Anlässlich von Kabelverlegungsarbeiten auf der F-Landstraße stellte die damit beauftragte Klägerin eine Lichtzeichenanlage auf dem Gehweg auf, deren Stromkabel oberhalb des Gehweges in zwischen den Parteien streitiger Höhe (nach Angaben der Klägerin in einer Höhe von 5,30 m, nach Angaben der Beklagten nicht einmal 4,50 m, da das Mähwerk eine Höhe von 4,00 m habe) angebracht war. Der Beklagte zu 1. war Eigentümer des in diesem Bereich neben dem in Anspruch genommenen Gehweges befindlichen Feldes und fuhr mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Traktor über den nicht abgesenkten Bordstein auf den Gehweg um auf sein Feld zu gelangen. Nach Abschluss der Arbeiten beabsichtigte er, das Feld auf dem gleichen Weg zu verlassen; das Mähwerk am Traktor war hochgestellt. Hierbei streifte er das oberhalb des Gehweges verlaufende Stromkabel der Lichtzeichenanlage und riss diese in der Folge um. Den daraus resultierenden Schaden machte die Klägerin gegen den Beklagten geltend.
Das Amtsgericht gab der Klage ohne
Beweisaufnahme zu den streitigen Umständen statt. Soweit unter Teil A
Allgemeines, 4 Leitmale der RSA-95
vorgesehen sei, dass Bauteile unterhalb einer lichten Durchfahrtshöhe von 4,50
m mit Leitmalen zu versehen seien. Gelte dies lediglich für Beschränkungen der
Höhe oberhalb der Fahrbahn, nicht aber für Höhenbeschränkungen des Gehweges.
Der Beklagte habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Die von
den Beklagten eingelegte Berufung führte zur Aufhebung des Urteils und zur
Zurückverweisung an das Erstgericht. Zutreffend sie mit der Berufung geltend
gemacht worden, dass es das Amtsgericht verabsäumt habe, über die für die Frage
der Haftung dem Grunde nach sowie die ebenfalls streitige Frage des Schadens
der Höhe nach erforderlichen Anknüpfungstatsachen Beweis zu erheben.
Die Haftung der Beklagten richte sich nach §§
7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Im Rahmen der grundsätzlich
bestehenden Gefährdungshaftung auf Beklagtenseite hätte sich diese nach Maßgabe
von § 9 StVG iVm. § 254 BGB ein etwaiges Mitverschulden an der
Anspruchsentstehung zurechnen zu lassen. Bei der notwendigen Abwägung der
Verursachungs- und Verschuldensbeiträge könnten nur unstreitige, zugestandene
oder nach § 286 ZPO bewiesene Umstände, die sich auf das Unfallgeschehen
ausgewirkt haben, berücksichtigt werden. Beweisbelastet sei jeweils die Partei
für Tatsachen, die der anderen Partei zum Verschulden gereichen und aus denen sie
nach der Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle. Damit trage
zunächst die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für ein etwaiges, die bloße
Betriebsgefahr des Traktors erhöhendes unfallkausales Mitverschulden der
Beklagten.
Bislang hätten die Beklagten einen
unfallursächlichen verstoß gegen § 32 Abs. 2 StVZO (maximal zulässige Höhe von
4,00 m) nicht nachgewiesen. Es sei Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
über die Höhe des Traktors nebst Mähwerk zu erheben, welches nach Angaben der Beklagten
unter 4,00m gelegen habe.
Ein Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 2 Abs. 1 StVO wegen rechtwidriger Nutzung des Gehweges habe nicht vorgelegen. Zwar dürften Kraftfahrzeuge diesen nach der in § 2 Abs. 1 StVO statuierten Nutzungspflicht der Fahrbahn durch Fahrzeuge nicht befahren. Allerdings gäbe es ein Ausnahmebenutzungsrecht, welches sich aus der Natur der Sache bzw. mittelbar aus anderen Vorschriften (wie § 10 S. 1 StVO) ergeben könne. Unstreitig sei vorliegend, dass der Beklagte zu 1. Mit dem Traktor von dem Feld auf die Straße auffahren wollte. Auch wenn anderweitige Möglichkeiten zum Verlassen des Feldes bestanden haben sollten (was streitig war), habe es ihm freigestanden, über den Gehweg das Feld zu verlassen; es existiere keine Vorschrift, die das Einfahren auf die Straße über den Gehweg nur gestattet, wenn keine anderweitigen Möglichkeiten bestünden.
