsbereich kollidierten die Fahrzeuge.

Der Kläger klagte auf Erstattung des ihm entstandenen Schadens zu 100%. Das Amtsgericht gab der Klage in Höhe von 50% statt. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Für keine der Parteien sei der Verkehrsunfall unabwendbar iSv. § 17 Abs. 2 StVG gewesen; beiden Parteien (Fahrern) sei ein Verschuldensvorwurf zu machen.

Das schuldhafte Verhalten der Beklagtenseite sei der Verstoß des Beklagten zu 2. als Fahrer des Fahrzeugs gegen Zeichen 220 zu § 41 Abs. 2 Nr. 2 StVO, wobei dahinstehen könne und müsse (diesbezüglich sei kein Vortrag erfolgt), ob der Beklagte zu 2. Auch gegen Zeichen 267 StVO (Verbot der Einfahrt in die Straße) verstoßen habe. Jedenfalls sei der Beklaget zu 2. bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße an dem Zeichen 220 voreigekommen, welches allen Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn die Fahrtrichtung vorschreibe. Auch wenn er dies bei der ursprünglichen Einfahrt in die Straße übersehen oder vergessen habe, begrüne dies einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Der Verstoß sei auch mitursächlich gewesen, da es ohne diesen Verstoß nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen wäre. Zudem habe der Beklagte zu 2., informatorisch angehört, angegeben, auf aus seiner Sicht von links kommenden Verkehr nicht geachtet zu haben, was einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO darstelle, da er damit habe rechnen müssen, dass ein Kraftfahrer die Einbahnstraße in die Gegenrichtung befahre.

Ein unfallursächliches Verschulden auf Klägerseite läge darin begründet, dass die Fahrerin nach dem Bewies des ersten Anscheins gegen das Gebot des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen habe. Das Beklagtenfahrzeug sei aus Sicht des klägerischen Fahrzeugs von rechtsgekommen. Dem Vorfahrtsrecht des Beklagtenfahrzeugs würde nicht entgegen stehen, dass dieses die in diesem Bereich als Einbahnstraße ausgeschilderte Straße in verbotener Fahrtrichtung befahren wurde. Zwar habe der BGH ein Vorfahrtsrecht ein Vorfahrtsrecht ausgeschlossen, wenn es schon an einem Recht zum Fahren ermangele (BGH, Urteil vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -). Dem könne aber „inzwischen für die vorliegende Fallgestaltung nicht gefolgt werden“, da dies inkonsequent wäre. Auch derjenige, der unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot links fahre behalte nach der Rechtsprechung des BGH sein Vorfahrtsrecht (BGH, Urteil vom 19.09.1974 - III ZR 73/72 -). Auch würde das Vorfahrtsrecht nicht tangiert, wenn der Vorfahrtsberechtigte eine für ihn (nicht allgemein) gesperrte Straße nutze (zu denken wäre hier an Anliegerstraßen o.ä.).  Seit 1977 könnten zudem Einbahnstraße für den Radverkehr in beide Fahrtrichtungen geöffnet werden; mithin habe ein Radfahrer (wobei es sich nicht notwendig um Zweiräder handeln müsse) der die Einbahnstraße berechtigt entgegen der Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung befahre in diesem Fall die Vorfahrt gegenüber von links kommenden Fahrzeugen. Angesehen davon dürfe der nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO Wartepflichtige nicht darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug käme; er müsse schon aus Rücksicht auf etwaige Anlieger oder Vorrechtsfahrzeuge (§ 35 Abs. 1 StVO: Polizei, Feuerwehr pp.) die Fahrbahn in beiden Fahrtrichtungen beobachten.

Die Revision wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung bestünde. Auch würde die Zulassung nicht aus Gründen der Fortbildung des Rechts geboten sein, da es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ermangele. Die Entscheidung des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 -  veranlasse die Zulassung nicht, da sie noch nicht die Möglichkeit berücksichtige, das zwischenzeitlich Fahrradfahrern die Möglichkeit gegeben werden könne, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu nutzen.