Nach dem zur Beurteilung des Berufungsgerichts
vorliegenden Sach- und Streitstand lasse sich auch ein Verstoß des Beklagten zu
1. Gegen das allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot aus § 1
Abs. 2 StVO nicht erkennen. Es handele sich um ein Verbot, andere zu schädigen,
zu gefährden bzw. vermeidbar zu behindern. Eine Gefährdung fremder Sachwerte
falle dann unter § 1 Abs. 2 StVO, wenn damit zugleich die Leichtigkeit und Sicherheit
des Straßenverkehrs beeinträchtigt würde, was bei Anlagen wie hier, die der
Straßenverkehrssicherheit dienen, der Fall sei. Tatbestandlich sei aber
Voraussetzung, dass der Beklagte zu 1. bei Annäherung die von dem in den
Verkehrsraum hineinragenden Stromkabel ausgehende Gefahrenlage hätte erkennen
müssen und eine Kollision hätte verhindern können (ggf. durch Abstandnahme von
der Durchfahrt). Das ein solcher Umstand vorlag, sei aber streitig und bedürfe
weiter Aufklärung. Dabei müsse aber berücksichtigt werden, dass sich ein Fahrzeugführer
im Regelfall darauf verlassen dürfe, dass eine zur Verkehrssicherheit
aufgestellte Verkehrsanlage (hier die Lichtzeichenanlage) so errichtet würde,
dass eine Gefährdung des Durchgangsverkehrs ausgeschlossen ist. Er dürfe also
davon ausgehen, dass die Zuleitungen der Anlage im Luftraum oberhalb der Straße
so errichtet würden, dass ein Kraftfahrzeug, welches die höchstzulässigen Ausmaße
des § 32 StVZO erreiche, den Bereich gefahrlos und unfallfrei passieren könne
(Vertrauensgrundsatz).
Weitere unfallursächliche Mitverursachungs-
oder Mitverschuldensbeiträge des Beklagten zu 1., seien nicht ersichtlich und auch
von der Klägerin nicht geltend gemacht worden.
Im Rahmen der Beweisaufnahme sei auch der Frage
nachzugehen, ob der Klägerin ein (anspruchsausschließendes) Eigenverschulden in
Form der Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten sei. Die Verkehrssicherungspflicht
beruhe auf dem Gedanken, dass niemand einen anderen mehr als unvermeidlich gefährden
soll. Wer Gefahrenquellens schaffe müsse notwendige Vorkehrungen zum Schutz
Dritter treffen. Es müssten die Gefahren ausgeräumt oder vor ihnen gewarnt
werden, die für den Wegbenutzer bei erforderlicher Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig
erkennbar wären. Es entspräche dem Interesse der Verkehrssicherheit sowie dem
Schutz der Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer, dass der Verkehrsraum in dem
Umfang, in dem er von Fahrzeugen mit der gesetzlich maximal zulässigen
Abmessung in Anspruch genommen werden kann, von störenden Einflüssen, wie etwa
Bäumen und Ästen auch wie vorliegend Stromkabeln freigehalten wird. Anderes
ergäbe sich auch nicht aus der Nutzung des Gehwegs. Eine andere Interpretation
lasse auch Teil A Allgemeines, 4 Leitmale der RAS-95 hinsichtlich der Pflicht
zu Leitmalen nicht zu, deren Regelungen ebenso wie jene der StVO
abtraktgenereller Natur seien. Für eine (sich aus dem Wortlaut nicht ergebende)
Beschränkung der in der RSA-95 vorgesehenen Regelung lediglich auf Fahrbahnen
bestünde mithin kein Anlass.
LG Aachen, Urteil vom 08.08.2023 - 5 S 79/22 -
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten
wird das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 20.10.2022, Az.: 100 C 26/21,
aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Aachen zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.
Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche nach einem
Verkehrsunfall am 22.06.2020 auf der F-Landstraße auf Höhe der Hausnummer X.
Die Klägerin stellte im Auftrag der Firma W. GmbH & Co. KG Tief- und
Straßenbau auf Grundlage einer Verkehrsanordnung des Oberbürgermeisters vom
08.05.2020 (……..) an der Unfallörtlichkeit anlässlich von
Kabelverlegungsarbeiten eine Lichtzeichenanlage auf dem Gehweg auf, deren
Stromkabel oberhalb des Gehweges in streitiger Höhe verlief. Wegen der mit der
Errichtung verbundenen Anordnungen des Oberbürgermeisters wird auf BI. 56 f.
d.A. Bezug genommen.
Der Beklagte ist Eigentümer des unmittelbar an die F-Landstraße auf Höhe
der Hausnummer X angrenzenden Feldes. Am Unfalltag fuhr der Beklagte mit dem
beklagtenseitig unfallbeteiligten Traktor von der F-Landstraße über den auf
Höhe der Unfallstelle nicht abgesenkten Bordstein über den Gehweg auf sein
Feld. Nach Abschluss der dortigen Arbeiten beabsichtigte der Beklagte, das Feld
mit seinem Traktor das Mähwerk war
hochgestellt auf gleichem Wege zu
verlassen. Hierbei streifte das Fahrzeug des Beklagten das oberhalb des
Gehweges verlaufende Stromkabel der Lichtzeichenanlage und riss diese in der
Folge um (BI. 9 20 d.A.).
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe den an der Lichtzeichenanlage
eingetretenen Schaden allein schuldhaft verursacht, indem er unachtsam und
unbefugt den Gehweg befuhr. Das Stromkabel sei in einer Höhe von 5,30 m über
dem Gehweg gespannt gewesen (BI. 50 d.A.). Der an der Lichtzeichenanlage
entstandene Schaden belaufe sich auf 4.904,77 EUR (BI. 8 d.A.). Sämtliche im
Rahmen des Kostenvoranschlages aufgeführten Positionen seinen angemessen und
erforderlich. Die aufgeführten Arbeiten seien tatsächlich erbracht worden.
Die Beklagten behaupten, dass der beklagtenseitige Traktor selbst unter
Berücksichtigung des hochgestellten Mähwerks eine Maximalhöhe von unter 4,00 m
aufweise, sodass es zur Kollision denknotwendig nur gekommen sein könne, da das
Stromkabel nicht in der erforderlichen Höhe von 4,50 m gespannt worden sei.
Das Amtsgericht hat der Klage ohne jegliche Beweisaufnahme stattgegeben.
Soweit unter Teil A Allgemeines, 4 Leitmale der RSA-95 vorgesehen sei, dass
Bauteile etc. unterhalb einer lichten Durchfahrtshöhe von 4,50 m mit Leitmalen
zu versehen seien, so gelte dies lediglich für Beschränkungen der Höhe oberhalb
der Fahrbahnen, nicht aber für Höhenbeschränkungen des Gehweges. Dagegen habe
der Beklagte nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Die Verpflichtung
zur Gewährleistung einer Durchfahrtshöhe von 4,50 m beziehe sich nicht
lediglich auf den Luftraum oberhalb von Fahrbahnen, sondern auch auf den
Luftraum oberhalb von Gehwegen; diese habe die Klägerin nicht gewährleistet.
Eine Mithaftung treffe die Beklagten allenfalls im Wege der Betriebsgefahr.
Einen unfallkausalen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO habe sich der Erstbeklagte
nicht vorwerfen zu lassen, da er unbeschadet der Frage der etwaigen
Erkennbarkeit der Stromkabel jedenfalls darauf habe vertrauen dürfen, dass
diese in der vorgeschriebenen Mindesthöhe von 4,50 m angebracht sind.
Schließlich habe das Amtsgericht auch die Einwendungen der Beklagten zur
Schadenshöhe rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen.
Die Beklagten beantragen daher,
das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Hilfsweise beantragen sie,
das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Aachen zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Stromkabel seien grundsätzlich
und somit auch am Unfalltage in
einer Höhe von 5,30 m verlaufen. Es seien grundsätzlich Kabelmasten mit einer
Länge von 6 m verwendet worden, wodurch an den Befestigungspunkten für die
Kabelanlage stets eine Durchfahrtshöhe von mindestens 4,50 m gewährleistet
worden sei. Darüber hinaus seien nach der StVO Durchfahrtshöhen im Bereich
Fußgänger und Radfahrer von lediglich 3,50 m vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die seitens der
Prozessbevollmächtigten der Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und der Rechtsstreit
gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO an das Amtsgericht Aachen zurückzuverweisen.
Zutreffend macht die Berufung geltend, dass es das Amtsgericht versäumt
hat, über die für die Frage der Haftung dem Grunde nach sowie die streitige
Frage des Schadens der Höhe nach erforderlichen Anknüpfungstatsachen Beweis zu
erheben.