Kommentar

Der Entscheidung des Landgerichts kann insgesamt nicht gefolgt werden.

1. Das Beklagtenfahrzeug fuhr unzulässig entgegen der Einbahnstraße und es kam deshalb (wohl da die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht nach rechts bei Einfahrt auf diese Straße, die aber der Einfahrt in beide Fahrtrichtungen freigegeben war) zum Verkehrsunfall. Wenn das Beklagtenfahrzeug die Einbahnstraße nur ein Stück befahren hätte um dann dort zu wenden, wäre nachvollziehbar, wenn hier ein Verstoß gegen Zeichen 220 angenommen wird. Wurde die Straße in voller Länge befahren und nur zur Durchfahrt genutzt, muss sich der Fahrer nicht merken, ob eine solche Straße Einbahnstraße ist, um dies bei der Rückfahrt noch zu erinnern und zu beachten. Es käme also in diesem Fall darauf an, dass das Zeichen 267 an der Einfahrt zu Straße stand.

2. Für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs war erkennbar, dass die Straße, auf die sie auffuhr, nach rechts eine Einbahnstraße war, die nicht in der Fahrtrichtung zu ihr hätte befahren werden dürfen. Es wird auch nicht ausgeführt (und war wohl auch nicht der Fall), dass diese Einbahnstraße für Fahrradfahrer in beiden Fahrtrichtungen freigegeben war, was auch durch entsprechend Beschilderung „Radfahrer frei“ (Zeichen 1022-10). Ist dieses nicht vorhanden, konnte sich die Fahrerin des klägerischen Pkw darauf verlassen, dass auch Radfahrer nicht die Straße entgegen der Fahrtrichtung befahren. Ebensowenig verfängt nicht der Verweis auf Sonderrechtsfahrzeuge. Nutzen diese entgegen der allgemeinen Verkehrsregelungen Straßen (z.B. Überqueren von Kreuzungen mit roter Ampelschaltung), so haben sie ihre Absicht deutlich kundzutun (z.B. Einschalten der Sirene); insoweit wird daran erinnert, dass bei Herannahen eines nur mit Blaulicht versehenen Polizei- oder Krankenwagens die Kreuzung nicht durch Hineinfahren in dieselbe trotz Rotlichts der Ampelanlage genutzt werden darf, sondern erst, wenn auch die Sirene am Einsatzfahrzeug eingeschaltet wird.

3. Die Revision hätte hier zwingend wegen Abweichung von dem Urteil des BGH vom 06.10.1981 - VI ZR 296/79 - zugelassen werden müssen. Gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BGH abweicht und auf dieser Abweichung (wie hier) beruht (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2000 - i BvR 1684/99 -). Die Überlegungen des Landgerichts, weshalb gleichwohl die Revision nicht zugelassen wurde, tragen nicht. Zum Einen ergibt sich aus weiteren Entscheidungen des BGH nicht, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht festhält. Zum Anderen stützt sich das Landgericht für die Nichtzulassung auf das möglicherweise Radfahrern eingeräumte (hier nicht einmal feststellbare) Recht, die Einbahnstraße in beiden Fahrtrichtungen zu befahren. Da nicht festgestellt wurde, dass ein derartiges Recht für Fahrradfahrer bestand, liegt eine Abweichung vor, die zwingend die Revisionszulassung nach sich zog. Denn es muss auch in diesem Fall von einer verbotenen Nutzung der Einbahnstraße durch Radfahrer ausgegangen werden, wenn sie diese entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren (was auch bußgeldbewährt ist). Zudem: Wenn, wie das Landgericht angibt, die Regelung zu Fahrradfahrern in 1977 geschaffen wurde, lag diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH bereits vor. Auch die in dem Urteilsgründen benannten weiteren Erwägungen des Landgerichts tragen dessen Entscheidung nicht. Zwar hat der BGH entschieden, dass sich das Vorfahrtsrecht auf einer Straße auf die gesamte Straßenbreite und nicht lediglich auf die rechte Fahrspur bezieht, weshalb ein einbiegen auf eine Vorfahrtsstraße und eine Kollision mit dem sich auf der Vorfahrtsstraße entgegen dem Rechtsfahrgebot links fahrenden Fahrzeug als Vorfahrtsverletzung darstellt. Eine solche Konstellation lag hier aber nicht vor, da das Beklagtenfahrzeug eine Einbahnstraße schlicht verbotswidrig entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befuhr.