Die Haftung der Beklagten richtet sich nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1
S. 1 Nr. 1 VVG. Im Rahmen der grundsätzlich bestehenden Gefährdungshaftung unstreitig
wurde die Lichtzeichenanlage aufgrund eines Betriebsvorgang, namentlich dem
Passieren des Gehweges, umgerissen hat
sich die Klägerin jedoch nach Maßgabe des § 9 StVG i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB ein
etwaiges eigenes (Mit-)Verschulden an der Schadensentstehung anspruchsmindernd
anrechnen zu lassen.
Im Rahmen der nach den vorstehenden Vorschriften durchzuführenden
Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sind nur
feststehende Tatsachen, mithin unstreitige, zugestandene oder nach S 286 ZPO
bewiesene Umstände zu berücksichtigen, die sich unmittelbar auf das
Unfallgeschehen ausgewirkt haben. Jede Partei hat dabei die Umstände zu
beweisen, die der anderen zum Verschulden gereichen und aus denen sie nach der
Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze trägt zunächst die Klägerin die
Darlegungs- und Beweislast für ein etwaiges, die bloße Betriebsgefahr des
beklagtenseitigen Traktors erhöhendes unfallkausales Mitverschulden der
Beklagten.
Einen unfallursächlichen Verstoß gegen § 32 Abs. 2 StVZO maximal zulässige Höhe von 4,00 m der Beklagten hat die Klägerin bislang nicht
nachgewiesen. Die
Beklagten haben vorgetragen, dass die Höhe des Traktors samt aufgestelltem
Mähwerk unter 4,00 m lag (BI. 83 d.A.). Die Klägerin hat dies zwar ausdrücklich
nur einfach bestritten (BI. 89 d.A.), macht aber ergänzend geltend, dass das
Stromkabel auf einer Höhe von 5,30 m gespannt gewesen sei (BI. 50 d.A.), sodass
sie jedenfalls konkludent geltend macht, der Traktor sei höher als 5,30 m
gewesen. Über die tatsächliche Höhe des beklagtenseitigen Fahrzeuges ist
demgemäß Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben.
Ein unfallursächlicher Verstoß der Beklagten gegen § 2 Abs. 1 StVO
aufgrund etwaig rechtswidriger Nutzung des Gehweges ist dagegen nicht
ersichtlich. Zwar ist der
Klägerin beizupflichten, dass die in § 2 Abs. 1 StVO statuierte
Nutzungspflicht der Fahrbahnen gleichsam ein Benutzungsverbot anderer
Bestandteile der Straße im öffentlich-rechtlichen Sinne gegenübersteht, sodass
insbesondere Kraftfahrtzeuge Gehwege grundsätzlich nicht befahren dürfen.
Hiervon ausgenommen ist indes die zulässige Ausnahmebenutzung. Eine solche kann
sich aus der Natur der Sache ergeben bzw. mittelbar aus anderen Vorschriften,
wie etwa § 10 S. 1 StVO (vgl. Müther in: Freymann/Wellner,
jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., S 2 StVO (Stand: 16.08.2022) Rnr. 22).
Unstreitig ereignete sich der Unfall vorliegend als der Beklagte von seinem
Grundstück über den Gehweg auf die Fahrbahn einzufahren beabsichtigte.
Unbeschadet der Frage, ob anderweitige Möglichkeiten bestehen, das Feld des
Beklagten zu verlassen, stand es ihm jedenfalls frei, sein Grundstück über den
Gehweg auf die Fahrbahn zu verlassen. Eine Vorschrift, die das Einfahren
lediglich dann gestattet, wenn anderweitige Möglichkeiten, das Grundstück zu
verlassen, nicht vorliegen, existiert nicht. Eine rechtswidrige Nutzung des
Gehweges hat sich der Beklagte mithin nicht vorwerfen zu lassen.
Soweit das Amtsgericht sodann einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das
allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO
angenommen hat, überzeugt dies unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Sach-
und Streitstandes nicht:
Während § 1 Abs. 1 StVO ein allgemeines Vorsicht- und Rücksichtnahmegebot
für jeden Teilnehmer am Straßenverkehr normiert, stellt § 1 Abs. 2 StVO
innerhalb dieses Rahmens das generelle Verbot auf, andere zu schädigen, zu
gefährden bzw. vermeidbar zu behindern. Die Gefährdung fremder Sachwerte fällt
dann unter § 1 Abs. 2 StVO, wenn damit zugleich die Leichtigkeit und Sicherheit
des Straßenverkehrs beeinträchtigt wird, was stets der Fall ist, wenn die beschädigte
Sache wie hier gerade der Straßenverkehrssicherheit dient
oder sonst eine Verkehrsbezogenheit aufweist (vgl. OLG Naumburg Urt. v.
2.11.2018 7 U 31/18, BeckRS 2018,
36854). Eine Zuwiderhandlung gegen das allgemeine Schädigungsverbot setzt tatbestandlich
voraus, dass der Beklagte bei Annäherung an die Lichtzeichenanlagen die von dem
in den Verkehrsraum hineinragenden Stromkabel ausgehende Gefahrenlage ohne
weiteres hätte erkennen und eine Kollision verhindern können. Wäre die
Gefahrenlage für ihn erkennbar gewesen, dann hätte er sich hierauf einstellen
und von einer Durchfahrt unter Umständen Abstand nehmen müssen. Ob dies
tatsächlich vorliegend der Fall war, steht indes zwischen den Parteien in
Streit und bedarf der weiteren Aufklärung. Unberücksichtigt kann im Rahmen
dieser Prüfung jedenfalls nicht der aus § 1 StVO abgeleitete verkehrsrechtliche
Vertrauensgrundsatz bleiben, wonach sich ein Fahrzeugführer im Regelfall darauf
verlassen kann, dass eine zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit aufgestellte
Verkehrsanlage, wie hier die mobile Lichtzeichenanlage, so errichtet worden
ist, dass eine Gefährdung des fließenden Durchgangsverkehrs ausgeschlossen ist.
Das bedeutet, dass ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich davon ausgehen darf,
dass die Zuleitungen der Anlage im Luftraum oberhalb der Straße so ausgelegt
sind, dass auch ein Kraftfahrzeug, das die in § 32 StVZO geregelten
höchstzulässigen Ausmaße erreicht, den Bereich der
Ampelanlage gefahrlos und unfallfrei passieren kann. Der sich auf den
Vertrauensgrundsatz berufende Kraftfahrer muss hingegen nicht mit verkehrswidrigen Umständen rechnen,
die nur ausnahmsweise auftreten können oder außerhalb der Erfahrung liegen
(vgl. OLG Naumburg a.a.O., m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird für die Frage, ob sich der
Erstbeklagte einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO entgegenhalten zu lassen hat,
in die Beweisaufnahme einzutreten sein. Neben der ohnehin zur Ermittlung der
Höhe des Beklagtenfahrzeuges bzw. der Höhe der Stromkabel erforderlichen Einholung
eines Sachverständigengutachtens erscheint hierbei die persönliche Anhörung des
Erstbeklagten angezeigt. Die Beklagten haben erstinstanzlich geltend gemacht,
dass der Erstbeklagte mit dem Traktor zunächst von der Fahrbahn über den Gehweg
in das Feld eingefahren ist, ohne dass es zu einer spürbaren
Berührung des beklagtenseitigen Fahrzeuges mit der Stromleitung gekommen
ist. Danach liegt der Schluss nahe, dass zwischen dem höchsten Punkt des
Traktors und der Stromleitung tatsächlich lediglich ein sehr geringer Abstand
vorlag, sodass auf Grundlage des bisherigen Vortrages nicht ersichtlich ist,
dass der Erstbeklagte die von der Stromleitung ausgehende Gefahrenlage hätte
erkennen müssen. Unberücksichtigt kann auch nicht bleiben, dass ein dünnes, farblich
unauffälliges Stromkabel nicht unmittelbar ins Auge fällt.
Weitere unfallursächliche Mitverursachungs- oder Mitverschuldensbeiträge
des Erstbeklagten hat die Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch für die
Kammer nicht ersichtlich.
Demgegenüber wird im Rahmen einer weiteren Beweisaufnahme der Frage
nachzugehen sein, ob der Klägerin ein (anspruchsausschließendes)
Eigenverschulden in Form einer Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten
ist.
Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Gedanken, dass niemand einen
anderen mehr als unvermeidlich gefährden soll. Sie bedeutet mithin, dass jeder,
der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter
zu treffen hat. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter Weise alle,
aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für den
Wegebenutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht
rechtzeitig erkennbar sind. Grundsätzlich hat sich der Straßenbenutzer zwar den
gegebenen Verhältnissen anzupassen und die Straße so hinzunehmen, wie sie sich
ihm erkennbar darbietet; eine besondere Verkehrssicherungspflicht beginnt aber
in jedem Fall dort, wo auch für einen aufmerksamen Straßenbenutzer eine
Gefahrenlage entweder völlig überraschend oder nicht ohne weiteres erkennbar
ist. Es entspricht daher dem Interesse der Verkehrssicherheit sowie dem Schutz
der Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer, dass der Verkehrsraum in dem Umfang, in
dem er von Fahrzeugen mit den gesetzlich maximal zulässigen Abmessungen in
Anspruch genommen werden kann, von störenden Einflüssen, wie etwa Bäumen und
Ästen und auch wie hier Stromkabeln freigehalten wird (vgl. OLG Köln, Urteil
vom 20.05.1994 - 19 U 225/93, NZV 1995, 22).
Etwas Anderes gilt auch nicht vor dem Hintergrund, dass sich der Unfall
vorliegend nicht auf der Fahrbahn, sondern auf dem Gehweg ereignet hat.
Unbeschadet des von den Beklagten zutreffend angeführten Wortlautarguments,
wonach in Teil A Allgemeines, 4 Leitmale der RSA-95 hinsichtlich der Pflicht
zur Anbringung von Leitmalen bei Unterschreitung einer Durchfahrtshöhe von 4,50
m nicht zwischen Fahrbahn, Gehweg oder sonstigen Straßenteilen differenziert
wird, lässt schon Sinn und Zweck dieser Regelung keine anderweitige Beurteilung
des Sachverhaltes zu. Die vorbezeichneten Regelungen sind ebenso wie die StVO
selbst abstraktgenereller Natur. Ist nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen
in Ausnahmefällen angeordnet kraft
Verkehrszeichen oder aber wie vorliegend zum Zwecke des Verlassens eines
Grundstücks die Benutzung des Gehweges durch das Kraftfahrzeug erlaubt, so
versteht es sich von selbst, dass der Verkehrsraum auch an diesen Stellen von
Fahrzeugen mit den gesetzlich zulässigen Abmessungen in Anspruch genommen
werden kann oder aber andernfalls Warnhinweise aufgestellt werden. Für eine
Beschränkung der in der RSA-95 vorgesehenen Regelungen lediglich auf den
Bereich der Fahrbahn besteht mithin kein Anlass.
Zwischen den Parteien ist jedoch nach Maßgabe des Vorstehenden streitig,
ob die von der Klägerin installierte Stromleitung tatsächlich eine über 4,00 m
liegende Höhe aufwies. Selbst wenn die Stromleitung im Übrigen ursprünglich
rechtmäßig errichtet worden ist, trifft die Klägerin im Außenverhältnis
gegenüber Dritten eine weitere Verkehrssicherungspflicht dahingehend, die
Rechtmäßigkeit der Lichtzeichenanlage sowie der Stromleitungen fortwährend zu
überprüfen. Ohne Erfolg hat in diesem Zusammenhang auch der Einwand der
Klägerin zu verbleiben, nicht sie selbst, sondern die Firma Willems GmbH &
Co. KG Tief- und Straßenbau sei mit der Wartung und Kontrolle der
Lichtzeichenanlage betraut gewesen. Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf
der Erwägung, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, auch die notwendigen
Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen hat. Grundsätzlich ist jeder, der in
der Lage ist, über die Sache zu verfügen, auch verpflichtet, die von der Sache
drohenden Gefahren abzuwenden. Der an einem Bauvorhaben bzw. einer Baustelle
beteiligte Bauunternehmer ist nicht nur vertragsrechtlich seinem Auftraggeber
verpflichtet, ihn vor etwaigen Schäden durch das Werk zu bewahren, sondern er
ist deliktsrechtlich auch zur Verkehrssicherung gegenüber Dritten verpflichtet,
die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen und
dadurch Schaden erleiden können (BGH, Urteil vom 12. November 1996 VI ZR 270/95 , juris). Dies bedeutet, dass
etwa auch die Klägerin, die mit der Errichtung der Lichtzeichenanlage
beauftragt wurde, für ihren Arbeitsbereich verkehrssicherungspflichtig war
(vgl. BGH a.a.O.).