Bei dieser Situation eine hälftige Haftungsteilung anzunehmen, ist nicht nachvollziehbar, da damit die Grundsätze der Straßenverkehrsordnung verkehrt werden. Der grob regelwidrig Fahrende Verkehrsteilnehmer, der die Einbahnstraße verboten befährt, kommt in den von der Verkehrsordnung nicht vorgesehenen Genuss eines „rechts vor links“-Vorteils, obwohl doch gerade deshalb in Bereichen von Einbahnstraßen keine Vorfahrtszeichen bzw. Vorfahrtbeachtungszeichen aufgestellt werden, da es an den Beschilderungen fehlt, wenn nur in eine bestimmte Richtung eingebogen werden kann, aus der anderen Richtung keine Gefahr droht oder drohen kann.

LG Wuppertal, Urteil vom 30.06.2022 - 9 S 48/22 -

Samstag, 20. März 2021

Verkehrssicherungspflicht: Sturz eines Radfahrers infolge eines Schlaglochs auf Wirtschaftsweg

Der Kläger machte gegen die Stadt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend, da er nach seiner Behauptung am Unfalltag gegen Mittag mit seinem Fahrrad in der Mitte des Wirtschaftsweges in ein ca. 6 – 8cm tiefes und in seiner Fahrtrichtung 50 – 60cm langes Schlagloch geraten sei und dadurch bedingt zu Fall gekommen sei. Das Schlagloch sei für ihn wegen eines Schattenwurfs nicht zu erkennen gewesen. Das Landgericht wies die Klage ab. In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung nach § 522 Abs. Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Grundsätzliche umfasse die Straßenverkehrssicherungspflicht die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung bzw. Aufrechterhaltung eines für den Benutzer sicheren Zustandes. Allerdings besage dies nicht, dass die Straßen und Wege völlig gefahrlos und frei von jeglichen Mängeln sein müssten, da auf die Zumutbarkeit abzustellen sei und eine vollständige Gefahrlosigkeit mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen sei. Entscheidend seien für den Umfang der Sicherungspflicht der Charakter des Weges, Art und Ausmaß seiner Inanspruchnahme und die vernünftige Erwartungshaltung des Benutzers unter Berücksichtigung von dessen Verkehrsbedeutung. Vom Grundsatz her habe der Benutzer einer Straße diese so hinzunehmen, wie sie sich ihm darbiete und sich darauf einzustellen. Gefahren müssten nur ausgeräumt werden (bzw. vor ihnen gewarnt werden), vor denen sich der sorgsame Verkehrsteilnehmer nicht selbst schützen könne (z.B. da sie völlig überraschend eintrete oder nicht rechtzeitig erkennbar sei).

Anders als die herrschende Meinung, die eine Verkehrssicherungspflicht bei Schlaglöchern von mindestens 15cm Tiefe auf verkehrswichtigen Straße annehme, würde der Senat bei Radfahrern eine Tiefe von bis zu 4cm, als noch beherrschbar annehmen wollen. Allerdings verbiete sich die Fixierung auf einen bestimmten Wert und käme es auf die o.g. Kriterien an und damit die Umstände des Einzelfalls an.  

Vorliegend handele es sich nach der Verkehrsbedeutung um einem in einem landwirtschaftlichem gebiet belegenen Wirtschaftsweg. An die Sicherung eine solchen seien geringe Anforderungen zu stellen. Hier trete die Eigenvorsorge des Nutzers in den Vordergrund.

Zu Art und Lage hielt das OLG fest, dass der Weg 5m breit sei. Die Lage und die Größe des Schlaglochs, wie vom Kläger behauptet,  als richtig unterstellt, würde ein gewisses Gefahrenpotential für den Radfahrer bedeuten, der hier hineingerät. Das OLG wies darauf hin, dass der Radfahrer hätte rechts fahren müssen, § 2 Abs. 1 StVO, weshalb der Radfahrer nicht erwarten dürfe, dass der Weg nicht nur rechts, sondern auch in der Mitte gefahrlos befahren werden könne. Ferner ergäbe sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei einer Benutzung von Wirtschaftswegen grundsätzlich mit Fahrbahnunebenheiten zu rechnen sei, da diese Wege regelmäßig mit schweren landwirtschaftlichen Gerät befahren würden und dadurch Straßenschäden entstünden. Der Kläger sei also gem. § 3 Abs. 1 S. 2 und 4 StVO zu schnell gefahren; die Geschwindigkeit hätte er so herabsetzen müssen, dass er rechtzeitig das Schlagloch sieht, weshalb es Warnhinweise nicht bedurft habe.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.11.2020 - 11 U 126/20 -

Samstag, 12. Dezember 2020

Mitverschulden des Radfahrers für Kopfverletzung bei Nichtragen eines Schutzhelms ?

Die Klägerin stieß mit ihrem Fahrrad mit einem PKW des Beklagten zusammen, der beim Rechtsabbiegen im Kreuzungsbereich die geradeausfahrende Klägerin mit ihrem Fahrrad übersehen hatte. Obwohl die Klägerin keinen Schutzhelm trug negierte er ein Mitverschulden der Klägerin, welches sich auf das Schmerzensgeld zur Höhe auswirken würde.

Das Tragen eines Schutzhelms könne nicht mit einem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon als verkehrsgerechtes Verhalten begründet werden, da ansonsten bei jeder Tätigkeit mit dem Risiko einer Kopfverletzung (z.B. beim Besteigen einer Leiter im Haushalt) ein Schutzhelm getragen werden müsste. Nach der Entscheidung des BGH vom 17.06.2014 - VI ZR 281/13 - käme es auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein konkret zum Tragen von Fahrradhelmen und nicht auf allgemeine Sicherheitserwägungen zum Zeitpunkt des Unfalls an.

Der Senat sah es als gerichtsbekannt an, dass es ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein nach wie vor nicht geben würde. Ein Senatsmitglied würde im Nürnberger Stadtgebiet regelmäßig Verkehrszählungen zu dieser Frage durchführen (ohne Rennradfahrer in voller Montur und Kindern auf Kinderfahrrädern. Diese Zählungen (wiedergegeben für die Jahre 2015, 2016, 2017 und 2020) ergäben zwar eine leichte Steigerung der Personen, die einen Helm tragen. Es seien aber noch weit unter 50%. Dies Ergebnis würde auch im Wesentlichen amtlichen Quellen entsprechen, wonach i 2019 über alle Altersgruppen hinweg innerorts 18,0%, außerorts 22,8% der beobachteten Fahrradfahrer einen Schutzhelm tragen würden, wobei die Quote sogar bei den Jüngeren noch erheblich geringer sei.

Trotz einer wahrzunehmenden leichten Steigerung der helmtragenden Fahrradfahrer in den letzten zehn Jahren würden doch noch rund 80% der erwachsenen Bevölkerung keinen Helm bei Fahrradfahren tragen. Eine allgemeine Verkehrsauffassung, dass Radfahren eine generell derartig gefährliche Tätigkeit sei, dass sich nur diejenigen verkehrsgerecht verhalten würden die einen Helm tragen, bestünde nach wie vor nicht.

Ob etwas anders für bestimmte Formen sportlichen Radfahrens gelte, welches mit einem erheblichen (gesteigerten) Kopfverletzungsrisiko verbunden sei, wie z.B. beim Rennradfahren mit tiefer Kopfhaltung und Fixierung der Schuhe an den Pedalen oder beim Mountainbikefahren im freien Gelände, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

OLG Nürnberg, 20.08.2020 - 13 U 1187/20 -

Mittwoch, 15. März 2017

Seitenabstand des überholenden Radfahrers zum überholten Radfahrer

Auch ein Radfahrer muss beim Überholen eines anderen Radfahrers einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist anwendbar. Darauf hat das OLG Karlsruhe verwiesen. Nach seinen Feststellungen fuhren die Parteien mit ihren Rädern in eine Richtung auf einem 2m breiten Sand-Schotter-Weg. Der Kläger Der Kläger soll dabei eine Fahrlinie etwas rechts von der Mitte des Weges eingehalten haben. Der Beklagte, der sich von hinten näherte, wollte den Kläger links überholen. Während des Überholvorgangs berührte der Beklagte den Kläger mit seiner rechten Schulter an dessen linken Schulter, worauf der Kläger stürzte und sich verletzte.

Das OLG führte aus, dass es keine festen Regeln für den Sicherheitsabstand zwischen zwei Radfahrern nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO gäbe, vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei. Zwar könne der überholender Radfahrer einen geringeren Seitenabstand als ein PKW, da die Gefahren geringer wären als bei einem mit erheblicher Geschwindigkeit fahrenden PKW; allerdings müsse er auch mit mehr oder minder unvermittelten Schwankungen des überholten Radfahrers rechnen, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der überholte Radfahrer nicht durch Motorengeräusche, wie bei einem PKW, vorgewarnt würde. Vorliegend sei zudem zu berücksichtigen, dass sich die Radfahrer auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg befanden, nicht auf einer asphaltierten Fläche.

Es käme für den notwendigen Seitenabstand nicht auf den Abstand der Fahrlinien (hier: 89 cm für den Beklagten vom rechten Fahrbahnrand, für den Kläger 164 cm vom rechten Fahrbahnrand) an, da auch die Körperbreite zu berücksichtigen sei, die rechts und links über die Fahrlinie rage. Bei Annahme einer Ellenbogenbreite beider Radfahrer jeweils zu einer Seite über die Fahrbahnlinie ergäbe sich dann hier lediglich ein Anstand von ca. 10cm.

Nach Angaben des Beklagten sei der Kläger kurz vor dem Überholen noch etwas nach rechts gefahren, weshalb er sich nur noch 67cm vom Wegrand entfernt befunden habe. Bei einer anzunehmenden Körperbreite von 65cm ergäbe sich hier ein Abstand von 32cm. Damit sei aber hier ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen. Dabei wären die möglichen Schwankungen aus der geringen Geschwindigkeit des Klägers (nach Angaben des Beklagten 10-13 km/h) und des Belags (Sand-Schotter) zu berücksichtigen. Auch die Veränderung der Fahrlinie durch den Beklagten hätte den Kläger zur zusätzlichen Vorsicht veranlassen müssen. Auch wenn der Beklagte nach seinen Angaben geklingelt haben sollte, hätte sich nicht ergeben, dass dies von dem Kläger wahrgenommen worden sei, wobei auch der Beklagte in Ansehung von lauten Motorengeräuschen eines in der Nähe befindlichen Rasenmähers nicht annehmen durfte, der Kläger hätte dies gehört. Der Kläger hätte eine Fahrlinie 30cm weiter links fahren können, da ihm der gesamte linke Teil des Weges zum Überholen zur Verfügung stand.  

Es könne deshalb auf sich beruhen, ob der Beklagte in Ansehung von leichten Schwankungen des Klägers ganz auf ein Überholen hätte verzichten müssen oder sich vorher positiv mit dem Kläger hätte verständigen müssen.

Auch ein Mitverschulden des Klägers ließe sich nicht feststellen. Bei einem Seitenabstand von etwa 80cm zum rechten Wegesrand läge in Ansehung der örtlichen Verhältnisse noch kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vor, § 2 Abs. 2 StVO. Der Kläger hätte diesen Seitenabstand einhalten dürfen, um übliche Schwankungen beim Fahren auszugleichen. Der Beklagte habe zudem nicht bewiesen, dass der Kläger ihn wahrgenommen habe.

Die Berufung wurde mit Beschluss vom 04.07.2016 zurückgewiesen.

OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 30.05.2016 – 9 U 115/15 -

Dienstag, 13. September 2016

Keine Vorfahrt des einen gemeinsamen Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung ("links) nutzenden Radfahrers

Die Klägerin fuhr auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg, allerdings auf der linken Fahrbahnseite, obwohl in dieser Fahrtrichtung der Weg zum Befahren mit Rädern nicht freigegeben war. Sie wollte dann im Einmündungsbereich einer untergeordneten Straße diese überqueren, um auf der anderen Seite weiterzufahren; auf der anderen Seite war kein Radweg ausgewiesen. Beim überqueren  der Einmündung kam es zu einer Kollision mit einem aus der untergeordneten Straße auf die Vorfahrtsstraße auffahrenden Verkehrsteilnehmer. Die Klage gegen diesen wurde mit einer Quote von 75% vom OLG München abgewiesen.

Der BGH hatte bereits mit Beschluss vom 15.07.1986 – 4 StR 192/86 – entschieden, dass ein Radfahrer auf einer Vorfahrtsstraße auch dann sein Vorfahrtsrecht gegenüber kreuzenden bzw. einbiegenden Verkehrsteilnehmern  behalte, wenn er den linken von zwei vorhandenen  Radwegen benutze, der nicht nach § 2 Abs. 4 S. 2 StVO für die Gegenrichtung freigegeben ist. Dies begründete der BGH mit der notwendigen Klarheit von Verkehrsregeln.

Das OLG führte aus, dass mangels eines Radweges auf der Fahrbahn vorliegend die benannten Entscheidung des BGH nicht einschlägig sei. Die Klägerin wäre wie ein Fußgänger gegenüber dem Fahrzeugverkehr wartepflichtig gewesen, da weder § 9 Abs. 3 S. 2 noch § 26 StVO einschlägig wären (also deren Voraussetzungen nicht vorlagen) und die Vorfahrtsregeln nur gegenüber fahrzeugen und nicht gegenüber Fußgängern gelten würden.

Da darüber hinaus die Klägerin mit 18km/h sehr schnell gefahren wäre und für den Kraftfahrer – wenn überhaupt – kaum noch eine Reaktionsmöglichkeit bestanden habe, sah das OLG eine Haftung auf Beklagtenseite lediglich in Höhe von 25% als gegeben an.

Anmerkung: Soweit ersichtlich, hat das OLG die Revision nicht zugelassen. Dies wäre aber m.E. erforderlich gewesen, da mit dieser Entscheidung entgegen den Ausführungen im Urteil des OLG  von der rechtlichen Würdigung des 4. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 1986 abgewichen wurde. In beiden Fällen wurde ein „Weg“ entgegen der Fahrtrichtung genutzt, im Fall des BGH ein ausgewiesener Radweg, im Fall des OLG ein ausgewiesener gemeinsamer Geh- und Radweg. Auch im Falle des BGH ergibt sich nicht, dass der Radweg auf der Straße fortgesetzt wurde.  Alleine der Umstand, dass es sich hier im Fall des OLG um einen gemeinsamen Fuß- und Radweg handelte lässt sich nicht schlussfolgern, dass für diesen nicht auch die Regelungen zur Vorfahrt an Kreuzungen und Einmündungen wie bei alleine zur Radbenutzung freigegebenen Bereichen gelten sollte; dies unabhängig von der wechselseitigen Rücksichtnahme auf dem gemeinsamen Geh- und Radweg. Denn die Gemeinsamkeit der Nutzung hat nichts mit der Widmung auch zu Zwecken des Radverkehrs zu tun.


OLG München, Urteil vom 05.08.2016 – 10 U 4616/16 -