Gemäß der Verkehrsanordnung des Oberbürgermeisters vom 08.05.2020 ist vor
Einschaltung der Lichtzeichenanlage eine Abnahme durchzuführen. Über die
Inbetriebnahme ist ferner ein Abnahmeprotokoll zu erstellen (vgl. BI. 56, 57
d.A.). Ein solches Protokoll ist seitens der Klägerin nicht zur Gerichtsakte
gereicht worden. Zwar tragen für das Vorliegen einer
Verkehrssicherungspflichtverletzung grundsätzlich die Beklagten die Darlegungs-
und Beweislast. Die Beklagten können indes lediglich aufgrund der eigenen
Fahrzeughöhe auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Klägerin
schließen, während es für die Klägerin im Rahmen ihrer sekundären
Darlegungslast zumutbar ist, das Abnahmeprotokoll vorzulegen sowie darzulegen,
wann durch wen entsprechende Kontrollen stattgefunden haben.
Sollte die zunächst durchzuführende Beweisaufnahme zur Höhe des
Beklagtenfahrzeuges ergeben, dass dieses tatsächlich eine Höhe von 4,00 m nicht
überschreitet, so kann es zum vorliegenden Unfall denknotwendig nur dadurch gekommen
sein, dass die Klägerin ihrer Verkehrssicherungspflicht bei Errichtung oder
aber Kontrolle- und Überwachung der Lichtzeichenanlage nicht genüge getan hat.
Denn in diesem Fall ließe der Zustand der Kabelführung letztlich die
Wahlfeststellung zu, dass die über den Gehweg geführte Stromleitung entweder
von Anfang an nicht ordnungsgemäß installiert und sicher befestigt war, sodass
sie den üblichen Witterungseinflüssen standzuhalten vermochte, oder die
Verkehrssicherheit der Anlage nicht ausreichend kontrolliert wurde.
Für den Fall, dass die Klägerin den Nachweis führen kann, dass das
beklagtenseitige Fahrzeug tatsächlich entgegen § 32 Abs. 2 StVZO eine Höhe von
4,00 m überschritten hat, während die Stromleitung in einer Höhe von 5,30 m
gespannt war, trifft die Beklagten die vollständige Haftung. Ein
unfallursächliches Mitverschulden der Klägerin läge in diesem Fall nicht vor.
Für den Fall, dass nach Einholung des Sachverständigengutachtens davon
auszugehen ist, dass das beklagtenseitige Fahrzeug die zulässige Höhe nicht
überschritten hat, wird im Rahmen der weiteren Beweisaufnahme zu klären sein,
ob die Klägerin ihrer Verkehrssicherungspflicht betreffend die Kontrolle und
Überwachung des Zustandes der Anlage Genüge getan hat, indem sie den Zustand
der Stromleitung einer regelmäßigen Kontrolle unterzogen hat. Hierbei wird
insbesondere maßgeblich sein, in welchem Zustand sich die Anlage zum Zeitpunkt
der letzten Kontrolle befunden hat. Weiterhin wird in diesem Fall im Wege der
persönlichen Anhörung des Erstbeklagten aufzuklären sein, ob der rechtswidrige
Zustand der Stromleitung für den Erstbeklagten erkennbar gewesen ist und er im
Hinblick darauf seine Durchfahrt hätte zurückstellen müssen.
Sofern nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine (Mit-)Haftung der Beklagten
anzunehmen ist, wird schließlich auch über die Schadenshöhe Beweis durch
Vernehmung des Zeugen Fink sowie durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens zu erheben sein. Die Beklagten haben bereits mit der
Klageerwiderung in zulässiger Weise bestritten, dass der Klägerin
tatsächlich ein Schaden nach Maßgabe des von ihr selbst veranschlagten
Kostenvoranschlages vom 13.01.2021 (BI. 8 d.A.) entstanden ist. Unbeschadet der
Rechtsfrage, ob sich die Klägerin hinsichtlich der Ersatzteile ein Abzug neu für
alt gefallen zu lassen hat, stehen auch Ortsüblichkeit und Angemessenheit der
Vergütung sowie das Ausmaß der Schäden und die tatsächliche Durchführung der
veranschlagten Arbeiten in Streit.
2.
Die Sache war, nachdem das Erstgericht wesentliches Parteivorbringen
nebst Beweisantritten unberücksichtigt gelassen hat und nach Maßgabe des
Vorstehenden eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig sein wird, auf Antrag
des Beklagten gemäß S 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO an das Amtsgericht zurück zu
verweisen.
3.
Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der
endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung
beurteilt werden kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen